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Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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Gilbert ballte die Fäuste vor Wuth schon bei dem Gedanken, Andrée könnte zu Balsamo gehen.



Vor der Thüre des Fremden blieb sie stehen.



Kalter Schweiß floß von der Stirne von Gilbert; er klammerte sich an dem Geländer der Treppe an, um nicht zu fallen, denn er war fortwährend Andrée gefolgt. Alles, was er sah, was er zu errathen glaubte, erschien ihm als ungeheuerlich



Die Thüre von Balsamo war nur angelehnt. Andrée stieß sie auf, ohne zu klopfen. Das hervordringende Licht beleuchtete ihre so edlen, so reinen Züge und wirbelte in goldenen Reflexen in ihre weit geöffneten Augen. Mitten im Zimmer konnte Gilbert den Fremden erschauen, der, das Auge starr, die Stirne gefaltet und die Hand mit der Geberde des Befehls ausgestreckt, dastand.



Dann schloß sich die Thüre wieder.



Gilbert fühlte, wie seine Kräfte schwanden. Eine von seinen Händen ließ das Geländer los, die andere fuhr nach seiner brennenden Stirne; er drehte sich auf sich selbst, wie ein aus der Axe gegangenes Rad, und fiel betäubt auf den kalten Stein der ersten Stufe, während sein Auge noch auf die verfluchte Thüre geheftet war, welche den ganzen vergangenen Traum, das ganze gegenwärtige Glück, die ganze Hoffnung auf die Zukunft verschlungen hatte.




IX.

Die Seherin

Balsamo kam dem Mädchen entgegen, das, ohne von der geraden Linie abzuweichen, fest in seinem Gange, wie die Statue des Gouverneur bei ihm eingetreten war.



So seltsam diese Erscheinung für jeden Andern, als Balsamo gewesen wäre, so erregte sie doch offenbar bei ihm kein Erstaunen.



»Ich habe Ihnen befohlen, zu schlafen,« sprach er; »schlafen Sie?«



Andrée stieß einen Seufzer aus, aber sie antwortete nicht.



Balsamo näherte sich ihr und belud sie mit einer großen Quantität Fluidum.



»Sie sollen sprechen,« sagte er.



Das Mädchen bebte.



»Haben Sie gehört, was ich sagte?« fragte der Fremde.



Andrée machte ein bejahendes Zeichen.



»Warum sprechen Sie denn nicht?«



Andrée legte die Hand an ihre Kehle, als wollte sie andeuten, die Worte können nicht durchkommen.



»Gut! setzen Sie sich,« sprach Balsamo.



Er nahm sie bei der Hand, welche Gilbert, ohne daß sie es bemerkt, geküßt hatte, und diese einzige Berührung verlieh ihr dasselbe Leben, das wir an ihr wahrgenommen, als ihr das beherrschende Fluidum kurz zuvor zukam.



Von Balsamo geführt, machte das Mädchen drei Schritte rückwärts und setzte sich in einen Lehnstuhl.



»Sehen Sie nun?« fragte er.



Die Augen von Andrée erweiterten sich, als hätte sie alle Lichtstrahlen umfassen wollen, welche in dem Zimmer von den divergirenden Scheinen zweier Kerzen verbreitet wurden.



»Ich sage nicht, daß Sie mit den Augen sehen sollen; sehen Sie mit der Brust,« fuhr Balsamo fort.



Und er zog unter seiner gestickten Jacke ein stählernes Stäbchen hervor und legte das Ende davon auf die zitternde Brust des Mädchens.



Andrée zuckte, als ob ein flammender Pfeil ihr Fleisch durchbohrt hätte und bis in ihr Herz gedrungen wäre; ihre Augen schlossen sich sogleich.



»Ah! gut, nicht wahr, Sie fangen an zu sehen?«



Sie machte ein bejahendes Zeichen mit dem Kopfe.



»Und Sie werden sprechen, nicht wahr?«



»Ja,« antwortete Andrée.



Doch zu gleicher Zeit fuhr sie unter einer Geberde unsäglichen Schmerzes mit der Hand an die Stirne. »Was haben Sie?« fragte Balsamo.



»Oh! ich leide!«



»Warum leiden Sie?«



»Weil Sie mich zu sehen und zu sprechen zwingen.«



Balsamo erhob zwei oder dreimal die Hände über die Stirne von Andrée und schien einen Theil des Fluidum, das dieselbe zu zersprengen im Begriffe war, zu entfernen.



»Leiden Sie noch?« fragte er.



»Weniger,« antwortete das Mädchen.



»Gut; nun sehen Sie, wo Sie sind.«



Die Augen von Andrée blieben geschlossen; aber ihr Gesicht verdüsterte sich und schien das lebhafteste Erstaunen auszudrücken.



»In dem rothen Zimmer,« murmelte sie.



»Mit wem?«



»Mit Ihnen,« fuhr sie bebend fort.



»Was haben Sie?«



»Ich habe Furcht! ich schäme mich!«



»Worüber? Sind wir nicht sympathetisch vereinigt?«



»Allerdings.«



»Wissen Sie nicht, daß ich Sie nur mit reinen Absichten kommen lasse?«



»Ah! ja, das ist wahr.«



»Und daß ich Sie achte, wie eine Schwester?«



»Ja, ich weiß es.«



Und ihr Gesicht erheiterte sich, wurde aber bald abermals düster.



»Sie sagen mir nicht Alles?« fuhr Balsamo fort. »Sie vergeben mir nicht ganz?«



»Dies ist der Fall, weil ich sehe, daß Sie, wenn Sie auch mir nicht feindlich, doch vielleicht Anderen böse wollen?«



»Es ist möglich,« murmelte Balsamo; »aber bekümmern Sie sich nicht darum,« fügte er mit befehlendem Tone bei.



Andrée nahm wieder ihr gewöhnliches Gesicht an.



»Schläft Jedermann im Hause?«



»Ich weiß es nicht,« antwortete sie.



»So schauen Sie«



»Nach welcher Seite soll ich zuerst sehen?«



»Nach der Seite Ihres Vaters. Wo ist er?«



»In seinem Zimmer.«



»Was macht er?«



»Er liegt im Bette.«



»Schläft er?«



»Nein, er liest.«



»Was liest er?«



»Eines von den schlechten Büchern, von denen er immer will, ich soll sie lesen.«



»Und die Sie nicht lesen?«



Das Gesicht von Andrée drückte Stolz und Verachtung aus.



»Nein,« sprach sie.



»Gut. Von dieser Seite sind wir also ruhig. Schauen Sie auf die Seite von Nicole, in ihr Zimmer.«



»Es ist kein Licht in ihrem Zimmer.«



»Brauchen Sie Licht, um dort zu sehen?«



»Nein, wenn Sie es befehlen.«



»Ich will es.«



»Ah! ich sehe sie!«



»Nun?«



»Sie ist halb angekleidet; sie macht sachte die Thüre ihres Zimmers auf und steigt die Treppe hinab.«



»Gut. Wohin geht sie?«



»Sie bleibt an der Hofthüre stehen; sie verbirgt sich hinter dieser Thüre; sie lauert, sie wartet.«



Balsamo lächelte.



»Gilt dieses Lauern oder dieses Warten Ihnen?« sagte er.



»Nein.«



»Nun, das ist die Hauptsache. Ist ein Mädchen von seinem Vater und von seiner Kammerfrau befreit, so hat es nichts mehr zu befürchten, wenn nicht  . . .«



»Nein,« sprach sie.



,.Ah! ah! Sie beantworten meinen Gedanken?«



»Ich sehe ihn.«



»Sie lieben also Niemand?«



»Ich?« versetzte das Mädchen mit verächtlichem Tone.



»Ei! allerdings; Sie könnten Jemand lieben, wie mir scheint. Man tritt nicht aus dem Kloster, um in der Abgeschlossenheit zu leben, und man gibt dem Herzen zu gleicher Zeit mit dem Körper die Freiheit.«



Andrée schüttelte den Kopf und erwiederte traurig:



»Mein Herz ist frei.«



Und ein solcher Ausdruck von Reinheit und jungfräulicher Bescheidenheit verschönerte ihre Züge, daß Balsamo strahlend murmelte:



»Eine Lilie! eine Mündel! eine Seherin!«



Und er faltete die Hände zum Zeichen der Freude und des Dankes; dann kehrte er zu Andrée zurück und fuhr fort:



»Doch wenn Sie nicht lieben, so werden Sie ohne Zweifel geliebt?«



»Ich weiß es nicht,« sprach das Mädchen mit sanftem Tone.



»Wie! Sie wissen es nicht?« entgegnete Balsamo ziemlich hart; »suchen Sie! Wenn ich frage, will ich eine Antwort haben.«



Und er berührte zum zweiten Male die Brust des Mädchens mit seinem stählernen Stäbchen.



Das Mädchen bebte abermals, aber unter dem Eindrucke eines Schmerzes, der sichtbar minder heftig war, als der erste.



»Ja, ja, ich sehe,« sprach sie; »schonen Sie mich, denn Sie werden mich tödten.«



»Was sehen Sie?« fragte Balsamo.



»Oh! doch das ist unmöglich,« erwiederte Andrée.



»Was sehen Sie denn?«



»Einen jungen Menschen, der mir seit meinem Austritte aus dem Kloster folgt, mich bespäht, bewacht, doch Alles im Verborgenen.«



»Wer ist dieser junge Mensch?«



»Ich sehe sein Gesicht nicht,  . . . nur sein Kleid; es ist beinahe das Kleid eines Arbeiters.«



»Wo ist er?«



»Unten an der Treppe: er leidet, er weint.«



»Warum sehen Sie sein Gesicht nicht?«



»Weil er es in seinen Händen verborgen hält.«



»Sehen Sie durch seine Hände.«



Andrée strengte sich an und rief:



»Gilbert! oh! ich sagte, es wäre unmöglich.«



»Warum unmöglich?«



»Weil er es nicht wagen würde, mich zu lieben,« antwortete das Mädchen mit einem Ausdruck erhabener Verachtung.



Balsamo lächelte als ein Mann, der den Menschen kennt und weiß, daß es keine Entfernung gibt, die das Herz nicht überspringt, und wäre diese Entfernung ein Abgrund.



»Und was macht er unten an der Treppe?«



»Warten Sie, er trennt die Hände von seiner Stirne, er klammert sich an dem Geländer an, er erhebt sich, er steigt aufwärts.«



»Wohin geht er?«



»Hierher. Es ist gleichgültig, er wird es nicht wagen, einzutreten.«



»Warum wird er es nicht wagen, einzutreten?«



»Weil er Furcht hat,« sprach Andrée mit einem Lächeln der Verachtung.



»Aber er wird horchen.«



»Gewiß; er nähert sein Ohr der Thüre, er horcht.«



»Er ist Ihnen wohl lästig?«



»Ja, weil er hören kann, was ich sage.«



»Und ist er im Stande, Mißbrauch davon zu machen, selbst gegen Sie, die er liebt?«



»Ja, in einem Augenblick des Zornes oder der Eifersucht; oh! ja, in einem solchen Augenblick ist er zu Allem fähig,«



»Dann entledigen wir uns seiner,« sprach Balsamo.



Und er ging geräuschvoll auf die Thüre zu.



Ohne Zweifel war die Stunde des Muthes für Gilbert noch nicht gekommen, denn bei dem Geräusch der Tritte von Balsamo schwang er sich aus Furcht, ertappt zu werden, rittlings auf das Geländer und ließ sich bis zur Erde hinabgleiten.



Andrée stieß einen schwachen Schrei des Schreckens aus.



»Hören Sie auf, nach jener Seite zu sehen,« sprach Balsamo, zu Andrée zurückkehrend. »Gewöhnliche Verliebtheiten sind Dinge von geringer Wichtigkeit. Sprechen Sie mir vom Baron von Taverney, wollen Sie?«

 



»Ich will Alles, was Sie wollen,« sagte Andrée mit einem Seufzer.



»Er ist also sehr arm, der Baron?«



»Sehr arm.«



»Zu arm, um Ihnen eine Zerstreuung zu gewähren?«



»So ist es.«



»Sie langweilen sich also in diesem Schlosse?«



»Zum Sterben.«



»Sie haben vielleicht Ehrgeiz?«



»Nein.«



»Sie lieben Ihren Vater?«



»Ja,« sprach das Mädchen mit einem gewissen Zögern.



»Gestern Abend kam es mir jedoch vor, als läge eine Wolke über dieser kindlichen Liebe?« versetzte Balsamo lächelnd.



»Ich grolle ihm, daß er auf eine tolle Weise das ganze Vermögen meiner Mutter verschwendet hat, so daß der arme Maison-Rouge in der Garnison verschmachtet und den Namen unserer Familie nicht mehr würdig führen kann.«



»Wer ist Maison-Rouge?«



»Mein Bruder Philipp.«



»Warum nennen Sie ihn Maison-Rouge?«



»Weil dies der Name eines uns gehörigen Schlosses ist, oder vielmehr war, und die Aeltesten der Familie diesen Namen bis zum Tode ihres Vaters führten; dann heißen sie Taverney.«



»Und Sie lieben Ihren Bruder?«



»Oh ja! sehr! sehr!«



»Mehr als Alles?«



»Mehr als Alles.«



»Und warum lieben Sie ihn so leidenschaftlich, während Sie Ihren Vater nur mäßig lieben?«



»Weil er ein edles Herz ist, weil er sein Leben für mich geben würde.«



»Während Ihr Vater?«  . . .



Andrée schwieg.



»Sie antworten nicht?«



»Ich will nicht antworten.«



Ohne Zweifel hielt es Balsamo nicht für geeignet, den Willen des Mädchens zu zwingen. Vielleicht wußte er auch schon über den Baron Alles, was er wissen wollte.



»Und wo ist in diesem Augenblick der Chevalier von Maison-Rouge?«



»Sie fragen mich, wo Philipp sei?«



»Ja.«



»Er ist in Garnison in Straßburg.«



»Sehen Sie ihn in diesem Augenblick?«



»Wo dies?«



»In Straßburg.«



»Ich sehe ihn nicht.



»Kennen Sie die Stadt?«



»Nein.«



»Ich kenne sie; suchen wir mit einander, wollen Sie?«



»Gewiß will ich.«



»Ist er im Schauspiel?«



»Nein.«



»Ist er im Café de la Place, mit den andern Officieren?«



»Nein.«



»Ist er in sein Zimmer zurückgekehrt? Sie sollen das Zimmer Ihres Bruders sehen.«



»Ich sehe nichts. Ich glaube, er ist nicht mehr in Straßburg.«



»Kennen Sie den Weg?«



»Nein.«



»Gleichviel! ich kenne ihn; verfolgen wir denselben. Ist er in Saverne?«



»Nein.«



»Ist er in Saarbrück?«



»Nein.«



»Ist er in Nancy?«



»Warten Sie, warten Sie!«



Andrée sammelte sich; ihr Herz schlug, daß die Brust hätte zerspringen sollen.



»Ich sehe! ich sehe!« sprach sie mit einem freudigen Ausbruche; »oh! lieber Philipp, welch’ ein Glück!«



»Was gibt es denn?«



»Lieber Philipp!« fuhr Andrée fort, deren Augen vor Freude funkelten.



»Wo ist er?«



»Er reitet durch eine Stadt, die ich vollkommen kenne.«



»Durch welche Stadt?«



»Nancy! Nancy! wo ich im Kloster war.«



»Sind Sie sicher, daß er es ist?«



»Oh! ja, die Fackeln, die ihn umgeben, beleuchten sein Antlitz.«



»Fackeln?« sprach Balsamo erstaunt. »Warum Fackeln?«



»Er reitet am Schlage einer schönen vergoldeten Carrosse.«



»Ah! ah!« machte Balsamo, der zu begreifen schien; »und was ist in dieser Carrosse?«



»Eine junge Frau. Oh! wie majestätisch, wie anmuthreich, wie schön sie ist! Oh! das ist seltsam, es kommt mir vor, als hätte ich sie bereits gesehen; nein, nein, ich täuschte mich, Nicole gleicht ihr.«



»Nicole gleicht dieser so schönen, so majestätischen, so stolzen jungen Frau?«



»Ja! ja! wie der Jasmin der Lilie gleicht.«



»Sprechen Sie, was geht in diesem Augenblick in Nancy vor?«



»Die junge Frau neigt sich aus dem Kutschenschlage und bedeutet Philipp durch ein Zeichen, er möge sich ihr nähern; er gehorcht, er reitet heran, er entblößt sich ehrfurchtsvoll.«



»Können Sie hören, was sie sprechen?«



»Ich werde horchen,« erwiederte Andrée, Balsamo mit einer Geberde zurückhaltend, als sollte kein Geräusch ihre Aufmerksamkeit ablenken. »Ich höre! ich höre!« murmelte sie.



»Was sagt die junge Frau?«



»Sie befiehlt ihm mit einem sanften Lächeln, den Gang der Pferde zu beschleunigen. Sie sagt ihm, die Escorte müsse am andern Morgen um sechs Uhr bereit sein, weil sie im Verlaufe des Tages anhalten wolle.«



»Wo dies?«



»Das fragt sie mein Bruder. Oh! mein Gott! in Taverney will sie anhalten. Oh! eine so vornehme Prinzessin will in einem so armseligen Hause anhalten  . . . Wie werden wir es machen, ohne Silbergeschirr, beinahe ohne alles Leinengeräthe?«



»Beruhigen Sie sich. Wir werden hiefür sorgen.«



»Ah! ich danke! ich danke!«



Und das Mädchen, das sich halb erhoben hatte, fiel erschöpft auf seinen Lehnstuhl zurück und stieß einen tiefen Seufzer aus.



Sogleich näherte sich Balsamo Andrée, veränderte durch magnetische Gänge die Richtung der electrischen Strömungen und verlieh die Ruhe des Schlafes diesem schönen Körper, der sich gebrochen neigte, diesem beschwerten Kopfe, der auf die keuchende Brust herabfiel.



Andrée schien sodann in eine völlige wiederherstellende Ruhe zurückzukehren.



»Sammle Deine Kräfte wieder,« sprach Balsamo, indem er sie mit einer düstern Extase anschaute; »sogleich würde ich Deiner Hellsichtigkeit abermals bedürfen. O Wissenschaft!« fuhr er mit dem Charakter der überzeugtesten Begeisterung fort, »du allein täuschest nicht! dir allein muß der Mensch Alles opfern. Diese Frau ist sehr schön, mein Gott, dieser Engel ist sehr rein! Doch welchen Werth hat in diesem Augenblick die Schönheit für mich? welchen Werth hat die Unschuld? den Werth einer einfachen Auskunft, die nur die Schönheit und die Unschuld allein mir geben können. Es sterbe das Geschöpf, so schön, so rein, so vollkommen es auch sein mag. Es sterben die Genüsse der ganzen Welt, Liebe, Leidenschaft, Extase, wenn ich nur immer mit sicherem, erleuchtetem Schritte gehen kann! Und nun, Mädchen, da Dir durch die Macht meines Willens einige Sekunden Schlummer so viel Kräfte gegeben haben, als wenn Du zwanzig Jahre geschlafen hättest, nun erwache, oder versenke Dich vielmehr wieder in Deinen hellsichtigen Schlummer. Ich bedarf noch Deiner Sprache: nur wirst Du diesmal für mich sprechen.«



Und abermals die Hände gegen Andrée ausstreckend, nöthigte Balsamo diese, sich unter einem allmächtigen Hauche zu erheben.



Als er sie bereit und unterwürfig sah, zog er ein viereckig zusammengelegtes Papier, in welchem eine schwarze Haarlocke enthalten war, aus seinem Portefeuille hervor. Die Wohlgerüche, mit denen die Locke geschwängert, hatten das Papier durchsichtig gemacht.



Balsamo legte die Haarlocke in die Hand von Andrée.



»Sehen Siel« befahl er.



»Oh! abermals?« sprach das junge Mädchen voll Bangigkeit. »Oh! nein, oh! nein, lassen Sie mich in Ruhe; ich leide so sehr. Oh! mein Gott! mein Gott! ich fühlte mich vorhin so wohl.«



»Sprechen Sie!« entgegnete Balsamo, und legte unbarmherzig das Ende seines stählernen Stäbchens auf die Brust von Andrée.



Andrée rang die Hände, sie suchte sich der Tyrannei des Experimentenmachers zu entziehen. Der Schaum trat auf ihre Lippen, wie einst auf den Mund der auf dem heiligen Dreifuß sitzenden Pythia.



»Oh! ich sehe, ich sehe,« rief sie mit der Verzweiflung des besiegten Willens.



»Was sehen Sie?«



»Eine Frau.«



»Ah!« murmelte Balsamo mit einer wilden Freude, »die Wissenschaft ist also kein leeres Wort, wie die Tugend? Mesmer hat Brutus besiegt. Schildern Sie mir diese Frau, damit ich weiß, ob Sie richtig gesehen haben.«



»Braun, groß, blaue Augen, schwarze Haare, nervige Arme.«



»Was macht sie?«



»Sie eilt, sie fliegt, sie scheint von einem herrlichen, schweißbedeckten Pferde fortgetragen zu werden.«



»In welcher Richtung reitet sie?«



»Dorthin, dorthin,« sprach das Mädchen, nach Westen deutend.



»Auf der Landstraße?«



»Ja.«



«Nach Châlons?«



»Es ist gut,« sagte Balsamo; »sie verfolgt den Weg, den ich machen werde. Sie geht nach Paris, wohin ich ebenfalls gehe. Es ist gut, ich werde sie in Paris wiederfinden. Ruhen Sie nun aus,« sagte er zu Andrée, während er ihr die Locke wieder abnahm, die sie nicht losgelassen hatte.



Die Arme von Andrée fielen unbeweglich an ihrem Körper herab.



»Nun kehren Sie zum Klavier zurück,« sprach Balsamo.



Andrée machte einen Schritt gegen die Thüre; doch durch eine unaussprechliche Anstrengung gelähmt, weigerten sich ihre Beine, sie zu tragen: sie wankte.



»Sammeln Sie wieder Kraft und gehen Sie weiter,« sagte Balsamo und umhüllte sie mit einer neuen Aussendung von Fluidum.



Andrée ahmte den edeln Renner nach, der sich anstemmt, um den Willen seines Herrn zu erfüllen, und wäre dieser Willen auch ungerecht.



Sie ging.



Balsamo öffnete seine Thüre, und Andrée stieg, immer noch eingeschlafen, langsam die Treppe hinab.




X.

Nicole Legay

Gilbert hatte die ganze Zeit, welche das Verhör von Balsamo dauerte, in unaussprechlicher Angst zugebracht.



Unter das Treppengehäuse gekauert, weil er es nicht mehr wagte, zur Thüre hinaufzusteigen, um zu behorchen, was in dem rothen Zimmer gesprochen wurde, gerieth er am Ende in eine Verzweiflung, welche bei dem Charakter von Gilbert jeden Augenblick eine gewaltsame Entwicklung herbeizuführen drohte.



Diese Verzweiflung vermehrte sich durch das Gefühl seiner Schwäche und seiner untergeordneten Stellung. Balsamo war nur ein Mensch; denn Gilbert, ein starker Geist, ein Philosoph im Entstehen, glaubte nur wenig an Zauberer. Aber dieser Mensch war stark, Gilbert war schwach; dieser Mensch war muthig, Gilbert war es noch nicht. Zwanzigmal erhob sich Gilbert, um wieder die Treppe hinaufzusteigen, entschlossen, im Falle der Noth dem Baron Stand zu halten. Zwanzigmal bogen sich seine zitternden Beine unter ihm, und er fiel wieder auf seine Kniee.



Es kam ihm ein Gedanke; er wollte eine Leiter holen, der sich La Brie, welcher zugleich Koch, Kammerdiener und Gärtner war, bediente, um Jasmin und Geisblatt an der Mauer aufzubinden. Wenn er sie an der Gallerie der Treppe anlehnen und zu dieser hinaufsteigen würde, dürfte er nichts von dem verrathenden Geräusch verlieren, das er so glühend zu behorchen wünschte. Er erreichte das Vorzimmer, dann den Hof und lief an den Ort, wo er die Leiter zu finden wußte, welche am Fuße einer Mauer lag. Doch während er sich bückte, kam es ihm vor, als hörte er ein Streifen auf der Seite des Hauses; er wandte sich um.



Da glaubte sein weit aufgerissenes Auge in der Dunkelheit durch den schwarzen Rahmen der offenen Thüre eine menschliche Form schlüpfen zu sehen, doch so rasch, so stumm, daß sie viel mehr einem Gespenste, als einem lebendigen Wesen anzugehören schien.



Er ließ die Leiter fallen und schritt mit zitterndem Herzen auf das Schloß zu.



Gewisse Imaginationen sind nothwendig abergläubisch; es sind gewöhnlich die reichsten und überspanntesten, sie lassen weniger gern die Vernunft, als die Fabel zu; durch ihre Instinkte zum Unmöglichen, oder wenigstens zur Idealität hingezogen, finden sie das Natürliche zu gemein. Sie gerathen außer sich vor Entzücken über einen schönen, düsteren Wald, weil die dunkeln Gewölbe mit Geistern und Gespenstern bevölkert sein müssen. Die Alten, welche so große Dichter waren, träumten von diesen Dingen am hellen Tage. Nur da ihre Sonne, ein Herd glühenden Lichtes, von dem wir so zu sagen höchstens noch den Rester haben, da ihre Sonne, sagen wir, die Idee der Larven und Gespenster verbannte, hatten sie die lachenden Dryaden und die leichten Oreaden erfunden.



Gilbert, das Kind einer wolkigen Gegend, wo die Gedanken trauriger sind, wähnte eine Erscheinung zu erblicken. Trotz seiner Ungläubigkeit kam ihm diesmal wieder in den Kopf, was ihm fliehend die Frau von Balsamo gesagt habe; konnte der Zauberer nicht ein Gespenst heraufbeschworen haben, er, der selbst den Engel der Reinheit zum Bösen fortzureißen vermochte?



Gilbert hatte aber immer eine zweite Bewegung, welche schlimmer war, als die erste. Er rief alle Beweissätze starker Köpfe gegen die Geister zu Hülfe, und der Artikel Gespenst des philosophischen Wörterbuchs verlieh ihm einen gewissen Muth, indem er ihm eine größere, aber mehr gegründete Angst einjagte.



Hatte er wirklich Jemand gesehen, so mußte es eine lebendige Person sein, und diese Person mußte ein großes Interesse haben, so zu lauern.



Seine Angst nannte ihm Herrn von Taverney, sein Gewissen blies ihm einen andern Namen ein.



Er schaute nach dem zweiten Stocke des Pavillon. Das Licht von Nicole war, wie gesagt, erloschen und ihre Scheiben verriethen kein Leben.

 



Kein Hauch, kein Geräusch, kein Schimmer im ganzen Hause, ausgenommen im Zimmer des Fremden. Er schaute, er horchte, und als er nichts mehr sah und nichts mehr hörte, nahm er wieder seine Leiter, nunmehr überzeugt, es sei eine Täuschung seiner Augen gewesen, wie dies bei einem Menschen vorkommt, dessen Herz zu schnell schlägt, und er müsse diese Vision eher als einen Nachlaß seiner Sehkraft bezeichnen, wie man technisch sagen kann, denn als einen Erfolg der Uebung seiner Fähigkeiten.



Als er seine Leiter angelegt hatte und den Fuß auf die erste Sprosse setzte, öffnete und schloß sich die Thüre von Balsamo, der Andrée hinausgehen ließ, welche ohne Licht und ohne Geräusch hinabstieg, als ob sie von einer übernatürlichen Macht geleitet und unterstützt würde.



So gelangte Andrée auf den Ruheplatz der Treppe, ging an Gilbert vorüber, an welchem sie im Schatten mit ihrem Kleide anstreifte, und setzte ihren Weg fort.



Herr von Taverney war eingeschlafen, La Brie lag im Bette, Nicole befand sich im andern Pavillon, die Thüre von Balsamo hatte sich wieder geschlossen, und so sah sich der junge Mann gegen jede Ueberraschung geschützt.



Er machte eine heftige Anstrengung gegen sich selbst und folgte Andrée, seinen Gang nach dem ihrigen richtend.



Andrée durchschritt das Vorzimmer und trat in den Salon.



Gilbert folgte ihr mit zerrissenem Herzen. Er stand jedoch stille, obgleich die Thüre offen geblieben war. Andrée setzte sich auf das Tabouret vor dem Klavier, auf welchem die Kerze immer noch brannte.



Gilbert zerfleischte sich die Brust mit seinen krampfhaften Nägeln. An derselben Stelle hatte er eine halbe Stunde zuvor das Kleid und die Hand dieser Frau geküßt, ohne daß sie sich ärgerte; hier hatte er gehofft, war er glücklich gewesen! Ohne Zweifel rührte die Nachsicht des Mädchens von einer jener tiefen Verdorbenheiten her, wie sie Gilbert in den Romanen gefunden hatte, welche, den Grund der Bibliothek des Barons bildeten, oder von einer jener Verräthereien der Sinne, wie er sie in gewissen physiologischen Abhandlungen hatte auseinandersetzen sehen.



»Nun!« murmelte er, von einer dieser Ideen zur andern schwankend, »wenn dem so ist, so werde ich wie die Andern diese Verdorbenheit benützen, oder aus dieser Ueberraschung der Sinne Vortheil ziehen. Und da der Engel sein Unschuldskleid dem Winde überantwortet, so mögen mir einige Fetzen ihrer Keuschheit zufallen.«



Der Entschluß von Gilbert war diesmal gefaßt, er stürzte nach dem Salon.



Doch als er die Schwelle überschreiten wollte, griff eine kräftige Hand aus dem Schatten hervor und packte ihn beim Arme.



Gilbert wandte sich erschrocken um, und es kam ihm vor, als verrückte sich sein Herz in seiner Brust.



»Ah! diesmal habe ich Dich, Unvorsichtiger,« flüsterte ihm eine zornige Stimme in das Ohr, »versuche es noch einmal zu leugnen, Du habest Rendezvous mit ihr, versuche es zu leugnen, Du liebest sie  . . .«



Gilbert hatte nicht einmal die Kraft, den Arm zu schütteln, um sich der pressenden Hand, die ihn zurückhielt, zu entziehen.



Der Druck war indessen nicht so groß, daß er ihn nicht hätte brechen können. Der Schraubstock war ganz einfach die Faust eines jungen Mädchens. Kurz, es war Nicole Legay, welche Gilbert gefangen hielt.



»Sprechen Sie, was wollen Sie denn?« fragte er ganz leise und voll Ungeduld.



»Ah! Du willst, daß ich laut rede, wie es scheint,« sagte Nicole mit der ganzen Fülle ihrer Stimme.



»Nein, nein, ich will, daß Du schweigst,« antwortete Gilbert mit den Zähnen knirschend, und zog Nicole in das Vorzimmer.



»Nun, so folge mir!«



Gilbert verlangte nichts Anderes, denn indem er Nicole folgte, entfernte er sich von Andrée.



»Es ist gut, ich folge,« sprach er.



Er ging wirklich hinter Nicole, welche ihn in den Garten führte und die Thüre hinter sich zumachte.



»Aber Fräulein Andrée wird in ihr Zimmer zurückkehren,« sagte Gilbert, »sie wird Sie rufen, damit sie ihr beim Auskleiden helfen, und Sie werden nicht da sein.«



»Wenn Sie glauben, das beschäftige mich in diesem Augenblick, so täuschen Sie sich in der That gewaltig. Was liegt mir daran, ob sie mich ruft oder nicht ruft! Ich muß Sie sprechen.«



»Sie könnten auf morgen verschieben, was Sie mir zu sagen haben, Nicole; das Fräulein ist streng, wie Sie wissen.«



»Ah! ja, Ich rathe ihr, streng zu sein, besonders gegen mich!«



»Nicole morgen, ich verspreche Ihnen  . . .«



»Du versprichst! sie sind schön, Deine Versprechungen, und man kann darauf zählen! Hattest Du mir nicht versprochen, mich in der Gegend von Maison-Rouge diesen Abend um sechs Uhr zu erwarten? Wo warst Du um diese Stunde? Auf der entgegengesetzten Seite, da Du den Reisenden hieher gebracht hast. Ich lege nun ein ebenso großes Gewicht auf Deine Versprechungen, als auf die des Gewissensrathes vom Kloster der Annonciaden, welcher einen Eid geleistet hatte, das Geheimniß der Beichte zu bewahren, und alle unsere Sünden der Superiorin meldete.«



»Nicole, bedenken Sie, daß man Sie wegschickt, wenn man bemerkt  . . .«



»Und Sie, man wird Sie nicht wegschicken, Sie, der Sie in das Fräulein verliebt sind! nein, der Herr Baron wird sich wohl Zwang anthun!«



»Bei mir,« sprach Gilbert, der sich nun zu vertheidigen suchte, »bei mir ist kein Grund vorhanden, mich wegzuschicken.«



»Wirklich! sollte er Sie bevollmächtigt haben, seiner Tochter den Hof zu machen?«



Gilbert konnte mit einem Worte Nicole beweisen, daß, wenn er auch schuldig war, wenigstens keine Mitschuld auf der Seite von Andrée obwaltete. Er durfte ihr nur erzählen, was er gesehen, und so unglaublich die Sache auch sein mochte, so hätte doch Nicole in Folge der guten Meinung, welche die Frauen von einander haben, ohne allen Zweifel geglaubt. Doch ein tieferer Gedanke hielt den jungen Mann im Augenblick der Offenbarung zurück. Das Geheimniß von Andrée gehörte zu denjenigen, welche einen Menschen bereichern, mag dieser Mensch nun ein Verlangen nach Schätzen der Liebe, oder nach materielleren und. positiveren Schätzen tragen.



Die Schätze, nach welchen Gilbert verlangte, waren Schätze der Liebe. Er berechnete, daß der Zorn von Nicole minder gefährlich, als der Besitz von Andrée wünschenswerth war, traf sogleich seine Wahl und schwieg über das seltsame Abenteuer der Nacht.



»Gut, erklären wir uns, da Sie es durchaus wollen,« sagte er.



»Oh! das wird schnell geschehen sein,« rief Nicole, deren Charakter, dem von Gilbert geradezu entgegengesetzt, sie keine von ihren Empfindungen beherrschen ließ; »doch Du hast Recht, wir sind schlecht in diesem Blumengarten; gehen wir in mein Zimmer.«



»In Ihr Zimmer!« rief Gilbert erschrocken; »unmöglich.«



»Warum?«



»Wir setzen uns der Gefahr aus, überrascht zu werden.«



»Stille doch!« versetzte Nicole mit einem verächtlichen Lächeln, »wer sollte uns überraschen? Fräulein Andrée? In der That, sie muß eifersüchtig auf diesen schönen Herrn sein! Zu ihrem Unglück sind die Leute, deren Geheimniß man weiß, nicht zu fürchten. Ah! Fräulein Andrée eifersüchtig auf Nicole; ich hätte nie an eine solche Ehre geglaubt.«



Und ein gezwungenes Gelächter, furchtbar wie das Brüllen des Sturmes, erschreckte Gilbert viel mehr, als es eine Beleidigung oder eine Drohung gethan hätte.



»Ich fürchte mich nicht vor dem Fräulein, Nicole, sondern ich habe bange für Sie.«



»Ah! ja, das ist wahr, Sie haben mir immer gesagt, wo es keinen Scandal gebe, gebe es auch kein Uebel. Die Philosophen sind zuweilen Jesuiten; übrigens sagte mir das der Gewissensrath der Annonciaden ebenfalls, und zwar vor Ihnen: deshalb geben Sie Ihre Rendezvous dem Fräulein in der Nacht. Vorwärts, vorwärts, keine so schlechten Gründe  . . . kommen Sie in mein Zimmer, ich will es haben.«



»Nicole!« sprach Gilbert, mit den Zähnen knirschend.



»Nun!« rief das Mädchen, »was weiter?«



»Nehmen Sie sich in Acht!«



Und er machte eine drohende Geberde.



»O! ich fürchte mich nicht, Sie haben mich schon einmal geschlagen, doch weil Sie eifersüchtig waren. Sie liebten mich zu jener Zeit. Es war eine Woche nach unserem schönen Honigtage, und ich ließ mich schlagen. Aber