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Tausend und Ein Gespenst

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IV.
James Rousseau

Ich war achtzehn Jahre alt, war ohne Aussicht, ohne Ausbildung, ohne Vermögen. Ich war zweiter Schreiber eines Notars in der Provinz, und ich verabscheute das Notariat. Ich schickte mich an, mich um die Stelle eines Steuereinnehmers in irgend einem Dorfe zu bewerben, in welchem mein Leben in der Niedrigkeit und unbekannt verfließen würde, als ich bei der Kirchweih eines kleinen Fleckens, eine Stunde weit von Villers-Cotterets, Namens Corcy, drei Personen erblickte, die von dem entgegengesetzten Ende des Fußpfades kamen, den ich ging, und denen ich nach Verlauf von dreißig bis vierzig Schritten notwendiger Weise begegnen mußte.

Diese drei Personen waren, ein junger Mann meines Alters, eine junge Frau von fünf und zwanzig bis sechs und zwanzig Jahren, und ein junges Mädchen von fünf Jahren;

Der junge Mann war meinen Erinnerungen gänzlich fremd; die beiden andern Personen, das beißt, die junge Frau und das kleine Mädchen, mischten sich unter die ersten Ereignisse meines Lebens.

Die junge Frau war die Baronin Capelle.

Das junge Mädchen war Maris Capelle, später Madame Lafarge.

Mein Gott! wer hätte damals gesagt, wenn er diese schöne junge Frau und dieses fröhliche Kind herankommen sah, von denen die eine der Andern kaum in dem Leben voranging, die eine liebenswürdig, die Andere indem sie es zu werden versprach, wer hätte damals gesagt, daß es in der Zukunft einen vorzeitigen Tod für die Mutter, und für die Tochter ein Unglück gäbe, das weit schlimmer als der Tod sei?

Ein warmer Strahl der Junisonne drang durch die hohen Bäume, und ließ auf den heiteren Stirnen und auf den weißen Kleidern der Mutter und des Kindes den Schatten des durchliefen frischen Wind leicht bewegten Laubes zittern, der bei dem Herannahen des Abends durch die Wälder zieht.

Ich habe gesagt, daß ich diese junge Frau kannte. Ich kannte sie in der That durch alle die guten Gefühle meines Herzens, durch die Freundschaft und durch die Dankbarkeit.

Ich war mit drei Jahren Waise, ihr Vater war mein Vormund geworden; außer meiner Mutter und meiner Schwester, welche mir übrig blieben, fand ich auf dem Schlosse Villers-Hellon eine zweite Mutter und drei andere Schwestern wieder. Ich wende mich nach der Vergangenheit zurück, und grüße Euch mit der Hand und mit dem Herzen, Hermine und Louise; ich habe Euch seit zwanzig Jahren nicht wieder gesehen, meine Schwestern, man sagt mir, daß Ihr immer noch jung, immer noch schön seid, und ich sage Euch von dem Grunde meines seinen Erinnerungen so getreuen Herzens, daß Ihr immer noch geliebt seid.

O! gar oft denke ich an Euch; wenn meine Augen, von der glühenden Sonne ermüdet, welche das Leben des Dichters verzehrt, die Strahlen meines Mittags durchdringen und sich auf dem bläulichen Horizonte meiner jungen Jahre ausruhen, dann sehe ich Euch wieder so, wie Ihr waret, duftige Blumen meiner frühesten Kindheit, wie Lilien an das Ufer des Wassers geneigt, wie Rosen unter die Gebüsche gemischt, wie Veilchen in dem hohen Grase verloren; ach! Ihr denkt nicht an mich; der Wind hat mich in eine andere Welt fortgetragen, als die Eurige; Ihr schleicht nicht mehr, und weil Ihr mich vergeßt, so glaubt Ihr, daß ich Euch vergesse.

Das waren also die junge Frau und das junge Mädchen, welche an einem schönen Junitaqe gegen vier Uhr Nachmittags mir entgegen kamen, das heißt, einem armen Kinde, dessen Zukunft in den Augen Aller bei weitem niedriger war, als die ihrige.

Sagen wir jetzt, wer der junge Mann war, auf dessen Arm Madame Capelle sich stützte, und der wie ein deutscher Student gekleidet war.

Er war der Sohn eines Mannes, dessen Name verhängnißvoller und glänzender Weise in der Geschichte bleiben wird, eines Mannes, welcher der Freund von Ankarströms und von Horns war, er war der Sohn des Grafen von Ribing; es war der, den Alle unter dem Namen Adolph von Löwen kennen, ein Name, mit dem er späterhin einige der schönsten und der einträglichsten Erfolge der komischen Oper und des Vaudeville unterzeichnen sollte.

Ich erreichte diese drei Personen, welche zusammen sechs und vierzig Jahre zählten, gerade das Alter, das eine dieser Personen heut zu Tage hat.

Madame Capelle stellte mich ihrem Begleiter vor; wir waren beide junge Leute von demselben Alter, wir begannen an diesem Tage' eine Freundschaft, welche seit dem kein trauriger oder glücklicher Tag gestört hat, und wenn wir uns jetzt begegnen, so grüßen wir uns noch mit demselben vergnügten Lächeln, mit demselben sympathetischen Herzklopfen, mit denen wir uns vor fünf und zwanzig Jahren begrüßten.

Das kömmt daher, ich bin genöthigt, es selbst in dieser Zeit der Gleichheit zu sagen, weil Adolph von Löwen nicht allein ein Schriftsteller, sondern vor Allem ein Schriftsteller von Adel ist.

Er war mit seiner Familie verbannt, er mußte in einem Umkreise von zwanzig Meilen von Paris entfernt bleiben; von der älteren Linie der Bourbons geächtet, war Paris seiner Familie untersagt.

Aber, so jung er auch sein mogte, hatte er den Boden der Hauptstadt mit dem Fuße berührt, er hatte seine Lippen in diesen berauschenden Becher getaucht, aus welchem man zuerst die Hoffnung, dann den Ruhm, dann die Bitterkeit trinkt; er hatte bis jetzt nur die Hoffnung davon gekostet.

Er hatte versucht, für das Theater Gymnase zu arbeiten, auf welchem er Perlet, den vortrefflichen Schauspieler, kannte, den alle Leute von fünf und dreißig bis vierzig Jahren gekannt haben; dann ein schönes junges Mädchen, mit einem Namen, der sich wie eine Rose entfaltete, Fleuriet, welche, wie man sagt, vergiftet starb.

Alle diese Namen waren mir, dem armen Provinzbewohner, sehr unbekannt, der ich meine Vaterstadt nur verlassen hatte, um im Jahre 1807 einen Ausflug nach Paris zu machen, und alle Erinnerungen von demselben beschränkten sich darauf, wie durch eine Wolke eine Vorstellung von Paul und Virginie, von Michu und von Frau von Saint Aubin gespielt wieder zu sehen.

Und dennoch waren unter alle diesem, jene großen Buchen des Waldes von Villers-Cotterets, welche Franz I. und Frau von Erampes gepflanzt hatten, unter die sich Heinrich IV. und Gabriele gesetzt, diese großen Buchen mit ihrem dunkeln Laube, ihrem dichten Schatten, ihrem langen Gemurmel nicht stumm für mich geblieben.

Die Dichter jener Zeit waren Demoustier, Parny und Legouvé.

Alle drei waren unter dem frischen und beweglichen Gewölbe dieses großen, heut zu Tage wie alle erhabenen Dinge niedergehauenen Parkes vorübergekommen., und wenn ich als Kind unter diesem Gewölbe herumeilte, indem ich Schmetterlinge verfolgte oder Blumen pflückte, so war es mir mehr als ein Mal begegnet, stehen zu bleiben, um die Verse zu lesen, welche sie mit ihren Händen auf die silberfarbige Borke geschrieben hatten, und welche die allgemeine Verehrung vor jeder Verstümmelung schützte.

Die ersten Verse, welche ich las, habe ich daher nicht in Büchern gelesen; ich las sie auf Bäumen, auf denen sie gewachsen zu sein schienen, wie die Blüthen und die Früchte wachsen.

Und mehr als ein Mal hatte ich, wie die Schwingungen einer durch den Hauch des Windes oder wie eine durch die beseelten Harfenfinger des Musikers belebte einsame, stumme, in irgend einem Winkel verlorene oder an irgend einer Wand aufgehängte Laute erzittert, mehr als ein Mal hatte ich in Mitte der Schöpfung meine ersten unerfahrenen und mißtönenden Dichterschreie ausgestoßen.

Wenn daher unter einem dieser allen Baume sitzend, von deren hundertjährigem Schatten übergossen, der uns beide beschattete, wie deren Väter an den beiden Enden der Welt geboren waren, und die der Zufall vereinigte, damit der eine auf die Bestimmung des Andern Einfluß ausüben sollte; wenn statt der bescheidenen und ruhigen Zukunft eines Angestellten der Provinz, von Löwen einen Zipfel des Schleiers erhob, der mir das Leben von Paris verbarg, wenn, mit jenem Vertrauen der Jugend, ein goldenes Gewand, das jeder Tag des reifen Alters unscheinbarer macht, und ihm seinen Glanz entzieht, er mieden Kampf, das Aufsehen, den Ruf, diese Beifall klatschenden Zuschauer, diese erhabenen Entzückungen des Erfolges zeigte, die so schmerzlich sind, daß ihre Genüsse Martern, und ihr Gelächter dem Stöhnen gleichen, sank mein Kopf in meine Hände und ich murmelte:

– Ja, ja, Sie haben Recht, von Löwen, wir müssen nach Paris gehen, denn es gibt nur Paris.

Erhabenes Vertrauen des Kindes zu Gott. Was fehlte uns in der That, um nach Paris zu gehen?

Ihm die Freiheit.

Mir das Geld.

Er war verbannt; ich war arm.

Aber wir waren jeder neunzehn Jahre alt, neunzehn Jahre, das ist Freiheit, das ist Reichthum; das ist mehr als Alles das, es ist die Hoffnung.

Von diesem Augenblicke an lebte ich nicht mehr in der Wirklichkeit, sondern in einem Traume, wie ein Mensch, der in die Sonne geblickt hat, und der mit verschlossenen Augen das verblendende Gestirn noch sieht. Meine Augen hefteten sich auf ein Ziel, von dem sie sich keinen Augenblick lang abzuwenden vermogten, nach welchem sie aber nach jedem Abwenden weit beharrlicher als jemals zurückkehrten.

Nach Verlauf eines Jahres wurde die Verbannung des Grafen von Ribing aufgehoben. Adolph eilte herbei, um mir diese Nachricht zu überbringen, er kehrte mit seinem Vater und seiner Mutter nach Paris zurück.

Ich war nur noch der einzige Verbannte.

Von diesem Augenblicke an hatte meine arme Mutter keine Ruhe mehr. Das Wort Paris war in allen meinen Gesprächen, in allen meinen Liebkosungen, in allen meinen Küssen.

Ich habe anderswo erzählt, wie dieser so glühende Wunsch sich verwirklichte, wie auch ich nach Paris kam, und wie ich von der Diligence in einem kleinen Hotel der Straße des Vieux Augustins mit drei und fünfzig Franken in meinem Beutel eingekehrt bin, und vertrauensvoll und stolz war, wie als ob ich die Wunderlampe Aladins besessen hätte, welche man zur Zeit meiner Ankunft gerade in der Oper spielte.

 

Nach Verlauf von drei Monaten hatte meine Mutter das zu Gelde gemacht, was sie zu Gelde hatte machen können, vielleicht Hundert Louisd'or, und sie war zu mir gekommen.

Ich hatte zwölf Hundert Franken Gehalt.

Die Hundert Louisd'or meiner Mutter, vermehrt durch die zwölf Hundert Franken Gehalt, dauerten zwei Jahre.

Nun begann der Kampf.

Kaum hatte ich die ersten Bekanntschaften mit Leuten von Verstand gemacht, als ich gewahr wurde, daß ich Nichts verstände, weder Griechisch, noch Lateinisch, noch Mathematik, weder fremde Sprachen, noch selbst meine eigene Sprache, nihts in der Vergangenheit, nichts in der Gegenwart, weder die Tobten noch die Lebenden, weder die Geschichte noch die Welt, bei den ersten Stoße fiel daher auch mein Selbstvertrauen; aber Gott gab zu, daß mir der Wille blieb, und daß in dem Schooße dieses Willens die Hoffnung erblühte.

Indessen hatte mich von Löwen, mein Einführer sowohl in der wirklichen, als erdichteten Welt, nicht verlassen. Wir hatten uns an das Werk gemacht. O! für den Augenblick war mein Ehrgeiz nicht groß. Es handelte sich darum, ein Vaudeville für das Theater Gymnase anzufertigen. Nun denn! so gering dieses Werk auch war, so waren wir doch, wenn wir uns nach zwei Stunden einer Arbeit, die uns den Kopf zerbrach, anblickten, gezwungen, uns selbst zu gestehen, daß wir nicht die Kraft hätten, es allein auszuführen.

Eines Tages stellte mir von Löwen den Antrag, uns einen seiner Freunde zuzugesellen, einen liebenswürdigen, mit Desaugiers befreundeten Liederdichter, dessen Ruf von Witz sprichwörtlich war.

Er kannte außerdem alle Direktoren von Paris, las vortrefflich und riß einen Ausschuß fort.

Ich erkannte, wie er, unsere Unzulänglichkeit; ich nahm das Anerbieten an, das er mir machte. Am selben Abend lasen wir unser Vaudeville unserem zukünftigen Mitarbeiter vor, auf dessen Gesichte ich voller Bangigkeit allen den Eindrücken folgte, welche dieses Gesicht verrieth. Es war von Löwen, welcher vorlas. Ich hätte nicht zu lesen vermogt, so sehr war ich bewegt.

– Das ist gut, sagte er, als von Löwen, geendigt hatte, wir müssen uns daran machen. Es läßt sich vielleicht Etwas daraus machen.

In der That, unter der Feder unseres Mitarbeiters, die weit geübter war, als die unsrige, rundeten sich die Sätze, die Verse schärften sich, einige Funken sprühten hier und da aus den Gesprächen, und nach Verlauf von acht Tagen war das Werk vollendet.

Wir, oder vielmehr unser Mitarbeiter, verlangten die Vorlesung in dem Theater Gymnase, und erlangten sie:

Wir wurden einstimmig abgewiesen.

Wir verlangten die Vorlesung in dem Theater Porte Saint Martin.

Wir erhielten sechs schwarze und zwei weiße Kugeln.

Wir lasen in dem Theater Ambigu Comique.

Wir erhielten eine glänzende Aufnahme.

Das war ein sehr großer Strich durch meine Rechnung, nicht für meinen dramatischen Stolz, ich habe niemals gewußt, was Theateraristokratie wäre, sondern für meine Geldberechnungen: je weiter wir kamen, desto mehr waren meine Mutter und ich in Geldverlegenheit. Ich hatte indessen Beförderung in meinem Bureau erlangt, ich hatte fünfzehn Hundert Franken jährlich, statt zwölf Hundert Franken, aber, weniger Neuling in gewissen Dingen, als in andern, hatte ich auch, während wir große Mühe hatten, zu drei ein Vaudeville zu Stande zu bringen, für mich ganz allein ein Kind erzeugt, die Geburt Alexanders glich nun aber die Erhöhung von fünf und zwanzig Franken monatlich wohl aus, welche ich der Freigebigkeit des Herzogs von Orleans verdankte. Der Ruhm, den mir mein Drittel des Vaudeville eintragen sollte, war ohne Zweifel nicht zu verschmähen, aber ich muß gestehen, daß das erste Einkommen als Verfasser dieses Drittels von meiner Tasche mit eben so vieler Ungeduld erwartet war, als das erste Lächeln des Rufes von meiner Stirn.

Nun aber war das Einkommen der Verfasser für ein in dem Theater Ambigu gespieltes Vaudeville zwölf Franken für den Abend, und sechs Franken in Billetten.

Was uns auf den Mann für den Abend, die Billette um den halben Preis verkauft, eine Summe von fünf Franken ausmachte.

Ein vortrefflicher Mann, der für die dramatischen Schriftsteller von Paris mehr gethan hat, als jemals die Herren Sosthenes de la Rochefaucauld, Cavé und Charles Blanc gethan haben, Herr Porcher borgte mir auf dieses zukünftige Einkommen eines Tages, wo kein Geld mehr zum Mittagessen im Hause vorhanden war, fünfzig Franken.

Dieses Darlehen von fünfzig Franken war das erste Geld, welches ich mit meiner Feder verdiente.

Das, was man mir jeden Monat an der Kasse des Herrn Herzogs von Orleans auszahlte, verdiente ich mit meiner Schreibarbeit.

Endlich kam der wichtige Tag herbei, unser Vaudeville wurde mit einem Erfolge der Achtung gespielt.

Einem Erfolge der Achtung im Theater Ambigu von 1826, verstehen Sie, und der mir für meinen Theil Hundert und fünfzig Franken eintrug.

Das Stück hatte den Titel: Die Jagd und die Liebe.

Was unseren Mitarbeiter anbetrifft, so nannte er sich James Rousseau.

Welches seltsame Zusammentreffen! Drei und zwanzig Jahre nachher, gleichfalls am Abende eines Erfolges, erwartete mich mein Sohn Alexander, ein im Jahre l826 kaum schreiendes Kind, in meinem Zimmer, um mir zu sagen:

– Unser armer James Rousseau ist gestorben.

Was war während dieser drei und zwanzig Jahre das Leben für Dich, armer James Rousseau gewesen, der Du so gut, so geistreich, so liebevoll warest?

Ich will es erzählen.

V.
James Rousseau

Findet man nicht, daß es mit den Jahrhunderten wie mit den Menschen ist, und daß sie ihre ausgelassene Jugend, ihr ernstes, reifes Alter, und ihr mürrisches Greisenalter haben? Die ausgelassene Jugend des achtzehnten Jahrhunderts ist in der That der Theil mit seiner Regentschaft, dem Herrn von Orleans, der Frau von Berry, Frau von Prie, dem Herrn Herzog, der Frau von Chàteaurour und Richelieu, das reife, ernste Alter, der Theil, welcher den Ruf des Marschalls von Sachsen, des Herrn von Lowendhal, von Chevert aufblühen sieht, der die Schlachten von Fontenoy und von Raucoux gewinnt; das mürrische Alter, der Theil, welcher mit den Kriegen von Canada, mit dem Vertrage von Paris, mit dem Krebsschaden des Königs beginnt, der das Königthum erreicht und der mit dem Blutbade der Abtei, den Schaffotten des Revolutionsplatzes und den Orgien des Directoriums endigt.

Dem war eben so mit unserem neunzehnten Jahrhunderte. Waterloo hatte es zuerst traurig gemacht, wie ein verwaistes Kind, aber die Restauration, am Ende eine ziemlich gute Mutter, gab ihm bald seine Sorglosigkeit und seine Ausgelassenheit wieder. Von 1816 bis 1826 schreiben sich die letzten Blitze der französischen Heiterkeit, diese letzten Lieder der Keller Kaffés her, diese Lieder von Liederdichtern, welche noch nicht die Anmaßung hatten, Lieder von Dichtern zu sein, diese Armand Gouffé, Désaugiers, Rougemont, Rochefort, Romieu und Rousseau unterzeichneten Lieder.

In dieser Zeit glänzten Potier, Brunet, Tiercelin. Tiercelin spielte die Straßenecke, Brunet, Jocrisse der Herr, und Jocrisse der Bediente, Potier, Ich treibe meine Possen.

Es war in der That die Zeit der Possen, diese Ueberlieferung des Witzes der veralteten Schule, die wir Männer von vierzig Jahren allmählig, Seufzer vor Seufzer, Athemzug vor Athemzug, haben sterben sehen, wie man einen Greis an Erschöpfung und an Auszehrung sterben sieht., ',

Man aß zu jener Zeit noch zu Mittag, es gab Restaurateurs, welche Künstler waren, und die mit den Herren Brillat-Savarin und Grimod de la Reynière ernsthaft über Küche sprachen, wie Herr von Condé mit Vatel sprach. Sie waren Küchenmeister, die Einen bei Cambaceès, die Andern bei Aigrefeuille gewesen, sie nannten sich Borel und Beauvilliers.

Heut zu Tage ißt man noch bei dem Restaurant, aber man ißt bei ihnen nicht mehr zu Mittag.

Damals aß man nicht allein zu Mittag, sondern man aß auch noch zu Nacht, ein anderes Herkommen des vorigen Jahrhunderts, das in dem unsrigen so ziemlich erloschen ist. Wer vermögte zu sagen, was der französische Geist bei der Aufhebung dieses reizenden Mahles verloren hat, das bei dem Scheine der Kerzen zu der Stunde gehalten wurde, wo man träumt, kurz, zu der Stunde, wo alle Arbeiten, alle Sorgen, alle Geschäfte, diese Gespenster des Tages, verschwunden sind?

Romieu, Rousseau und Heinrich Monnier waren in ihren jungen Jahren gewaltige Liebhaber des Nachtessens, und indem sie oft mit weit größerem Appetit, als vollem Beutel hatten, dieses unstäte Leben führten, das zugleich an den Zigeuner und an den Studenten erinnert, war es für sie nicht nöthig, daß das Schild des Restaurants einen berühmten Namen in der Geschichte der Kochkunst führte, um bei ihm ihr Zelt aufzuschlagen. Nein, die erste beste Schenke genügte; man setzte sich vor einer Pastete, vor einem Cotelette, vor einer Schüssel Fische mit polnischer Sauce an den Tisch, man ließ in Ermangelung von Champagnerwein Pouilly bringen, in Ermangelung von Chambertinwein Beaugency. Man sang die Laube der Aufrichtigkeit, – Je mehr Thoren bei einander sind, desto mehr lacht man, – was man glücklich ist, keinen Sous zu haben! dann entfernte man sich um zwei Uhr Morgens durch den Wein, durch das Lachen, durch die Lieder erhitzt, und die Possen begannen.

Diese Possen sind für das Geschlecht, welches uns folgt, nur noch als Sagen bekannt; es gibt die Sage von dem Lämpchen, die Sage von dem Pförtner, von dem man seine Haare verlangt; alles das mit an die Schellen gebundenen Katzen, zerbrochenen Laternen, gespannten Seilen, nächtlichen Episoden untermischt, welche am Ende fast immer den Spaßvogel vor den Polizeicommissär des Quartiers brachten, in welchem ihre Heldenthaten stattgefunden hatten.

Aber die Polizeicommissäre paßten zu der Zeit: sie selbst waren zu ihrer Zeit Spaßvögel gewesen, eine ganz väterliche Strafpredigt war gewöhnlich die einzige Strafe für diese häufigen Übertretungen der Vorschriften der Municipalpolizei; jeder hatte seinen Polizeicommissär, den er vorzog, und zu dem er geführt zu werden verlangte.

Rousseau hatte den von dem Quartier des Odeons angenommen. Sechs Male in derselben Woche, sechs Male von dem Montag bis zum Sonnabend, das heißt, ein Mal jede Nacht, hatte er sich diesem wackeren Manne anempfohlen, der am Ende müde, immer zu derselben Stunde, durch denselben Mann und durch dieselbe Ursache geweckt zu werden, that, als ob er bös würde.

Rousseau hörte mit großer Zerknirschung und tiefe, Beschämung die Strafpredigt an, dann, als der Polizeicommissär geendigt hatte, antwortete er:

– Das ist gerecht, Herr Polizeicommissär, morgen werde ich mich zu einem Andern führen lassen. Sie müssen sich wohl zum Mindesten am Sonntage ausruhen.

Dieses lustige Leben dauerte so lange, als die Restauration dauerte. Das war eine gute Zeit für Jeden, der Witz hatte, und Rousseau hatte davon besonders beim Nachtische so viel, daß Jedermann Rousseau kannte, obgleich er niemals Etwas hatte drucken lassen, ausgenommen die Jagd und die Liebe, denn alle diese allerliebsten Aufsätze, welche in dem Figaro, in der Pandora und in dem Journal Rose erschienen, und die reichlich zu alle diesen Nachtessen, zu alle diesen Mittagessen beitrugen, unterzeichnete Niemand, man machte sie gemeinschaftlich, wie man sie gemeinschaftlich verzehrte.

Die Julirevolution kam herbei, das war eine unter die Schaar der Singvögel geworfene Bombe, die Politik zog diese, die Geschäfte jene an, die Kunst bemächtigte sich einiger.

Romieu wurde zum Unterpräfecten gemacht, Monnier wurde Schauspieler, Rousseau blieb allein und abgesondert.

Von diesem Augenblicke an hörten die Nachtessen auf.

Ein Distichon bestätigt, daß es die Abwesenheit Romieus war, welche das Aufhören der Nachtessen herbeiführte, da seine Rückkehr nach Paris nach einer vierjährigen Verbannung in die Provinz dort diese Gewohnheit wieder aufleben ließ.

Hier ist das Distichon zum Beweise dessen, was wir behaupten:

Loresque Romieu revient du Monomotapa,

Paris ne soupait plus, et Paris ressoupa.

(Als Romieu von Monomotapa zurückkehrte, aß Paris nicht mehr zu Nacht, und Paris aß wieder zu Nacht,)

Romieu kehrte mit dem Rufe eines vortrefflichen Unterpräfecten zurück. – Es fand wohl die Geschichte einer Kindern gegebenen Unterweisung statt, die keine Laterne einwerfen konnten. Es fand wohl das Mährchen von dem Uhrmacher und der Uhr statt. Aber alles das bewies Eines, was bis dahin noch nicht bewiesen worden war, nämlich daß man ein Mann von unendlichem Verstande sein, und trotz dem einen vortrefflichen Unterpräfecten abgeben könnte.

 

Das wurde so klar bewiesen, daß Romieu wieder als Präfect abging.

Was Rousseau anbelangt, so war das Alter gekommen, und ohne Etwas von seinem liebenswürdigen Witze, noch von seinem vortrefflichen Herzen zu nehmen, hatte es seinem Verstande Etwas hinzugefügt. Er war immer noch der Mann des Nachtisches, der Sänger voller Laune, der fröhliche Trinker, aber er war auch der Mann der täglichen Arbeit. Mit dem Nachtessen hatten die Possen aufgehört. Die bei der Julirevolution gewechselten Polizeicommissäre kannten seinen, bei den Polizeicommissären der Restauration berühmten Namen nicht. Er hatte sich zum Redacteur der Gazette des Tribunaux gemacht. Er ist es, der in dieser vortrefflichen Zeitung mit einem Witze, der nur ihm angehörte, alle diese Geschichten von Vagabunden, von Tapis-francs, von Diebstählen erzählte, in denen jeder Handelnde einen Charakter, eine Haltung, fast ein Gesicht annahm.

Im Jahr l839, wie ich glaube, verheirathete sich Rousseau. Wie man sieht, war Rousseau gänzlich vernünftig geworden. Er that mehr, er bezog eine Wohnung in Neuilly.

Von diesem Augenblicke an gab es keine Sorglosigkeit in diesem ehedem so sorglosen Leben, keine Trägheit mehr in diesem so trägen Leben. Rousseau hatte eingesehen, daß er wie ein Philosoph die Entbehrungen ertragen konnte, als er allem lebte, aber daß er nicht das Recht hätte, diese Entbehrungen der Frau aufzuerlegen, welche ihr Leben mit dem seinigen vereinigt hatte, und dennoch hatte das Leben trotz der Arbeit, trotz der monatlichen und festen Bezahlung dieser Arbeit, seine Erfordernisse, und Rousseau befand sich zuweilen weit ärmer als zu der Zeit, wo in Ermangelung des Geldes die Fröhlichkeit blieb. Rousseau sang an diesem Tage nicht mehr: Was man glücklich ist, keinen Sous zu haben! Rousseau nahm an diesen Tagen nicht einmal den Omnibus, er ging zu Fuß nach Paris, kam zu mir und sagte:

– Du stehst immer noch gut mit dem Herzoge von Orleans, nicht wahr?

Ich wußte, was das bedeutete. Ich machte mit dem Kopfe ein bejahendes Zeichen, und gab ihm auf die Kasse meines theuren und vortrefflichen Prinzen eine Anweisung von Hundert, von zwei Hundert oder von drei Hundert Franken, Je nach den Bedürfnissen. Asseline honorirte diese Anweisungen, und Rousseau kam wieder bei mir vorbei, drückte mir die Hand und sagte:

– O! Dich, siehst Du, Dich werde ich bis zu meinem Tode besuchen, um mich begraben zu lassen.

Armer Rousseau, er glaubte nicht, daß er die Wahrheit so richtig gesagt hätte.

Der Prinz kam um das Leben; eine große und gefällige Hilfequelle versiegte Rousseau.

Aber in Ermangelung des Prinzen blieben die Minister.

Wenn die Noth sich zu sehr in der Haushaltung von Neuilly fühlen ließ, so sah ich Rousseau wieder.

– Wie stehst Du mit dem Minister des öffentlichen Unterrichts? fragte er mich.

– Gut, antwortete ich, wenn Herr von Salvandy am Ministerium war, schlecht, wenn es Herr Villemain oder Herr Cousin waren.

Und wenn es Herr von Salvandy war, so gab ich Rousseau einige Zeilen für Herrn von Salvandy, und Herr von Salvandy honorirte sie aus prinzlichem Herkommen.

Und wenn es die Herren Villemain oder Cousin waren, so zog ich meine Schublade auf, und sagte:

– Nimm, mein Freund.

Und Rousseau nahm ohne Zögern aus meiner Schublade, wie ich aus der seinigen genommen hätte, wenn Rousseau eine Schublade gehabt, aus der ich Etwas hätte nehmen können.

Man gehe übrigens nicht so weit, zu glauben, daß sich das oft erneuerte, kaum ein Mal alle zwei Jahre; höchstens ein Mal jährlich.

Die Februarrevolution kam herbei, der Gehalt Rousseaus wurde von drei Hundert Franken auf Hundert Franken heruntergesetzt. Ach! und keinen Prinzen und fast keine Minister mehr.

Dann zeigte sich mit dem eine grausame Krankheit, Etwas wie eine Brustkrankheit, von der sich die Aerzte keine Rechenschaft ablegten, Beklemmungen, welche den Athem unterbrachen, welche die Stimme entstellten.

Damals konnte man sehen, was dieses so gute Herz, diese so liebevolle Seele an Aufopferung und an Muth enthielt! dermaßen leidend, daß er genöthigt war, alle fünfzig Schritte stehen zu bleiben, um wieder Athem zu schöpfen, ging Rousseau jeden Morgen aus, um nach seinem Bureau der Gazette des Tribunaux zu gehen, indem er zuweilen that, als ob er zehn Sous in seiner Tasche hätte, den Omnibus zu nehmen, um seine Frau nicht zu beunruhigen, und da er diese zehn Sous nicht hatte, so machte er den Weg hin und zurück zu Fuß.

Das dauerte länger als ein Jahr. Ich sah ihn länger als ein Jahr nicht wieder.

Armer Freund, er wußte wohl, welchen Widerwillen ich haben würde, von denen Etwas zu verlangen, welche am Ruder sind, und aus Furcht, daß ich Nichts hätte, wollte er von mir Nichts verlangen.

Endlich kam er vor vierzehn Tagen; es war keine Möglichkeit mehr, länger zu warten.

– Kennst Du dm Minister der. . .? fragte er mich.

Ich kannte ihn nicht, aber wenn James auf diese Weise zu mir kam, so mußte das Bedürfniß so dringend sein, daß ich nicht zögerte.

– Ich kenne ihn nicht, sagte ich zu ihm. Aber er muß mich kennen, und ich will ihm schreiben.

Und ich schrieb an den Minister der. . . um ihn um eine Unterstützung für James Rousseau zu bitten, den Gelehrten, den dramatischen Schriftsteller und Zeitungsschreiber.

Rousseau aß mit mir zu Mittag, drückte mir die Hand und überbrachte den Brief.

Am Donnerstag Morgen empfing ich ein Billet von dem Minister der. . . Er verlangte Auskünfte von mir über Herrn James Rousseau.

Am Donnerstag Abend erwartete mich, wie ich gesagt habe, mein Sohn bei meinem Nachhausekommen, um mir die traurige Neuigkeit zu melden.

Ich ergriff die Feder und schrieb an den Minister der. . .

»Herr Minister,

Die einzige Auskunft, welche ich Ihnen über Herrn James Rousseau zu geben vermag, ist, daß er heute Morgen gestorben, und ohne Unterstützung gestorben ist.

Sehen wir jetzt, wie Rousseau gestorben ist:

Er war zu Fuß nach Paris gekommen, indem er sich nach der Straße Harlay begab, wo sich das Bureau der Gazette des Tribunaux befindet. Um ein Viertel auf eilf angekommen, war er in das Redaktionszimmer getreten, und las daselbst die Zeitungen, als er plötzlich einen Seufzer ausstieß, aufstand, die Arme ausstreckte, den Mund öffnete, Blut brach und stammelte:

– Ein Schlagfluß! Ich bin nicht unglücklich.

Dann fügte er hinzu:

– Meine arme Frau!. . .

Und er fiel mit dem Gesichte auf den Boden.

Er war todt.

Er hatte fünf Sous in seiner Westentasche, und das war Alles, was er besaß.

– Sie haben Recht, Herr L. . . . .; die Schriftsteller sterben nicht vor Hunger, sie haben sogar Ueberfluß, da man bei ihrem Tode noch fünf Sous in ihrer Westentasche findet.

Am Morgen um zwei Uhr war Alexander in Neuilly; er überbrachte der Wittwe unseres armen Freundes den ersten Trost, daß sie sich um Nichts zu bekümmern hätte, und daß alle die traurigen Umstände, welche dem Tode einer geliebten Person folgen, uns, seine Freunde anginge.

Aber so sehr Alexander sich auch beeilt hatte, so waren ihm doch bereits andere Freunde zuvorgekommen; es waren die Redakteure der Gazette des Tribunaux, welche die fromme Ehre in Anspruch nahmen, die Leiche ihres Collegen in eine Wohnung niederzulegen, welche ihm für die Ewigkeit angehört.

– Nein, Herr L. . . . ., die Gelehrten sterben nicht vor Hunger; aber man trägt sie auf der Bahre der Armen in ihre Wohnung zurück, weil man sie mit fünf Sous nicht in einem Fiaker nach Haus fahren kann. – Nein, die Gelehrten sterben nicht vor Hunger; aber wenn Sie zu dem Begräbnisse der Gelehrten gingen, so würden Sie die Gerichtsboten die Fortschaffung der Leiche abwarten sehen, um die Pfändung anzustellen, und sie könnten Ihnen das sagen, was ich ihnen sage:

»Warum pfänden Sie die Leiche nicht, meine Herren, man würde Ihnen dafür Sieben Franken auf der Anatomie geben?«

O arme, schlecht eingerichtete Gesellschaft, in welcher der Lebende kein Stück Brod, der Tobte kein Grab findet, und in welcher man abwartet, daß die Leiche des Gatten fortgetragen ist, um das Haus der Wittwe zu plündern! Sei unbesorgt, arme Frau, weine und bete in Frieden, arme Wittwe; wenn Du in diese traurige Wohnung zurückkehrest, aus der man Dich ohnmächtig fortgetragen hat, so wirst Du darin, ich sage es Dir, jedes Möbel an der Stelle wiederfinden, wo Du es gelassen hast.