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Olympia von Clèves

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XLII.
Wo Banniére unerschöpfliche Quellen in seinem Berkanrocke findet

Frau von Mailly, eine reizende Frau, mit schwarzen, lebhaften Augen, mit braunen, gelockten Haaren, mit bräunlicher zarter Haut, der die strengste Kritik, wie ein Geschichtsschreiber der Zeit sagt, nur ein wenig flache Wangen vorwerfen konnte, Frau von Mailly hatte, wie wir am Anfange dieses Buches erzählt, den Herrn Grafen von Mailly, den Liebhaber von Olympia, geheiratet.

Sie war eines von den fünf Fräulein von Nesle, welche, wie man weiß, bestimmt sein sollten, ein so großes Aufsehen in der Welt zu machen.

Die vier andern waren: Frau von Tournelle, Frau von Flavencourt, Frau von Ventimille und Frau von Lauraguais.

Alle waren schön, einige waren sogar schöner als Frau von Mailly, doch keine hatte den so verschwenderisch durch die Natur und die Erziehung über die ganze Person der Gräfin verbreiteten Zauber. Eine Frau wird nicht immer geliebt, weil sie die schönste ist: es gibt die Anmut, welche vor der Schönheit kommt.

Frau von Mailly musste angebetet werden.

Banniére, als er zu ihr gelangte, erkannte sogleich mit dem wahrhaft außerordentlichen Tact, den er besaß, den ganzen Einfluss, den eine solche Frau aus die am wenigsten leicht zu bewegenden Männer üben konnte.

Die Gräfin ober, als sie Banniére erblickte, wurde von einem seltsamen Gefühle ergriffen, da sie sah, welche Opposition seine gute Miene gegen seine Kleidung bildete.

»Ah!« sagte sie zu ihrer Kammerfrau, »wie ist er gekleidet! . . . Und warum diese Verkleidung?«

Die Kammerfrau betrachte Banniére als Kennerin, schüttelte den Kopf und erwiderte:

»Die Leute von Herrn von Mailly sind gut gewählt, wenn das ganze Regiment nach diesem Muster geschnitten ist.«

Durch eine wunderbare Operation ihres Geistes hatte sich die Gräfin auch sogleich gesagt, wenn Banniére gut gekleidet wäre, müsste er sehr angenehm anzuschauen sein.

»Nun, mein Freund,« fragte die Gräfin mit einer sanften Stimme, »Sie haben mich zu sprechen verlangt?«

»Ja, Frau Gräfin.«

»Was wünschen Sie mir zu sagen?«

»Ein Geheimnis, welches fordert daß ich die Frau Gräfin bitte, Sie möge mir gestatten, mit ihr allein zu reden.«

Die Leute der vornehmen Welt sind misstrauisch. Diese seltsame Kleidung, diese ausgezeichnete Höflichkeit, all dieser wohlriechende Honig, der nicht von den Lippen eines Dragoners zu duften pflegt, aber von den Lippen von Banniére duftete, beunruhigten die Gräfin.

»Dieser Mensch ist kein Dragoner,« sagte sie; »er grüßt zu gut.«

Und sie machte mit dem Augenwinkel ihrer Kammerfrau ein Zeichen, welches sagen wollte:

»Bleiben Sie.«

Banniére, der mehrere Male die Kammerfrau angeschaut hatte, um ihr gleichsam gegen den Willen ihrer Gebieterin den Abschied zu geben, Banniére wartete auf ihren Abgang, und entschlossen, nicht ein Wort vor ihr zu sagen, keine Gebärde vor ihr zu machen, blieb er aus derselben Stelle, unbeweglich wie eine Grenzsäule, stumm wie ein Fisch.

Zum Verständnis gewisser Geheimnisse, welche solche zu sein aufhören, wenn man zu der Vergangenheit zurückgeht, darf man nicht vergessen, daß diese Geschichte beinahe gleichzeitig mit der Regentschaft ist, und daß die jungen uns schönen Frauen jener Zeit, das heißt, diese Königinnen der Liebe und des Vergnügens, wussten, wenn sie sich dessen erinnern wollten, wie oft und aus welche Art, um bis zu ihnen zu kommen, die Lauzun im vorigen Jahrhundert und die Richelieu in diesem sich verkleidet hatten.

Schlecht belehrt durch den gewöhnlichen Instinkt der Frauen, sah daher die Gräfin von Mailly in diesem stummen, so grotesk gekleideten Menschen einen Schmachtenden, der verwegener als die Andern, und sogar gewandter, folglich gefährlicher als diese, und fing an die Stirne zu falten. So hübsch sie war, sie wurde beinahe hässlich, so sehr tat das zu Viel von Tugend dem Gesicht Eintrag.

»Mein Herr,« sagte die Gräfin trocken, »wenn Sie gekommen sind, um ganz einfach und ohne etwas zu sprechen, vor mir zu stehen, so kehren Sie dahin zurück, woher Sie kommen, und belästigen Sie mich nicht zum zweiten Male.«

Das Wort »mein Herr« war mit einer Betonung gesprochen worden, welche den offenherzigsten Abschied enthielt, den ein Verführer bekommen konnte.

Banniére bekümmerte sich aber nicht im Geringsten um diesen Abschied:

Er verbeugte sich und erwiderte:

»Frau Gräfin, glauben Sie mir, ich bin ein Dragoner vom Regiment von Herrn von Mailly. Ich heiße Banniére, und Gott soll mich behüten, daß ich die Absicht habe, Sie zu beleidigen.«

»Dann sprechen Sie. Nicht wahr, Sie haben sich irgend eine Gnade von Herrn von Mailly zu erbitten, und durch mich hoffen Sie diese Gnade zu erlangen? Sprechen Sie also rasch und gerade heraus, wenn ich es verlange.«

»Frau Gräfin, ich wünschte nur zu wissen, wo ich Herrn von Mailly treffen kann.«

»Warum wollen Sie Herrn von Mailly treffen?« fragte die Gräfin.

Banniére hatte diese Frage nicht erwartet, die er doch erwarten musste.

Es fehlte ihm auch ganz an Einbildungskraft; statt irgend einen Vorwand zu erfinden, sagte er:

»Erlauben Sie mir, zu schweigen.«

»Wenn Sie den Herrn Grafen von Mailly in irgend einer Angelegenheit sprechen müssen, die Sie seiner Frau nicht sagen können, so hätten Sie nicht von seiner Frau seine Adresse verlangen sollen. Leben Sie wohl, mein Herr.«

Hier fehlte es Banniére nicht nur fortwährend an Einbildungskraft, sondern es fing sogar an ihm an Geist zu fehlen. Er spielte mit Frau von Mailly gerade so unglücklich, als er mit den Griechen gespielt hatte.

»Frau Gräfin!« rief er, »ich suche den Herrn Grafen von Mailly, weil er mir mein teuerstes Gut entführt hat.«

»Welches Gut hat Ihnen der Graf entführen können?«

»Eine Frau!«

Die Gräfin bebten

Banniére, ein naives, unwissendes Herz, bildete sich ein, er benehme dieser Frau allen Argwohn, wenn er Ihr eine solche Offenbarung mache. Er hatte geglaubt sie gegen ihren Gemahl stacheln heiße sie im Überfluss sprechen machen.

Banniére hatte aus die Grisette gerechnet und nicht aus die vornehme Dame.

»Welche Frau?« fragte die Gräfin.

»Mademoiselle Olympia! mein Leben, meine Seele!«

Die Gräfin schauerte bei dem Feuer, das aus den Augen von Banniére sprang.

Die Zofe aber gestand sich sehr offenherzig, wenn sie Mademoiselle Olympia geheißen hätte, so würde ihr Banniére nicht nachzulaufen gehabt haben.

»Wer ist Mademoiselle Olympia?« fragte die Gräfin entschlossen, Alles zu erfahren und von der Offenbarung das zu nehmen, was ihr zusagen würde, und das Übrige zu lassen.

»Eine Schauspielerin, Frau Gräfin.«

Frau von Mailly zuckte die Achseln mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke von Verachtung; dann sagte sie in einem Tone, den der geschickteste Erforscher der Frauen nicht nach seinem wahren Schlüssel hätte dechiffrieren können:

»Sie sind ein Narr oder ein Lügner.«

»Narr! Lügner!« rief Banniére erstaunt.

«Ei! allerdings, mein Herr, denn ist man kein Narr, so macht man keine solche Mitteilungen einer Frau über ihren Gatten, wenn sie wahr sind, und wenn sie falsch sind, nun, dann ist man, wie ich Ihnen sagte, ein Lügner.«

»Oh! Sie haben Recht, Frau Gräfin,« erwiderte Banniére, »ich bin ein Liebesnarr.«

Die Gräfin schaute Banniére aus dem Augenwinkel an, zuckte zum zweiten Male die Achseln und kehrte nach ihrem Schlafzimmer zurück.

Banniére stürzte ihr nach.

Die Gräfin blieb aus der Thürschwelle stehen und drehte den Kopf, um Banniére über ihre Schulter anzuschauen.

»Ah!« machte sie trocken mit jenem vereisenden Blicke, der im Stande ist, alle magnetische Strömungen zu brechen, welche vom Zenith bis zum Nadir beben.

Durch die Verzweiflung an seinen Platz gefesselt, fühlte Banniére einen wachsenden Impuls, der ihn hinausschob: es war die, Zofe, welche mit ihren kleinen Händen tat, was sie konnte, um ihn aus dem Zimmer zu ziehen, wo er eine so große Tölpelei begangen hatte.

Banniére ließ sie gewähren.

Die Zofe war ebenso mitleidig, als ihre Gebieterin grausam gewesen: sobald sie an die Thür gekommen, sagte sie auch zu Banniére in Form eines Trostes:

»Hören Sie, die Frau Gräfin glaubte Ihnen nicht, weil sie ein steinernes Herz hat, aber ich glaube Ihnen und beklage Sie.«

Banniére antwortete nicht, er verließ das Hotel ganz betäubt, ohne etwas Anderes mehr vor sich in dieser Welt zu sehen, als den Abgrund, in den sein Glück gefallen war.

Der Magen funktionierte nicht mehr, das undankbare Organ verdaute, und während es verdaute, vergaß es.

Es wäre schwierig, selbst für eine beredtere Feder, als die unsere, die Lage zu beschreiben, in der sich der unglückliche Banniére nach dieser Szene befand.

Seine Hoffnung mehr, nicht, Herrn von Mailly auf irgend eine Anzeige wieder zu erwischen: nichts war im Gegenteil leichter, als dies: man brauchte nur vor der Thür seines Hotels zu warten; er würde, bei Gott! wohl eines Tags dahin zurückkommen; aber Herr von Mailly wiederfinden hieß noch nicht Olympia wiederfinden, und Olympia nicht wiederfinden, das war, Banniére fühlte es, der Tod.

Das Schlimmste bei der Lage der Dinge war, daß Banniére sich, je mehr er sich in Reflexionen versenkte, desto mehr auch in die Verzweiflung versenkte. Kein Geld mehr, folglich auch keine Mittel mehr.

Banniére geriet in. eine Art von Niedergeschlagenheit, welche um so tiefer, je lebhafter seine Freude gewesen war.

Dann zuckte plötzlich etwas wie ein Blitz über sein Gesicht; doch dieser Blitz war mehr düster, als heiter.

»Ich habe meinen Diamant,« sagte er; »dieser Diamant ist wenigstens dreihundert Pistolen wert. Man wird mir hundert darauf leihen. Ich werde mir eine Verschreibung in guter Form, eine Eigentumsurkunde in Gegenwart des Notars, kurz etwas Solides, Unbestreitbares machen lassen. Mit dem Gelde werde ich Olympia wiederfinden, und dann führe ich sie zum Notar und zeige ihr den Diamant, wenn ich bis dahin nicht das Mittel gefunden Habe, ihn auszulösen.«

 

Dann, plötzlich sich eines Andern besinnend, rief er:

»Oh! meinen Diamant gefährden, den einzigen Beweis gefährden, den ich von meiner Liebe, von meiner unbeschränkten Ergebenheit gegen den Willen meiner Geliebten habe! diesen Diamant anderen Händen, als den meinigen überlassen! Ich war verrückt, daß ich einen solchen Gedanken hatte. Kann Einer, der aus Pfänder leiht, nicht Bankrott machen und durchgehen? .Kann ein Jude nicht verhaftet, eingezogen, eingekerkert werden? Kann man einem Notar nicht sein Haus anzünden, ihn bestehlen? Kann er sich nicht selbst aus dem Staube machen? Ah! das hat man gesehen, und wir haben aus den Galeeren Seiner Majestät in Toulon und in Brest Notare, welche in Paris sehr bekannt sind, Überdies müsste ich vor einem Notar Namen, Vornamen und Eigenschaften sagen: Joseph Banniére, entwichen aus dem Jesuiten-Kloster in Avignon, Deserteur aus der Kaserne der Dragoner in Lyon. Das ist unmöglich! Wäre es aber auch möglich, so würde es doch nicht geschehen. Ich habe meinen Diamant wiedererobert; mein Diamant wird mich nicht mehr verlassen.«

Und er presste verliebt an seine Lippen diesen Diamant, den er von Olympia hatte, und suchte aus der kalten Oberfläche die Wärme der Küsse, die sie einst daraus gedrückt.

Der Gedanke, diesen Diamant, und wäre es auch nur aus einen Monat, nur aus einen Tag, nur aus eine Stunde, zu veräußern, erregte einen solchen Abscheu in ihm, daß er sich in Erinnerung an seine guten klösterlichen Gewohnheiten an die Brust schlug.

Der Berkanrock erhielt abermals diesen Schlag. Er war sehr dünn, der arme Rock; er wusste, wie ein Wickelzeug, alle Formen anzunehmen. Unter dem Faustschlage aber, mit dem ihn Banniére beschenkte, nahm er eine Widerstandshaltung an; der durchsichtige Stoff machte sich zum Brustharnisch aus der Stelle des Herzens.

Banniére fühlte eine Dicke im Futter. Man verzeihe, wir veranlassen das Publikum zu einem Irrtum, indem wir sagen das Futter: der Rock hatte keines. Berichtigen wir das Factum: Banniére fühlte ein Futter in dieser Quasidicke.

Er schaute, nicht nur von Erstaunen, sondern von einer gewissen Achtung ergriffen; er schaute und sah an der Stelle des Herzens hinter dem Stoffe dieses Rockes etwas wie ein Viereck von weißer Leinwand, jenen Ausbesserungsstücken ähnlich, welche dazu dienen, die von einer erfahrenen Nadel behandelten Risse zu konsolidieren.

»Das ist ein schlecht angebrachtes Stück, '' sagte er; »sollte mich die Trödlerin betrogen haben?«

Und er störte mit den Fingern.

»Aber es ist eine Dicke da,« fügte er bei. »Wir wollen sehen.«

Indem er diese Dicke mit einem gierigen Finger trennte, fand er in der Tat in dem Viereck von Leinwand eine Art von Säckchen, gemacht aus einem Bande von grünem Atlaß und einem Bande von rosa Atlaß, Alles in sehr schlechtem Zustand, sehr abgenutzt, sehr entfärbt, sehr welk; auf den rosa Atlaß war aber eine plumpe Figur des heiligen Julian, mit den Worten: 0ra pro nobis, gestickt.

»Ein Scapulier!« rief Banniére; »der Rock ist also bezaubert. Sollte es zufällig das Scapulier gemacht haben, daß ich einen Thaler in diesem Rocke fand? Das ist nicht wahrscheinlich, wenn nicht der heilige Julian, der Patron der Reisenden, den Berkan dergestalt begünstigt, daß er ihn jeden Morgen mit einem Sechs, Livres-Thaler spickt. Wir wollen im Scapulier sehen.

»Leer! oh! sehr leer! Die reine und einfache von allen Zierraten entblößte Religion.«

Am Scapulier hingen zwei seidene Schnürchen. Die Bestimmung dieses Scapuliers war offenbar, vom Halse auf die Brust zu hängen.

Banniére hing, dem zu Folge, frommer Weise das Scapulier an seinen Hals, und den heiligen Julian anrufend, unter dessen Schutz er sich fortan gestellt sah, wählte er die erste Straße, die er fand, ohne zu wissen, wohin diese Straße führte.

Das ging ihn fortan nichts mehr an: das war die Sache des heiligen Julian.

Kaum hatte er hundert Schritte gemacht, als er viele Leute an einer Straßenecke stehen sah.

Da Banniére nichts drängte, so näherte er sich diesen Leuten, um zu schauen, was sie da machten.

Sie lasen einen Theaterzettel.

Banniére stieß einen schweren Seufzer aus: er erinnerte sich der Zeit, wo er, ganz der Kunst und seiner Liebe hingegeben, den Herodes mit Olympia spielte und sodann mit seiner wiedererweckten Marianna zu Nacht speist.

Was spielte man in Paris In dieser Comédie Francaise, von der Banniére so viel hatte reden hören?

Er erhob sich aus den Fußspitzen, um über dem Kopf der Leute zu lesen, welche vor ihm waren. Plötzlich gab er einen Schrei von sich.

Der Theaterzettel bezeichnete mit großen Buchstaben den Namen von Olympia, deren Debüts für denselben Abend in der Comédie-Francaise angekündigt waren.

XLIII
Der Mensch denkt, Gott lenkt

Die Blendung, welche über die Augen von Banniére hinzog, war so schwindelartig, daß er ohne den Widerstand, den ihm der Rücken des Liebhabers bot, über dessen Kopf er gelesen, mit der Nase gerade aus den Zettel gefallen wäre.

Als er sich von seiner Betäubung erholt hatte, las Banniére wieder und wieder, und da er sah, daß er sich nicht getäuscht, daß Olympia wirklich und zwar an demselben Abend debütierte, wäre er vor Freude beinahe gestorben.

Das Resultat der Entdeckung, welche Banniére gemacht, war ungeheuer.

Einmal war Olympia wiedergefunden, sodann war Olympia frei, in Betracht, daß eine Frau, die sich mit dem Theater beschäftigt, weder eingeschlossen sein kann, noch will, da die Arbeit der Proben fortwährend zu Ausgängen Anlass gibt, woraus hervorgeht, daß nur derjenige eine Schauspielerin nicht steht, welcher sie nicht sehen will, oder nicht in der Gegend eines Theaters zu lauern weiß.

Banniére lief geraden Weges nach der Comédie-Francaise; das war ein Mittel, nicht an das Mittagsessen zu denken, und in der wenig glücklichen Lage, in der er sich befand, war es auch das Beste, was er tun konnte.

Übrigens sah er, mochte es nun in Paris viele so neugierige oder so geldlose Leute, wie er, geben, die Menge schon vor der Thür versammelt. Mit den Theatergewohnheiten vertraut, ging Banniére längs der Queue hin, ohne daran Platz zu nehmen, begab sich zum Portier des Theaters und fragte ihn nach der Adresse von Mademoiselle Olympia,

Da entdeckte Banniére etwas, was er nicht vermuthete, nämlich, daß in Paris die Portiers der vornehmen Herren noch mehr taugten, als die Theater-Portiers: die Erfahrung war traurig; aber beinahe nie lernt man etwas Neues, ohne daß einen diese Eroberung der Wissenschaft eine Hoffnung oder eine Illusion kostet.

Banniére wurde noch barscher abgewiesen, als es ihm je widerfahren, denn er bekam in das volle Gesicht eine so heftig zugeschlagene Thür, daß er daraus verzichten musste, sich hier zu erkundigen.

Hatte Herr von Mailly Olympia dem Schweizer empfohlen, oder hatte sich Olympia selbst empfohlen? Sie war wohl hierzu fähig.

Banniére ging hinaus und las den Zettel abermals.

Aus dem Zettel stand mit großen Buchstaben:

Auf Befehl
B r i t a n n i c u s, Trauerspiel von Racine
Mademoiselle Olympia wird in der Rolle von Junia
debütieren

»Auf Befehl!« las Banniére noch einmal, und als er es noch einmal gelesen hatte, wiederholte er es.

»Aus Befehl! was bedeutet dieses aus Befehl?« fragte sich Banniére. »Läßt zufällig der König meine Geliebte debütieren? Das ist möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich.

»Hat Herr von Mailly Olympia wieder zum Theater gebracht? Das ist nicht die Sache eines Verliebten, und wenn es die Sache eines Verliebten ist, so ist es nicht die eines Eifersüchtigen.«

Banniére begriff, er würde in einem ewigen Zweifel schweben, wenn er sich aus seine eigenen Eingebungen beschränkte. Dem zu Folge erkundigte er sich bei einem von den Müßiggängern, dessen Gesicht ihm weniger widerwärtig vorkam, als das des Portier der Comédie.

»Mein Herr,« sagte er zu Ihm, »könnten Sie mir wohl die Ursache dieser Feierlichkeit erklären?«

»Allerdings.«

»Sie werden mir damit einen Gefallen erweisen.«

»Mein Herr,« erwiderte der Müßiggänger, »Sie wissen, daß unser kleiner König krank gewesen ist.«

»Gewiss, mein Herr, und zwar sehr gefährlich. Es ist mir nicht unbekannt, und zum Beweise mag dienen, daß ich, wie alle gute Franzosen, eine Wachskerze für seine Wiedergenesung habe verbrennen lassen.«

»Ah! sehr gut, mein Herr.«

»Mein Herr, ich habe nur meine Pflicht gethan; doch um aus diese Vorstellung zurückzukommen, wenn es Ihnen beliebt . . .«

»Nun, mein Herr, es geht besser beim König, und diesen Abend wohnt er der Vorstellung seiner Schauspieler bei. Es ist das erste Mal, daß er seit seiner Krankheit das Theater besucht. Sie begreifen, wie man herbeiströmen wird, um ihn zu sehen und ihn mit Applaus zu empfangen, besonders da die Gegenwart des Königs mit einem wichtigen Debüt zusammentrifft.«

»Ja, mit dem von Mademoiselle Olympia; ich sehe das aus dem Theaterzettel. Kennen Sie diese Demoiselle Olympia, mein Herr?«

»Nein, nicht persönlich. Ich bin Tuchhändler in der Rue Tiquetonne, mein Herr, und habe nie mit dergleichen Frauen Umgang.«

»Haben Sie aber nichts von der Demoiselle Olympia sagen hören?«

»Ich hörte sagen, sie komme von Lyon, wo sie sehr großen Succeß gehabt habe, und sie werde in Paris einen noch viel größeren Succeß haben. Da ich sehr neugierig bin, diese Komödiantin zu sehen, mein Herr, so will ich mich auch mit Ihrer Erlaubnis an die Queue stellen.«

»Ich begreife Ihre Neugierde so wohl, daß ich mich ebenfalls an die Queue stellen will,« sagte Banniére. Und ohne sehr tief darüber nachzudenken, daß er keinen Pfennig in seiner Tasche hatte, beeilte sich Banniére, mitten unter den Gruppen Platz zu nehmen und zur Bildung von einem der Wirbelbeine des Tieres mit dem beweglichen Rückgrat beizutragen, welches man das Publikum nennt, und dessen Kreuz, wie das des von Theseus heraufbeschworenen Ungeheuers bald sich in Krümmungen umbiegt, bald sich als endlose Schlange ausstreckt, bald, leider zu oft! den Blicken nur drei bis vier äußerst magere Ringe bietet.

An diesem Tage war es Python mit Supplementen. Sobald Banniére in die Wirbelbeine eingefügt war, dachte er ernster, als er es bis dahin gethan, an seine Armuth, welche zum Elend geworden. Doch er machte sich ein Raisonnement ungefähr folgenden Inhalts:

»Nicht Jedermann wird eintreten können; man wird sich schlagen, und zwar viel; im Gemenge wird es gute Stöße für die Gardes-fransaises und für den widerwärtigen Portier geben, dem ich seine Hellebarde bei der ersten Gelegenheit, die sich bietet, auf dem Rücken zu zerschlagen gelobe, und diese erste Gelegenheit wird hoffentlich nicht lange aus sich warten lassen. Überdies wird daraus hervorgehen, daß viele Dummköpfe nicht in den Saal mit ihrem Gelde eindringen können, daß aber die gewandten und wenig an der Erhaltung ihres Berkans hängenden Leute, wie ich zum Beispiel, umsonst mit der Gewalt ihrer Faust hinein kommen und bewunderungswürdig im Parterre sitzen werden.«

Dieses Raisonnement, unser Leser wird es zugestehen müssen, entbehrte nicht ganz der Logik für einen fastenden und verliebten Menschen.

Hätte Banniére bei diesem Verhältnisse ein anderes gemacht, so würde er allen seinen praktischen und theoretischen Kenntnissen im Theaterwesen Abbruch gethan haben; er hätte, besonders die allmächtige Vermittlung des großen heiligen Julian, dessen Scapulier er aus seiner Brust trug, benachteiligt.

Und während dieser Zeit begann vor Banniére und dem Müßiggänger, mit dem er die von uns mitgetheilte interessante Unterredung gehabt hatte, die Menge, ein Sturmbock mit bewaffnetem Kopfe, an die Thür der Comédie, Francaise zu klopfen, welche nur gesprengt sein wollten. Sie wurden es auch, sobald die Bureaux geöffnet waren.

Fünf Minuten ging Alles gut, doch nach Verlauf von fünf Minuten begannen der Eifer und eine Anzahl von Räsonnements dem, welches sich Banniére gemacht, ähnlich, einen Einfluss auf die bis dahin erhaltene allgemeine Eintrittsordnung zu üben. Mit unsäglichem Glück sah Banniére, wie zehn Schritte vor ihm die Faustschläge auf eine Art ausgetauscht zu werden anfingen, welche regelmäßig genug, daß man hoffen konnte, sie werde lange dauern.

Banniére wurde hier, wie immer, durch seinen schönen Wuchs unterstützt, und durch seinen schönen Wuchs sah er die Hüte fliegen und in wenig senkrechter Haltungen die Flinten der Schützen glänzen, welche, von diesem Sturme bedrängt, sich bogen, wie es die armen Weiden während der heftigen Herbst- und Frühlingswinde tun.

 

Noch etwa zehn Minuten Kampf von Seiten der Vorhut, ein ebenso langes Warten von Seiten des Zentrums, zu dem Banniére gehörte, und Banniére siegte sicherlich.

Die zehn Minuten vergingen. Es kam sogar viel besser, als Banniére erwartete. Der Sturm wurde zur Wettersäule, und die Gardes-fransaises verschwanden, wie von einem Wirbel fortgetragene Strohhalme.

Es handelte sich nur noch darum, vorwärts zu drücken und einzutreten. Man brauchte zu diesem Ende nicht einmal etwas aus den Schultern des Portier zu zerschlagen.

Doch unser Leser hat, wie wir, Eines bemerken müssen, nämlich, daß die Ideen in der Lust sind, wo sie wandern wie Scharen von Vögeln. Daraus folgt, daß, wenn ein Mensch eine gute Idee hat, und natürlich diese Idee ganz allein zu haben glaubt, daß er diese Idee von einem Andern in dem Augenblick ausführen sieht, wo er sie selbst ausführen will.

Durch den Streit, der sich an der Thür entsponnen, und in welchem die bewaffnete Macht unterlegen war, waren mehr als vierzig Personen, welche vor Banniére und seinem Müßiggänger den Vorzug hatten, daß sie sich vor ihnen an die Queue gestellt, waren mehr als vierzig Personen, sagen wir, unter das Vestibül gelangt, ohne daß sie die Hand in den Geldbeutel zu stecken nötig gehabt hatten.

Es kam die Reihe an Banniére; Banniére berechnete, in einer Minute, in einer Sekunde wäre er auch unter dem beseligenden Vestibule; schon nahm er seinen Anlauf, um die zwei letzten Linien niederzuwerfen, welche ihn noch vom Eingang trennten, als plötzlich diese zwei Linien, zögernd und anhaltend, wie die bekannte Colonne von Fontenoy beim Angriffe von Richelieu, sich auf Banniére zurückwarfen und ihn bis in die Gosse drängten.

Banniére bemerkte jetzt erst, daß der zum Voraus in seiner Einbildungskraft geschlagene Portier Mannschaft holen gegangen war und gefunden hatte, daß die überwundenen Schützen sich vermehrt hatten, wie die Soldaten unter den Zähnen des Drachen von Kadmos, daß sich die Gardes-fransaises nicht durch eine erste Niederlage für geschlagen gehalten, und daß an der Stelle der verkrümmten und zerstreuten Bajonette eine Verstärkung von sehr entschiedenen, sehr geraden und sehr zahlreichen Bajonetten die der Ordnung zuwider handelnden Zuschauer hinausgetrieben hatte, und in guter Haltung vorrückte, um die anderen zu discipliniren. Diese Schlappe vermochte einen Kämpfenden nicht zu entmutigen, der beim Kampfe so sehr interessiert und folglich so sehr erbittert, wie es Banniére war. Ein Entschluss wie der seinige capitulirt nicht vor einer mehr oder minder großen Anzahl von Eisenstücken.

Banniére blieb auch beharrlich, und statt zurückzuweichen, wie die meisten Anwesenden, verdoppelte er seine Energie und wurde vom Soldaten Obergeneral einer Menge von Meuterern, welche aus vollem Halse: »Es lebe dir König!« schrien und die Thüren und Schranken des Theaters zu erstürmen trachteten.

Das von Banniére gegebene gute Beispiel ermutigte die übrigen Flüchtlinge, sie kehrten um, als sie sahen, daß das Treffen nicht ganz verloren war, verbanden sich, ihrem neuen General folgend, mit diesem und machten ein Loch durch die Schützen und die Polizeiagenten, immer unter dem Geschrei: »Es lebe der König!« eine sinnreiche Taktik, mittelst welcher die Ruhestörer nur die Schranken zu zerbrechen, die Thüren einzustoßen und die Garden niederzuschlagen schienen, um ihren Eifer und ihre Liebe für Seine Majestät König Ludwig XV. zu bezeigen, den man damals noch den Viel geliebten nannte.

Man kann sich leicht denken, daß der Berkan von Banniére, der sich am Orte der Gefahr befand, nicht geschont wurde.

Dieser Berkan war indessen von einer unbändigen Hartnäckigkeit; er war für sich allein so viel wert, als eine ganze Armee. Was er an einem Tage an Mut, an Zorn, an Ergebenheit entwickelte, hätte genügt, die Römer der drei Schlachten bei Trebiä, beim Trasimenus und bei Cannä gewinnen zu machen.

Die Anzahl trug den Sieg davon. Ein Dutzend Schützen opferte sich und griff mit aller Macht den mutigen Mann an, der würdig gewesen wäre, schwächer angegriffen zu werden.

Dann, und das war ein schmerzliches Schauspiel für diejenigen, welche den wahren Mut zu schätzen wussten, dann sah man in Fetzen unter ihren wütenden Händen den Berkan fliegen, der bis dahin so gewaltigen Schlachten entkommen war.

Banniére, welcher, Allem zum Trotze, auch und wie diejenigen, nach deren Los er so sehr trachtete, in das Vestibül des Theaters eingedrungen war, Banniére, als er sah, man würde ihn vierteilen, führe er fort, seine Füße und seine Hände durch die reichliche Austeilung von Schlägen preiszugeben, die er nach rechts und nach links, nach vorne und nach hinten regnen ließ. Banniére klammerte sich, als hätte er sie aufheben wollen, mit den Füßen und den Händen an eine innere Säule an, und es begann dann unter dem Vestibül ein Schauspiel, das sicherlich interessanter als das, welches die Liebhaber der gesunden Literatur im Saale hatten suchen wollen.

Er schrie: »Es lebe der König!« mit einer solchen Stärke, daß sich sein Geschrei in ein Brüllen verwandelte. Er umklammerte den Stein mit einer solchen Kraft, daß die Schützen daraus verzichteten, ihn zum Loslassen der Säule zu nötigen. Man hätte glauben sollen, er sei einer von den Bildhauern des Mittelalters, wie sie die Baumeister von Straßburg und von Cöln an den riesigen Pfeilern ihrer Cathedralen befestigten.

Ach! warum können solche Beispiele von Mut und Aufopferung, ähnlich den von Kynägiros bei Marathon, nicht fliegen, um der Nachwelt das süße und befriedigende Schauspiel der belohnten Tugend zu hinterlassen?

Doch es geschah nicht so. Ein Commissär erschien, erkundigte sich, untersuchte, schaute, und statt sich dem Gefühle allgemeiner Bewunderung anzuschließen, welches wie mit einer Glorie die schöne Vertheidigung von Banniére umgab, erteilte er mit einer kreischenden Stimme genaue und klare Befehle, welche ungefähr also lauteten:

»Schützen! nehmt diesen Menschen weg und führt ihn mir vor.«

Banniére, der dem Gesetze nicht Trotz bieten wollte, ließ mit seinen Füßen vom Steine, spannte die Federn seiner krampfhaft um die Säule geklammerten Finger ab und fiel wehrlos unter seine Verfolger, wie eine Eiche, welche, schon durch einen Sturm entwurzelt, sich unter einem Hauche beugt und fällt.

Der Commissär hatte sich schon in seine Höhle zurückgezogen. Die Schützen führten ihn dahin, indem ihn die Einen bei den Faustgelenken festhielten, während ihn Ändere energisch von hinten schoben. Banniére kannte diese Taktik; es war die, welcher man sich schon bedient hatte, um ihn vom Hause von Olympia in das Gefängnis von Lyon zu führen.

Durch die Erfahrung klug geworden, seiner ersten Verhaftung sich erinnernd, zog Banniére unter dem Vorwand, gewisse Stücke seiner Kleidung, welche ungeheuer gelitten hatten, wieder zurecht zumachen, seinen Diamant von seinem Finger und schob ihn ganz sachte in seinen Mund.

Man wird bemerken, daß unter den verdrießlichen Umständen seines Lebens dieser Diamant das war, was Banniére am meisten in Anspruch nahm.

Die Sache wurde zur Zufriedenheit des Gefangenen ausgeführt, und Niemand bemerkte die für ihn so wichtige Bewegung.

Man führte also Banniére, immer stoßend und schiebend, dem Commissär vor.

Der Commissär setzte alle Blitze seines Zornes in Bereitschaft, um Banniére zu verhören.

Als die Inszenierung beendigt war, begann das Verhör.

Banniére hörte ruhig die Fragen an, die man an ihn machte. Banniére hatte aber seinen Diamant in seinem Munde; er befürchtete, wenn er ihn zwischen die Zähne und die Wange schöbe, könnte der Diamant eine Vorragung bilden und sich selbst verraten; er behielt ihn also mitten am Gaumen aus der Zunge, das heißt, er blieb stumm: denn es ist rein unmöglich, mit einem Diamant aus der Zunge zu reden. Was, wie man sieht, ganz und gar den Fabeln widerspricht, In welchen man Perlen und Gold bei jedem Worte entschlüpfen lässt. Homer, indem er den alten Nestor sprechen macht, erwähnt nur des Honigs, der von den Lippen des Königs von Pylos floß, und überlässt Hesiod, der minder streng als er in philosophischen Materiell, die goldenen Dinge, welche aus dem Munde der Beredsamkeit kommen.