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La San Felice

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Elftes Capitel.
Ein rechtschaffener Mann bringt eine schlechte Handlung in Vorschlag, welche rechtschaffene Leute so albern sind zurückzuweisen

Die Unterredung dauerte beinahe eine Stunde.

Mit düsterem Blick und gesenktem Haupte verließ Salvato das Castell.

Er ging die Rampe hinab, welche von San Martino nach der Infrascata führte, nahm einen Calessino, und ließ sich bis an das Thor des königlichen Palastes fahren, in welchem das Directorium seine Sitzungen hielt.

Seine Uniform öffnete ihm alle Thüren. Er ging aus einem Zimmer in das andere, bis er in den Sitzungssaal selbst gelangte.

Hier fand er die Directoren versammelt, welchen Manthonnet eben einen Bericht über die allgemeine Lage erstattete.

Der Stand der Dinge war von der Art, wie wir ihn bereits bezeichnet.

Der Cardinal stand in Ariano, das heißt vier Tagesmärsche von Neapel.

Sciarpa in Rocera, das heißt zwei Tagesmärsche von Neapel.

Fra Diavolo stand in Sessa und in Trano, das heißt ebenfalls zwei Tagesmärsche von Neapel.

Die Republik ward mit einem Worte von den Neapolitanern, den Siciliern, den Engländern, den Römern, den Toskanern, den Russen, den Portugiesen, den Dalmatiern, den Türken und den Albanesen bedrängt.

Der Berichterstatter war in düsterer Stimmung; die Stimmung derer, welche ihm zuhörten, war noch düsterer.

Als Salvato eintrat, wendeten sich Aller Augen auf ihn.

Er forderte Manthonnet durch eine Gebärde auf, fortzufahren, und blieb schweigend stehen.

Als Manthonnet fertig war, fragte der Präsident zu Salvato gewendet:

»Haben Sie uns vielleicht etwas Neues mitzutheilen, mein lieber General?«

»Nein; wohl aber habe ich Ihnen einen Vorschlag zu machen.

Man kannte Salvatos ungestümen Muth und unbeugsamen Patriotismus. Deshalb war man bereit ihn zu hören.

»Bleibt Ihnen nach dem, was der wackere General Manthonnet Ihnen soeben gesagt, nach einige Hoffnung?«

»Sehr wenig.«

»Und dieses Wenige, worauf beruht es? Sagen Sie uns das.«

Man schwieg.

»Das heißt,« hob Salvato wieder an, »es bleibt Ihnen keine Hoffnung und Sie versuchen sich selbst zu täuschen.«

»Und Ihnen, bleibt Ihnen nach Hoffnung?«

»Ja, wenn man nämlich genau thut, was ich Ihnen im Begriffe stehe zu sagen.«

»Sprechen Sie.«

»Sie sind Alle muthig und tapfer. Sie sind Alle bereit, für das Vaterland zu sterben, nicht wahr?«

»Ja, Alle!« riefen die Mitglieder des Directoriums, indem sie sich erhaben wie ein Mann.

»Ich bezweifle es nicht« fuhr Salvato mit seiner gewöhnlichen Ruhe fort. »Für das Vaterland sterben heißt aber nicht das Vaterland retten, und gleichwohl muß vor allen Dingen dieses gerettet werden, denn das Vaterland retten heißt die Republik retten, und die Republik retten heißt auf dieser unglücklichen Erde die Intelligenz, den Fortschritt, die Gesetzlichkeit, die Aufklärung, die Freiheit gründen, welches Alles mit der Rückkehr Ferdinands auf ein halbes Jahrhundert, vielleicht auf ein ganzes Jahrhundert verschwinden würde.«

Die Zuhörer antworteten nur durch ihr Schweigen, so richtig und unwiderleglich war Salvato’s Schlußfolgerung.

Er fuhr fort:

»Als Macdonald nach Oberitalien zurückberufen ward, und die Franzosen Neapel verließen, sah ich sie hoch erfreut einander Glück wünschen, weil sie nun endlich wirklich frei wären. Ihre nationale Eigenliebe, ihr Patriotismus verblendete sie und damit thaten sie den ersten Schritt zu der Sclaverei zurück.«

Eine lebhafte Röthe bedeckte die Stirnen der Mitglieder des Directoriums. Manthonnet murmelte:

»Immer der Ausländer!«

Salvato zuckte die Achseln.

»Ich bin mehr Neapolitaner als Sie, Manthonnet.« sagte er, »denn Ihre aus Savoyen stammende Familie wohnt erst fest fünfzig Jahren in Neapel. Ich dagegen stamme aus der Terra de Molisa, meine Vorväter sind dort geboren und dort gestorben. Gott verleiht auch mir das hohe Glück, dort zu sterben wie sie!«

»Hört, hört!« sagte eine Stimme. »Es ist die Weisheit, welche aus dem Munde dieses jungen Mannes spricht.«

»Ich weiß nicht, was Sie den Ausländer nennen, wohl aber weiß ich, wen ich meine Brüder nenne. Meine Brüder sind die Männer, mögen sie angehören, welchem Lande sie wollen, welche ebenso wie ich, die Würde des Individuums durch die Unabhängigkeit der Nation wollen. Mögen diese Männer Franzosen, Russen, Türken oder Tartaren sein – von dem Augenblicke an, wo sie mit einer Fackel in der Hand und den Worten: »Fortschritt und Freiheit!« im Munde in meine Nacht treten, sind diese Männer meine Brüder. Die Ausländer und Fremdlinge sind für mich die Neapolitaner, meine Landsleute, welche, indem sie die Macht Ferdinands verlangen und unter Ruffo’s Fahne marschieren, uns den Despotismus eines geistig beschränkten Königs und einer ausschweifenden Königin von Neuem aufbürden wollen.«

»Sprich weiter, Salvato, sprich!« rief dieselbe Stimme, die vorhin gesprochen.

»Wohlan, ich sage Ihnen, Sie wissen wohl zu sterben, aber Sie wissen nicht zu siegen.«

Es machte sich eine Bewegung unter der Versammlung bemerkbar. Manthonnet drehte sich hastig nach Salvato herum.

»Sie wissen zu sterben,« wiederholte Salvato, »aber Sie wissen nicht zu siegen, und der Beweis davon ist, daß Bassetti geschlagen ist, daß Schipani geschlagen ist, daß selbst Sie, Manthonnet, geschlagen sind.«

Manthonnet senkte die Blicke zu Boden.

»Die Franzosen dagegen wissen zu sterben. In Cotrone waren sie zweiunddreißig; von diesen zweiunddreißig sind fünfzehn gefallen und elf sind verwundet worden. In Civita Casteltana waren sie ihrer neuntausend Mann. Sie hatten vierzigtausend Mann Feinde gegen sich, diese aber wurden besiegt. Ich sage daher nochmals: die Franzosen wissen nicht blos zu sterben, sondern auch zu siegen.«

Keine Stimme antwortete.

»Ohne die Franzosen,« fuhr Salvato fort, »werden wir sterben, wir werden glorreich und ruhmvoll sterben, wir werden sterben, wie Brutus und Cassius bei Philippi starben, aber wir werden auch in Verzweiflung sterben; wir werden an der Vorsehung zweifelnd sterben; wir werden sterben, indem wir sagen: »Tugend, Du bist nur ein Wort.« Und das Schrecklichste, was man denken kann, ist, daß die Republik mit uns zugleich sterben wird. Mit den Franzosen dagegen werden wir siegen und die Republik wird gerettet werden.«

»Dies heißt also,« rief Manthonnet, »daß die Franzosen tapferer seien als wir.«

»Nein, mein General, Niemand ist tapferer als Sie, Niemand ist tapferer als ich, Niemand ist tapferer als Cirillo, welcher mir zuhört, und mir schon zweimal seinen Beifall zu erkennen gegeben hat, und wenn die Stunde zum Sterben kommt, so werden wir hoffentlich den Beweis liefern, daß Niemand besser sterben kann als wir. Cosciuseo war auch tapfer als er aber fiel, sprach er jenes durch drei Theilungen gerechtfertigte Worte-: »Finis Poloniae!« Wir und Sie zu allererst werden, wie ich nicht zweifle, historische Worte sprechen, aber ich sage nochmals, wenn nicht für uns, doch wenigstens für unsere Kinder, welche unsere Arbeit noch einmal von vorn beginnen werden müssen. Es ist besser, nicht zu fallen.«

»Aber,« sagte Cirillo, »wo sind diese Franzosen?«

»Ich komme eben aus dem Castell San Elmo,« antwortete Salvato. »Ich habe mit dem Obersten Mejean gesprochen.«

»Kennen Sie diesen Mann?« fragte Monthonnet.

»Ja,er ist ein Elender,« antwortete Salvato mit seiner gewohnten Ruhe, »und eben deshalb kann man mit ihm unterhandeln. Er verkauft mir tausend Mann Franzosen.«

»Er hat ja aber deren selbst nicht mehr als fünfhundertundfünfzig Mann!« rief Manthonnet.

»Ich bitte Sie, mein lieber Manthonnet, lassen Sie mich ausreden. Die Zeit ist kostbar, und wenn ich Zeit kaufen könnte, so wie ich Menschen kaufen kann, so würde ich auch Zeit kaufen. Also Mejean verkauft mir tausend Mann Franzosen.«

»Wir können, trotzdem daß wir geschlagen sind, immer noch zehn- bis fünfzehntausend Mann zusammenbringen,« sagte Manthonnet. »Und Sie gedenken mit tausend Franzosen zu machen was Sie nicht mit fünfzehntausend Neapolitanern ausrichten können?«

»Ich gedenke nicht mit tausend Franzosen auszurichten, was ich nicht mit fünfzehntausend Neapolitanern ausrichten kann; wohl aber kann ich mit fünfzehntausend Neopolitanern und tausend Franzosen ausrichten, was ich nicht mit dreißigtausend Neapolitanern allein ausrichten könnte.«

»Sie verleumden uns, Salvato.«

»Davor bewahre mich Gott! Das Beispiel liegt aber vor. Glauben Sie, daß, wenn Mann tausend Mann alte Truppen, tausend Mann disciplinirte Soldaten, tausend Mann disciplinirte, an den Sieg gewöhnte Soldaten , tausend Mann von der Armee des Prinzen Eugen oder Suwarow’s gehabt hatte, unsere Niederlage so rasch erfolgt, unsere Flucht so schimpflich gewesen wäre? Denn ich war im Geiste, wenn auch nicht mit dem Herzen, bei den Neapolitanern, welche flohen und gegen welche ich gefochten. Tausend Mann Franzosen sind ein Bataillon ein Carré und ein Carré ist eine Festung, gegen welche weder Artillerie noch Cavallerie etwas auszurichten vermag; tausend Mann Franzosen sind eine Barriere, welche der Feind nicht überklettert, eine Mauer, hinter welcher der muthige, aber noch nicht an das Feuer gewöhnte, schlecht disciplinirte Soldat sich wieder sammelt und wieder formiert. Geben Sie mir das Commando über zwölftausend Neapolitaner und eintausend Mann Franzosen und ich bringe Ihnen, ehe acht Tage vergehen, den Cardinal Ruffo mit gebundenen Händen und Füßen.«

»Und müssen denn durchaus Sie es sein, der diese zwölftausend Mann Neapolitaner und diese tausend Mann Franzosen commandirt, Salvato?«

»Hüten Sie sich, Manthonnet, es war kein guter Gedanke! Es nagt etwas an Ihrem Herzen, was mit große Aehnlichkeit mit Neid zu haben scheint.«

Und Manthonnet verließ, von dem sanften Blick des jungen Mannes aufgefordert, seinen Platz und ging Salvato entgegen, indem er ihm die Hand reichte.

 

»Verzeihen Sie, mein lieber Salvato,« sagte er, »einem Manne, der von seiner letzten Niederlage noch ganz zerknirscht ist. Wenn diese neue Expedition Ihnen bewilligt wird, wollen Sie mich dann als Ihren Lieutenant mitnehmen?«

»Erzählen Sie doch weiter, Salvato,« sagte Crillo.

»Ja,« sagte Salvato, »das Commando muß durchaus ich führen und ich will Ihnen auch sagen warum. Die Französinnen, auf welche ich mich zu stützen gedenke, die tausend Mann Franzosen, welche meine eherne Säule sein sollen, diese tausend Franzosen sehen mich kämpfen, weil diese tausend Mann Franzosen wissen, daß ich nicht blos der Adjutant, sondern auch der Freund des Generals Championnet war. Wäre ich ehrgeizig gewesen, so wäre ich Macdonald nach Oberitalien, das heißt auf das Terrain der großen Schlachten, gefolgt, wo man in drei oder vier Jahren ein Desaix, ein Kleber, ein Bonaparte, ein Murat wird, und ich hätte nicht meinen Abschied verlangt, um eine Bande wilder Calabresen zu kommandieren und auf obscure Weise in irgend einem Scharmützel mit von einem Cardinal kommandierten Bauern zu sterben.«

»Und diese Franzosen»e fragte der Präsident, »zu welchem Preise verkauft sie Ihnen der Cammandant von San Elmo?«

»Um einen billigern, als sie werth sind; allerdings bezahle ich sie nicht an sie selbst, sondern an ihn, um fünfhunderttausend Franks.«

»Und diese fünfhunderttausend Franks, wo wollen Sie dieselben hernehmen?« fragte der Präsident.

»Warten Sie,« antwortete Salvato immer noch ruhig. »Nicht fünfhunderttausend Franks sind es, die ich brauche, sondern eine Million.«

»Um so mehr habe ich dann Grund zu fragen: Wo werden Sie eine Million hernehmen, während wir vielleicht kaum zehntausend Ducati in der Casse haben?«

»Geben Sie mir Vollmacht über das Leben und das Besitzthum von zehn reichen Bürgern, die ich Ihnen namentlich bezeichnen werde, und morgen soll die Million, von ihnen selbst gebracht, hier sein.«

»Bürger Salvato,« rief der Präsident, »Sie schlagen uns da etwas vor , worüber wir unseren Feinden, wenn diese es thun, Vorwürfe machen.«

»Salvato!« murmelte Cirillo.

»Warten Sie,« sagte der junge Mann, »ich habe verlangt, daß man mich ausreden lasse, und gleichwohl werde ich jeden Augenblick unterbrochen.«

»Das ist wahr, wir haben Unrecht,« sagte Cirillo sich verneigend. »Sprechen Sie weiter.«

»Ich besitze,« hob Salvato wieder an, »wir Allen bekannt ist, in der Provinz Molisa für zwei Millionen Güter , Häuser und Ländereien. Diese zwei Millionen schenke ich der Nation. Sobald Neapel gerettet, Ruffo in die Flucht geschlagen oder gefangengenommen ist, wird die Nation meine Ländereien verkaufen und die zehn Bürger wieder bezahlen, welche mir oder vielmehr ihr jeder hunderttausend Franks geliehen hat.«

Ein Murmeln der Bewunderung ließ sich unter den Direktoren hören.

Manthonnet fiel Salvato um den Hals.

»Ich verlangte unter Dir als Lieutenant zu dienen,« sagte er. »Willst Du mich als gemeinen Freiwilligen annehmen?«

»Aber,« fragte der Präsident, »während Du keine fünfzehntausend Mann Neapolitaner und deine tausend Mann Franzosen gegen Ruffo führst, wer wird dann mittlerweile die Sicherheit und Ruhe der Stadt überwachen?«

»Ah,« sagte Salvato-, »da haben Sie die einzige Klippe berührt. Hier gilt es allerdings ein Opfer zu bringen; hier gilt es einen furchtbaren Entschluß zu fassen. Die Patrioten werden sich in die Forts flüchten und diese bewachen, indem sie sich selbst bewachen.«

»Aber die Stadt, die Stadt,« wiederholten die Directoren gleichzeitig mit dem Präsidenten.

»Auf acht bis zehn Tage der Anarchie müßte man es vielleicht ankommen lassen.«

»Auf zehn Tage der Brandstiftung, der Plünderung, des Meuchelmordes!« rief der Präsident.

»Wir werden siegreich zurückkehren und dann die Rebellen züchtigen.«

»Wird diese Züchtigung auch die niedergebrannten Häuser wieder aufbauen? Wird sie den vernichteten Wohlstand wieder herstellen? Wird sie die Todten wieder zum Leben erwecken?«

»Wer wird in zwanzig Jahren noch bemerken, daß zwanzig Häuser verbrannt, daß zwanzig reiche Leute zu Grunde gerichtet worden, daß zwanzig Menschen ums Leben gekommen sind? Die Hauptsache ist, daß die Republik triumphiere, denn wenn sie unterliegt, so wird ihr Fall von tausend Ungerechtigkeitenn, tausendfachem Unglück und tausend Todesfällen begleitet sein.«

Die Direktoren sahen einander an.

»Geh in das Nebenzimmer,« sagte der Präsident zu Salvato, »wir wollen uns mit einander berathen.«

»Ich stimme für Dich, Salvato,« rief Cirillo dem jungen Manne zu.

»Ich bleibe, um wo möglich auf die Berathung einzuwirken,« sagte Manthonnet.

»Bürger Directoren,« sagte Salvato, indem er das Zimmer verließ, erinnern Sie sich jenes Ausspruches von Saint-Just: »Wenn es sich um eine Revolution handelt, so gräbt der, welcher nicht tief genug gräbt, sich sein eigenes Grab!«

Mit diesen Worten ging Salvato, um, wie ihm befohlen worden, im Nebenzimmer zu warten.

Nach Verlauf von zehn Minuten öffnete die Thür sich wieder-.

Manthonnet kam aus den jungen Mann zu, faßte ihn am Arme, zog ihn nach der Straße und sagte:

»Komm!«

»Wohin denn?« fragte Salvato.

»Wo man stirbt.«

Der Vorschlag des jungen Mannes war einmüthig mit Ausnahme einer einzigen Stimme , zurückgewiesen worden.

Diese einzige Stimme war die Cirillos.

Zwölftes Capitel.
Die neapolitanische Marseillaise

An demselben Tage war im San Carlotheater große Vorstellung .

Man gab die »Horatier und Curiatier« eines der hundert Meisterwerke Cimarosa’s.

Niemand, der dieses taghell erleuchtete Hans, diese eleganten, festlich geputzten Frauen, diese jungen Männer, welche vor dem Eintritt die Muskete niedergesetzt um sie beim Fortgehen wieder aufzunehmen, gesehen, würde geglaubt haben, daß Hannibal so dicht vor den Thoren Roms stünde.

Zwischen dem zweiten und dritten Art hob sich der Vorhang und die erste Actrice erschien, als Genius des Vaterlandes costümirt, mit einer schwarzen Fahne in der Hand, um die Nachrichten zu verkünden, welche wir bereits wissen und welche den Patrioten keine andere Wahl ließen, als durch eine letzte Anstrengung den Cardinal am Fuße von Neapel zu zermalmen oder in der Vertheidigung der Stadt zu fallen.

Diese Nachrichten hatten, so furchtbar sie auch waren, dennoch die Zuschauer, welche dieselben hörten, nicht entmuthigt. Jede davon war mit dem Ruf: »Es lebe die Freiheit!« »Nieder mit den Tyrannen!« aufgenommen worden.

Endlich als man die letzte, das heißt Manthonnet’s Niederlage und Rückkehr erfuhr, war es nicht mehr blos Patriotismus, sondern Wuth, was sich geltend machte, und man schrie von allen Seiten: »Die Hymne an die Freiheit! Die Hymne an die Freiheit!«

Die Künstlerin, welche so eben das verhängnißvolle Bulletin verlesen, verneigte sich und gab zu verstehen, daß sie bereit sei, die Nationalhymne zu declamiren als man plötzlich Eleonora Pimentel in einer Loge zwischen Monti, dem Dichter des Textes, und Cimarosa, dem Componisten der Musik, gewahrte.

Nun hallte ein einziger Schrei durch den Saal:

»Die Pimentel! die Pimentel!«

Der von dieser edlen Dame redigierte »Parthenopäische Moniteur« verlieh ihr eine unermeßliche Popularität.

Sie verneigte sich, aber dies war es nicht, was man wollte.

Man wollte, daß sie selbst die Hymne sänge.

Sie sträubte sich einen Augenblick, mußte aber der Einmüthigkeit der Demonstration nachgeben.

Sie verließ deshalb ihre Loge und erschien unter dem Jubelruf und Händeklatschen des ganzen Publikums aus der Bühne. Man bot ihr die schwarze Fahne.

Sie schüttelte den Kopf.

»Dies ist die Fahne des Todes.« sagte sie, und Gott sei Dank, so lange wir athmen, sind die Republik und die Freiheit noch nicht todt. Gebt mir die Fahne der Lebenden.«

Man brachte ihr die dreifarbige neapolitanische Fahne.

Mit leidenschaftlicher Geberde drückte sie dieselbe an ihr Herz.

»Sei unser Siegesbanner, Du Fahne der Freiheit,« sagte sie, »oder sei unser Aller Leichentuch!«

Dann folgte, auf einen Tumult, als ob das Gebäude zusammenbrechen müßte, plötzlich, nachdem der Orchesterdirigent mit seinem Stabe ein Zeichen gegeben, vollständiges Schweigen, es erklangen einige Accorde und mit ihrer vollen, sonoren Stimme, mit ihrer prachtvollen Altstimme begann, gleich der Muse des Vaterlandes, Eleonora Pimentel die erste Strophe, welche mit den Worten anfängt:

 
»Gestürzt ist der Tyrann! Erhebet
Euch, Völker, die er unterdrückt.
Er flieht vor eurem Zorn, er bebet —
Wie seid Ihr nun so hoch beglückt!« 2c. 2c.
 

Man muß das neapolitanische Volk kennen; man muß seine bis zum Wahnsinn steigenden Ausbrüche von Bewunderung und Begeisterung gesehen haben, welche, da Worte nicht mehr genügen, wüthende Gebärden und unarticulirte Laute zu Hilfe rufen, um sich einen Begriff von dem Zustande von Aufregung zu machen, in welchem das ganze Hans sich befand, als der letzte Vers der parthenopäischen Marseillaise auf den Lippen der Sängerin verhallt war und als der letzte Ton der Begleitung in dem Orchester verstummte.

Kränze und Bouquets fielen auf die Bühne wie ein Gewitterhagel.

Eleonora hob zwei Lorbeerkränze auf und setzte einen Monti, den andern Cimarosa auf die Stirn.

Dann fiel, ohne daß man sehen konnte, wer ihn geworfen, mitten unter diesem Blumenregen auch ein Palmenzweig herab.

Viertausend Hände applaudierten, zweitausend Stimmen riefen: »Für Eleonora die Palme! für Eleonora die Palme!«

»Des Märtyrers!« antwortete die Prophetin, indem sie den Palmenzweig aufhob und mit gefalteten Händen an die Brust drückte.

Nun trat ein förmlicher Zustand von Raserei ein. Man stürzte auf die Bühne, die Männer knieten vor Eleonora nieder, und da ihr Wagen vor dem Thore stand, so spannte man die Pferde aus und die Allverehrte ward von begeisterten Patrioten nach Hause gezogen und von dem ganzen Orchester begleitet, welches bis ein Uhr Morgens unter ihren Fenstern spielte.

Die ganze Nacht hallte der Gesang Montis durch die Straßen von Neapel.

Dieser Enthusiasmus aber, welcher, in das Theater San Carlo eingeschlossen, dieses beinahe in die Luft gesprengt hatte, kühlte sich am andern Tage, als er sich durch die Stadt weiter verbreitete, bedeutend ab.

Die Begeisterung des vorigen Abends hatte ihren Grund in Zuständen der Atmosphäre, der Wärme, des Lichtes, des Geräusches und magnetischer Ausströmungen, so daß er nothwendig erlöschen mußte, sobald die Zusammenwirkung dieser fieberhaften Zustände nicht mehr stattfand.

Als die Stadt ihre letzten Vertheidiger, verwundet, fliehend, mit Staub bedeckt, die einen durch das Thor von Capua, die anderen durch das Thor del Carmine in Unordnung zurückkehren sah, versank sie in eine Trauer, welche sehr bald in Angst und Bestürzung überging.

Gleichzeitig bildete sich eine Linie um Neapel herum, welche, sich immer enger schließend, den Zweck hatte, die Stadt zuletzt in einem eisernen Ringe, in einem Gürtel von Feuer zu ersticken.

In der That, wohin Neapel sich auch wenden mochte, so sahen die Republikaner nirgends etwas Anderes, als erbitterte Feinde und unversöhnliche Gegner.

Im Norden standen Fra Diavolo und Mammone.

Im Osten Pronio.

Im Süden Ruffo, Cesare und Scarpa.

Im Süden und Westen die Reste der britischen Flotte, welche man bald mächtiger als je wieder zum Vorschein kommen zu sehen erwartete, verstärkt um vier russische, um fünf portugiesische, um drei türkische Schiffe.

Es schienen mit einem Worte sämtliche Tyranneien Europas sich erhoben zu haben, und gegenseitig die Hand zu reichen, um den von der unglücklichen Stadt ausgestoßenen Ruf nach Freiheit, zu ersticken.

Wir beeilen uns jedoch zu sagen, daß die neapolitanischen Patrioten auf der Höhe der Situation standen.

Am 5. Juni entfaltete das Directorium mit allen in den Zeiten des Alterthums beobachteten Ceremonien die rothe Fahne und erklärte das Vaterland in Gefahr.

Es forderte alle Bürger auf, sich zur gemeinschaftlichen Vertheidigung zu bewaffnen und befahl , daß auf das Zeichen von drei in gleichen Zwischenräumen von den Castellen abgefeuerten Kanonenschüssen jeder Bürger, der nicht in den Listen der Nationalgarde oder in den Registern einer patriotischen Gesellschaft eingetragen stünde , sich nach Hause verfüge und Thüren und Fenster geschlossen hatte, bis ein anderweiter einzelner Kanonenschuß ihm Erlaubniß ertheile, wieder zu öffnen.

Alle, welche, nachdem jenes Signal von drei Kanonenschüssen gegeben worden, noch mit der Muskete in der Hand und ohne der Nationalgarde oder einer patriotischen Gesellschaft anzugehören, auf der Straße betroffen würde, sollten festgenommen und als Feinde des Vaterlandes erschossen werden.

 

Die vier Castelle von Neapel, das Castello del Carmine, das Castello Nuovo, das Castello del’ Uova und das Castell San Elmo wurden auf drei Monate verproviantiert.

Einer der Ersten, welche sich meldeten, um Waffen und Patronen zu empfangen und gegen den Feind zu marschieren, war ein Advocat von großem Rufe, schon alt und beinahe blind, welcher früher, in den neapolitanischen Antiquitäten sehr erfahren, dem Kaiser Joseph dem Zweiten auf seiner Reise in Italien als Cicerone gedient hatte. Er war begleitet von seinen beiden Neffen, jungen Leuten von neunzehn bis zwanzig Jahren.

Während man diesen Musketen und Patronen verabreichte, wollte man dieselben dem Greise aus dem Grunde verweigern, weil er beinahe blind sei.

»Ich werde dem Feinde so nahe rücken,« antwortete er, »daß ich sehr unglücklich sein müßte, wenn ich ihn nicht sähe.«

Da zu den politischen Uebelständen sich auch noch ein großer, socialer gesellte, nämlich der, daß es dem Volke an Brot fehlte, so ward von dem Directorium beschlossen, die Nothleidenden in ihren Wohnungen zu unterstützen, was übrigens nicht blos durch die Humanität, sondern auch durch die Politik geboten war.

Dominico Cirillo kam nun auf den Einfall, eine Hilfscasse zu gründen und war der Erste, der in dieselbe Alles, was er an baarem Gelde besaß, nämlich über zweitausend Ducati einzahlte.

Die edelsten Herzen von Neapel – Pagano, Conforti, Baffi und zwanzig andere – folgten Cirillo’s Beispiel.

Man wählte in jeder Straße den populärsten Bürger, die verehrteste Frau. Sie erhielten die Namen Armenväter und Armenmütter und wurden beauftragt, für ihre Pflegebefohlenen zu sammeln.

Sie besuchten die bescheidensten Wohnungen, stiegen in die elendesten Keller hinab, gingen bis in die höchsten Stockwerke hinauf und theilten darin das Brot und Almosen des Vaterlandes aus. Die Arbeiter, welche ein Handwerk verstanden, fanden Arbeit, die Kranken Hilfe und Pflege.

Die beiden Damen, welche sich diesem Barmherzigkeitswerke mit dem größten Eifer widmeten, waren die Herzoginnen von Pepoli und von Cassano.

Dominico Cirillo war auch zu Luisa gekommen und hatte sie ersucht, ebenfalls eine der Armenpflegerinnen zu werden.

Sie antwortete jedoch, ihre Stellung als Gattin des Bibliothekars des Prinzen Francesco verwehre ihr jede öffentliche Demonstration von der Art, wie man von ihr verlange.

Hatte sie nicht schon genug, hatte sie nicht schon zu viel gethan, indem sie, ohne es zu wissen, die Verhaftung der beiden Backer herbeigeführt?

Dennoch übergab sie in ihrem und in Salvato’s Namen der Herzogin Fusco, einer der Armenpflegerinnen, die Summe von dreitausend Ducati.

Der Nothstand war jedoch so groß, daß trotz der Freigebigkeit der Bürger die Unterstützungscasse sehr bald leer war.

Der gesetzgebende Körper beantragte nun, daß alle Angestellten der Republik, möchten sie sein, wer sie wollten, die Hälfte ihres Soldes den Nothleidenden überließen. Cirillo, der bereits Alles hergegeben, was er an baarem Gelde besaß, verzichtete auf die Hälfte seines Gehaltes als Mitglied des gesetzgebenden Körpers, und alle seine Collegen folgten seinem Beispiele.

Man gab jedem Stadttheile von Neapel bestimmte Aerzte und Wundärzte, welche Allen, die ihre Hilfe in Anspruch nehmen würden , dieselbe unentgeltlich gewähren sollten.

Die Nationalgarde war für die öffentliche Ruhe verantwortlich. Macdonald hatte vor seiner Abreise Waffen und Fahnen vertheilt. Zum Obergeneral hatte er denselben Bassetti, den wir verwundet und von Mammone und Diavolo geschlagen zurückkommen gesehen, zum Nächstcommandierenden Gennaro Ferra, den Bruder des Herzogs von Cassano, und zum Generaladjutanten Francesco Grimaldi ernannt.

Platzcommandant war der General Frederici; das Gouvernement des Castello Nuovo blieb dem Chevalièr Massa, das des Castello dell’ Uovo aber ward dem Oberst l’Aurora übertragen.

In jedem Stadttheil ward eine Hauptwache errichtet und von dreißig zu dreißig Schritten Schildwachen aufgestellt.

Am 7. Juni ließ der General Writz alle ehemaligen Offciere der königlichen Armee festnehmen, welche sich noch in Neapel befanden und sich geweigert hatten, in den Dienst der Republik zu treten.

Am 9. Juni acht Uhr Abends löste man die drei Alarmschüsse. Sofort begaben sich dem ertheilten Befehle gemäß Alle, die nicht in den Registern der Nationalgarde noch irgend einer patriotischen Gesellschaft standen, in ihre Häuser zurück und schlossen Thüren und Fenster.

Die Nationalgarde dagegen und die Freiwilligen eilten in die Toledostraße und auf die öffentlichen Plätze.

Manthonnet, der wieder Kriegsminister geworden, hielt Musterung über sie gemeinschaftlich mit Writz und Bassetti, welcher letztere von seiner übrigens nicht sehr gefährlichen Wunde wieder hergestellt war. Er belobte die Nationalgardisten und Freiwilligen wegen ihres Eifers und erklärte, daß auf dem Punkte, wo man jetzt stünde, keine andere Wahl übrig bliebe als Sieg oder Tod. Hierauf entließ er sie, indem er noch hinzufügte, daß die drei Lärmschüsse nur gelöst worden seien, um die Zahl der Mannschaften zu kennen, auf welche man in der Stunde der Gefahr rechnen könne.

Die Nacht war ruhig. Am nächstfolgenden Morgen mit Tagesanbruch löste man den Kanonenschuß, welcher verkündete, daß Jeder ungehindert sein Haus verlassen und seinen Geschäften nachgehen könne.

Am 31. erfuhr man, daß der Cardinal in Nola angekommen, das heißt, daß er nur noch sieben bis acht Meilen von Neapel entfernt sei.