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Gräfin und Bäuerin

Roman-Magazin
des
Auslands
Erster Band
1872
Nr. 8

Diese Erzählung ist eine der letzten, vielleicht die letzte Arbeit des bekannten Romanschriftstellers vor seinem Tode. Einzelne Abschweifungen und Episoden, die nicht zur Geschichte gehören, haben wir uns erlaubt, wegzulassen. (A. d. R.)

Erstes Capitel

Seltene und seltsame Gegenstände waren in waren in Abraham Parasols Curiositäten-Laden in einer gewissen alten Stadt in der Provence zu verkaufen. Alte Silbersachen aller Art, Stücke chinesischen Porzellans, geschnitzte Möbel aus der Zeit Ludwigs XIV., alte Kupferstiche und Gemälde, seltene Bücher und dgl. mehr.

»Ich finde seit meinem letzten Besuche nichts Neues hier, Madame Parasol, « sagte ein alter Herr, welcher den Inhalt ihrer Glaskästen und Tische besichtigte. »Nein, ich habe alle diese Dinge schon gesehen und werde diesmal nach Hause zurückkehren, ohne das Vergnügen zu haben, einen einzigen Sou bei Ihnen auszugeben.«

»Oh! bitte, sagen Sie das nicht, Monsieur, « sagte die junge Jüdin. »Ah, Sie haben diese Tassen von Sevres-Porzellan noch nicht gesehen; sie sind wirklich etwas Auserlesenes, « und die Besitzerin des Ladens deutete auf einen kleinen Tisch, der an der Seite des Eingangs stand.

Als der Curiositäten-Jäger der Richtung ihres Fingers folgte, fiel sein Blick plötzlich auf ein Bild in einem ovalen Rahmen. Es war ein Pastellgemälde, das die Zeit etwas gebleicht hatte. Es stellte ein Mädchen im vollen Glanze der ersten Jugend und von bezaubernder Schönheit dar. Ihr Anzug bestand aus einem langen mit blauen Bändern verzierten Spitzenkleid. Ihre Gestalt war rund und von tadellosem Bau, ihren Arm, der bis zum Ellbogen bloß war, umspannte statt des Bracelets ein Band von Sammet und ihr leicht gepudertes Haar fiel ohne weiteren Schmuck in Locken auf ihre Schultern nieder. Die großen Augen waren braun und ihr feuchter Glanz verlieh ihnen einen besonderen Reiz. Der Mund war voll und feingebildet und die reifen Lippen schienen zum Kuß einzuladen.

Einige Secunden stand Michael Laubarrie in der Anschauung versunken da. Er hatte kein Wort gesprochen, sondern nur seine Brille abgewischt und den Finger erhoben, um der Frau anzudeuten, daß sie schweigen solle. Diese verstand das stumme Zeichen ihres Kunden und beachtete es. Sie sah seine Augen glänzen und wußte, daß er das Bild kaufen werde und sie besann sich darauf, welchen Preis sie dafür verlangen werde.

»Als Kunstwerk hat es viele Fehler, « sagte endlich Monsieur Laubarrie, »aber trotz dieser Fehler bewundere ich es sehr und wünsche es zu besitzen. Nennen Sie ihren Preis.«

Madame Parasol zögerte.

»Es geht zusammen mit diesen hübschen Tassen von Sevres-Porzellan, « antwortete sie.

»Gut, Madame. Wie viel verlangen Sie für Beides zusammen?«

Die Jüdin nannte einen höchst übertriebenen Preis, welchen der alte Herr ohne Einwendung bezahlte.

»Ich bedaure, daß ich sonst nichts habe, was Ihnen gefällt, Monsieur, « bemerkte die Jüdin, indem sie die Gegenstände einpackte.

Michael Laubarrie lächelte vergnügt.

»O, ich bin sehr zufrieden mit meinem Tagwerk, « war seine Antwort. Und, mit altmodischer Höflichkeit sich verbeugend, nahm er sein Paket und verließ den laden.

Michael Laubarrie war ein ausgezeichneter Gelehrter. Er war für die Kirche bestimmt gewesen, aber die Revolution hatte ihn aus dem Kloster vertrieben, noch ehe er sein Noviziat vollendet. Von seinem Gelübde entbunden, zog er sich auf ein kleines väterliches Gut zurück, entschlossen, den Rest seines Lebens dem Studium und der Einsamkeit zu widmen.

Seine Wohnung lag am Fuße der Alpen, auf der sonnigen Seite dieser Gebirgskette. Es war ein wilder, aber lieblicher Platz. Mann erreichte das Haus auf einem ansteigenden, vielfach gekrümmten Weg, der auf beiden Seiten mit Gebüsch und schlanken Bäumen eingefaßt war. Wenn man sich dem Gebäude näherte, so fiel einem die weiße Front und das rothe Ziegeldach und der Garten mit seinen bunten duftenden Blumenflor und die Obstbäume, welche ihre Äste unter der Last ihrer saftigen Früchte zur Erde neigten, in die Augen, während sich im Hintergrunde das stolze Gebirge erhob, dessen grüne Abhänge von Heerden blökender Schafe belebt waren.

Michael Laubarrie war kaum nach Hause zurückgekehrt, als er seiner Haushälterin gebot, ihm einen Hammer und einige Nägel zu bringen.

Der alte Mann stieg dann auf einen Orgelstuhl und nachdem er einen Nagel über dem Kamin in die wand geschlagen hatte, ließ er sich durch Madelon das Packet reichen, das den Einkauf enthielt, den er in der benachbarten Stadt gemacht hatte.

»Nun Madelon, « sagte er, als er das eingehüllte Portrait aus ihrer Hand nahm, »bereite Dich auf eine wirkliche Überraschung vor.«

Mit diesen Worten enthüllte M. Laubarrie das Gesicht eines kostbaren Bildes.

Kein Wort der Bewunderung, keine Bemerkung fiel von den Lippen des Weibes.

Mit sichtbarer Enttäuschung blickte der Gelehrte von seinem neuen Kauf auf seine Haushälterin. Madelon stand unbeweglich da, ihr runzeliges Gesicht zeigte nicht die geringste Erregung. Ihre dünnen Lippen waren fest geschlossen, als ob sie irgend einen Ausdruck von Schmerz zurückzuhalten suchte.

»Was, nicht ein Wort, Madelon?« rief ihr Herr. »Ich habe gedacht, Du würdest beim Anblick von so viel Schönheit und Anmuth in Entzücken gerathen. Ist denn nichts im Stande, Dich Deiner Teilnahmslosigkeit zu entreißen? Willst Du immer so leben, für nichts Interesse hegend, als für die bloßen Interessen Deines Dienstes?«

Die Frau runzelte die gefurchte Stirne und ein tiefer Seufzer entwand sich ihrer Brust, aber sie sagte nichts.

Madelon, die seit zehn Jahren sich in M. Laubarries Dienst befand, war eine der häßlichsten Frauen in der Umgegend; aber sie war dabei eine höchst werthvolle Dienerin: thätig, reinlich, gehorsam und geräuschlos. Ihr Gebieter schätzte und achtete sie deshalb, wie sie es verdiente.

Da er fand, daß sie ihm nicht antwortete, so sagte m: Laubarrie nichts mehr, sondern hing stillschweigend sein Bild auf. Er war an Madelons düsteres Wesen gewöhnt und achtete selten darauf.

Wenige Minuten danach verließ sie das Zimmer, kehrte aber nach einer kleinen Weile mit einem Brief in der Hand wieder zurück.

»Für Monsieur, « sagte sie, ihn auf den Tisch legend.

Briefe waren seltene Gegenstände bei den alten Gelehrten.

Man kann sich deshalb denken, mit welcher Begierde er das Siegel erbrach und das Blatt entfaltete.

Als er den Inhalt desselben vollständig gelesen hatte, rief er, lebhaft erregt, seine Haushälterin.

Madelon erschien sogleich.

Ihr Gebieter stand in der Mitte des Zimmers und sah aus, als ob er vor Freude tanzen wollt.

»Meine gute Madelon, « begann er mit einer Stimme, die vor Aufregung zitterte, »meine gute alte Seele, unserm stillen Hause wird eine große unverhoffte Freude widerfahren. Ein alter Freund, den ich eine ganze Ewigkeit nicht gesehen, ist im Begriff, mir hier in meiner Einsamkeit einen Besuch abzustatten. Er ist eine große Person, ein Gesandter an einem auswärtigen Hof, und wir müssen unser Bestes thun, um ihn gehörig zu bewirthen. Er befindet sich auf dem Wege nach Toulon, will aber einen Abstecher hierher machen, um mich vor seiner Einschiffung zu sehen. Nun laß uns Alle ans Werk gehen.« fuhr er fort; »Nanette soll das Gastzimmer herrichten und Du, Madelon geh in die Küche und besorge für unser Dinner das Beste, was Du aufbringen kannst. Der Marquis de Bruyere wird vor Sonnenuntergang hier sein.«

Madelon antwortete, daß sie alles thun wolle, was in ihrer Macht stehe und, ohne auf fernere Befehle zu warten, verließ sie eilends das Zimmer und ging in die Küche.

M. Laubarrie und sein Freund hatten einander seit dem Jahre 1787 nicht mehr gesehen. Beim Beginn der Revolution war der Marquis ausgewandert und kehrte erst nach der Restauration der Bourbons wieder zurück, von denen er mit Ehren und Reichthum überhäuft wurde.

Obschon die Ankunft des Marquis nicht vor Sonnenuntergang erwartet wurde, so konnte sich M. Laubarrie doch nicht enthalten, beständig vor die Thüre zu treten, um sich nach dem wagen des reisenden umzusehen.

Endlich zeigte sich Nanette, die kleine Dienerin, die er auf Spähe ausgesandt hatte, in athemlosem Zustand an der Gartenthür, ihrem Gebieter durch Zeichen zu verstehen gebend, daß der erwartete Gast in Sicht sei.

Darauf stürzte dieser mit freudestrahlendem Gesicht und in der höchsten Aufregung hinaus.

»Wo ist er? Wo ist mein theurer alter Freund?« rief er, fast außer sich vor Vergnügen.

»Dort ist der Herr, Monsieur, « antwortete das Mädchen, hinunter auf den Weg deutend.

»Aber sein Wagen? Ich sehe ihn nicht. Es wird ihm doch kein Unglück zugestoßen sein!«

Das Mädchen, das scharfe Augen hatte, bemerkte, daß der Reiter, der auf einem Esel herankam, der vornehme Herr sein müsse.

»Beim Himmel, er ist wirklich auf dem Rücken eines Esels!« rief M. Laubarrie, seine beiden Hände voll Verwunderung emporhebend, daß er einen Gesandten ohne Begleitung und in diesem Aufzug erblickte. Hinter dem Esel marschierte ein Landmannn her, der die Reisetasche des Reiters trug und mit einem tüchtigen Prügel das träge Thier antrieb.

M. Laubarrie eilte seinem Freunde entgegen, der, als dieser sichtbar wurde, sofort abstieg. Der Gelehrte vergoß Thränen der Freude, als er den Marquis ans Herz drückte.

»Ah, dies ist ein glücklicher Tag für mich! Ich hätte niemals gedacht, daß ich den theuersten Freund meiner Jugend noch einmal umarmen würde, wie ich Sie jetzt umarme Marquis!«

»Marquis!« rief der neue Ankömmling, indem er seien Arm in den von Michael Laubarrie schlang. »nein, Du mußt mich Gilbert nennen, wie Du es sonst gethan hast. Aber jetzt laß mich Dich einmal recht ansehen, Michael. Sehr wenig verändert! Ich hätte Dich sogleich erkannt.«

 

»Und Du, Gilbert, hast Dich wirklich sehr wenig verändert.«

Der Marquis seufzte und fuhr mit der Hand durch sein graues Haar.

»Du mußt einig Schwierigkeiten gehabt haben, diesen Platz aufzufinden, « bemerkte M. Laubarrie.

»Schwierigkeiten! nicht die geringste, « antwortete der Marquis. »Ich habe bloß meinen Wagen auf der Hauptstraße verlassen und dem nächsten Bauern, den ich traf, ersucht, mich zu Dir zu führen und hier bin ich.«

»Aber wer zeigte Dir den Weg so weit, als Du in Deinem Wagen kamst?«

»ich bedurfte keinen Wegweiser. ich kenne diesen Theil des Landes sehr gut. Ich bin vor langer Zeit hier gewesen.«

»Nachdem wir uns getrennt hatten?«

»Zwei Jahre danach.«

»Wie seltsam!«

Die beiden Freunde schritten nun Arm in Arm nach dem Hause.

»Madelon!« rief Michael Laubarie, als er seinen Gast in das Zimmer führt, das er seine Bibliothek nannte.

»Nun gieb mir etwas zu trinken, « sagte der Marquis, »der Staub Eurer Straßen hat mich fast erstickt.«

in diesem Augenblick trat Nanette mit einem Präsentierteller herein, auf dem sich Wein, Zucker, Biscuits und ein kleines Körbchen mit flaumigen Pfirsichen von einer eigenthümlich gelblichen Farbe befanden.

»Ah, köstlich!« rief der Marquis, als Nanette ihren Teller auf den Tisch setzte. »Irgend Jemand hat es verraten, wie sehr ich diese Pfirsiche dieser Gegend liebe.«

Bald darauf rief Nanette ihren Gebieter mit einem langen Gesicht aus dem Zimmer.

»Was sollen wir anfangen, Monsieur?« rief sie in der größten Aufregung.

»Was gibt es?« fragte der Gebieter.

»Madelon ist plötzlich krank geworden und sie hat sich zu Bett gelegt.«

»O Himmel! Es ist doch hoffentlich nichts Ernstes?«

»Nein, Monsieur, es ist nur ein Anfall von Madelons schlimmen Kopfweh. Zum Glück ist das Essen fertig.«

»Getraust Du Dir, das Dinner ohne ihre Hilfe zu servieren?«

Nanette antwortete, sie wolle ihr Bestes thun. Und damit kehrte ihr Gebieter zu seinem Gast zurück.

Das kleine Speisezimmer war mit sechs Wachskerzen glänzend beleuchtet, als die Freunde es betraten. Der Marquis ging voraus; aber kaum hatte er ein halbes Dutzend Schritte gemacht, als er plötzlich stehen blieb, seine Augen auf das Portrait gerichtet, von dem wir gesprochen haben.

»Gütiger Himmel, Michael!« reif er darauf, »wo hast Du dieses Bild her?«

»Ich habe es diesen Morgen in der benachbarten Stadt F. in einem Curiositäten-Laden gekauft.«

»Mit diesen zwei Sevres-Tassen?«

»Ja.«

Der Marquis schwieg, denn in diesem Augenblicke trat Nanette mit der Suppe herein.

»Mein lieber Gilbert, « sagte M. Laubarrie, »es thut mir leid, Dir sagen u müssen, daß meine alte Haushälterin plötzlich krank geworden ist. Ich bitte Dich deshalb, Nachsicht zu haben, wenn etwas am Essen fehlen sollte.«

»ich bitte Dich, sprich kein Wort mehr über die Sache, « antwortete der Marquis in der liebenswürdigsten Weise, indem er an dem Tische Platz nahm.

Während des Desserts sah Michael Laubarrie seinen Gast beständig nach dem Portrait blicken und mehr als einmal hörte er ihn seufzen.

»Es ist auffallend, Gilbert, daß Du nie ans Heirathen gedacht hast, « bemerkte gelegentlich der Wirth.

»O, ich habe daran gedacht, mein Freund, « antwortete der Marquis, »das Original von diesem Bilde – auf das Portrait deutend – sollte meine Braut werden.«

Michael Laubarrie blickte seinen Freund erstaunt an.

»Was, « rief er »ist es möglich, daß das Original dieses Bildes Deine Verlobte war?«

»Ja, sie war meine erste und einzige Liebe. es ist eine traurige Geschichte.«

»Willst Du sie mir nicht erzählen, Gilbert?«

Ein schwaches Lächeln überflog die Züge des Marquis.

»Ja, « sagte er, »ich kann jetzt ohne viel Schmerz zu empfinden, von ihr sprechen. Ich will Dir deshalb meine sonderbare Geschichte erzählen.«

Und sein Glas leerend, leiste sich der Sprecher dem geheimnißvollen Portrait, das mit einer bezaubernden Grazie auf ihn herabzulächeln schien, gegenüber, während der Andere in seinem gewohnten Lehnstuhl Platz nahm.

Mehrere Minuten lang blieb der Marquis stumm und regungslos. Seine Gedanken waren mit der Vergangenheit beschäftigt und viele schmerzhafte Erinnerungen erwachten in seiner Brust. Endlich begann er:

»Das schöne Geschöpf, das für dieses Pastellportrait saß, war Isabella de Vere, die einzige Tochter des Grafen de Vere. Erinnerst Du Dich noch eines Briefes von mir, in welchem ich Dir anzeigte, daß ich im Begriff stehe, einen Besuch im südlichen Frankreich abzustatten?«

»Ja, es war der letzte Brief, den ich von Dir erhielt; es war kurz vor der Revolution. Wenn ich nicht irre, so war es im August des Jahres 1789.«

»Dein Gedächtniß trügt Dich nicht, mein Freund. Ah, ich war damals ein junger Bursche voll Hoffnungen und mit einem Herzen, ganz zur Liebe geschaffen. Zwischen meinem Vater und den Eltern von Isabelle de Vere bestand ein Übereinkommen. daß wir Beide ein Paar werden sollten. Ich hatte die junge Dame noch nicht gesehen; aber ich erfuhr von meinem Vater, daß sie zwanzig Jahre alt und eine der schönsten Frauen in Frankreich sei. Mein Vater, dem diese Heirath sehr am Herzen lag, setzte mir die Vortheile derselben auseinander. Die de Veres, sagte er, seien ungeheuer reich und gehörten einer der ältesten Familien in der Provences an. Der Graf de Vere sei noch Einer von der alten Schule, zwar sehr unwissend und einfach, aber voll Ehre und adeliger Gesinnung.

Ich übergehe die Einzelheiten meiner langen Reise von Paris hierher. Es war Sonnenuntergang, als ich des Schlosses de Vere ansichtig wurde. Ich und mein Diener hatten die ganze Reise zu Pferd gemacht und wir waren beide müde und erschöpft, als wir in den geräumigen Schlosshof einritten.

Keine Seele war zu sehen. Ich blickte zu den Fenstern des Schlosses empor und aus ihrem Aussehen hätte ich den Platz für unbewohnt gehalten. Meine Aufnahme gefiel mir nicht; aber ich nahm mir vor, mir von meinen Gedanken nichts merken zu lassen. Als ich abgestiegen war, stieß ich eine unverschlossene Thür auf, die ich vor mir sah, und eine Treppe erblickend, ging ich ohne Umstände hinauf. Es dauerte nicht lange, so befand ich mich in einem Salon, der aufs Reichste mit antiken Möbeln ausgestattet war. Dieses Gemach wies sich als ein Vorzimmer zu einem andern gegenwärtig bewohnten Salon aus. Ich hustete, um mich bemercklich zu machen und gleich darauf erschien ein kleiner Hund mit schrillem Bellen und hinter ihm eine Dienerin, der ich mich zu erkennen gab.

Einen Augenblick darauf befand ich mich in Gegenwart der Gräfin, die mir die beiden Hände schüttelte, indem sie sagte:

»Mein lieber Marquis, es thut mir so leid, daß Sie niemand unten fanden, der Sie empfing und willkommen hieß; aber wir hatten Sie erst für morgen erwartet.«

Ich sah mich mit stummen Erstaunen um, denn das Gemach war so prachtvoll ausgestattet, daß ich mir einbilden konnte, in einem Salon des Schlosses von Versailles zu sein.

Der Anzug der Gräfin befand sich mit ihrer Umgebung vollkommen im Einklang. Er bestand aus den reichsten Brokatstoffen und Schmuckgegenständen. Sie trug einen ungeheuren Reifrock und hatte Puder und Schminke aufgelegt. Sie war eine große schlanke, zart gebaute Frau von mittleren Jahren und noch immer sehr hübsch.

Als sie geklingelt und Kaffee bestellt hatte, beeilte sie sich, mich zu benachrichtigen, daß der Graf auf der Jagd sei, aber bald zurückkehren werde, und als darauf die Dienerin den Kaffee brachte, hörte ich sie sagen:

»Meldet Mademoiselle, daß ich sie zu sprechen wünsche; aber kein Wort weiter. Hört Ihr?«

Ich kann Dir nicht beschreiben, mein theurer alter Freund, wie mein junges und unerfahrenes Herz in diesem Augenblicke schlug.

»Isabelle erwartet nicht, Sie hier zu finden, und ich kann deshalb nicht sagen, wie sie sich gegen Sie benehmen wird.«

Kaum hatte die Dante dies gesprochen, als sich die Thür öffnete und eine leichte Gestalt, glänzend wie ein Frühlings-Sonnenstrahl, hereintrat. Es war Isabelle de Vere, die, als sie mich sah, im Begriff war, sich wieder zu entfernen; aber die Stimme ihrer Mutter hielt sie zurück.

»Komm hierher, Isabelle, « sagte die Gräfin ihrer Tochter winkend, welche, wie ich wahrnahm, nur mit Widerwillen gehorchte. Und dann stellte uns die Matrone einander vor. Ich murmelte etwas, was als Compliment für Isabelles Ohr gelten sollte, worauf sie mir eine steife Verbeugung machte und sieh dann neben ihrer Mutter niedersetzte. Ihr Blick war voll Zurückhaltung und, wie es mir schien, auch voll Stolz.

Aber trotz ihres eisigen Benehmens war die Macht ihrer Schönheit so groß, daß ich mich unwiderstehlich zu ihr hingezogen fühlte, und ich hätte zu ihren Füßen fallen und sie anbeten mögen. Von meiner Seite war es in der That eine Liebe auf den ersten Blick.

Dieses Portrait, das wir dort vor uns haben, gibt nur einen sehr schwachen Begriff von den Reizen Isabelles de Vere. Welcher Pinsel konnte die Frische und den Glanz ihres Teints wiedergeben? den süßen Zauber ihrer glänzenden, braunen Augen? den unvergleichlichen Reiz ihres verführerischen Lächelns? ich war so hingerissen von ihrer Erscheinung, daß ich meine Geistesgegenwart verlor. ich saß da wie ein Dummkopf und ließ die Gräfin ganz allein die Kosten der Unterhaltung trugen. Sie sprang von einem Gegenstand auf den andern über. Sie teilte mir mit, daß sie selbst Isabelle erzogen habe; daß sie aber jetzt, wo diese Aufgabe beendet sei, das Landleben zu langweilig finde.

Darauf bemerkte ich, daß sie vielleicht ein Interesse an ihren Unterthanen nehmen und sie zuweilen in ihren Wohnungen besuchen könnte.

»Bah, »« sagte sie, »solche Leute sehe ich am liebsten aus der Ferne.«

Bei diesen Werten ihrer Mutter bemerkte ich, daß Isabelle entrüstet ihre Lippen emporzog.

»Ist es wahr, « fragte sie mich darauf, »daß drüben im Gebirge sehr schöne Blumen wachsen?«

Ich antwortete ihr bejahend und drückte zugleich mein Erstaunen aus, daß sie dieselben noch nicht gesehen habe.

Darauf antwortete sie kalt:

»Meine Mutter geht nur aus, wenn sie die Kirche besucht, und mir ist es gestattet, ohne sie auszugehen.«

In diesem Augenblicke wurden schwere Tritte im anstoßenden Zimmer vernommen und gleich darauf trat der Graf mit Gewehr und Jagdtasche herein.

Ich muß offen gestehen, daß ich den Schlossherrn, wenn ich ihn anderwärts in diesem Aufzug getroffen hätte, entweder für einen Wildhüter oder für einen Wilderer gehalten hätte.

Er warf seinen alten Jagdhut nachlässig auf eines der seidenen Sophas und wandte sich dann mit herzlichen Willkommen zu mir, indem er sein Vergnügen ausdrückte, mich in de Vere zu sehen.

Darauf sagte er zu seiner Frau und zu seiner Tochter, sie sollten rathen, was er ihnen für Wildpret mitgebracht habe.

»Vielleicht Hasen oder Rebhühner, « antwortete die Gräfin.

»Beides, antwortete der Graf mit triumphierender Miene. »ich habe einen jungen Hasen, der mich einen tüchtigen Lauf gekostet hat, das kann ich Euch sagen, und ich hätte ihn desohngeachtet doch nicht bekommen, wenn der Bursche nicht gewesen wäre, der im vorigen Jahre beim Preisringen die zinnerne Schüssel gewonnen hat —«

»Croix?« fragte seine Frau.

»Derselbe – Paul Croix, « erwiederte der Graf, seine Jagdbeute vorzeigend. »Er war zufällig mit seinem Hunde – einem Thiere, für das ich gerne ein Dutzend Kronen geben würde, in der Nähe. Ich hatte den Hasen in den Rücken geschossen, und er war über einen Abgrund gesprungen, wohin ihn mein Hund zu folgen sich weigerte. In diesem Augenblicke kam der Bursche Croix daher, und als er erfuhr, was geschehen war, verschwand er wie der Blitz und kam einige Minuten darauf mit einem Hasen zurück. Himmel! was ist das?« setzte der Jäger hinzu, als er beim Leeren seiner Jagdtasche eine kleine, roh aus Holz geschnitzte Figur hervorzog.

»Was in aller Welt soll das Ding vorstellen?« rief die Gräfin, sich wohl hütend, es zu berühren.

Ihr Gatte kratzte sich nachdenklich hinter den Ohren und erwiederte, er glaube, es solle einen Jäger mit einer Flinte bedeuten.

»Nein, Vater, das ist es nicht, « sagte sie Isabelle, die Figur begierig in die Hand nehmend. »Es ist ein Schäfer der seine Heerde weidet. Sehen Sie nicht, daß er sich auf seinen Stab lehnt?«

»Die Heiligen mögen uns beschützen, Isabelle!« rief ihre Mutter. »Ziehe Handschuhe an, Kind, ehe Du die Figur weiter angreifst. Kannst Du wissen, in welchen gemeinen Händen sie gewesen ist?«

Ein eigenthümliches Lächeln umspielte Isabelles Gesicht, und sie streckte die Finger ruhig in die Tasche.

 

Ich bemerkte dies und wunderte mich darüber.

»Es ist das Bild irgend eines Heiligen, das mein Jagdaufseher mir heimlich in die Tasche gesteckt hat, um mir Glück zu bringen, « bemerkte der Graf mit einem Lächeln.

»Sehr wahrscheinlich, « sagte Isabelle mit auffallend gedankenvoller Miene.

Der Graf streckte sich darauf der vollen Länge nach auf ein Sopha aus, während seine Frau aus einer mit Diamanten reich besetzten Dose eine Prise nahm und sich dann majestätisch fächelte. Gatte und Frau zeigten einander gegenüber einen auffallenden Contrast. Er mit seinem groben Jagdrock, mit seinen ledernen Gamaschen, die bis über die Kniee reichten, mit seinem sonnenverbrannten Gesicht, seinen großen, haarigen Händen und seiner kolossalen Gestalt; sie mit ihrem Reifrock, ihren Spitzen und Juwelen, ihrem gezierten Benehmen und ihrer unbegrenzten Verachtung aller Derjenigen, die das Glück in der sozialen Stufenleiter unter sie gestellt hatte. Ich konnte nicht umhin, von dem Einen zum Andern zu blicken, mich darüber verwundernd, wie zwei Personen, die in jeder Beziehung so weit von einander verschieden waren, es einrichteten, um glücklich mit einander zu leben.

Nach einigen Minuten der Unterhaltung wurde mir mein Zimmer angewiesen, wo ich meinen Reiseanzug mit passenderen Kleidern vertauschte. Dann kehrte ich in den Salon zurück, und auf ein Zeichen von der Gräfin, bot ich Isabelle meinen Arm und führte sie zur Soupertafel, die in einem anstoßenden Zimmer gedeckt war. Natürlich saß Isabelle an meiner Seite; aber wenn ich sie anredete, antwortete sie mir kurz und mit eisiger Kälte. Sie schien indes nicht im geringsten übler Laune zu sein; im Gegentheil, ihr Gesicht trug den reizendsten und bezauberndsten Ausdruck, mein Herz gerieth immer mehr in Fesseln.

Nach dem Souper kehrten wir in den Salon zurück, und Isabelle trat ans Fenster und blickte, ihre Wange auf die Hand gelehnt, hinaus. Sie war bald durch die schweren, samtenen Vorhänge verhüllt; aber ich konnte ihre Züge deutlich wahrnehmen. Ihre Haltung verrieth ein tiefes Nachdenken und ihre Blicke waren nach dem Dorfe gerichtet, wo die erleuchteten Fenster wie ebenso viele entfernte Glühwürmchen glänzten.

Dann hörte ich sie einen tiefen Seufzer ausstoßen, und kurze Zeit darauf stahl sie sich aus dem Zimmer.

Trotz meiner großen Ermüdung konnte ich in dieser Nacht nur sein wenig schlafen. Stunden lang verfolgte mich das reizende Gesicht von Isabelle de Vere, und als es mir endlich gelang, einzuschlafen, sah ich es in meinen Träumen.

Die Schlossuhr hatte noch nicht Sieben geschlagen, als Jemand an meiner Zimmerthüre klopfte, und als ich »herein« rief, zeigte mein Wirth sein joviales Gesicht.

»Ich war gerade im Begriff meine Toilette zu beendigen.

»Ich störe Sie doch nicht?« fragte er, einen Stuhl nehmend.

Ich verneinte es.

»Ich bin gekommen, mein lieber, junger Freund, « begann er ohne Einleitung in seiner einfachen Weise – »ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, daß meine Frau ganz entzückt von Ihnen ist. Was mich anbelangt, so gefielen Sie mir auf den ersten Blick, denn Sie gleichen Ihrem Vater, welcher der würdigste und beste Mann war, den ich gekannt habe. Und nun, da Sie unsere Gefühle gegen Sie kennen, müssen Sie aufrichtig sagen, was Sie von unserer Tochter denken – ob sie ihren Beifall hat – ob —«

»Ah, Graf, « rief ich mit Enthusiasmus, »Mademoiselle de Vere ist die Vollkommenheit selbst, und ich werde mich für den glücklichsten Sterblichen halten, wenn ich vor ihren Augen Gnade finden kann.«

»Wenn dies der Fall ist, so wollen wir keine Zeit verlieren, die Anstalten für die Hochzeit zu treffen, « war die fröhliche Antwort des Wirths.

»Aber es könnte vielleicht ein Hindernis obwalten, « bemerkte ich zögernd.

»Hinderniß!« wiederholte der Graf mit Verwunderung. »Welches Hinderniß kann da vorhanden sein? Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß Sie unsern Beifall haben?«

Und er ergriff meine Hand und drückte sie mit Wärme, zum Beweis, daß er mich als Schwiegersohn angenommen habe.

»Lieber Graf, « sagte ich, »wenn Sie mir eine Gunst gewähren wollen, so lassen Sie Mademoiselle de Vere nicht wissen, daß Sie mich angenommen haben. Gewähren Sie mir einige Tage, um ihre Einwilligung zu gewinnen.«

»Gut, Gilbert, es sei, wie Sie wünschen, « entgegnete er lachend. »Das Herz meiner Tochter müßte von Stein sein, wenn sie es über sich gewinnen könnte, Sie lange in Ungewißheit zu lassen.«

ich sah weder Isabelle noch ihre Mutter beim Frühstück, aber um zwölf Uhr ließ mich die letztere rufen. Zu meinem großen Verdruß traf ich die Dame allein.

Sie empfing mich sehr gnädig, billigte meinen Wunsch, das Herz ihrer Tochter zu gewinnen, und versicherte mir, daß ich jede Gelegenheit dazu erhalten solle.

»Um damit zu beginnen, « sagte sie, »theile ich Ihnen mit, daß sich Isabelle im Garten befindet. Gehen Sie zu ihr und beginnen Sie Ihre Bewerbung.«

Ich küsste die Hand der Dame und eitle sogleich fort, um den Gegenstand meiner Liede aufzusuchen.

Sie, die Schönste der Frauen, die jemals mein Auge erblickt, die Angebetete meiner Seele, schritt langsam dahin, offenbar in tiefe Gedanken versunken. Sie nahm mich nicht wahr, als ich auf sie zuging. »War es möglich, daß ich in ihren gegenwärtigen Gedanken einen Platz einnahm?« fragte ich mich.

O, wie meine Pulse schlugen!

Sie trat jetzt in eine Laube und setzte sich auf eine Bank, wo sie ihr Arbeitskörbchen gelassen hatte. Einige Augenblicke saß sie mit gebeugtem Haupt, das Kinn mit der Hand gestützt, und mit niedergeschlagenen Augen da. Als sie aber meinen nahenden Schritt hörte, raffte sie ihre Arbeit auf und begann eifrig zu nähen.

Als sie mich sah, erhob sie sich plötzlich, um sich zu entfernen, aber meine Stimme hielt sie auf.

»Ihre Mutter hat mich hierher gesandt, Mademoiselle, « sagte ich ungeschickter Weise.

Sie neigte kalt das Haupt, ohne die Augen zu mir zu erheben, und fuhr in ihrer Arbeit fort.

Ich war verwirrt, ich wünschte zu sprechen, aber ich konnte keine Worte finden.

Ich setzte mich zu ihr auf die Bank und, kaum wissend, was ich that, hob ich das Ende eines blauen Bandes, das sie mit Silberfaden stickte in die Höhe. Die Arbeit war gewöhnlich genug, aber in meinen Augen erschien sie als ein Meisterstück, der größten Aufmerksamkeit würdig. Nachdem ich sie eine Zeit lang betrachtet, hatte, brachte ich das Ende des Bandes mit der größten Ehrfurcht wieder an seinen früheren Platz zurück.

»Für welchen Zweck ist dieses Muster geschickter Nadelarbeit bestimmt?« fand ich endlich den Muth zu fragen.

»Es ist für denjenigen bestimmt, der es verdienen wird, « antwortete sie mit leiser, zitternder Stimme und mit gerötheten Wangen.

»So werden wir also ein Turnier haben, Mademoiselle? Wenn dies der Fall ist, so werde ich mich in die Liste eintragen und den Preis zu erringen suchen, den Sie für den Sieger bestimmen.«

Isabelle schüttelte den Kopf.

»Ich glaube nicht, daß sie das thun werden, « sagte sie kurz.

»Und warum nicht, Mademoiselle?« erwiederte ich in ernstem Tone. »ich würde für eine Blume oder ein Band von Ihnen mit Freuden mein Leben wagen.«

Bei diesen Worten runzelte Isabelle die Stirne und wandte mit betrübter Miene den Kopf ab.

»Ich bitte Sie, Mademoiselle, mir zu sagen, was ich thun kann, um ein Ding, das in meinen Augen so kostbar ist, zu gewinnen?«

Ein leichtes spöttisches Lächeln umspielte Isabellens Mund ehe sie antwortete.

»Sie werden mit einem ganzen Haufen Bewerber in die Schranken treten müssen, « bemerkte sie.

»Das will ich gern thun, Mademoiselle.«

»Seien Sie dessen nicht so gewiß, « antwortete sie mit einem neuen spöttischen Lächeln. »Am nächsten Sonntag, « fuhr sie fort, »wird unser ländliches Fest stattfinden, bei welcher Gelegenheit alle jungen Männer der Umgegend sich versammeln werden, um an den Spielen Theil zu nehmen. Unter andern werden sie euch Ringspiele aufführen, und für den Gewandtesten und Stärksten unter ihnen ist dieses Band bestimmt. Sie werden nun wohl einsehen, daß Sie nicht mit denjenigen in Bewerbung treten können, die für diesen Preis kämpfen werden.«

Ich gestehe, daß ich schwach genug war, mich durch ihre Worte etwas gereizt zu fühlen.