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Salvator

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XLV
Herzenskummer gemischt mit Geld

Was war dieser Entschluß, den Petrus gefaßt hatte?

Wir werden ihn vielleicht in einem von den beiden Briefen finden, die er geschrieben hatte.

Fangen wir mit dem an, der nach dem Boulevards des Italiens adressiert war:

»Meine geliebte Regina!

»Entschuldigen Sie mich, wenn ich Paris aus einige Tage verlasse, ohne Sie gesehen, ohne Ihnen brieflich oder mündlich etwas von dieser Abreise gesagt zu haben: ein unerwartetes Ereigniß, welches übrigens nichts Beunruhigendes hat, das versichere ich Ihnen, nöthigt mich, meinen Vater nach St. Malo zu begleiten.

»Lassen Sie mich Ihnen sagen, um Sie völlig zu beruhigen, daß das, was ich stolzer Weise als ein Ereigniß bezeichnet habe, einfach eine Interessensache ist.

»Nur betrifft diese Interessensache, – erlauben, Sie mir diese Blasphemie und vergeben Sie, daß ich sie gesagt habe! – diese Sache betrifft die Person, die ich am meisten nach Ihnen liebe: – meinen Vater.

»Ich spreche dies ganz leise aus, Regina, aus Furcht, Gott könnte mich hören und mich dafür bestrafen, daß ich Sie mehr liebe, als denjenigen, welcher meine erste Liebe sein müßte.

»Ist es für Sie eben so sehr Bedürfniß, mir zu sagen, daß Sie mich lieben, als es für mich Bedürfniß ist, es sagen zu hören, und wollen Sie mich Ihre Abwesenheit nicht vergessen, sondern ertragen machen durch einen von jenen Briefen, in denen Sie mir so gut einen Theil Ihrer Seele zuzuschicken wissen, so schreiben Sie mir poste restante nach St. Malo, doch nicht später als heute oder morgen. Ich gedenke nur die für die Reise und für die Angelegenheit, die mich dahin ruft, durchaus nothwendige Zeit abwesend zu bleiben, das heißt im Ganzen sechs Tage.

»Machen Sie, daß ich bei meiner Rückkehr einen Brief von Ihnen finde, der mich erwartet. Oh! ich schwöre Ihnen, ich werde das sehr nöthig haben.

»Auf Wiedersehen, meine geliebte Regina! mein’ Körper allein verläßt Sie; doch mein Herz, meine Seele, mein Geist, kurz Alles, was in mir liebt, bleibt bei Ihnen.

Petrus.«

Nun, was er Salvator sagte:

»Mein Freund!

»Mit demselben blinden Gehorsam, den Sie für eine letzte Ermahnung Ihres sterbenden Vaters hätten, thun Sie, ich bitte, was ich Ihnen sagen werde.

»Bei Empfang meines Briefes nehmen Sie einen Schätzungs-Commissär und gehen Sie zu mir. Lassen Sie das Inventar meiner Pferde, meines Wagens, meiner Gemälde, meiner Meubles, meiner Waffen, meiner Teppiche, kurz, Alles dessen, was ich besitze, machen; behalten Sie nur für mich, was für die Lebensbedürfnisse streng nothwendig ist.

»Ist das Inventar gefertigt, so lassen Sie jede Sache schätzen.

»Dann lassen Sie Anschlagzettel machen, und kündigen Sie in den Journalen, – das gehört, glaube ich, zur Competenz von Jean Robert, – kündigen Sie den Verkauf eines Künstlermobiliars an.

»Setzen Sie hierfür Sonntag den 16. l. M. fest, damit die Liebhaber Zeit haben, die Gegenstände aus dem Platze zu besichtigen.

»Trachten Sie danach, daß der Commissär, an den Sie sich wenden, gewohnt ist, Kunstgegenstände zu schätzen und zu verkaufen.

»Ich brauche für mein Mobiliar fünfunddreißig bis vierzig taufend Franken.

»Ganz der Ihrige, lieber Salvator.

»Ex intimo corde

»Petrus.«

»NS. Bezahlen Sie meinen Bedienten und entlassen Sie ihn.«

Petrus kannte Salvator; er wußte, bei seiner Rückkehr werde Alles gethan sein, wie er es wünschte.

In der That, als er am sechsten Tage nach seiner Abreise zurück kam, fand er den Anschlagzettel an der Thüre, und eine Procession von Neugierigen, die seine Treppe auf und abstiegen.

Dieser Anblick schnürte ihm das Herz zusammen.

Er hatte nicht den Muth, in sein Atelier zurückzukehren. Ein kleiner Corridor führte unmittelbar vom Ruheplatze nach seinem Zimmer; er trat in sein Zimmer, schloß sich darin ein, setzte sich mit einem tiefen Seufzer, und ließ seinen Kopf in seine Hände fallen.

Petrus war mit sich selbst zufrieden und stolz auf den Entschluß, den er gefaßt hatte; doch diesen Entschluß hatte er nicht ohne Kampf und Erschütterungen gefaßt.

Man erräth, was er dort hatte thun wollen und was seine Absichten bei seiner Rückkehr waren.

Er war dorthin gegangen, um es zu verhindern, daß der Pachthof dieses guten, trefflichen Vaters, – die letzten Trümmer vom Vermögen des Capitäns, – aus seinen Händen käme; er hatte ein Obdach für die letzten Tage desjenigen gesichert, welchem er das Leben verdankte. Das war leicht zu thun, und es geschah, ohne daß es der Notar nur vermuthete: der Notar zerriß die Scheinurkunde, und Petrus nahm Abschied von seinem Vater, der zum Sterbebette seines Freundes gerufen wurde.

Dann kam er nach Paris, um den zweiten Theil, sagen wir es, den schwierigeren und besonders den schmerzlichem seines Entschlusses zu erfüllen: Petrus hatte sich, wie wir gesehen, entschlossen, Pferde, Wagen, Meubles, Gemälde, japanesische Potichen, flämische Truhen, Waffen und Teppiche zu verkaufen, um seine Schulden zu bezahlen; sodann, nachdem diese Schulden bezahlt wären, sich wieder an die Arbeit zu begeben, wie ein Schüler in der Loge um den großen Preis von Rom.

Auf seine tollen Ausgäben verzichtend, und besonders zur Arbeit die Zeit verwendend, die er verlor, nicht einmal um Regina zu sehen, sondern um es zu versuchen, sie zu sehen, war Petrus allerdings sicher, sein Leben zu einer bessern Lage, sowohl was die Kunst, als was das Geld betrifft, zurückzuführen. Dann könnte er seinen Vater unterstützen, und sein Vater wäre nicht mehr genöthigt, sich seines letzten Fetzens zu berauben, um den wahnsinnigen Luxus seines Sohnes zu unterhalten.

Allerdings war Alles dies Logik, es war Rechtschaffenheit, es war Vernunft; doch es ist nichts so hart und so schwer zu befolgen, als die Logik, die Rechtschaffenheit, die Vernunft. Darum befolgt man sie meistens nicht. In der That, diesen reizenden Luxus der Augen verkaufen, aus dem er sich eine so süße Gewohnheit gemacht hatte, um sich wieder zwischen vier kahlen Wänden zu finden, war das Etwas, was sich mit Herzensheiterkeit thun läßt? Nein, es war eine schmerzliche Lage und man konnte nur durch einen heftigen Kummer daraus hervorgehen.

Die Armuth an und für sich erschreckte Petrus keineswegs. Mäßig von Natur, sparsam durch sich selbst, hatte er mit fünf Franken täglich großartig gelebt. Wäre Regina nicht gewesen, so hätte er sich nichts darum bekümmert, reich zu sein; hatte er nicht im Herzen die drei großen Reichthümer der Schöpfung: den Reichthum des Talentes, der Jugend und der Liebe?

Gerade aber auf seiner Liebe, das heißt auf der Seele seiner Seele, sollte unmittelbar und vielleicht tödtlich seine Armuth lasten.

Ach! die Frau, die sich ins Feuer stürzen würde, um uns zu gefallen, die ihr Leben und ihren Ruf wagen würde, um, wie Julie, ihrem unter dem Balcon des Gartens wartenden Romeo einen nächtlichen verstohlenen Kuß zu geben, diese Frau würde oft nicht ihre aristokratische Hand in eine schlecht behandschuhte Hand fallen lassen.

Und dann folgt zu Fuße, im Kothe der Straße, der Frau, die Ihr liebt; erwartet ihr Vorüberkommen zu Fuße, am Rande von einer der Alleen des Waldes, wenn Ihr ihr am Tage zuvor noch auf einem herrlichen, aus den Ställen von Drake oder Crémieux hervorgehenden Pferde reitend begegnet seid!

Überdies macht die Armuth traurig, sie färbt gewissermaßen an den frischesten und kräftigsten Gesichtern ab. Die Stirne des Armen bewahrt den Abdruck der Sorgen des vorhergehenden Tages und der Schlaflosigkeit der Nacht.

Es ist naiv, es ist kindisch, es ist lächerlich in den Augen der Philosophen, was wir sagen, doch der schmerzliche Gedanke, fortan nicht in seinem Coupe oder in seinem Tilbury zu der Soiree kommen zu können, zu der Regina in ihrer Caleche gekommen war; sie nicht zu Pferde auf den äußeren Boulevards kreuzen zu können, wo er ihr zum ersten Male begegnet war, oder in den Alleen des Vois de Boulogne, die sie jeden Tag vorüberkommen sahen, dieser Gedanke erfüllte, allen Philosophen der Erde zum Trotz, das Herz von Petrus mit Traurigkeit. Die Philosophen begreifen wahrhaftig die Liebe nicht, und zum Beweise dient, daß sie, sobald sie verliebt sind, keine Philosophen mehr sind.

Wie fortan eine anständige Figur in den für arme Edelleute so kitzligen Salons des Faubourg Saint-Germain spielen, wo er, Petrus, nicht unter dem Titel eines Mannes von Talent, sondern als Edelmann von altem Geschlechte empfangen wurde? Der Faubourg Saint-Germain verzeiht einem Edelmanne, daß er Talent hat, unter der Bedingung, daß er nicht von seinem Talente lebt.

Allerdings konnte Petrus, außer dem Boulevard, wo er Regina begegnete, außer den Bois, wo er sie kreuzte, sie zuweilen in ihrem Hause sehen: doch die Begegnungen in der Welt waren der Vorwand dieser Besuche, und dann sah er sie bei ihr, außerdem, daß Petrus sie nicht häufig sehen konnte, selten allein: es war bald Herr de la Mothe-Haudan, bald die Marquise de la Tournelle, Abeille immer, Herr Rappt zuweilen, Herr Rappt, der ihn mit einer verdrießlichen Miene anschaute und ihm bei jedem Zusammentreffen mit dem Blicke zu sagen schien: »Ich weiß, daß Sie mein Todfeind sind: ich weiß, daß Sie meine Frau lieben: aber halten Sie sich gut, ich überwache Sie Beide.«

»Ja, bei Gott! ja, Ihr erbitterter Feind! ja, Ihr Todfeind, der Feind des Bösen, Herr Rappt!«

Nun denn! alle Wohlthaten des Glückes, alle Genüsse des Luxus, alle Vortheile des Reichthums hatte Petrus sechs Monate lang gehabt, und plötzlich mußte er darauf verzichten.

Wir wiederholen, die Lage war schmerzlich.

O Armuth! Armuth! wie viel Herzen, die dem Ausblühen nahe waren, hast Du hingemäht! wie viel erschlossene Blumen der Seele hast Du unter Deiner Sense fallen gemacht und in den Wind gestreut! denn, Armuth, finstere Göttin, Du hast den Hauch und die Sense des Todes . . .

 

Regina war allerdings keine gewöhnliche Frau. – Vielleicht …

Ihr wißt, was dem in den Katakomben verlorenen Reisenden begegnet, dem Reisenden, der von Müdigkeit niedergedrückt, aus einem hohlen Steine sitzend, aus einem alten Grabe, die Stirne mit Schweiß bedeckt, mit Bangigkeit schaut und horcht, ob er kein Licht sehen, kein Geräusch hören werde: er erschaut einen Schein, er vernimmt einen Ton, er steht aus: »Vielleicht!« sagt er.

Es war so bei Petrus: er hatte einen Schein in dem düsteren unterirdischen Gewölbe schimmern sehen.

»Vielleicht!« hatte er ebenfalls gesagt. »Keine falsche Scham! Sobald ich sie wiedersehe, werde ich ihr Alles erzählen . . . sowohl meine albernen Eitelkeiten, als meinen entlehnten Reichthum! Keinen falschen Stolz mehr! eine einzige Eitelkeit! einen einzigen Ruhm: für sie arbeiten und ihr meine Successe zu Füßen zu legen. Sie ist keine gewöhnliche Frau und . . . vielleicht wird sie mich noch mehr lieben.«

O schöne Jugend, durch welche die Hoffnung zieht, wie der Sonnenstrahl durch den Kristall! o reizender Vogel, der den Schmerz singt, wenn er die Freude nicht mehr singen kann!

Ohne Zweifel sagte sich Petrus, mit Unterstützung dieses Entschlusses, viele andere Dinge, die wir hier nicht wiederholen werden. Bemerken wir nur, daß er, während er so mit sich selbst plauderte, seine Reisekleider auszog, ein elegantes Morgencostume anlegte, und sich hastig wieder ankleidete.

Ohne in sein Atelier zurückzukehren, wo er die Stiefel krachen und den Dialog an einander stoßen hörte, stieg er sodann die Treppe hinab, übergab seinen Zimmerschlüssel dem Concierge, der ihm dagegen ein Billet überreichte, an welchem Petrus mit dem ersten Blicke die Handschrift seines Oheims erkannte.

Er lud Petrus aus den Tag seiner Rückkehr nach Paris zum Diner ein. Der General wünschte ohne Zweifel zu wissen, ob die Lection gefruchtet habe.

Petrus beauftragte den Concierge, auf der Stelle in das Hotel Courtenay zu gehen, seinem Oheim zu melden, er sei zurückgekehrt, und er werde die Ehre haben, auf den Schlag sechs Uhr aufzuwarten.

XLVI
Das Lied von der Freude

Wir haben nicht gesagt, warum sich Petrus ankleidete, noch wohin er ging: doch der Leser wird es schon errathen haben.

Petrus war aus seinem Zimmer mit eines Vogels Flügeln hinabgeeilt. Er hatte beim Concierge aus dem erwähnten Grunde angehalten, hatte aus Gewohnheit gefragt, ob man keine anderen Briefe für ihn habe, als die seines Oheims, hatte maschinenmäßig die Augen auf drei bis vier Briefe geworfen, die man ihm dargereicht, und auf keinem die Handschrift findend, die er gesucht, hatte er sie zurückgeschoben, aus seinem Portefeuille ein Briefchen mit feiner Schrift, mit zartem, wohlriechendem Umschlage genommen, es an seine Lippen gehalten, und war über die Thürschwelle gesprungen. Das war der Brief, den er von Regina in St. Malo erhalten.

Die zwei jungen Leute schrieben sich alle Tage: die Briefe von Petrus waren adressiert an die gute Manon, die von Regina an Petrus selbst.

Regina hatte aus ihrer ausnahmsweisen Stellung eine gewisse Stärke geschöpft, welche die Trennung der zwei jungen Leute milderte.

Petrus war übrigens der Erste gewesen, der ihr gesagt hatte, sie sollte ihm während seiner Abwesenheit nicht schreiben: ein verloren gegangener Brief, ein gestohlener Brief stürzte sie Beide ins Verderben.

Der junge Mann verschloß die Briefe von Regina in eine Art von Kasse von bewunderungswürdiger Eisenarbeit, welche wiederum in einer Truhe befestigt war.

Es versteht sich von selbst, daß die Truhe bei dem Verkaufe, der stattfand, ausgenommen sein sollte: diese Truhe war heilig. Mit jener Religion der Liebe, die man für gewisse Gegenstände hegt, wenn man wahrhaftig liebt, hätte es Petrus als eine Ruchlosigkeit betrachtet, sie zu verkaufen.

Bliebe der Mensch fünfundzwanzig bis fünfzig Jahr in derselben mit denselben Meubles ausgestatteten Wohnung, er könnte mit den geringsten Einzelheiten die Geschichte seines Lebens wiederherstellen. Unglücklicher Weise fühlt der Mensch von Zeit zu Zeit die Notwendigkeit, seine Wohnung zu ändern, und das Bedürfniß, sein Mobiliar zu erneuern.

Bemerken wir, daß der Schlüssel der fraglichen Truhe Petrus nie verließ: er trug ihn an seinem Halse an einer goldenen Kette hängend, sodann versicherte der Schlosser, der sie repariert hatte, Petrus, der geschickteste Rossignoliste27 würde seine Zeit verlieren, wenn er die Kasse mit dem Diebeshaken ausmachen wollte.

Petrus hatte also keine Besorgniß auf dieser Seite. Nun, wie die Könige von Frankreich aus den Stufen von Saint-Denis warten, bis ihr Nachfolger kommt, um sie zu ersetzen, wartete immer ein Brief von Regina am Herzen von Petrus, bis ein anderer Brief kam, um seinen Platz einzunehmen. Dann schloß sich der neue Brief seinen Brüdern in der eisernen Kasse an, die, wenn Petrus in Paris war, sich regelmäßig öffnete, um ein neues Depot zu empfangen, – das heißt, den am vorhergehenden Tage eingelaufenen Brief.

War der Brief geküßt und wieder in seine Tasche gesteckt, so sprang Petrus leicht über die Thürschwelle, eilte in die Rue Notre-Dame des Champs, schlug den Weg durch die Rue Chevreuse ein und erreichte das äußere Boulevard.

Haben wir noch nöthig, das Ziel seines Laufes zu bezeichnen?

In demselben gymnastischen Schritte forteilend, folgte Petrus dem Boulevard des Italiens, und hielt erst eine kurze Strecke an, ehe er an das Gitter gelangte, hinter welchem das Hotel des Marschalls von Lamothe-Houdan lag.

Nachdem er das Boulevard inspicirt und sich versichert hatte, daß es beinahe verödet war, wagte es Petrus, am Gitter vorüberzugehen.

Er sah nichts, und es schien ihm nicht, er sei gesehen worden: er kehrte auch wieder um, lehnte sich an eine ungeheure Eiche an, und schlug die Augen zu den Fenstern von Regina aus.

Ach! die Sonne schoß in ihrer Fülle in die Vorhänge und die Sommerläden waren geschlossen: doch er war sicher, es würde sich vor Abend der eine oder andere von diesen Läden erheben und die weiße Freundin sehen lassen, von der er seit einer Ewigkeit getrennt war.

Die Woge der Reflexionen schlug indessen an seinen Geist.

Was that sie in diesem Augenblicke? war sie zu Hause? dachte sie an ihn gerade zu dieser Stunde, wo er in ihrer Nähe war?

So öde gewöhnlich das Boulevard des Invalides ist, von Zeit zu Zeit fährt ein verirrter Wagen vorüber.

Einer von diesen Reisenden kam nach der Seite von Petrus.

Petrus verließ seinen Baum und setzte sich in Bewegung.

Er kannte längst die Märsche und Gegenmärsche, die er zu machen hatte, um die Blicke der Vorübergehenden und die Inquisitionen der Nachbarn auf eine falsche Spur zu bringen.

Er nahm seinen gymnastischen Schritt wieder an und ging mit der Geschwindigkeit eines äußerst geschäftigen Menschen, den es drängt, am Ziele seines Laufes anzukommen.

Zuweilen war es Regina unmöglich, sich völlig zu zeigen und sich dieser ausdrucksvollen Telegraphie hinzugeben, welche von den Verliebten erfunden wurde, lange ehe es den Regierungen einfiel, ein Mittel der politischen Correspondenz daraus zu machen; dann vermuthete sie aber, Petrus sei da; sie ließ das Ende einer Scharpe, eine Haarlocke flattern; sie ließ durch die Zwischenräume ihrer Jalousie ihren Fächer oder ihr Taschentuch fallen, – manchmal eine Blume.

Ah! Petrus fühlte sich sehr glücklich, wenn es eine Blume war; das bedeutete: »Komm heute Abend wieder, lieber Petrus; ich hoffe, wir werden einige Augenblicke mit einander zubringen können.«

Andere Male erblickte er weder Scharpe, noch Haare, noch Taschentuch, noch Fächer, noch Blumen; doch ohne sie zu sehen, gelang es ihm, ihre Stimme zu hören: es war ein Befehl, den sie einem Dienstboten gab; es war das Geräusch, eines Kusses, der auf die Stimme von der kleinen Abeille erscholl, und sein Echo – ein köstliches Echo, im Herzen des jungen Mannes hatte.

Doch die besten Stunden von Petrus waren die Stunden des Abends und der Nacht, selbst wenn er keine Hoffnung mehr hegte, Regina zu sehen.

Hatte die junge Frau die Blume fallen lassen oder nicht fallen lassen, welche fallend ein Rendezvous bezeichnete, – sobald die Dunkelheit eingetreten war, lehnte sich Petrus an seinen Baum an. Er hatte seinen Lieblingsbaum, von dem aus er besser sah, wo er besser gesehen wurde.

Die Augen unbestimmt aus die ganze Facade des Hauses geheftet, verlor er sich hier in köstlichen Träumereien, in bezaubernden Beschallungen. Regina ahnte nicht einmal seine Gegenwart: denn sicherlich würde sie, hätte sie geglaubt, Petrus sei hier, Mittel gesunden haben, ihr Fenster zu öffnen und ihm aus dem Mondstrahle, aus dem Funkeln eines Sternes den Kuß zuzusenden, den er so wohl verdient.

Doch nein, in diesen Nächten, wo ihm nichts versprochen war, verlangte Petrus nicht einmal einen Kuß, ein Wort, nur einen Blick.

Sah er sie sodann wieder, so hütete er sich wohl, ihr zu sagen: »Alle meine Traumstunden, o meine viel geliebte Regina! habe ich bei Ihnen zugebracht!« Nein, er hätte im Herzen der jungen Frau alle die während ihres keuschen Schlafes eingeschlummerten Zärtlichkeiten aufzuwecken befürchtet.

Er behielt also für sich das süße Geheimniß seiner nächtlichen Spaziergänge: beglückt durch sein Wachen zu der Stunde, wo Regina schlief, wie die Mütter glücklich sind während des Schlafes ihrer Kinder.

Gott allein weiß, und Gott allein vermöchte die Freuden ohne Beimischung zu nennen, – denn die arme menschliche Sprache ist sehr arm, um die inneren Glückseligkeiten auszudrücken, – Gott allein vermöchte die Freude»ohne Beimischung, die reinen Gemüthsbewegungen zu nennen, welche die fünfundzwanzigjährigen Herzen während dieser Stunden stiller Träumereien und stummer Beschauungen unter den Fenstern einer geliebten Frau zugebracht, liebkosen. Da gehören der Himmel, die Luft, die Erde dem Liebenden; nicht allein die Welt, die er unter seinen Füßen tritt, sondern alle die Welten, die über seinem Haupte hinrollen. Von den Fetzen der Materie befreit, strahlt seine Seele wie ein weißer Stern, in einem reinen Aether zwischen den Menschen und Gott.

Doch, man muß sagen, die Zeit ist kurz, während welcher die Engel ihre weißen Flügel der liebenden Seele leihen, und es kommt zu rasch ein Augenblick, wo, wenn sie es wagt, ihren Flug wieder zu nehmen, das Gewicht des Körpers, erschwert durch die Jahre, sie gebrochen auf die Erde niederfallen macht.

Es versteht sich von selbst, daß Petrus, von seinem Vorübergehenden verjagt, zurückkam, sobald der Vorübergehende sich entfernt hatte.

Seine Seele schwebte im Himmel mit Engelsflügeln.

Und es machte doch nicht die geringste Bewegung die starren Sommerläden zittern; die Secunden, die Minuten, die Stunden verliefen; ohne Zweifel war Petrus zu spät gekommen, Regina war schon ausgegangen.

Doch gleichviel! gegenwärtig oder abwesend, sprach Petrus mit ihr; er erzählte ihr die lange Elegie seiner Mißgeschicke. Wie hatte er, der Wahnsinnige! glauben können, um ihr zu gefallen, müsse er anders erscheinen, als er war; den Luxus des Reichthums, und nicht den des Genies aushängen; und, in seiner Einbildungskraft, hörte ihn Regina an, hörte sie ihn an, zuckte sie die Achseln, nannte sie ihn Kind! strich sie mit ihren zarten weißen Händen durch seine fahlen Haarlocken, schaute sie ihn mit ihren erlöschenden Augen an und sagte: »Wieder! wieder!« so daß er, über sich selbst spottend, Alles erzählte, bis auf den Besuch seines Vaters, bis auf die Geschichte des Pachthofes; und Regina lachte nicht mehr, spottete nicht mehr, Regina weinte, und sie sagte zu sich selbst, während sie weinte: »Arbeite, mein Petrus, und sei ein Mann von Genie. Ich werde, das verspreche ich Dir, die Hand betrachten, die den Pinsel führt, und nicht den Handschuh, der diese Hand bedeckt. Arbeite, und begegne ich Dir nicht mehr auf der Promenade im Walde auf Deinem Apfelschimmel, mit dem schwarzen Schweife und der schwarzen Mähne, der das Auge und die Füße der Gazelle hat, welche er zu verfolgen bestimmt scheint, so werde ich mir sagen: »»Mein Van Dyck arbeitet und bereitet seine Ruhmeswerke für die nächste Ausstellung.«« Arbeite, mein viel geliebter Petrus, und sei ein Mann von Genie!«

Petrus war so weit in seinen Träumereien, als er das Geräusch eines Wagens hörte, der von der Seite der Invalides kam.

 

Er wandte sich um: es war Regina, die mit der Marquise de la Tournelle und dem Marschall von Lamothe-Houdan nach Hause kehrte.

Petrus entfernte sich zum zweiten Male vom Baume, doch so, daß er, wenn er gesehen wurde, nur von Regina erkannt werden konnte.

Noch wagte er es nicht, den Kopf umzudrehen.

Er hörte das schrille Geräusch des Gitters, das geöffnet und wieder geschlossen wurde, das Aechzen des colossalen Schlüssels, der sich im Schlosse drehte.

Erst dann wandte er sich um: die Calesche war eingefahren.

Es schlug halb sechs Uhr bei den Invaliden.

Man speiste bei seinem Oheim aus den Schlag sechs Uhr: er hatte ungefähr noch zwanzig Minuten.

Petrus verlor keine Zeit und stellte sich wieder aus seinen Beobachtungsposten.

Doch er sagte sich selbst, Regina könne nicht sogleich, nachdem sie zurückgekehrt, in ihr Zimmer hinausgehen und sich an ihren Laden stellen: sie brauchte ein paar Minuten, eine Gelegenheit, einen Vor wand: hatte sie ihn überhaupt nur gesehen? Man erinnert sich, daß Petrus es nicht gewagt hatte, den Kopf umzudrehen.

Es schlug drei Viertel aus der Uhr der Invaliden.

Während der letzte Schlag noch in der Lust vibrirte, that sich der Laden auseinander und gewährte zuerst dem blonden Kopfe von Abeille Durchgang.

Ihr erster Blick sagte Petrus, sie wisse, er sei da.

Seit wie lange war er da? Das hatte Petrus völlig vergessen, das hätte er nicht sagen können.

Was Regina betrifft, sie sagte wohl klar mit ihren Augen: »Es ist nicht meine Schuld, man nahm mich mit. Ich wollte nicht ausgehen, ich wußte, Du kämest, ich erwartete Dich. Verzeih’ mir, ich konnte nicht früher kommen; doch nun bin ich hier . . . «

Sodann lächelte Regina, als wollte sie noch beifügen: »Sei unbesorgt, mein Geliebter, ich werde Dir Rechenschaft tragen für die Zeit, die Du durch mich verloren hast, und es ist Dir eine Ueberraschung von mir vorbehalten!«

Was für eine Ueberraschung war dies?

Regina lächelte immer.

Petrus konnte nicht mehr daran denken, daß die Zeit verstrich, daß ihn sein Oheim beim Mittagsbrode erwartete, und daß sein Oheim, wie Ludwig XIV., in Wuth gerieth, wenn er warten mußte.

Endlich nahm Regina eine Rose, die mitten aus den blonden Haaren der kleinen Regina Abeille hervorstach; sie hob die Rose bis zur Höhe ihrer Lippen empor, ließ sie fallen, indem sie einen Kuß in den Wind warf, und schloß den Laden wieder.

Petrus stieß einen Freudenschrei aus: er würde sie in der Nacht wiedersehen.

Als sodann der Laden wieder geschlossen und Millionen von erwiderten Küssen gegen den übersandten Kuß gegeben waren, dachte er an seinen Oheim, zog seine Uhr und schaute nach der Stunde.

Es war sechs Uhr weniger fünf Minuten.

Petrus stürzte sich in die Rue Plumet, springend wie ein junger Hirsch bei seinem ersten Lanciren.

Für einen Läufer von Profession waren es zehn Minuten vom Hotel de Lamothe-Houdan bis zum Hotel Wurtenay: Petrus brauchte nur sieben.

Der General Herbel war so höflich gewesen, zwei Minuten auf seinen Neffen zu warten: doch des Krieges müde, setzte er sich an den Tisch, als die zwei Glockenschläge ertönten, welche verkündigten, der verspätete Gast komme so eben an.

Der General hatte seine Krebssuppe zur Hälfte gegessen.

Beim Anblicke des Verspäteten runzelte sich seine Stirne übermäßig, und aus eine so olympische Weise, daß der Oesterreicher Franz, der Petrus ungemein liebte, leise in seiner Muttersprache ein Gebet für ihn verrichtete.

Doch das Gesicht des Generals nahm seine gewöhnliche Heiterkeit bei der beklagenswerthen Erscheinung von Petrus wieder an.

Petrus troff von Schweiß.

»Bei meiner Treue!« sagte der General, »Du hättest einen Augenblick im Vorzimmer bleiben sollen, um das Wasser ablaufen zu lassen: Du wirst Deinen Stuhl durchnässen.«

Petrus kam munter dem Gebrumme seines Oheims entgegen.

Der General konnte gegen ihn alle Flammen der Hölle ausspeien: Petrus hatte das Paradies im Herzen.

Er ergriff die Hand seines Oheims, küßte sie und setzte sich ihm gegenüber.

27Einer, der mit dem Dietrich arbeitet.