Za darmo

La San Felice

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Drittes Capitel.

Der Krokodilgraben

Wenn man im Castello Nuovo den Kerker zu sehen verlangt, welcher der Krokodilgraben heißt, so zeigt der Kerkermeister zuerst das Skelett des riesenhaften Sauriers, von welchem der Kerker den Namen hat, und welchen man der Sage nach hier gefangen. Dann muß man unter der Thür hinweggehen, über welcher das Gerippe sich befindet, dann wird man vom Kerkermeister an eine enge Thür geführt, durch welche man auf eine Treppe von zweiundzwanzig Stufen gelangt, und welche zu einer dritten, massiven, eichenen, mit Eisen beschlagenen Thür führt, durch welche man in eine tiefe und dunkle Höhle gelangt.



In diesem Grab, dem ruchlosen Werk von Menschen, in welchem sie die lebendigen Leichname ihrer Mitmenschen begraben wollen, stößt man sich an einem Granitblock, den man nicht anders fassen kann, als bei der eisernen Stange, die seine Axe bildet. Dieser Granitblock schließt die Mündung eines Brunnens, welcher mit dem Meere in Verbindung steht. In stürmischen Tagen schleudern nun die aufgeregten und tobenden Wellen ihren Schaum durch die Ritzen des schlecht eingesenkten Steines, so daß das salzige Wasser in die Höhle strömt und den Gefangenen bis in den äußersten Winkel seines Kerkers verfolgt.



Durch diese Oeffnung des Abgrundes, sagt die düstere Legende, erschien das scheußliche Unthier, welches dem Graben den Namen gegeben, aus dem Schooße des Meeres hervorkommend.



Fast immer fand es in dem Kerker eine menschliche Beute, und nachdem es dieselbe verschlungen, stürzte es sich wieder in den Abgrund.



Hier herein, sagt die Volkssage, warfen die Spanier die Frau und die vier Kinder Masaniellos, jenes Königs der Lazzaroni, welcher Neapel befreien wollte, und welcher auf seinem Throne ebenso schwindelig ward wie Caligula oder Nero.



Den Vater und Gatten hatte das Volk verschlungen, das Krokodil, welches dem Volke sehr ähnlich ist, verschlang die Mutter mit ihren Kindern.



Der Commandant vom Castello Nuovo befahl, daß man Salvato und Luisa in diesen Kerker bringen sollte.



Beim Scheine einer Lampe, welche von der Decke herabhing, sahen die beiden Liebenden mehrere Gefangene, welche bei ihrem Eintritt in ihrer Unterhaltung innehielten und ängstliche Blicke auf die Ankömmlinge warfen. Da aber ihre Augen mehr an das Halbdunkel des Kerkers gewöhnt waren, so erkannten sie Luisa und Salvato bald, und empfingen sie mit einem Rufe der Freude und zugleich des Mitleids. Ein Mann warf sich Luisa zu Füßen, eine Frau an ihre Brust, drei Gefangene umgaben Salvato und ergriffen seine Hände, und bald bildeten Alle eine Gruppe, aus deren verworrenen Ausrufen schwer zu erkennen war, ob mehr die Freude als der Schmerz dieselben eingab.



Der Mann, welcher sich Luisa zu Füßen geworfen, war Michele, die Frau, welche an ihrem Halse hing, Eleonora Pimentel, die drei Gefangenen, welche Salvato umringten, waren Domenico Cirillo, Manthonnet und Velasco.



»Ach, arme, liebe kleine Schwester!« rief Michele, »wer hätte uns gesagt, daß die Hexe Nanno so richtig und wahr die Zukunft voraussagte?«



Luisa mußte unwillkürlich schaudern, mit einem traurigen Lächeln ließ sie die Hand über ihren so zarten, durchsichtigen Hals gleiten, und schüttelte dabei mit dem Kopf, als ob sie sagen wollte, daß er dem Henker nicht viele Mühe machen würde.



Ach! sie täuschte sich sogar in dieser letzter Hoffnung.



Die Aufregung, welche unter den Gefangenen durch Salvatos und Luisa’s Ankunft entstanden, hatte sich noch nicht gelegt, als die Thür sich wieder öffnete, und auf der düsteren Schwelle ein Mann von hohem Wuchs erschien, welcher das Costüm eines Generals der Republik trug, wie schon Manthonnet es getragen.



»Zum Teufel,« sagte er, als er eintrat, »ich fühle mich versucht mit Jugurtha zu sagen: Die Bäder Roms sind nicht warm.«



»Hektor Caraffa!« riefen zwei oder drei Stimmen.



»Domenico Cirillo! Velasco! Manthonnet! Salvato! Auf alle Fälle ist hier bessere Gesellschaft wie in dem mamertinischen Gefängniß. Ihr Diener, meine Damen! Ah! die Signora Pimentel! Die Signora San Felice! Hier ist ja Alles beisammen: Wissenschaft, Muth, Poesie, Liebe und Musik. Wir werden nicht Zeit zur Langweile haben.«



»Ich glaube gar nicht, daß man uns überhaupt Zeit dazu lassen wird,« sagte Cirillo mit seiner weichen, traurigen Stimme.



»Aber wo kommst Du denn her, mein lieber Hektor?« fragte Manthonnet. »Ich glaubte, Du seiest schon weit von uns entfernt, und hinter den Mauern von Pescara in Sicherheit.«



»Ich bin auch wirklich dort gewesen,« sagte Hektor. »Ihr habt aber capituliert. Der Cardinal Ruffo schickte mir eine Abschrift eurer Capitulation, und schrieb mir, zu thun, was Ihr gethan. Zu derselben Zeit schrieb mir auch der Abt Pronio, mich unter denselben Bedingungen zu ergeben, indem er mir nicht nur das Leben, sondern auch Ermächtigung versprach, mich nach Frankreich zu begeben. Ich hielt es nicht für entehrend, zu thun, was Ihr gethan, ich unterzeichnete die Capitulation und übergab die Stadt, wie Ihr die Castelle übergeben. Am nächsten Morgen kam der Abt den Kopf hängend zu mir, und wußte nicht, wie er mir die Nachricht beibringen sollte, denn diese war allerdings keine gute. Der König hatte ihm geschrieben, daß, da er mit mir ohne Vollmacht unterhandelt hatte, er mich an Händen und Füßen gebunden ausliefern sollte, wenn er nicht mit seinem Kopfe für meinen büßen wollte. Pronio aber hielt auf seinen Kopf, obgleich derselbe nicht schön war, erließ mich an Händen und Füßen binden und mich auf einem Karren nach Neapel schaffen, wie man ein Kalb zu Markte schleppt. Erst im Castello Nuovo, nachdem sich die Thür hinter mir geschlossen, hat man mich meiner Bande entledigt und hierhergeführt. Das ist meine Geschichte, und jetzt ist die Reihe des Erzählens an Euch.«



Ein Jeder erzählte nun seine Geschichte. Luisa und Salvato begannen. Wir kennen ihre Geschichte, wie auch die Cirillo’s, Velascos, Manthonnets und Eleonora Pimentel’s. Alle waren im Vertrauen auf die Verträge in die Felucken gestiegen, wo sie Nelson jedoch zu Gefangenen gemacht.



»Ich habe Euch eine gute Nachricht mitzutheilen,« sagte Ettore Caraffa, als Alle mit dem Erzählen fertig waren, »Nicolino ist gerettet.«



Ein Freudenschrei entschlüpfte Allen, und man verlangte Genaueres zu hören.



Man wird sich erinnern, daß Salvato, vom Cardinal Ruffo benachrichtigt, Nicolino beauftragt hatte, dem Admiral mitzutheilen, daß sein Leben in Gefahr sei. Nicolino hatte den Pachthof erreicht, auf welchem ein Onkel sich verborgen, jedoch eine Stunde nach der Gefangennahme des Letzteren. Er erfuhr den Verrath des Pächters und hatte sich weiter nicht aufgehalten, sondern zu Ettore Caraffa begeben. Dieser hatte ihn bei sich in Pescara aufgenommen, wo er Theil an der Vertheidigung der Stadt in der letzten Zeit genommen, aber als man sich dem Abte Pronio ergeben wollte, hatte Nicolino kein rechtes Vertrauen in die Sache, sondern verkleidete sich als Bauer und gewann das Gebirge. Von den sechs Verschworenen, welche wir im Schlosse der Königin Johanna zu Anfang unserer Erzählung gesehen haben, war er der Einzige, welcher der Reaction nicht in die Hände fiel.



Diese gute Nachricht erfreute denn die Gefangenen auch sehr, dann aber waren sie auch, wie wir bereits gesagt haben, sehr glücklich, vereinigt zu sein. Allem Anscheine nach würde man sie wohl auch zusammen verurtheilen und hinrichten. Den Girondisten war dasselbe Glück zu Theil geworden und man weiß, daß sie es zu benutzen gewußt hatten.



Man brachte das Abendbrot für Alle und Matratzen für die neuen Ankömmlinge. Während des Essens machte Cirillo seine drei neuen Gefährten mit den Gebräuchen und Gewohnheiten im Gefängnisse bekannt, welches er nun bereits dreizehn Tage und dreizehn Nächte bewohnte.



Die Gefängnisse waren überfüllt, der König selbst gab ja in einem seiner Briefe, wie wir gesehen haben, achttausend Gefangene an.



Jeder dieser Cirkel der Hölle, die gut zu beschreiben es eines Dante bedürfte, besaß eine besonderen Teufel, welche die Verurtheilten quälen mußten.



Sie mußten ihnen die schwersten Ketten anlegen, ihren Durst erregen, die Fastenzeiten verlängern, fast alles Licht entfernen, die Speisen besudeln, und während sie das Leben in eine grausame Plage verwandelten, die Gefangenen doch am Sterben hindern.



Und wirklich sollte man meinen, daß die Gefangenen unter den Martern, welche den schimpflichen Todesstrafen vorausgingen, den Selbstmord wie einen rettenden Engel angefleht hätten.



Drei- bis viermal kam man in der Nacht unter dem Vorwande der Durchsuchung in die Kerker, und weckte die, welche schlafen konnten. Alles war verboten, nicht nur Messer und Gabeln, sondern auch Gläser, denn man sagte, daß man sich mit einem Glasscherben die Adern öffnen könnte. Ebenso verboten waren auch Tischtücher und Servietten, da man sie zerschneiden, zusammendrehen und sich ihrer dann als Stricke, ja sogar als Leiter bedienen könnte.



In der Geschichte sind die Namen von dreien dieser Quälgeister erhalten geblieben.



Einer war ein Schweizer, Namens Dunce, welcher zur Entschuldigung seiner Grausamkeit angab, daß er eine zahlreiche Familie zu ernähren habe.



Der zweite war ein Oberst von Gambs, ein Deutscher, welcher unter Mack gestanden hatte und wie dieser geflohen war.



Der dritte endlich war unser alter Bekannter, Scipio Lamarra, der Fahnenträger der Königin, welchen diese dem Cardinal so warm empfohlen, und welcher seiner königlichen Beschützerin dadurch Ehre gemacht, daß er Caracciolo durch Verrath festgenommen und an Bord des »Donnerers« gebracht hatte.



Die Gefangenen aber hatten sich vorgenommen, daß sie ihren Henkern nicht die Freude machen wollten, sich an ihren Qualen weiden zu können. Kamen sie am Tage, so setzten sie ihre Unterhaltung fort, indem sie auf den Befehl der Visitatoren nur die Plätze wechselten, während Velasco, ein entzückender Musiker, dem man gestattet seine Guitarre mit sich zu nehmen, die Haussuchungen mit den fröhlichsten Melodien und heitersten Gesängen begleitete. Kamen die Quäler in der Nacht, so erhob sich ein jeder, ohne zu klagen oder zu murren, und das geschah schnell, da jeder sich angekleidet niederlegte, weil er ja nur eine Matratze zum Lager hatte.

 



Unterdessen verwandelte man mit der größten Geschwindigkeit das Kloster Monte Oliveto in ein Tribunal. Dieses Kloster war 1411 von Luzella d’Origlia, dem Günstling des Königs Ladislaus, gegründet worden; Tasso hatte hier ein Asyl gefunden und zwischen dem Gefängniß und dem Wahnsinn eine Rast gemacht. Die Angeklagten sollten hier eine Rast zwischen dem Gefängniß und dem Tode machen.



Die Rat war eine kurze, und der Tod ließ nicht lange auf sich warten. Die Staatsjunta handelte nach dem sicilischen Gesetzbuch, das heißt nach dem alten Verfahren der sicilichen rebellischen Barone. Man nahm, um es anzuwenden, ein Gesetz aus dem Gesetzbuch Rogers, und vergaß, daß Roger, weniger eifersüchtig auf seine Gerechtsame als der König Ferdinand, nicht erklärt hatte, daß ein König nicht mit seinen rebellischen Unterthanen unterhandle, sondern im Gegentheil nicht nur einen Vertrag mit den Bewohnern von Bari und Trami, welche sich gegen ihn empört hatten, unterzeichnet und denselben auch genau erfüllt hatte.



Dieses Verfahren, welches dem des »schwarzen Zimmers« sehr ähnelte, war schrecklich, da dasselbe den Angeklagten durchaus keine Sicherheit bot. Die Anklagen und Spionagen galten so viel wie Beweise, und die Ankläger und Spione so viel wie Zeugen. Wenn der Richter es für gut fand, so kam die Tortur der Rache zu Hilfe, und unterstützte dieselbe, denn Kläger und Vertheidiger waren Männer der Junta, das heißt Männer des Königs, aber nie Männer der Angeklagten.



Ueberdies wurden die Belastungszeugen im Geheimen verhört, ohne den Angeklagten gegenübergestellt zu werden, so daß die Entlastungszeugen nicht ein Gegengewicht ausüben konnten, da sie weder öffentlich noch im Geheimen gefordert wurden, und so mußten die Angeklagten die Last der Anklage allein tragen, wie sie auch der Gnade der Richter vollständig überlassen waren.



Das Urtheil, welches von der Gewissenhaftigkeit derjenigen abhing, welche mit dem Ausspruch beauftragt wurden, stand immer unter der verderblichen Willkür des königlichen Hasses, ohne daß der Angeklagte appellieren durfte, ohne daß ihm Frist gestattet ward, ohne daß er von irgendwo Hilfe erwarten durfte. Der Galgen stand an der Thür des Tribunals, das Urtheil ward während der Nacht gefällt, den folgenden Morgen verkündet und am nächsten Tage vollstreckt. Vierundzwanzig Stunden geistliche Vorbereitung, dann das Schaffot.



Für die, welchen der König sich gnädig erwies, blieb die Grube von Favignana, das heißt ein Grab.



Ehe der Reisende, welcher von Ost nach West wandert, Sicilien erreicht, sieht er zwischen Marsala und Trapani aus dem Meere eine Klippe aufsteigen, welche von einem Castell überragt wird. Das ist das Agusa der Römer, eine verhängnißvolle Insel, welche schon zur Zeit der heidnischen Kaiser ein Gefängniß war. Eine in den Felsen gehauene Treppe führt vom Gipfel nach einer Höhle, welche mit dem Meere in gleicher Ebene liegt. Ein unheimliches Licht fällt herein, welches nie von einem Sonnenstrahl erwärmt wird, und von der gewölbten Decke tröpfelt eisiges Wasser, ein ewiger Regen, welcher den härtesten Granit zernagt und den kräftigsten Menschen tödtet.



Dieser Graben, dieses Grab, diese Gruft, das war die Huld des Königs von Neapel. Doch wir wollen zu unserer Erzählung zurückkehren.



Wir haben gesehen, daß an dem Abende, wo der Beccajo, welcher Salvato gefangen hielt, den Henker bis in seiner Höhle suchte, damit er ihn hängen sollte, Meister Donato den Gewinn ausrechnete, den ihm die zahlreichen Hinrichtungen einbringen würden, die er nothwendiger Weise zu vollziehen hatte.



Auf diesem Gewinn beruhte die Mitgift von dreihundert Ducaten, welche er seiner Tochter an dem Tage zu geben versprach, wo sie Giovanni, den ältesten Sohn des alten Fischers Basso Tomeo, heiraten würde.



Meister Donato hatte auch darüber eine Freude an den Tag gelegt, welche nur die des alten Basso Tomeo gleichkam, als er sah, wie in Folge der treulosen Nichterfüllung der Verträge die Kerker sich mit Angeklagten füllten, und als er aus dem Munde des Königs selbst vernahm, daß er den Rebellen durchaus keine Gnade widerfahren lassen würde.



Es waren achttausend Gefangene, und der niedrigsten Annahme nach standen wenigstens viertausend Hinrichtungen in Aussicht.



Viertausend Hinrichtungen, deren jede mit zehn Ducaten bezahlt ward, gaben also vierzigtausend Ducaten, und das waren zweimalhunderttausend Francs.



So saßen denn Meister Donato und sein Gevatter, der Fischer Basso Tomeo, in den ersten Tagen des Juli an demselben Tisch, wo wir sie schon haben sitzen sehen, leerten eine Flasche Wein von Capri, da sie glaubten sich diesen Extragenuß unter den obwaltenden Umständen gestatten zu dürfen, und rechneten an den Fingern aus, was das Minimum der Hinrichtungen wohl einbringen könnte.



Dieses Minimum konnte zur großen Befriedigung Beider nicht weniger als dreißig- bis vierzigtausend Ducaten einbringen.



Zu Gunsten dieser bedeutenden Summe, und wenn man sie erreichte, versprach Meister Donato die Mitgift bis auf sechshundert Ducaten zu erhöhen.



Meister Donato gestand eben diese Bewilligung zu, und war vielleicht in Folge der guten Laune, in welche ihn die Aussicht auf Galgen und Schaffot, die sich in eben so weite Ferne verlor wie die Sphinxstraße in Theben, versetzt hatte, eben im Begriff noch mehr zu gewähren, als die Thür sich öffnete und ein Gerichtsdiener der Vicaria, im Halbdunkel verborgen, fragte:



»Meister Donato?«



»Tretet näher,« erwiederte dieser, da er nicht wußte, mit wem er es zu thun hatte, und von der Heiterkeit mit fortgerissen ward, in welche ihn seine Berechnungen und der Genuß des Weines versetzt.



»Tretet Ihr selbst näher,« sagte der Gerichtsdienerin befehlendem Tone, »denn ich brauche mir nichts von Euch befehlen zu lassen, sondern Ihr müßt einen Befehl von mir entgegennehmen.«



»Oho, oho!« sagte Vater Basso Tomeo, welcher gewöhnt war im Finstern zu sehen, »es ist mir, als ob ich eine silberne Kette auf einem schwarzen Kleide glänzen sehe.«



»Gerichtsdiener der Vicaria,« antwortete hierauf die Stimme.



»Ich komme im Namen des Fiscalprocurators. Ihr habt es mit ihm auszumachen, wenn Ihr ihn warten läßt.«



»Geht schnell, schnell, Gevatter,« sagte Basso Thomeo. »Es kommt mir vor, als ob hier nicht zu spaßen wäre.«



Und er fing an die Tarantella zu dingen, welche mit dem poetischen Vers beginnt:



»Polichinello hat drei Schweine . . .«



»Hier bin ich!« rief Meister Donato, indem er schnell vom Tisch aufstand und nach der Thür lief.



»Wie Sie gesagt haben, Excellenz, Monsignore Guidobaldi darf man nicht warten lassen.«



Und ohne sich die Zeit zu nehmen, seinen Hut aufzusetzen, eilte Meister Donato dem Gerichtsdiener der Vicaria nach.



Der Weg von der Straße der Seufzer des Abgrundes nach der Vicaria ist kurz.



Die Vicaria ist das alte Castell Capuano. Während der neapolitanischen Revolution spielte sie dieselbe Rolle wie die Conciergerie in der französischen Revolution, die diente den Verurtheilten zur Rast zwischen der Verurtheilung und dem Tode.



Hier wurden die Verurtheilten, um uns des in Neapel geheiligten Ausdrucks zu bedienen, in die

Capelle

 gebracht.



Diese Capelle, die nichts Anderes als der Betsaal des Gefängnisses ist, war seit der Hinrichtung von Emmanuele de Deo, von Galiani und Vitagliano nicht benutzt worden.



Der Fiscalprocurator Guidobaldi begab sich daher in dieselbe, um sie zu untersuchen und Reparaturen vornehmen zu lassen.



Er mußte sehen, ob die Schlösser, Riegel und die in dem Fußboden befestigten Ringe fest und von einer Haltbarkeit seien, der man Alles bieten konnte.



Da er einmal hier war, dachte er zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, und ließ den Scharfrichter holen.



Während unseres Aufenthaltes in Neapel haben wir mit einer gewissen religiösen Ehrfurcht diese Capelle betreten, wo Alles bis auf das große Altarbild, welches man entfernt hat, noch in demselben Zustande wie damals sich befindet.



Sie erhebt sich im Mittelpunkte des Gefängnisses und man gelangt hinein, nachdem man zwei oder drei eiserne Gitterthore durchschritten.



Man muß zwei Stufen hinaufsteigen, ehe man in die wirkliche Capelle, das heißt in das Zimmer kommt, wo der Altar steht. Dieses Zimmer erhält ein Licht durch ein niedriges Fenster, welches mit dem Fußboden in gleicher Höhe liegt und mit zwei Eisenstäben vergittert ist.



Wenn man vier oder fünf Stufen heruntersteigt, so gelangt man aus diesem Zimmer in ein anderes, in welchem die Verurtheilten die letzten vierundzwanzig Stunden ihres Lebens zubrachten.



Starke eiserne, in dem Fußboden befestigte Ringe bezeichnen den Ort, wo die Verurtheilten auf ihren Matratzen dem Todeskampf entgegenharrten.



Ihre Ketten waren an den Ringen angeschmiedet.



Auf einer Mauer befand sich damals und befindet sich heute noch ein großes Frescogemälde, welches Christum am Kreuze und die vor ihm knieende Maria darstellt.



Hinter diesem Zimmer befindet sich ein kleines Cabinet, welches mit demselben in Verbindung steht, aber auch einen besonderen Eingang hat.



Durch diesen Eingang werden die weißen Büßer in das Cabinet geführt, welche die Verurtheilten im Augenblicke des Todes begleiten, ermuthigen und trösten wollen.



Unter dieser Verbrüderung, deren Glieder sich »Bianchi« nennen, gibt es Priester und Laien. Die Priester hören die Beichte, ertheilen die Absolution und das Abendmahl, also die letzten Sacramente, die letzte Oelung ausgenommen.



Diese ist nur für die Kranken bestimmt, und da die Verurtheilten nicht krank sind, sondern »durch Zufall« sterben sollen, so können sie auch nicht die letzte Oelung empfangen, welche das Sacrament des Todeskampfes ist.



Nachdem diese Büßer das Cabinet betreten, wo sie das lange weiße Gewand anlegen, wovon sie den Namen »Bianchi« haben, verlassen sie den Verurtheilten erst, nachdem sein Körper in das Grab gelegt ist.



Sie bleiben während der Zeit von der Gefangenschaft bis zum Tode stets bei ihm. Auf dem Schaffot legen sie ihm die Hand auf die Schulter, um ihm Zeit zu geben, noch eine letzte Mittheilung zu machen, und der Henker darf ihn nicht eher berühren, als bis sie die Hand erheben und sagen:



»Dieser Mann gehört Euch.«



Nach dieser letzten Station auf dem Wege zum Tode führte der Gerichtsdiener der Vicaria den Meister Donato.



Dieser ging in die Vicaria, die links liegende Treppe, welche nach dem Gefängniß führt, hinauf, einen langen, zwischen Kerkern hinführenden Corridor entlang, durch zwei Gitterthore, stieg wieder eine Treppe hinauf, passierte ein drittes Gitterthor, und befand sich an der Thür der Capelle.



Er trat ein. Das erste Gemach, also die eigentliche Capelle, war leer. Er begab sich in das zweite, und erblickte den Fiscalprocurator, welcher die Thür der »Bianchi« mit zwei Schlössern und drei Riegeln verwahren ließ.



Donato blieb unten an der Treppe stehen und wartete ehrfurchtsvoll, bis der Fiscalprocurator ihn bemerken und anreden würde.



Einen Augenblick darauf drehte sich der Fiscalprocurator um, und erblickte den, welchen er hatte holen lassen.



»Ah, da seid Ihr ja, Meister Donato,« sagte er.



»Bereit Ihre Befehle auszuführen, Excellenz,« erwiederte der Scharfrichter.



»Ihr wißt wohl, daß wir nicht wenig Hinrichtungen zu vollstrecken haben?«



»Ja wohl,« erwiederte Meister Donato mit einer Grimasse, die ein Lächeln sein sollte.



»Deßwegen wünschte ich, daß wir, noch ehe angefangen würde, uns über den Preis verständigten, den Ihr dafür verlangt.«



»Nun, das ist sehr einfach, Excellenz,« erwiederte Donato mit unbefangener Miene. »Ich bekomme sechshundert Ducaten festen Gehalt und bei jeder Hinrichtung eine Prämie von zehn Ducaten.«



»Das wäre einfach! Zum Teufel! Das kommt wohl Euch blos so vor, ich finde das durchaus nicht einfach.«



»Warum denn nicht?« fragte Donato mit einem leichten Anflug von Angst.



»Weil man, wenn man bedenkt, daß viertausend Hinrichtungen, von denen jede mit zehn Ducaten bezahlt wird, vierzigtausend Ducaten geben würden, ohne daß man den festen Gehalt dabei berechnet, beinahe das Doppelte von dem, was das ganze Tribunal, vom Schreiber bis zum Präsidenten einnimmt, bezahlen müßte.«



»Das ist wahr, sagte Donato, »aber ich ganz allein verrichte, was sie Alle zusammen verrichten, und meine Arbeit ist viel schwerer, da jene nur verurtheilen, während ich hinrichten muß.«

 



Der Fiscalprocurator, welcher eben probierte, ob einer der Ringe fest im Fußboden sei, richtete sich auf, rückte die Brille auf die Stirn und betrachtete Meister Donato.



»Ah! ah!« sagte er, »das ist eure Meinung, Meister Donato. Es ist aber doch zwischen Euch und den Richtern ein Unterschied, nämlich der, daß die Richter unabsetzbar sind, während Ihr dagegen abgesetzt werden könnt.«



»Ich? Warum soll ich denn aber abgesetzt werden? Habe ich mich denn je geweigert, meine Pflicht zu erfüllen?«



»Man klagt Euch an, daß Ihr lau für die gute Sache geworden seiet.«



»Ah, ich, der ich die ganze Zeit während der sogenannten Republik die Händ