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La San Felice

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Viertes Capitel.
Die Apotheose

Als Luisa wieder zu sich kam, sah sie sich in einer Art Café, welches die Ecke der Strada del Malo und der Calata San Marco bildet.

Hierher hatte Michele sie durch die Menge hindurchgetragen, welche sich an der Thür angesammelt und nun bemüht war, durch die geschlossenen Fenster und die offenstehenden Thüren hineinzuschauen.

Diese Menschenmasse wiederholte die Worte des Gefangenen und sagte, indem sie mit dem Finger auf Luisa zeigte:

»Sie ist es, die sie verrathen hat.«

Als Luisa die Augen wieder aufschlug, hatte sie anfangs Alles wieder vergessen. Allmälig aber, als sie sich umschaute, als sie sah, wo sie war und die um das Haus herum versammelte Menge erblickte, fiel ihr Alles wieder ein, was geschehen war. Sie stieß einen lauten Schrei aus und bedeckte sich das Gesicht mit den Händen.

»Einen Wagen, im Namen des Himmels, mein lieber Michele, schaffe einen Wagen, damit ich nach Hause zurückkehren kann.«

Luisa‘s Wunsch war nicht schwer zu erfüllen. Es gab damals ebenso wie noch heute zwischen dem Theater San Carlo und dem Theater Fondo einen Droschkenplatz zur Bequemlichkeit der Kunstfreunde, welche zu jener Zeit der Darstellung der Meisterwerke eines Cimarosa und Paesiello beiwohnten und welche gegenwärtig die Opera eines Bellini, eines Rossini oder Verdi besuchen.

Michele ging hinaus, rief einen geschlossenen Wagen herbei, ließ ihn dicht an die auf die Strada del Molo gehende Thür heranfahren, Luisa mitten unter dem Beifallsgeschrei oder Murren der Zuschauer, welche, jenachdem sie Patrioten oder Bourbonisten waren, ihr wegen ihres angeblichen Verraths Dank wußten oder grollten, hineinsteigen, folgte ihr selbst nach und schloß den Schlag, indem er dem Kutscher zurief:

»Nach Mergellina!«

Die Menge theilte sich, der Wagen fuhr fort, passirte den Largo Castello, bog dann in die Strada Chiaja ein und machte nach Verlauf einer Viertelstunde an dem Palmbaumhause Halt.

Michele riß kräftig an der Klingel. Giovannina kam, um zu öffnen.

Ihren Mund umspielte jener schadenfrohe Ausdruck böswilliger Diener, welche eine schlimme Nachricht mitzutheilen haben.

»Na,« sagte sie, zuerst das Wort ergreifend, »es sind in Ihrer Abwesenheit schöne Dinge hier vorgegangen, Signora.«

»Hier?« fragte Luisa.

»Ja hier, Signora.«

»Hier? Meinst Du im Hause oder überhaupt in Neapel?«

»Ich meine hier im Hause.«

»Was ist denn geschehen?«

»Sie hätten mir für den Fall, daß man mich über Signor André Backer befragte, sagen sollen, was ich antworten sollte, Signora.«

»Wie, man hat Dich über Signor Adré Backer befragt?«

»Das wollte ich meinen! Man kam hierher, nahm mich fest, führte mich auf die Polizei und drohte mir mit Gefängniß, wenn ich nicht sogleich sagte, wer in der vergangenen Nacht bei Ihnen gewesen wäre, Signora. Daß Jemand dagewesen war, wußte man, aber nur nicht wer.«

»Und Du hast Signor Backer genannt?«

»Ich mußte wohl. Ins Gefängniß zu spazieren, verspürte ich durchaus keine Lust und meinetwegen war Signor Backer nicht hier.«

»Unglückliche, was hast Du gethan!« rief Luisa, indem sie auf einen Stuhl niedersank und sich das Gesicht mit den Händen bedeckte.

»Was wollen Sie? Ich fürchtete, wenn ich läugnete, trotz meines Läugnens überführt zu werden. Die bösen Zungen würden übrigens, wenn ich Signor Backer‘s Besuch bei Ihnen hätte verhehlen wollen, sofort behauptet— haben, Signor Backer wäre Ihr Geliebter, gerade so wie man von Signor Salvato zu sagen anfängt.«

»O Giovannina!« rief Michele.

Luisa erhob sich, betrachtete die Dienerin mit dem Ausdruck des Erstaunens und des Vorwurfes und sagte dann in sanftem, aber festem Tone:

»Giovannina, ich weiß nicht, welchen Grund Du hast, meine Güte durch so schwarze Undankbarkeit zu vergelten. Morgen verlässest Du mein Haus.«

»Ganz wie Ihnen beliebt, Signora,« antwortete Giovannina keck.

Und sie verließ das Zimmer, ohne sich auch nur umzusehen.

Luisa fühlte wie ihr die Thränen in die Augen traten. Sie reichte Michele die Hand und dieser kniete vor ihr nieder.

»O Michele, mein theurer Michele!« murmelte sie, in Schluchzen ausbrechend.

Michele ergriff ihre Hand und küßte dieselbe. Er war um so tiefer erschüttert, als er in seinem innersten Herzen fühlte, daß all dieses Unheil durch ihn angestiftet worden.

»Das ist ein schlimmer Abend nach einem so schönen Tage,« sagte er. »Armes Schwesterchen! Als Du von Pästum zurückkamst warst Du so glücklich.«

»Ja, ich war glücklich« überglücklich!« murmelte Luisa; »ich weiß aber nicht, welche Stimme mir in’s Ohr flüstert daß mein schönstes und ganz besonders mein reinstes Glück vorüber ist. O Michele, Michele, wie schrecklich war das, was diese Wahnsinnige sagte!«

»Ja« damit sie aber nicht auch Anderen sage, was sie soeben zu Dir gesagt, darfst Du sie nicht fortschicken. Bedenke, daß sie Alles weiß – die versuchte Ermordung Salvato‘s, das Asyl, welches wir ihm gegeben, seinen Aufenthalt im Hause, deinen vertrauten Verkehr mit ihm. Mein Gott, ich für meine Person weiß wohl, daß all diesem nichts Böses zu Grunde liegt. Die Welt dagegen wird viel Böses darin sehen, und wenn Giovannina, anstatt daß sie, wenn sie bei Dir bleibt, ein Interesse daran hat, zu schweigen, es vielmehr, wäre es auch nur aus Rache —, in ihrem Interesse findet, zu sprechen, so wird dein guter Ruf dadurch leiden.«

»Wäre es auch nur aus Rache, sagst Du? Und warum sollte Giovannina sich an mir rächen? Ich habe ihr ja niemals etwas Anderes als Gutes erzeigt.«

»Ein schöner Grund! Es gibt verderbte Gemüther, Schwesterchen, welche, je mehr man ihnen Wohlthaten erzeigt, desto falscher und undankbarer werden. Schon seit einiger Zeit habe ich zu bemerken geglaubt, daß, Giovannina zu dieser Classe gehört. Hast Du selbst nichts davon wahrgenommen?«

Luise betrachtete Michele. Allerdings hatte die Widersetzlichkeit ihrer Dienerin sie seit einiger Zeit mehr als einmal befremdet. Sie hatte sich selbst befragt, was wohl die Ursache dieser Veränderung in Giovanninas Charakter sein könne, aber sich keine Rechenschaft davon zu geben vermocht. Es war möglich, daß sie sich getäuscht hatte; von dem Augenblick an aber, wo Michele diese schlimme Gesinnung der Zofe ebenfalls erkannte, war diese schlimme Gesinnung sicherlich auch vorhanden.

Plötzlich kam ihr ein Gedanke ein. Sie warf einen unruhigen Blick ringsherum und sagte:

»Sieh einmal nach, Michele, ob man uns nicht belauscht.«

Michele näherte sich der Thür, ohne jedoch das Geräusch seiner Tritte zu dämpfen zu versuchen, so daß indem Augenblick, wo Luisas Zimmerthür sich öffnete, die von Ninas Zimmer sich schloß.

Hatte Nina gehorcht, oder war das gleichzeitige Oeffnen der einen und das Schließen der andern Thür blos eine Wirkung des Zufalls ?

Michele schloß die Thür wieder, schob den Riegel vor, nahm wieder seinen Platz zu Luisas Füßen ein und sagte:

»Du kannst sprechen. Ich will nicht sagen: Es hat uns Niemand behorcht, wohl aber kann ich sagen: Es behorcht uns Niemand mehr.«

»Wohlan,« sagte Luisa in gedämpftem Tone und indem sie sich ans Michele herabneigte, »es ist Zweierlei, was mich in meinem Argwohn bestätigt. Als in der vergangenen Nacht der arme André Backer mich besuchte, wußte er ganz genau, was zwischen Salvato und mir geschehen ist. Heute Morgen, während ich in Salerno mit Salvato sprach, traf ein anonymer Brief ein, in welchem Salvato benachrichtigt ward, daß ein junger Mann mich in der vergangenen Nacht um zwei Uhr Morgens in meiner Wohnung erwartet und erst um drei Uhr, nachdem er eine Stunde bei mir zugebracht, mein Haus verlassen habe. Von wem kommen diese Denunciationen, wenn nicht von Giovannina, frage ich?«

»Managgia la Madonna!« murmelte Michele, »das ist eine ernsthafte Geschichte Nichtsdestoweniger aber sage ich: In dem gegenwärtigen Augenblick, und wenn Da nicht völlige Gewißheit hast, mache kein Aufsehen. Ich wurde Dir gern einen andern Rath geben, aber Du würdest ihn nicht befolgen.«

»Welchen ?«

»Ich würde sagen: Begib Dich zu deinem Gemahl, dem Chevalier, nach Palermo. Dadurch wirst Du alle schlimmen Gerüchte ans einmal abschneiden.«

Eine lebhafte Röthe überzog Luisa’s Wangen. Sie ließ den Kopf auf die Hände niedersinken und entgegnete mit halberstickter Stimme:

»Ach, dieser Rath ist gut, und kommt von einem Freunde.«

»Und, nun?«

»Gestern noch hätte ich ihn befolgen können, heute aber kann ich es nicht mehr.«

Und ein tiefer Seufzer entrang sich Luisa’s Herzen.

Michele sah Luisa an und verstand Alles. Die Traurigkeit Neapels bestätigte den Argwohn, welchen die Freude von Salerno in ihm erweckt.

In diesem Augenblicke hörte Luisa in dem Verbindungscorridor nahende Tritte. Dieselben suchten sich nicht zu verhehlen.

Luise richtete den Kopf empor und horchte mit unruhiger Miene. In der Lage, in welcher sie sich jetzt befand, war in der That Alles beunruhigend.

Es dauerte nicht lange, so ward an ihre Thür gepocht, und die Stimme der Herzogin Fusco fragte:

»Liebe Luisa, bist Du du da?«

»Ja wohl, ja wohl; komm herein!« rief Luisa.

Die Herzogin trat ein. Michele wollte aufstehen, Luisas Hand aber hielt ihn fest, wo er war.

»Was machst Du denn hier, meine schöne Luisa?« rief die Herzogin. »Du sitzest allein und beinahe im Finstern mit deinem Milchbruder hier, während man Dir bei mir einen Triumph bereitet.«

»Einen Triumph bei Dir, Theuere?« fragte Luisa ganz erstaunt. »Aus welchem Grunde denn?«

»Auf Grund dessen, was geschehen ist. Ist es denn nicht wahr, daß Du eine Verschwörung, welche uns Alle bedrohte, entdeckt und dadurch, daß Du dieselbe denuncirt, nicht blos uns Alle, sondern auch das Vaterland gerettet hast?«

»O, also auch Du, Amalie!« rief Luisa schluchzend, »auch Du hast mich einer solchen Nichtswürdigkeit schuldig glauben können.«

 

»Einer solchen Nichtswürdigkeit!« rief ihrerseits die Herzogin welche ihr glühender Patriotismus und ihr Haß gegen die Bourbons die Dinge in einem ganz andern Lichte erscheinen ließ, als dieselben Luisa erschienen. »Nichtswürdigkeit nennst Du eine That, welche eine Römerin zur Zeit der Republik für immer in der Geschichte berühmt gemacht hätte? Ach, warum warst Du nicht heute Abend bei uns, als jene Kunde eintraf! Du hättest dann die Begeisterung gesehen, welche dieselbe hervorrief. Monti improvisirte sofort Dir zu Ehren ein Gedicht. Cirillo und Pagano schlugen vor, Dir die Bürgerkrone zuzuerkennen. Cuoco, welcher die Geschichte unserer Revolution schreibt, behält sich vor, Dir eines der schönsten Blätter zu widmen. Cleonora Pimentel wird morgen in ihrem Moniteur die unvergeßliche Schuld verkünden, welche Neapel Dir gegenüber auf sich genommen. Die Frauen, die Herzogin von Pepoli riefen Dich, um Dich zu umarmen. Die Männer erwarteten Dich auf den Knien, um Dir die Hand zu küssen. Was mich betraf, so war ich stolz darauf, deine beste Freundin zu sein. Morgen wird Neapel sich nur mit Dir beschäftigen; Neapel wird Dir Altäre errichten, wie Athen der Göttin Minerva, der Beschützerin des Vaterlandes, errichtete.«

»Wehe! Wehe!« rief Luisa. »Ein einziger Tag ist hinreichend gewesen, um mir ein doppeltes Brandmal aufzudrücken. O siebenter Februar! Siebenter Februar! Tag des Entsetzens und des Unheils!«

Und beinahe sterbend sank sie rückwärts in die Arme der Herzogin Fusco, während Michele, jetzt erfüllt von Zweifel über die That, die er begangen, erfüllt von Reue, als er die, welche er mehr liebte als sein Leben, in diesem Zustande sah, sich mit feinen Nägeln die blutende Brust zerfleischte.

Am nächstfolgenden Tage, den 8. Februar 1799, las man in dem »Parthenopäischen Moniteur« einen großgedruckten Leitartikel, welcher folgendermaßen lautete:

»Eine bewunderungswürdige Bürgerin, Luisa Molina San Felice, hat gestern Abend Freitag die Verschwörung entdeckt, welche von einigen wahnsinnigen Bösewichtern angestiftet worden, die, auf die Anwesenheit mehrerer Schiffe des englischen Geschwaders in unseren Hafen rechnend, nach getroffener Verabredung mit denselben in der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag, das heißt heute Abend, die Regierung stürzen, die guten Patrioten niedermetzeln und eine Gegenrevolution versuchen wollten.

»Die Häupter dieses verruchten Unternehmens waren die Bankiers Backer, Vater und Sohn, beide geborene Deutsche und in der Strada Medina wohnend. Noch gestern Abend sind sie festgenommen und ins Gefängniß gebracht worden. André Backer mußte als Symbol seiner Schande die weiße Fahne tragen, die man bei ihm gefunden.

»Eben so fand man bei ihm auch eine gewisse Anzahl Sicherheitskarten, welche an Diejenigen vertheilt werden sollten, die man verschonen wollte. Jeder, der nicht eine solche Karte bei sich gehabt, wäre dem Tode verfallen gewesen.

»In Folge dieser Festnahme der Haupträdelsführer haben nach verschiedene untergeordnete Verhaftungen stattgefunden und das Kloster San Francesco delle Monache ist in Anbetracht seiner günstigen Lage – es bildet bekanntlich eine Art Insel – zum Gefängniß der Angeklagten bestimmt worden. Die seither darin wohnenden Nonnen haben es demgemäß verlassen und sind in das Kloster der Donna Albina übergesiedelt.

Zur Zahl der Verhafteten gehören außer den beiden Backen Vater und Sohn, der Pfarrer von del Carmine, der Fürst von Canossa, die beiden Brüder Jorio, der seine Magistratsbeamter, der andere Bischof, und ein Richter Namens Giovanni Battista Verchione.

»Im Zollhause hat man überdies ein Depot von hundertzwanzig Musketen und andern Waffen, wie z. B. Säbel und Bajonette, aufgefunden.

»Gepriesen sei Luisa Molina San Felice! Sie hat das Vaterland gerettet!«

Fünftes Capitel.
Die Sanfedisten

Die Encyclia des Cardinals Ruffo hatte in ganz Untercalabrien die Wirkung des elektrischen Funkens hervorgebracht.

Und in der That« je weiter man von Neapel entfernt war, desto mehr vermindete sich der schwache Reflex von Intelligenz, welcher von der Hauptstadt ausging.

Der Cardinal hatte, wie wir bereits erwähnt, seinen Fuß in das antike Brutium, jenes Asyl entflohener Sklaven, gesetzt. Dieser ganze Theil Calabriens befand sich trotz der verflossenen Jahrhunderte immer noch im Zustande der fürchterlichsten Unwissenheit und der vollkommensten geistigen Stumpfheit, so daß dieselben Menschen, welche am Tage vorher, ohne zu wissen, was sie sagten, riefen: »Es lebe die Republik! Nieder mit den Tyrannen!« mit derselben Stimme zu schreien begannen: »Es lebe die Religion! Es lebe der König! Nieder mit den Jakobinern!«

Wehe Denen, welche sich für die bourbonische Suche gleichgültig zeigten und nicht lauter oder wenigstens eben so laut schrieen als die Anderen. Sie wurden mit dem Ruf: »Das ist ein Jakobiner!« begrüßt und dieser Ruf war, sobald er sich hören ließ, hier wie in Neapel ein Todesurtheil.

Die Anhänger der Revolution oder Diejenigen, welche ihre Sympathie für die Franzosen zu erkennen gegeben, sahen sich genöthigt, ihre Häuser zu verlassen und zu fliehen. Niemals hatte das »Dulcia linquimus arva« Virgils einen traurigeren und umfassenderen Wiederhall gesunden.

Alle diese fliehenden Patrioten nahmen den Weg nach Obercalabrien und blieben, dafern es ihnen gelungen war, den Dolchen ihrer Landsleute zu entrinnen, die einen in Monteleone, die anderen in Catanzaro oder Cotrone, den einzigen Städten, in welchen es gelungen war demokratische Behörden einzusetzen. Dieses Beharren auf der republikanischen Meinung ward in den drei Staaten durch die Hoffnung auf die Ankunft der französischen Armee genährt.

Aus allen anderen durch die Encyclica des Cardinals aufgewiegelten Städten sah man Massen von Bürgern hervorkommen, welchen ihr Pfarrer mit dem Kreuze in der Hand voranschritt und die an ihren Hirten weiße Bänder, die sichtbaren Zeichen ihrer politischen Meinungen, trugen.

Diese Schaaren nahmen, wenn sie aus dem Gebirge kamen, die Richtung nach Mileto, dagegen, wenn sie von der Ebene kamen die Richtung nach Palmi.

Ganze von allen waffenfähigen Männern verlassene Städte und Dörfer waren nur noch von Frauen, Greisen und Kindern bewohnt, so daß nur in dem Feldlager bei Palmi binnen wenigen Tagen gegen zwanzigtausend bewaffnete Männer beisammen waren, während das von Mileto beinahe eben so viel zählte.

Alle diese Leute brachten ihre Lebensmittel und ihre Munition mit. Die Reichen gaben den Armen, die Klöster Allen.

Mitten unter diesen Massen von Freiwilligen bemerkte man Geistliche aller Grade, vom einfachsten Dorfpfarrer, dessen Gemeinde nur wenige hundert Seelen zählte, an bis zum Bischofe der großen Städte.

Es gab darunter Grundbesitzer, die Millionen besaßen, ebenso wie arme Taglöhner, welche mit Mühe zehn Grani täglich verdienten.

»Es gab,« sagt der sanfedistische Schriftsteller Domenico Sacchinelli, welchem wir die Einzelheiten dieses wunderbaren Feldzuges theilweise entlehnen, »es gab unter dieser Menge auch einige ehrliche Leute, die von aufrichtiger Liebe zum Könige und wahrhafter Ehrfurcht vor der Religion beseelt waren; unglücklicherweise aber bestand die Mehrzahl aus Räubern und Mördern, die nur durch Raublust und durch den Durst nach Rache und Blut getrieben wurden.«

Fünf oder sechs Tage nach seiner Ankunft in Catona sah der Cardinal, welcher den ganzen Tag auf seinem Balcon zubrachte, hinter der Landspitze des Leuchtthurmes eine von einem Mönche gesteuerte und von zwei Fischern geruderte kleine Barke auf sich zukommen.

Da Mönch und Fischer die Strömung und den Wind für sich hatten, so ließen die Fischer die Ruder ruhen und der Mönch hielt die Schote des Segels und lenkte das Boot, welches an dem Strande von Catona an derselben Stelle anlegte, wo der Cardinal vor einigen Tagen an’s Land gestiegen war.

Dieser Mönch und Seemann machte anfangs den Cardinal ein wenig neugierig und derselbe nahm sein Fernrohr zu Hilfe, um das Phänomen genauer zu beobachten.

Dieses erklärte sich ihm jedoch sehr bald, denn er erkannte in dem seemännischen Mönche unsern alten Freund Fra Pacifico.

Kaum war die Barke ans Land gestoßen, so sprang der Bruder Capuziner heraus und lenkte mit einem Fuße, der auf dem Lande eben so fest war, wie seine Hand auf dem Meere gewesen, seine Schritte nach dem Hause, wo der Cardinal wohnte.

Dieser kannte Fra Pacifico nicht blos vom Hörensagen, sondern auch persönlich. Er wußte, daß es ein ehemaliger Matrose von der Fregatte »Minerva« war, und eben so war ihm bekannt, auf welche Weise der-Ruf an ihn ergangen. Von Person kannte er ihn, weil er ihn einmal bei dem Könige Ferdinand traf, als er diesem mit seinem Esel Giacobino für seine Krippe saß.

Ebenso hatte er vernommen, welche Heldenthaten der kriegerische Capuziner während der drei Kampftage verrichtet, die der Einnahme von Neapel vorhergegangen waren.

Er beehrte ihn deshalb schon von Weitem mit einer Handbewegung, welche den Mönch bewog, seinen Schritt zu beschleunigen so daß er fünf Minuten später die Ehre hatte, dem Cardinal die Hand zu küssen.

Was aber hatte Fra Pacifico bewogen, sein Kloster zu verlassen und sich nach Calabrien zu begeben?

Wir wollen dies unseren Lesern mit kurzen Worten auseinandersetzen. Die reactionäre Verschwörung Backer's, welche André so unklugerweise Luisa anvertraut und die durch Michele so kluger Weise dem General Championnet verrathen worden, hatte schon seit den letzten Tagen des December, das heißt kaum einige Tage nach Ferdinands Abreise, angefangen sich zu organisierten.

Bis zum 15. Januar waren alle Fäden geknüpft und man suchte einen sichern Mann,, um den König davon in Kenntniß zu setzen.

Man wandte sich an den Vicar der Kirche del Carmine, welche, wie wir bereits erwähnt, ebenfalls mit zu den Verschworenen gehörte.

Der Vicar brachte Fra Pacifico als Boten in Vorschlag und man war sofort damit einverstanden. Fra Pacifico, der schon wegen der Art, wie er seine Almosen einsammelte, in Neapel sehr populär war, hatte durch die letzten Ereignisse noch in so hohem Grade an Popularität gewonnen, daß man seinen Muth und seine royalistische Gesinnung keinen Augenblick bezweifeln konnte.

Fra Pacifico war demzufolge aufgefordert worden, sich nach Palermo zu begeben und den König von dem riesigen Complott in Kenntniß zu setzen, welches man zu seinen Gunsten schmiedete.

Der Mönch hatte diese gefährliche Mission mit Freuden übernommen. Sein Mangel an Beschäftigung lastete wenigstens eben schwer auf ihm, als die Unschuld auf Orestes, und mitten unter seinen beschränkten oder feigen Brüdern schäumte er wüthend in dem Gebiß und gerieth in Zornesausbrüche, welches sich in einem Hagel von Stockschlägen auf dem Rücken des armen Giarobino entluden.

Kaum war er von der Mission, die man ihm anvertraute, unterrichtet und hatte unter der Leitung des Canonicus Jorio das, was er dem König Ferdinand zu sagen hatte, auswendig gelernt – denn man wollte ihm, aus Furcht, daß er in, die Hände der Patrioten fallen könne, nichts Schriftliches anvertrauen – so zog er Giacobino aus dem Stalle, als ob er seine gewöhnliche Almosenrunde machen wollte, verließ mit seinem Lorbeerknüppel in der Hand das Kloster, ging den Largo delle Pigne hinab, bog in die Strada San Giovanni a Carbonara ein, erreichte die Magdalenenbrücke und gelangte, bald zu Fuße gehend bald aufs Giacobino reitend, noch an demselben Tage Salerno.

Er sollte mit möglichst starken Tagmärschen der Küste des thyrrenischen Meeres folgen und mit der ersten Gelegenheit, die er finden würde, nach Sicilien übersetzen.

Nach fünf oder sechs Tagen befand Pacifico sich in Pizzo. Hier hatte er dringende Empfehlungen an einen gewissen Trenta Capelli, einen Freund des Vicars, dessen Anhänglichkeit an die Familie der Bourbons wohlbekannt war.

In der That nahm Trenta Capelli den reisenden Mönch nicht blos bei sich auf, sondern vermittelte auch seine Ueberfahrt nach Palermo.

Fra Pacifico hatte sich demgemäß in Pizzo eingeschifft und nach einer salbungsvollen, rührenden Empfehlung seinen Esel der Obhut Trenta Capellis überlassen, welcher ihm versprochen, für seinen Waffengenossen auf das gewissenhafteste zu sorgen. Fra Pacifico prügelte seinen Esel, ja er konnte fast nicht existieren ohne seinen Esel zu prügeln, aber er wollte nicht, daß Andere ihn prügelten.

Auf dem Rückwege durch Pizzo wollte er sein Thier wieder mitnehmen.

In Palermo glücklich angelangt hatte er seine Schritte unverweilt nach dem königlichen Palast gelenkt. Hier aber hatte er erfahren, daß der König in dem Walde der Ficuzza auf der Jagd war.

 

Da die Sache keinen Aufschub litt, so verlangte Fra Pacifico nun eine Audienz bei der Königin.

Diese, die ihn dem Namen nach sehr wohl kannte, ließ ihn nicht warten, sondern gab Befehl, ihn sofort vorzulassen.

Fra Pacifico der die Gewalt, welche die Königin ausüben recht wohl kannte, zögerte keinen Augenblick, an sie die Rede zu halten, welche der Canonicus Jorio ihn auswendig gelehrt.

Die Königin fand diese Mittheilung so wichtig, daß sie sofort einen Wagen anspannen, Acton und Fra Pacifico mit entsteigen ließ und nach Ficuzza fuhr.

Hier langte man gerade indem Augenblicke an, wo der König von der Jagd zurückkam.

Er war bei sehr schlechter Laune. Sein Gewehr hatte, was ihm noch niemals begegnet war, zweimal versagt – das erste Mal auf einen Eber, das zweite Mal auf ein Reh.

Der König betrachtete dies nicht blos als einen beklagenswerthen Unfall, sondern auch als eine höchst schlimme Vorbedeutung.

Er kehrte daher Acton den Rücken, begrüßte die Königin in rauher mürrischer Weise und hörte kaum Fra Pacifico an, welcher ihm wie er bereits mit der Königin gethan, alle Einzelheiten des Complottes auseinandersetzte.

Bei dem Namen Backer heiterte das Gesicht des Königs sich-ein wenig auf, bei dem Jerios aber nahm es den Ausdruck der Bestürzung an.

»Die Dummköpfe!« rief er. »Sie conspiriren mit dem ersten Jettatore von Neapel und sie wollen daß ihr Complott gelinge. Ich schützt den Vicar del Carmine, obschon ich ihn nicht kenne, und den Fürsten von Canossa, obgleich ich ihn kenne, sehr hoch, aber aus mein Ehrenwort, ich würde nicht zwei Gran für ihre Köpfe geben. Wer mit Jorio conspirirt, muß des Lebens sehr überdrüssig sein.«

Die Königin hatte gegen die Jettatori – die Leute, welchen man den sogenannten bösen Blick zuschreibt – durchaus nicht dieselbe Abneigung wie Ferdinand, denn sie huldigte nicht denselben Vorurtheilen, dennoch aber besaß sie vor dem schlichten gesunden Menschenverstand des Königs eine gewisse Achtung. Sie stellte daher eine Menge Fragen an Pacifico, die er alle mit der Freimüthigkeit eines Seemannes und dem Vertrauen eines Enthusiasten beantwortete. Fra Pacifico nach stand bei, den getroffenen Vorsichtsmaßregeln nichts zu fürchten und die Verschwörung konnte nicht ermangeln von dem gewünschten Resultate begleitet zu sein.

Der König, die Königin und Acton beriethen sich dann mit einander und man kam überein,Fra Pacifico zu dem Cardinal zu schicken, damit auch dieser erführe, was in Neapel im Werke sei, und damit er sich die kriegerischen und religiösen Eigenschaften des Mönches möglichst zu Nutzen mache.

Nachdem Fra Pacifico die Ehre gehabt, an der Tafel Ihrer sicilischen Majestäten zu speisen, kehrte er demgemäß in Gesellschaft des Königs, der Königin und des Generallieutenants nach Palermo zurück.

Hier traf man sofort Anstalt, ihn so schnell als möglich nach Calabrien zu spedieren, und da er in seiner Eigenschaft als Betheiligter mit zu der diesfallsigen Berathung, gezogen ward, so erklärte er, nach seiner Meinung sei das beste und rascheste Transportmittel ein gutes Boot mit dem lateinischen Segel für die Stunden, wo der Wind ginge, und zwei guten Ruderern für die Stunden, wo keiner ginge.

Demzufolge gab man-ihm tausend Dukaten zum Ankauf oder zum Miethen des Bootes. Der Rest der Summe sollte unter dem Namen einer Gratification dem Kloster zufallen.

Noch an demselben Abend miethete Fra Pacifico gegen Zahlung von sechs Ducaten ein Boot mit zwei Ruderern und stach noch vor Mitternacht in See.

Nach Verlauf von vier Tagen umsegelte das Boot den Leuchtthurm und landete zwei Stunden später, wie wir bereits erzählt, in Catona.

Fra Pacifico überbrachte einen eigenhändigen Brief des Königs an den Cardinal.

Dieser Brief lautete :

»Eminentissime«

»Ich habe, wie Sie sich leicht deuten können, die Nachricht von Ihrer Ankunft in Messina und später die von Ihrer glücklichen Landung in Calabrien mit der lebhaftesten Befriedigung empfangen.

»Ihre Encyclica ist ein Muster von kriegerischer und religiöser Beredsamkeit, und ich zweifle nicht, daß wir in Folge derselben, in Verbindung mit der Popularität Ihres Namens, bald eine tapfere und zahlreiche Armee versammelt sehen werden.

»Ich schicke Ihnen einen unserer guten Freunde, der Ihnen nicht unbekannt ist. Es ist Fra Pacifico aus dem Capuzinerkloster von San-Herem. Er kommt von Neapel und bringt uns Gutes und Schlimmes. Ganz wie das neapolitanische Sprichwort sagt, ist das, was er Ihnen erzählen wird, so gut wie etwas zu essen und zu trinken.

»Das Gute besteht darin, daß man sich in Neapel mit uns beschäftigt und daß man mit dem Gedanken umgeht, diesen Banditen von Jakobinern eine neue sicilianische Vesper zu bereiten. Das Schlimme dagegen besteht darin, daß man in die Reihen der Verschworenen auch Jettatori wie den Canonicus Jorio ausgenommen hat, welche nicht verfehlen können, dem Unternehmen Unglück zu bringen.

»Mehr als jemals, Eminentissime, rechne ich daher auf Sie und sehe mein Heil nur in Ihnen.

»Ich stelle Fra Pacifico mit seiner eigenen Einwilligung eben so wie mit der seines Priors zu Ihrer Verfügung. Er ist, wie Sie wissen, ein wackerer und treu ergebener Diener. Ich zweier nicht, daß er uns von großem Nutzen sein werde, sei es nun, daß Sie sich entschließen, ihn nach Neapel zurückzuschicken, sei es, daß Sie es vorziehen, ihn in Ihrer Nähe zu behalten.

»Verlassen Sie Catona nicht und betreten Sie Calabrien nicht, ohne mir vorher einen ausführlichen Plan über den materiellen und politischen Marsch zu senden, den Sie einzuhalten gedenken. Vor allen Dingen aber empfehle ich Ihnen, den Schuldigen keinen Pardon zu gewähren, sondern dieselben, zum Beispiel für die Anderen, ohne Erbarmen zu strafen, und zwar sobald als das begangene Verbrechen in Gewißheit gesetzt ist. Die allzu große Nachsicht, welche wir geübt, ist die Ursache des beklagenswerthen Zustandes, in welchem wir uns befinden.

»Der Herr fördere und segne Ihr Werk, wie ich in meiner Unwürdigkeit darum bete und Ihnen wünsche,

Ferdinand B.«

Der Cardinal sah sich in der Lage, Fra Pacifico sofort einen Auftrag zu ertheilen.

Derselbe bestand darin, daß er ihn zu Cesare schickte, um diesen aufzufordern seine Vereinigung mit ihm, Ruffo, unverweilt zu bewirken.

Es waren Nachrichten von dem vorgeblichen Kronprinzen eingegangen, und diese Nachrichten waren ungemein zufriedenstellend.

Von dem Augenblick an, wo Cesare sowohl durch den Intendanten von Bari, als auch durch die beiden alten Prinzessinnen als der Herzog von Calabrien anerkannt worden, hätte Niemand gewagt, irgend einen Zweifel an seiner Identität abzusprechen.

Demzufolge und nachdem er in Brindisi die Deputationen aller umliegenden Städte empfangen, setzte er sich in Marsch nach Torent, wo er mit ungefähr dreihundert Mann anlangte.

Hier beschlossen Boccheciampe und dessen Cameraden das Rath, welchen Herr von Narbonne und die alten Prinzessinnen ihnen gegeben, sich zu trennen.

Cesare, das heißt der Prinz Franz, und Boccheciampe, das heißt der Herzog von Sachsen, sollten in Calabrien bleiben. Die Anderen,·nämlich Corbara, Geronda, Colonna Durazzo und Pitta Luga sollten auf der Felucke, welche sie in Brindisi gemiethet und von der sie in Tarent abgeholt werden sollten, sich nach Corfu einschiffen, um dort die Ankunft der türkisch-russischen Flotte zu betreiben.

Wir wollen, um mit den zuletzt genannten fünf Abenteurern fertig zu werden, hier sogleich bemerken, daß, als sie kaum in See gestochen waren, von einer tunesischen Galeere gekapert und zu Gefangenen gemacht wurden. Allerdings wurden sie von dem englischen Consul reklamiert und nach einer Gefangenschaft von einigen Monaten wieder freigelassen. Da sie aber zu spät aus der Sklaverei kamen, um noch an den Ereignissen, welche uns zu erzählen übrigbleiben, theilzunehmen, so begnügen wir uns damit, unsere Leser über das Schicksal dieser jungen Leute zu beruhigen, und kommen wieder auf Cesare und Boccheciampe zurück, welche, wie man sogleich sehen wird, Wunder verrichteten.