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La San Felice

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Siebentes Capitel.
Das Thor San Agostino alla Zecca

Gegen halb vier Uhr hörten die Verurtheilten die äußere Thür des Cabinets der Bianchi sich öffnen, von welcher sie durch eine starke Scheidewand und durch eine mit Eisenbeschlägen, Vorhängschlössern und Riegeln versehene Thür getrennt waren. Dann vernahmen sie ein Geräusch von Tritten und das Flüstern mehrerer Stimmen. Cirillo zog seine Uhr.

»Halb vier Uhr,« sagte er. »Mein wackerer Schließer hat sich nicht geirrt.«

»Michele,« sagte Salvato zu dem Lazzarone, welcher, seitdem er communicirt hatte, in fortwährendes Gebet versunken war.

Michele stutzte und näherte auf einen Wink von Salvato sich diesem, so weit die Länge seiner Kette es gestattete.

»Excellenz?« fragte er.

»Sieh zu, daß Du Dich nicht von mir entfernt, und wenn sich irgend ein unerwarteter Vorfall ereignete, so benutze denselben.«

Michele schüttelte den Kopf.

»O, Excellenz,« murmelte er, »Nanno hat gesagt, ich würde gehängt werden, und folglich muß ich gehängt werden. Es kann gar nicht anders geschehen.«

»Ach, wer weiß das?« sagte Salvato.

Man hörte die Thür sich öffnen, welche sich der gegenüber befand, die in das Cabinet der Bianchi führte, das heißt die der Capelle, und ein Mann erschien auf der Schwelle des Gemachs der Verurtheilten, während das Klirren der Flintenkolben, welche die Soldaten auf den Boden setzten, bis zu ihnen drang.

Der Anblick dieses Mannes war von der Art, daß man sich nicht wohl in ihm täuschen konnte.

Es war der Henker.

Er zählte die Delinquenten.

»Blos sechs Ducati Prämie,« murmelte er mit einem Seufzer, »und wenn ich bedenke, daß ich eigentlich bei diesem einzigen Geschäft sechzig Ducati verdienen sollte! Indessen denken wir weiter nicht daran.«

Der Fiscalprocurator Guidobaldi trat ein, während ein Gerichtsdiener mit dem Urtheilsspruch der Junta in der Hand voranschritt.

»Kettet die Verurtheilten los,« sagte der Fiscalprocurator.

Die Schließer gehorchten.

»Kniet nieder, um euren Urtheilsspruch zu hören,« sagte Guidobaldi.

»Mit Ihrer Erlaubniß, Herr Fiscalprocurator,« sagte Hector Caraffa, »wir möchten ihn lieber stehend anhören.«

Der spöttische Ton, in welchem diese Worte gesprochen wurden, bewog den Richter mit den Zähnen zu knirschen.

»Es kommt wenig darauf an, ob Ihr ihn kniend, stehend oder sitzend hört, dafern Ihr ihn nur hört und derselbe vollstreckt wird. – Lesen Sie, setzte der Fiscalprocurator dann zu dem Diener hinzu.

Der Spruch verurtheilte Domenico Cirillo, Gabriel Manthonnet, Salvato Palmieri, Michele den Narren und Leonora Pimentel zum Tode durch den Strang und Hector Caraffa zur Enthauptung.

»So ist’s recht,« sagte Hector. »Es läßt sich nichts dagegen einwenden.«

»Dann,« fragte Guidobaldi in spöttischem Tone, »kann man das Urtheil wohl vollstrecken?«

»Jawohl, sobald es Ihnen beliebt. Ich für meine Person bin bereit und setze voraus, daß meine Freunde es ebenfalls sind.«

»Ja,« antworteten die Verurtheilten wie aus einem Munde.

»Dennoch muß ich Dir, Domenico Cirillo, noch Eines sagen,« hob Guidobaldi in einem Tone an, welcher verrieth, daß diese Worte ihm gewaltige Ueberwindung kosteten.

»Und was denn?«, fragte Cirillo.

»Bitte den König um Gnade und vielleicht wird er sie Dir gewähren, weil Du ein Arzt gewesen bist. Auf alle Fälle habe ich, dafern Du diese Bitte stellt, Befehl, eine Frist zu bewilligen.«

Aller Blicke hefteten sich auf Cirillo. Dieser aber antwortete mit einer sanften Stimme, einem ruhigen Gesicht und seinen lächelnden Lippen:

»Vergebens versucht man meinen Ruf durch eine Niedrigkeit zu brandmarken. Ich weigere mich, den mir dargebotenen schimpflichen Rettungsweg zu betreten. Ich bin mit Freunden verurtheilt worden, welche mir theuer sind; ich will auch mit ihnen sterben. Ich erwarte meine Ruhe vom Tode, und ich werde eher nichts thun, um ihn zu fliehen oder auch nur um eine Stunde länger in einer Welt zu bleiben, in welcher Ehebruch, Meineid und Bosheit herrschen.«

Leonora ergriff Cirillos Hand, und nachdem sie dieselbe geküßt, warf sie das Opiumfläschchen, welches sie von ihm erhalten, auf den Fußboden, so daß es zerbrach.

»Was ist dies?« fragte Guidobaldi, als er die Flüssigkeit sich über das Steinpflaster verbreiten sah.

»Ein Gift, welches mich binnen zehn Minuten deinen Klauen entrückt hätte, Elender!« antwortete sie.

»Und warum entsagst Du diesem Gift?«

»Weil es, wie mir scheint, eine Feigheit wäre, Cirillo zu verlassen, sobald er erklärt hat, daß er uns nicht verlassen will.«

»Gut gesprochen, meine Tochter!« rief Cirillo. »Ich werde nicht sagen: »Du bist meiner würdig, sondern: »Du bist deiner selbst würdig.«

Leonora lächelte, warf einen Blick gen Himmel, streckte die Hand aus und sagte mit lächelndem Munde:

»Forsan haec olim meminisse juvabit.«

»Nun,« sagte Guidobaldi ungeduldig, »ist man fertig und hat Niemand weiter noch etwas zu verlangen?«

»Es hat gleich von vornherein Niemand etwas verlangt,« sagte der Graf von Ruvo.

»Und es wird auch Niemand etwas verlangen,« sagte Manthonnet, »ausgenommen, daß diese Komödie angeblicher Milde so schnell als möglich zu Ende gebracht werde.«

»Schließer, öffnet den Bianchi die Thür,« sagte der Fiscalprocurator.

Die Thür des Cabinets öffnete sich und die Bianchi erschienen mit ihren langen weißen Gewändern bekleidet. Es waren ihrer zwölf, für jeden Verurtheilten zwei.

Die Thür des Cabinets schloß sich wieder hinter ihnen. Einer der frommen Bruderschaft näherte sich Salvato, ergriff ihn bei der Hand und machte dabei das Zeichen der Freimauerer.

Salvato gab ihm dasselbe Zeichen zurück, ohne daß sein Gesicht die mindeste Gemüthsbewegung verrieth.

»Sind Sie bereit?« fragte der Büßer.

»Ja,« antwortete Salvato.

Die Antwort hatte einen Doppelsinn, aber Niemand bemerkte etwas davon.

Was Salvato betraf, so erkannte er die Stimme nicht, das maurerische Zeichen aber sagte ihm, daß er es mit einem Freund zu thun hatte. Er wechselte einen Blick mit Michele.

»Bedenke, was ich Dir gesagt habe, Michele,« sagte Salvato.

»Ja, Excellenz,« antwortete der Lazzarone.

»Welcher von Euch heißt Michele?« fragte ein Büßer.

»Ich!« rief Michele lebhaft, denn er glaubte, er werde eine gute Nachricht mitgetheilt erhalten.

Der Büßer näherte sich ihm.

»Ihr habt eine Mutter, nicht wahr?« fragte er ihn.

»Ja,« antwortete Michele mit einem Seufzer, »und das ist eben mein größter Kummer. Die arme Frau! Aber woher wissen Sie das?«

»In dem Augenblick, wo ich in die Vicaria trat, sprach eine arme alte Frau mich an.«

»Excellenz,« sagte sie zu mir, »ich habe eine Bitte an Sie.«

»Was denn für eine?« fragte ich.

»Ich möchte wissen, ob Sie zu den Büßern gehören, welche die Verurtheilten auf das Schaffot begleiten.«

»Ja, dies ist der Fall.«

»Nun denn, einer davon heißt Michele Marino, ist aber mehr unter dem Namen Michele der Narr bekannt.«

»Ist dies,« fragte ich die Alte, »nicht derselbe, welcher unter der sogenannten Republik Oberst war?«

»Ja, der Unglückliche!« antwortete sie; »das ist er!«

»Nun und?«

»Nun, als wackerer Christ, der Sie sind, werden Sie ihn auffordern, beim Heraustreten aus der Vicaria die Augen links zu wenden. Ich werde auf dem Stein der Bankerottirer stehen, um ihn zum letzten Mal zu sehen und ihm meinen Segen zu geben.«

»Ich danke, Excellenz, sagte Michele. »Es ist Thatsache, daß die arme gute Frau mich von ganzem Herzen liebt. Ich habe ihr mein ganzes Leben lang viel Kummer gemacht, heute aber mache ich ihr den letzten.«

Er trocknete sich eine Thräne und fragte dann den Büßer:

»Wollen Sie mir die Ehre erzeigen, mich zu begleiten?«

»Sehr gern,« antwortete Biancho.

»Komm, Michele,« sagte Salvato, »wir wollen nicht auf uns warten lassen.«

»Hier bin ich, Signor Salvato, hier bin ich.«

Und Michele folgte Salvato auf dem Fuße. Die Verurtheilten verließen das Gemach, in welchem sie sich zur geistlichen Vorbereitung befunden, durchschritten das, in welchem ihnen die Messe gelesen worden, und begannen mit dem Henker an der Spitze in den Corridor zu treten.

Sie marschierten in der Reihenfolge, welche ohne Zweifel die war, in der sie hingerichtet werden sollten.

Zuerst kam Cirillo, dann Manthonnet, dann Michele, dann Leonora Pimentel, dann Ettore Caraffa.

Jeder der Verurtheilten marschierte zwischen zwei Bianchi.

An der in den Hof führenden Thür des Gefängnisses stand eine Doppelreihe von Soldaten bis zu der zweiten, welche auf den Platz der Vicaria hinausführte.

Dieser Platz war mit Menschen angefüllt.

Beim Anblick der Verurtheilten erhob die Menge ein furchtbares Geschrei und rief:

»Zum Tode mit den Jakobinern! Zum Tode!«

Es war augenscheinlich, daß ohne die Doppelreihe der Soldaten, welche die Verurtheilten schützte, dieselben nicht fünf Schritte in der Straße hätten zurücklegen können, ohne in Stücke gerissen zu werden. Messer blitzten in Aller Händen und Drohungen funkelten aus Aller Augen.

»Stützen Sie sich auf meine Schulter,« sagte der Büßer, welcher zu Salvato’s rechter Hand einherschritt und sich ihm als Freimaurer zu erkennen gegeben hatte.

»Glauben Sie denn, ich bedürfe einer Stütze?« fragte Salvato lächelnd.

»Nein, aber ich habe Ihnen Instructionen zu geben.«

Man hatte etwa fünfzehn Schritte außerhalb der Vicaria zurückgelegt und sah sich der Säule gegenüber, die auf dem Steine steht, welche man den Stein der Bankerottirer nennt, weil diese im Mittelalter ihre Insolvenz dadurch erklärten, daß sie sich mit dem nackten Hintern auf diesen Stein setzten.

»Halt,« sagte der Büßer, welcher zu Micheles linker Hand schritt.

 

Die Büßer genießen bei diesen Todesprozessionen eine Autorität, welche es Niemanden einfällt ihnen streitig machen zu wollen.

Meister Donato blieb zuerst stehen, dann machten hinter ihm Büßer, Soldaten und Verurtheilte ebenfalls Halt.

»Junger Mann,« sagte der Büßer, welcher »Halt« gerufen, zu Michele, »sage deiner Mutter Lebewohl. – Weib, setzte er sich zu der Alten wendend hinzu, »gib deinem Sohn den letzten Segen.«

Die Alte stieg von dem Steine, auf dem sie stand, herab und Michele warf sich in ihre Arme.

Einige Secunden lang war weder das Eine noch das Andere im Stande zu sprechen.

Der Büßer, welcher sich Salvato zur Rechten befand, benutzte diesen Umstand, um ihm zu sagen:

»In dem Vico San Agostino alla Zecca wird in dem Augenblick, wo wir der Kirche gegenüber anlangen, ein Tumult entstehen. Eilen Sie dann die Stufen der Kirche hinauf und lehnen Sie sich an die Thür, indem Sie zugleich mit der Ferse daran pochen.«

»Gehört der Büßer zu meiner Linken auch zu den Unsrigen?«

»Nein. Thun Sie, als ob Sie sich mit Michele beschäftigten.«

Salvato drehte sich nach der Gruppe herum, welche durch Michele und seine Mutter gebildet ward.

Michele hatte soeben den Kopf emporgerichtet und schaute sich um.

»Und sie, fragte er, »ist sie nicht bei Euch?«

»Wer denn?« fragte die Alte.

»Assunta.«

»Ihre Brüder und ihr Vater haben sie in das Kloster der Annunciata eingesperrt, wo sie weint und verzweifelt. Sie haben geschworen, wenn sie Dich den Händen der Soldaten entreißen könnten, so solle der Henker nicht das Vergnügen haben, Dich aufzuknüpfen, denn sie würden sich dann die Freude machen, Dich in Stücke zu reißen. Giovanni hat sogar hinzugesetzt: Es wird mich dies einen Ducaten kosten, aber das soll nichts ausmachen.«

»Liebe Mutter, Ihr werdet ihr sagen, daß ich ihr gezürnt, weil sie mich verlassen, daß ich ihr aber nun verzeihe, weil ich weiß, daß sie nicht dafür kann.«

»Wohlan,« sagte der Büßer, »es muß geschieden sein.«

Michele kniete nieder vor seiner Mutter, die ihm beide Hände aufs Haupt legte und ihn im Stillen segnete, denn ein lautes Wort konnte die arme schluchzende Frau nicht mehr hervorbringen.

Der Büßer faßte sie unter dem Arm und setzte sie auf den Stein, auf dem sie wie eine träge Masse, den Kopf auf die beiden Knie stützend, sitzen blieb.

»Ja, gehen wir,« sagte Michele.

Und er stellte sich von selbst wieder in Reihe und Glied.

Der arme Junge war weder ein Freigeist wie Ruvo, noch ein Philosoph wie Cirillo, noch ein Felsenherz wie Manthonnet, noch ein Dichter wie Leonora Pimentel. Er war blos ein Sohn des Volkes, allen Gefühlen zugänglich und verstand nicht dieselben zurückzudrängen oder zu verhehlen.

Er ging mit festem Schritt und aufgerichtetem Haupt, aber thränenfeuchten Wangen.

Man folgte einige Augenblicke lang der Strada dei Tribunali, dann bog man links in den Vico delle Lite ein, durchschritt die Strada Forcella und gelangte dann in den Vico San Agostino alla Zecca.

Am Eingange dieser Straße stand ein Mann mit einem Karren, der mit zwei Büffeln bespannt war.

Salvato kam es vor, als ob der Büßer zu seiner Rechten mit dem Karrenführer ein Zeichen wechselte.

»Halten Sie sich bereit,« sagte der Büßer.

»Wozu?« fragte Salvato.

»Zu dem, was ich gesagt habe.«

Salvato drehte sich um und sah, daß der Mann mit den Büffeln dem Zuge mit einem Karren folgte.

Kurz vor der Estrade del Pendino war die Straße durch einen mit Holz beladenen Wagen versperrt, dessen Axe gebrochen war.

Der Mann spannte seine Pferde ab, um dann den Wagen abzuladen. Fünf oder sechs Soldaten schritten voraus mit dem Rufe: »Platz! Platz!« und versuchten in der That die Straße frei zu machen.

Man befand sich jetzt der Kirche San Agostino alla Zecca gegenüber.

Plötzlich hörte man ein fürchterliches Gebrüll und die Büffel stürzten wie plötzlich toll geworden mit blutigen Augen, heraushängenden Zungen und feuersprühenden Nüstern, während sie den Karren mit donnerähnlichem Getöse hinter sich herschleppten, sich auf den Zug und zerquetschten und zertraten das Volk, womit die Straße angefüllt war, ebenso wie die Nachhut der Soldaten, welche vergebens versuchten, sie mit ihrem Bajonneten aufzuhalten.

Salvato begriff, daß dies der Augenblick war. Mit dem Ellbogen den zweiten Büßer, der ihm zur Linken einherging, auf die Seite schiebend, stieß er den Soldaten, der ihm der nächste war, über den Haufen und sprang mit dem wiederholten Rufe: »Die Büffel! die Büffel!« als ob er blos dieser Gefahr zu entrinnen suchte, die Stufen der Kirche hinan, lehnte sich an die Thür und schlug mit dem Absatze an dieselbe. Die Thür öffnete sich, wie bei einem gut in Scene gesetzten Zauberspiele eine Versenkung sich öffnet, und ehe man Zeit gehabt hatte, zu sehen, wohin er verschwunden war, schloß die Thür sich wieder hinter ihm.

Michele wollte Salvato folgen, aber ein eiserner Arm hielt ihn zurück. Es war der des alten Fischers Basso Tomeo, des Vaters Assunta’s.

Achtes Capitel.
Wie man 1799 in Neapel starb

Vier bis an die Zähne bewaffnete Männer erwarteten Salvato im Innern der Kirche. Einer von ihnen breitete ihm die Arme entgegen. Salvato warf sich ihm an die Brust und rief:

»Mein Vater !«

»Und nun,« sagte dieser, »ist kein Augenblick zu verlieren. Komm’, komm’!«

»Aber,« sagte Salvato sich sträubend. »können wir nicht auch meine Unglücksgenossen retten?«

»Nein, daran ist nicht zu denken,« entgegnete Giuseppe Palmieri. »Denken wir blos an Luisa.«

»Ja, ja, Luisa!«, rief Salvato; »retten wir Luisa.«

Hätte Salvato übrigens auch Widerstand leisten wollen, so wäre ihm dies doch unmöglich gewesen, denn bei dem Getöse der an der Kirchenthür hämmernden Flintenkolben zog Giuseppe Palmieri seinen Sohn mit Riesenkraft nach dem Ausgang, welcher in die Strada dei Chiarettieri al Pendino führt.

An diesem Ausgange erwarteten, von zwei Bauern aus den Abruzzen gehalten, vier fertiggesattelte Pferde, jedes mit einem Carabiner am Sattelbogen, ihre Reiter.

»Dies da ist mein Pferd,« sagte Giuseppe Palmieri, indem er sich in den Sattel schwang, »und hier ist das deinige,« setzte er hinzu, indem er seinem Sohn ein zweites Pferd zeigte.

Ehe sein Vater noch ausgeredet hatte, saß Salvato ebenfalls im Sattel.

»Folge mir!« rief Giuseppe ihm zu.

Und er sprengte voran über den Largo del Elmo, durch den Vico Grande, durch die Strada Egiziaca a Forcella.

Salvato folgte ihm; die beiden anderen Männer galoppierten hinter Salvato drein.

Fünf Minuten später verließen sie Neapel durch das Thor von Nola, schlugen den Weg nach San Corme ein, wendeten sich auf einem durch den Sumpf führenden Weg links, gewannen oberhalb Capodichino die Straße nach Casoria, ließen San Antonio zu ihrer Linken, Acerra zu ihrer Rechten und vertieften sich, Dank der Vortrefflichkeit ihrer Pferde, die beiden Männer, welche ihnen zur Escorte dienten, weit hinter sich lassend, in das Thal der caudinischen Pässe.

Denjenigen unserer Leser, welche Alles erklärt haben wollen, werden wir diese Erklärung jetzt mit kurzen Worten geben.

Giuseppe Palmieri hatte auf einer kurzen Reise, die er nach Molia gemacht, ein Dutzend ihm treuergebene Männer gefunden, die er mit nach Neapel genommen.

Ein alter Freund von ihm, welcher Mitglied der Brüderschaft der Bianchi war, hatte es übernommen, unter dem Vorwand, Salvato als Büßer zu begleiten, den Verurtheilten von dem in Kenntniß zu setzen, was zu einer Rettung unternommen worden.

Einer der von Giuseppe Palmieri mitgebrachten Bauern hatte die Straße durch einen Holzwagen versperrt.

Der andere erwartete das Vorüberkommen des Zuges mit einem mit zwei Büffeln bespannten Karren, welcher beinahe die ganze Breite der Straße einnahm.

Sobald der Zug vorüber war, ließ der Bauer einem jeden seiner Büffel ein Stück brennenden Schwamm in das Ohr fallen. Die Büffel geriethen dadurch natürlich in die größte Wuth, stürzten sich brüllend in die Straße hinein und rannten Alles nieder, was ihnen in den Weg kam.

Dies war die Veranlassung zu der Verwirrung, welche Salvato benutzt hatte.

Durch sein Verschwinden aber war diese Verwirrung nicht beschwichtigt worden.

Wir haben bereits gesagt, daß Michele einen Versuch machte, Salvato zu folgen, daß er aber durch den alten Fischer Basso Tomeo festgehalten ward, welcher geschworen hatte, ihn dem Henker streitig zu machen.

Und in der That hatte sich nicht blos ein Kampf zwischen den Lazzaroni, welche Michele in Stücke reißen wollten, weil er ihre ehrenwerthe Zunft durch das Tragen der französischen Uniform geschändet, sondern auch zwischen ihnen und Michele entsponnen, welcher, wenn es einmal nicht anders war, doch lieber gehängt als in Stücke gerissen werden wollte.

Die Soldaten der Escorte kamen Michele zu Hilfe und es gelang ihnen ihn den Händen seiner ehemaligen Cameraden zu entreißen, leider aber in einem beklagenswerthem Zustand.

Die Lazzaroni sind flink und hatten Zeit gehabt, Michele zwei oder drei Messerstiche zu versetzen.

Die Folge hiervon war, daß man, da der arme Teufel nicht mehr gehen konnte, sich des Karrens bemächtigte, welcher die Straße versperrte, um auf diesem den Verurtheilten den noch übrigen Weg zurücklegen zu lassen.

Was Salvato betraf, so hatte man eine Flucht wohl bemerkt, denn diese war durch die Kolbenschläge beschleunigt worden, welche die Soldaten gegen die Thür der Kirche geführt.

Diese Thür war aber zu fest, als daß man sie einzuschlagen vermocht hätte. Deshalb mußte man um die Kirche und sogar durch die Strada del Pendino um die ganze Gasse herumlaufen.

Man that es; aber dies dauerte eine Viertelstunde, und als man an den Ausgang der Kirche gelangte, war Salvato schon außerhalb Neapel und folglich außer Gefahr.

Von den übrigen Verurtheilten hatte keiner die mindeste Bewegung gemacht, um ebenfalls zu entfliehen.

Als Salvato verschwunden war und Michele auf seinem Karren lag, setzte die Todesprozession sich wieder in Bewegung nach dem Ort der Hinrichtung, das heißt nach dem sogenannten Altmarkte.

Um jedoch dem Volke mehr Genuß zu verschaffen, ließ man den Zug einen großen Umweg durch die Strada Francesca machen, so daß er auf den Quai herauskam.

Die Lazzaroni hatten Leonora Pimentel erkannt, und indem sie unter Geheul und obscönen Geberden zu beiden Seiten der Escorte hertanzten, sangen sie:

 
»La Signora Dianora,
Che contava neappa lo triato,
Mo alballa muzzo a lo mercato.
 
 
»Viva, viva lo papa santo,
Che a marmato i cannoncini,
Per distruggere i giacobini.
 
 
»Viva la forca e maestro Donato,
Sant’ Antonio sia lodato!«
 

Diese Verse bedeuten:

»Die Signora Dianora, welche auf dem Theater sang, tanzt jetzt mitten auf dem Markte.

»Es lebe, es lebe der heilige Vater, welcher kleine Kanonen geschickt hat, um die Jakobiner zu vernichten.

»Es lebe der Galgen und Meister Donato. Der heilige Antonius sei gelobt!«

Mitten unter diesem Geschrei und Geheul, diesen groben Scherzen und Beleidigungen kamen die Verurtheilten auf den Quai heraus, folgten der Strada Nuova und erreichten die Strada dei Sospiri dell’ Abisso, von wo aus sie die in der Mitte des Altmarkts aufgerichteten Hinrichtungswerkzeuge erblickten.

Dieselben bestanden aus sechs Galgen und einem Schaffot.

Einer der Galgen überragte die anderen um wenigstens zehn Fuß.

In Folge eines obscönen Einfalls war dieser Galgen für Leonora Pimentel bestimmt.

Man sieht, der König von Neapel setzte die Aufmerksamkeit gegen eine guten Lazzaroni nicht aus den Augen.

An der Ecke des Vico della Conciaria erwartete ein gräßlich verstümmelter Mann mit einer Narbe, welche sein Gesicht spaltete und die Stelle des einen Auges bedeckte, mit einer Hand, woran die Finger fehlten und mit einem hölzernen Bein, durch welches er sein gebrochenes ersetzt, den Zug, welchem er in Folge einer Schwäche nicht im Stande gewesen war entgegenzugehen.

Es war der Beccajo.

Er hatte Salvato’s Prozeß und Verurtheilung erfahren, und so schlecht geheilt er auch war, eine Anstrengung gemacht, um das Vergnügen zu haben, ihm hängen zu sehen.

»Wo ist er, der Jakobiner? Wo ist er, der Verworfene? Wo ist er, der Bandit?« rief er, indem er die Reihe der Soldaten zu durchbrechen suchte.

Michele erkannte seine Stimme, und obschon fast sterbend, richtete er sich auf seinem Karren empor und rief mit lautem Gelächter:

»Wenn Du Dich hierherbemüht hat, um den General Salvato hängen zu sehen, so hast Du Dir vergebliche Mühe gemacht. Er ist gerettet!«

 

»Gerettet!« rief der Beccajo, »gerettet! Das ist unmöglich!«

»Nun so frage diese Herren und sieh, was für lange Gesichter sie machen! Indessen hast Du immer noch eine Aussicht für Dich, nämlich wenn Du Dich sofort aufmacht und ihm nachläuft. Du hast gute Beine, Du wirst ihn schon einholen.«

Der Beccajo stieß ein Wuthgeheul aus; noch einmal sah er sich um eine Rache betrogen.

»Platz! Platz!« riefen die Soldaten, indem sie ihn mit Kolbenstößen zurückdrängten.

Und der Zug bewegte sich weiter.

Man langte am Fuße der Galgen an. Hier erwartete ein Gerichtsbeamter die Verurtheilten, um ihnen den Urtheilsspruch nochmals vorzulesen.

Dieses Vorlesen geschah mitten unter Gelächter, Geheul, Schmähungen und brüllendem Gesang.

Als der Urtheilsspruch verlesen war, näherte der Henker sich der Gruppe der Verurtheilten.

In Bezug auf die Reihenfolge, in welcher die Patrioten hingerichtet werden sollten, war keine feste Bestimmung getroffen.

Als Cirillo und Manthonnet den Henker auf sich zukommen sahen, thaten sie einen Schritt vorwärts.

»Welchen von beiden soll ich zuerst hängen?« fragte Meister Donato.

Manthonnet bückte sich, hob zwei Strohhalme von ungleicher Länge auf und gab Cirillo die Wahl.

Cirillo zog den längsten.

»Ich habe gewonnen,« sagte Manthonnet.

Und mit diesen Worten überlieferte er sich Meister Donato.

Als ihm der Strick um den Hals gelegt war, rief er:

»O Volk, heute schmähst Du uns, aber es wird der Tag kommen, wo Du Alle rächst, die für dein Vaterland gestorben sind.«

Meister Donato stieß ihn von der Leiter und sein Körper baumelte in der Luft.

Nun war Cirillo an der Reihe.

Als er auf der Leiter stand, versuchte er ebenfalls einige Worte zu sprechen, der Henker aber ließ ihm nicht Zeit dazu, und unter dem lauten Beifallsgeschrei der Lazzaroni baumelte sein Körper neben dem Manthonnets.

Nun trat Leonore Pimentel vor.

»Du bist noch nicht daran,« sagte der Henker in rauhem Tone zu ihr.

Sie trat einen Schritt zurück und sah, daß man Michele getragen brachte.

Am Fuße des Galgens aber sagte dieser:

»Laßt mich versuchen die Leiter allein hinaufzusteigen, meine Freunde, denn sonst wird man glauben, nicht meine Wunden hätten mir die Kraft geraubt, sondern die Furcht.«

Und ohne gestützt zu werden, stieg er die Stufen hinauf, bis Meister Donato zu ihm sagte:

»So ist’s genug.«

Dann blieb er stehen. Und da ihm der Strick im Voraus um den Hals gelegt worden, so brauchte der Henker ihm nur einen Stoß mit dem Knie zu versetzen, um ihm den Garaus zu machen.

In dem Augenblick, wo er in den leeren Raum hinausgeschleudert ward, murmelte er dem Namen Nanno. Der übrige Theil des Redesalzes, wenn es wirklich ein Redesatz war, ward durch die sich zusammenziehende Schlinge erwürgt.

Jede dieser Hinrichtungen ward mit wahnsinnigem, wüthendem Hurrahgeschrei begrüßt.

Die Hinrichtung aber, welche man mit der größten Ungeduld erwartete, war augenscheinlich die der unglücklichen Leonora Pimentel.

Endlich war sie an der Reihe, denn Meister Donato mußte erst mit den Galgen fertig werden, ehe er zur Guillotine überging.

Der Gerichtsbeamte sagte einige Worte leise zu Meister Donato, welcher sich Leonora näherte.

Die Heldin hatte ihre Ruhe wiedergewonnen, die einen Augenblick lang durch den Anblick dieses Galgens, der höher war als alle übrigen, gestört worden – einen Anblick, der allerdings nicht ihren Muth gebrochen, wohl aber ihr Schamgefühl erschreckt hatte.

»Signora,« sagte der Henker in einem andern Ton als dem, in welchem er fünf Minuten vorher zu ihr gesprochen, »ich bin beauftragt, Ihnen zu sagen, daß, wenn Sie um Begnadigung bitten, Ihnen eine Frist bewilligt werden wird, während welcher Ihr Gesuch an den König Ferdinand abgesendet werden soll, der in seiner Milde vielleicht Ihre Bitte erhört.«

»Bitten Sie um Gnade! Bitten Sie um Gnade!« wiederholten um sie herum die Büßer, welche sie und ihre Genossen hierhergeleitet hatten.

Dieser Beweis von Theilnahme entlockte ihr ein Lächeln.

»Und wenn ich nun um etwas Anderes bitte als das Leben, wird man es mir gewähren?«

»Vielleicht,« entgegnete Meister Donato.

»Wenn dies der Fall ist,« sagte sie, »so bitte ich Euch um ein Beinkleid.«

»Bravo!« rief Hector Caraffa; »eine Spartanerin hätte nicht besser sprechen können.«

Der Henker sah den Gerichtsbeamten an. Man hatte eine weibliche Schwäche erwartet, erhielt aber dagegen die erhabene Antwort einer Heldin.

Der Gerichtsbeamte gab ein Zeichen.

Meister Donato ließ seine unsaubere Hand auf Leonora’s nackte Schulter fallen und zog sie nach dem höchsten Galgen.

Am Fuße desselben angelangt, maß sie die Höhe mit den Augen.

Dann wendete sie sich nach dem Kreise von Zuschauern, welcher das Marterwerkzeug von allen Seiten umringte, und sagte:

»Im Namen des Schamgefühles frage ich: Gibt es eine Familienmutter unter Euch, welche mir ein Mittel gewährt, mich vor dieser Infamie zu bewahren?«

Eine Frau warf ihr die lange silberne Nadel zu, womit sie ihr Haar festgesteckt hatte.

Leonora stieß einen Freudenschrei aus, steckte mit Hilfe dieser silbernen Nadel in der Höhe des Knies das Vorder- und Hintertheil ihres Kleides zusammen und improvisierte das Beinkleid, welches sie vergebens verlangt hatte.

Dann erstieg sie mit festem Fuße die Sprossen der Leiter, indem sie die vier ersten Verse der neapolitanischen Marseillaise hersagte, die sie an dem Tage, wo man den Fall von Altamura erfuhr, auf dem Theater San Carlo gesungen hatte.

Ehe sie noch den vierten Vers beendet, war diese heldenmüthige Seele in den Himmel emporgestiegen.

Die Galgen waren voll bis auf einen. Es war dies der für Salvato bestimmte. Es gab Niemanden mehr zu hängen, wohl aber gab es noch Jemanden zu guillotiniren.

Dies war der Graf von Ruvo.

»Na,« sagte er, als er sah, daß Meister Donato und seine Gehilfen mit dem letzten Cadaver fertig waren, »hoffentlich komme nun ich an die Reihe, wie?«

»O, sei unbesorgt,« sagte Meister Donato, »ich werde Dich nicht lange warten lassen.«

»Wenn ich um eine Gunst bäte, würde mir dieselbe wohl gewährt werden?

»Wer weiß? Bittet nur erst.«

»Wohlan, dann wünsche ich so geköpft zu werden, daß ich das Eisen, welches mir den Hals durchschneiden wird, fallen sehen kann.«

Meister Donato sah den Gerichtsbeamten an. Dieser gab durch eine Geberde zu verstehen, daß nach seiner Ansicht der Erfüllung dieses Wunsches sich kein Hinderniß entgegenstelle.

»Es wird geschehen, wie Du willst,« antwortete der Henker.

Hector Caraffa erstieg nun flink die Stufen des Schaffots und legte, auf der Plattform angelangt, sich selbst auf das Brett, mit dem Rücken nach unten und dem Gesicht gen Himmel gewendet.

So band man ihn fest, dann schob man ihn unter das Fallbeil.

Der über diesen unerschütterlichen Muth vielleicht ein wenig erstaunte Henker zögerte einen Augenblick, ein schreckliches Amt zu verrichten.

»Taglia dunque, per Dio!« rief ihm der Delinquent zu. (»So schneidet doch, bei Gott!«)

Auf diesen Befehl fiel das verhängnißvolle Eisen und Hector Caraffas Kopf rollte auf das Blutgerüst.

Wenden wir die Augen ab von diesem gräßlichen Schauplatz der Metzelei, welchen man Neapel nennt, und richten wir sie wieder auf einen andern Punkt des Königreiches.