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La San Felice

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»Und Du, Michele der Narr!« fuhr Speciale fort; »was hast Du unter der Republik gemacht?«

»Ich bin klug geworden,« antwortete Michele.

»Hast Du etwas zu deiner Vertheidigung zu sagen?«

»Es würde vergeblich sein.«

»Warum?«

»Weil die Wahrsagerin Nanno mir prophezeit hat, daß ich Oberst werden und dann an dem Galgen sterben würde. Oberst bin ich gewesen, und es bleibt mir nur noch übrig, gehängt zu werden. Alles, was ich sagen könnte, würde mich nicht daran hindern. Geniren Sie sich daher nicht, sondern singen Sie auch in Bezug auf mich Ihren Refrain: Zum Tode!«

»Zum Tode!« wiederholte Speciale.

»Nun Sie,« fuhr er fort, indem er mit dem Finger auf Leonora Pimentel zeigte.

Sie erhob sich, schön, ruhig und ernst wie eine Matrone des Alterthums.

»Ich?«, sagte sie.

»Ich heiße Leonora Fonseca Pimentel und bin zweiunddreißig Jahre alt.«

»Was haben Sie zu Ihrer Vertheidigung zu sagen?«

»Nichts, wohl aber habe ich viel zu meiner Anklage zu sagen, denn heutzutage sind es die Helden, welche man anklagt, und die Feiglinge, welche man belohnt.«

»Nun, dann sprechen Sie, da es Ihnen beliebt, sich selbst anzuklagen.«

»Ich war die Erste, welche den Neapolitanern zurief: »Ihr seid frei!« Ich habe ein Journal herausgegeben, in welchem ich die Eidbrüche, die Verworfenheit, die Verbrechen der Tyrannen entschleiert habe; ich habe auf dem Theater San Carlo die Hymne an die Freiheit von Monti declamiert, ich habe —«

»Genug, unterbrach Speciale; »Sie können in dieser Lobrede auf sich selbst auf dem Wege zum Galgen weiter fortfahren.«

Leonora setzte sich ruhig, wie sie aufgestanden war.

»Jetzt Du dort, Guitarrenmann,« sagte Speciale sich zu Velasco wendend, »denn man hat mir gesagt, daß Du Dir im Gefängniß die Zeit mit Guitarrenspielen vertrieben hast.«

»Nun, ist das vielleicht ein Majestätsverbrechen?«

»Nein, und wenn Du weiter nichts gethan hättest als dies, so wärest Du, obschon dies das Vergnügen eines Müßiggängers ist, nicht hier. Da Du aber hier bist, so mache uns das Vergnügen, uns deinen Namen, deinen Vornamen, dein Alter und deinen Stand zu sagen.«

»Und wenn es mir nicht beliebt, Ihnen zu antworten?«

»So wird mich dies nicht abhalten, Dich zum Tode zu schicken.«

»Schön!«, sagte Velasco.

»Ich werde gehen, ohne daß Du mich schickst.«

Und mit einem einzigen Sprunge, dem Sprunge eines Jaguar, schwang er sich über die Estrade hinweg und stürzte mitten in das Prätorium. Dann und ohne daß man Zeit hatte ihn aufzuhalten, ja ehe man noch seine Absicht errathen konnte, eilte er nach dem Fenster, während er mit seinen Ketten um sich herumschlug, und rief: »Platz! Platz!«

Jeder wich vor ihm zurück. Er sprang auf das Fenstersims, verweilte aber hier nur einen Augenblick. Der ganze Saal stieß einen Schreckensruf aus – der Gefangene hatte sich hinausgestürzt.

Beinahe unmittelbar darauf hörte man den Fall eines schweren Körpers, der auf das Pflaster niederschlug.

Es trat in dem bis jetzt so geräuschvollen Saale ein Augenblick peinlichen Schweigens ein. Richter, Angeklagte und Zuschauer wurden von einem unwillkürlichen Schauer überrieselt. Luisa warf sich in die Arme ihres Geliebten.

»Soll ich die Sitzung aufheben?« fragte der Präsident.

»Warum das?« entgegnete Speciale. »Sie hätten ihn jedenfalls zum Tode verurtheilt; er hat sich selbst den Tod gegeben und der Gerechtigkeit ist Genüge geschehen. Antworten Sie, Herr Franzose,« fuhr er sich zu Salvato wendend fort, »und sagen Sie uns, wie es kommt, daß Sie vor uns erscheinen.«

»Ich erscheine vor Ihnen,« sagte Salvato, »weil ich nicht Franzose, sondern Neapolitaner bin. Ich heiße Salvato Palmieri. Ich zähle sechsundzwanzig Jahre, ich bete die Freiheit an; ich verabscheue die Tyrannei. Ich bin es, den die Königin durch ihren Sbirren Pasquale de Simone ermorden lassen wollte. Ich bin es, der, indem ich mich gegen sechs Meuchelmörder vertheidigte, die Kühnheit hatte, zwei davon zu tödten und zwei zu verwunden. Ich habe den Tod verdient – verurtheilen Sie mich.«

»Wohlan,« sagte Speciale, »wir dürfen diesem würdigen Patrioten das, was er von uns verlangt, nicht abschlagen. Zum Tode!«

»Zum Tode!« wiederholte das Tribunal.

Luisa war auf dieses Resultat gefaßt, aber dennoch ließ sie sich einen Seufzer entschlüpfen, welcher einem Aechzen glich.

Der Benedictinermönch hob seine Capuze und wechselte mit Salvato einen raschen Blick.

»Na, nun ist die Signora an der Reihe,« sagte Speziale, »dann sind wir fertig.

Obschon wir Alles eben so gut wissen wie Sie, Signora, so werden Sie doch die Güte haben, uns Ihre kleine Affaire zu erzählen. Vor allen Dingen sagen Sie uns Ihren Namen, Ihren Vornamen, Ihr Alter und Ihren Stand, dann wollen wir zu den Backers übergehen.«

»Steh auf, Luisa, und stütze Dich auf meine Schulter,« sagte Salvato leise.

Luisa erhob sich und nahm den ihr dargebotenen Stützpunkt an.

Als die Zuschauer sie so jung, so schön, so bescheiden sahen, entrang sich ihnen ein Murmeln der Bewunderung und des Mitleid.

»Thürsteher,« sagte Speciale, »gebietet Schweigen.«

»Ruhe!« rief der Thürsteher.

»Sprich,« sagte Salvato.

»Ich heiße Luisa Molina San Felice,« sagte die junge Frau mit sanfter, zitternder Stimme. »Ich zähle dreiundzwanzig Jahre. Ich bin unschuldig an dem Verbrechen, dessen man mich anklagt, aber ich verlange nichts Besseres, als zu sterben.«

»Dann, sagte Speciale, welcher nur ungern die Beweise von Theilnahme sah, welche man der Angeklagten von allen Seiten erwies, dann behaupten Sie wohl, daß nicht Sie es sind, welche die Bankiers Backer denuncirt hat?«

»Sie behauptet dies mit um so mehr Recht,« sagte Michele, »als ich es bin, von welchem diese Denunciation ausgegangen ist. Ich war bei dem General Championnet. Ich gab den Rath, Giovannina zu befragen. Sie hat mit der ganzen Sache nichts zu schaffen gehabt, meine arme kleine Schwester. Sie können sie daher ganz ruhig wieder entlassen und bitten, daß die Sie in ihr Gebet einschließe, denn sie ist eine Heilige.«

»Schweig, Michele, schweig!«, murmelte Luisa.

»Nein, sprich; im Gegentheile, sprich, Michele!« sagte Salvato.

»Und ich kann um so mehr sprechen,« fuhr der Lazzarone fort, »als jetzt, wo ich einmal verurtheilt bin, mir nichts weiter geschehen kann. Wenn ich einmal gehängt werden soll, so kann ich eben so gut die Wahrheit sagen. Die Lügen sind es, welche einen ehrlichen Mann erwürgen, aber nicht der Strang. Wohlan, ich sagte also, daß die Madonna am Fuße der Grotte, ihre Nachbarin, nicht reiner ist als sie. Sie kam ausdrücklich von Pästum zurück, um die armen Backers zu warnen, traf sie aber bereits in den Händen der Soldaten an, von welchen sie in das Castello Nuovo gebracht wurden. Vor seinem Tode hat der Sohn ihr geschrieben, er wisse wohl, daß nicht sie, sondern ich die Ursache seines Todes wäre. Gib einmal den Brief her, Schwesterchen, gib ihn her. Diese Herren werden ihn lesen. Sie sind zu gerecht, um Dich zu verurtheilen, wenn Du unschuldig bist.«

»Ich habe ihn nicht mehr,« murmelte Luisa; »ich weiß nicht mehr, was ich damit gemacht habe.«

»Ich habe ihn,« rief Salvato lebhaft. »Greife einmal in diese Tasche, Luisa, und gib ihn hin.«

»Du willst es, Salvato,« murmelte Luisa.

Dann setzte sie noch leiser hinzu:

»Und wenn man mich nun begnadigte?«

»Möge der Himmel es geben!«

»Aber Du?«

»Mein Vater ist da.«

Luisa zog den Brief aus Salvatos Tasche und reichte ihn dem Richter.

»Meine Herren, sagte Speciale, »wenn dieser Brief auch wirklich von Backers Hand geschrieben sein sollte, so hoffe ich doch, daß sie ihm nicht mehr Vertrauen schenken werden, als er verdient. Sie wissen, daß der junge Backer der Liebhaber dieser Frau war.«

»Der Liebhaber?« rief Salvato. »O, Elender, berühre dieses makellose Wesen nicht auch nur mit deinen Worten!«

»Er hatte sich in mich verliebt, wollen Sie wohl jagen, Signor,« entgegnete Luisa.

»Ja und zwar bis zum Wahnsinn, denn nur ein Wahnsinniger konnte einer Frau das Geheimniß einer Verschwörung anvertrauen.«

»Lesen Sie den Brief« sagte Salvato, indem er sich erhob, »und zwar laut.«

»Ja, laut! laut!« rief das Publicum.

Speciale sah sich demgemäß genöthigt, dieser öffentlichen Stimme zu gehorchen und las den uns bekannten Brief, durch welchen André Backer zum Beweise seines Vertrauens zu Luisa und seiner Ueberzeugung, daß sie mit der Denunciation des royalistischen Complotts nichts zu schaffen gehabt, Luisa den Auftrag erheilte, eine Summe von vierhunderttausend Ducati unter die Opfer des Kampfes zu vertheilen.

Die Richter sahen einander an. Auf eine so vollständig in Abrede gestellte Thatsache hin war es nicht möglich eine Verurtheilung auszusprechen, denn das Opfer ward dadurch gerechtfertigt, während der Schuldige sich selbst anklagte.

Dennoch lautete der Befehl des Königs positiv. Man mußte sie verurtheilen und zwar zum Tode.

Speciale war übrigens auch nicht der Mann, der durch eine solche Kleinigkeit in Verlegenheit gebracht worden wäre.

»Gut,« sagte er. »Das Tribunal läßt diesen Anklagepunkt fallen.«

Diese Worte wurden mit einem Gemurmel des Beifalls aufgenommen.

»Aber,« fuhr Speciale zu Luisa gewendet fort, »Sie sind auch noch eines andern nicht minder schweren Verbrechens angeklagt.«

»Was wäre das für eines?« fragten Luisa und Salvato gleichzeitig.

»Sie sind angeklagt, einem Mann ein Asyl gegeben zu haben, welcher nach Neapel kam, um gegen die Regierung zu konspirieren. Sie haben diesen Mann sechs Wochen lang beherbergt und ihn erst fortgelassen, als er sich zum Kampfe gegen die Truppen des legitimen Königs begab.«

Luisa senkte, anstatt zu antworten, das Haupt und – betrachtete Salvato mit zärtlichem Blick.

 

»Nun, das laß’ ich mir aber doch gefallen!«, sagte Michele. »Konnte sie ihn vielleicht vor ihrer Thür sterben lassen, ohne ihm Beistand zu leisten? Ist es nicht das erste Gebot des Evangeliums, unseren Nächten beizustehen?«

»Ein Verräther, unterbrach Speciale, »ist Niemandes Nächster.«

Dann, als ob er mit dieser Angelegenheit, welcher sich das öffentliche Interesse in höherem Grade zuwendete, als ihm lieb war, so schnell als möglich fertig zu werden wünschte, sagte er:

»Also Sie gestehen, einen Verschwörer aufgenommen, verborgen gehalten und gepflegt zu haben, der Ihr Haus nur verlassen hat, um mit den Jakobinern und Franzosen gemeinschaftliche Sache zu machen?«

»Ja, ich gestehe es,« sagte Luisa.

»Dies genügt. Dies ist Hochverrath und ein Capitalverbrechen zum Tode!«

»Zum Tode!« wiederholte das Tribunal in dumpfem Tone.

Unter den Zuhörern machte sich ein langes, schmerzliches Murmeln bemerkbar.

Luisa San Felice wendete sich ruhig und die Hand auf das Herz drückend nach den Zuschauern, um ihnen zu danken.

Plötzlich hielt sie unbeweglich und mit stierem Blicke inne.

»Was ist Dir?« fragte Salvato.

»Dort! dort! Siehst Du?« sagte sie, ohne eine Geberde zu machen und indem sie sich blos ein wenig vorwärts neigte. »Er! er! er!«

Salvato neigte sich seinerseits nach der ihm von Luisa angedeuteten Richtung und sah einen Mann von fünfundfünfzig bis sechzig Jahren, schwarz und elegant gekleidet und mit dem auf seinen Frack gestickten Malteserkreuz.

Langsam schritt er durch die Menge, welche vor ihm zur Seite wich, auf das Tribunal zu. Er öffnete das Geländer, welches das Publicum von der Junta trennte, ging bis in die Mitte des Prätoriums und sagte zu den Richtern gewendet, welche ihn erstaunt ansahen:

»Sie haben soeben diese Frau zum Tode verurtheilt, ich komme aber, um Ihnen zu sagen, daß Ihr Urtheil nicht vollstreckt werden kann.«

»Und warum nicht?«, fragte Speciale.

»Weil sie schwanger ist,« antwortete er.

»Woher wissen Sie das?«

»Ich bin ihr Ehegatte, der Chevalier San Felice.«

Unter dem Publicum vernahm man einen Freudenruf, auf der Estrade der Angeklagten einen Ruf der Verwunderung. Speciale war bleich, indem er fühlte, daß seine Beute ihm entschlüpfte.

Die Richter betrachteten einander mit unruhigem Blick.

»Luciano! Luciano!« murmelte Luisa, indem sie dem Chevalier die Hände entgegenstreckte, während große Thränen der Rührung ihren Augen entrollten.

Der Chevalier näherte sich der Estrade; die Soldaten wichen von selbst zurück. Er ergriff die Hand seiner Gattin und küßte dieselbe zärtlich.

»Ha, Du hattest wohl Recht, Luisa,« sagte Salvato leise »dieser Mann ist ein Engel und ich schäme mich, ihm gegenüber so wenig zu sein.«

»Man bringe die Verurtheilten nach der Vicaria,« sagte Speciale, »diese Frau aber,« setzte er hinzu, »führe man in das Castello Nuovo zurück.«

Die Thür, durch welche die Angeklagten eingetreten waren, öffnete sich, um die Verurtheilten hinausgehen zu lassen. Ehe Salvato aber die Estrade verließ, hatte er noch Zeit, einen letzten Blick mit seinem Vater zu wechseln.

Sechstes Capitel.
In der Capelle

Dem von Speciale erheilten Befehl gemäß wurden die Verurtheilten nach der Vicaria gebracht und Luisa in das Castello Nuovo zurückgeführt.

Dennoch hatten die beiden Liebenden, welche bei den Soldaten mehr Mitleid fanden als bei den Richtern, noch Zeit, einander Lebewohl zu sagen und einen letzten Kuß zu wechseln.

Beseelt von Vertrauen auf seinen Vater versicherte Salvato seiner Freundin, daß er der besten Hoffnung lebe und daß er diese Hoffnung selbst am Fuße des Schaffots noch nicht aufgeben würde.

Luisa antwortete nur durch ihre Thränen.

Endlich an der Thür mußte man sich trennen. Die Verurtheilten passierten die Calata Trinita Maggiore, die Strada Trinita und den Vico Stoto; dann brachte die Strada dei Tribunali sie geraden Weges nach der Vicaria.

Luisa dagegen kehrte durch die Strada Monte Oliveto und die Strada Medina in das Castello Nuovo zurück, wo sie kraft einer Empfehlung vom Prinzen Francesco, die ein unbekannter Mann gebracht, in ein besonderes Zimmer eingeschlossen ward.

Wir wollen nicht versuchen, die Situation zu malen, in welcher man sie hier ließ. An unseren Lesern ist es, sich selbst eine Vorstellung davon zu machen.

Was die Verurtheilten betraf, so schritten sie, wie wir bereits gesagt, nach der Vicaria, bis an deren Thor sie von denen escortiert wurden, welche der Sitzung des Tribunals beigewohnt hatten.

Ausgenommen hiervon waren jedoch der Chevalier San Felice und der Mönch, welche sich einander genähert hatten und mit einander bis an die erste Ecke der Strada della Guercia, das heißt bis an die Ecke des Vico desselben Namens, geeilt waren.

Das Thor der Vicaria stand fortwährend offen. Es empfing die Verurtheilten von dem Tribunal, behielt sie zwölf, vierzehn bis fünfzehn Stunden und warf sie dann auf das Schaffot.

Der Hof war mit Soldaten angefüllt. Des Abends breitete man für dieselben unter den Arcaden eine Anzahl Matratzen aus und sie schliefen hier in ihren Capot oder in ihren Mantel gehüllt.

Uebrigens stand man jetzt in den wärmsten Tagen des Jahres.

Es war gegen zwei Uhr Morgens, als die Verurtheilten anlangten, und sie wurden sofort in die Capelle geführt.

Hier wurden sie augenscheinlich erwartet. Das Gemach, in welchem sich der Altar befand, war durch Wachskerzen, das andere durch eine an der Decke hängende Lampe erleuchtet.

Auf der Erde lagen sechs Matratzen. Eine Anzahl Schließer warteten in diesem Gemach.

Die Soldaten machten an dem Thor Halt und hielten sich bereit, Feuer zu geben, wenn in dem Augenblick, wo man den Verurtheilten die Ketten abnähme, von ihnen ein Empörungsversuch unternommen würde.

Dies stand aber nicht zu fürchten. An diesem Punkt angelangt, fühlte jeder, daß nicht blos der neugierige Blick seiner Zeitgenossen, sondern auch das unparteiische Auge der Nachwelt auf ihm ruhte, und keiner war ein so großer Feind seines Rufes, daß er die heitere Ruhe des Todes durch eine unkluge zornige Aufwallung getrübt hätte.

Deshalb ließen sie sich mit derselben Ruhe, als ob es sich um andere Personen handelte, die Ketten abnehmen, welche ihnen die Hände fesselten, und sich diejenigen, durch welche sie an den Fußboden gefesselt wurden, an die Füße legen.

Der Ring war nahe genug an dem Bett und die Kette lang genug, damit der Verurtheilte sich niederlegen konnte.

War er aber aufgestanden, so konnte er sich nicht weiter als um einen Schritt von dem Bett entfernen.

Binnen zehn Minuten war die doppelte Operation ausgeführt. Die Schließer entfernten sich zuerst, dann die Soldaten.

Hierauf schloß sich die Thür mit ihren dreifachen Riegeln und ihren doppelten Gittern.

»Meine Freunde,« sagte Cirillo, sobald das letzte Knarren der Thüren verstummt war, »laßt mich als Arzt Euch einen guten Rathgeben.«

»Ah, in der That,« rief der Graf von Ruvo lachend, »Ihr Rath soll mir sehr willkommen sein, denn ich fühle mich sehr krank, so krank, daß ich die dritte Stunde des Nachmittags nicht überleben werde.«

»Mein lieber Graf, entgegnete Cirillo, ich habe gesagt, einen guten Rath, aber nicht ein Recept.«

»Dann nehme ich meine Bemerkung zurück. Wir wollen annehmen, ich hätte gar nichts gesagt.«

»Ich wette,« sagte Salvato seinerseits, »daß ich den guten Rath, den Sie uns geben wollten, mein lieber Hippokrates, errathe; Sie wollten uns rathen, zu schlafen; nicht wahr?«

»Sehr richtig; der Schlaf ist die Kraft, und obschon wir Männer sind, so werden wir doch, wenn die Stunde da ist, unserer Kraft und zwar unserer ganzen Kraft bedürfen.«

»Wie, mein lieber Cirillo,« sagte Manthonnet, »wie kommt es, daß Sie, der Sie ein Mann der Vorsicht sind, sich in Hinblick auf diese Stunde nicht mit einem gewissen Pulver oder mit einer gewissen Flüssigkeit versehen haben, welche uns der Mühe überhebt, vor den Augen dieser Dummköpfe, der Lazzaroni, am Ende eines Stranges den lächerlichen Tanz aufzuführen, mit welchem wir bedroht sind?«

»Ich habe wohl daran gedacht, aber als Egoist, der ich bin, und da ich nicht ahnte, daß wir gemeinschaftlich sterben würden, habe ich nur für mich allein daran gedacht. Dieser Ring schließt wie der Hannibal’s den Tod dessen in sich, der ihn trägt.«

»Ha!« sagte Caraffa, »nun verstehe ich, warum Sie uns rathen zu schlafen. Sie wären mit uns eingeschlafen, aber nicht wieder mit uns erwacht.«

»Da irrst Du Dich, Hector. Ich bin vollkommen entschlossen, wie Ihr und mit Euch zu sterben, und wenn es unter Euch Einen gibt, der schlecht geschlafen hat und im Augenblick, wo die große Reise angetreten werden soll, einige Schwäche fühlen sollte, so gehört dieser Ring ihm.«

»Zum Teufel, sagte Michele, »das ist sehr verlockend.«

»Willst Du ihn, armes Kind des Volkes, der Du nicht wie wir, wenn es zum Sterben kommt, den Beistand der Wissenschaft und der Philosophie zu Hilfe rufen kannst?« fragte Cirillo.

»Ich danke, ich danke, Doctor,« sagte Michele; »es wäre Schade um das Gift.«

»Aber warum?«

»Nun, weil die alte Nanno mir prophezeit hat, daß ich gehängt werden würde und weil nichts mich abhalten kann, auch wirklich gehängt zu werden. Machen Sie daher Ihr Geschenk irgend Jemanden, dem es freisteht, nach seiner Weise zu sterben.«

»Ich nehme Ihr Anerbieten an, Doctor,« sagte Leonora Pimentel.

»Ich hoffe allerdings davon keinen Gebrauch machen zu müssen, aber ich bin Weib und kann im entscheidenden Augenblick eine Anwandlung von Schwäche haben. Wenn dieses Unglück mich treffen sollte, dann werden Sie mir verzeihen, nicht wahr?«

»Hier ist der Ring,« sagte Cirillo, »aber Sie thun unrecht, wenn Sie an sich selbst zweifeln. Ich bürge für Sie.«

»Gleichviel,« sagte Leonora, indem sie die Hand ausstreckte, »geben Sie nur her.«

Die Matratze des Doctors war von der Leonora’s Pimentel zu weit entfernt, als daß Cirillo den Ring hätte von Hand zu Hand geben können. Er gab ihn daher dem ihm zunächst befindlichen Gefangenen, der ihn seinem Nachbar reichte, welcher ihn Leonora zustellte.

»Man erzählt,« sagte diese, »daß Cleopatra, als man ihr die in einem Korbe Feigen liegende Natter brachte, damit begann, das Thier zu liebkosen, indem sie sagte: Sei mir willkommen, du häßliches kleines Thier. Mir erscheinst du schön, denn du bist die Freiheit. Auch du, o kostbarer Ring, bist die Freiheit und ich küsse dich wie einen Bruder.«

Salvato hatte, wie man gesehen, an dieser Conversation keinen Theil genommen. Er saß auf einem Bett, mit den Ellbogen auf den Knien und den Kopf in die Hände stützend.

Hector Caraffa betrachtete ihn mit Unruhe. Von seiner Matratze aus konnte er bis zu ihm reichen.

»Schläfst Du oder träumst Du?« fragte er.

Salvato richtete ein vollkommen ruhiges Gesicht empor. Es war blos traurig, weil die Traurigkeit der einmal vorherrschende Charakter dieser Physiognomie war.

»Nein,« sagte er, »ich denke nach.«

»Worüber?«

»Ueber einen Gewissensfall.«

»Ha!«, rief Manthonnet lachend, »welch ein Unglück, daß der Cardinal Ruffo nicht hier ist!«

»An diesen würde ich mich nicht wenden, denn der Gewissensfall, von welchem ich spreche, kann nur von Dir allein gelöst werden.«

»Zum Teufel!« rief Hector Caraffa, »ich hätte nicht geglaubt, daß man mich hier einsperrte, um Mitglied eines Concils zu sein.«

»Cirillo, unser Lehrmeister in der Philosophie, in der Wissenschaft, besonders aber in der Ehre, sagte soeben: Ich besitze Gift, aber ich besitze dessen nur für mich allein, deshalb werde ich mich desselben nicht bedienen.«

»Wollen Sie es?« fragte Leonora lebhaft. »Ich würde gern bereit sein, es Ihnen zu überlassen, denn es brennt mir in den Händen.«

»Nein, ich danke. Es ist blos eine einfache Frage, welche mir Ihnen zu stellen bleibt. Sie wollen, mein lieber Cirillo, nicht allein eines sanften und ruhigen Todes sterben, während Ihre Genossen einen grausamen und entehrenden Tod erleiden, nicht wahr?«

»Ja, so ist es. Da ich mit ihnen gleichzeitig verurtheilt bin, so glaube ich, muß ich auch mit ihnen und wie sie sterben.«

»Wenn Sie aber nun anstatt der Möglichkeit zu sterben die Gewißheit zu leben hätten?«

»Dann würde ich das Leben aus denselben Gründen zurückweisen, welche mich bewogen haben, den Tod in einer andern Gestalt zurückzuweisen.«

»Denkt Ihr Alle wie Cirillo?«

»Ja, Alle,« antworteten die vier Männer wie mit einer Stimme.

Leonora Pimentel horchte mit steigender Begier.

»Aber,« fuhr Salvato fort, »wenn eure Rettung die Rettung eines Andern, eines schwachen, unschuldigen Wesens herbeiführen könnte, welches, um sich dem Tode zu entziehen, nur auf Euch rechnet, nur auf Euch hofft und welches ohne Euch sterben würde?«

 

»O dann,« rief Leonora Pimentel lebhaft, »dann wäre es unsere Pflicht, anzunehmen.«

»Sie sprechen als Weib, Leonora.«

»Und wir, wir sprechen als Männer, « hob Cirillo wieder an, »und eben so wie Leonora sagen wir: Salvato, es wäre unsere Pflicht, anzunehmen.«

»Ist das auch Ihre Meinung, Ruvo?« fragte der junge Mann.

»Ja.«

»Auch die Ihrige, Manthonnet?«

»Ja.«

»Auch die deinige, Michele?«

»Ja, hundertmal ja.«

Dann, nachdem Michele dies gesagt, neigte er sich zu Salvato und sagte:

»Im Namen der Madonna, Signor Salvato, retten Sie sich und retten Sie Luisa. Ha, wenn ich sicher sein könnte, daß sie nicht sterben wird, dann würde ich tanzend zum Galgen gehen und mit dem Strick um den Hals noch rufen: »Es lebe die Madonna!«

»Es ist gut,« sagte Salvato, »ich weiß nun, was ich wissen wollte. Ich danke.«

Und Alles versank wieder in Schweigen.

Nur die Lampe, welche ihr Oel erschöpft hatte, knisterte einen Augenblick, schoß kleine Blitze und erlosch langsam.

Es dauerte nicht lange, so brach ein grauer Schimmer, den Tag verkündend, welcher der letzte Tag der Verurtheilten sein sollte, traurig durch das Gitter der Fenster.

»Dies ist das Sinnbild des Todes,« sagte Salvato. »Die Lampe erlöscht, es wird Nacht, dann kommt die Morgendämmerung.«

»Sind Sie der Morgendämmerung aber auch sicher?« fragte Cirillo.

Um acht Uhr Morgens wurden diejenigen der Verurtheilten, welche noch schliefen, durch das Geräusch erweckt, welche das Oeffnen der Thür des ersten Gemaches veranlaßte, das heißt dessen, in welchem sich der Altar befand.

Die Schließer traten in das Gemach der Verurtheilten und ihr Anführer rief mit lauter Stimme:

»Die Todtenmesse!«

»Was soll die Messe?« fragte Manthonnet. »Glaubt man, wir würden nicht ohne dieselbe zu sterben wissen?«

»Unsere Henker wollen den lieben Gott auf ihrer Seite haben,« antwortete Hector Caraffa.

»Ich sehe aber nirgends, daß die Messe durch das Evangelium eingesetzt wäre,« sagte Cirillo seinerseits, »und das Evangelium ist die einzige Richtschnur meines Glaubens.«

»Nun gut,« rief dieselbe gebieterische Stimme, »kettet dann blos die los, welche dem Sacramente beiwohnen wollen.«

»Kettet mich los,« sagte Salvato.

Leonora Pimentel und Michele stellten dieselbe Forderung.

Man kettete alle Drei los.

Sie gingen in das Nebenzimmer. Der Priester stand am Altare, Soldaten hielten die Thür besetzt und man sah in dem Corridor die Bajonnete funkeln, welche verriethen, daß das Detachement zahlreich und daß folglich alle Vorsichtsmaßregeln getroffen waren.

Salvato hatte sich blos losketten lassen, um keine Gelegenheit zu versäumen, sich mit seinem Vater oder den Emissären seines Vaters, welche es vielleicht übernommen hätten, ihn zu retten, in Mittheilung zu setzen.

Leonora hatte verlangt die Messe zu hören, weil sie als Weib und Dichterin sich gedrungen fühlte, an dem göttlichen Geheimnisse theilzunehmen.

Michele hatte es verlangt, weil er als Neapolitaner und Lazzarone überzeugt war, daß ohne Messe ein guter Tod nicht möglich sei.

Salvato blieb in der Nähe der Verhindungsthür zwischen den beiden Gemächern stehen. Mochte er aber die Anwesenden mit den Augen befragen und seinen Blick in den Corridor hinabtauchen lassen, wie er wollte, so sah er doch nichts, was ihn hätte muthmaßen lassen können, daß man sich mit seiner Rettung beschäftigte.

Leonora ergriff einen Stuhl und neigte sich darüber, indem sie sich auf die Lehne stützte.

Michele kniete sich unmittelbar auf die Stufen des Altars nieder.

Michele repräsentierte den unbedingten Glauben, Leonora die Hoffnung, Salvato den Zweifel.

Salvato hörte die Messe mit Zerstreutheit, Leonora hörte sie mit Sammlung, Michele hörte sie mit Begeisterung.

Patriot und Oberst war er nur vier Monate, Lazzarone dagegen sein ganzes Leben lang gewesen.

Als die Messe beendet war, fragte der Priester:

»Wer will communiciren?«

»Ich!« rief Michele.

Leonora verneigte sich, ohne zu antworten.

Salvato schüttelte den Kopf zum Zeichen der Verneinung.

Michele näherte sich dem Priester, beichtete mit leiser Stimme und communicirte.

Dann wurden alle Drei wieder in das Gemach geführt, wo man ihnen ebenso wie ihren Genossen ein Frühstück auftrug.

»Wann ist die Stunde?« fragte Cirillo die Schließer, welche das Mahl herbeibrachten.

Einer davon näherte sich ihm.

»Ich glaube, um vier Uhr, Signor Cirillo,« sagte er.

»Ah,« entgegnete der Doctor, »Du kennst mich also?«

»Ja, Sie haben voriges Jahr mein Weib von einer Brustkrankheit geheilt.«

»Und geht es seit dieser Zeit gut mit ihr?«

»Ja, Excellenz.«

Dann setzte er mit einem Seufzer und leise hinzu:

»Ich möchte Ihnen ein ebenso langes Leben wünschen, als meinem Weibe wahrscheinlich nun noch beschieden sein wird.«

»Mein Freund,« antwortete ihm Cirillo, »die Tage des Menschen sind gezählt. Nur ist Gott weniger streng als Se. Majestät der König Ferdinand. Gott läßt zuweilen Gnade walten, der König Ferdinand aber niemals. Du sagt, um vier Uhr werde die Stunde sein?«

»Ich glaube es,« antwortete der Schließer; »da sie aber Ihrer viel sind, so wird man vielleicht, um Zeit zu gewinnen, eine Stunde eher anfangen.«

Cirillo zog seine Uhr heraus.

»Jetzt ist es halb elf,« sagte er.

Dann, als er im Begriffe stand, sie wieder in die Tasche zu stecken, setzte er hinzu:

»Beinahe hätte ich vergessen sie aufzuziehen. Wenn ich stehen bleibe, so ist dies immer noch für sie kein Grund, auch stehen zu bleiben.«

Und mit diesen Worten zog er gelassen die Uhr auf.

»Gibt es unter den Verurtheilten vielleicht einige, welche den Beistand der Religion zu empfangen wünschen?« fragte der Priester, indem er auf der Schwelle der Thür erschien.

»Nein, antworteten Cirillo, Hector Caraffa und Manthonnet wie aus einem Munde.

»Nun, wie Ihr wollt,« antwortete der Priester.

»Es ist das eine Angelegenheit zwischen Gott und Euch.«

»Ich glaube, mein Vater, antwortete Cirillo, »es wäre richtiger zu sagen, eine Angelegenheit zwischen Gott und dem König Ferdinand.«