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Tausend und Ein Gespenst

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II.

Das Arsenal

An dem äußersten Ende von Paris, indem es die Fortsetzung des Kais der Coelestiner bildet, an die Straße Morland gelehnt und den Fluß überragend, erbebt sich ein großes Gebäude von finsterem und traurigem Ansehen, das Arsenal genannt.



Ein Theil des Bodens, auf welchem sich dieser plumpe Bau erstreckt, hieß, vor dem Auswerfen der Stadtgräben, das Gypsfeld. Eines Tages, als es sich zum Kriege vorbereitete, kaufte Paris dies Feld und ließ auf ihm große Scheuern bauen, um seine Artillerie dort unterzubringen. Gegen das Jahr 1533 bemerkte Franz l., daß es ihm an Kanonen fehlte, und hatte den Einfall, deren gießen zu lassen. Er borgte daher eine dieser Scheuern von seiner guten Stadt Paris, wohlverstanden mit dem Versprechen, sie zurückzugeben, sobald der Guß beendigt sein würde, dann, unter dem Vorwande, die Arbeit zu beschleunigen, borgte er eine zweite, dann eine dritte, immer unter demselben Versprechen; dann, zu Folge des Sprichwortes, welches sagt, daß das, was gut zu nehmen ist, gut zu behalten ist, behielt er ohne Umstände die drei geborgten Scheuern.



Zwanzig Jahre nachher entzündete das Feuer einige zwanzig Tausend Pfund Pulver, welche sich darin eingeschlossen befanden. Die Explosion war schrecklich; Paris zitterte wie Catane an den Tagen zittert, an denen Enceclades sich regt. Steine wurden bis nach dem Ende der Vorstadt Saint Marceau geschleudert; das Rollen dieses schrecklichen Donners erschütterte Melun. Die Häuser der Nachbarschaft schwankten einen Augenblick lang, wie als ob sie trunken wären, dann sanken sie in sich selbst zusammen. Durch diese unerwartete Erschütterung getödtet, starben die Fische in dem Flusse; endlich fielen dreißig durch diesen Flammenorkan aufgehobene Personen in Fetzen zerrissen wieder herab; Hundert und fünfzig wurden verwundet. Woher rührte dieses Unglück? was war die Ursache dieses Unglückes? Man erfuhr es niemals, und weil man es nicht erfuhr, so schrieb man es den Protestanten zu.



Karl IX. ließ die zerstörten Gebäude in einem weit größeren Maßstabe wieder ausführen. Karl IX. war ein großer Bauliebhaber; er ließ das Louvre aufführen, den Brunnen des Innocents von Jean Goujon anfertigen, der, wie Jedermann weiß, dabei durch eine verlorene Kugel getödtet wurde. Der große Künstler und der große Dichter hätte zuverlässig Alles beendigt, wenn Gott, der gewisse Rechenschaften in Bezug auf den 24. August 1572 von ihm zu verlangen hatte, ihn nicht zurückberufen hätte. Seine Nachfolger begannen die Bauten da wieder, wo er sie gelassen hatte, und setzten sie fort. Heinrich III. ließ im Jahre 1584 das Thor aufführen, das sich dem Kai der Coelestiner gegenüber befand; es war mit Säulen in Form von Kanonen versehen, und auf der Marmortafel, die es überragte, las man folgenden Vers von Nicolas Bourbon, den Santeuil um den Preis des Galgens zu erkaufen verlangte:





Aetna haec Henrico vulcania tela ministrat

Tela gigantos debellatura furores.



(Der Aetna fertigt hier die Pfeile an, mit denen Heinrich das Wüthen der Riesen vernichten soll.)



Und in der That, nachdem er die Riesen der Ligue vernichtet, pflanzte Heinrich dort jenen schönen Garten, den man auf den Karten aus der Zeit Ludwigs XIII. sieht, während Sully daselbst sein Ministerium einrichtete und die schönen Säle malen und vergolden ließ, welche noch heut zu Tage die Bibliothek des Arsenals bilden.



Im Jahre 1823 wurde Karl Nodier zu der Direction dieser Bibliothek berufen, und verließ die Straße Choiseul, in welcher er wohnte, um sich in seiner neuen Wohnung einzurichten.



Nodier war ein liebenswürdiger Mann ohne irgend ein Laster, aber voll Fehler, jener reizenden Fehler, welche die Orginalität des Mannes von Genie bilden, Verschwender, sorgloser Spaziergänger, Spaziergänger wie Figaro träg war, mit Wonne.



Nodier wußte so ziemlich Alles, was zu wissen verliehen war; außerdem hatte Nodier das Vorrecht des Mannes von Genie; wenn er nicht wußte, so erfand er, und was er erfand, war bei weitem sinnreicher, bei weitem ausgeschmückter, bei weitem wahrscheinlicher, als die Wirklichkeit.



Außerdem voller Systeme, paradox mit Begeisterung, aber nicht im mindesten von der Welt Propagandist, war Nodier für sich selbst paradox, machte Nodier für sich allein Systeme; so bald seine Systeme angenommen, seine Paradoxen anerkannt, hätte er sie gewechselt, und sich auf der Stelle andere gemacht.



Nodier war der Mann des Terenz, dem nichts Menschliches fremd ist. Er liebte wegen des Glückes zu lieben; er liebte wie die Sonne leuchtet, wie das Nasser murmelt, wie die Blume duftet; Alles was gut war, Alles was schön war, Alles was erhaben war, war ihm sympathetisch, selbst in dem Schlechten suchte er das, was Gutes darin lag, wie der Chemiker aus der Giftpflanze, aus dem Gifte selbst eine heilsame Arznei bereitet.



Wie viele Male hatte Nodier geliebt? das wäre ihm unmöglich gewesen sich selbst zu sagen; außerdem verwechselte der große Dichter, der er war, immer den Traum mit der Wirklichkeit. Nodier hatte die Erfindungen seiner Einbildungskraft mit so vieler Liebe gehegt, daß er am Ende an ihr Dasein geglaubt hatte. Für ihn hatten Therese Auberr, die Fee mit den Brosamen, Inés de las Sierra bestanden. Sie waren seine Töchter wie Marie; sie waren die Schwestern Maries; nur hatte Madame Nodier Nichts zu ihrer Schöpfung beigetragen; wie Jupiter, hatte Nodier alle diese Minerven aus seinem Kopfe entspringen lassen.



Aber es waren nicht allein menschliche Geschöpfe, es waren nicht allein Töchter Evas und Söhne Adams, welche Nodier mit seinem schaffenden Hauche beseelte. Nodier hatte ein Thier erfunden, er hatte es getauft. Dann hatte er es aus eigener Machtvollkommenheit, ohne sich darum zu bekümmern, was Gott dazu sagen würde, mit dem ewigen Leben begabt.



Dieses Thier war der Taratantaleo.



Sie kennen den Taratantaleo nicht, nicht wahr? ich auch nicht; aber Nodier kannte ihn, Nodier wußte ihn auswendig. Er erzählte die Sitten, die Gewohnheiten, die Launen des Taratantaleo. Er hätte uns seine Liebschaften erzählt, wenn er ihn nicht von dem Augenblicke an, wo er bemerkt hatte, daß der Taratantaleo das Prinzip des ewigen Lebens in sich trüge, zum Cölibat verdammt hätte, da die Wiedererzeugung da unnöthig war, wo die Wiederauferstehung besteht.



Wie hatte Nodier den Taratantaleo entdeckt?



Ich will es meinen Lesern sagen.



Mit achtzehn Jahren beschäftigte sich Nodier mit Insectenkunde. Das Leben Nodiers hat sich in sechs verschiedene Abschnitte getheilt:



Zuvörderst trieb er Naturgeschichte:

Die entomologische Bibliothek

;



Dann Sprachkunde:

Das Wörterbuch der Onomatopöi

e;



Dann Politik:

Die Napoleonisch

e;



Dann religiöse Philosophie:

Die Betrachtungen des Klosters

;



Dann schrieb er Gedichte:

Die Versuche eines jungen Barden

;



Dann Romane:

Jean Sbogar; Smarra; Trilby; der Maler von Salzburg; Mademoiselle von Marsan; Adèle; der Vampir; der goldene Traum; die Jugenderinnerungen; der König von Böhmen und seine sieben Schlösser; die Phantasien des Doctor Neophobu

s, und noch Tausend andere reizende Sachen, welche Sie kennen, welche ich kenne, und deren Namen sich nicht unter meiner Feder wiederfindet.



Nodier war also an dem ersten Abschnitte seiner Arbeiten; Nodier beschäftigte sich mit Insectenkunde; Nodier wohnte auf dem sechsten Stockwerke, – ein Stockwerk höher, als Béranger den Dichter wohnen läßt. – Er stellte Untersuchungen mit dem Mikroskope über die unendlich kleinen Thiere an, und er hatte lange vor Naspail eine ganze Welt von unsichtbarer mikroskopischer Thiere entdeckt. Eines Tages, nachdem er das Wasser, den Wein, den Essig, den Käse, das Brod, kurz alle die Gegenstände der Prüfung unterworfen hatte, an welchen man gewöhnlich Untersuchungen anstellt, nahm er ein wenig feuchten Sand aus der Dachtraufe, und legte ihn in das Gehäuse seines Mikroskops, dann hielt er sein Auge im die Linse.



Nun sah er sich ein seltsames Thier bewegen, das die Gestalt einer Draisine hatte, mit zwei Rädern versehen, welche es rasch bewegte. Hatte es über einen Fluß zu gehen, so dienten ihm seine Räder wie die eines Dampfschiffes; hatte es über einen trockenen Boden zu gehen, so dienten ihm seine Räder wie die eines Cabriolets. Rodler betrachtete es, zeichnete es, zergliederte es so lange, daß er sich plötzlich erinnerte, daß er ein Rendezvous vergäße, und daß er sich davon machte, indem er sein Mikroskop, seine Prise Sand und die Taratantaleo verließ, von der sie die Welt war.



Als Rodler nach Haus zurückkehrte, war es spät; er war ermüdet, legte sich zu Bett und schlief, wie man mit achtzehn Jahren schläft. Erst am folgenden Morgen, als er die Augen aufschlug, dachte er daher auch an seine Prise Sand, an das Mikroskop und an den Taratantaleo.



Ach! während der Nacht war der Sand getrocknet, und der arme Taratantaleo, der ohne Zweifel der Feuchtigkeit bedurfte, um zu leben, war gestorben. Seine kleine Leiche lag auf der Seite, die Räder waren regungslos. Das Dampfschiff ging nicht mehr, die Draisine war angehalten.



Aber obgleich es tobt war, so war das Thier nichts desto weniger eine merkwürdige Abart der Ephemeriden, und eine Leiche verdiente eben so gut aufbewahrt zu werden, als die eines Mammouths oder eines Mastodonte, nur mußte man, wie man begreifen wird, bei weitem größere Vorsichtsmaßregeln treffen, um mit einem Thiere umzugehen, das Hundert Mal kleiner ist, als eine Milbe, als man treffen muß, um ein Thier von der Stelle zu schaffen, das zehn Mal größer als ein Elephant ist,



Nodier brachte daher seine Prise Sand aus dem Gehäufe seines Mikroskops mit Hilfe der Fahne einer Feder in eine kleine Pappschachtel, die bestimmt war, das Grab des Taratantaleo zu werden.



Er nahm sich vor, diese Leiche dem ersten Gelehrten sehen zu lassen, der es wagen würde, seine sechs Stockwerke hinaufzugehen.

 



Es gibt so viele Dinge, an die man mit achtzehn Jahren denkt, daß es wohl erlaubt ist, die Leiche einer Ephemeride zu vergessen. Nodier vergaß während dreizehn Monaten, einem Jahr vielleicht die Leiche des Taratantaleo.



Dann fiel ihm eines Tages die Schachtel in die Hand. Er wollte sehen, welche Veränderung ein Jahr auf sein Thier hervorgebracht hätte. Der Himmel war bedeckt; es fiel ein dicker Gewitterregen. Um besser zu sehen, brachte er das Mikroskop an das Fenster, und schüttete den Inhalt der kleinen Schachtel in das Gehäuse.



Die Leiche lag immer noch regungslos auf dem Sande, nur schien die Zeit, welche so viele Gewalt über die Kolosse hat, das unendlich Kleine vergessen zu haben.



Siedler betrachtete also seine Ephemeride, als plötzlich ein von dem Winde gejagter Regentropfen in das Gehäuse des Mikroskops fiel, und die Prise Sand anfeuchtete.



Nun schien es Nodier, daß bei der Berührung dieser belebenden Frische sein Taratantaleo sich wieder belebte, daß er ein Fühlhorn, dann das andere bewegte, daß er eines seiner Räder drehen ließ, daß er seine beiden Räder drehen ließ, daß er seinen Schwerpunkt wieder annahm, daß seine Bewegungen regelmäßig wurden, kurz daß er lebte.



Das Wunder der Wiederauferstehung war nicht nach Verlauf von drei Tagen, sondern nach Verlauf von einem Jahre vollbracht.



Nodier erneuerte dieselbe Probe zehn Male, zehn Male trocknete der Sand und der Taratantaleo starb, zehn Male wurde der Sand angefeuchtet, und zehn Male lebte der Taratantaleo wieder auf.



Es war keine Ephemeride, welche Nodier entdeckt hatte, es war ein Unsterblicher. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte sein Taratantaleo die Sündfluth gesehen, und sollte dem jüngsten Gerichte beiwohnen.



Unglücklicher Weise führte eines Tages, als Nodier sich anschickte, vielleicht zum zwanzigsten Male seinen Versuch zu erneuern, ein Windstoß den trockenen Sand, und mit dem Sande die Leiche des phänomenalen Taratantaleo fort.



Nodier nahm gar manche Prise feuchten Sandes von seiner Dachtraufe und anderswo, aber es war vergebens, niemals fand er wieder etwas dem Gleiches, als er verloren hatte; der Taratantaleo war der einzige feiner Art, und, für die Menschen verloren, lebte er nur noch in dem Andenken Nodiers.



Aber dort lebte er auch so, um niemals aus ihm zu verschwinden.



Wir haben von den Fehlern Nodiers gesprochen; sein Hauptfehler war, zum Mindesten in den Augen der Madame Nodier, seine Büchersucht; dieser Fehler, der das Glück Nodiers ausmachte, machte die Verzweiflung seiner Gattin.



Es kam daher, weil alles Geld, das Nodier verdiente, in Büchern aufging, wie oft kehrte Nodier, der ausgegangen war, um zwei bis drei Hundert Franken zu holen, die für die Haushaltung durchaus nothwendig waren, mit einem seltenen Bande, mit einem einzigen Exemplare zurück.



Das Geld war bei Techner oder bei Guillemont geblieben.



Madame Nodier wollte zanken, aber Nodier zog seinen Band aus seiner Tasche, schlug ihn auf, schlug ihn wieder zu, streichelte ihn, und zeigte seiner Frau einen Druckfehler, der die Aechtheit des Buches bewies.



Und das, indem er dabei sagte:



– Bedenke doch, meine liebe Freundin, daß ich drei Hundert Franken wiederfinde, während ein solches Buch, hm! ein solches Buch nirgends zu finden ist, frage nur Pirérécourt.



Pirérécourt war die große Bewunderung Nodiers, der immer das Melodrama verehrt hat. Nodier nannte Pirérécourt den Corneille der Boulevards. Fast alle Morgen kam Pirérécourt, um Nodier einen Besuch abzustatten.



Der Morgen war bei Nodier den Besuchen der Bücherliebhaber gewidmet. Da versammelten sich der Marquis von Ganay, der Marquis von Chateau-Giron, der Marquis von Chalabre, der Graf von Labédoyère, Berard, der Mann der Elzevirs, welcher in seinen müssigen Stunden die Charte von l830 umarbeitete; der Bibliophile Jakob, der gelehrte Weiß von Besancon, das Universalgenie Peignot von Dijon; endlich die ausländischen Gelehrten, welche gleich nach ihrer Ankunft in Paris sich in diesem Heiligthume, dessen Ruf europäisch war, vorstellen ließen, oder sich allein vorstellten.



Dort berieth man Nodier, das Orakel der Versammlung, dort zeigte man ihm Bücher, dort verlangte man Bemerkungen von ihm; das war seine Lieblingszerstreuung. Was die Gelehrten des Instituts anbetrifft, so kamen sie eben nicht zu diesen Versammlungen; sie sahen Nodier mit Eifersucht. Nodier vereinigte Witz und Poesie mit Gelehrsamkeit, und das ist ein Unrecht, welches die Akademie der Wissenschaften eben so wenig als die französische Akademie verzeiht.



Dann spottete Nodier oft, Nodier biß zuweilen. Eines Tages hatte er

den König von Böhmen und seine sieben Schlösser

 geschrieben; dieses Mal war er beißend satirisch gewesen. Man glaubte Nodier für immer mit dem Institute gespannt, durchaus nicht, die Akademie von Tombuktu ließ Nodier in die französische Akademie eintreten.



Man ist sich unter Schwestern etwas schuldig.



Nach zwei oder drei Stunden einer immer leichten Arbeit, nachdem er zehn bis zwölf Seiten Papier von ohngefähr sechs Zoll Höhe und vier Zoll Breite mit einer leserlichen, regelmäßigen Handschrift ohne irgend eine Verbesserung bedeckt hatte, ging Nodier aus.



Sobald er ausgegangen war, streifte Nodier auf das Gerathewohl herum, wobei er nichts desto weniger fast immer die Linie der Kais einschlug, aber über den Fluß hin und herüber ging, je nach der topographischen Lage der Bücherkrämer, dann ging er von den Bücherkrämern in die Läden der Buchhändler, und aus den Läden der Buchhändler in die Werkstätten der Buchbinder. Das kam daher, weil Nodier sich nicht allein auf Bücher, sondern such auf Einbände verstand. Die Meisterstücke von Gaseon unter Ludwig XIII., von Desseuil unter Ludwig XIV., von Pasdeloub unter Ludwig XV. und von Derome unter Ludwig XV. und Ludwig XVI. waren ihm so vertraut, daß er sie mit geschlossenen Augen bei der bloßen Berührung erkannte. Nodier war es, der die Buchbinderei wieder aufleben ließ, welche unter der Revolution und dem Kaiserreiche aufhörte, eine Kunst zu sein; er ermuthigte, er leitete die Wiederherstellung dieser Kunst, die Thouvenins, die Brodels, die Niedées, die Bozonnets und die Legrands. Thouvenin, der an einem Brustleiden starb, stand von seinem Todtenbette auf, um einen letzten Blick auf die Einbände zu werfen, welche er für Nodier machte.



Die Gänge Nodiers endigten fast immer bei Grozet oder bei Techner, diese beiden durch die Nebenbuhlerschaft uneinigen Schwäger, und zwischen denen sein friedliebender Geist sich ins Mittel gelegt hatte. Dort fand eine Versammlung von Bücherliebhabern statt; dort sprach man von Büchern, von Ausgaben, von Versteigerungen; dort machte man Austausche, dann, sobald Nodier erschien, entstand ein Geschrei, aber sobald er den Mund aufthat, herrschte gänzliches Schweigen. Dann erzählte Nodier, Nodier machte Paradoxen,

de omni reseibili et quibuadam aliis

.



Am Abend nach dem Familienessen arbeitete Nodier gewöhnlich in dem Eßzimmer, zwischen drei in Triangeln gestellten Kerzen, niemals mehr, niemals weniger; wir haben gesagt, auf welches Papier, und mit welcher Handschrift, immer mit Gänsefedern; Nodier hatte einen Abscheu vor den Stahlfedern, wie im Allgemeinen vor allen neuen Erfindungen; das Gas versetzte ihn in Wuth, der Dampf brachte ihn außer sich, er sah das unfehlbare und bevorstehende Ende der Welt in der Zerstörung der Wälder und in der Erschöpfung der Steinkohlenbergwerke. Bei diesen Ereiferungen gegen die Fortschritte der Civilisation war Nodier glänzend an beißendem und vernichtendem Witze.



Gegen halb zehn Uhr Abends ging Nodier aus; dieses Mal schlug er nicht mehr die Linie der Kais, sondern die der Boulevards ein; er trat in das Theater Port Saint Martin, das Ambigue oder zu den Funambulen, in die Funambulen Vorzugsweise. Nodier ist es, der Deburau vergöttert hat; für Nodier gab es nur drei Schauspieler auf der Welt: Deburau, Potier und Talma, Potier und Talma waren gestorben, aber Deburau blieb, und tröstete Rodler über den Verlust der beiden andern.



Nobler hatte den

tollen Ochsen

 Hundert Mal gesehen.



Jeden Sonntag frühstückte Nodier bei Pirérécourt. Dort fand er seine Besucher wieder; den Bibliophilen Jakob, König, so lange Nodier nicht da war; Vicekönig, wenn Nodier erschien; den Marquis von Ganay, den Marquis von Chalabre.



Der Marquis von Ganay, ein veränderlicher Kopf, ein launiger Liebhaber, in ein Buch verliebt, wie ein Wüstling aus der Zeit der Regentschaft in eine Frau verliebt war, um es zu besitzen; dann, wenn er es hatte, einen Monat treu, nicht getreu, sondern entzückt, indem er es bei sich trug und seine Freunde anhielt, um es ihnen zu zeigen, es Abends unter sein Kopfkissen legte, und des Nachts erwachend seine Kerze anzündete, um es zu betrachten, aber es niemals las; immer eifersüchtig auf die Bücher Pirérécourts, welche Pirérécourts sich weigerte, ihm, um welchen Preis es auch sein mögte, zu verkaufen, wobei er sich übe seine Weigerung rächte, daß er in der Versteigerung der Frau von Kastellane ein Autograph kaufte, nach welchem Pirérécourt seit zehn Jahren strebte.



– Gleichviel, sagte Pirérécourt wüthend, ich werde es erhalten.



– Was? fragte der Marquis von Ganay.



– Ihr Autograph.



– Und wie das?



– Nach Ihrem Tode, bei Gott!



Und Pirérécourt hätte sein Wort gehalten, wenn der Marquis von Ganay es nicht für angemessen gehalten hätte, Pirérécourt zu überleben.



Was den Marquis von Chalabre anbelangt, so strebte er nur nach einer Sache; das war eine Bibel, welche Niemand hätte, er strebte daher auch eifrig nach ihr.



Er quälte daher auch Nodier so lange, daß Nodier ihm ein einziges Exemplar andeuten mögte, so daß Nodier am Ende noch mehr that, als der Marquis von Chalabre wünschte, und ihm ein Exemplar andeutete, das nicht bestand.



Sogleich begann der Marquis van Chalabre die Aufsuchung dieses Exemplars.



Niemals verwandte Christoph Columbus mehr Eifer darauf, Amerika zu entdecken. Niemals verwandte Vasco de Gama mehr Beharrlichkeit darauf, Indien wieder zu finden, als des Marauis von Chalabre seine Bibel zu verfolgen. Aber Amerika bestand unter dem siebzigsten Grade nördlicher und unter dem drei und fünfzigsten und vier und fünfzigsten Grade südlicher Breite. Aber Indien lag wirklich diesseits und jenseits des Ganges, während die Bibel des Marquis von Chalabre sich unter keiner Breite befand, auch weder diesseits noch jenseits der Seine lag, Es ging daraus hervor, daß Vasco de Gama Indien wieder auffand, daß Christoph Columbus Amerika entdeckte, aber daß der Marquis vergebens von Norden nach Süden, von Osten nach Westen suchte, und seine Bibel nicht fand.



Je mehr die Bibel unauffindbar war, desto mehr Eifer verwandle der Marquis von Chalabre darauf sie zu



finden. Er hatte 500 Franken dafür geboten; er hatte 1000 Franken, 2000, 4000, 10,000 Franken geboten.



Alle Bibliographen wurden in Bezug auf diese unglückselige Bibel in Bewegung gesetzt. Man schrieb nach Deutschland und nach England. Nichts. Auf eine Anmerkung des Marquis von Chalabre hätte man sich nicht



so viel Mühe gegeben, und man hätte einfach geantwortet:

Sie besteht nicht.

 Aber auf eine Bemerkung von Nodier war es etwas Anderes. Wenn Nodier gesagt hatte: die Bibel besteht, so bestand die Bibel unbestreitbar. Der Papst konnte sich irren; aber Nodier wer unfehlbar.



Die Nachforschungen dauerten drei Jahre. Jeden Sonntag sagte der Marquis von Chalabre, indem er mit Nodier bei Pirérécourt frühstückte, zu ihm:



– Nun denn! diese Bibel, Mein lieber Karl?



– Nun denn!



– Unauffindbar? -



– 

Quaere et invenies

, antwortete Nodier



Und voll neuem Eifer begann der Bücherliebhaber wieder die Aufsuchung, aber fand Nichts.



Endlich brachte nun dem Marquis von Chalabre eine Bibel.



Es war nicht die von Nodier angedeutete Bibel, aber es fand nur der Unterschied eines Jahres in dem Datum statt; sie war nicht in Kehl, sondern in Straßburg gedruckt, es fand nur die Entfernung einer Meile statt; sie



war freilich nicht einzig; aber das zweite Exemplar, das einzige, welches bestand, befand sich auf dem Libanon in einem drusischen Kloster. Der Marquis von Chalabre brachte Nodier die Bibel und fragte ihn um seinen Rath.



– Ah! antwortete Nodier, welcher sah, daß der Marquis seinen Verstand verlieren würde, wenn er keine Bibel hätte, nehmen Sie diese da, mein lieber Freund, da es unmöglich ist, die andere zu finden.



Der Marquis von Chalabre kaufte die Bibel für die Summe von zwei Tausend Franken, ließ sie auf eine glänzende Weise binden und stellte sie in ein besonderes Kästchen.



Als er starb, hinterließ der Marquis von Chalabre seine Bibliothek der Mademoiselle Mars. Mademoiselle Mars, welche nichts weniger als Büchernärrin war, bat Merlin, die Bücher des Verstorbenen zu ordnen und dieselben zu verkaufen. Merlin, der rechtschaffenste Mensch von der Welt, trat eines Tages mit dreißig bis vierzig Tausend Franken Bankbillets in der Hand zu Mademoiselle Mars ein.

 



Er hatte sie in einer Art von Brieftasche gefunden, die in dem prachtvollen Einbande dieser fast einzigen Bibel angebracht war.



– Warum haben Sie dem armen Marquis von Calabre diesen Streich gespielt, fragte ich Nodier, Sie, den es so wenig Freude macht, andere Leute zum Besten zu haben.



– Weil er sich zu Grunde richtete, mein Freund, und während der drei Jahre, welche er seine Bibel suchte, an Nichts anderes