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La San Felice

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Neuntes Capitel.
Der Bruch des Waffenstillstandes

Die Lazzaroni wollten, wüthend darüber, daß der General Mack ihnen entschlüpft war, einen so weiten Weg nicht umsonst gemacht haben.

Sie marschierten demgemäß gegen die französischen Vorposten und jagten diese zurück. Da der General Championnet dem Thiébaut gleich beim ersten Schusse, den er hörte, befohlen hatte, nachzusehen, was es gäbe, so sammelte dieser die durch diesen unvermutheten Ueberfall Versprengten wieder und machte mit ihnen auf die ganze Rotte einen Angriff in dem Augenblick, wo sie die zwischen den beiden Armeen gezogene Demarcationslinie überschritt.

Er tödtete einen Theil, schlug den andern in die Flucht, blieb aber, ohne ihn zu verfolgen, innerhalb der der französischen Armee vorgezeichneten Grenzen.

Zwei Ereignisse hatten den Waffenstillstand gebrochen – die Nichtbezahlung der in dem Vertrag stipulierten fünf Millionen und der Angriff der Lazzaroni.

Am 19. Januar sahen die vierundzwanzig Deputirten der Stadt, welchen Gefahren sie durch diese beiden Insulten ausgesetzt wurden, die, einem Sieger zugefügt, nicht verfehlen konnten, ihn zu bestimmen, auf Neapel zu marschieren.

Sie machten sich deshalb auf den Weg nach Caserta, wo Championnet sein Hauptquartier hatte. Sie brauchten jedoch nicht ganz so weit zu gehen, weil der General mittlerweile bis Maddalone vorgerückt war.

Der Fürst von Maliterno befand sich an ihrer Spitze.

Als sie vor dem französischen General erschienen, begannen alle auf einmal zu reden.

Die einen baten, die andern drohten, wieder andere begehrten demüthig Frieden, während noch andere sich in Herausforderungen und Schmähreden ergingen.

Championnet hörte mit seiner gewöhnlichen Artigkeit und Geduld zehn Minuten lang zu, dann aber, als es ihm unmöglich war, von Allem, was gesagt ward, auch nur ein Wort zu verstehen, entgegnete er in vortrefflichem Italienisch: »Meine Herren, wenn Einer von Ihnen die Güte haben wollte, das Wort im Namen Aller zu ergreifen, so zweifle ich nicht, daß wir uns endlich verständigen, oder wenigstens verstehen würden.«

Dann wendete er sich zu Maliterno, den er an der tiefen Narbe, welche er auf Stirn und Wange trug, erkannte, und sagte:

»Fürst, wenn man sich zu schlagen weiß wie Sie, so muß man sein Land mit dem Wort ebenso gut zu vertheidigen wissen, wie mit dem Säbel. Wollen Sie mir die Ehre erzeigen, mir zu sagen, was Sie hierherführt? Ich schwöre Ihnen, daß ich Sie mit dem größten Interesse anhören werde.«

Diese so reine Beredsamkeit, diese so vollkommene Freundlichkeit setzte die Deputierten in Erstaunen.

Sie schwiegen, traten einen Schritt zurück und überließen dem Fürsten von Maliterno die Aufgabe, die Interessen Neapels zu vertheidigen.

Da wir nicht wie Titus Livius uns anmaßen, die Reden der Personen zu machen, welche wir auftreten lassen, so beeilen wir uns zu sagen, daß wir an dem Text der Rede des Fürsten von Maliterno kein Wort ändern.

»General,« sagte er zu Championnet gewendet, »seit der Flucht des Königs und des Generalvicars befindet sich die Regierung des Königreichs in den Händen des Senats der Stadt. Wir können daher mit Ihnen, Excellenz, einen dauernden und zu Recht bestehenden Tractat schließen.«

Bei dem Titel Excellenz lächelte der republikanische General und verneigte sich. Der Fürst überreichte ihm ein Packet.

»Hier ist ein Brief, fuhr er fort, »welcher die Vollmachten der hier anwesenden Deputierten enthält. Vielleicht betrachten Sie, der Sie als Sieger und an der Spitze einer siegreichen Armee so rasch von Civita Castellana bis Maddalone gelangt sind, die zehn Meilen, die Sie noch von Neapel trennen, als eine geringe Entfernung. Sie werden jedoch bemerken, daß diese Entfernung eine unermeßliche, ja selbst unübersteigliche ist, wenn Sie bedenken, daß Sie von bewaffneten und muthigen Bevölkerungen umgeben sind und daß sechzigtausend in Regimenter eingeheilte Bürger, vier feste Castelle und mehrere Kriegsschiffe eine Stadt vertheidigen, welche fünfhunderttausend durch die Religion begeisterte und durch die Unabhängigkeit exaltierte Einwohner zählt. Nehmen Sie auch an, daß der Sieg fortfährt, Ihnen treu zu bleiben und daß Sie als Eroberer in Neapel einziehen, so wird es Ihnen doch unmöglich sein, sich darin zu behaupten. Alles läßt Ihnen daher räthlich erscheinen, Frieden mit uns zu schließen. Wir bieten Ihnen nicht blos die in dem Vertrag von Sparanisi stipulirten dritthalb Millionen Ducati, sondern auch so viel Geld, als Sie von uns verlangen werden, so lange Sie sich in den Schranken der Mäßigung halten. Ueberdies stellen wir, damit Sie den Rückzug antreten können, Lebensmittel, Wagen, Pferde und endlich Straßen zur Verfügung, für deren Sicherheit wir Ihnen bürgen. Sie haben große Erfolge errungen, Sie haben Kanonen und Fahnen erobert, Sie haben eine große Anzahl Gefangene gemacht, Sie haben vier Festungen genommen – wir bieten Ihnen einen Tribut und bitten Sie um Frieden wie einen Sieger. Sie ernten folglich Ruhm und Geld zugleich. Erwägen Sie, General, daß wir für Ihre Armee viel zu schwach sind, daß, wenn Sie uns den Frieden bewilligen, wenn Sie sich dazu verstehen, nicht in Neapel einzuziehen, die Welt Ihrer Großmuth Beifall zollen wird. Wenn dagegen der verzweifelte Widerstand der Einwohner, auf welchen wir das Recht haben zu zählen, Sie zurückschlägt, so werden Sie nur die Schmach ernten, Ihr Unternehmen gescheitert zu sehen.«

Championnet hörte nicht ohne Erstaunen diese lange Rede an, die ihm mehr eine Vorlesung als eine Improvisation zu sein schien.

»Fürst,« antwortete er dem Redner höflich, aber kalt, »ich glaube, Sie begehen einen schweren Irrthum, Sie sprechen mit Siegern, wie Sie mit Besiegten sprechen würden. Der Waffenstillstand besteht aus zwei Gründen nicht mehr. Der erste ist, daß Sie am 15. nicht die Summe bezahlt haben, welche Sie bezahlen sollten; der zweite ist, daß Ihre Lazzaroni uns innerhalb unserer Linien angegriffen haben. Morgen marschiere ich gegen Neapel. Treffen Sie Ihre Anstalten, mich zu empfangen. Ich meinerseits habe bereits meine Anstalten getroffen, in die Stadt einzuziehen.«

Der General und die Deputierten wechselten gegenseitig einen kalten Gruß. Der General kehrte in sein Zelt zurück und die Deputierten machten sich auf den Rückweg nach Neapel.

In Zeiten der Revolution aber wechselt, wie in den Gewittertagen des Sommers, das Wetter sehr schnell, und der am Morgen heitere Himmel ist am Mittag dicht umwölkt.

Die Lazzaroni glaubten, als sie Maliterno mit den Deputierten der Stadt nach dem französischen Lager aufbrechen sahen, sie seien verrathen, und aufgereizt durch die in den Kirchen predigenden Priester und durch die in den Straßen predigenden Mönche, welche alle den kirchlichen Egoismus mit dem königlichen Mantel bedeckten, stürzten sie nach dem Kloster, in welchem sie ihre Waffen niedergelegt, bemächtigten sich derselben wieder, erklärten Malitermo der Dictatur, die sie ihm am Tage vorher übertragen, verlustig und ernannten Anführer oder stellten sich vielmehr wieder unter das Commando der früheren.

Man hatte die königlichen Fahnen abgenommen, aber dafür noch nicht die Fahne des Volkes aufgepflanzt.

Die königlichen Fahnen kamen überall wieder zum Vorschein.

Ueberdies bemächtigte sich das Volk einer Anzahl von sieben oder acht Geschützen, zog sie durch die Straßen und pflanzte sie in der Toledostraße, auf der Chiaja und auf dem Largo del Pigne auf.

Nun begannen die Plünderungen und die Hinrichtungen. Die Galgen, welche Maliterno errichten lassen, um Räuber und Mörder zu hängen, dienten jetzt, um die Jakobiner zu hängen.

Ein bourbonischer Sbirre denuncierte den Advocaten Fasulo. Die Lazzaroni brachen in sein Haus ein. Er hatte nur eben noch Zeit, mit seinem Bruder über die Terrasse zu entfliehen. Man fand bei ihnen einen Kasten mit französischen Kokarden und wollte nun ihre junge Schwester erwürgen, die sich aber durch ein großes Crucifix schützte, welches sie in die Arme schloß. Die religiöse Scheu that den Mördern Einhalt und sie begnügten sich damit, daß sie das Haus plünderten und in Brand steckten.

Maliterno kam von Maddalone zurück, als er zum Glück für ihn noch außerhalb der Stadt von den Flüchtlingen, denen er begegnete, erfuhr, was darin vorging.

Er schickte nun zwei Boten ab, welchen er jedem ein Billet übergab, von welchem sie vorher Kenntniß genommen. Wenn sie festgehalten wurden, so sollten sie diese Billets zerreißen oder verschlucken und, da sie den Inhalt auswendig wußten, wenn sie den Händen der Lazzaroni entschlüpften, ihren Auftrag dennoch ausführen.

Eines dieser Billets war für den Herzog von Rocca Romana bestimmt. Maliterno meldete ihm, wo er sich verborgen hielt, und forderte ihn auf, nach Einbruch der Nacht mit etwa zwanzig Freunden sich bei ihm einzufinden.

Das andere war an den Erzbischof. Diesem ward bei Todesstrafe befohlen, Schlag zehn Uhr Abends sämtliche Glocken läuten zu lassen, sein Capitel eben so wie die ganze Geistlichkeit der Kathedrale zu versammeln und das Blut und den Kopf des heiligen Januarius auszustellen.

Das Uebrige, hieß es in dem Billet, sei seine Sache.

Zwei Stunden später langten die beiden Boten ohne Unfall an dem Ort ihrer Bestimmung an.

Gegen sieben Uhr Abends kam Rocca Romana allein, meldete aber, daß seine zwanzig Freunde bereit seien und sich an dem ihnen zu bezeichnenden Orte einfinden würden.

Malitermo schickte ihn sofort nach Neapel zurück, indem er ihn bat, sich mit seinen Freunden um Mitternacht auf dem Platze des Dreieinigkeitsklosters einzufinden, wo er ebenfalls hinzukommen versprach. Gleichzeitig sollten sie von ihren Dienern so viele als möglich zusammenrufen und dieselben ebenso wie sich selbst gut bewaffnen.

Die Parole war Vaterland und Freiheit. Man sollte sich um nichts kümmern. Maliterno nahm die ganze Verantwortlichkeit auf sich.

 

Diesen Befehl sollte Rocca Romana weiter befördern und dann sofort zurückkommen. Im Falle Beide abwesend wären, sollte man an Manthonnet schreiben, welcher seinerseits unterrichtet war.

Um zehn Uhr Abends ließ, dem empfangenen Befehl gehorsam, der Cardinal-Erzbischof sämtliche Glocken läuten.

Bei diesem unerwarteten Klange, welcher von dem Fluge eines Schwarmes Vögel mit ehernen Schwingen herzurühren schien, machten die Lazzaroni erstaunt in ihrem Zerstörungswerke Halt.

Die einen, welche glaubten, es sei ein Freudensignal, sagten, die Franzosen hätten die Flucht ergriffen, die andern dagegen glaubten, man riefe sie zu den Waffen, weil die Franzosen die Stadt angegriffen hätten.

In dem einen und dem andern Falle aber, und was auch Jeder glauben mochte, eilte er nach der Kathedrale.

Hier sah man den Cardinal, umgeben von seiner Geistlichkeit, in der mit Tausenden von Wachskerzen erleuchteten Kathedrale.

Der Kopf und das Blut des heiligen Januarius waren auf dem Altar ausgestellt.

Man kennt die Devotion der Neapolitaner gegen die Reliquien des Beschützers ihrer Stadt. Beim Anblick dieses Blutes und dieses Hauptes, welche in der Politik vielleicht eine weit größere Rolle gespielt haben als in der Religion, begannen selbst die Wüthendsten und Wildesten sich zu beruhigen und sanken in der Kirche, wenn sie in dieselbe einzudringen vermocht, oder draußen, wenn die Menge, welche die Kathedrale erfüllte, sie gezwungen hatte auf der Straße zu bleiben, auf die Knie nieder und alle, inn- und außerhalb der Kirche, begannen zu beten.

Nun schickte die Procession, mit dem Cardinal-Erzbischof an der Spitze, sich an, die Kirche zu verlassen und die Stadt zu durchziehen.

In diesem Augenblick erschienen zur Rechten und zur Linken des Prälaten und gleichsam als Repräsentanten der Volkstrauer der Fürst von Maliterno und der Herzog von Rocca Romana, schwarz gekleidet, barfuß und mit Thränen in den Augen.

Das Volk sah auf diese Weise plötzlich die beiden vornehmsten Herren von Neapel, welche man beschuldigt, die Stadt zu Gunsten der Franzosen verrathen zu haben, den Zorn Gottes gegen diese Franzosen anrufend.

Nun fiel es Keinem mehr ein, die des Verrathes zu beschuldigen, sondern man war nur bedacht, mit ihnen zu beten und sich zu demüthigen.

Das ganze Volk folgte den von dem Erzbischofe getragenen heiligen Reliquien und bewegte sich in Procession durch einen großen Theil der Stadt, um dann wieder in die Kirche zurückzukehren, von welcher man ausgezogen war.

Hier bestieg Maliterno die Kanzel und hielt an das Volk eine Rede, in welcher er sagte, der heilige Januarius, der himmlische Beschützer der Stadt, werde sicher nicht gestatten, daß dieselbe in die Hände der Franzosen falle.

Dann forderte er Alle auf, nach Hause zu gehen, von den Anstrengungen des Tages auszuruhen und sich durch den Schlaf zu stärken, damit Diejenigen, die kämpfen wollten, bei Tagesanbruch sich mit den Waffen in der Hand einfinden könnten.

Zuletzt ertheilte der Erzbischof allen Anwesenden seinen Segen und alle entfernten sich, indem jeder bei sich selbst die von dem Erzbischofe gesprochenen Worte wiederholte:

»Wir haben nur zwei Hände wie die Franzosen; für uns aber ist der heilige Januarius.«

Nachdem die Kirche geleert war, wurden auch die Straßen einsam.

Nun holten Maliterno und Rocca Romana ihre Waffen, welche sie in der Sacristei gelassen, und begaben, im Schatten entlang schleichend, sich nach dem Dreieinigkeitsplatze, wo ihre Gefährten sie erwarteten.

Sie fanden hier Manthonnet, Velasco, Schipani und dreißig oder vierzig Patrioten.

Die Frage war, sich des Castells San Elmo zu bemächtigen, in welchem sich, wie man sich erinnert, Nicolino Caracciolo als Gefangener befand. Rocca Romana, welchen das Schicksal seines Bruders eben so beunruhigte, wie die Andern um das ihres Freundes besorgt waren, hatten beschlossen, ihn zu befreien.

Um dies zu thun, bedurfte es der Ausführung eines Handstreiches.

Nachdem Nicolino der von Vanni beabsichtigten Tortur so glücklich entronnen war, konnte er doch dem Tode nicht entrinnen, sobald die Lazzaroni sich des Castells San Elmo bemächtigten, des einzigen, auf welches sie, seiner uneinnehmbaren Lage wegen, keinen Angriff unternommen.

Maliterno hatte deshalb während seiner vierundzwanzigstündigen Dictatur, da er Nicolino die Thüren seines Kerkers nicht zu öffnen wagte, weil er dann fürchten mußte, von den Lazzaroni des Verraths beschuldigt zu werden, drei oder vier Leute, welche zu einer Dienerschaft gehörten, unter die Garnison des Castells gemischt. Durch einen dieser Leute hatte er die Parole vom 20. bis 21. Januar erfahren. Sie lautete: Parthenope und Pausilippo.

Er beabsichtigte nun eine Patrouille zu fingieren, welche aus der Stadt käme, um dem Commandanten des Castells Befehle zu überbringen, dann in die Citadelle einzudringen, und sich derselben zu bemächtigen.

Unglücklicherweise waren Maliterno, Rocca Romana, Manthonnet, Velasco und Schipani zu allgemein bekannt, um selbst das Commando des kleinen Trupps zu übernehmen. Sie mußten es deshalb einem ihrer Parteiangehörigen Manne aus dem Volke übertragen. Dieser aber, der mit dem Kriegsgebrauche nicht vertraut war, gab, anstatt das Wort Parthenope als Parole, das Wort Napoli, in der Meinung, es sei dies ganz einerlei.

Die Schildwache durchschaute sofort den Betrug und rief zu den Waffen. Der kleine Trupp ward demgemäß durch eine lebhafte Musketensalve und drei Kanonenschüsse empfangen, welche aber glücklicherweise den Angreifern keinen Schaden zufügten.

Dieser Mißerfolg war ein in doppelter Beziehung ungünstiger.

Erstens ward auf diese Weise Nicolino Caracciolo nicht in Freiheit gesetzt und zweitens erhielt Championnet nicht das Signal, welches die Republikaner ihm versprochen.

Championnet hatte nämlich den Republikanern das Versprechen gegeben, im Laufe des 21. Januar in Sicht von Neapel zu sein, und die Republikaner hatten ihm ihrerseits versprochen, daß er zum Zeichen des Einverständnisses die dreifarbige französische Fahne auf dem Castell Sam Elmo wehen sehen solle.

Da aber ihr nächtlicher Angriff mißlungen war, so konnten die Championnet das ihm gegebene Wort nicht halten.

Maliterno und Rocca Romana, welche einfach Nicolino Caracciolo befreien wollten und blos die Bundesgenossen, aber nicht die Mitschuldigen der Republikaner waren, hatten von diesem Theile des Geheimnisses keine Kenntniß.

Für die Einen wie für die Andern war daher das Erstaunen um so größer, als man am 21. bei Tagesanbruch dennoch die französische Tricolore auf den Thürmen des Castells San Elmo flattern sah.

Erzählen wir, auf welche Weise dieser unerwartete Wechsel vor sich gegangen und die französische Fahne auf dem Castell aufgepflanzt worden war.

Zehntes Capitel.
Ein Kerkermeister, welcher menschlich denken lernt

Man erinnert sich, wie in Folge des von Roberto Brandi, des Gouverneurs von San Elmo, dem Fiscalprocurator Vauni überbrachten Billets letzterer die Zurüstungen zur Folter hatte aufschieben und Nicolino Caracciolo wieder in den Kerker Nr. 3 in der zweiten Etage, unter dem Zwischenstock, wie der Gefangene sagte, hatte zurückführen lassen.

Roberto Brandi hatte von dem Inhalt des von dem Fürsten Castelcicala an Vanni gerichteten Billets keine Kenntniß; an der Veränderung aber, die in dem Gesicht des Fiscalprocurators vorging, an der Blässe, welche seine Wangen überzog, an dem von ihm erheilten Befehl, Nicolino wieder in sein Gefängniß zurückzubringen, an der Schnelligkeit, womit er die Folterkammer verlassen, hatte Brandi ohne Mühe errathen, daß die in dem Brief enthaltene Nachricht eine sehr ernste sein müsse.

Gegen vier Uhr Nachmittags hatte er wie alle Welt durch Pronios Maueranschlage die Rückkunft des Königs nach Caserta erfahren, und am Abend von der Höhe der Mauern des Castells dem Triumphzuge des Königs beigewohnt und sich an dem Anblick der Illumination geweidet, welche die Folge davon gewesen.

Die Ursache dieser Rückkunft des Königs hatte ihm, ohne eine so elektrische Wirkung auf ihn zu äußern, wie auf Vanni, dennoch Stoff zum Denken gegeben.

Er bedachte, daß Vanni in seiner Furcht vor den Franzosen augenblicklich sich enthalten, Nicolino foltern zu lassen, und daß auch er am Ende von den Franzosen zur Rede gesetzt werden könnte, weil er Nicolino gefangen gehalten.

Deshalb kam er auf den Gedanken, sich für den nun sehr leicht möglichen Fall, daß die Franzosen wirklich in Neapel einzögen, seinen Gefangenen selbst zum Freunde zu machen.

Gegen fünf Uhr Abends, das heißt in dem Augenblick, wo der König durch die Porta Campana einzog, ließ der Commandant des Castells sich demgemäß den Kerker des Gefangenen öffnen, näherte sich ihm mit einer Artigkeit, welche er übrigens gegen ihn niemals gänzlich aus den Augen gesetzt, und sagte:

»Herr Herzog, ich hörte gestern, daß Sie sich gegen den Herrn Fiscalprocurator über die Langweile beklagten, welche Ihnen der Mangel an Büchern in Ihrem Gefängniß verursachte.«

»Allerdings habe ich mich darüber beklagt, antwortete Nicolino mit seinem unverwüstlichen guten Humor. »Wenn ich mich im Genusse meiner Freiheit befinde, so bin ich mehr ein Singvogel, wie die Lerche oder die Amsel, als ein Träumer, wie der Uhu. Sitze ich aber einmal im Käfig, so ist mir ein Buch, wie langweilig es auch sein möge, immer noch lieber als unser Schließer, welcher gewohnt ist auf die weitschweifigsten Fragen blos mit dem Worte Ja oder Nein zu antworten, wenn er nämlich überhaupt eine Antwort gibt.«

»Wohlan denn, Herr Herzog, ich werde die Ehre haben, Ihnen einige Bücher zu schicken, und wenn Sie mir sagen wollen, welche Ihnen am angenehmsten wären –«

»Wie? Haben Sie denn hier eine Bibliothek im Castell?«

»Ja, zwei- bis dreihundert Bände.«

»Was den Teufel! In der Freiheit wäre dies genug für mein ganzes Leben, im Gefängniß würde ich damit wenigstens sechs Jahre ausreichen. Haben Sie vielleicht den ersten Band der Annalen des Tacitus, worin die Liebschaften des Claudius und die Ausschweifungen der Messalina erzählt werden? Es würde mir Vergnügen machen, dies wieder zu lesen, was nicht der Fall gewesen ist, seitdem ich die lateinische Schule verlassen habe.«

»Einen Tacitus haben wir allerdings, Herr Herzog, aber der erste Band fehlt. Wünschen Sie vielleicht die andern?«

»Ich danke. Ich bin ein specieller Freund von Claudius und habe mich auch für Messalina stets aufs Lebhafteste interessiert. Da ich nun finde, daß unsere erhabenen Souveräne, mit welchen ich das Unglück gehabt, mich in aller Unschuld zu veruneinigen, in vielen Punkten mit diesen beiden Persönlichkeiten große Aehnlichkeit haben, so hätte ich gern, nach Art Plutarchs, Parallelen gezogen, welche, wenn ich sie unsern Souveränen vorgelegt, ganz gewiß das herrliche Ergebniß gehabt hätten, mich mit ihnen wieder auszusöhnen.«

»Es thut mir leid, Herr Herzog, daß ich Ihnen in dieser Beziehung nicht gefällig sein kann. Verlangen Sie aber ein, anderes Buch, und wenn es sich in der Bibliothek befindet –«

»Sprechen wir nicht weiter davon. Haben Sie vielleicht die Neue Wissenschaft von Vico?«

»Nein, dieses Buch kenne ich nicht, Herr Herzog.«

»Wie! Sie kennen Vico nicht?«

»Nein, Herr Herzog.«

»Ein Mann von Ihrer Bildung kennt Vico nicht! Das ist seltsam. Vico war der Sohn eines kleinen Buchhändlers in Neapel. Neun Jahre lang war er Lehrer der Neffen eines Bischofes, dessen Namen ich, wie so viele Andere mit mir, vergessen habe, trotzdem daß dieser Bischof zuversichtlich hoffte, sein Name werde länger leben als der Vico's. Während nun der Bischof die Messe las, den Segen spendete und seinen drei Neffen eine väterliche Erziehung gab, schrieb Vico ein Buch, welches er, wie ich bereits die Ehre gehabt, Ihnen zu sagen, die »Neue Wissenschaft« betitelte – ein Buch, in welchem er in der Geschichte der verschiedenen Völker drei Zeitalter unterschied, welche gleichmäßig aufeinander folgen, nämlich das göttliche, die Kindheit der Völker, während welcher die Gottheit Alles ist und wo die Priester die Autorität besitzen; die heroische, oder das Zeitalter der physischen Kraft und der Helden, und das Zeitalter der Humanität oder der Civiliation, nach welchem die Menschen wieder in den Urzustand zurückkehren. Da wir nun jetzt im heroischen Zeitalter stehen, so wollte ich eine Parallele zwischen Achilles und dem General Mack ziehen, und da dieselbe sicherlich zu Gunsten dieses berühmten Generals ausgefallen wäre, so hätte ich mir in diesem einen Freund erworben, welcher meine Sache dem Marquis Vanni gegenüber geführt hätte, der diesen Morgen so schnell verschwand, ohne ums Lebewohl zu sagen.«

 

»Mit dem größten Vergnügen würde ich Ihnen behilflich sein, Herr Herzog; wir haben aber keinen Vico.«

»Nun gut; lassen wir dann die Historiker und die Philosophen beiseite und gehen wir zu den Chronikschreibern über. Haben Sie vielleicht die Chronik des Klosters vom heiligen Erzengel in Bajano? Da ich jetzt eingesperrt bin wie ein Mönch, so bin ich für meine ebenfalls eingesperrten Schwestern, die Nonnen, von dem lebhaftesten Wohlwollen beseelt. Denken Sie sich, mein lieber Herr Commandant, daß diese würdigen Nonnen es möglich zu machen gewußt, mittelst einer geheimen Thür, zu welcher sie gleichzeitig mit der Aebtissin einen Schlüssel besaßen, ihre Liebhaber in die Gärten einzulassen. Eine der Schwestern, welche ihr Gelübde erst seit einigen Tagen abgelegt und folglich noch nicht Zeit gehabt hatte, alle Bande, die sie an die Welt knüpfte, zu lösen, traf ihre Maßnahmen unrichtig, verwechselte das Datum und gab zweien ihrer Liebhaber in einer und derselben Nacht Rendezvous. Die beiden jungen Männer begegneten sich, erkannten einander und nahmen die Sache, anstatt leicht, wie ich sie genommen haben würde, ernst, das heißt, sie zogen die Degen. Man sollte niemals mit dem Degen in ein Kloster gehen. Einer der beiden jungen Männer stach den andern nieder und ergriff dann die Flucht. Man fand die Leiche, Sie verstehen, mein werther Herr Commandant, daß man unmöglich sagen konnte, sie sei allein dahin gekommen. Man stellte eine Untersuchung an, und wollte den Gärtner fortjagen. Der Gärtner denuncirte nun die junge Schwester, welcher man den Schlüssel abnahm, während die Aebtissin allein das Recht erhielt, einzulassen, wen sie wollte, bei Tage wie bei Nacht. Diese Beschränkung war zwei jungen Nonnen aus den vornehmsten Familien Neapels sehr unangenehm. Sie bedachten, daß, da eine ihrer Genossinnen zwei Liebhaber für sich allein hätte, sie wohl einen Liebhaber für alle Beide haben könnten. Sie verlangten ein Clavier.

»Ein Clavier ist ein sehr unschuldiges Möbel und eine Aebtissin müßte einen sehr schlechten Charakter haben, wenn sie zwei armen Nonnen, die weiter keine Zerstreuung haben, als die Musik, ein Clavier verweigern wollte. Man brachte das Clavier. Unglücklicherweise war die Thür der Zelle so eng, daß es nicht hindurchging. Es war eines Sonntags in dem Augenblicke der großen Messe. Man nahm sich vor, sobald dieselbe vorüber wäre, das Clavier an Seilen durch das Fenster hereinzuziehen. Die Messe dauerte drei Stunden. Eine Stunde brauchte man, um das Clavier hinaufzuziehen, und ebenso hatte man eine Stunde gebraucht, um es von Neapel bis in das Kloster zu schaffen. Dies waren zusammen fünf Stunden. Die armen Nonnen waren förmlich heißhungrig nach Musik. Als die Fenster und Thüren geschlossen waren, beeilten sie sich daher, das Instrument zu öffnen. Dieses aber hatte sich aus einem Clavier in einen Sarg verwandelt. Der schöne junge Mann, welcher darin stak und welchen die beiden guten Freundinnen zu ihrem Gesanglehrer zu machen gedacht, war erstickt. Nun gerieth man in Bezug auf diesen zweiten Cadaver in neue Verlegenheit, denn dieser war in einer Zelle noch weit schwieriger zu verbergen, als der erste in einem Garten. Die Sache ward ruchbar. Neapel hatte damals einen sehr strengen jungen Prälaten zum Erzbischof. Dieser überlegte, auf welche Weise er das gegebene öffentliche Aergerniß bestrafen sollte. Ein förmlicher Proceß würde die ganze Welt von dem Scandal unterrichtet haben, welcher so nur in Neapel bekannt war. Er beschloß daher die Sache ohne Proceß abzumachen. Demgemäß ging er zu einem Apotheker, ließ sich einen möglichst starken Schierlingsextract bereiten, steckte das Fläschchen ein, begab sich in das Kloster und ließ die Aebtissin und die beiden Nonnen vor sich kommen. Dann theilte er den Schierlingsaft in drei Theile und zwang die Verbrecherinnen, jede ihren Theil von dem durch Sokrates geheiligten Gifte zu trinken. Sie starben unter den fürchterlichsten Schmerzen. Der Erzbischof besaß aber eine große Gewalt und verzieh ihnen ihre Sünden in articulo mortis. Dann aber schloß er das Kloster und schickte die andern Nonnen zur Buße in die strengsten Klöster ihres Ordens. Sie verstehen mich, Herr Commandant. Ich habe die Geschichte vielleicht in einem oder in dem andern Punkte nicht ganz genau erzählt, hätte aber große Lust, daraus einen moralischen Roman nach Art der »Nonne« von Diderot oder ein Familiendrama nach Art der »Opfer des Klosters« von Monvel zu machen. Dies hätte mich während der längeren oder kürzeren Zeit, die ich noch Ihr Gast zu bleiben gezwungen bin, auf angenehme Weise beschäftigt. Sie haben nichts von Allem diesen. Geben Sie mir daher, was Sie wollen – die Schriften des Polybius, die Commentatarien Cäsars, die Märtyrergeschichte des heiligen Januarius. Es ist mir Eines so recht wie das Andere, mein bester Herr Commandant, und ich werde Ihnen für Alles zu gleichem Danke verpflichtet sein.«

Der Commandant Brandi ging in seine Wohnung hinauf und wählte aus seiner Bibliothek fünf oder sechs Bände, welche Nicolino sich aber nicht die Mühe nahm zu öffnen.

Am nächstfolgenden Tage gegen acht Uhr Abends trat der Commandant wieder in Nicolino's Gefängniß und zwar in Begleitung eines Schließers, welcher zwei brennende Kerzen trug.

Der Gefangene hatte sich schon auf sein Bett geworfen, obschon er noch nicht schlief. Erstaunt über diesen Luxus, riß er die Augen auf. Vor drei Tagen hatte er eine Lampe verlangt und man hatte ihm dieselbe verweigert.

Der Schließer setzte die beiden Kerzen auf den Tisch und entfernte sich wieder.

»Ah, mein werther Herr Commandant,« rief Nicolino, »wollen Sie mir vielleicht die Ueberraschung bereiten, mir eine Abendgesellschaft zu geben?«

»Nein, ich mache Ihnen einen einfachen Besuch, mein lieber Gefangener, und da ich nicht gern im Dunkeln spreche, so habe ich, wie Sie sehen, Licht bringen lassen.«

»Ich wünsche mir zu Ihrer Antipathie gegen die Finsterniß aufrichtig Glück, aber dennoch erscheint es mir unmöglich, daß nur der Wunsch, ein wenig mit mir zu plaudern, Sie ohne irgend eine äußere Ursache bewogen habe, so splendid zu sein. Was haben Sie mir zu sagen?«

»Ich habe Ihnen etwas sehr Wichtiges zu sagen, woran ich schon sehr lange gedacht.«

»Und nun sind Sie mit Ihrem Nachdenken darüber fertig?«

»Ja.«

»Nun, so sprechen Sie.«

»Sie wissen, mein werther Herr, daß Sie sich auf ganz besondere Empfehlung der Königin hier befinden?«

»Gewußt habe ich es nicht, aber ich vermuthete es.«

»Und zwar unter Beobachtung der strengsten Abgeschlossenheit.«

»Was dies betrifft, so habe ich allerdings Gelegenheit gehabt, mich davon zu überzeugen.«

»Nun wohl, denken Sie sich, mein werther Gast, daß, seitdem Sie hier sind, schon zweimal eine Dame dagewesen ist, um mit Ihnen zu sprechen.«

»Eine Dame?«

»Ja, eine verschleierte Dame, welche aber durchaus nicht ihren Namen nennen wollte, sondern blos erklärte, sie käme im Auftrage der Königin, zu deren Haushalt sie gehöre.«

»Wie!« rief Nicolino, »sollte das vielleicht Elena gewesen sein? In der That, dies würde mich wieder mit ihr aussöhnen. Und Sie haben ihr natürlich consequent den Zutritt verweigert?«

»Da sie im Auftrage der Königin kam, so glaubte ich, ihr Besuch könnte Ihnen nicht angenehm sein, und ich fürchtete Ihnen keinen Gefallen zu erzeigen, wenn ich sie bei Ihnen vorließe.«

»Ist die Dame jung?«

»Ich glaube es.«

»Ist die hübsch?«

»Ich wollte darauf wetten.«

»Wohlan, mein bester Herr Commandant, eine hübsche junge Frau kommt einem Gefangenen, der seit sechs Wochen von aller Welt abgeschlossen ist, niemals ungelegen, käme sie selbst im Auftrage des Teufels.«

»Wenn also,« fragte Roberto Brandi, »diese Dame wiederkommen sollte?«

»Wenn diese Dame wiederkommen sollte, so lassen Sie sie herein, mordieu!«

»Es ist mir lieb, daß ich dies weiß. Ich weiß selbst nicht weshalb, aber ich vermuthe, daß sie diesen Abend wiederkommen wird.«