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Salvator

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»Oh! mein Vater!« rief der Mönch, einen glühenden Blick auf Herrn Sarranti heftend.

»Höre mich an, mein Sohn,« wiederholte der Gefangene. » . . . Nun wohl, es ergreift mich, wie ich Dir sagte, ein Augenblick des Zweifels, und ich befürchte, mich im Wege geirrt zu haben. Aus dem Punkte, diese Welt zu verlassen, mache ich meine Gewissensprüfung, und es ist ein Glück für mich, daß ich sie vor Dir mache. Glaubst Du, die Energie, die ich in mir habe, hätte können besser angewendet werden? Habe ich von den Fähigkeiten, mit denen mich Gott begabt, den besten Gebrauch gemacht, den ich davon machen konnte, und wenn ich mir eine Ausgabe vorgesetzt, habe ich sie auch gut vollbracht? Antworte mir, mein Dominique.«

Zum zweiten Male sank Dominique, vor seinem Vater aus die Kniee.

»Mein edler Vater,« sagte er, »ich kenne keinen Menschen unter dem Himmel, der redlicher und edelmüthiger, als Sie es gethan, seine Kräfte im Dienste einer Sache verwendet hat, die ihm gerecht und gut schien; ich kenne keine höhere Rechtlichkeit, als Ihre Rechtlichkeit, keine uneigennützigere Ergebenheit, als Ihre Ergebenheit. Ja, mein edler Vater, Sie haben Ihre Ausgabe aus dem Gesichtspunkte erfüllt, aus dem Sie sich dieselbe auferlegt hatten, und die Zelle, in der wir zu dieser Stunde sind, ist das materielle Zeugniß Ihrer Seelengröße und Ihrer erhabenen. Selbstverleugnung.«

»Meinen Dank, Dominique,« antwortete Sarranti; »und tröstet mich etwas über den Tod, so ist es der Gedanke, daß mein Sohn das Recht hat, stolz aus mein Leben zu sein. Ich werde Dich also, mein einziges Kind, ohne Gewissensbisse, ohne Bedauern verlassen. Und ich hatte doch noch Kräfte im Dienste des Vaterlands; ich war kaum, – mir scheint das wenigstens heute so, – ich war kaum bei der Hälfte meiner Ausgabe, und ich glaubte, – in einer dunklen Ferne, welche zu erreichen mir aber möglich gewesen wäre, – den leuchtenden Strahl eines besseren Lebens, etwas wie die Befreiung meines Vaterlands, und, wer weiß? vielleicht in Folge der Befreiung meines Vaterlands die Befreiung der Nationen zu erschauen!«

»Ah! mein Vater!« rief der Abbé, »ich stehe Sie an, verlieren Sie diesen leuchtenden Strahl nicht aus dem Blicke: denn das ist die Feuersäule, welche Frankreich nach dem gelobten Lande führen soll. Mein Vater, hören Sie mich an, und Gott lege die Ueberredung in den Mund seines demüthigen Dieners.«

Herr Sarranti strich mit der Hand über seine feuchte Stirne, als wollte er sie von den materiellen Wolken befreien, welche seine Gedanken verdunkeln und das Wort seines Sohnes bis in seinen Geist zu gelangen verhindern konnten.

»Hören Sie also nun mich an, mein Vater: Sie haben so eben mit einem einzigen Worte die sociale Frage erleuchtet, der die edlen Menschen, wer sie auch sein mögen, ihr Leben weihen: der Mensch und die Idee

Die Augen aus seinen Sohn geheftet, machte Herr Sarranti ein Zeichen der Beistimmung.

»Der Mensch und die Idee. Alles liegt hierin, mein Vater. Der Mensch, in seiner Hoffart, glaubt der Herr der Ideen zu sein, während im Gegentheile die Idee Gebieterin des Menschen ist. Die Idee, o mein Vater, ist die Tochter Gottes, und Gott hat ihr, um ihr ungeheures Werk zu vollbringen, die Menschen als Werkzeuge gegeben . . . hören Sie das wohl, mein Vater: ich werde manchmal dunkel.

»Durch die Periode der Zeiten strahlt die Idee wie eine Sonne, die Menschen verblendend, die ihren Gott daraus gemacht haben. Sehen Sie dieselbe geboren werden, wo der Tag geboren wird: da, wo die Idee ist, ist das Licht: in allem Uebrigen ist die Nacht.

»Als die Idee über dem Ganges erschien und hinter der Kette des Himalaya ausging, jene Urcivilisation, von der wir nur noch Traditionen bewahrt haben, jene Ahnstädte erleuchtend, von denen wir nur. noch die Trümmer kennen, da strahlten ihre Flammen um sie und beleuchteten zugleich mit Indien alle benachbarten Nationen: nur war die Intensität des Lichtes da, wo die Idee war. Aegypten, Persien, Arabien waren in der Halbtinte: die übrige Welt in der Dunkelheit: Athen, Rom, Carthago, Cordova, Florenz und Paris, diese zukünftigen Herde, diese zukünftigen Leuchtthürme waren noch nicht aus der Erde hervorgegangen, und man wußte noch nicht einmal etwas von ihrem Namen.

»Indien vollbrachte sein Werl der patriarchalischen Civilisation. Diese Mutter des Menschengeschlechts, welche als Symbol die Kuh mit den unversiegbaren Eutern angenommen hatte, reichte den Ecepter Aegypten, seinen dreihundert Namen, seinen dreihundert und dreißig Königen und seinen sechsundzwanzig Dynastien. Man weiß nicht, wie lange Indien gedauert hat: Aegypten dauerte dreitausend Jahre. Es erzeugte Griechenland: nach der patriarchalischen Regierung und der theokratischen Regierung die republikanische Regierung. Die antike Gesellschaft hatte die heidnische Vollkommenheit erreicht.

»Dann kam Rom, Rom, die privilegierte Stadt, wo die Idee Mensch werden und über die Zukunft herrschen sollte . . . – Mein Vater, verbeugen wir uns Beide: ich will den Namen des Gerechten aussprechen, der nicht nur für die Gerechten starb, die man nach ihm opfern sollte, sondern auch für die Schuldigen: mein Vater, ich spreche den Namen Christi aus.«

Sarranti neigte das Haupt: Dominique bekreuzte sich.

»Mein Vater, in dem Augenblicke, wo der Gerechte seinen letzten Ausruf von sich gab, rollte der Donner, zerriß der Vorhang im Tempel, öffnete sich die Erde . . . Dieser Spalt, der von einem Pole zum andern ging, war der Abgrund, der die alte Welt von der neuen trennte. Alles war wiederanzufangen, Alles war neu zu machen: man hätte glauben sollen, Gott, der Unfehlbare, habe sich getäuscht, hätte man nicht, von Stelle zu Stelle, wie an seinem eigenen Lichte angezündete Leuchtthürme, die großen Vorläufer erkannt, die man Moses, Aeschylos, Plato, Sokrates, Virgil und Seneca nennt.

»Die Idee hatte vor Jesus Christus ihren antiken Namen: Civilisation, gehabt: sie hatte nach Jesus Christus ihren modernen Namen: Freiheit. In der heidnischen Welt war die Freiheit nicht nöthig für die Civilisation: sehen Sie Indien, sehen Sie Aegypten, sehen Sie Arabien, sehen Sie Persien, sehen Sie Griechenland, sehen Sie Rom. In der christlichen Welt gibt es keine Civilisation ohne Freiheit; sehen Sie Rom, Carthago, Granada fallen, sehen Sie den Vatican geboren werden . . . «

»Mein Sohn,« fragte Sarranti mit einer Art von Zweifel, »ist der Vatican wirklich der Tempel der Freiheit?«

»Er war es wenigstens bis zu Gregor VII. . . . Ah! mein Vater, hier muß man abermals den Menschen von der Idee trennen! Die Idee, die den Händen des Papstes entwischt, geht in die Hände von König Ludwig dem Dicken über, welcher vollendet, was Gregor VII. begonnen hat. Frankreich wird Rom fortsetzen; in diesem Frankreich, das kaum das Wort Gemeinde stammelt; in diesem Frankreich, dessen Sprache sich bildet, bei welchem die Leibeigenschaft aufgehoben werden wird, in diesem Frankreich werden sich fortan die Geschicke der Welt debattieren. Rom hat nur noch den Leichnam Christi: Frankreich hat sein Wort, seine Seele, – die Idee! . . . Seht sie sich erheben unter dem Namen Gemeinde. Gemeinde, das heißt Volksrechte, Demokratie, Freiheit!

»O mein Vater, die Menschen glauben, sie benützen die Ideen, während im Gegentheile es die Idee ist, welche die Menschen benützt.

»Hören Sie, mein Vater, denn in dem Augenblicke, wo Sie Ihr Leben Ihrem Glauben opfern, muß man Licht machen um diesen Glauben, damit Sie wohl sehen, ob die von Ihnen angezündete Fackel Sie dahin geführt hat, wohin Sie gehen wollten.«

»Ich höre,« erwiderte der Verurteilte, indem er seine Hand an seine Stirne drückte, als wollte er sie verhindern, vor der Minerva zu zerspringen, die er ganz gerüstet unter dem Gewölbe seines Gehirnes sich bewegen fühlte.

»Die Ereignisse sind verschieden,« fuhr der Mönch fort, »doch die Idee ist dieselbe. Nach der Gemeinde kommen die Pastoureaux; nach den Pastoureaux kommt die Jacquerie; nach der Jacquerie kommen die Maillotins; nach den Maillotins kommt der Krieg des öffentlichen Wohls; nach dem Kriege des öffentlichen Wohls die Ligue; nach der Ligue die Fronde; nach der Fronde die französische Revolution. Nun, mein Vater, alle die Empörungen, – mögen sie Gemeinde, Pastoureaux, Jacquerie, Maillotin, Krieg des öffentlichen Wohls, Ligue, Fronde, Revolution heißen, – das ist immer die Idee, die Idee, die sich verwandelt, bei jeder Verwandlung aber wächst.

»Der Blutstropfen, der von der Zunge des ersten Menschen fällt, welcher auf dem öffentlichen Platze von Cambrai: Gemeinde, ruft, und dem man die Zunge als einem Gotteslästerer ausschneidet, ist die Quelle der Demokratie; zuerst Quelle, dann Bach, dann Fluß, dann Strom, dann See, dann Ocean.

»Sehen wir nun, mein Vater, auf diesem Ocean den vom Herrn erwählten Steuermann schiffen, den man Napoleon den Großen nennt . . . «

Der Verurtheilte, der nie solche Worte gehört hatte, sammelte sich und hörte.

Der Mönch fuhr in folgenden Ausdrücken fort:

»Drei Männer waren zu allen Zeiten im Geiste des Herrn erwählt gewesen, um die Werkzeuge der Idee zu sein und das Gebäude der christlichen Welt zu behauen, wie er es verstand. Diese drei Männer sind Cäsar, Karl der Große, Napoleon. Und bemerken Sie wohl, mein Vater, Jeder von diesen drei Männern weiß nicht, was er thut, und scheint gerade das Gegentheil von, dem zu träumen, was er vollbringt: Cäsar, ein Heide, bereitet das Christenthum vor; Karl der Große, ein Barbar, bereitet die Civilisation vor; Napoleon, ein Despot, bereitet die Freiheit vor.

»Diese drei Männer kommen in einer Entfernung von achthundert Jahren von einander. Mein Vater, es sind drei verschiedene menschliche Anblicke, doch es ist dieselbe Seele, die sie belebt, – die Idee.

»Cäsar, ein Heide, vereinigt durch die Eroberung die Völker in einen einzigen Bündel, damit auf dieser Menschengarbe Christus aufstehe, eine befruchtende Sonne der modernen Welt, und damit unter dem Nachfolger Cäsars sich Christus erhebe.

 

»Karl der Große, ein Barbar, gründet die Feudalherrschaft, diese Mutter der Civilisation, und bricht an den Schranken seines ungeheuren Reiches die Wanderung der Völker, welche noch barbarischer als er.

»Napoleon . . . Erlauben Sie, mein Vater, daß ich in Beziehung auf Napoleon meine Theorie weiter entwickle. Es sind nicht leere Worte, die ich Ihnen sage, und ich hoffe, sie führen mich im Gegentheile zu dem Ziele, nach dem ich strebe.

»Als Napoleon, oder vielmehr Bonaparte, – denn der Riese hat zwei Namen, wie er zwei Gesichter hat, – als Bonaparte erschien, war Frankreich dergestalt durch die Revolution aus den andern Völkern hinausgeschleudert, daß es das Gleichgewicht der Nationen gestört hatte. Dieser Bucephalus brauchte einen Alexander, dieser Löwe einen Androklos. Bonaparte erschien mit seiner doppelten volksthümlichen und aristokratischen Natur im Angesichte dieser wahnsinnigen Freiheit, die man fesseln mußte, um sie zu heilen. Bonaparte war hinter der Idee in Frankreich, aber vor den Ideen anderer Völker.

»Die Könige sahen nicht in ihm, was in ihm war: die Könige sind manchmal blind: die Tollen führten Krieg gegen ihn.

»Da nahm Bonaparte, – der Mann der Idee, – was in Frankreich Reinstes, Verständigstes, Progressivstes unter seinen Kindern war: er bildete Bataillons daraus, heilige Bataillons, die er über Europa verbreitete. – Ueberall bringen diese Bataillons der Idee den Tod den Königen und das Leben den Völkern: überall, wo der Geist Frankreichs durchzieht, macht die Freiheit in seinem Gefolge einen Riesenschritt und wirst die Revolutionen in den Wind, wie ein Säemann das Korn auswirft.

»Napoleon fällt 1815, und schon ist die Ernte, die er vorbereitet hat, auf gewissen Boden gut zu machen. So verlangen im Jahre 1818, – erinnern Sie sich der Data, mein Vater, – das Großherzogthum Baden und das Königreich Baiern eine Constitution und erhalten sie: 1819 verlangt Württemberg eine Constitution und erhält sie: 1820 Revolution und Constitution der Cortes in Spanien: 1821 Empörung der Griechen gegen die Türkei.

»Der Mensch ist Gefangener: der Mensch ist an den Felsen von St. Helena gefesselt: der Mensch ist todt; der Mensch ist begraben; der Mensch ruht unter seinem namenlosen Steine; doch die Idee ist frei, doch die Idee überlebt ihn, doch die Idee ist unsterblich!

»Eine einzige Nation, eine einzige, war durch ihre topographische Lage dem progressiven Einflusse Frankreichs entgangen, weil sie zu weit entfernt war, als daß wir je daran gedacht hätten, den Fuß auf ihr Gebiet zu setzen. Napoleon träumt die Vernichtung der Engländer in Indien durch seine Verbindung mit Rußland . . . Dadurch, daß er die Augen immer auf Moskau geheftet hält, gewöhnt er sich an die Entfernung; die Entfernung verschwindet allmählich durch einen zugleich erhabenen und wahnsinnigen optischen Effect. Einen Vorwand, und wir erobern Rußland, wie wir Italien, Aegypten, Deutschland, Oesterreich und Spanien erobert haben. Der Vorwand wird eben so wenig fehlen, als er zur Zeit der Kreuzzüge fehlte, wo wir die Civilisation vom Orient entlehnten. Gott will es: wir werden die Freiheit dem Norden bringen. Ein englisches Schiff läuft in den Hafen irgend einer Stadt am Baltischen Meere ein, und der Krieg ist von Napoleon dem Manne erklärt, der zwei Jahre vorher, sich vor ihm verbeugend, folgenden Vers vom Voltaire auf sich anwandte:

L’amitié d’un grand homme est un bienfait des dieux! 12

»Und vor Allem scheint es, aus den ersten Blick, die Vorhersehung Gottes scheitere an dem despotischen Instincte eines Menschen. Frankreich dringt in Rußland ein, Rußland weicht aber vor Frankreich zurück: die Freiheit und die Sklaverei werden nicht in Berührung kommen. Kein Samen wird in dieser eisigen Erde keimen: denn vor unseren Heeren werden nicht nur die feindlichen Heere, sondern auch die feindlichen Völkerschaften zurückweichen. Es ist ein wüstes Land, dessen wir uns bemächtigen, es ist eine in Brand gesteckte Hauptstadt, welche in unsere Hände fällt, und wenn wir in Moskau einziehen, ist Moskau leer, steht Moskau in Flammen!

»Da ist die Sendung Napoleons erfüllt, und der Augenblick seines Sturzes ist gekommen: denn der Sturz von Napoleon wird der Freiheit so ersprießlich sein, als es die Erhebung von Napoleon gewesen ist. So klug vor dem siegenden Feinde, wird der Czaar vielleicht unklug vor dem besiegten Feinde sein: er war vor dem Eroberer zurückgewichen, – sehen Sie, mein Vater, sehen Sie, er schickt sich an, dem Flüchtling zu folgen . . .

»Gott zieht seine Hand von Napoleon zurück . . . Ist nicht seit drei Jahren sein guter Genius, Josephine, von ihm entfernt, um Marie Louise, der Inkarnation des Despotismus, Platz zu machen? Gott zieht also seine Hand von Napoleon zurück: und damit das himmlische Dazwischentreten sehr sichtbar sei, sind es diesmal bei den menschlichen Dingen nicht mehr Menschen, welche gegen Menschen kämpfen: die Ordnung der Jahreszeiten ist verkehrt, der Schnee und die Kälte kommen in Eilmärschen: es sind die Elemente, welche eine Armee tödten.

»Und so treffen die von der Weisheit des Herrn vorhergesehenen Dinge ein. Paris konnte seine Civilisation nicht nach Moskau tragen: Moskau kommt und verlangt sie in Paris.

»Zwei Jahre nach dem Brande seiner Hauptstadt wird Alexander in der unsern einziehen: doch sein Aufenthalt hier wird von zu kurzer Dauer sein: seine Soldaten werden kaum den Boden Frankreichs berührt haben: unsere Sonne, die sie erleuchten sollte, hat sie nur geblendet.

»Gott ruft seinen Auserwählten zurück: Napoleon erscheint wieder: der Gladiator betritt wieder die Arena, kämpft, fällt und streckt bei Waterloo den Hals hin.

»Da öffnet Paris dem Czaar und seinem wilden Heere wieder die Thore. Diesmal wird die Occupation drei Jahre an den Usern der Seine diese Menschen von der Newa, von der Wolga und vom Don zurückhalten: ganz angefüllt von neuen und fremden Ideen, die unbekannten Namen Civilisation, Befreiung und Freiheit stammelnd, werden sie in ihr wildes Land zurückkehren, und acht Jahre nachher wird eine republikanische Verschwörung in Petersburg ausbrechen . . . Wenden Sie die Augen gegen Rußland, mein Vater, und Sie werden den Herd dieses Brandes noch rauchend aus dem Senats-Platze sehen.

»Mein Vater, Sie haben Ihr Leben dem Menschen-Idee geweiht: der Mensch ist todt, die Idee lebt. Leben Sie auch für die Idee!«

»Was sagst Du, mein Sohn?« rief Herr Sarranti, seinen Sohn mit Augen anschauend, in denen sich zugleich das Erstaunen und die Freude, die Ueberraschung und der Stolz malten.

»Mein Vater, ich sage, nachdem Sie so muthig gekämpft, werden Sie nicht das Leben verlassen wollen, ehe Sie die Stunden der zukünftigen Unabhängigkeiten haben schlagen hören. Mein Vater, die Welt rührt sich; Frankreich ist in Arbeit wie ein vulcanischer Berg; noch ein paar Jahre, ein paar Monate vielleicht, und die Lava wird aus dem Krater hervorbrechen, auf ihrem Wege, wie verfluchte Städte, alle Knechtschaften, alle Erniedrigungen einer Gesellschaft verschlingend, welche verurtheilt ist, einer neuen Gesellschaft Platz zu machen.«

»Wiederhole die Worte, Dominique!« rief der enthusiastische Corse, dessen Augen vor Freude funkelten, da er aus dem Munde seines Sohnes diese prophetischen und tröstlichen, für ihn wie ein Diamantenthau kostbaren Worte hervorkommen hörte; »wiederhole diese Worte . . . Du gehörst zu einer geheimen Gesellschaft, nicht wahr, und Du kennst das Auflösungswort der Zukunft?«

»Ich gehöre zu keiner geheimen Gesellschaft, mein Vater, und kenne ich das Auflösungswort der Zukunft, so habe ich es in der Vergangenheit gelesen. Ich weiß nicht, ob sich ein Complott in der Dunkelheit anzettelt; doch ich weiß, daß eine allmächtige Verschwörung im Angesichte Aller im vollen Sonnenscheine aufgegangen ist: das ist die Verschwörung des Guten gegen das Böse, und die zwei Streiter stehen einander gegenüber; die Welt wartet . . . Leben Sie, mein Vater, leben Sie!«

»Ja, Dominique,« rief Sarranti, seinem Sohne die Hand reichend, »Du hast Recht: ich wünsche nun zu leben; doch wie leben, da ich verurtheilt bin?«

»Mein Vater, das ist meine Sache.«

»Keine Gnade, hörst Du wohl, Dominique? Ich will nichts von den Menschen empfangen, welche zwanzig Jahre gegen Frankreich gekämpft haben.«

»Nein, mein Vater; verlassen Sie sich auf mich, daß ich die Ehre der Familie wahre. Man verlangt nur Eines von Ihnen: daß Sie ein Cassationsgesuch einreichen; ein Unschuldiger hat keine Gnade zu verlangen.«

»Was ist denn Dein Plan, Dominique?«

»Mein Vater, gegen Sie, wie gegen Andere muß ich ihn verschweigen.«

»Es ist ein Geheimniß?«

»Tief, unverletzlich.«

»Selbst für Deinen Vater, Dominique?«

Dominique nahm die Hand seines Vaters, küßte sie ehrfurchtsvoll und erwiderte:

»Selbst für meinen Vater!«

»Sprechen wir nicht mehr davon, mein Sohn . . . Wann werde ich Dich wiedersehen?«

»In fünfzig Tagen . . . vielleicht früher, doch nicht später.«

»Ich werde Dich fünfzig Tage lang nicht sehen?« rief Herr Sarranti erschrocken.

Er fing an zu befürchten, er werde sterben.

»Ich unternehme zu Fuße eine lange Pilgerfahrt. . . . Empfangen Sie mein Lebewohl. Ich reise schon diesen Abend, in einer Stunde, ab, um bis zu meiner Rückkehr nicht mehr zu rasten. Segnen Sie mich, mein Vater!«

Ein Gefühl erhabener Größe verbreitete sich über das Antlitz von Herrn Sarranti.

»Gott begleite Dich auf Deiner schmerzlichen Pilgerfahrt, edles Herz!« sagte er, die Hände über das Haupt seines Sohnes erhebend; »er bewahre Dich vor Hinterhalten und Verrathen, und führe Dich zurück, um die Thüre meines Gefängnisses zu öffnen, mag diese Thüre auf das Leben oder auf den Tod gehen.«

Dann nahm er zwischen seine zwei Hände den Kopf des knieenden Mönches, schaute ihn mit stolzer Zärtlichkeit an, küßte ihn auf die Stirne, und winkte ihm wegzugehen, ohne Zweifel aus Furcht, es könnte sich seine Gemüthsbewegung in Schluchzen Luft machen.

Der Mönch seinerseits, der seine Kräfte entschwinden fühlte, wandte sich ab, um seinem Vater den Anblick der Thränen zu entziehen, welche aus feinen Augen hervorstürzten, und ging hastig hinaus.

VI
Der Paß

Es schlug vier Uhr in dem Augenblicke, wo der Abbé Dominique den Fuß aus der Conciergerie setzte. Vor der Thüre fand der Mönch Salvator wieder. Der junge Mann sah, in welcher Unruhe der Abbé war, errieth, was in seiner Seele vorging, und begriff, daß mit ihm von seinem Vater sprechen seine Wunde wiederbeleben hieß. Er sagte ihm auch nichts Anderes als die Worte: , »Und was gedenken Sie nun zu thun?«

»Ich reise nach Rom ab.«

»Wann?«

»So bald als möglich.«

»Brauchen Sie einen Paß?«

»Vielleicht könnte mein Rock mir denselben ersetzen; doch gleichviel, um keinen Verzug zu erleiden, ziehe ich es vor, einen zu haben.«

»Holen wir einen Paß; wir sind nur zwei Schritte von der Präfectur, und mit meinem Beistande werden Sie, glaube ich, nicht lange zu warten haben.«

Fünf Minuten nachher traten Sie in den Hof der Präfectur ein.

In dem Augenblicke, wo sie über die Thürschwelle des Paßbureau schritten, stieß in dem finsteren Gange ein Mann an sie.

Salvator erkannte Herrn Jackal.

»Empfangen Sie meine Entschuldigungen, Herr Salvator,« sagte der Polizeimann, als er den jungen Mann erkannte; »ich frage Sie diesmal nicht, durch welchen Zufall ich das Glück habe, Ihnen zu begegnen.«

»Und warum fragen Sie das nicht, Herr Jackal?«

»Ei! weil ich es weiß.«

»Sie wissen, was mich hierher führt?«

»Ist es nicht mein Handwerk, Alles zu wissen?«

»Ich komme also hierher, lieber Herr Jackal . . . ?«

»Um einen Paß zu holen, lieber Herr Salvator.«

»Für mich?« fragte lachend Salvator.

»Nein, sondern für diesen Herrn,« antwortete Herr Jackal, mit dem Finger auf den Mönch deutend.

»Wir sind vor der Thüre des Bureau; Bruder Dominique ist bei mir; Sie wissen, daß mich mein Gewerbe in Paris zurückhält; es ist also nicht schwer, zu errathen, lieber Herr Jackal, daß ich einen Paß hole, und daß der Paß für diesen Herrn ist.«

»Ja, schwieriger aber war es, Ihren Wunsch vorherzusehen.«

»Ah! ah . . . Und Sie haben ihn vorhergesehen?«

 

»So weit es meinem armen kleinen Scharfsinne erlaubt war, dies zu thun.«

»Ich begreife nicht.«

»Wollen Sie mir die Freundschaft erweisen, mir mit dem Herrn Abbé zu folgen, lieber Herr Salvator? Dann werden Sie vielleicht begreifen?«

»Und wohin soll ich Ihnen folgen?«

»Ei! in den Saal, wo man die Pässe abgibt. Sie werden den des Herrn Abbé ganz ausgefertigt finden!«

»Ganz ausgefertigt?« sagte Salvator mit einer Miene des Zweifels.

»Ah! mein Gott, ja,« erwiderte Herr Jackal mit jener Treuherzigkeit, die er so gut auf seinem Gesichte auszubreiten wußte.

»Selbst mit dem Signalement?«

»Selbst mit dem Signalement. Es muß nur die Unterschrift des Herrn Abbé dabei fehlen.«

Sie waren vor dem mittleren Bureau der Thüre gegenüber angelangt.

»Den Paß von Herrn Dominique Sarranti,« sagte Herr Jackal zu dem, in seinem kleinen hölzernen Käfig eingeschlossenen, Bureauchef.

»Hier, mein Herr,« erwiderte der Bureauchef, indem er den Paß Herrn Jackal reichte, der ihn sodann dem Mönche übergab.

»Das ist es wohl, nicht wahr?« fuhr Herr Jackal fort, während Dominique einen erstaunten Blick auf das officielle Papier warf.

»Ja, mein Herr,« antwortete der Abbé; »in der That, das ist es.«

»Nun wohl,« sprach Salvator, »wir haben nun nichts mehr zu thun, als den Paß von Monseigneur dem Nuntius visiren zu lassen.«

»Das ist etwas Leichtes,« erwiderte Herr Jackal, indem er tief aus seiner Tabatiere schöpfte und mit Wollust eine Prise Tabak schlürfte.

»Sie leisten mir da einen wahren Dienst, lieber Herr Jackal,« sagte Salvator, »und ich weiß nicht, wie ich Ihnen meine Dankbarkeit bezeigen soll.«

»Reden wir nicht hiervon; sind die Freunde unserer Freunde nicht unsere Freunde?«

Herr Jackal sprach diese Worte mit einer solchen Schulternbewegung, mit einem solchen Ausdrucke von Treuherzigkeit, daß ihn Salvator voll Zweifel anschaute.

Es gab Augenblicke, wo er nahe daran war, Herrn Jackal für einen Philosophen zu halten, der sein Handwerk als Polizeimann aus Liebe für die Menschheit treibe.

Doch gerade in diesem Momente warf ihm Herr Jackal von unten einen von jenen Blicken zu, welche von seiner Verwandtschaft mit dem Thiere zeugten, an das sein Name erinnerte.

Dann winkte er Dominique, ihn zu erwarten, und sagte:

»Zwei Worte, lieber Herr Jackal.«

»Vier, Herr Salvator . . . sechs, ein ganzes Wörterbuch; es ist ein so großes Vergnügen für mich, mit Ihnen zu plaudern, daß ich, wenn ich dieses Vergnügen habe, wünschte, die Conversation würde gar nie endigen.«

»Sie sind sehr gut,« sagte Salvator.

Und trotz seines inneren Widerstrebens gegen diese Art von Genossenschaft, nahm er den Arm des Polizeimannes.

»Mein lieber Herr Jackal, sagen Sie mir zwei Dinge . . . «

»Mit großem Vergnügen, lieber Herr Salvator.«

»In welcher Absicht haben Sie diesen Paß vorbereitet?«

»Das ist das erste von den zwei Dingen, die Sie mich zu fragen haben?«

»Ja.«

»Ei! in der Absicht, Ihnen angenehm zu sein.«

»Ich danke . . . Wie haben Sie nun gewußt, Sie werden mir angenehm sein, wenn Sie einen Paß aus den Namen von Herrn Dominique Sarranti ausfertigen lassen?«

»Weil Herr Dominique Sarranti Ihr Freund ist, so weit ich es an dem Tage, wo Sie ihn am Bette von Herrn Colombau trafen, beurtheilen konnte.«

»Sehr gut! Doch wie haben Sie errathen, er sei im Begriffe, eine Reise zu machen?«

»Ich habe es nicht errathen: er hat es selbst Seiner Majestät gesagt, als er sie um einen Aufschub von fünfzig Tagen bat.«

»Er hat Seiner Majestät aber nicht gesagt, wohin er gehe.«

»Oh! ein schöner Witz, lieber Herr Salvator! Herr Dominique Sarranti verlangt einen Aufschub von fünfzig Tagen vom König, um eine Reise von dreihundert fünfzig Meilen zu machen. Wie weit ist es nun von Paris nach Rom? Dreizehnhundert Kilometer auf der Straße von Siena, vierzehnhundert dreißig Kilometer auf der Straße von Perugia; die mittlere Summe ist also dreihundert fünfzig Meilen. Mit wem kann es Herr Sarranti unter den Umständen, in denen er sich befindet, zu thun haben? Mit dem Papste, denn er ist Mönch: der Papst ist der König der Mönche; und Ihr Freund will es in Rom versuchen, den König der Mönche für seinen Vater zu interessieren, damit er den König von Frankreich um seine Begnadigung bitte; das ist das Ganze, lieber Herr Salvator. Ich könnte Sie glauben lassen, ich sei ein Zauberer; ich will Ihnen lieber ganz einfach die Wahrheit sagen. Sie sehen nun, der Erste der Beste hätte, von Deduction zu Deduction fortschreitend , die Sache so geschickt als ich zu ihrem Ziele geführt. Herr Dominique hat mir also nur noch in Ihrem und in seinem Namen zu danken und nach Rom abzureisen.«

»Nun wohl,« sagte Salvator, »das wird er sogleich thun.«

Sodann den Mönch rufend:

Mein lieber Dominique, hier ist Herr Jackal bereit, Ihre Danksagungen zu empfangen.«

Der Mönch näherte sich, dankte Herrn Jackal, und dieser nahm die Complimente von Dominique mit derselben Treuherzigkeit und Einfachheit hin, die er während der ganzen Scene zur Schau gestellt hatte.

Die zwei Freunde verließen die Präfectur.

Sie machten stillschweigend ein Hundert Schritte.

Nach hundert Schritten blieb der Abbé Dominique stehen, legte seine Hand auf den Arm seines nachdenkenden Begleiters und sagte:

»Ich bin unruhig, mein Freund.«

»Ich auch,« erwiderte Salvator.

»Die Zuvorkommenheit dieses Polizeimannes scheint mir nicht natürlich.«

»Mir auch nicht . . . Doch lassen Sie uns weiter gehen; ohne Zweifel folgt man uns und bespäht uns.«

»Welches Interesse glauben Sie, daß er gehabt hat, um so meine Reise zu erleichtern?« fragte der Abbé der Ermahnung von Salvator gehorchend.

»Ich weiß es nicht, doch ich glaube wie Sie, daß er eines gehabt hat.«

»Glauben Sie an das, was er Ihnen von seinem Wunsche, Ihnen angenehm zu sein, gesagt hat?«

»Ei! mein Gott, das ist streng genommen möglich: es ist ein seltsamer Mensch, der zuweilen, man weiß nicht warum, noch wie, von Gefühlen erfaßt wird, die seinem Stande nicht anzugehören scheinen. In einer Nacht, als ich durch die verlorenen Quartiere der Stadt zurückkehrte, hörte ich in einer von jenen Straßen, welche keinen oder vielmehr einen sehr unglücklichen Namen haben, – ich hörte am Ende der Rue de la Tuerie13, in der Nähe der Rue de la Vieille-Lanterne, dumpfe Schreie. Ich bin immer bewaffnet, – Sie müssen begreifen, warum, Dominique; ich eilte nach der Seite, wo ich das Geschrei hörte. Ich sah von der schmutzigen Treppe herab, welche von der Rue de la Tuerie nach der Rue de la Vieille-Lanterne führt, einen Mann, der sich mit Händen und Füßen zwischen drei Männern wehrte, die ihn durch die offene Thüre einer Abzucht nach der Seine zu schleppen suchten. Ich nahm mir nicht die Zeit, die Treppe hinabzusteigen: ich schlüpfte unter dem Geländer durch, und ließ mich auf die Straße fallen. Ich war zwei Schritte von der Gruppe; Einer von denen, welche sie bildeten, machte sich davon los und sprang mit aufgehobenem Stocke auf mich zu. Er rollte in demselben Augenblicke von einem Pistolenschusse getödtet in die Gosse. Bei diesem Anblicke, beim Lärmen des Schusses entflohen die zwei anderen Männer, und ich befand mich allein mit dem, welchem mich die Vorsehung auf eine so wunderbare Weise zu Hilfe geschickt hatte. Es war Herr Jackal. Ich kannte ihn damals nur dem Namen nach, – wie ihn Jedermann kennt. Er sagte mir, wer er sei, und wie er sich hier befinde: er sollte eine Haussuchung in einem schlechten Garni vornehmen, das in der Rue de la Vieille-Lanterne ein paar Schritte von der Treppe, liegt; da er eine Viertelstunde vor seinen Agenten ankam, so hielt er sich am Gitter der Abzucht verborgen, als sich plötzlich das Gitter öffnete und drei Männer über ihn Herfielen. Diese drei Männer waren gleichsam die Abgeordneten aller Diebe und aller Mörder von Paris, welche geschworen hatten, sich des Herrn Jackal zu entledigen, dessen Beaufsichtigung eine Geißel für sie war. Und in der That, sie waren im Begriffe, ihr Versprechen zu halten und sich von ihm zu befreien, als ich zu ihrem Unglücke, und besonders zum Unglücke von dem, welcher zu meinen Fußen röchelte, Herrn Jackal zu Hilfe kam . . . Seit jenem Tage hat Herr Jackal eine gewisse Dankbarkeit für mich und leistet mir, mir und meinen Freunden, alle die kleinen Dienste, die er mir leisten kann, ohne seine Pflicht als Ches der Sicherheitspolizei zu verletzen.«

12Die Freundschaft eines großen Mannes ist eine Wohlthat der Götter.
13Metzelei Straße.