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Tausend und Ein Gespenst

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– Mit den, Rechte, welches mir dieses Kreuz verleiht, sagte er. Lernen Sie dieses Recht achten, gnädiger Herr, und lassen Sie Ihren König nicht ohne die Sakramente der Kirche sterben, deren ältester Sohn er ist.

Alles das trug sich in Gegenwart des Herrn von Aiguillon zu. Er sah den ganzen Scandal ein, welcher aus einem solchen Streite hervorgehen würde, wenn er öffentlich bekannt wurde.

Er trat zu dem Könige ein.

– Nun denn! Herzog, sagte der König zu ihm, haben Sie meine Befehle ausgeführt?

– In Bezug auf Madame Du Barry, Sire?

– Ja.

– Ich habe warten wollen, bis sie mir von Eurer Majestät erneuert würden. Ich werde niemals Eile darauf verwenden, den König von den Personen zu trennen, welche ihn lieben.

– Ich danke, Herzog, aber es muß sein; nehmen Sie die arme Gräfin und führen Sie dieselbe ohne Aufsehen auf Ihr Landgut von Rueil; ich werde der Frau von Aiguillon Dank für die Aufmerksamkeiten wissen, welche sie für sie haben wird.

Trotz dieser sehr förmlichen Aufforderung wollte Herr von Aiguillon die Abreise der Favoritin noch nicht beschleunigen, und verbarg sie in dem Schlosse, indem er ihre Abreise für den folgenden Tag meldete. Diese Meldung besänftigte die geistlichen Forderungen ein wenig.

Der Herzog von Aiguillon halle übrigens gut gethan, daß er Madame Du Barry in Versailles behalten hatte, denn im Laufe des Tages vom 4. verlangte sie der König mit so vieler Beharrlichkeit zurück, daß der Herzog ihm gestand, daß sie noch da wäre.

– Dann lassen Sie sie kommen, lassen Sie sie kommen, rief der König aus.

Madame Du Barry trat daher ein letztes Mal wieder ein. . .

Die Gräfin entfernte sich ganz in Thränen zerfließend; die arme Frau, welche gutmüthig, unüberlegt, liebenswürdig, nachgiebig war, liebte Ludwig XV., wie man einen Vater liebt.

Frau von Aiguillon ließ Madame Du Barry mit Mademoiselle Du Barry der älteren in die Kutsche steigen, und führte sie nach Rueil, um die Ereignisse abzuwarten.

Kaum hatte sie die Höfe verlassen, als der König sie nochmals zurück verlangte.

– Sie ist abgereist, antwortete man ihm.

– Abgereist? wiederholte der König, dann ist an mir die Reihe, gleichfalls abzureisen. – Befehlt, daß man zu der heiligen Genovefa betet.

Herr de la Brillière schrieb sogleich an das Parlament, welches in äußersten Fällen das Recht hatte, die alte Reliquie zu öffnen oder zu schließen.

Die Tage des 5. und des 6. verflossen, ohne daß man von der Beichte, dem Abendmahle oder der letzten Oelung sprach. Der Pfarrer von Versailles erschien in der Absicht, den König zu dieser frommen Feier vorzubereiten, aber er begegnete dem Herzog von Fronsac, der ihm sein adeliges Wort gab, daß er ihn bei dem ersten Worte, das er darüber sagte, aus dem Fenster werfen würde.

– Wenn ich mich im Fallen nicht tödte, antwortete der Pfarrer, so werde ich durch die Thür zurückkehren, denn das ist mein Recht.

Aber am 7. um 3 Uhr Morgens verlangte der König dringend nach dem Abbé Mandour, einen armen Priester ohne Ränke, einen gutmüthigen Geistlichen, den man ihm zum Beichtvater gegeben hatte, und der blind war.

Seine Beichte dauerte siebenzehn Minuten.

Als die Beichte beendigt, wollten die Herzöge de la Brillière und d'Aiguillon das Abendmahl verzögern; aber Lamartinière, ein persönlicher Feind der Madame Du Barry, welche Lorry und Bordeu bei dem Könige eingeführt hatte, sagte, indem er sich dem Könige näherte:

– Sire, ich habe Eure Majestät unter sehr schwierigen Umständen gesehen, aber niemals habe ich Sie wie heute bewundert, wenn sie mir folgen will, so wird sie auf der Stelle das beendigen, was sie so gut begonnen hat.

Der König ließ nun Mandour zurückberufen, und Mandour ertheilte ihm die Absolution. Was die glänzende Genugthuung anbetrifft, welche Madame Du Barry feierlicher Weise vernichten sollte, so war keine Rede mehr davon. Der Großalmosenier und der Erzbischof hatten gemeinschaftlich folgende Formel aufgesetzt, welche in Gegenwart des letzten Abendmahles proclamirt wurde:

Obgleich der König nur Gott allein Rechenschaft von seinen Handlungen schuldig ist, so erklärt er doch, daß er es bereut, seinen Unterthanen Aergerniß verursacht zu haben, und daß er nur noch für die Aufrechterhaltung der Religion und für das Glück seiner Völker zu leben wünscht.

Die durch Madame Louise, welche ihr Kloster verlassen hatte, um ihren Vater zu verpflegen, vermehrte königliche Familie empfing das heilige Sakrament am Fuße der Treppe.

Während der König die Sakramente empfing, schrieb der Dauphin, den man von dem Könige entfernt hielt, da er die Blattern nicht gehabt hatte, an den Abbé Terray:

»Herr Generalcontroleur,

Ich bitte Sie, an die Armen der Gemeinden von Paris zwei Mal Hundert Tausend Livres vertheilen zu lassen, um für den König zu beten. Wenn Sie finden, daß das zu theuer ist, so behalten Sie dieselben von dem Jahrgehalte der Frau Dauphine und dem meinigen zurück.

Unterz. Ludwig August.«

Im Laufe der Tage des?. und 8. verschlimmerte sich die Krankheit. Der König fühlte seinen Körper buchstäblich gesagt, fetzenweise vergehen. Von seinen Hofleuten, verlassen, welche nicht mehr wagten, bei dieser lebendigen Leiche zu bleiben, hatte er keine anderen Wärter mehr, als seine drei Töchter, die ihn keinen Augenblick verließen;

Der König war entsetzt. Er sah in diesem schrecklichen Brande, welcher sich des ganzen Körpers bemächtigte, eine unmittelbare Strafe des Himmels. Für ihn war die unsichtbare Hand, welche ihn mit schwarzen Flecken bezeichnete, die Hand Gottes. In einem Phantasiren, das um so schrecklicher war, als es nicht das des Fiebers, sondern das der Gedanken war, sah er Flammen, sah er den glühenden Abgrund, und er rief seinen Beichtvater, den armen blinden Priester, seine einzige Zuflucht, damit er zwischen ihm und dem Feuerpfuhle das Crucifix ausstreckte. Nun nahm er selbst Weihwasser, er selbst hob die Betttücher oder und die Decken auf, er selbst ließ unter Gestöhn des Schreckens das heilige Wasser auf seinen ganzen Körper rieseln, dann verlangte er das Crucifix, ergriff es mir vollen Händen, küßte es inbrünstig, wobei er ausrief: Herr! Herr! bitte für mich, den größten Sünder, der jemals gelebt hat.

In diesen schrecklichen und verzweifelten Aengsten verfloß der Tag des 9. Während dieses Tages, der nur eine lange Beichte war, verließen ihn weder der Priester, noch seine Töchter. Sein Körper war von dem abscheulichsten Brande befallen, und, lebendig, dünstete die Leiche des Königs einen solchen Geruch aus, daß zwei Bediente erstickt zu Boden sanken, und daß der eine von ihnen starb.

Am 10. Morgens sah man durch das gesprungene Fleisch die Knochen seiner Schenkel; drei andere Bediente wurden ohnmächtig. Der Schrecken verbreitete sich in Versailles. Die ganze Dienerschaft entfloh.

Es gab keine anderen lebendigen Wesen mehr in dem Palaste, als die drei edlen Töchter und den würdigen Priester.

Der ganze Tag des 10. war nur ein Todeskampf; der bereits todte König entschloß sich nicht zu sterben; man hätte sagen können, daß er sich aus dem Bette, dem vorzeitigen Grabe, stürzen wollte. Endlich, um drei Uhr weniger fünf Minuten, richtete er sich aus, streckte die Hände aus, heftete die Augen auf einen Punkt des Zimmers und rief aus:

– Chauvelin! Chauvelin! es sind indessen noch keine zwei Monate verflossen. . . hierauf sank er wieder zurück und starb.

Welche Tugend Gott auch in das Herz der drei Prinzessinnen und des Priesters gelegt hatte, als der König gestorben, hielten sie, wie er, ihr Werk für beendigt; außerdem waren alle drei bereits von der Krankheit befallen, welche den König getödtet hatte.

Die sorge für das Leichenbegängniß wurde dem Oberceremonienmeister überlassen, der alle seine Verfügungen traf, ohne den Palast zu betreten.

Man fand nur die Abtrittsfeier von Versailles, die es wagten, den König in den bleiernen Sarg zu legen, der ihm vorbereitet war; er wurde ohne Balsam, ohne Gewürze, in die Betttücher gewickelt, auf denen er gestorben war, in diese letzte Wohnung gelegt, dann wurde dieser bleierne Sarg in einen hölzernen Sarg gestellt, und das Ganze wurde in die Kapelle getragen.

Am 12. wurde der, welcher Ludwig XV, gewesen war, nach Saint Denis gebracht; der Sarg befand sich auf einem großen Jagdwagen. Eine zweite Kutsche war von dem Herzoge von Ayen und dem Herzoge von Beaumont besetzt; dann kamen in der dritten der Großalmosenier und der Pfarrer von Versailles. Ohngefähr zwanzig Pagen und fünfzig Stallknechte zu Pferde und mit Fackeln bildeten das Gefolge.

Der um acht Uhr Abends von Versailles abgegangene Leichenzug kam um eilf Uhr in Saint Denis an. Die Leiche wurde in die königliche Gruft hinabgebracht, aus welcher sie erst am Tage der Entweihung von Saint Denis hervorgehen sollte, und der Eingang des unterirdischen Gewölbes wurde nicht allein verschlossen, sondern hermetisch verschlossen, damit keine Ausdünstung dieses menschlichen Mistes aus der Wohnung der Todten in den Aufenthalt der Lebenden dränge.

Wir haben den Jubel der Pariser bei dem Tode Ludwigs XIV. erzählt. Dieser Jubel war nicht minder groß, als sie sich dessen entledigt sahen, dem sie dreißig Jahre zuvor den Beinamen des Vielgeliebten gegeben hatten.

Man neckte den Pfarrer von Sankt Genovefa über die Wirksamkeit der Reliquie.

– Ueber was beklagt Ihr Euch denn, sagte er, ist er denn nicht gestorben?

Am folgenden Tage erhielt Madame Du Barry in Rueil einen Verbannungsbefehl,

Sophie Arnould erfuhr zu gleicher Zeil den Tod des Königs und die Verbannung der Madame Du Barry.

– Ach! sagte sie, da sind wir jetzt Waise von Vater und Mutter.

Das war die einzige, auf dem Grabe von dem Enkel Ludwigs XIV. ausgesprochene Leichenrede.

 

Fünfter Band

Die Frau mit dem Sammet-Halsbande

I.
Das Arsenal

Am 4. December 1846, als mein Schiff seit dem Tage zuvor in der Bai von Tunis vor Anker lag, erwachte ich gegen fünf Uhr Morgens mit dem Eindrucke jener unendlichen Schwermuth, welche für einen ganzen Tag das Auge feucht und die Brust beklommen macht.

Dieser Eindruck rührte von einem Traume her.

Ich sprang aus meinem Bette, zog ein Beinkleid an, ging auf das Verdeck hinauf und blickte vor mich und um mich.

Ich hoffte, daß die wundervolle Landschaft, welche sich vor meinen Augen entfaltete, meinen Geist von diesem Tiefsinne befreien würde, der um so hartnäckiger war, als er eine minder wirkliche Ursache hatte.

Ich hatte auf Flintenschußweite den Strand vor mir, der sich von dem Fort de la Goulette bis zum Fort des Arsenals erstreckte, und nur einen schmalen Durchgang für die Schiffe ließ, welche aus dem Meerbusen in den See fahren wollen. Dieser See mit wie der Himmel, den er wiederspiegelt, blauem Wasser, war an gewissen Stellen durch den Flügelschlag einer Schaar von Schwänen ganz bewegt, während auf von Stelle zu Stelle, um die Untiefen anzudeuten, eingerammten Pfählen gleich jenen Vögeln, die man auf den Gräbern anbringt, ein Seerade regungslos saß, der sich plötzlich wie ein Stein in das Wasser stürzte, untertauchte, um seine Beute zu erhaschen, mit einem Fische in dem Schnabel wieder auf die Oberfläche des Wassers zurückkehrte, diesen Fisch verschlang, wieder auf seinen Pfahl stieg, und seine schweigsame Regungslosigkeit wieder annahm, bis daß ein neuer in seinem Bereiche vorüberkommender Fisch seinen Appetit reizte, und über seine Trägheit siegend, ihn von Neuem verschwinden ließ, um nochmals wieder zu erscheinen.

Und während dieser Zeit wurde die Luft von fünf zu fünf Minuten von einem Schwarme von Flamingos gestreift. Ihre purpurrothen Flügel traten auf dem matten Weiß ihres Gefieders hervor, sie bildeten eine viereckige Zeichnung, und glichen einem Kartenspiele, das nur aus Carreau Aß bestand, und auf einer einzigen Linie flog.

An dem Horizonte befand sich Tunis, das heißt eine Masse viereckiger Häuser ohne Fenster und ohne Oeffnungen, die sich weiß wie Kreide amphitheatralisch erhob, und mit einer außerordentlichen Klarheit auf dem Himmel hervortrat. Zur Linken erhoben sich, wie eine unermeßliche mit Zinnen versehene Mauer, die Bleiberge, deren Name ihre dunkle Farbe andeutet, zu ihren Füßen erstreckte sich der Marabout und das Dorf der Sidi-Fathallahs, zur Rechten erblickte man das Grab des heiligen Ludwig und den Platz, auf welchem Carthago stand, zwei der erhabensten Erinnerungen, welche es in der Weltgeschichte gibt. Hinter uns schaukelte sich vor Anker der Montezuma, eine prachtvolle Dampffregatte von vier Hundert und fünfzig Pferdekraft.

Gewiß war hier Stoff vorhanden, um die beschäftigteste Einbildungskraft zu zerstreuen. Bei dem Anblicke aller dieser Reichthümer hätte man sowohl das Gestern, als das Heute und das Morgen vergessen. Aber mein Geist war zehn Jahre weit von da hartnäckig auf einen einzigen Gedanken geheftet, den ein Traum in meinem Geiste gefesselt hatte.

Mein Auge wurde starr. Dieses ganze glänzende Panorama verschwand allmählig in der Unbestimmtheit meines Blickes. Bald sah ich nichts mehr von dem, was bestand. Die Wirklichkeit verschwand; dann erschien in diesem nebeligen Raume wie unter dem Zauberstabe eines Fee ein Salon mit weißem Getäfel, in dessen Hintergrunde, vor einem Piano sitzend, über das ihre Finger nachlässig streiften, sich eine zugleich begeisterte und tiefsinnige Frau aufhielt, eine Muse und eine Heilige. Ich erkannte diese Frau, und ich flüsterte, wie als ob sie mich hätte hören können:

– Ich grüße Sie, Marie, voller Huld, mein Geist ist bei Ihnen.

Dann, indem ich nicht mehr versuchte, diesem Engel mit weißen Fittichen zu widerstehen, der mich in die Tage meiner Jugend zurückführte, und der mir gleich einer reizenden Erscheinung diese züchtige Gestalt einer Jungfrau, einer jungen Gattin und Mutter zeigte, ließ ich mich von dem Strome dieses Flusses forttragen, den man das Gedächtniß nennt, und der in die Vergangenheit hinaufgeht, statt nach der Zukunft hinabzugehen.

Nun wurde ich von diesem so selbstsüchtigen, und demzufolge dem Menschen so natürlichen Gefühle ergriffen, das ihn antreibt seinen Gedanken nicht für sich allein zu behalten, den Umfang seiner Empfindungen durch die Mitteilung zu verdoppeln, und in eine andere Seele den süßen oder bittern Trank auszugießen, der seine Seele erfüllt.

Ich ergriff die Feder und schrieb:

»Am Bord des Veloce, im Angesichte Carthagos und Tunis, den 4. December 1846.«
»Madame!«

Indem Sie einen von Carthago und von Tunis datirten Brief öffnen, werden Sie Sich fragen, wer Ihnen von einem solchen Orte aus schreiben kann, und hoffen ein Autograph von Regulus oder von Ludwig den IX. Zu erhalten. Leider! Madame, ist der, welcher von so fern her seine bescheidene Erinnerung zu Ihren Füßen legt, weder ein Held, noch ein Heiliger, und wenn er jemals einige Aehnlichkeit mit dem Bischofe von Hippone hat, dessen Grab er vor drei Tagen besuchte, so kann diese Aehnlichkeit nur auf den ersten Theil von dem Leben des großen Mannes anwendbar sein. Wahr ist es, daß er, wie er, diesen ersten Theil des Lebens durch den zweiten wieder gut machen kann. Aber es ist bereits sehr spät, um Buße zu thun, und aller Wahrscheinlichkeit nach wird er sterben, wie er gelebt hat, indem er es nicht einmal wagt seine Beichte zurückzulassen, welche im Nothfalle sich erzählen ließe, die aber nicht gut gelesen werden kann.

Sie haben bereits nach der Unterschrift gesehen, nicht wahr, Madame, und Sie wissen, mit wem Sie zu thun haben; so daß Sie Sich jetzt fragen, wie der Verfasser der Mousquetaire und des Monte-Christo zwischen diesem prachtvollen See, welcher das Grab eines Stadt ist, und dem armseligen Monumente, welches das Grabmal eines Königs ist, daran gedacht hat Ihnen zu schreiben, gerade an Sie, wo er zuweilen ein ganzes Jahr lang in Paris, in der Nähe Ihrer Thüre wohnt, ohne Sie zu besuchen.

Zuvörderst ist Paris Paris, Madame, das heißt eine Art von Strudel, in welchem man das Gedächtniß aller Dinge wie in Mitte des Geräusches verliert, das die Menschen machen, indem sie sich bewegen, und die Erde, indem sie sich dreht. In Paris mache ich es wie die Menschen und wie die Erde; ich bewege mich und ich drehe mich^ ohne zu rechnen, daß, wenn ich mich weder drehe noch bewege, ich schreibe. Aber dann, Madame, ist es etwas Anderes, und wenn ich schreibe, so bin ich bereits nicht mehr so sehr getrennt von Ihnen, als Sie es meinen, denn Sie sind eine jener seltenen Personen, für welche ich schreibe, und es ist sehr ungewöhnlich, daß, wenn ich ein Kapitel beendige, oder ein Buch, das gelungen ist, mir nicht sage: – Marie Nodier, dieser seltene und liebenswürdige Geist, wird das lesen, – und ich bin stolz, Madame, denn ich hoffe, daß ich, nachdem Sie das gelesen haben, was ich geschrieben, vielleicht noch um einige Linien in Ihrer Ansicht wachsen würde.

Um auf meinen Brief zurückzukommen, Madame, ist soviel gewiß, daß ich heute Nacht von Ihnen geträumt habe, indem ich die hohle See vergaß, welche ein riesenhaftes Dampfschiff schaukelte, das die Regierung mir borgt, und auf welchem ich einem Ihrer Freunde und einem Ihrer Bewunderer Gastfreundschaft gewähre, Boulanger und meinem Sohne, ohne Giraud, Maquet, Chancel und Desbarolles zu rechnen, welche sich unter die Zahl Ihrer Bekanntschaften stellen, so viel ist gewiß, sagte ich, daß ich eingeschlafen bin ohne an Etwas zu denken, und da ich fast in dem Lande von Tausend und Einer Nacht bin, hat ein Genius mich besucht und mich in einen Traum eintreten lassen, von dem Sie die Königin gewesen sind.

Der Ort, an den er mich geführt oder vielmehr zurückgeführt hat, Madame, war weit schöner als ein Palast, weit schöner als ein Königreich; es war dieses liebe und vortreffliche Haus des Arsenals zu den Zeiten, seiner Freuden und seines Glückes, als unser inniggeliebter Karl mit alle der Offenherzigkeit der alterthümlichen Gastfreundschaft, und unsere hochgeachtete Marie mit alle der Anmuth der modernen Gastfreundschaft die Honneurs desselben machten.

Ach! Sein Sie überzeugt, Madame, daß ich bei dem Schreiben dieser Zeilen einen sehr tiefen Seufzer entschlüpfen lasse. Diese Zeit ist für mich eine sehr glückliche Zeit gewesen. Ihr liebenswürdiger Witz machte Jedermann geistreich und, ich wage es zu sagen, mich zuweilen mehr als jeden Andern. Sie sehen, daß es ein selbstsüchtiges Gefühl ist, das mich Ihnen nähert. Ich entlieh Ihrer liebenswürdigen Heiterkeit etwas, wie der Kiesel des Dichters Saadi der Rose einen Theil des Wohlgeruches entlieh.

Erinnern Sie Sich des Bogenschützenkostüms Pauls? Erinnern Sie Sich der gelben Schuhe Franzisque Michels? Erinnern Sie Sich meines Sohnes als Auslader? Erinnern Sie Sich dieser Vertiefung, in welcher das Piano stand, und wo Sie Lazzara, diese wundervolle Melodie, sangen, die Sie mir versprochen haben, und die Sie mir, ohne Vorwurf gesagt, niemals gegeben haben?

O! Da ich Ihre Erinnerungen auffordere, so lassen Sie uns noch weiter gehen; erinnern Sie Sich Fontanes und Alfred Johannots, dieser beiden verschleierten Gesichter, welche mitten unter unserem Gelächter immer traurig blieben, denn es liegt in dem Menschen, welche jung sterben sollen, eine dunkle Ahnung des Grabes? Erinnern Sie Sich Taylors, wie er in einem Winkel regungslos, stumm und darüber sinnend saß, auf welcher neuen Reise er Frankreich mit einem Spanischen Gemälde, einem Griechischen Basrelief oder einem Aegyptischen Obelisk bereichern könnte? Erinnern Sie Sich de Vignys, welcher zu jener Zeit vielleicht seine Verklärung ahnete und noch würdigte, sich unter das Getümmel der Menschen zu mischen? Erinnern Sie Sich Lamartines, wie er vor dem Kamine stand, und die Harmonie seiner schönen Verse bis zu unseren Füßen rollen ließ? Erinnern Sie Sich Hugos, der ihn allein unter uns mit dem Lächeln der Gleichheit auf den Lippen anblickte und zuhörte, wie Eteocles, Polynices anblicken und zuhören mußte, während Madame Hugo wie ermüdet über den Antheil des Ruhmes, den sie trug, halb liegend auf dem Kanapee saß, indem sie mit ihren schönen Haaren spielte.

Dann, mitten unter Alle dem Ihre Mutter, so einfach, so gütig, so sanft; Ihre Tante, Frau von Tercy, so geistreich und so wohlwollend, Dauzats, so phantastisch, so gesprächig, so launig; Barye, so abgesondert in Mitte des Geräusches, daß sein Gedanke immer von seinem Körper zur Aufsuchung eines der sieben Wunder der Welt ausgesandt schien; Boulanger, heute so schwermüthig, morgen so lustig, immer ein so großer Maler, immer ein so großer Dichter, immer ein so guter Freund in seiner Lustigkeit wie in seiner Traurigkeit; dann endlich dieses kleine Mädchen, das zwischen die Dichter, die Maler, die Musiker, die großen Männer, die Leute von Geist und die Gelehrten schlüpfte. Dieses kleine Mädchen, das ich in meine hohle Hand stellte, und das ich Ihnen wie eine kleine Statue von Barre oder von Pradier anbot? O! Mein Gott! Mein Gott! Was ist aus alledem geworden, Madame?

Der Herr hat mit seinem Hauche den Schlußstein des Gewölbes getroffen, und das prachtvolle Gebäude ist eingestürzt, und die, welche es bevölkerten, sind entflohen, und Alles ist öde an dieser selben Stelle, wo Alles lebendig, heiter und blühend war.

Fontenay und Alfred Johannot sind gestorben, Taylor hat auf die Reisen verzichtet, de Vigny hat sich unsichtbar gemacht, Lamartine ist Deputirter, Hugo Pair von Frankreich, und Boulanger, mein Sohn und ich sind in Carthago, von wo aus ich Sie sehe, Madame, indem ich diesen tiefen Seufzer ausstieß, von dem ich Ihnen so eben sprach, und der trotz des Windes, der den erlöschenden Rauch unseres Schiffes wie eine Wolke fortträgt, niemals diese theuren Erinnerungen einholen wird, welche die Zeit mit dunkeln Flügeln schweigend in den grauen Nebel der Vergangenheit fortführt.

O Frühling, Jugend des Jahres! O Jugend, Frühling des Lebens!

Nun denn, da ist die Welt verschwunden, welche mir heute Nacht ein Traum eben so glänzend, eben so sichtbar, aber leider zu gleicher Zeit auch ebenso unfühlbar als diese Atome wiedergegeben hat, welche in einem Sonnenstrahle tanzen, der durch die Spalten eines Ladens in ein dunkles Zimmer fällt.

Und jetzt, Madame, verwundern Sie Sich nicht mehr über diesen Brief, nicht wahr? Die Gegenwart würde ohne Unterlaß scheitern, wenn sie nicht das Gewicht der Hoffnung und das Gegengewicht der Erinnerungen im Gleichgewicht erhielte, und unglücklicher oder vielleicht glücklicher Weise gehöre ich zu denen, bei welchen die Erinnerungen den Sieg über die Hoffnungen davontragen.

 

Sprechen wir jetzt von etwas Anderem, denn es ist erlaubt, traurig zu sein, aber unter der Bedingung, daß man nicht die Anderen mit seiner Traurigkeit betrübt. Was macht Freund Bonifaz? – Ah! Ich habe vor acht oder zehn Tagen eine Stadt besucht, die ihm gar viele Arbeiten veranlassen würde, wenn er ihren Namen in dem Buche dieses garstigen Wucherers fände, den man Sallust nennt. Diese Stadt ist Constantine, das alte Cyrta, ein auf der Höhe eines Felsens ohne Zweifel von einem phantastischen Thiergeschlechte erbautes Wunder, welches Flügel und Menschenhände hatte, wie Herodot und Levaillant, diese beiden großen Reisenden, deren gesehen haben.

Dann sind wir ein wenig nach Utica und viel nach Byzerte gegangen. Giraud hatte in dieser letzten Stadt das Porträt eines Türkischen Notars, und Boulanger das seines ersten Schreibers gezeichnet. Ich sende sie Ihnen. Madame, damit sie dieselben mit den Notaren und ihren ersten Schreibern von Paris vergleichen können. Ich zweifle, daß der Vortheil auf Seiten dieser letztern bleibt.

Ich bin dort auf der Jagd nach Flamingos und von Schwänen in das Wasser gefallen, ein Unfall, welcher in der, in diesem Augenblicke wahrscheinlicher Weise gefrorenen Seine unangenehme Folgen hätte haben können, der aber in dem See Catos keine andere Unannehmlichkeit gehabt hat, als mich ganz angekleidet ein Bad nehmen zu lassen, und das zum großen Erstaunen Alexaders, Girauds und des Gouverneurs der Stadt, die von der Höhe einer Terrasse unserer Barke mit den Augen folgten, und die ein Ereigniß nicht begreifen konnten, das sie einer Handlung meiner Laune zuschrieben, und das nur aus dem Verlust meines Gleichgewichts entstand.

Ich habe mich wie die Seeraben herausgezogen, von denen ich Ihnen so eben sprach, Madame; wie sie bin ich verschwunden, wie sie bin ich wieder auf das Wasser gekommen, nur hatte ich nicht wie sie einen Fisch in dem Schnabel.

Fünf Minuten nachher dachte ich nicht mehr daran, und ich war trocken wie Herr Valétry, so viele Gefälligkeit hat die Sonne darauf verwandt, mich zu liebkosen.

O! Ich möchte überall hin, wo Sie sind, Madame, einen Strahl dieser schönen Sonne leiten, wäre es auch nur, um vor Ihrem Fenster einen Strauß Vergißmeinnicht aufblühen zu lassen.

Leben Sie wohl, Madame, verzeihen Sie mir diesen langen Brief, ich bin daran nicht gewöhnt, und wie das Kind, das sich verwahrte, die Welt geschaffen zu haben, verspreche ich Ihnen, daß ich es nicht mehr thun werde; warum hat aber auch der Pförtner des Himmels diese Elfenbeinpforte offen gelassen, aus welcher die goldigen Träume herauskommen?

Genehmigen Sie, Madame, die Versicherung meiner ehrerbietigsten Gesinnungen.

Alexander Dumas.«

Ich drücke Julius recht herzlich die Hand.

Warum jetzt dieser ganz vertrauliche Brief? Weil, um meinen Lesern die Geschichte der Frau mit dem Sammet-Halsbande zu erzählen, ich ihnen die Thüren des Arsenals öffnen mußte; das heißt der Wohnung Karl Nodiers.

Und jetzt, wo diese Thüre mir durch die Hand seiner Tochter geöffnet ist, und wo wir dem zu Folge sicher sind, willkommen zu sein: »Folge mir, wer mich lieb hat.«