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Ingénue

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Christian konnte die Bitterkeit seines Lächelns nicht verbergen.

»Aber zum zehnten Male,« rief er, »zum zwanzigsten Male wiederhole ich Ihnen, Ingénue, daß Sie nicht verheirathet sind!«

»Nein, ich weiß es wohl, da ich meinen Mann fortjage; doch ich jage ihn fort, weil er ein Verbrechen begangen hat. Dieses Verbrechen, das mich ihm gegenüber entbindet, entbindet mich nicht einem Andern gegenüber.«

»Hätte also Auger dieses Verbrechen nicht begangen, so wären Sie . . . seine Frau?«

»Allerdings.«

»Oh! verleumden Sie sich nicht, Ingénue! verleumden Sie nicht die Liebe! Ei! Sie sind wie ein armer Blinder, der den Tag leugnen und behaupten würde: »»Ich sehe nicht! folglich ist Alles schwarz und finster in der Schöpfung . . .«« Ingénue! Ingénue! ich habe Ihnen nur noch Eines zu sagen. . .«

»Oh! sagen Sie! sagen Sie, Christian!«

»Schenken Sie mir nicht Ihre ganze Zeit, Ihr ganzes Leben; schenken Sie mir ein paar Stunden täglich in einem Hause, das ich habe. Sie werden darum Ihren Vater nicht verlassen, und dennoch werden Sie mir gegeben sein.«

»Ah!« rief Ingénue, »Sie müssen mir etwas Schlimmes vorschlagen, Christian.«

»Warum dies, Ingénue?«

»Weil Sie erröthet sind, weil Sie zittern, weil Sie mir nicht ins Gesicht schauen. Oh! wenn Sie mich Geheimnisse lehren wollen, die aus mir eine Frau machten, welche man verachten würde, Christian, nehmen Sie sich in Acht, ich werde Sie nicht mehr lieben!«

»Nun wohl,« rief Christian, »es sei! Sie flößen mir die seltsamste Liebe für die Tugend ein! nur bin ich besser als Sie, denn ich kenne den Preis davon, und Sie kennen ihn nicht; Sie sind tugendhaft, wie eine Blume wohlriechend ist; Sie haben kein Verdienst hierbei, oder vielmehr, ich irre mich, Sie haben das Verdienst der Blume selbst; Sie duften balsamisch, ohne sich dessen erwehren zu können. Wohl denn, Ingénue, Sie haben mich besiegt; ich hege keine Begierde mehr nach Ihnen; ich werde wieder Ihr Bruder und rühre diese Krone von Reinheit und Unschuld nicht an; nur müssen Sie mir einen Eid schwören.«

»Welchen?«

Christian lächelte und nahm die junge Frau in seine Arme; sie wich nicht nur nicht zurück, sondern schlang, lächelnd wie ein Kind, um den Hals des jungen Mannes ihre reizenden Arme, die sich in einem zugleich weichen und markigen Kreise auf die Schultern von Christian legten.

»Nun,« sagte er, »so schwören Sie mir, daß Sie kein Mann, Ihren Vater ausgenommen, mit seinen Lippen berühren und Sie umarmen wird, wie ich es in diesem Augenblicke thue.«

»Oh! ich schwöre es Ihnen hundertmal.«

»Schwören Sie mir, daß Auger nie in Ihr Zimmer eintreten wird.«

»Ich schwöre es Ihnen! . . . Und wie soll er auch eintreten, da ich ihn verabscheue?«

»Schwören Sie mir endlich, daß Sie mir alle Tage einen Brief schreiben wollen; ich werde ihn selbst am Abend in Ihrer Straße holen; sie lassen denselben am Ende eines Fadens herabhängen, und ich knüpfe dann den meinigen an.«

»Ich schwöre es! Doch wenn man uns sieht?. . .«

»Das ist meine Sache.«

»Und nun Gott befohlen!«

»Ja, Gott befohlen, Ingénue! da wir uns Lebewohl sagen, ohne uns von Herzen zu verlassen, Gott befohlen! aber noch einen Kuß!«

Ingénue lächelte, doch ohne sich zu sträuben.

Dieser Kuß dauerte so lange, daß Ingénue genöthigt war, sich am Halse von Christian zu halten, sonst wäre sie ohnmächtig auf die Rasen des Königs niedergefallen.

Endlich stieß sie einen Schrei aus, gab den Kuß von Christian zurück, machte sich von seinen Armen los und verschwand.

»Noch drei solche Küsse,« sprach Christian trunken vor Freude, »und Ingénue wird wohl sehen, daß sie nie verheirathet gewesen ist! Doch von diesem Augenblicke, Ingénue, bist Du meine Frau; nur müssen wir warten . . . Nun wohl, ich fühle den Muth hierzu in mir, ich werde warten! . . .«

LII
Wo der Autor genöthigt ist, ein wenig Politik zu treiben

Indeß Christian so mit seiner Genossin Ingénue gegen die ehelichen Rechte von Herrn Auger conspirirte, glich dieser, von allen Seiten gejagt, den Hirschen, welche, nachdem sie lange geflohen und List gebraucht, suhlend, daß sie allmälig müde werden, umherschauen, um den Feind zu messen, mit dem sie es zu thun haben, und langsam den^Gedanken fassen, sich gegen den Jäger und die Hunde zu stellen.

Auger fühlte, daß auf Seiten des Prinzip nichts mehr zu thun war: dieser hatte ihn mit Eclat verleugnet, mit Drohungen weggejagt; und sobald er einer Stütze und eines Lobredners in Christian sicher war, bekümmerte sich der Graf von Artois wenig um Alles, was Auger thun, konnte.

Der Graf von Artois hatte in Wirklichkeit nur zwei Dinge zu fürchten: einmal, daß er den Adel in einem seiner Glieder verletzt, und dann, daß er das Volk in der Person von Ingénue beleidigt; was in der Epoche des achtzehnten Jahrhunderts, zu der wir gelangt sind, den Prinzen in die unangenehme Lage des Eisens zwischen dem Amboß und dem Hammer versetzte.

Hatte er Christian gegen sich, so gab es Eclat, Scandal, Angriffe der Edelleute, die ohnedies in dem Augenblicke sehr übel gegen das Königthum gestimmt waren, in dessen Dienst sich die Mehrzahl von ihnen während hundert Jahren des Krieges, lediglich im Interesse der Könige, zu Grunde gerichtet hatte, und weder einen Ludwig XIV., noch einen Regenten, ja nicht einmal einen Kardinal Fleury hatte, um sie dafür schadlos zu halten.

Hatte er Ingénue gegen sich, so mußte er Eclat, Scandal und Angriffe von Seiten Rétif's de la Brétonne erwarten, dessen damals freilich nur erst zur Hälfte populäre Feder indeß aus seiner larmoyanten Vaterschaft immer noch Beredtsamkeit genug schöpfen konnte, um neuen Haß gegen den Prinzen zu erwecken, der ohnedies schon genug mit dem alten zu thun hatte.

Aber mit Christian als Bundesgenossen, mit Ingénue als Auxiliarmacht, durfte er eben so wohl auf die Sympathie des Adels, als auf das Lob der Volksklassen rechnen.

Der Herr Graf von Artois konnte also, nachdem er Meister Auger aus seinem Zimmer gejagt hatte, ruhig auf beiden Ohren schlafen.

Anger, dem es, wie wir bereits gesehen haben, nicht an Scharfsinn fehlte, durchschaute sofort die ganze Taktik des Prinzen. Er fand sie so vortrefflich, daß er darüber vor Wuth schäumte; er war zwar für den Augenblick vollkommen aus dem Felde geschlagen, strengte aber nichtsdestoweniger alle seine Geisteskräfte an, wie er es anfangen solle, um wieder die Oberhand zu gewinnen, was freilich seine Schwierigkeiten hat, wenn man nur ein Sandkorn ist und von einem Riesen getreten wird.

Es bedarf in solchem Falle nicht weniger dazu, als eines gewaltigen Sturmwindes, der das Sandkorn in die Höhe wirbelt, und es dem Riesen auf den Kopf fallen läßt.

Und in jenem Augenblicke bereitete sich in der That, für die Sünden der Großen und zu Auger's größtem Glücke, so etwas Aehnliches, wie ein gewaltiger Sturmwind vor.

Eine neue und bis dahin noch ungekannte Macht erstand plötzlich als Schutzwall für das unterdrückte Volk: es war eine ungeheure Verschwörung, an der die ganze Welt Theil nahm, ohne es auch nur zu ahnen, und die sich bald unter dem furchtbaren Namen der Revolution bis zum Gipfelpunkt des Sieges erheben sollte.

Nirgends noch war die Revolution das eingestandene Ziel der Bewegung, in Bezug auf die Mittel war sie jedoch schon überall factisch vorhanden.

Sie hatte sich kürzlich erst in der Halsbandgeschichte offenbart: die seit hundertfünfzig Jahren von den Königen gereizten Richter des Parlaments hatten endlich gewagt, sich dafür zu rächen.

Als die Richter sahen, daß der König Cagliostro verurtheilen lassen wollte, hatten sie ihn gerade deshalb freigesprochen.

Die Königin hätte den Herrn Cardinal von Rohan gern verurtheilt gesehen, und eben darum sprachen die Richter den Herrn Cardinal von Rohan frei.

Die Richter sahen, daß sowohl der König wie die Königin ein Interesse dabei hatten, Frau von Lamothe, als die Mitwisserin eines scandalösen Geheimnisses, freisprechen zu lassen, so verurtheilten sie Frau von Lamothe, und vielleicht hätten sie sie als Frau von Lamothe noch nicht verurtheilt, wenn sie nicht zugleich als Jeanne von Valois die Enkeltochter eines Bastards Heinrichs II. gewesen wäre.

Der Prozeß war der Form nach gegen Cagliostro, gegen den Cardinal von Rohan und gegen Frau von Lamothe, in der That aber gegen die Königin geführt und entschieden worden.

Und da man Marie-Antoinette, der Etiquette wegen, nicht hatte ins richterliche Verfahren ziehen können, so hatte man sie wenigstens in die Prozeßverhandlungen gezogen.

Mit einem Worte, das Parlament, bisher die erste Macht im Staate neben dem Königthume, stand jetzt dem Königthume als erste Macht im Staate offen gegenüber.

Es war eine Verschwörung, die den Minister Calonne stürzte, um an seine Stelle Lamoignon und Brienne zu setzen.

Es war eine Verschwörung des Volkes, die auf öffentlichem Platze die Strohfiguren dieser zwei Männer verbrannte, nachdem eine Verschwörung des Hofes sie zum Zustande von Strohmännern erniedrigt hatte.

Nun lebten über und unter diesen Sphären in Menge mehr oder minder große, mehr oder minder schreckliche Verschwörungen:

Die Verschwörung der Herren gegen die Diener;

Die Verschwörung der Diener gegen die Herren;

Die Verschwörung der Soldaten gegen ihre Officiere;

Die Verschwörung der untergeordneten Beamten gegen ihre Chefs;

Die Verschwörung des Hofes gegen den König;

Die Verschwörung des Adels gegen sich selbst;

Die Verschwörung der Philosophen gegen den Altar;

Die Verschwörung der Illuminaten gegen die Monarchie;

Die Verschwörung der anderen Nationen gegen Frankreich;

Endlich und hauptsächlich die Verschwörung des Himmels gegen die Erde.

Alle die anderen Verschwörungen waren schon, mehr oder minder groß, ausgebrochen, als diese letzte zum Ausbruche kam.

 

Die Pest trat in Frankreich auf; eine seltsame, unbekannte, neue, bis dahin ungenannte Pest, der das Volk sogleich den Namen der Geißel, welche gerade in der Mode, gab: diese Pest hieß die Brienne.

Sodann, nach dieser Pest ein Hagelschlag im Juli 1788, der wie die rächende Hand des Herrn über ganz Frankreich hinging und das vollendete, was Versailles, Frau von Pompadour, Madame Dubarry, Frau von Coigny, Frau von Polignac, die Herren von Calonne, von Brienne und Lamoignon so gut begonnen hatten.

Die Pest hatte die Krankheit herbeigeführt; doch von der Krankheit geneset man am Ende zuweilen. Der Hagelschlag führte die Hungersnoth herbei, von der man nicht geneset.

Da sah man menschliche Gespenster sich von allen Provinzen wie von eben so viel Nekropolen erheben, herbeikommen und mit ihren abgezehrten Händen an die Thore der Hauptstadt, vom König das Brod fordernd, das ihnen Gott verweigerte, klopfen.

Es war noch viel schlimmer, als der Winter anfing und seinen Schneemantel über die verwüsteten Ernten ausbreitete! das war kein Winter wie die anderen; nein, er erinnerte an jenen entsetzlichen Winter, in welchem die Frau Dauphine und der Dauphin unter Ludwig XV. ihre Wohlthätigkeit geübt hatten, und dann auch an den andern Winter von 1754, wo ganze Tage lang die Verbindung von einer Seite zur andern in den Straßen von Paris abgeschnitten war.

Das Meer gefror, die Häuser spalteten sich; der König ließ alle Waldungen fällen, die er um die Hauptstadt hatte, und schenkte das Holz den erstarrten Personen, um sie wiederzuerwärmen, da er sie nicht nähren konnte.

Dies war die Verschwörung des Himmels gegen die Erde; und man wird zugestehen: sie war so viel werth als eine andere!

Wir haben eine letzte Verschwörung vergessen, welche indessen in erster Linie angeführt zu werden verdient.

Wir haben die Verschwörung der Familie des Königs gegen den König vergessen.

Der Herzog von Orleans hatte in der That diesen Augenblick gewählt, um sich populär zu machen.

Der König hatte Holz denjenigen, welche froren, geben lassen.

Der Herzog von Orleans ließ Brod und Fleisch denjenigen, welche hungerten, reichen.

Brod und Fleisch, das war etwas ganz Anderes als Holz.

Und man bemerke wohl, daß der Herzog von Orleans, der fast ebenso viel Waldungen besaß als der König, seine Brod- und Fleischaustheilungen bei vortrefflichen Feuern machen ließ.

Dabei, – und es ist traurig, einen schlechten Calembour in eine so düstere Politik zu mischen, wie die, welche sich an dem entsetzlichen Datum von 1788 braute, – dabei bildeten die zwei Worte: Du bois25 einen Mannesnamen, der seit dem Cardinal Dubois beim Volke in großer Ungunst stand.

Man spielte auf den Chevalier Dubois an, welcher auf das Volk hatte schießen lassen.

»Der König hat uns Holz (du bois) gegeben,« sagte man, »Dubois hat aber auf das Volk feuern lassen!«

Es brauchte nicht mehr beim armen Ludwig XVI., der unglücklich geboren, um ihm das ganze Verdienst seines Actes der Großmuth zu rauben.

Das war also die Lage der Dinge, als die von uns erzählten Ereignisse kamen, und als in Folge dieser Ereignisse der Graf von Artois Auger verließ.

Von so hoch herabfallend, blieb erlange betäubt; dann schaute er umher, stellte sich wieder auf seine Beine, und er erblickte Nachstehendes, indem er mit den Augen den verschiedenen Kreisen der Gesellschaft folgte, zu deren Mittelpunkt er sich machte, und die sich bis an den Horizont erweiterten, wie es die von einem mitten in einen See geworfenen Steine thun, welche sich bis an den Rand desselben erweitern.

Er sah alle diese von uns genannten Verschwörungen; Verschwörungen unsichtbar für die Mächtigen, welche von zu hoch herabschauen, um die Einzelheiten zu unterscheiden, und denen, weil ihnen die Einzelheiten mangeln, das Ganze entgeht.

Er sah die Clubbs, die Affilirungen, die Brüderschaften.

Er sah die Welt in zwei sehr von einander verschiedene Gesellschaften getheilt: die der Hungerleidenden und die der Fresser.

Er sah, daß, seitdem es ein Volk gab, das Volk hungrig war, ohne je gesättigt worden zu sein.

Er sah, daß, seitdem es Adelige, Steuerpächter und Priester gab, diese immer gegessen hatten, ohne gefüttert zu sein.

Er sah, daß vom Gipfel bis zur Base der ungeheuren Spirale, die mit dem König und der Königin anfängt und mit dem Volke endigt, eine gewaltige Wuth der Bewegung stattfand.

Er sah, daß alle diese Bewegungen viel mehr eigennützig, als verständig waren.

Er sah, daß die Königin sich viel in Bewegung gesetzt hatte, um Figaros Hochzeit zu spielen.

Er sah, daß Herr Necker sich viel in Bewegung gesetzt hatte, um die Reichsstände zu versammeln.

Er sah, daß sich das Volk viel in Bewegung gesetzt hatte, nicht nur um sich zu bewegen, sondern um seiner Thätigkeit ein Ziel zu geben.

Und da der vom König selbst bezeichnete Zweck, da die demnächst stattfindende Versammlung der Reichsstände einen trefflichen Vorwand für die Agitation bot, so sah Auger, daß ein Mann von Geist eine sehr angenehme Beschäftigung in der Wahl der Wähler, welche die Abgeordneten zu den Reichsständen zu wählen bestimmt waren, finden konnte.

Die Situation war wirklich neu; während sie neu war, war sie zugleich groß. Zum ersten Male sollte das Volk, dieses bis dahin unbekannte Wesen, – nicht unbekannt, aber mißkannt —; das Volk sollte feine Befürchtungen ausdrücken, seine Wünsche hörbar machen, seine Rechte reklamieren können. ,

Man hatte noch nicht das allgemeine Wahlrecht der Nation zuerkannt; doch es war schon die Teilnahme an allen öffentlichen Angelegenheiten.

In der That, wenn Sie sich nicht aus die paar Zeilen, die wir hier, die Geschichte so viel, als in unsern Kräften liegt, unter dem Roman verbergend, schreiben, verlassen und die Blicke auf die im ersten Bande des Moniteur von damals enthaltenen Urkunden werfen wollen, so werden Sie sehen, daß die über fünfundzwanzig Jahre alten Steuerpflichtigen die Wähler, welche die Abgeordneten ernannten, wählen sollten. Da aber die Steuer fast Jedermann traf, wenigstens durch das Kopfgeld, so berief man zur Stimmgebung die ganze Bevölkerung, die Dienstboten ausgenommen.

Man berechnete, es können fünf Millionen Menschen an der Wahl Theil nehmen.

Fünf Millionen sehr rührige Franzosen, denn sie waren unter denen genommen, welche über fünfundzwanzig Jahre alt, rührten sich also für diese Wahl.

In diese mehr oder minder gefährlichen Beweglichkeiten stürzte sich Auger blindlings und fing seine Manoeuvres an.

Warum hatten der König und besonders die Königin zur Berufung dieser Comparsen der Monarchie eingewilligt, welche bis auf diesen Tag in den königlichen Tragödien nur eine stumme Rolle gespielt, eine Rolle unter der des antiken Chors, welcher wenigstens seine Freude oder seine Mißgeschicke sang?

Das Volk hatte unter Mazarin auch gesungen, doch man erinnert sich der Worte des italienischen Ministers: es hatte hierfür bezahlt!

Ah! man hielt das Volk nicht für so weit vorgerückt, noch für so tüchtig, als es war.

Die Parlamentäre, welche die Reichsstände verlangten; die Minister, die sie versprachen; Herr Necker, der.sie zusammenberief; der König und die Königin, die diese Zusammenberufung erlaubten, Alles dies glaubte durch die Beschwörung dieser riesigen Masse dem Hofe bange zu machen, – der seinerseits dem König und der Königin bange zu machen anfing, und längst den Ministern und dem Parlamente bange machte.

Wer war dieser Hof? Es war der Adel und die Geistlichkeit, das heißt zwei Körper, welche beständig aus den Kassen des Königthums schöpften, und nie etwas gegen das, was sie daraus nahmen, hineinlegten; so daß die durch sie hervorgebrachte Leere durch das Volk ausgefüllt werden mußte, wie nach einem blutigen Kriege eben dieses Volk die Lücken des Heeres ausfüllte.

Vermöge der Reichsstände würden aber Adelige und Priester verbunden sein, nicht mehr ihren Theil von der Steuer zu nehmen, sondern an der Steuer Theil zu nehmen.

Das war eine kleine Rache, die der König und die Königin sich erlaubten.

Und darum waren dem dritten Stande eben so viel Abgeordnete bewilligt worden, als der Adel und die Geistlichkeit mit einander hatten.

Allerdings hatte der dritte Stand, mehr oder minder zahlreich, immer nur eine Stimme gegen zwei: man gedachte wohl, – und Herr Necker zuerst, – die Abstimmung nach Ordnungen beizubehalten.

Ueberdies würde der dritte Stand, unwissend, ungeschickt, wie er war, keinen andern Weg kennend, als den zum Scherer oder zum Schlächter, zu ehrfurchtsvoll endlich, um Männer von seiner Ordnung zu wählen, Adelige, Priester ernennen, und folglich die Reihen seiner Feinde, das heißt des Adels und der Geistlichkeit, verstärken.

Und dann waren die Adeligen alle Wähler, während im Volke die Wähler gewählt werden mußten.

Ferner sollten die Volksversammlungen mit lauter Stimme wählen, und das Volk würde es nie wagen, – das war wenigstens wahrscheinlich, – laut zu sagen, was es wollte, widerstrebte das, was es wollte, dem, was die Geistlichkeit, der Adel, die Minister, die Königin und der König wollten.

Endlich gehörten von den fünf Millionen Wählern beinahe vier Millionen dem Landvolke an: der demokratische Geist der Städte, – man hoffte es noch, – war nicht in das Landvolk eingedrungen, das vom Adel beherrscht, eingeschüchtert, von der Geistlichkeit unter ihrem Einflusse und in Unterwürfigkeit gehalten wurde.

Hatte nicht die Schweiz den Beweis gegeben, daß das allgemeine Wahlrecht die Stütze der Aristokratie ist?

Herr Necker war, wie man sich erinnert, Schweizer .. . Als Schweizer und Banquier verglich er sein Ministerium mit einer Banque nach einem großen Maßstabe: seiner Ansicht nach war folglich die Schweiz ein kleines Frankreich, oder Frankreich eine große Schweiz,

Menschliche Berechnungen! welche Gott mit einem Worte durch die Stimme dieses Volkes, die Gottes Stimme ist, auslöschen sollte! . . .

LIII
Auger rührt sich

Unter diesen, mehr oder minder gefährlichen, Beweglichkeiten fing also, wie gesagt, Auger seine Manoeuvres an.

Ihm fehlte es auch nicht an einem Vorwande, – und zwar an einem höchst scheinbaren Vorwande.

Bei Réveillon angestellt, sah er seinen Patron von der Begierde, Wähler zu sein, verzehrt.

Réveillon, der Tapetenfabricant, der Typus der ehrgeizigen Bürgerschaft, die dem Adel folgen wollte, aber durchaus nicht wollte, daß das Volk der Bürgerschaft succedire, sah entfernt nicht klar in dem complicirten Räderwerk, das in dieser großen Epoche die Vorsehung sich drehen machte; – und wir sagen die Vorsehung, damit man ein für alle Male wisse, wir substituiren dieses christliche Wort dem heidnischen Worte Verhängniß; doch daran war Réveillon wenig gelegen, und um seine Rolle bei dem Drama zu haben, das man spielte, bewegte er seine Arme und seine Zunge wie die Anderen und sogar mehr als die Anderen.

Er sah nicht, daß nur diesen fünf Millionen Wählern, – eine Zahl, die einer Nation, welche nicht die Gewohnheit der Ausübung ihrer Rechte hatte, fabelhaft erschien, – er sah nicht, sagen wir, daß unter diesen Neuprivilegirten noch viel energischer eine viel zahlreichere, viel thätigere Masse sich bewegte, eine Masse, welche man noch nicht zählte, die aber in dem Augenblicke, wo sie sich selbst zählte, die Revolutionswaage auf ihre Seite sich neigen machte.

Réveillon mit seinem kurzen Gesichte ahnte nicht, es gebe in Frankreich etwas Anderes als den König, die Königin, die Minister, die Adeligen, die Geistlichkeit, die Beamten, den gewählten dritten Stand und den wählenden dritten Stand.

Ein tiefer Irrthum, den er mit vielen Anderen theilte, welche doch darauf Anspruch machten, sie haben ein schärferes Gesicht als der Tapetenhändler, ein Irrthum, der diese Verwandlung der so eben von uns aufgezählten Verschwörungen in Revolution bewerkstelligte.

Auger widmete sich also dem Dienste von Réveillon; da er aber weiter sah als dieser und die von uns erwähnte untere Klasse seinen durchdringenden Augen nicht entging, so richtete es Auger, der nicht mehr a« der wohl gefüllten Raufe des Hofes essen konnte, so ein, daß er an zwei Raufen zugleich aß: an der des Volkes und an der der Bürgerschaft.

Man hätte auch, – wäre man diesem Manne gefolgt bei der seltsamen Verwendung seiner Abende, deren Genuß ihm, nachdem er seine Arbeit um fünf Uhr beendigt, überlassen war, und seiner Nächte, über die er in Folge der Verachtung von Ingénue frei verfügen konnte, – man hätte auch sehen können, sagen wir, wie Auger sich in alle Complotte mischte und sich in allen geheimen Gesellschaften, bei , Illuminaten und Maurern inspirirte; wie er an einem Tage Malouet und Lafayette im Clubb des Palais , Royal, an einem andern Marat im Volksclubb der Rue de Valois hörte, und eine blutige Antwort auf die blutigen Diatriben von Jourdan, bald nachher der Kopfabschneider genannt, und von Fournier dem Americaner gab.

 

Da er die Größe der Ereignisse sah, die sich vorbereiteten und jeden Augenblick zum Ausbruche kommen sollten, so hatte er am Ende Mitleid mit seiner Frau und plagte sie nicht mehr.

Er verachtete besonders den guten Rétif, dessen, wie dieser glaubte, so weit vorgerückten Ansichten, Einsichten und Absichten in der Wirklichkeit von der Wahrheit so weit entfernt waren, wie Auger wußte, daß sie diesem zugleich als die knabenhafteste und als die unfruchtbarste Beschäftigung erschienen.

Der Sturm, der in den unterirdischen Regionen, von welchen wir gesprochen, murrte, erlangte alle Tage eine schrecklichere Bedeutung.

In diesem Augenblicke zum Beispiel, im thätigsten Betriebe begriffen, beschäftigte Réveillon sieben bis achthundert Arbeiter; seine Fabrik gedieh; sein Vermögen nahm zu; wenige Jahre noch hätten für ihn genügt, um sich mit einer sehr beträchtlichen Habe zurückzuziehen

Dieser ehrliche Mann, – Sie wissen, was man im Handel einen ehrlichen Mann nennt? das ist derjenige, welcher die kleinsten Summen verwendend die größten Einnahmen macht, der gewissenhaft zur bestimmten Stunde seine Wechsel bezahlt, und unbarmherzig denjenigen, welcher sie nicht bezahlt, auspfänden läßt; – dieser ehrliche Mann, sagen wir, hatte ein zufriedenes Gewissen: von den untersten Stufen des Volkes ausgegangener Arbeiter, hatte er sich durch seine Thätigkeit und seine Sparsamkeit zu dem Range emporgeschwungen, den er erlangt.

Nach den Traditionen des alten französischen Handels glaubte er alle seine Pflichten als Mensch und als Bürger erfüllt zu haben, wenn er seine Kinder geliebkost.

Dieses väterliche, aber ganz egoistische Ziel hatte Réveillon erreicht.

Nun offenbarte sich ihm aber plötzlich Eines: daß er mit seinem Vermögen ein wenig Ruhm verbinden könnte, und dieser Ruhm, wenn er ihn zu erlangen vermochte, schien ihm der Culminationspunkt der menschlichen Glückseligkeit zu sein.

Denken Sie sich einen Mützenmacher der Rue Rambuteau oder einen Gewürzkrämer der Rue Samt-Denis, welcher in der Zukunft durchaus keinen Grund sieht, daß ihm eine Regierung, so gutmüthig oder so wahnsinnig sie auch sein dürste, je das Kreuz der Ehrenlegion geben sollte, der aber an einem schönen Morgen als Kapitän erwacht und nach einer gewissen Anzahl von Patrouillen, die er bei Nacht gemacht, und Revuen, die er bei Tag passiert, sich sagt, dieses unverhoffte Kreuz der Ehrenlegion könne ihm nicht fehlen, wenn er nur Eifer zur Schau stelle; – so war Réveillon.

Er erblickte in seiner Erwählung zum Wähler, – und hierin gebührte seinem verständigen Geiste bei Weitem der Vorzug vor dem Geiste der beiden so eben von uns angeführten Industriemänner; – er erblickte in semer Erwählung zum Wähler den größten Ruhm, den er je erreichen könnte.

Denn, in der That, er sah so durch die Stimme seiner Mitbürger dem Rufe als ehrlicher Mann, den er sich im Handel erworben, die Weihe geben.

Die Versuchung war so stark, daß sich Réveillon eines Tages Auger eröffnete, wie er sich schon Rétif eröffnet hatte.

Was Santerre betrifft, er hatte die Projecte seines reichen Nachbars leicht errathen.

Ist der Liebhaber hellsehend in Betreff seiner Geliebten, so sieht der Ehrgeizige seinerseits klar in allen ehrgeizigen Bestrebungen, die mit der seinigen rivalisieren.

Réveillon wagte es indessen nicht, die Frage offen in Angriff zu nehmen: er wählte einen Umweg.

»Auger,« sagte er zu seinem Commis, »Sie zahlen alle Samstage aus, nicht wahr?«

»Ja, Herr.«

«Pünktlich? . . . Das ist die Gewohnheit des Hauses.«

»Pünktlich.«

»Was sagen unsere Leute, wenn sie ihr Geld erhalten?«

»Herr, Sie singen das Lob des Patrons, der ihnen durch seine Talente und seine väterliche Verwaltung dieses Glück gemacht hat.«

»Ah! Sie schmeicheln mir, Auger!« sprach Réveillon entzückt im Grunde seines Herzens.

»Ich sage die Wahrheit,« erwiederte Auger, die strenge Kälte von Cato heuchelnd.

»Nun wohl, mein lieber Auger, wenn Sie mir die Wahrheit sagen, so sagen Sie mir dieselbe ganz.«

»Befragen Sie mich.«

»Habe ich Chancen, zum Wahlrechte zu gelangen?«

Auger lächelte.

»Herr,« erwiederte er, »ich arbeite hieran Tag und Nacht.«

Und Auger sondirte mit einem geschickten Blicke den Blick seines Herrn, um zu sehen, welche Wirkung auf ihn seine Erklärung hervorbringe.

»Wie!« rief Réveillon, im höchsten Maße erfreut, »Sie arbeiten an meiner Wahl, Auger?«,

»Das heißt, ich spreche mit Allen zu Ihren Gunsten, ich stehe in Verbindung mit der ganzen Welt, und die Arbeiter haben alle einen mehr oder minder großen Einfluß auf einige Wähler.«

»Und man unterstützt mich?«

»Ja, gewiß; aber . . .«

»Aber? . . .« fragte Réveillon unruhig. »Aber was?«

»Ihre Bekanntschaft ist nicht genug ausgebreitet.«

»Ei! ich bin ein Mann des Hauses, ich lebe in der Familie.«

»Es genügt nicht, die Familientugenden bei den Reichsständen zu repräsentieren; man nimmt an, Sie würden auch einen Familiendeputirten ernennen.«

»Wen müßte man denn ernennen?«

»Ah! Herr, das ist es gerade!« sagte Auger mit einer geheimnißschwangern Zurückhaltung.

»Nun, so sprechen Sie, mein lieber Auger.«

»Herr, das Volk braucht Abgeordnete des Volkes.«

»Was nennen Sie Abgeordnete des Volkes?« fragte Réveillon mit Festigkeit, denn er war sehr auf seine Meinungen versessen, und wir sehen ihn in der Geschichte wenig um Popularität hinsichtlich der Aufstände sich kümmernd erscheinen.

Auger fühlte, daß er zu weit ging; er hatte gehofft, der Ehrgeiz werde die Farbe seines Herrn modificiren.

Réveillon wiederholte seine Frage.

»Nun,« sagte er, »was nennen Sie denn einen Abgeordneten des Volkes? Erklären Sie sich.«

»Herr,« antwortete Auger demüthig, »ich treibe nicht Politik; ich bin nicht Wähler.«

»Nun wohl, ich will Ihnen sagen,« sprach Réveillon sich belebend, »ich will Ihnen sagen, wer meiner Ansicht nach einen vortrefflichen Abgeordneten für die Reichsstände geben würde.«

Hier nahm der wackere Tapetenfabricant eine Rednerstellung an und warf sich in die Brust, als ob er schon auf der Tribune wäre.

»Ich höre ehrfurchtsvoll,« sagte Auger.

»Vor Allem,« begann Réveillon, »vor Allem nenne ich den König meinen Herrn.«

Auger verbeugte sich lächelnd; bis dahin compromittirte sich Réveillon nicht.

»Ich nenne das Gesetz souverainen Gebieter aller Franzosen, und die Constitution, die wir haben werden, nenne ich das Gesetz.«

Auger verbeugte sich abermals.

»Ich will nun,« fuhr Réveillon fort, »daß die Räder, welche diese Haupträder functioniren machen, unterhalten und geachtet werden, wie es sich gebührt. Bei einem großen Volke sollen ein Minister und ein Commis Beide von der französischen Nation leben können, wie meine Leute in der Fabrik arbeitend von mir leben.«

Auger billigte, immer mit seinem schlauen, heimlichem Lachen.

»Was die Priester, was die Adeligen betrifft, ich mache sie zu einfachen Bürgern, wie ich es bin; nur gebe ich zu, daß die Einen, so lange sie in der Kirche sind, Gott vertreten, und nach meiner Ansicht soll man nicht vergessen, daß die Vorfahren der Andern für das Vaterland gestorben sind.«

Neues Lächeln von Auger.

Ermuthigt durch dieses Lächeln, schnaubte der. Redner einen Augenblick, um seiner glühenden Improvisation Zeit zum Erkalten zu lassen.

Bei dieser Gelegenheit schöpfte er auch Athem.

»Was das Volk betrifft,« fuhr er, das Wort mit Bestimmtheit betonend, fort, »das Voll ist Etwas, was eine besondere Definition verdient, und ich will es Ihnen definiren.«

Auger schickte sich an, mit allen Ohren zu hören, denn der Hauptpunkt war dieser.

»Das Volk,« sagte Réveillon, »ist die Materie, welche dazu dient, in einer gegebenen Zeit die Steuerpflichtigen zu machen, wie die Steuerpflichtigen dazu

dienen, die Wähler, und die Wähler, die Deputirten zu machen. Das Volk! das ist nichts, und es ist Alles; doch um dazu zu gelangen, daß es Alles ist, braucht es Jahrhunderte. Glücklicher Weise schlummert das noch! es ist eine unverständige Menge, die man unverständig erhalten muß.«

25Holz.