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La San Felice

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»Aber woher kommt sie dann sonst? Sag' es mir. Und anstatt vor ihr zu fliehen wie ein Kind, wird man ihr die Spitze bieten wie ein Mann und wie ein Soldat.«

»Du kannst dieser Gefahr nicht die Spitze bieten. Du kannst sie nicht bekämpfen. Dies ist eben dein Unglück. Du kannst ihr blos ausweichen und zwar nur dadurch, daß Du blindlings thut, was ich Dir befehle.«

»Theure Luisa, gestatte meiner Vernunft, daß sie sich gegen meine Liebe empöre. Ich würde selbst nicht vor einer Gefahr fliehen, die ich kenne, wie viel weniger werde ich es daher vor einer solchen thun, die mir unbekannt ist.«

»Ha, das ist es eben, was ich fürchtete. Der Dämon des Stolzes flüstert Dir zu: »Füge Dich nicht! Wenn ich nun aber im voraus Kenntniß von einem Erdbeben, welches Dich verschlingen, von einem Gewittersturm, dessen Blitzstrahl Dich treffen könnte, hätte, würde ich dann, wenn ich zu Dir sagte: Entfliehe dem Erdbeben, weiche dem Ungewitter aus, Dir etwas rathen, was deiner Pflicht oder deiner Ehre zuwiderliefe?«

»Allerdings, wenn ich von meinem General einen Posten angewiesen erhalten hätte, und ich denselben aus Furcht vor einer eingebildeten oder wirklichen Gefahr verließe.«

»Wohlan, Salvato, wenn meine Bitte nun eine andere Form annähme, wenn ich zu Dir sagte: »Ich muß eine unumgänglich nothwendige Reise nach Rom machen; ich fürchte mich aber, allein und ohne Schutz die Gegenden zu passieren, in welchen wilde Räuberbanden hausen, bitte deinen General um Erlaubniß, eine Schwester, eine Freundin begleiten zu dürfen – würdest Du dann Dir diese Erlaubniß nicht erbitten?«

»Warte, bis das, was ich hier zu thun habe, beendet ist, und ich verspreche Dir, Sonnabend Morgen den General um acht Tage Urlaub zu bitten.«

»Sonnabend Morgen! das ist zu spät! Ach, mein Gott, stehe mir bei! Was soll ich thun, was soll ich sagen, um ihn zu bestimmen?»

»Etwas ganz Einfaches, meine Luisa. Unterrichte mich von deinen Befürchtungen, sage mir, was Dich veranlaßt meine Abwesenheit zu wünschen, und laß mich die Frage beurtheilen. Dann bist Du sicher, mich nicht auf einen falschen Weg zu führen, auf welchem meine Ehre sich verirren könnte.«

»Das ist es ja eben, was mich selbst in eine schiefe Stellung versetzt; das ist es, warum Du zögert, warum Du zweifelt. Auch ich besitze, obschon Frau, meine Ehre, als redlicher Mensch, wenn ich so sagen darf. Man hat mir eine vertrauliche Mittheilung gemacht und ich habe versprochen, ich habe geschworen, ich habe mir selbst feierlich gelobt, den Namen dessen, welcher mir diese Mittheilung gemacht, nicht zu nennen, denn sein Vertrauen zu mir ist so grenzenlos, daß er, obschon er sein Leben in meine Hände gegeben, keine Bürgschaft von mir verlangt hat.«

»Aber wie kommt es, daß Du mir gestern Abend nichts davon sagtest?

»Gestern Abend wußte ich es noch nicht.«

»Dann,« sagte Salvato, indem er Luisa scharf ins Auge faßte, »dann ist Dir diese vertrauliche Mittheilung, über welche Du Dich näher aussprechen kannst, von jenem jungen Manne gemacht worden, welcher Dich in deiner Wohnung erwartete und dieselbe erst um drei Uhr heute Morgen verlassen hat.«

Luisa ward bleich.

»Wer hat Dir das gesagt, Salvato?« fragte sie.

»Dann ist es also wahr?«

»Ja, es ist wahr. Ist es aber möglich, mein geliebter Salvato, daß Du, nachdem Du mich verlassen, meine fernerweiten Schritte belauscht hast?«

»Was, ich sollte Dich belauschen? Ich sollte einem Engel gegenüber die Rolle eines Eifersüchtigen spielen? Davor bewahre mich Gott, denn es wäre nicht blos eine Thorheit, sondern geradezu eine Niedrigkeit. Meine Luisa kann empfangen, wen sie will und zu welcher Stunde es sei, ohne daß jemals, wenigstens von meiner Seite, auch nur ein Hauch von Argwohn den reinen Spiegel ihrer Keuschheit trübe. Nein, ich habe nicht gesucht, etwas zu sehen und ich habe auch nichts gesehen. Ich empfing blos eine Viertelstunde vor deiner Ankunft hier durch einen der Boten, den ich zurückgelassen, um mir meine Correspondenz zu bringen, diesen Brief. Ich las ihn eben, als Du eintratest, und ich fragte mich, welches verworfene Gemüth zwischen mich und Dich den bitteren Samen des Zweifels und des Argwohns streuen zu wünschen könne.«

»Einen Brief?« fragte Luisa.

»Du hast einen Brief erhalten?«

»Ja, hier ist er; lies selbst.«

Und in der That bot Salvato seiner geliebten Luisa einen Brief, welcher augenscheinlich von einem jener Menschen geschrieben war, welche ihre Feder der Liebe eben so weihen wie dem Haß und welche zur Förderung ihrer schwarzen Anschläge anonyme Denunzianten suchen.

Luisa las den Brief. Er lautete folgendermaßen:

»Signor Salvato Palmieri wird hiermit benachrichtigt, daß Signora Luisa San Felice bei ihrer Rückkehr von der Herzogin Fusco in ihrer Wohnung einen schönen und reichen jungen Mann angetroffen, mit welchem sie bis drei Uhr Morgens bei verschlossenen Thüren verkehrt hat.

»Dieser Brief kommt von einem Freunde, welchem es leid thut, Signor Salvato Palmieri sein Herz einer Unwürdigen schenken zu sehen.«

Luisa erblickte wie beim Schein eines Blitzes auf ein mal wieder die in ihrem Zimmer schreibende Giovannina, welche sich erhob, um ihr zu verbergen, was sie geschrieben.

Dennoch aber verbannte sie sofort wieder den Gedanken, daß dieses junge Mädchen, welches ihr so viel verdankte, sie verrathen könne.

»Dieser Brief enthält kein Wort, welches nicht wahr wäre, mein Freund,« hob Luisa an.

»Zum Glück hat aber, sei es nun, daß die Person, welche ihn geschrieben, den Namen des Mannes, den ich empfangen, nicht weiß, oder sei es, daß sie ihn nicht hat nennen wollen, Gott erlaubt, daß dieser Name nicht hier steht.«

»Und warum, theure Luisa, glaubst Du, daß dies eine Fügung Gottes sei?«

»Weil, wenn dieser Name hier geschrieben stünde, ich in den Augen dieses Unglücklichen, welcher sein Leben für mich gewagt, ein Weib ohne Glauben, ohne Ehre, mit einem Worte eine Verrätherin wäre.«

»Du sprichst die Wahrheit, Luisa,« entgegnete Salvato mit düsterer Miene, »denn wenn der Name hier stünde, so wäre ich nach dem, was ich jetzt errathe, verpflichtet, den General von Allem in Kenntniß zu setzen.«

»Und was erräthst Du?«

»Daß dieser Mann, aus irgend einen Beweggrund, den ich nicht zu ermitteln suche, Dir eine Verschwörung offenbart hat, welche mein Leben, das Leben meiner Cameraden, die Sicherheit der neuen Regierung bedroht, und daß Du deswegen in deiner hingebenden Unüberlegtheit mich entfernen, mich dem Bereich der Verschwörer entziehen wolltest. Deshalb wolltest Du mir die Gefahr, die ich fliehen sollte, nicht offenbaren, denn eine solche Gefahr würde ich nicht fliehen.«

»Wohlan, Du hast recht gerathen, Geliebter, und ich will Dir Alles sagen, ausgenommen den Namen des Mannes, welcher mich gewarnt hat. Dann wirst Du, der Mann von Ehre, der scharfsinnige Geist, das loyale Herz, mir rathen, was ich thun soll.«

»Sprich, geliebte Luisa, sprich, ich höre Dich. O, wenn Du wüßtest, wie innig ich Dich liebe! Sprich, sprich! An meiner Brust, an meinem Herzen!«

Luisa stand einen Augenblick mit zurückgeworfenem Haupt, geschlossenen Augen und halbgeöffneten Lippen da, während die Arme des jungen Mannes sie umschlungen hielten. Dann rief sie, indem sie sich wie aus einem wonnigen Traum aufrüttelte:

»O, mein Freund, warum ist uns nicht vergönnt, so zu leben, fern von den politischen Unruhen, fern von den Revolutionen, fern von den Verschwörern! Wie wonnevoll müßte ein solches Leben sein! Gott will es aber nicht. Unterwerfen wir uns daher ihm.«

Luisa stieß einen Seufzer aus, fuhr sich mit der Hand über die Augen und jagte dann:

»Es ist, wie Du gesagt hat, mein Freund. O, warum hat jener Mann mir diese vertrauliche Mittheilung gemacht! Wäre es nicht besser gewesen, wenn wir mit einander gestorben wären?«

»Erkläre Dich, meine geliebte Luisa.«

»In der Nacht vom Donnerstag zum Freitag soll eine reactionäre Verschwörung zum Ausbruch kommen. Sämtliche Franzosen, alle Patrioten, deren Häuser während des Abends bezeichnet worden, sollen im Laufe der Nacht niedergemetzelt werden, mit Ausnahme derjenigen, welche ihre Karte vorzeigen und durch diese Geberde sich zu erkennen geben.«

Und Luisa zeigte Salvato die Karte mit der darauf abgebildeten Lilie und machte die ihr von André gelehrte Geberde.

»Eine Karte mit einer Lilie!« wiederholte Salvato, »und sich in das erste Glied des Daumens beißend!« (Dies waren, wie man sich erinnern wird, die Rettungszeichen)« Diese unglücklichen, welche man der Sclaverei entreißen will, und welche gleichwohl um jeden Preis Sclaven bleiben wollen!«

»Wohlan, jetzt, wo ich Alles erzählt habe,« sagte Luisa, indem sie sich auf die Knie des jungen Mannes herabgleiten ließ, »was soll ich thun? Denke nach und rathe mir!«

»Langes Nachdenken ist nicht nöthig, geliebte Luisa,« antwortete Salvato. »Vertrauen muß durch Vertrauen erwiedert werden. Dieser Mann hat Dich retten wollen.«

»Aber Dich auch, denn er weiß Alles, deine Verwundung, die Sorgfalt und Pflege, welche ich Dir gewidmet, dein sechswöchentliches Verweilen in dem Hause der Herzogin. Er kennt unsere beiderseitige Liebe und er sagte zu mir: »Retten Sie ihn zugleich mit.«

»Ein Grund mehr, um, wie ich Dir sagte, Vertrauen durch Vertrauen zu erwiedern. Dieser Mann hat uns retten wollen – retten wir ihn.«

»Aber auf welche Weise?«

»Dadurch, daß wir zu ihm sagen: Ihr Complott ist entdeckt, der General Championnet ist unterrichtet. Da, wo Sie ein leichtes Morden zu finden glauben, werden Sie einen verzweifelten Widerstand finden. Sie werden die Straßen von Neapel vergebens mit Blut überschwemmen. Entsagen Sie Ihrem Complott und suchen Sie schnell das Ausland zu gewinnen. Folgen Sie selbst dem Rath, den Sie uns gegeben.«

»Es ist die Ehre selbst, welche aus deinem Munde spricht, mein Salvato. Ich werde thun, was Du mich thun heißest. Aber horch!«

 

»Was gibt's?«

»Es war mir, als hörte ich Geräusch in diesem Zimmer; man hat eine Thür zugemacht. Sollte man uns behorchen? Würden wir belauscht?«

Salvato eilte sofort in das Nebenzimmer – es war leer.

»Es ist in diesem Zimmer weiter Niemand gewesen als Michele,« sagte Salvato.

»Betrachtest Du es als ein Unglück, wenn Michele uns gehört haben sollte?«

»Nein, denn er kennt nicht den Namen des Mannes, welcher bei mir gewesen ist. Uebrigens,« setzte Luisa lachend hinzu, hast Du einen solchen Patrioten aus ihm gemacht, daß er im Stande wäre, sofort hinzulaufen und ihn zu denunciren.«

»Wohlan,« sagte Salvato, dann sind wir über Alles einverstanden und dein Gewissen ist beruhigt, nicht wahr? »Du versichert mir, daß wir allen Gesetzen der Redlichkeit gemäß gehandelt haben?«

»Ich schwöre es Dir.«

»In Sachen der Ehre bist Du ein guter Richter, Salvato, und ich glaube Dir.«

»Nach meiner Wiederankunft in Neapel werde ich den Anführer der Verschwornen warnen. Sein Name ist nicht aus meinem Munde gekommen, selbst nicht Dir gegenüber. Er kann daher in keiner Weise kompromittiert werden, oder wenn dies der Fall ist, so ist es außerhalb meines Willens geschehen. Denken wir nur noch an uns, an das Glück, beisammen zu sein. Soeben erst verwünschte ich die politischen Unruhen, die Revolutionen, die Verschwörer – ich war von Sinnen.

Ohne die politischen Unruhen wärest Du von deinem General nicht nach Neapel geschickt worden, ohne die Revolutionen hätte ich Dich nicht kennen gelernt, ohne die Verschwörer wäre ich in diesem Augenblick nicht bei Dir. Gesegnet seien daher die Dinge, welche Gott geschaffen. Was er thut, das ist wohlgethan.«

Und mit diesen Worten warf Luisa erfreut, getröstet und lächelnd sich in die Arme ihres Geliebten.

Zehnter Theil

Erstes Capitel.
Michele der Kluge

In irgend einem Buche, ob in der Bibel oder in einem profanen Werke weiß ich für den Augenblick nicht und habe auch nicht Zeit nachzusuchen, kommt der Ausspruch vor: Die Liebe ist mächtig wie der Tod.

Dieser Ausspruch, welcher aussieht wie ein Gedanke, ist weiter nichts als eine Thatsache und zwar eine auf diese Weise nicht ganz präcis ausgedrückte.

Cäsar sagt in Shakespeare oder vielmehr Shakespeare läßt Cäsar sagen: »Die Gefahr und ich, wir sind zwei an einem und demselben Tage gebotene Löwen und ich bin der älteste davon.«

Die Liebe und der Tod sind ebenfalls an einem und demselben Tage, nämlich am Tage der Schöpfung, geboren, nur ist die Liebe am ältesten. Ehe man stirbt, hat man geliebt. Als Eva beim Anblick des von Kain erschlagenen Abel in mütterlichem Schmerz die Hände rang und rief: »Wehe! Wehe! Wehe! Der Tod ist in die Welt gekommen!» da war der Tod erst nach der Liebe eingedrungen, denn dieser Sohn, welchen der Tod soeben der Welt entrissen, war der Sohn ihrer Liebe.

Es ist daher nicht richtig, wenn man sagt: »Die Liebe ist mächtig wie der Tod!« Man maß vielmehr sagen: »Die Liebe ist mächtiger als der Tod!« denn alle Tage bekämpft die Liebe den Tod und wirft ihn nieder.

Fünf Minuten nachdem Luisa gesagt hatte: »Gesegnet seien die Dinge, welche Gott geschaffen. Was er thut, das ist wohl gethan!« hatte Luisa Alles vergessen, sogar die Ursache, welche sie zu Salvato geführt.

Sie wußte jetzt blos, daß sie bei Salvato und daß Salvato bei ihr war.

Es ward zwischen ihnen verabredet, daß sie einander erst am Abend verlassen sollten. Noch diesen selben Abend sollte Luisa den Anführer der Verschwörung sprechen und den nächstfolgenden Tag, nachdem er Zeit gehabt, Contreordre zugeben, und sich und seine Mitverschworenen in Sicherheit zu bringen, sollte Salvato den General benachrichtigen, welcher sich dann mit der Civilgewalt über die zur Vereitelung des Complotts nothwendigen Maßregeln für den Fall verständigen sollte, daß die Insurgenten trotz der ihnen von Luisa gemachten Mittheilung bei ihrem Unternehmen beharren sollten.

Nachdem man sich einmal über alles dies besprochen, überließen Salvato und Luisa sich ganz ihrer Liebe.

Sich ganz der Liebe überlassen , wenn man wirklich liebt, heißt Tauben – oder Engelsschwingen leihen, sich hoch über die Erde erheben, auf einer Purpurwolke, auf einem Sonnenstrahle ausruhen, sich betrachten, sich zulächeln, leise sprechen, das Paradies zu seinen Füßen, den Himmel über dem Haupte sehen, und zwischen den zweitausendmal wiederholten Zauberworten: »Ich liebe Dich!« die Klänge der himmlischen Sphären hören.

Der Tag verging wie ein Traum. Das Geräusch der Straße und der Beengung zwischen den vier Mauern eines Zimmers müde, nach Luft, nach Freiheit, nach Einsamkeit schmachtend, eilten sie hinaus ins Freie, welches in den neapolitanischen Provinzen gegen Ende des Januar wieder zu neuem Leben zu erwachen beginnt.

Hier aber, in den nächsten Umgebungen der Stadt, begegnete man auf jedem Schritte einem Neugierigen, einem Zudringlichen.

»Können wir nicht eine Wüste aufsuchen?« sagte Salvato lächelnd.

»Wir wollen nach Pästum fahren,« antwortete Luisa.

Ein Miethwagen fuhr vorüber. Salvato rief den Kutscher an, die beiden Liebenden stiegen ein, das Ziel der Fahrt ward genannt und die Pferde setzten sich in blitzschnelle Bewegung.

Keines von Beiden kannte Pästum. Salvato hatte das südliche Italien verlassen, ehe noch, so zu sagen, ihm die Augen aufgegangen waren, und obschon der Chevalier mit Luisa wohl zwanzigmal von Pästum gesprochen, so hatte er sie doch niemals dahin führen wollen, weil er für sie die verderblichen Einwirkungen der dort herrschenden bösen Luft fürchtete.

Jetzt dachten die beiden Liebenden nicht einmal daran. Hätte das Eine von ihnen die pontinischen Sümpfe genannt, so würde das Andere gesagt haben: »Ja, gehen wir nach den pontinischen Sümpfen,« Es war ja geradezu unmöglich, daß das Fieber in einem solchen Augenblicke Gewalt über sie hätte. Ist das Glück von allen Gegengiften nicht das wirksamste? Luisa war genau über die Oertlichkeiten unterrichtet, welche man passiert, wenn man die Runde um diesen prachtvollen Golf macht, welcher, ehe Salerno existierte, der Golf von Pästum genannt ward. Dennoch ließ sie wie eine unwissende, aber wißbegierige Schülerin der Archäologie Salvato sprechen, weil sie ihm einmal gerne zuhörte. Sie wußte im Voraus, was er sagen wollte, und dennoch war es ihr, als hörte sie Alles, was er sagte, zum ersten Male.

Was aber kein geschriebenes Buch weder dem Einen noch dem Andern hatte mittheilen können, dies war die Majestät der Landschaft, die Erhabenheit der Linien, welche sich den Augen der Reisenden entrollten, als sie an einer der Biegungen der Straße plötzlich die drei Tempel gewahrten, welche sich mit ihrer warmen, dem welken Laube ähnlichen Farbe gegen den dunkeln Azur des Himmels abhoben.

Es waren würdige Ueberreste der strengen Architektur jener am Fuße des Ossa und des Olymp gebotenen hellenischen Stämme, welche bei der Rückkehr von einem fruchtlosen Kriegszug in den Peloponnes, wohin Hyllus, der Sohn des Herkules, sie geführt, ihr Land von den Verhäbiern besetzt fanden, welche, nachdem sie die fruchtbaren Ebenen am Penrios den Lapythern und Jonierv überlassen, sich in der Tryopide niederließen, welche von dieser Zeit an den Namen Doride annahm, und hundert Jahre nach dem trojanischen Kriege den Pelasgern, welche sie bis nach Attika verfolgten, Messena und Tyrenthe, die noch heute durch ihre titanischen Rainen berühmt sind, die Argolide, wo sie das Grabmal Agamemnon’s fanden, und Latonien abnehmen, dessen Bewohner sie zu Heloten machten und wo sie aus Sparta den lebendigen Ausdruck ihres ernsten, düsteren Geistes machten dessen Dolmetscher Lykurgus ward. Sechs Jahrhunderte lang war die Civilisation durch diese Eroberer gehemmt, welche gegen den Gewerbfleiß, gegen die Wirthschaften und Künste gleichgültig oder feindselig gesinnt waren und welche, als sie in ihren messenischen Kriegen eines Dichters bedürften, den Atheniensern ihren Tyktäus abborgten.

Wie konnten diese rauhen Söhne des Olymps und des Ossa in diesen weichen, wollüstigen Ebenen von Pästum leben, mitten unter der Civilisation Großgriechenlands wo die Südwinde ihnen die Wohlgerüche von Sybaris und der Nordwind die Ausströmungen von Baja betrachten ?

Auch erbauten sie mitten unter ihren Feldern von Rosenbäumen, welche zweimal jährlich blühten, gleichsam als Protest gegen diese zierliche, vom sonischen Hauche durchdrungene Civilisation, jene drei furchtbaren Granittempel, welche unter Augustus schon in Trümmern liegend noch heutzutage das sind, was sie zur Zeit des Augustus waren.

Gegenwärtig ist von diesen Besiegern Spartas nichts weiter übrig, als diese drei Granitskelette, wo, von tödtlichen Miasmen umgeben, das Fieber herrscht, und jenes schnurgerade Mauerviereck, welches man binnen einer Stunde umgehen kann.

Die hier umherirrendem von der Malaria verzehrten Gespenster, welche mit hohlem neugierigem Blick den Reisenden betrachten, sind eben so wenig die Nachkommen jener Bewohner, als die ungesunden oder giftigen, in den faulen Sümpfen wachsenden Kräuter die Sprößlinge jener Rosenbäume sind, mit welchen der von Syracus nach Neapel gehende Reisende das Land weit und breit bedeckt sah, und von welchem der Wohlgeruch durch den Wind zu ihm herübergetragen ward.

Zu jener Zeit, wo die Archäologie noch in der Wiege lag und wo die klebrige Natter allein in den einsamen Ruinen herumkroch, gab es nicht wie heutzutage einen Weg, auf welchem man nach jenem Tempel gelangte. Man mußte vielmehr durch jene riesigen Kräuter hindurchschreiten, ohne zu wissen, auf welches giftige Gewürm man Gefahr lief den Fuß zu setzen.

Luisa schien, als man dieses faule Röhricht betreten wollte, zu zögern, Salvato aber nahm sie auf die Arme wie ein Kind, hob sie über die sonnverbrannte, trockene Ernte und setzte sie nicht eher wieder nieder, als bis man die Stufen des größten der Tempel erreicht hatte.

Ueberlassen wir sie jener Einsamkeit, welche sie so weit aufzusuchen gekommen, jener tiefen, geheimnißvollen Liebe, welche sie den Blicken Aller zu verbergen suchten und welche eine eifersüchtige Feder einem Nebenbuhler verrathen.

Sehen wir vielmehr, was die Ursache jenes Geräusches gewesen, welches die beiden Liebenden in dem Nebenzimmer gehört und wodurch sie einen Augenblick lang um so mehr beunruhigt worden, als sie sich vergebens bemüht hatten, die Ursache davon zu entdecken.

Michele war, wie man sich erinnert, Luisa gefolgt und erst aus der Schwelle von Salvatos Zimmer in dein Augenblick stehen geblieben, wo der junge Officier auf Luisa zugeeilt gekommen war und sie an sein Herz gedrückt hatte.

Dann hatte Michele sich discreterweise zurückgezogen, obschon es für ihn in Bezug auf das Gefühl, welches die beiden Liebenden gegen einander hegten, nichts Neues zu erfahren gab. Als aufmerksame Schildwache hatte er sich sodann in der Nähe der Thür niedergesetzt, um weitere Befehle von seiner Milchschwester oder von seinem Brigadechef zu erwarten.

Luisa hatte vergessen, daß Michele da war. Salvato welcher wußte, daß er auf seine Verschwiegenheit rechnen konnte, kümmerte sich nicht darum, und Luisa hatte, wie man sich erinnert, nachdem sie erst ihren Geliebten ohne nähere Erklärung zur Flucht aufgefordert ihm endlich Alles gestanden, ohne jedoch den Namen des Hauptes der Verschwörung zu nennen.

Michele aber kannte diesen Namen. Das Haupt der Verschwörung war, wie Luisa ihrem Geliebten selbst gestand, der junge Mann, der bis um zwei Uhr Morgens auf sie gewartet hatte; der ihr Haus erst um drei Uhr verlassen, und Giovannina hatte auf die Frage des jungen Lazzarone: »Was fehlt denn Luisa heute Morgen? Ist sie, seitdem ich vernünftig geworden, vielleicht närrisch geworden?« die furchtbare Bedeutung ihrer Antwort nicht verstehend gesagt: »Das weiß ich weiter nicht; sie ist so seit dem Besuche, welchen Signor André Backer ihr diese Nacht gemacht hat.«

Das Haupt der Verschwörung war sonach Signor André Backer, der Bankier des Königs, jener junge Mann, der so wahnsinnig in Luisa verliebt war.

Was war aber der Zweck dieser Verschwörung? Kein anderer, als in einer einzigen Nacht die sechs- bis achttausend Franzosen, welche Neapel besetzt hielten,und mit denselben zugleich alle ihre Anhänger zu ermorden.

Michele fühlte, wie er bei dem Gedanken an diese neue sicilische Vesper unter seiner schönen Uniform an allen Gliedern erzitterte.

Er war selbst ein Anhänger der Franzosen und zwar einer der eifrigsten. Demzufolge war er auch einer der Ersten, welche sich darauf gefaßt machen mußten, niedergemetzelt oder gehängt zu werden, denn es war ihm ja prophezeit, daß er Oberst und gehängt werden würde, und Oberst war er schon.

 

Wenn aber Nanno‘s Prophezeiung in Erfüllung gehen sollte, so lag Michele viel daran, daß es wenigstens so spät als möglich geschähe. Die Frist, welche ihm vom Donnerstag Mittag bis zur Nacht des Freitag gegeben war, schien ihm nicht lang genug zu sein.

Er glaubte deshalb, daß er kraft des Sprichwortes, daß es besser sei, den Teufel todtzuschlagen als sich von demselben todtschlagen zu lassen, keine Zeit zu verlieren habe, um sich gegen den Teufel zur Wehre zu setzen.

Es war ihm dies um so leichter, als sein Gewissen durchaus nicht durch die Zweifel bewegt ward, welche das Herz seiner Milchschwester beunruhigten. Ihm hatte mag keine vertrauliche Mittheilung gemacht; er hatte keinen Schwur geleistet.

Er hatte die Verschwörung erfahren, indem er an der Thür gehorcht hatte, ohne darauf ausgegangen zu sein.

Den Namen des Hauptes der Verschwörung errieth er, weil Giovannina es ihm gesagt, ohne ihm im mindesten Verschwiegenheit zu Pflicht zu machen.

Er war der Ansicht, daß er, wenn er die reaktionären Projecte der Herren Simon und André Backer sich verwirklichen ließe, in der That den Namen eines Narren verdienen würde, welchen man ihm seiner Meinung nach ohne triftigen Grund gegeben. Dagegen glaubte er, daß er in den Augen seiner Zeitgenossen sowohl als in denen der Nachwelt, ebenso wie Thales und Solon, den Namen eines Weisen verdienen würde, wenn er den Ausbruch der Gegenrevolution vereitelte und indem er das Leben zweier Menschen opferte, das von fünfundzwanzig bis dreißigtausend rettete.

Deshalb hatte er, ohne Zeit zu verlieren, das Zimmer neben dem, in welchem sich die beiden Liebenden befanden, verlassen und beim Fortgehen die Thür hinter sich geschlossen, so daß Niemand in das Zimmer treten konnte, ohne gehört zu werden.

Das Geräusch dieser sich schließenden Thier war es eben, was Luisa und Salvato beunruhigt, welche nach unruhiger geworden wären, wenn sie gewußt hätten, in welcher Absicht Michele der Narr, jetzt Michele der Weise, sich entfernt hatte.