Za darmo

La San Felice

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Elftes Capitel.
Die Ehegatten

Man erinnert sich, wie der Prinz von Calabrien Wind von den Nachrichten bekommen, welche er seiner Mutter mitgetheilt.

Ein ihm ergebener Mann hatte im Polizeibureau einige Worte gehört, welche der Capitän Skinner zu dem Director der Salute gesagt.

Hatte der Capitän diese Worte absichtlich oder zufällig gesprochen? Dies hätte nur er allein sagen können.

Der treuergebene Mann, von welchem der Herzog von Calabrien sprach, war kein Anderer als der Chevalier San Felice, welcher mit einer Empfehlung vom Prinzen den Polizeipräfekten um die Ermächtigung bitten wollte, bis zu der unglücklichen Gefangenen zu gelangen.

Diese Ermächtigung war ihm ertheilt worden, aber nur gegen das Versprechen der vollständigsten Discretion, da die Gefangene durch den König selbst der besonderen Strenge des Präfekten empfohlen worden.

Demgemäß sollte der Chevalier während der Dunkelheit, zwischen zehn und elf Uhr, Einlaß in das Gefängniß seiner Gattin erhalten.

Als er in den Senatspalast zurückkehrte, welchen, wie wir erwähnt, der Kronprinz bewohnte, erzählte er diesem, was er auf dem Polizeibureau von einem amerikanischen Seecapitän über die Begegnung gehört, die derselbe auf dem Meer mit dem General Bonaparte gemacht.

Der Prinz besaß einen weit ausschauenden Blick und errieth sofort die Folgen einer solchen Rückkehr. Die Nachricht erschien ihm deshalb als eine äußerst wichtige, und um sich zu überzeugen, in wie weit sie wahr sei, bat er den Chevalier San Felice, sich sofort an Bord des amerikanischen Schiffes zu begeben.

San Felice würde dem Prinzen zu jeder Zeit mit der Schnelligkeit der Hingebung gehorcht haben; an diesem selben Tage aber hatte der Prinz ihn mit Güte überhäuft und er bedauerte daher, daß er, um ihm einen Dienst zu leisten, nur einen so einfachen Befehl auszuführen hatte.

Der Chevalier war je nach Lage der Sache beauftragt, den amerikanischen Capitän mit zu dem Prinzen zu bringen.

Er hatte sich demzufolge augenblicklich nach dem Hafen begeben, und nachdem er die ihm erheilte schriftliche Erlaubniß, das Gefängniß zu besuchen, in einer Brieftasche verwahrt, nahm er eines jener Boote, welche auf der Rhede hin- und herfahren, und forderte mit einer gewohnten Sanftmuth die darin sitzenden Ruderer auf, ihn nach der amerikanischen Goelette zu bringen.

So gewöhnlich und so häufig auch ein solches Vorkommniß ist, so bleibt das Einlaufen eines Schiffes in einen Hafen doch immer ein Ereigniß. Kaum hatte daher der Chevalier San Felice das Ziel seiner Fahrt bezeichnet, so steuerten die Ruderer sofort mit dem kleinen Schiffe, dessen graziös rückwärtsgeneigte beide Masten durch ihre Höhe zu der Kleinheit des Rumpfes einen so seltsamen Gegensatz bildeten.

Am Bord der Goelette schien streng Wache gehalten zu werden, denn kaum hatte der auf dem Hinterdeck postierte Matrose das Boot bemerkt und vermuthet, daß es nach dem Schiffe steuere, so ward der seit kaum einer Stunde von der Salute zurückgekehrte Capitän von dem bevorstehenden Besuche benachrichtigt und stieg in Begleitung seines Lieutenants, eines jungen Mannes von sechs- bis achtundzwanzig Jahren, rasch auf das Deck hinauf.

Nicht sobald hatten sie jedoch einen raschen Blick auf das Boot geworfen, als sie im Tone des Erstaunens und der Unruhe einige Worte wechselten und der junge Mann die in den Salon hinabführende Treppe verschwand.

Der Capitän wartete allein.

Der Chevalier San Felice glaubte, obschon er nur zwei Stufen zu steigen hatte, um auf das Deck zu gelangen, doch in englischer Sprache fragen zu müssen, ob er an Bord kommen dürfe.

Der Capitän antwortete jedoch durch einen Ruf der Ueberraschung und zog den nicht wenig erstaunten Chevalier auf eine im Hintertheile des Schiffes befindliche, mit einem Messinggeländer umgebene kleine Plattform.

Der Chevalier wußte nicht, was er von diesem Empfang, der übrigens durchaus nichts Feindseliges hatte, denken sollte, und betrachtete den Amerikaner mit fragendem Blick.

Dieser sagte jedoch in vortrefflichem Italienisch:

»Ich danke Ihnen, daß Sie mich nicht erkannt haben, Chevalier, es beweist dies, daß meine Verkleidung gut gewählt ist, obschon das Auge eines Freundes oft weniger scharf ist als das eines Feindes.«

Der Chevalier fuhr fort den Capitän anzusehen und versuchte seine Erinnerungen zusammenzuraffen, konnte sich aber nicht besinnen, wo er diese kräftigen, redlichen Züge schon gesehen.

»Ich werde,« sagte der vermeinte Amerikaner, »mich durch eine traurige, aber edle Erinnerung in Ihr Leben mischen, mein Herr. Ich war in dem Tribunal von Monte Oliveto an dem Tage, wo Sie daselbst erschienen, um Ihrer Gattin das Leben zu retten. Ich folgte Ihnen beim Heraustreten aus dem Tribunal und redete Sie an. Ich trug damals das Gewand eines Benedictinermönches.«

San Felice trat einen Schritt zurück und ward ein wenig bleich.

»Dann,« murmelte er, »sind Sie also der Vater?«

»Ja, Sie entsinnen sich wohl noch dessen, was Sie mir sagten, als ich Ihnen jene halbvertrauliche Mittheilung machte?«

»Ja, ich sagte zu Ihnen: Thun wir Alles, was in unseren Kräften steht, um die Unglückliche zu retten.«

»Und heute?«

»O, heute sage ich von ganzem Herzen dasselbe.«

»Wohlan,« sagte der vorgebliche Amerikaner, »ich bin deswegen hier.«

»Und ich,« sagte der Chevalier, »hoffe, daß diese Nacht mein Vorhaben gelingen werde. Wollen Sie mich vielleicht von Ihren Versuchen unterrichtet halten?«

»Ich verspreche es Ihnen.«

»Aber da Sie mich nicht erkannt haben, was führt Sie dann jetzt zu mir?«

»Der Befehl des Kronprinzen. Es hat sich das Gerücht verbreitet, daß Sie sehr wichtige Nachrichten mitbrächten, und der Prinz schickt mich zu Ihnen in der Absicht, Sie zum König zu führen. Widerstrebt es Ihnen, dem König vorgestellt zu werden?«

»Mir widerstrebt nichts, was unsere Pläne fördern kann, und ich verlange nichts Besseres als die Blicke der Polizei von dem eigentlichen Ziel, welches mich hierherführt, abzulenken. Uebrigens zweifle ich, daß der König unter diesem Costüm und in dieser Stellung den Bruder Giuseppe, den Wundarzt des Klosters vom Monte Cassino, erkennen werde. Sollte er aber auch den Bruder Giuseppe, den Wund- vom Monte Cassino, erkennen, so würde er doch immer noch weit entfernt sein zu ahnen, was derselbe in Palermo vorhat.«

»Nun, dann hören Sie mich.«

»Ich höre.«

»Während Sie mit dem Kronprinzen nach dem Palast gehen, und während der König Sie dort empfangen wird, gelange ich mit dem Erlaubnißschein der Polizei zu der Gefangenen. Ich theile ihr einen heute zwischen uns, der Herzogin von Calabrien und mir verabredeten Plan mit. Gelingt dieser Plan – und ich werde Ihnen heute Abend sagen, worin er besteht – so haben Sie nichts weiter zu thun. Die Unglückliche ist gerettet und die Verbannung tritt für sie an die Stelle der Todesstrafe. Nun aber ist die Verbannung ein Glück für sie, und Gott schenke ihr daher die Verbannung. Scheitert dagegen unser Plan, so hat die Gefangene, wie ich Ihnen hiermit erkläre, keine Hoffnung weiter als auf Sie. Ist dieser Augenblick gekommen, so werden Sie mir sagen, was Sie von mir wünschen. Möge es sich um thätige Mitwirkung oder einfache Bitten handeln, so haben Sie das Recht, Alles zu verlangen. Ich habe bereits mein Glück dem Ihrigen zum Opfer gebracht, ebenso bin ich auch bereit, mein Leben dem Ihrigen zu opfern.«

»Ja, ja, das wissen wir, Sie sind der Engel der Selbstverläugnung.«

»Ich thue, was ich soll, und eben deshalb habe ich die Verbindlichkeit auf mich genommen, welche ich heute erfülle. Sie werden den Palast ungefähr zu derselben Stunde verlassen, wo ich das Gefängniß verlasse. Der Erste von uns, welcher frei wird, erwartet dann den Andern auf dem Platze der vier Cantone.«

»Damit bin ich einverstanden.«

»Nun, so kommen Sie.«

»Ich habe nur noch einen Befehl zu ertheilen, dann stehe ich zu Ihrer Verfügung.«

Man begreift das Zartgefühl, welches Salvato in dem Augenblick, wo der Chevalier auf die Goelette kam, bewogen hatte, sich zu entfernen. Sein Vater aber, welcher errieth, von welcher Unruhe er gemartert würde, wollte, ehe er die Goelette verließ, ihm sagen, was er selbst nur sehr oberflächlich wußte, das heißt den Punkt, auf welchem die Dinge sich dermalen befanden. Es stand diesem gemäß Alles noch gut. Luisa war Gefangene, aber noch am Leben, und der Chevalier San Felice, der Herzog und die Herzogin von Calabrien conspirierten für sie.

Mit solchen Protectionen war es fast unmöglich, daß die Rettung nicht gelänge.

Scheiterte der Plan dennoch, nun dann war es Salvato’s Sache, in Gemeinschaft mit seinem Vater irgend einen verzweifelten Streich nach Art dessen zu versuchen, durch welchen er sich selbst gerettet.

Giuseppe Palmieri ging wieder auf das Deck hinauf. Der Chevalier erwartete ihn in dem Boote, welches ihn hergebracht. Der vorgebliche Capitän ertheilte in der That sehr laut einige Befehle auf amerikanisch und nahm dann neben dem Chevalier Platz.

Wie die Dinge im Palast gegangen waren, und welche Nachrichten der Besitzer der Goelette gebracht, haben wir bereits gesehen. Es bleibt uns jetzt noch übrig, zu sehen, was während dieser Zeit in dem Gefängniß vorgegangen war, und worin der von dem Chevalier und seinen beiden mächtigen Protectoren, dem Herzog und der Herzogin von Calabrien, verabredete Plan bestand.

Schlag zehn Uhr pochte der Chevalier an das Thor der Festung.

Dieses Wort »Festung« verräth, daß das Gefängniß, in welches man die unglückliche Luisa gesperrt, mehr als ein gewöhnliches Gefängniß war. Es war ein Staatsgefängniß.

Der Chevalier ward demgemäß zu dem Gouverneur geführt.

Militärpersonen sind gewöhnlich frei von jenen kleinlichen Leidenschaften, welche in Civilgefängnissen dem Haß der Gewalthaber zum bereitwilligen Werkzeug dienen. Der Oberst, welcher den Posten eines Gouverneurs bekleidete, empfing und begrüßte den Chevalier sehr artig, nahm Kenntniß von der ihm erheilten Ermächtigung, mit der Gefangenen zu verkehren, ließ den Oberaufseher rufen und befahl ihm, den Chevalier in das Zimmer der Person zu führen, welche er Erlaubniß hatte zu besuchen.

 

Als er bemerkte, daß diese Erlaubniß auf die Verwendung des Prinzen vertheilt worden, und als er in San Felice demgemäß eine der vertrauten Personen des Palastes erkannte, sagte er, indem er von dem Chevalier Abschied nahm:

»Ich bitte Sie, Excellenz, Seiner königlichen Hoheit meine ehrerbietige Huldigung zu Füßen zu legen.«

Der Chevalier, welcher förmlich gerührt war, dieser Courtoisie zu begegnen, während er gefürchtet, irgend eine Brutalität hinnehmen zu müssen, versprach nicht blos, sich des ihm ertheilten Auftrages zu entledigen, sondern auch dem Prinzen zu sagen, welche Rücksicht der Gouverneur auf seine Empfehlung genommen habe.

Der Oberaufseher seinerseits kam, als er sah, mit welcher Höflichkeit der Gouverneur mit dem Chevalier sprach, zudem Schlusse, der Chevalier sei eine sehr vornehme Persönlichkeit und beeilte sich daher, ihn unter fortwährenden Verbeugungen nach Luisa’s Zimmer zu geleiten, welches sich im zweiten Stockwerk eines der Thürme befand.

So wie der Chevalier die Treppen hinaufstieg, fühlte er wie das Herz ihm immer schwerer ward. Er hatte, wie wir bereits gesagt, Luisa seit der Sitzung des Tribunals nicht wieder gesehen, und mußte daher bei ihrem Wiederanblick nothwendig eine tiefe Gemüthserschütterung empfinden.

Als er daher an die Thür des Zimmers gelangte, legte er in dem Augenblick, wo der Schließer den Schlüssel in das Schloß stecken wollte, ihm die Hand auf die Schulter und murmelte:

»Ich bitte, mein Freund, noch einen Augenblick.«

Der Schließer hielt inne. Der Chevalier lehnte sich an die Wand; er vermochte kaum sich noch auf den Füßen zu erhalten.

Die Sinne der Gefangenen erlangen jedoch im Schweigen, in der Einsamkeit und in der Nacht eine ganz besondere, eigenthümliche Schärfe. Luisa hatte Tritte auf der Treppe gehört und bemerkt, daß diese Tritte vor ihrer Thür Halt machten.

Nun aber war jetzt nicht die Stunde, zu welcher Jemand in ihr Gefängniß zu kommen pflegte. Unruhig stieg sie von dem Bett herab, auf welches sie sich völlig angekleidet geworfen. Das Ohr spitzend und die Arme vor sich hinstreckend näherte sie sich der Thür, in der Hoffnung, irgend ein Geräusch zu vernehmen, welches ihr erlaubte, zu errathen, in welcher Absicht man sie zu einer so späten Stunde des Abends besuche.

Sie wußte, daß bis zur Stunde ihrer Niederkunft ihr Leben durch den Engel geschützt war, den sie unter ihrem Herzen trug, aber sie zählte die Tage mit Schrecken, denn schon stand sie im Begriff ihren siebenten Monat zu beenden.

Während der Chevalier an die äußere Mauer gelehnt und die Hand an die Brust drückend das heftige Pochen seines Herzens zu beschwichtigen suchte, horchte Luisa also auf der andern Seite der Thür mit verhaltenem Athem und angstvoll.

Der Chevalier begriff, daß er nicht ewig so stehen bleiben könne. Er bot daher alle seine Kräfte auf und sagte zu dem Schließer mit ziemlich fester Stimme:

»Oeffnet nun, Freund.«

Kaum waren diese Worte gesprochen, so war es ihm, als hörte er von der andern Seite der Thür einen schwachen Schrei. Dieser Schrei aber, wenn es einer war, ward sofort durch des Rasseln des Schlüssels in dem Schlosse erstickt.

Die Thür öffnete sich; der Chevalier blieb auf der Schwelle stehen.

Zwei Schritte davon, im Innern des Zimmers, von einem durch das vergitterte, aber glaslose Fenster fallenden Mondstrahl beleuchtet, kniete Luisa, weiß, mit aufgelöstem Haar, die Hände auf die Knie herabhängen lassend gleich Canovas Magdalena.

Durch die Thür hindurch hatte sie die Stimme ihres Gatten erkannt und erwartete ihn in der Haltung, in welcher die Ehebrecherin Christum erwartete.

Der Chevalier stieß seinerseits einen lauten Ruf aus, hob sie in seinen Armen empor und trug sie halb ohnmächtig auf ihr Bett.

Der Aufseher schloß die Thür, indem er sagte:

»Wenn Sie die elfte Stunde schlagen hören, Excellenz —«

»Schon gut, schon gut,« antwortete ihm San Felice, indem er ihm nicht Zeit ließ auszureden.

Das Zimmer blieb ohne anderes Licht als den Mondstrahl, welcher der Bewegung des nächtlichen Planeten gemäß sich langsam den beiden Gatten näherte.

Wir sollten eigentlich sagen: diesem Vater und dieser Tochter. – Nichts war in der That väterlicher als der Kuß, welchen Luciano auf Luisas bleiche Stirn drückte; nichts war kindlicher als die zitternde Umarmung, in welche Luise den Chevalier schloß.

Keines von beiden sprach ein Wort; man hörte blos ersticktes Schluchzen.

Der Chevalier begriff, daß die Scham nicht die alleinige Ursache von Luisas Schluchzen sei. Sie hatte Salvato nicht wieder gesehen, sie hatte seine Verurtheilung aussprechen hören; sie wußte nicht, was aus ihm geworden sei.

Eine Frage wagte sie nicht zu thun, und der Chevalier wagte in Folge fast übertriebenen Zartgefühls nicht ihren Gedanken zu antworten.

In diesem Augenblick veranlaßten die Gemüthsqualen der Mutter eine so heftige Bewegung des Kindes, daß Luisa einen lauten Schrei ausstieß.

Der Chevalier hatte diese Bewegung gefühlt, und ein Schauer ging ihm durch alle Glieder; mit einer sanften Stimme aber sagte er:

»Beruhige Dich, unschuldiges, ungeborenes Wesen ! dein Vater lebt, er ist frei und aller Gefahr entrückt.«

»O Luciano ! Luciano !« rief Luisa, indem sie dem Chevalier zu Füßen sank. »Aber, fuhr dieser lebhaft fort, »ich bin in einer andern Absicht gekommen, als um dies zu sagen. Ich bin gekommen, um mit Dir von Dir selbst zu sprechen, geliebtes Kind.«

»Von mir?«

»Ja, wir wollen Dich retten, geliebte Tochter.«

Luisa schüttelte den Kopf, um anzudeuten, daß sie dies für unmöglich hielt.«

»Ich weiß es wohl,« entgegnete San Felice, ihren Gedanken beantwortend, »der König hat Dich verurtheilt; wir haben aber ein Mittel, deine Begnadigung zu erlangen.«

»Meine Begnadigung! ein Mittel! Luciano, Du kennst ein Mittel, meine Begnadigung zu erlangen?«

Und sie schüttelte zum zweiten Male den Kopf.

»Ja,« hob San Felice wieder an, »und ich werde Dir dieses Mittel sagen. Die Kronprinzessin ist wieder in gesegneten Umständen.«

»Glückliche Mutter!« rief Luisa. »Sie erwartet nicht mit Angst und Schrecken den Tag, wo sie ihr Kind in ihre Arme schließen wird.«

Und mit diesen Worten warf Luisa sich schluchzend und die Hände ringend zurück.

»Warte doch und fasse Dich,« sagte der Chevalier. »Bete für ihre glückliche Niederkunft, denn der Tag, an welchem diese erfolgt, wird der deiner Freilassung sein.«

»Ich höre Dich,« sagte Luisa, indem sie ihr Haupt wieder emporrichtete und an die Brust ihres Gatten sinken ließ.

»Du weißt, fuhr San Felice fort, »daß, wenn die Kronprinzessin von Neapel von einem Prinzen entbunden wird, sie dann das Recht hat, um drei Gnadenacte zu bitten, die ihr niemals abgeschlagen wurden.«

»Ja, das weiß ich wohl.«

»Wohlan, an dem Tage, wo die Entbindung der Kronprinzessin erfolgt, wird sie anstatt um drei Gnadenacte nur um einen bitten und dieser eine wird deine Begnadigung sein.«

»Aber, sagte Luisa, »wenn sie nun eine Prinzessin gebiert?«

»Eine Prinzessin! eine Prinzessin!« rief San Felice, dessen Gedanken diese Alternative sich noch gar nicht vergegenwärtigt hatte. »Dies ist unmöglich. Gott wird es nicht erlauben.«

»Er hat ja schon erlaubt, daß ich ungerecht verurtheilt worden bin,« sagte Luisa mit schmerzlichem Lächeln.

»Das ist eine Prüfung!« rief der Chevalier, »und wir befinden uns hier einmal in einem Prüfungslande.«

»Das ist also unsere einzige Hoffnung?« fragte Luisa.

»Leider ja,« antwortete San Felice, »aber gleichviel. Hier, fuhr er fort, indem er ein Papier aus der Tasche zog, »hier ist eine von dem Herzog von Calabrien verfaßte, von seiner Gattin geschriebene Bittschrift. Unterzeichne dieselbe und setzen wir dann unser Vertrauen auf Gott.«

»Ich habe aber weder Feder noch Tinte.«

»Ich habe Beides, « antwortete der Chevalier.

Mit diesen Worten zog er ein Schreibzeug aus der Tasche und tauchte eine Feder ein.

Dann führte er Luisa, sie stützend, in die Nähe des Fensters, damit sie beim Scheine des Mondstrahles unterzeichnen konnte.

Luisa unterschrieb.

»So,« sagte er, indem er den Kopf emporrichte. »Ich werde Dir diese Feder, diese Tinte und ein Heft Papier dalassen. Du wirst schon Mittel finden, diese Dinge irgendwo zu verbergen. Sie können Dir nützlich sein.«

»Ja, ja, laß mir sie da, mein Freund,« sagte Luisa. »O wie gut Du bist und wie Du an Alles denkst! Aber was ist Dir? wonach schaust Du?«

In der That waren die Blicke des Chevaliers durch die doppelten Gitter des Fensters auf den Theil des Hafens gerichtet, den man durch die Oeffnung hindurch wahrnehmen konnte.

Ungefähr sechzig bis siebzig Schritte vom Fuße des Thurmes schaukelte sich die Goelette des Capitän Skinner.

»Wunder des Himmels!« murmelte der Chevalier.

»In der That, ich fange an zu glauben, daß er bestimmt ist, Dich zu retten.«

Ein Mann spazierte auf dem Deck hin und her und warf von Zeit zu Zeit einen forschenden Blick auf das Fort, als ob er die Mauern desselben durchdringen wollte.

In diesem Augenblick knarrte der Schlüssel im Schloß. Es schlug elf Uhr.

Der Chevalier faßte Luisas Kopf zwischen beide Hände und richtete einen Blick auf das Deck des kleinen Schiffes.

»Siehst Du jenen Mann?« fragte er leise.

»Ja, ich sehe ihn; was ist mit ihm?«

»Wohlan, Luisa, dieser Mann ist es.«

»Was ist er?« fragte die junge Frau schaudernd.

»Er ist derjenige, welcher Dich retten wird, wenn ich Dich nicht rette. Aber,« fuhr der Chevalier fort, indem er Luisa leidenschaftlich auf Stirn und Augen küßte, »ich werde Dich retten, ich werde Dich retten, ich werde Dich retten!«

Und mit diesen Worten eilte er aus dem Gefängniß, dessen Thür sich wieder schloß, ohne daß Luisa es gewahrte. Ihre ganze Seele lag jetzt in ihren Augen, und ihre Augen verschlangen mit ihrem Blick den Mann, welcher auf dem Deck der Goelette hin- und herwandelte.

Zwölftes Capitel.
Kleine Ereignisse, welche sich um große herum gruppieren

Hätte der Auftritt am Tage stattgefunden anstatt in der Nacht, so wäre der Chevalier, ohne sich um den Oberaufseher zu kümmern, die Treppen hinabgestürzt und hätte fortgefahren zu rufen: »Ich werde sie retten!«

In dem Corridor aber herrschte die vollständigte Finsterniß, denn hier war nicht einmal etwas von dem Mondstrahl zu bemerken, welcher Luisa’s Gefängniß erleuchtete.

Der Chevalier sah sich deshalb genöthigt, auf den Schließer und seine Laterne zu warten. Dieser geleitete ihn mit denselben Beweisen von Aufmerksamkeit, womit er ihn bei seiner Ankunft überhäuft. In dem Hofe angelangt, fuhr der Chevalier deshalb mit der Hand in die Tasche, nahm die wenigen Goldstücke, welche sich darin befanden, heraus und bot sie dem Schließer.

Dieser nahm sie, wog sie mit melancholischer Miene in der Hand und schüttelte den Kopf.

»Mein Freund, sagte San Felice, »es ist sehr wenig, das weiß ich wohl, aber ich werde mich deiner erinnern, sei unbesorgt, – obschon nur unter der Bedingung, daß Du der armen Frau, welche deine Gefangene ist, mit aller möglichen Rücksicht begegnet.«

»Ich beklage mich nicht über das, was Sie mir geben, Excellenz; dies sei fern von mir,« antwortete der Aufseher. »Wenn Sie aber wollten, Excellenz, so könnten Sie durch ein Wort mehr für mich thun, als ich jemals für die Gefangene werde thun können.«

»Und was kann ich für Dich thun?« fragte San Felice.

»Ich habe einen Sohn, Excellenz, und seit einem Jahre bitte ich vergebens um seine Anstellung als Schließer in der Festung. Wäre er hier, so würde ich ihn speciell mit der Bedienung der fraglichen Dame beauftragen, womit ich mich nicht selbst beschäftigen kann, da ich nur die allgemeine Aufsicht zu führen habe.«

»Ich bin gern bereit, sagte Felice, welcher sofort an den Nutzen dachte, den er von diesem bescheidenen Gönner ziehen könnte. »Und von wem hängt die Anstellung deines Sohnes ab?«

»Von dem Chef der Polizei.«

»Hast Du Dich schon an diesen gewendet?«

»Ja, aber Sie wissen wohl, Excellenz, ich müßte – hier machte er die Geberde des Geldzählens – »und ich bin nicht reich.«

»Es ist gut; Du wirst eine Bittschrift aufsetzen und mir dieselbe zusenden.«

»Excellenz,« sagte der Oberaufseher, indem er ein Papier aus der Tasche zog, »während Sie in dem Zimmer der Gefangenen waren, habe ich meine Bittschrift schon aufgesetzt, denn ich dachte gleich, daß Sie die Güte haben würden, sich damit zu befassen.«

 

»Allerdings befasse ich mich damit, mein Freund,« sagte der Chevalier, »und wenn Du nicht erlangt, was Du wünschest, so wird die Schuld nicht an mir liegen. Wenn Du meiner bedarst, so komme zu Seiner königlichen Hoheit dem Herzog von Calabrien und frage nach dem Chevalier San Felice.«

Und die Bittschrift in die Tasche steckend, nahm der Chevalier Abschied von seinem Schützling, verließ die Festung und lenkte seine Schritte nach dem Platze der vier Cantone, wo, wie man sich erinnert, er mit dem angeblichen amerikanischen Capitän zusammentreffen wollte.

Dieser erwartete ihm bereits und kam, als er ihn erblickte, gerade auf ihn zu.

Beide redeten einander mit Fragen an.

Giuseppe Palmieri erzählte seinen Besuch bei dem König, wünschte sich Glück zu der Art und Weise, auf welche er empfangen worden, und besonders zu der Gewißheit, in welcher er sich befand, auf einem Ankerplatz, das heißt in der Nähe des Fortes, bleiben zu können.

Der Chevalier seinerseits theilte ihm sein Project mit und gab ihm, um ihm dasselbe klarer zu machen, das von dem Herzog von Calabrien verfaßte Gnadengesuch zu lesen.

Giuseppe Palmieri näherte sich der vor einer Madonna brennenden Laterne und las.

Der Chevalier hatte sich aber in seiner Zerstreutheit vergriffen und ihm anstatt des Gnadengesuchs des Herzogs das Anstellungsgesuch des Oberschließers zu lesen gegeben.

Giuseppe Palmieri war jedoch nicht der Mann, der einen Umstand, welcher ihm nützlich sein konnte, an sich vorübergehen ließ, ohne die Hand darauf zu legen. Er notierte sich daher vor allen Dingen die Adresse des künftigen Schließers: »Tonino Monti, via della Salute Nr. 7,« dann gab er dem Chevalier das Papier zurück und sagte:

»Sie haben sich vergriffen.«

Der Chevalier griff nochmals in die Tasche und fand hier in der That die Schrift, welche er dem Capitän zu geben geglaubt und statt welcher er ihm die Bittschrift des Oberschließers gegeben.

Giuseppe Palmieri las das Gnadengesuch mit noch größerer Aufmerksamkeit, als er das Anstellungsgesuch gelesen.

»Ja, ohne Zweifel,« sagte er. »Wenn König Ferdinand ein Herz hat, so ist noch Aussicht vorhanden; ich zweifle aber sehr, daß er eines hat.«

Mit diesen Worten gab er das Begnadigungsgesuch in die Hände des Chevaliers zurück.

»Wann,« fragte er, »steht die Entbindung der Prinzessin zu erwarten?«

»Dieselbe kann jeden Tag erfolgen.«

»Nun, dann wollen wir warten, sagte Palmieri. »Wenn nun aber der König sich weigert, oder wenn das Kind der Kronprinzessin ein Mädchen ist?«

»Dann werden Sie diese selbe Bittschrift in Fetzen zerrissen zugesendet erhalten, womit Ihnen gesagt werden soll, daß Sie Ihrerseits handeln können, weil unsererseits keine Hoffnung mehr ist. Käme es anders, so würde das einzige Wort: »Gerettet!« Ihnen Alles sagen, was Sie zu wissen nöthig haben.«

»Aber nicht wahr, Sie geben mir Ihr Wort darauf, daß Sie bis dahin nichts versuchen?«

»Ich gebe es Ihnen, nur werden Sie mir erlauben, mich von der Lage des Zimmers zu unterrichten, welches die Gefangene in der Festung bewohnt.«

Der Chevalier ergriff die Hand des vorgeblichen Amerikaners und drückte sie ihm mit fieberhaft energischer Bewegung.

»Die Jugend vermag vor den Augen des Herrn viel,« sagte er. »Das Fenster der Gefangenen geht gerade auf die Goelette »der Renner«.

Und damit entfernte der Chevalier sich rasch, indem er das Gesicht in dem Mantel barg.

Der Chevalier hatte sich nicht getäuscht und auch diesmal hatten die sympathischen Ergießungen der Jugend ihre magnetischen Strömungen getheilt.

Kaum hatte der Chevalier Luisa’s Zimmer, nachdem er sie auf den Mann aufmerksam gemacht, der in einer halben Kabellänge von dem Fuße der Festung gedankenvoll auf dem Deck der Goelette hin- und herwandelte, verlassen, als Salvato – denn dieser war es wirklich – in der Luft seinen von dem Nachthauche getragenen Namen zu vernehmen glaubte.

Er richtete den Kopf empor, sah aber nichts und glaubte daher sich getäuscht zu haben.

Derselbe Ton schlug aber zum zweiten Male an sein Ohr. Seine Augen richteten sich nun auf die dunkle Oeffnung, welche gegen die graue Mauer abstach, und durch das Gitter dieser Oeffnung hindurch glaubte er eine Hand und ein Tuch sich bewegen zu sehen.

Der Ruf, welcher dem entsprach, der aus dem Herzen der Gefangenen kam, entrang sich dem einigen und die Wellen der Luft erzitterten aufs Neue, in Bewegung gesetzt von dem Namen »Luisa«!

Das Tuch löste sich von der Hand, flatterte einen Augenblick in der Luft und fiel dann am Fuße der Mauer nieder.

Salvato war so klug, einen Augenblick zu warten, sich umzusehen, ob Jemand das soeben Geschehene bemerkt, und nachdem er sich überzeugt, daß Alles zwischen ihm und der Gefangenen geblieben war, setzte er, ohne Jemanden von der Schiffsmannschaft etwas zu sagen, die Jolle aus, und ruderte wie ein Fischer, der seine Angelschnuren legt, nach dem Strande zu.

Ein Streifen Erde von etwa zwölf Schritte Breite trennte den Quai von dem Fuße der Gefängnißmauer und das Glück wollte, daß hier keine Schildwache postiert war.

Salvato band sein Boot am Ufer fest, sah sich mit einem Sprunge am Fuße der Mauer, hob das Tuch auf und kehrte in das Boot zurück.

Kaum hatte er in demselben wieder Platz genommen, so hörte er den gemessenen Tritt einer Patrouille; anstatt aber sich von dem Quai zu entfernen, was leicht hätte Verdacht erregen können, schob er das Tuch rasch in seine Brusttasche und blieb in dem Boote, während er mit seiner Angelschnur allerhand Bewegungen machte.

Die Patrouille erschien am Fuße des Thurmes, der dieselbe führende Sergeant ließ Halt machen, trat vor und näherte sich dem Boote.

»Was machst Du da?« fragte er Salvato, der die Kleidung eines einfachen Matrosen trug.

Salvato ließ sich die Frage zweimal wiederholen, als ob er nicht verstanden hätte, und antwortete dann mit auffallendem englischen Accente:

»Nun, das seht Ihr doch. Ich fische.«

Obschon von den Siciliern verabscheut, verdankten die Engländer doch der Anwesenheit Nelsons gewisse Rücksichten, die man Angehörigen anderer Nationen nicht gewährte.

»Es ist nicht erlaubt, mit Booten an dem Quai anzulegen,« antwortete der Führer der Patrouille, »und es ist in dem Hafen Platz genug zum Fischen, ohne daß Ihr hierher zu kommen braucht. Entfernt Euch daher, Freund.«

Salvato ließ ein mißlauniges Murren hören, zog seine Angelschnur, an welcher er das Glück hatte einen ziemlich großen Fisch hängen zu sehen, aus dem Wasser und ruderte wieder nach der Goelette zurück.

»Na,« sagte der Sergeant, indem er sich wieder zu seiner Patrouille zurückverfügte, »da hat er doch einmal etwas Anderes zu essen als sein ewiges Salzfleisch.«

Dann verschwand er auf einen Augenblick unter einem Gewölbe, dessen dunkle Tiefe er untersuchte, kam dann wieder hervor und setzte seine Nachtrunde den äußeren Mauern der Festung entlang fort.

Was Salvato betraf, so hatte er sich schon hinunter in den Raum der Goelette begeben und küßte das mit einem L, einem S und einem F gezeichnete Taschentuch.

Einer der vier Zipfel war zusammengebunden. Salvato fühlte ihn rasch an und bemerkte, daß ein Papier darin war.

Auf diesem Papiere standen die Worte geschrieben:

»Ich habe Dich erkannt, ich sehe Dich, ich liebe Dich. Dies ist, seitdem ich Dich verlassen, mein erster freudiger Augenblick. Mein Gott, verzeihe mir, weil, wenn ich auf ihn hoffe, ich auf Dich hoffe!

Deine Luisa.«

Salvato ging wieder auf das Deck hinauf. Seine Augen richteten sich sofort wieder nach der Oeffnung. Die weiße Hand war immer noch an dem dunkeln Gitter sichtbar. Salvato schüttelte das Tuch, küßte es und sein Name schlug, von dem Nachthauche getragen, abermals an sein Ohr.

Da es jedoch in einer so hellen Nacht unklug gewesen wäre, einen solchen Austausch von Zeichen länger fortzusetzen, so setzte Salvato sich und verhielt sich unbeweglich, so lange ein an die Dunkelheit gewöhntes Auge durch das doppelte Gitter hindurch noch die weiße Erscheinung erspähen konnte, nach welcher ihn die unkluge Hand nicht mehr leitete.