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Der Minister gab ihnen einen Wisch Papier, nur zwei Finger groß, klingelte einem Aufwärter, und befahl ihm, sie an die Kasse zu führen.

Der Kassierer zählte die Summe auf: die zwei Knaben breiteten ihr seidenes, noch ganz blutiges Tuch ans, legten die dreitausend Dukaten darein, knüpften es an den vier Ecken zusammen, gingen durch eine Tür, die auf den Platz Santo-Franzesco-Nuovo führte, und befanden sich am äußersten Ende der großen Toledo-Straße.

Die Straße Toledo ist der Palast des Volks. Sie sahen ganz hinab längs der Häuser eine Menge Lazzaronis, die, in der Sonne liegend, die Macaronis von ihrem irdenen Teller ganz wollüstig in ihre braunen Lippen spazieren ließen. Dieser Anblick machte ihnen Appetit; sie gingen zu einem Kaufmann, kauften einen Teller, und diesen Teller voller Macaroni; sie reichten einen Dukaten hin, und man gab ihnen neun Carlin, neun Gran und zwei Calli21 zurück: mit dem, was sie wieder zurückerhielten, konnten sie auf diese Art einen ganzen halben Monat leben.

Auf den Stufen des Palasts Maddaloni setzten sie sich nieder, und nahmen hier eine Mahlzeit ein, von deren Kostbarkeit sie gar keinen Begriff hatten. In der Straße Toledo schläft, isst oder spielt man. Sie hatten noch keine Lust zu schlafen. Gegessen hatten sie, und mischten sich in eine Gruppe Lazzaroni, die Mora spielten.

Nach Verlauf von fünf Stunden hatten sie drei Calli verloren. Wenn sie täglich drei Calli verloren, so konnten sie beinahe den dritten Teil der Ewigkeit hindurch spielen.

Glücklicherweise vernahmen sie noch denselben Abend, dass es in Neapel Häuser gebe, wo man für einen Dukaten zu Mittag essen, und Tausende von Callis in einer Stunde verlieren könne.

Da sie zu Nacht speisen wollten, so ließen sie sich in eins dieser Häuser führen: es war eine Table d’hote. Der Besitzer sah auf ihre Bekleidung, und fing an zu lachen: sie zeigten ihr Geld, der Besitzer machte einen Bückling bis zur Erde, und sagte ihnen, dass man sie in ihrem Zimmer bedienen werde, bis ihre Exzellenzen sich anständige Kleider hätten machen lassen, die ihnen erlaubten, mit der übrigen Gesellschaft zu speisen.

Cherubino und Celestini blickten einander an: sie wussten gerade nicht, was der Wirt mit seinen anständigen Kleidern sagen wollte: sie fanden, dass ihr Anzug von sehr gutem Geschmack sei; in der Tat bestand derselbe, wie wir gesagt haben, aus einem hübschen Schaffell, das um die Lenden gegürtet war, und guten um die Füße geschnürten Sandalen; der ganze übrige Teil des Körpers war nackt, und dies schien ihnen bequemer und weniger erhitzend. Indes ergaben sie sich darein, als man ihnen erklärt hatte, dass man eine vollständige Kleidung tragen müsse, um das Recht zu haben, für einen Dukaten zu Mittag zu speisen, und Tausende von Callis in einer Stunde zu verlieren.

Während man die Tafel zurüstete, trat ein Schneider in das Zimmer, und fragte sie, welche Art von Kleidern sie wünschten.

Sie antworteten, dass, weil sie nun einmal durchaus Kleider haben müssten, jeder einen calabrischen Anzug wolle, ähnlich dem, welchen die jungen reichen Leute Sonntags in Cosenza und in Tarent trügen.

Der Schneider machte ein Zeichen, dass dies hinreichend sei, und fügte hinzu, dass ihre Excellenzen, was sie verlangten, den andern Morgen haben würden.

Ihre Exzellenzen speisten zu Nacht, und fanden, dass Ravioli und Sambajone besser seien als Macaroni; dass Lacrimä Christi dem reinen Wasser vorgezogen werden müsse, und dass Griesbrod viel leichter hinuntergehe als Gerstenfladen.

Als sie mit ihrem Mahle fertig waren, fragten sie den Kellner, ob es ihnen erlaubt sei, auf dem Boden zu schlafen: derselbe zeigte ihnen zwei Bettstellen, welche sie für Kapellen gehalten hatten.

Celestini, der entschiedenermaßen der Kassier war, verschloß das Sacktuch und die Dukaten in eine Art Sekretär, nahm den Schlüssel zu sich, und hängte ihn an das Band, das er am Halse trug.

Hierauf verrichteten sie mit Andacht ihr Gebet zur heiligen Jungfrau, küssten ihr Scapulier, legten sich Jeder in ein, Bett, in welchem fünf Platz gehabt hätten, ohne einander zu stören, und schliefen bis zum hellen Morgen. Den andern Tag hielt ihnen der Schneider Wort, und da sie nunmehr einen vollständigen Anzug hatten, so konnten sie an der Table d’hote ihr Essen einnehmen und in das Spielzimmer eintreten: hier verloren sie ein? hundert und zwanzig Dukaten.

Ein Hausknecht schlug ihnen, um sie zu trösten, vor, dass er sie in ein Haus führen wolle, worin sie sich noch mehr belustigen würden.

Als die Stunde erschienen war, nahmen sie ihre Taschen voll Dukaten, und folgten dem Knecht; sie kamen erst den andern Morgen fast sterbend vor Hunger, und mit leeren, Taschen in den Gasthof zurück.

Es war ein gutes Leben. Sie hatten die Adresse des Hauses, worin man die Nacht zubrachte, aufbewahrt, und sie liebten, was man dort tat, fast ebenso sehr, als die Tafel und das Spiel. Sie kehrten daher die, folgende Nacht wieder dorthin zurück.

Diese Lebensweise trieben sie vierzehn Tage fort, und dies bildete sie bedeutend aus. Nach Verlauf diesen Zeit hätten sie einem römischen Abbé oder einem französischen Unterlieutenant, was beinahe dasselbe ist, die Stange halten können.

Eines Abends zeigten sie sich wie gewöhnlich vor dem Hause. Es war auf höheren Befehl geschlossen? ich weiß nicht, welcher Mord darin begangen worden war.

Sie sahen eine große Zahl von Leuten der nämlichen Richtung folgen; sie folgten den Leuten.

Einige Minuten darauf befanden sie sich bei der Villa-Reale in der prächtigen Straße Chiaja: sie kannten dieselbe noch nicht.

Die Chiaja ist um zehn Uhr Abends der Sammelplatz der schönen Welt; Neapel kommt hierher, um hier den sanften Wind des Meerbusens einzuatmen, der mit dem Duft der Orangen von Sorente und der Jasmine von Posilippo geschwängert ist. Dort gibt es mehr Wasserwerke und Statuen als auf dem ganzen übrigen Teil der Erde; und jenseits dieser Wasserwerke und Statuen ist ein Meer, wie man es nirgends sieht.

Unsere beiden Birboni gingen also hier auf und ab, die Frauen mit den Ellbogen berührend, und die Männer stoßend, eine Hand an ihrem Geld, und die andere am Dolch.

Sie kamen an eine vor einem Kaffeehaus haltende Gruppe: mitten in dieser Gruppe war eine Kalesche, und in dieser Kalesche ein Frauenzimmer, welches Gefrornes nahm. Jene Gruppe hatte sich gebildet, diese Dame zu sehen.

Es war auch in der Tat das schönste Geschöpf, das seit Eva aus Gottes Händen hervorging; ein Geschöpf, um einen Papst zum Fall zu bringen.

Unsere Calabrier traten in das Kaffeehaus ein, verlangten zwei Sorbet, und setzten sich an das Fenster, um dieses Frauenzimmer mehr in der Nähe zu sehen: besonders hatte sie wundervolle Händchen.

– »Corpo di Baccho, wie schön sie ist! rief Cherubino aus.«

Ein Mann näherte sich ihm, und klopfte ihm auf die Schulter.

– »Der Augenblick ist günstig, mein junger gnädiger Herr, sagte er zu ihm.

– »Was bedeutet das?«

– »Das bedeutet, dass die Gräfin Fornera seit zwei Tagen mit dem Cardinal Rospoli entzweit ist.«

– »Weiter.«

– »Und dass, wenn Sie wollen, für fünfhundert Dukaten und Stillschweigen. . . «

– »Ist sie mein?«

– »Ist sie Ihnen.«

– »Ah! du bist also?. . .«

– »Un ruffiano per servir la.«

– »Einen Augenblick, sagte Celestini, ich will diese Frau auch.«

– »Dann, meine Exzellenzen, macht es das Doppelte.«

– »Ganz gut.«

– »Aber wer wird sie zuerst erhalten?«

– »Das geht uns an; geh und überzeuge dich, ob sie diese Nacht frei ist, und komm dann zu uns ins Hotel de Venise, wo wir wohnen.«

Der Kuppler ging seiner Wege, unsere Knaben den ihrigen. Der Wagen der Gräfin fuhr weg. Cherubino und Celestini gingen heim in den Gasthof: sie hatten gerade noch fünfhundert Dukaten übrig; Jeder setzte sich auf eine Seite einer Tafel, sie legten ein Kartenspiel in ihre Mitte, und Einer nahm nach dem Andern jedes mal eine Karte.

Das Herz Aß fiel Cherubino zu.

– »Viel Vergnügen, sagte Celestini zu ihm, und warf sich auf sein Bett.«

Cherubino nahm die fünfhundert Dukaten in seine Tasche, untersuchte, ob sein Dolch leicht aus der Scheide gehe, und erwartete den Kuppler: nach einer Viertelstunde kam er herbei.

– »Sie ist diese Nacht frei, sprach er.«

– »Nun gut! gehen wir.«

Sie stiegen hinab: die Nacht war herrlich, der Himmel blickte die Erde aus allen seinen Augen an; die Gräfin wohnte in der Vorstadt Chiaja; der Kuppler, ging voran: Cherubino folgte ihm, indem er sang:

 
Che bella cosa é de moire ucciso
Inanze a la porta de la inamorata.
L’anima se ne sagli in paradiso,
E lo cuorpo lo chiegne la scasata!22
 

Sie langen an einer kleinen verborgenen Tür an: eine Frau erwartet sie.

– »Exzellenz, sagte der Kuppler, Hundert Dukaten sind für mich, und die übrigen vierhundert legen sie in ein kleines alabasternes Körbchen, das Sie auf dem Kamin finden werden.«

 

Cherubino zählte ihm die hundert Dukaten hin, und folgte der Frau.

Es war ein schöner Marmorpalast; auf jeder Seite der Treppen waren Lampen in Kristallkugeln, und zwischen jeder Lampe Rauchgefäße von Bronze, auf denen Wohlgerüche brannten.

So kamen sie durch Gemächer, worin man einen König und seinen Hof hätte beherbergen können; hierauf öffnete die Kammerfrau am Ende einer großen Galerie, die durch eine Zwischenwand verschlossen war, eine Tür, schob Cherubino hinein, und schloss sie wieder hinter ihm zu.

– »Sind Sie es, Gidsa? sagte eine Frauenstimme.«

Cherubino blickte nach der Seite, von der diese Stimme kam, und erkannte die Gräfin, nur in einem leichten Musselinkleid, auf einem mit Basin überzogenen Sofa liegend, mit einer Locke ihrer langen Haare spielend, welche sie losgebunden hatte, und die sie bedeckten, wie ein kleiner spanischer Mantel.

– »Nein, Signora, es ist nicht Gidsa, ich bin es, erwiederte Cherubino

– »Wer, Sie? sagte die Stimme mit einem noch sanfteren Ausdruck.«

– »Ich, Cherubino, das Kind der Madonna; und der junge Mann trat bis zum Fuße des Sofa vor.«

Die Gräfin richtete sich einen Augenblick auf ihren Ellbogen auf, und blickte ihn verwundert an.

– »Sie kommen für Ihren Herrn? fragte sie.«

– »Ich komme für mich, Signora

– »Ich verstehe es nicht.«

– »Nun gut! so will ich es Ihnen verständlich machen: ich habe Sie heute in der Chiaja gesehen, während Sie Gefrorenes zu sich nahmen, und habe bei Ihrem Anblick ausgerufen: Per Baccho, wie schön sie ist!«

Die Gräfin lächelte.

– »Hierauf ist ein Mann zu mir gekommen, und hat mir gesagt: Wollen Sie diese Frau, welche Sie schön finden? ich gebe sie Ihnen für fünfhundert Dukaten. Ich bin nach Hause gegangen, und habe diese Summe zu mir genommen. An Ihrer Tür angelangt, hat er hundert Dukaten für sich abgefordert, und ich habe sie ihm gegeben; was die weiteren vierhundert betrifft, so hat er mich angewiesen, sie in dieses Alabasterkörbchen zu legen: hier sind sie.«

Cherubino warf drei oder vier Hände voll Geld m das Körbchen; es war überfüllt, und entlud sich auf das Kamin.

– »Wie abscheulich dieser Maffeo! sagte die Gräfin, macht man auf diese Art die Dinge ab?«

– »Ich weiß nicht, was dieser Maffeo ist, erwiderte der Knabe; und ich bin nicht sehr mit der Art bekannt, in welcher man die Dinge abmacht. Ich weiß, nur das, dass er Sie mir für eine Nacht und gegen eine gewisse Summe versprochen hat; ich, weiß zudem, dass, ich diese Summe bezahlt habe, und dass Sie mir demzufolge eine Nacht angehören«

Als Cherubino diese Worte aussprach, machte er einen Schritt gegen den Diwan.

– »Bleiben Sie stehen, oder ich klingle, rief die Gräfin aus, und ich lasse Sie durch meine Leute zur Tür hinauswerfen.«

Cherubino biss sich in die Lippen, und griff mit seiner Hand an den Dolch.«

– »Hören Sie. Signora, sagte er ihr kalt, als Sie mich eintreten hörten, haben Sie geglaubt, irgend einen kleinen Abbé Ihrer Bekanntschaft oder einen reichen französischen Reisenden erscheinen zu sehen, und Sie haben bei sich selbst gesprochen: »Ich werde meine gute Rechnung dabei machen.« Es ist weder das Eine noch das Andere, Signora: es ist ein Calabrier, zudem nicht einer von der Ebene, sondern vom Gebirge; ein Kind, das von Tarsia nach Neapel den Kopf eines Räubers in einem Sacktuch gebracht hat; und den Kopf welches Räubers? von Cesaris! Dies Gold, sehen Sie, dies ist Alles, was mir von dem Preis dieses Kopfes übrig ist; die übrigen zweitausend fünfhundert Dukaten sind durchgeflogen im Spiel, ersäuft im Wein, und verloren bei den Frauen. Für diese fünfhundert Dukaten hätte ich noch zehn Nächte Weiber, Wein und Spiel haben können; ich habe es nicht gewollt; ich habe Sie gewollt, und werde Sie haben.«

– »Todt, ja, das kann sein.«

– »Lebend.«

– »Nie!«

Die Gräfin streckte den Arm ans, um die Schnur der Klingel zu ergreifen; Cherubino machte n»r Einen Sprung vom Kamin zum Diwan.

Die Gräfin stieß einen Schrei aus, und fiel in Ohnmacht: Cherubino hatte ihr mit seinem Dolch die Hand an die Wand gespickt, sechs Zoll unterhalb der Klingelschnur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwei Stunden später kam Cherubino ins Hotel von Venedig zurück; er schüttelte Celestini, der wie ein Seliger schlief; dieser richtete sich im Bett auf, rieb sich die Augen, und blickte ihn an.

– »Was bedeute? das Blut hier? fragte er ihn.«

– »Nichts.«

– »Und die Gräfin?«

– »Eine herrliche Frau.«

– »Teufel, warum weckst du mich alsdann?«

– »Weil wir keinen Bajocco mehr haben, und abreisen müssen, ehe es Tag wird.«

Celestini stand auf. Die beiden Kinder gingen aus dem Hotel, wie sie gewohnt waren, es zu tun, und man dachte nicht daran, sie aufzuhalten.

Um ein Uhr Morgens hatten sie die Brücke der Maddalena hinter sich, und um fünf Uhr waren sie im Gebirge.

Jetzt hielten sie an.

– »Was werden wir beginnen? sagte Celestini

– »Ich weiß nicht; bist du der Meinung, wieder zum Hirtenstand zurückzukehren?«

– »Nein, beim Erlöser.«

– »Nun, gut! werden wir Räuber.«

Die beiden Kinder gaben sich die Hand, und schworen sich Beistand und ewige Freundschaft. Sie hielten gewissenhaft ihr Versprechen, denn seit jenem Tag haben sie einander nicht verlassen.

– »Ich irre mich, sagte Giacomo, sich unterbrechend und das Grab des Hieronimo betrachtend: vor einer Stunde haben sie einander verlassen.«

II
Antonio

– »Jetzt könnt ihr schlafen, fuhr Giacomo fort; ich werde für Alle Wache stehen und euch aufwecken, wenns Zeit sein wird, aufzubrechen: das heißt, zwei Stunden vor Sonnenaufgang.«

Bei diesen Worten richtete sich Jeder ein, die Nacht bestmöglich hinzubringen; und so groß war das Vertrauen dieser Leute zu ihrem Anführer, dass fünf Minuten darauf Jeder, von Feinden umgeben, wie die Bande es war, so ruhig schlief, als wenn er in Terracina oder in Sonnino im Bett gelegen wäre. Maria allein blieb unbeweglich auf der Stelle sitzen, wo sie die Erzählung angehört hatte.

– »Wirst du nicht versuchen, auszuruhen, Maria? sagte Giacomo zu ihr mit der sanftesten Stimme, die er annehmen konnte.«

– »Ich bin nicht müde, antwortete Maria

– »Zu langes Wachen könnte deinem Kind Schaden bringen.«

– »Ich werde schlafen.«

Giacomo breitete seinen Mantel auf dem Sande aus. Maria legte sich darauf; dann schüchtern um sich blickend, sagte sie:

– »Und du?«

– »Ich, antwortete Giacomo«, ich will einen Ausgang aus den Krallen dieser verdammten Franzosen suchen; sie kennen den Berg vielleicht nicht so gut, dass sie alle Pässe besetzt hätten. Wir können hier nicht ewig auf diesem Felsen bleiben, und da wir ihn verlassen müssen, so wird, so bald als möglich, das Beste sein.«

– »Dann will ich dir folgen, sagte Maria aufstehend. Der Bandit machte eine Bewegung. – Du weißt, fuhr Maria lebhaft fort, wie sicher mein Fuß, wie richtig mein Blick und wie leicht mein Atemzug ist; lass mich dich begleiten, ich bitte dich.«

– »Besorgst du, ich möchte dich verraten? Und wenn diese Menschen Vertrauen haben, wirst du zweifeln?« Zwei stille Tränen rannen über die Wangen Marias. Der Bandit trat näher zu ihr.

– »Nun gut! komme; aber lass das Kind hier, es könnte aufwachen und weinen.«

– »Geh allein, sagte Maria, sich wieder nieder legend.«

Der Bandit entfernte sich; Maria folgte ihm so lange mit den Augen, als sie seinen Schatten gewahren konnte; als er hierauf hinter einem Felsen verschwunden war, stieß sie einen Seufzer aus, beugte den Kopf auf ihr Kind herab, schloss die Augen, als wenn sie schliefe, und Alles fiel in Stille zurück.

Zwei Stunden später ließ sich ein leichtes Geräusch von der Seite her vernehmen, die der gegenüber lag, auf welcher Giacomo weggegangen war. Maria schlug die Augen auf und erkannte den Banditen.

– »Nun, sagte sie mit Beklommenheit zu ihm, trotz der Dunkelheit den finsteren Ausdruck seines Gesichts unterscheidend, wie steht’s?« – »Wir müssen, antwortete der Bandit, ärgerlich den Karabiner zu seinen Füßen werfend, durch Bauern oder Hirten verraten worden sein, denn überall, wo ein Ausweg ist, steht eine Wache.«

– »Also kein Mittel, von diesem Felsen hinabzusteigen!«

– »Keines. Von beiden Seiten fällt er, wie du weißt, ganz senkrecht ab, und wenn uns die Adler, die hier ihre Nester haben, nicht ihre Schwingen leihen, so darf man nicht daran denken, diesen Weg zu nehmen; und ich habe dir gesagt, überall sonst. . . kein Mittel. Verfluchte Franzosen!. . . mochtet ihr eine Ewigkeit hindurch in der Hölle braten müssen, ihr Heiden, die ihr seid.« Der Bandit warf seinen Hut neben seinen Karabiner.

– »Was werden wir alsdann tun?«

– »Wir bleiben hier; sie werden uns hier nicht aufsuchen, gewiss nicht.«

– »Aber wir werden hier Hunger sterben.«

– »Wenigstens, wenn uns Gott kein Manna zuschickt, was nicht wahrscheinlich ist; allein es ist eben so gut Hunger zu sterben, als gehangen zu werden.«

Maria drückte ihr Kind in die Arme und stieß einen Seufzer aus, der dem Schluchzen ähnlich war. Der Bandit stampfte mit dem Fuß.

– »Wir haben diesen Abend eine gute Mahlzeit gehabt, wir sind noch so weit versehen, um morgen früh gleichfalls eine gute zu halten: dieß ist Alles, was wir für den Augenblick nötig haben. Also wollen wir schlafen.«

– »Ich schlafe, sagt Maria

Der Bandit legte sich neben ihr nieder.

Giacomo hatte Recht; er war verraten worden, nicht durch die Bauern oder Hirten, sondern durch Antonio, einen der Seinigen, der, wie wir schon gesagt haben, wahrend des Gefechts gefangen genommen worden war, und sich durch das Versprechen vom Strick losgekauft hatte, den Anführer seiner Bande zu liefern: er hatte den Anfang, sein Versprechen zu erfüllen, damit gemacht, dass er selbst die Wachen aufstellte, mit denen Hieronimo zusammengeraten war.

Indessen hatte der Obrist, der die kleine Belagerungstruppe befehligte, Antonio unter gute Aufsicht stellen lassen; denn um Antonio wirklich vom Strick loszumachen, musste Giacomo wirklich gefangen sein, und der Obrist war ein zu kluger Mann, als dass er seinen Gefangenen losgelassen hätte, ehe er etwas Anderes an seiner Stelle hatte. Einige Minuten vor Tagesanbruch ließ er ihn daher, von zwei Soldaten geführt, vor sich bringen, um mit ihm in Gemeinschaft zu sehen, ob die Banditen nicht mehr auf dem Gipfel des Bergs seien. Waren sie nicht mehr oben, so waren die Wachen schlecht ausgestellt gewesen; demnach war Antonio, der sich mit diesem Geschäft befasst hatte, ein doppelter Verräter, der zweimal gehenkt zu werden verdiente. Gegen diesen militärischen Schluss war Nichts einzuwenden. Auch hatte Antonio sich demselben mit der möglichst besten Miene unterworfen. Er trat also vor den Obrist mit der Ruhe eines guten Gewissens, denn er hatte so ehrlich sein Versprechen des Verrats gehalten, dass er vollkommen sicher war, seine alten Kameraden haben nicht entkommen können.

Die ersten Strahlen der Sonne beleuchteten den Gipfel des Felsens, und da die Vertiefungen, in denen die französischen Truppen lagerten, noch im Schatten lagen, so hätte man glauben mögen, eine ungeheure Feuersbrunst verzehre diese Bergspitze, wie die des Sinai. Nach und nach und in dem Grade, wie die Sonne am Himmel stieg, trat auch der Schatten vor ihr zurück, Ströme von Licht, an den Seiten des Steinkolosses hin fließend, erweckten große Adler in ihren Nestern, die sich aus ihren luftigen Sitzen erhoben, als wenn sie sich verspätet hätten, und sich mit zwei Schwingungen ihrer Flügel im Gewölke verloren; von Zeit zu Zeit kamen Seewinde mit ihren feuchten Dünsten herüber und brachen sich heulend in den Tannen und Korkbäumen, welche den Fuß des Berges bedeckten. Dann neigten sich die Tannen und Korkbäume zierlich, erhoben sich wieder, neigten sich von Neuem, jenes lange Gemurmel von sich gebend, welches die Sprache ist, die die Wälder unter einander reden. Kurz, der Berg erwachte, beseelte sich, schien zu leben: der Gipfel allein blieb stumm und verlassen.

Indes waren alle Blicke auf diese Spitze gerichtet. Der Obrist selbst, ein Fernrohr in der Hand, verlor sie nicht aus den Augen. Nach Verlauf einer halben Stunde war er übrigens müde nach ihr zu sehen, und auf das Ende des Tubus mit der flachen Hand einen Schlag gebend, der alle Röhren in einander hineintrieb, wendete er sich gegen Antonio, zu dem er einzig sagte: Nun denn?. . .

 

Das Wort ist ein wunderbares Werkzeug, nach dem Derjenige ist, der es anwendet, und nach dem es Gelegenheit, in der er sich desselben bedient. Es schrumpft ein oder dehnt sich aus, braust wie eine Woge oder murmelt wie ein Bach, springt wie ein Tiger oder kriecht wie die Schlange, steigt in die Wolken empor wie die Bombe, oder fährt vom Himmel herab wie der Blitz; ein Redner braucht einen ganz langen Vortrag, um seine Meinung zu entwickeln, einem andern sind zwei Worte genug, um seinen Gedanken verständlich zu machen.

Zu dieser, letzteren Schule der Beredsamkeit gehörte, wie es scheint, der Obrist; denn, wie wir gesagt haben, er hatte nur zwei Worte ausgesprochen; aber zwei Worte, so gut an ihrem Platze, so vielsagend, so vollständig, so klangreich, dass die Denkkraft, die dabei beteiligt war, sie auszulegen, sie nur einfach zu nehmen brauchte, um die Sentenz herauszubringen: Antonio, mein Freund, Sie sind ein H. . f. t und ein Schurke, der mit mir sein Spiel getrieben, der geglaubt hat, seinen Hals zu retten, indem er mir Lappalien vormache; aber ich bin nicht der Mann dazu, um sich durch Ihre Alfanzereien fangen zu lassen, und da Sie Ihr Versprechen nicht gehalten haben> da die Banditen, ihre Kameraden, während der Nacht entschlüpft sind, und wir genötigt sein werden, ihrer Fährte nachzugehen, wie Spürhunde, was sehr erniedrigend für Soldaten ist, so werden Sie ohne weitere Umstände an den nächsten Baum gehängt, , während ich frühstücken werde.

Antonio, der ein Bursche von sehr großer, Fähigkeit war, und eine sehr gesunde Beurteilungskraft hatte, , begriff, dass dies Alles in jenen zwei Worten lag. Auch streckte er die Hand aus und antwortete, sei es aus Schmeichelei, sei es, dass er wirklich als Eingeweihter zu der nämlichen Schule gehörte, von der der Obrist, eines der Häupter zu sein schien, auf diese zwei Worte nur mit einem einzigen: Aspettate; was auf deutsch sagen will: Geduld!

In der Tat entfernte sich der Obrist, ohne den schrecklichen Befehl zu erteilen, womit er Antonio bedroht hatte, und dieser blieb an derselben^ Stelle, die Augen auf den Berg geheftet mit einer Beharrlichkeit und einer Unbeweglichkeit, die ihn einer Statue ähnlich machten. Nach zwei Stunden kam er wieder zurück, entfaltete von Neuem sein Fernrohr, richtete es auf den Gipfel des Felsens und sehend, dass dort Alles noch ebenso verlassen war, klopfte er Antonio auf die Schulter, der, obwohl er sich bei seiner Annäherung nicht umgedreht, ihn doch an seinem Tritte erkannt hatte.

Antonio bebte wie ein Mann ohne Geld, dem man einen Wechsel vorzeigt, aber fast eben so schnell ergriff er mit der linken Hand den Arm des Obristen, und, die Rechte nach einem Punkt des Felsens ausstreckend, sagte er Mit geheimnisvollem Ausdruck: dort, dort.

– »Was? fragte der Obrist, nachdem er mit seinem Rohre hingesehen hatte.«

– »Sie sehen, antwortete Antonio, den Kopf eines Mannes an der Ecke jenes Felsens nicht, der einer Säule gleicht? Hier, hier;« und er nahm den Kopf des Obristen zwischen seine beiden Hände, drehte ihn wie eine Wetterfahne, und zu gleicher Zeit den Tubus ergreifend, richtete er den letzteren gegen den Punkt, den er so großes Interesse hatte, ihm bemerklich zu machen.

– »Ah! ah! machte der Obrist, als er den bezeichneten Gegenstand erblickte; dann ließ er nach einigen Minuten das Rohr sinken und sagte: es ist freilich ein Mensch; aber wer sagt mir, dass es nicht ein Bauer ist, der irgend eine verlorene Ziege sucht?«

– »Wie, Sie sehen nicht? erwiderte Antonio aufspringend, Sie sehen seinen eckigen Hut, seine flatternden Bänder, seinen glänzenden Karabiner nicht? Sehen Sie hier, wie er sich niederbeugt, um zu versuchen, ob man nicht in den Schlund hinabsteigen kann. Es ist Giacomo selbst, dann hinter ihm, sehen Sie, sehen Sie Maria. Sehen Sie jetzt, sehen Sie?«

Der Obrist brachte phlegmatisch sein Fernrohr wieder an’s Auge; dann sagte er, ohne es wegzunehmen:

– »Ja, ja, ich glaube nach und nach, dass du nicht gehenkt werden wirst. Tiefer Glaube schien Antonio großes Vergnügen zu machen. Lasst den Regimentsdoktor kommen, fuhr der Obrist fort; dann sich an Antonio wendend: und was werden sie oben auf diesem Berge zu essen finden.«

– »Nichts, sagte Antonio.«

– »Also, wenn es ihnen nicht gelingt, zu entkommen, müssen sie sich entweder ergeben, oder Hunger sterben?«

– »Ohne allen Zweifel.«

– »Doktor, wie viel Tage kann ein Mensch leben, ohne zu essen?«

Derjenige, an den diese letztere Frage gemacht war, war ein dicker, kurzer Mann und rund wie eine Kugel, an die ein Schüler aus Spaß einen Kopf und Beine angesetzt hat, kurz, ein Mann, der am wenigsten geeignet schien, eine solche Frage aus eigener Erfahrung zu entscheiden; auch schien er davor bis in s Innerste seiner Eingeweide zu erzittern.

– »Ohne zu essen, Obrist? erwiderte er mit Entsetzen; ohne zu essen? Ja, ein in seiner Lebensweise wohl geregelter Mensch darf nicht mehr als fünf Stunden zwischen seinen Mahlzeiten verfließen lassen, und soll täglich drei Mahlzeiten halten. Was den Wein betrifft, den er trinken soll, Obrist, so ändert es sich nach der Leibesbeschaffenheit und dem Alter.«

– »Ich verlange keine Vorschrift aus der Gesundheitslehre von Ihnen; ich richte bloß eine einfache wissenschaftliche Frage an Sie, Doktor. Überdies beruhigen Sie sich, Sie sind durchaus nicht persönlich bei der Sache beteiligt.«

– »Von dem Augenblicke an, wo Sie mir Ihr Ehrenwort geben, Obrist. . . «

– »Ich gebe es Ihnen.«

– »Nun gut, so sage ich Ihnen, dass wir bei der Belagerung von Genua, wo ich im Stande war, eine Menge solcher Erfahrungen zu machen, als mittleren Termin, einen Menschen nicht länger als fünf bis sieben Tage eine gänzliche Entbehrung von Lebensmitteln haben aushalten sehen.«

– »Ach! Sie waren bei der Belagerung von Genua? fragte der Obrist.«

– »Ja, antwortete der Arzt mit ausnehmend gleichgültiger Miene.«

– »Und wie haben Sie mit Ihren geregelten Gewohnheiten solche Entbehrungen ertragen können?«

– »O! versetzte der Doktor, ich war bei jenem berüchtigten Regiment, das seit dem Anfang der Hungersnot die Partie ergriffen hatte, Österreicher zu essen, und wir litten nicht zu sehr bei dem Mangel.«

– »Und war es gut? fuhr der Obrist lachend fort.«

– »Nicht eben schlecht, , erwiderte gravitätisch der Doktor. Da sie regelmäßig des Tags einmal Schläge bekommen, so werden sie dadurch mürbe gemacht.«

– »Nun gut, sagte der Obrist, wir werden abwarten, bis sie sich ergeben, oder Hunger sterben. Danke für Ihre gute Auskunft, Doktor. Wollen Sie einen Bissen mit mir essen?«

– »Mit Vergnügen.«

– »Julian, sagte der Obrist, sich nach seiner Ordonanz umwendend, geh schnell zu meinem Koch, und sag ihm, ich hätte diesen Morgen vier Personen mehr beim Frühstück.«

In Folge der durch Antonio erhaltenen Versicherungen, und der durch den Doktor gelieferten Nachweisungen, begnügte sich nunmehr der Obrist, seinen Offizieren eine verdoppelte Aufsicht und seinen Soldaten doppelte Wachsamkeit anzuempfehlen. Dreitausend Dukaten wurden zudem aufs Neue demjenigen versprochen, der den Kopf Giacomos in’s Lager brächte.

Acht Tage verflossen. Jeden Morgen ging der Obrist an die Vorposten, um zu erfahren, ob sich die Belagerten noch nicht ergeben hätten, dann kam er an sein

– »Und was würde Antonio während dieser acht Tage thun?«

– »Er würde wieder zu seinem alten Anführer stoßen, ihm sagen, dass er den Händen des Henkers entronnen sei, und dass er zurückkomme, um mit ihm zu leben oder zu sterben. Alsdann müsste Antonio sehr ungeschickt oder Giacomo sehr geschickt sein, wenn der Erstere während dieser acht Tage das Geheimnis des Letzteren nicht entdeckte. Wäre das Geheimnis entdeckt, käme er zurück, es dem Obristen zu sagen, der ihn hierauf seinem Versprechen gemäß freiließe.«

– »Und wenn er das Geheimnis Giacomos nicht entdeckte?«

– »So käme er zurück, sich den Händen des Obristen zu überliefern, der ihn seiner Drohung gemäß hängen ließe.«

– »Dieser Handel ist abgeschlossen, sagte der Obrist.«

– »Angenommen! erwiederte Antonio

– »Dein Schwur.«

Antonio zog aus seiner Brust jenes kleine Reliquienkästchen, das jeder Neapolitaner so andächtig hier trägt, und das man in der Landessprache abitiello nennt; es hierauf dem Obristen übergebend, legte er die Hand darauf und sprach: Ich schwöre bei diesem Heiligenbild, das in der heiligen Peterskirche zu Rom am heiligen Palmsonntag eingeweiht wurde, von jetzt an in acht Tagen mich gefangen hier einzustellen, sei es, dass ich das Geheimnis Giacomos herausgebracht habe oder nicht.

Der Obrist wollte ihm sein Heiligenbild wieder zurückgeben; aber Antonio wies es von sich.

– »Behalten Sie es als Pfand, sagte er, und wenn ich in acht Tagen um dieselbe Stunde nicht zurückgekommen wäre, so nehmen Sie dieses Heiligenbild als Zeugen meines Meineids, werfen es in die Flammen, und das nämliche Feuer, welches dasselbe verbrennt, wird mich in Ewigkeit verzehren.«

– »Dieser Mann hat die Freiheit, zu gehen, wohin es ihm beliebt, sagte der Obrist.«

Denselben Abend war Antonio bei seinen alten Kameraden wieder eingetroffen. Giacomo, der ihn für geblieben oder gehängt gehalten hatte, nahm ihn auf, wie ein Vater sein Kind; Antonio erzählte seine Entweichung; Jedermann glaubte daran; dann, als er geendigt hatte, sagte Giacomo:

21Eine Dukate hat zehn Carlin, eine Carlin zehn Gran und ein Gran zwölf Calli.
22Welch’ schone Sache ist es,vor der Tür seiner Geliebten zu sterben!Während die Seele zum Paradies steigt,beweint die Geliebte den Körper.