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La San Felice

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Zweites Capitel.
Michele‘s Bedenklichkeiten

Als Michele das Stadthaus verlassen hattest sprang er in ein Calessino, dessen Kutscher er einen Ducaten versprach, wenn er binnen Dreiviertelstunden im Castellamare wäre.

Der Kutscher setzte sein Pferd sofort in Galopp.

Schon vor langer Zeit habe ich die Geschichte dieser unglücklichen gespenstischen Pferde erzählt, welche weiter nichts haben, als dem Athem und welche laufen wieder Wind.

In vierzig Minuten hatte das, welches den Wagen zog, in welchem Michele saß, den Raum zurückgelegt, welcher Salerno von Castellamare trennt.

Michele hatte, als er auf die Brücke gelangte und Giambardella seine Segel richten sah, um einen sich eben erhabenen Wind zu benutzen, anfangs die Idee, sich wieder an Bord dieser Barke zu begeben und mit derselben nach Neapel zurückzukehren.

Der Wind aber, welcher sich einmal gelegt hatte, konnte sich auch wieder legen, oder nachdem er ein erstes Mal von Südost nach Nordost umgesprungen war, zum zweiten Mal nach irgend einem anderen Punkt des Compasses umspringen, wo er ganz conträr ward, so daß man seine Zuflucht wieder zum Ruder nehmen mußte.

Alles dies wäre für einen Narren ganz vortrefflich gewesen, für einen Weisen aber war es viel zu gewagt. Deshalb beschloß er auf dem Landwege zu bleiben, und um schneller fortzukommen, die Entfernung in zwei Stationen zu theilen, von welchen die erste von Castellamare bis Portici, die zweite von Portici bis Neapel reichte.

Auf diese Weise und mittelst eines Ducatens für jede Station konnte er binnen weniger als zwei Stunden im Palast Angri sein.

Wir sagen im Palast Angri, weil Michele vor allen Dingen mit dem General Championnet zu sprechen wünschte.

Während er nämlich so mit Blitzesschnelle entlang rollte und sich dabei verzweifelt am Kopfe kratzte, fühlte er in seinem Gemüth allerhand Zweifel und Bedenklichkeiten erwachen.

Er war ein ehrlich-es, biederes Wesen und konnte sich nicht verhehlen, daß er im Begriffe stand, die Rolle eines Angebers zu spielen.

Ja; aber wenn er auch zum Angeber ward, so rettete er doch auch zugleich die Republik.

Er war deshalb so ziemlich, ja sogar ganz entschlossen, das Complott zu denunciren und nur noch unschlüssig in Bezug auf die Art und Weise, wie dies geschehen sollte.

Wenn er den General Championnet aufsuchte und denselben zu Rathe zog wie einen Beichtvater in einer Gewissenssache, so stand er dann nach seiner Ansicht als ein Mensch da, welcher selbst in den Augen seiner Feinde für ein Muster von Redlichkeit galt.

Deshalb haben wir gesagt, daß er in weniger als zwei Stunden im Palast Angri sein konnte, anstatt zu sagen, daß er binnen weniger als zwei Stunden im Ministerium der Polizei hätte sein können.

Und in der That setzte er eine Stunde fünfzig Minuten, nachdem er Castellamare verlassen, den Fuß auf die erste Stufe der Treppe des Palastes Angri.

Bei der Schildwache erkundigte er sich; ob der General Championnet zu Hause wäre, und die Antwort lautete bejahend.

Im Vorzimmer aber sagte ihm der hier befindliche Ordonnanzsoldat, daß der General Niemanden empfangen könne, weil er mit den Architecten beschäftigt sei, welchen ihm Entwürfe zu dem Grabmal Virgils vorgelegt hätten.

Michele antwortete, er käme in einer weit wichtigeren Angelegenheit, als das Grabmal Virgils sei, und er müsse, wenn nicht das größte Unglück daraus entstehen sollte, den General augenblicklich sprechen.

Alle Welt kannte Michele den Narren, alle Welt wußte, wie er durch Salvatos Vermittlung dem Tode entronnen, wie der General ihn zum Obersten gemacht und welchen Dienst er geleistet, indem er dem heiligen Januarius wohlbehalten eine Ehrengarde zugeführt.

Man wußte auch, daß der General leicht zugänglich war und man setzte ihn deshalb von dem Begehren des improvisirten Obersten in Kenntniß.

Der Obergeneral der Armee von Neapel hatte von jeher es sich zur Regel gemacht, keinen Rath zu verachten.

Demgemäß entschuldigte er sich bei seinen Architecten, welche er im Solon zurückließ, indem er ihnen versprach, zurückzukehren sobald er sich Michele's entledigt hätte, was wahrscheinlich nicht lange dauern würde.

Dann begab er sich in sein Cabinet und befahl Michele vorzulassen.

Dieser erschien und grüßte militärisch. Trotz dieses anscheinenden Aplomb und dieses militärischen Grußes aber schien der arme Junge, der niemals Anspruch darauf gemacht ein Redner zu sein, sehr verlegen zu werden.

Championnet errieth diese Verlegenheit und beschloß mit seiner gewöhnlichen Herzensgüte, dem armen jungen Mann zu Hilfe zu kommen.

»Ah, Du bist es, ragazzo,« sagte er im neapolitanischen Dialekt. »Du weißt, daß ich zufrieden mit Dir bin. Du benimmst Dich sehr gut und predigst wie Don Michelangelo Ceccone.«

Michele fühlte sich ein wenig ermuthigt, als er seinen Dialect so gut sprechen hörte, und ein Mann wie Championnet ihm so große Lobsprüche machte.

»Mein Generale antwortete er, »ich bin stolz darauf und fühle mich glücklich, daß Sie zufrieden mit mir sind, aber das ist nicht genug.«

»Wie , es ist noch nicht genug?«

»Nein, ich muß auch selbst mit mir zufrieden sein?«

»Ah, dann machst Du auch ziemlich große Ansprüche. Mit sich selbst zufrieden sein, dies ist die moralische Glückseligkeit auf Erden. Wo wäre der Mensch, der, wenn er streng sein Gewissen befragt, mit sich selbst zufrieden wäre?«

»Ich, mein General, wenn Sie sich die Mühe nehmen wollen, mein Gewissen zu erleuchten und zu leiten.«

»Mein lieber Freund– sagte Championnet lachend, »ich glaube, Du hast die rechte Thür verfehlt. Du hast geglaubt zu Monsignore Capece Zurlo, Erzbischof von Neapel, zu kommen und bist dagegen zu Jean Etienne Championnet, dem Obergeneral der französischen Armee, gerathen.«

»O nein, mein General,« antwortete Michele, »ich weiß recht wohl, bei wem ich bin. Ich bin bei dem redlichsten, tapfersten und biedersten Soldaten der Armee, die er commandiert.«

»Aha, Du schmeichelst! Wahrscheinlich hast Du eine Bitte anzubringen.«

»O nein; im Gegentheil, ich habe Ihnen einen Dienst zu leisten.«

»Du hast mir einen Dienst zu leisten?«

»Ja, und zwar einen sehr wichtigen.«

»Mir?«

»Ja, Ihnen, der französischen Armee, dem ganzen Lande. Nur muß ich erst wissen, ob ich Ihnen diesen Dienst leisten und dabei ein ehrlicher Mann bleiben kann und ob, wenn ich den Dienst geleistet habe, Sie mir Ihre Hand eben so wieder reichen werden, wie Sie mir dieselbe jetzt gereicht haben.«

»Ich sollte meinen, Du hättest in diesem Punkte einen besseren Führer, als ich sein kann, nämlich dein Gewissen.«

»Eben mein Gewissen ist es, was nicht vollkommen weiß, woran es sich halten soll.«

»Du kennst,« sagte der General, welcher allmälig seine Architecten vergaß und an der Unterhaltung mit dem Lazzarone Vergnügen fand, »Du kennst das Sprichwort: Wenn Du zweifelst, so enthalte Dich.«

»Aber wenn ich mich nun enthalte, und dadurch ein großes Unglück herbeigeführt wird?«

»Also, wie Du eben sagtest, Du zweifelst?« fragte Championnet.

»Ja, mein General, ich zweifle,« entgegnete Michele, »und ich fürchte mich zu enthalten. Unser Land ist ein eigenthümliches, sehen Sie, denn unglücklicher Weise gibt es darin infolge des Einflusses, den unsere Souveraine geäußert haben, keinen moralischen Sinn und kein öffentliches Gewissen mehr. Sie werden niemals sagen hören: Herr Soundso ist ein ehrlicher Mann, oder Herr Soundso ist ein Schurke, sondern Sie hören blos sagen: Herr Soundso ist reich, oder: Herr Soundso ist arm. Wenn er reich ist, so ist dies schon genug und er gilt für einen ehrlichen Mann. Ist er dagegen arm, so, ist er gerichtet und gilt für eine Canaille. Sie haben Lust, Jemanden umzubringen Sie suchen einen Priester auf und sagen zu ihm: »Mein Vater, ist es ein Verbrechen, seinem Nächsten das Leben zu nehmen?« Der Priester antwortet Ihnen: »Das kommt darauf an, mein Sohn. Wenn dein Nächster ein Jakobiner ist, so tödte ihn, ohne für dein Gewissen etwas zu fürchten; ist er aber ein Royalist, so hüte Dich wohl, so etwas zu thun.« Ebenso wie die Ermordung eines Jakobiners in den Augen der Religion ein verdienstliches Werk ist, eben so ist die Ermordung eines Royalisten in den Augen des Herrn ein abscheuliches Verbrechen. »Spioniert und denunziert!« sagte die Königin zu uns. »Ich werde den Spionen so große Gnadenbezeigungen erweisen und die Angeber so reichlich belohnen, daß die ersten Männer des Königreiches sich in Spione und Denuncianten verwandeln werden.« – Wohlan, mein General, was wollen Sie, daß wir werden, wenn wir die allgemeine Stimme sagen hören: »Jeder Reiche ist ein ehrlicher Mann, jeder Arme ist ein Schurke,« und wenn wir die Religion erklären hören: »Es ist gut, die Jakobiner zu tödten; aber es ist unrecht, die Royalisten umzubringen,« und wenn wir endlich selbst königliche Personen sagen hören: »Die Spionage ist ein Verdienst, die Verleumdung eine Tugend.« Es bleibt uns nur Eines noch übrig, nämlich, daß wir zu einem Ausländer gehen und zu ihm sagen: »Du bist in anderen Grundsätzen erzogen worden, als die unsrigen sind. Was meinst Du, was ein ehrlicher Mann unter den und den Umständen thun soll?«

»Laß die Umstände hören,« sagte der General erstaunt.

»Die Umstände sind sehr ernst, mein General,« fuhr Michele fort. »Ohne es zu wollen habe ich in allen ihren Einzelheiten die Geschichte eines Complotts mit angehört. Ich weiß, daß dieses Complott dreißigtausend Personen in Neapel mit Ermordung bedroht; ich weiß, daß die Patrioten und die Royalisten diese bedrohten Personen sind. Was soll ich nun thun?«

»Was anders, als den Ausbruch dieses Complotts verhindern und dadurch dreißigtausend Menschen das Leben retten?«

»Selbst wenn dieses Complott unsere Feinde bedroht.«

»Ganz besonders wenn dieses Complott unsere Feinde bedroht.«

 

»Wenn Sie so denken, mein General, wie werden Sie dann den Krieg führen?«

»Ich führe den Krieg in der Weise, daß ich am hellen Tage kämpfe, aber nicht in der Nacht morde. Kämpfen ist ruhmreich, Morden ist feige.«

»Ich kann aber das Complott nur dadurch vereiteln, daß ich es denuncire.«

»Nun so denuncire es.«

»Aber dann bin ich —«

»Was denn?«

»Ein Verräther.«

»Ein Verräther ist der, welcher das Geheimniß, welches ihm anvertraut worden, offenbart und in der Hoffnung aus Belohnung seine Mitschuldigen angibt. Waren die Männer, welche conspirirten, deine Mitschuldigen?«

»Nein, mein General.«

»Denunzierst Du sie in der Hoffnung auf eine Belohnung?«

»Nein, mein General.«

»Nun, dann bist Du auch kein Verräther, sondern ein ehrlicher Mann, welcher, weil er nicht will, daß das Uebel großwachse, es mit der Wurzel herausreiße.«

»Wenn nun aber dieses Complott, anstatt die Royalisten zu bedrohen, Sie, mein General, die französischen Soldaten und die Patrioten bedrohte, was müßte ich dann thun?«

»Ich habe Dir deine Pflicht unsern Feinden gegenüber angedeutet, in Bezug auf unsere Freunde ist meine Moral ganz dieselbe. Wenn Du die Feinde rettest, so erwirbst Du Dir ein Verdienst um die Menschheit; rettest Du die Freunde, so erwirbst Du Dir ein Verdienst um das Vaterland.«

»Und Sie werden also fortfahren mir die Hand zu geben?«

»Ich gebe sie Dir.«

»Wohlan, warten Sie, mein General. Ich werde Ihnen einen Theil der Sache sagen und einer andern Person überlassen, Ihnen den Rest zu sagen.«

»Ich höre Dich.«

»Während der Nacht vom Freitag zum Sonnabend soll eine Verschwörung zum Ausbruch kommen. Die zehntausend Mann Deserteure Macks und Naselli's sollen im Bunde mit zwanzigtausend Mann Lazzaroni sämtliche Franzosen und alle Patrioten ermorden. Nach Einbruch der Dunkelheit werden die Thüren der verurtheilten Häuser mit Kreuzen markiert werden und um Mitternacht soll das Blutbad beginnen.«

»Weißt Du das gewiß?«

»So gewiß, als daß ich lebe, mein General.«

»Aber werden die Mörder dann nicht Gefahr laufen, gleichzeitig mit den Jakobinern auch die Royalisten zu morden?«

»Nein, denn die Royalisten werden nur eine Sicherheitskarte vorzuzeigen und ein geheimes Zeichen zu geben haben, um verschont zu bleiben.«

»Kennst Du dieses Zeichen? Kennst Du diese Sicherheitskarte?«

»Auf der Sicherheitskarte ist eine Lilie abgebildet; das Zeichen besteht darin, daß man sich in das erste Glied des Daumens beißt.«

»Und wie kannst Du verhindern, daß dies Complott zum Ausbruch komme?«

»Dadurch, daß ich die Häupter desselben festnehmen ließe.«

»Kennst Du diese Häupter?«

»Ja.«

»Wie heißen Sie?«

»Ja, das ist es eben.«

»Was willst Du damit sagen?«

»Ich will sagen, daß eben hier der Zweifel nicht blos anfängt, sondern sich verdoppelt.«

»Ah so!«

»Was wird man mit den Häuptern des Complotts machen?«

»Man wird ihnen den Proceß machen.«

»Und wenn sie schuldig sind?«

»So werden sie verurtheilt.«

»Wozu?«

»Zum Tode.«

»Nun sehen Sie, dieses ist es eben, wogegen mein Gewissen sich empört. Man nennt mich Michele den Narren, aber niemals habe ich einem Menschen, oder einem Hunde, oder einer Katze, oder auch nur einem Vogel etwas zu Leide gethan. Ich möchte nicht die Ursache zum Tode eines Menschen sein. Ich hätte nichts dagegen, wenn man fortführe mich Michele den Narren zu nennen, aber nie möchte ich, daß man mich Michele den Verräther, Michele den Spion oder Michele den Mörder nennt.«

Championnet betrachtete den Lazzarone mit einem gewissen Grad von Ehrerbietung.

»Wenn ich,« sagte er dann, »Dich nun Michele den ehrlichen Mann taufe, wirst Du Dich mit diesem Titel begnügen?«

»Das heißt, ich werde niemals einen andern verlangen und ich werde meinen ersten Pathen vergessen, um mich nur meines zweiten zu erinnern.«

»Wohlan, im Namen der französischen und neapolitanischen Republik taufe ich Dich hiermit auf den Namen Michele der ehrliche Mann.«

Michele ergriff die Hand des Generals, um sie zu küssen.

»Weißt Du nicht,« sagte Championnet zu ihm, »daß ich den Handkuß zwischen Männern abgeschafft habe?«

»Aber was soll ich dann thun,« fragte Michele, indem er sich hinter dem Ohr kratzte. »Ich möchte Ihnen dennoch sagen, wie dankbar ich Ihnen bin.«

»Nun, dann umarme mich;« sagte Championnet, indem er ihm die Arme öffnete.

Michele umarmte den General, indem er vor Freuden schluchzte.

»Nun,« sagte der General, »wir wollen aber vernünftig mit einander sprechen, regazzo.«

»Ich verlange nichts Besseres, mein General.«

»Du kennst also die Häupter des Complotts?«

»Ja, mein General.«

»Wohlan, nimm einen Augenblick lang an, daß die Enthüllung von einem Andern käme.«

»Gut.«

»Und daß dieser Andere zu mir gesagt hätte: Lassen Sie Michel festnehmen. Er kennt die Namen der Häupter des Complotts.«

»Gut.«

»Daß ich Dich daraufhin hätte festnehmen lassen.«

»Sehr schön.«

»Und daß ich sage: Michele, Du kennst die Namen der Häupter des Complotts. Du wirst mir sie nennen, oder ich lasse Dich erschießen: Was würdest Du dann thun?«

»Ich würde Ihnen sagen: Lassen Sie mich erschießen, mein General. Lieber will ich sterben, als Ursache des Todes eines Menschen sein.«

»Weil Du Hoffnung hättest, daß ich Dich nicht erschießen lassen würde, nicht wahr?«

»Nein, weil ich die Hoffnung hätte, daß die Vorsehung, die mich schon einmal gerettet, mich auch das zweite Mal retten würde.«

»Zum Teufel, die Geschichte wird verwickelt,« sagte Championnet lachend. »Ich kann Dich indeß doch nicht erschießen lassen , um zu sehen, ob Du die Wahrheit sprichst.«

Michele dachte einen Augenblick nach, dann sagte er:

»Es ist also wohl sehr nothwendig, daß Sie das Haupt oder die Häupter des Complotts kennen?«

»Jawohl, durchaus nothwendig. Weißt Du nicht, daß man den Bandwurm nur dadurch curiren kann, daß man ihm den Kopf abreißt?«

»Können Sie mir aber versprechen, daß diese Leute nicht erschossen werden?«

»So lange ich in Neapel sein werde, ja.«

»Aber wenn Sie Neapel verlassen?«

»Dann stehe ich freilich für nichts.«

»Madonna, was soll ich thun?«

»Sinne nach. Siehst Du kein Mittel, um uns beide aus der Verlegenheit zu ziehen ?«

»Ja wirklich, mein General, ich sehe eins.«

»Nenne es.«

»Also, solange Sie in Neapel sein werden, wird wegen des Complotts, welches ich Ihnen entdeckt haben werde, Niemand hingerichtet?«

»Nein, Niemand.«

»Wohlan, es gibt außer mir noch eine Person, welche die Namen der Häupter des Complotts kennt, nur mit dem Unterschiede, daß diese Person wiederum von dem Vorhandensein eines Complotts nichts weiß.«

»Wer ist diese Person?«

»Die Kammerzofe meiner Milchschwester, die Gemahlin des Chevalier San Felice.«

»Und wie heißt diese Zofe?«

»Giovannina.«

»Und wo wohnt sie ?«

»In Mergellina, im Palmbaumhause.«

»Und wie sollen wir etwas von ihr erfahren, wenn sie das Complott nicht kennt?«

»Lassen Sie sie vor den Polizeipräsidenten Bürger Nicolo Fasulo citiren, der ihr drohen wird, sie in’s Gefängniß bringen zu lassen, wenn sie nicht sagt, wer der Mann ist, der ihre Herrin in der vergangenen Nacht bis um zwei Uhr Morgens erwartet und ihr Haus erst um drei Uhr verlassen hat.«

»Und der Mann, den sie nennen wird, ist also das Haupt des Complotts?«

»Ja, ganz besonders wenn sein Vorname mit dem Buchstaben A und sein Familienname mit dem Buchstaben B anfängt. Und nun, mein General, habe ich, so wahr ich Michele der ehrliche Mann bin, Ihnen allerdings nicht Alles gesagt, was ich Ihnen zu sagen habe, wohl aber Alles, was ich Ihnen sagen werde.«

»Und verlangst Du für die Dienste, welche Du Neapel leistest, nichts von mir?»

»Ich verlange weiter nichts von Ihnen, als niemals zu vergessen, daß Sie mein Pathe sind.«

Und indem er diesmal mit aller Gewalt die Hand küßte, welche der General ihm bot, verließ er eiligst das Zimmer, indem er nach den von ihm mitgetheilten Aufschlüssen es dem General überließ, Alles zu thun, was dieser unter den obwaltenden Umständen angemessen finden würde.

Drittes Capitel.
Die Verhaftung

In dem Augenblick, wo Michele das Quartier des Generals Championnet verließ, war es zwei Uhr Nachmittags.

Er sprang in den ersten besten Corricolo, der ihm in den Weg kam, und langte unter Beobachtung desselben Verfahrens wie auf dem Herwege, das heißt, indem er in Portici und in Castellamare den Wagen wechselte, kurz vor fünf Uhr wieder in Salerno an.

Hundert Schritte vor dem Gasthause stieg er ab, bezahlte seinen letzten Kutscher und kehrte zu Fuße in das Gasthaus zurück, ohne mehr Geräusch zu machen, als wenn er eine Promenade nach Eboli oder nach Montalta unternommen hätte.

Luisa war noch nicht zurück.

Um sechs Uhr hörte man das Geräusch eines Wagens. Michele eilte an die Thür.

Es war Luisa, die mit Salvato von Pästum zurückkam. Michele war noch niemals in Pästum gewesen, als er aber die strahlenden Züge der beiden Liebenden erblickte, kam er auf die Vermuthung daß es in Pästum sehr schöne Dinge zu sehen geben müsse.

In der That schien Luisa’s Haupt von einer Glorie des Glückes und das Salvato‘s von einer des Stolzes umglänzt zu sein.

Luisa war schöner, Salvato war größer.

Luisa‘s Schönheit hatte sich durch etwas Unbekanntes und gleichwohl Sichtbares vervollständigt. Es lag jetzt in ihr jener Unterschied, welcher zwischen Galathea als Bildsäule und Galathea als Weib bestanden haben mußte.

Man denke sich, daß die keusche Venus das Paradies betreten habe und unter dem Hauche des Engels der Liebe die Eva der Genesis geworden sei.

Auf ihren Wangen mischte sich das Weiß der Lilie mit dem rosigen Sammethauche der Pfirsiche. In ihren Augen verschmolz der letzte Schimmer der Jungfräulichkeit mit der ersten Flamme der Liebe.

Ihr zurückgebogenes Haupt schien nicht mehr die Kraft zu haben, die Wucht ihres Glückes zu tragen, ihre sich blähenden Nüstern schienen in der Luft neue und bis jetzt unbekannte Wohlgerüche zu athmen. Ihr halbgeöffneter Mund ließ einen keuchenden, wollüstigen Hauch entweichen.

Als Michele sie erblickte, konnte er sich nicht enthalten zu ihr zu sagen:

»Was ist Dir, Schwesterchen? O, wie schön Du bist!«

Luisa lächelte, sah Salvato an und reichte Michele die Hand.

Sie schien zu ihm zu sagen:

»Ich verdanke meine Schönheit dem, welchem ich mein Glück verdanke.«

Dann setzte sie mit sanften liebkosender Stimme die dem Gesange eines Vogels glich, hinzu:

»O, wie schön ist es in Pästum! Wie beklage ich, daß wir nicht morgen, übermorgen alle Tage dahin zurückkehren können!«

Salvato drückte sie an sein Herz. Es war klar, daß er eben so wie Luisa fand, Pästum sei das Paradies der Welt.

Die beiden Liebenden kehrten mit so leichtem Tritt, daß sie die Stufen der Treppe kaum zu berühren schienen, in ihr Zimmer zurück.

Ehe sie dasselbe jedoch betraten, drehte Luisa sich herum und ließ die Worte fallen:

»Michele, in einer Viertelstunde reisen wir ab.«

Nach Verlauf von einer Viertelstunde war der Wagen bereit, aber erst nach Ablauf einer ganzen Stunde kam Luisa herunter.

Diesmal war der Ausdruck ihres Gesichtes ein sehr verschiedener. Es trug einen leichten Anflug von Schwermuth und die Flamme ihres Glückes ward durch Thränen gemildert.

Obschon sie einander den nächstfolgenden Tag wieder sehen sollten, so war doch der Abschied der Liebenden deswegen nicht weniger traurig gewesen.

In der That, wenn man sich liebt und wenn man sich verläßt, wäre es auch nur auf einen Tag, so gibt man s ein Glück einen Tag lang den Händen des Zufalls preis.

Wo wäre die Weisheit, welche vorauszusehen vermöchte, was zwischen zwei Sonnen geschehen wird?

Als Luisa die Treppe hinunterging, begann die Nacht einzubrechen und der Wagen stand schon seit drei Viertelstunden bereit.

Er war mit drei Pferden bespannt.

Es schlug eben sieben Uhr und der Kutscher versprach, gegen zehn Uhr wieder in Neapel zurück zu sein.

Luisa wollte sich geraden Weges zu Backers bringen lassen und in Bezug auf André den Rath befolgen, welchen Salvato ihr gegeben.

Letzterer sollte den nächstfolgenden Tag Nachmittags nach Neapel zurückkommen, um sich zur weiteren Verfügung seines Generals zu stellen.

Zehn Minuten vergingen mit Abschiednehmen. Die beiden Liebenden schienen sich gar nicht trennen zu können.

Bald war es Salvato, welcher Luisa zurückhielt, bald war es Luisa, die sich nicht überwinden konnte, Salvato fortzulassen.

 

Endlich ging es fort. Die Schellengeläute der Pferde klingelten und Luisas von Thränen benetztes Tuch wehte dem Geliebten ein letztes Lebewohl zu, welches dieser durch Schwenken seines Hutes erwiederte.

Es dauerte nicht lange, so verschwand der Wagen, erst theilweise im Dunkel und dann an der Biegung der Straße vollständig.

So wie Luisa sich von Salvato entfernte, beruhigte sich jene magnetische Gewalt, welche der junge Mann aus sie ausgeübt, und Luisa, welche sich des Grundes erinnerte, der sie hierhergeführt, ward wieder ernst und dieser Ernst ging allmälig in Trauer und Wehmuth über.

Während der ganzen Fahrt sprach Michele kein Wort, wodurch er auf das Geheimniß, welches er erlauscht, oder auf die Reise hingedeutet hätte, welche er mittlerweile gemacht.

Man passierte nach der Reihe Torre del Greco, Portici, Resina, die Magdalenenbrücke, die Marinella.

Die Backer wohnten in der Strada Medina zwischen der Strada dei Fiorentini und der Via Schizzitella.

Schon in Marinella hatte Luisa dem Kutscher befohlen, sie an dem Brunnen Medium das heißt am äußersten Ende der Strada del Malo, absteigen zu lassen.

Am äußersten Ende der Strada del Piliere aber begann Luisa an dem Zusammenlaufe von Menschen, welche sich der Strada del Malo drängten, zu bemerken, daß in diesem Quartier etwas Außerordentliches vorgehen müsse.

Der Strada del Porto gegenüber erklärte der Kutscher, daß es ihm unmöglich sei, mit seinem Wagen weiterzufahren. Sein Pferd liefe Gefahr von Denen niedergestochen zu werden, welche er seinerseits zu überfahren drohte.

Michele that, was er konnte, um Luisa zu bewegen umzukehren, einen andern Weg einzuschlagen oder am Malo ein Boot zu nehmen. Dieses Boot hätte sie in einer halben Stunde nach Mergellina gebracht.

Luisa hatte aber eine Absicht, welche sie als geheiligt betrachtete, und sie weigerte sich, sich zu entfernen.

Uebrigens drängte diese Menge nach der Strada Medina. Das Geräusch welches man hörte, kam von der Strada Medina, und die Worte, welche Luisa erhaschte, erweckten Unruhe in ihrem Herzen.

Es bedünkte sie, als sprachen alle diese Leute, welche sich in die Strada Medina hineindrängten, von Complotten, von Verrath und Blutbad und zugleich glaubte sie dabei den Namen Backer zu hören.

Sie sprang aus dem Wagen und faßte schaudernd den Arm Michele‘s, mit welchem sie sich vom Strome fortreißen ließ.

Im Hintergrunde der Straße sah man Fackeln leuchten und Bajonnette funkeln. Mitten durch den verworrenen Lärm hindurch hörte man zugleich Drohrufe.

»Michele,« sagte Luisa, »steigt doch auf die Einfassung des Brunnens und sag’ mir, was Du siehst.«

Michele gehorchte und konnte von seinem nunmehrigen Standpunkte aus über alle Köpfe hinweg bis in den Hintergrund der Straße sehen.

»Nun?« fragte Luisa.

Michele zögerte zu antworten.

»Aber so sprich doch!« rief Luisa immer unruhiger. Sprich doch, was siehst Du?«

»Ich sehe,« sagte Michele, »Polizeidiener, welche Fackeln tragen, und Soldaten, welche das Haus des Herren Backer bewachen.«

»Ha!« rief Luisa, »man hat sie denuncirt, die Unglücklichen! Ich muß bis zu ihnen hindurchdringen; ich muß sie sehen!«

»Nein, nein, Schwesterchen,« sagte Michele. »Du bist doch nicht selbst mit bei der Sache betheiligt, nicht wahr, nicht?«

»Nein, Gott sei Dank.«

»Nun, dann komm; ziehen wir uns zurück.«

»Nein, nein, im Gegentheile,« sagte Luisa, »wir wollen weitergehen.«

Und Michele beim Arme fassend, zwang sie ihn, von der Brunneneinfassung herabzusteigen und sich wieder mit ihr unter die Menge hineinzudrängen.

In diesem Augenblicke verdoppelte sich das Geschrei und es machte sich unter der Menge eine gewaltige Bewegung bemerkbar. Man hörte die Kolben der Musketen auf dem Pflaster klirren, gebieterische Stimmen riefen: »Platz! Platz!« eine Art Laufgraben öffnete sich und Michele und Luisa sahen sich plötzlich den beiden Gefangenen gegenüber, von welchen der eine – es war der jüngste – in seinen um den Leib herum festgebundenen Armen die weiße Fahne der Bourbons trug.

Sie waren von Männern, theils mit Fackeln, theils mit Säbeln in den Händen, umringt und trotz der Schmähungen und Hohnreden des Pöbels, welcher stets bereit ist, den Schwächsten zu schmähen und zu verhöhnen, schritten sie mit aufgerichteten Häuptern einher wie Leute, welche ihren Glauben laut bekennen.

Ganz bestürzt über diesen Anblick blieb Luisa, anstatt auf die Seite zu treten wie die Andern, unbeweglich stehen, so daß sie sich dem jüngsten der beiden Gefangenen, das heißt André Backer gegenüber sah.

Beide traten, indem sie einander erkannten, einen Schritt zurück.

»Ach, Signora,« sagte der junge Mann mit Bitterkeit, »ich wußte wohl, daß Sie es wären, die mich verrathen hätte, aber ich wußte nicht, daß Sie auch den Muth haben würden, meine Verhaftung mit anzusehen.«

Luisa wollte antworten, läugnen und betheuern, der Gefangene aber schob sie sanft auf die Seite und ging vorwärts, indem er sagte :

»Im Namen meines Vaters und in dem meinigen verzeihe ich Ihnen, Signora. Mögen Gott und der König Ihnen eben so verzeihen wie ich.«

Luisa wollte antworten, die Stimme versagte ihr aber und mitten unter dem Rufe des Volkes. »Sie ist es! Diese Frau ist die San Felice, welche sie denuncirt hat,– sank sie in Micheles Arme.

Die Gefangenen setzten ihren Weg weiter fort nach dem Costello Nuovo, wo sie unter Aufsicht des Commandanten Oberst Massa eingesperrt wurden.