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XLIX
Sympathie

Christian, war von der Logik des Grafen von Artois betroffen gewesen.

Kaum nach Hause zurückgekehrt, befolgte er auch den Rath des Prinzen.

Er schrieb an Ingénue.

Folgendes ist der Brief des verliebten jungen Mannes:

»Madame,

»Sie müssen mir nothwendig etwas Wichtiges zu sagen haben; ich meinerseits habe Ihnen alle Arten von Geheimnissen mitzutheilen. Sein Sie so gut, wenn meine Bitte einige Macht über Sie hat, und gehen Sie morgen um drei Uhr aus; begeben Sie sich zu den Fiacres, welche am Eingange der Rue Saint-Antoine stationieren, und hier angelangt, wählen Sie einen, in den ich, auf einen Wink von Ihnen, mit Ihnen einsteigen werde.

»Ziehen Sie es vor, daß ich mich unmittelbar zu Ihnen begebe, so steht es Ihnen frei, mich zu empfangen, und ich bin zu Ihrer Verfügung.

»Befehlen Sie, Madame, und erlauben Sie mir, daß ich mich Ihren zärtlichsten und aufrichtigsten Freund nenne.

»Christian, Graf Obinsky«

Christian hatte so eben diesen Brief einem Commissionär mit ausführlichen Instructionen übergeben, , als ein Bote, selbst der Ueberbringer eines Briefes von Ingénue, zu ihm kam.

Der junge Mann öffnete zitternd den Brief und las folgende Zeilen:

»Mein Herr,

»Sie sind nicht einzig und allein in der Absicht, mir Ihr Benehmen, oder das eines Andern zu erklären, zu mir gekommen. Ich bedarf einer festen Stütze, Sie sind ein Mann von Herz: kommen Sie, und rathen Sie mir. Ich werde morgen um zwei Uhr ausgehen und einen Fiacre beim Eingange der , Rue Saint-Antoine nehmen; der Fiacre wird mich scheinbar nach der Rue des Bernardins fahren, in Wirklichkeit werde ich aber im Jardin du Roi anhalten. Finden Sie sich dort bei den Gittern ein. Ich habe mit Ihnen zu sprechen.

Ingénue.

Christian sprang vor Freude; er fühlte den geheimnißvollen Einfluß der Liebe in diesem doppelten Entschlusse, der zwei getrennte Geister beseelte.

Obschon er sicher war, er werde Ingénue am andern Tage sehen, obgleich der Brief von Ingénue für ihn einen Trost und ein Versprechen enthielt, gedachte Christian doch über ihr Wohl zu wachen; denn nach diesem Briefe betrachtete er die junge Frau als ihm gehörend.

Er sing vor Allem damit an, daß er seine Mutter über die. vom Herrn Grafen von Artois befohlene vorgebliche Reise beruhigte. Er erzählte vom huldreichen Wohlwollen des Prinzen und von seinen Anerbietungen für die Zukunft.

Von Ingénue und dem in Angriff genommenen Romane wurde, wohlverstanden, kein Wort gesagt.

Seine Freude war zu groß, als daß er damit an Vorstellungen anstoßen, sie an Commentaren abnutzen wollte: alle Träume, die er in seinem Glücksgeize machte, wollte er für sich allein behalten.

Christian hinterging die Gräfin nicht mehr als über; nur gab sie sich diesmal den Anschein, als , sie nichts ahnte, entschlossen, wie sie es war, mit ihrem Sohne in Subtilitäten zu wetteifern.

Eine Mutter hat das Ueberwachungsrecht, wie sie das Beaufsichtigungsrecht hat: die Ueberwachung dient ihr, um zuvorzukommen; die Beaufsichtigung, um Einhalt zu thun.

Die Gräfin organisierte ein System von Verwahrungsmitteln für ihren Sohn.

Christian ging nach der Rue du Faubourg Saint-Antoine; er wollte das eheliche Leben von Ingénue studieren.

Dieser junge Mann mit der glühenden Einbildungskraft war ein Mensch von so fester Entschlossenheit, daß er bei der geringsten Unwürdigkeit seiner Geliebten seine Liebe geopfert hätte.

Und darum, bevor er sich blindlings in eine Leidenschaft stürzte, deren Tragweite er kannte, weil er sein Herz kannte, lag ihm daran, sich zu über zeugen, der Gegenstand dieser Leidenschaft sei wohl werth, daß man für ihn sterbe.

Christian zog einen grauen Rock an und hüllte sich in einen weiten Mantel; dann stellte er sich aus die Lauer vor der Thüre von Ingénue zur Stunde, wo, wie man weiß, gewöhnlich die Liebhaber und die Ehemänner ihre Verzeihung erhalten.

Auger war ausgegangen; um sieben Uhr kam er wieder nach Hause. Bei seinem Anblicke schlug das Herz von Christian, um seine Brust zu zersprengen. Das Licht ging zuerst zum Vater Rétif, wo es einige Zeit verweilte; Christian errieth, daß ein Gespräch zwischen dem Schwiegervater und dem Schwiegersohne stattfand.

Eben dieses Licht doppelte sich nach Verlauf von einer halben Stunde ab: Auger begab sich mit seinem Handleuchter in das Zimmer seiner Frau.

Diesmal hörte das Herz von Christian auf zu schlagen, sein Athem stockte, seine Augen hefteten sich starr auf das Fenster von Ingénue.

Sogleich nach der Erscheinung des Mannes sah Christian einen Schatten sich erheben.

Dieser Schatten war ohne allen Zweifel Ingénue,

Der andere Schatten, der, welcher so eben gekommen, drückte sich sehr warm aus, – man sah es an den Bewegungen seiner Arme.

Endlich neigte sich dieser Schatten.

Das war offenbar Auger, der sich auf die Kniee geworfen hatte, um Verzeihung zu erflehen.

Christian fühlte in der Brust einen Schmerz, daß er sich nicht enthalten konnte, einen Schrei auszustoßen, der einem Gebrülle glich.

Bei der Demonstration ihres Mannes machte Ingénue eine ungestüme Bewegung, trat ans Fenster und öffnete es. Das Geräusch ihrer Stimme gelangte sodann bis zu Christian; sie sprach energische Worte; der junge Mann hörte zwar nur den Ton derselben, konnte sich aber in ihrem Sinne unmöglich täuschen.

Der Schatten von Auger erhob sich sodann wieder; er machte ein paar ungestüme, drohende Geberden, der Schatten von Ingénue rührte sich aber nicht von dem Fenster, an das er angelehnt war.

Endlich, nach einer Stunde von Verhandlungen, Pantomimen und Verführungsversuchen, verschwand das doppelte Licht wieder aus diesem Zimmer.

Christian empfand etwas wie einen Schrecken, der ihm das Blut in den Adern gerinnen machte.

Hatte man die Lichter ausgelöscht oder weggetragen? sollte ein Friedensvertrag auf die Feindseligkeiten folgen, welche von Ingénue so kalt erduldet, so kräftig zuückgeschlagen worden waren?

Doch das Glück des jungen Mannes war groß, als plötzlich die Gangthüre sich öffnete, und er, sich im Winkel eines Thorweges verbergend, Auger herauskommen sah, der mißtrauisch rings umherschaute. Der Elende ging nach dem Boulevard zu und kam dann wieder zurück, um nach den Fenstern seiner Frau zu sehen und die Straße noch einmal auszukundschaften.

Nach dieser zweiten Forschung verschwand er in der Finsterniß.

Mißtrauisch in seiner Freude, wie er muthig in seinem Schmerze gewesen war, wollte Christian noch eine Stunde warten, um genau zu wissen, woran er sich zu halten habe.

Doch es waren nicht zwanzig Minuten vergangen, da erbleichte die Lampe von Ingénue und verwandelte sich in ein einfaches Nachtlichtchen, dessen bläulicher Schein kaum die Vorhänge und die Scheiben färbte.

Das Kind war zu Bette gegangen; es dankte Gott und entschlief.

Christian richtete an den Himmel seine glühendsten Danksagungen und kehrte zu seiner Mutter zurück, die ihn ungeduldig erwartete.

»Gott sei gelobt!« sagte er zu sich selbst, »ich habe eine zärtliche Freundin und eine muthige Frau, und ich werde nicht allein kämpfen, wenn ich kämpfen muß!«

Er bedurfte des Schlafes, denn er hatte ohne Unterbrechung viele Beschwerden durchgemacht; er entschlief, und sein Schlaf war von sanften Träumen begleitet: es war das erste Mal seit drei Monaten, daß ihm dies begegnete.

Und in diesen Träumen kehrten die abgelegenen, beschatteten Häuser und die geheimen Thüren des Grafen von Artois immer wieder.

Und nun da, Beide rein, Ingénue und Christian jenen sanften Schlaf schlafen, der den Frieden der Seele und die Frische des Gesichtes macht, müßte man vielleicht erfahren, wie der gute Rétif de la Bretonne die Heirath seiner Tochter und die seltsamen Ereignisse, welche die Folge dieser Heirath gewesen waren, aufgenommen hatte.

Man wird zugestehen, wir sind ihm wohl die Ehre einiger Details schuldig.

Kein Vater, sagen wir, trug je so stolz das Haupt in die Kirche, als er hinging, um den Altären eine Jungfrau von seiner Art, ein Muster von seiner moralischen und physischen Erziehung, einen weiblichen Zögling der Philosophie und der Hygiene des Philosophen von Genf vorzustellen.

Bei seiner Rückkehr aus der Kirche nahm er Ingénue beiseit und hielt ihr hinsichtlich ihrer Pflichten als Gattin und Mutter eine lange Rede, welche mehr als einmal auf die Wangen des Mädchens eine lebhafte Röthe brachte. Am Hochzeitabend dichtete er, sehr weich gestimmt durch den guten Wein, Verse, ersann er Kapitel, fand er Hauptinhalte, und er, der sich eine Freude daraus gemacht hatte, zuweilen, als Naturhistoriker, die Geheimnisse des Brautgemachs zu belauschen, er, Rétif, verkürzte eingeschlafen, von Bacchus zu Boden geworfen, Apollo um eines feiner interessantesten Blätter.

Er schlief also ein, und zwar tief genug, um nicht ein Wort von der Scene zu hören, welche zwischen Monseigneur dem Grafen von Artois und Ingénue vorfiel.

In der That, wie hätte er das hören sollen? Als erfahrener Vater, der nicht dem Zufalle der Conflicte das Glück des häuslichen Lebens überlassen will, hatte Rétif zwischen sich und den Neuvermählten eine Mauer errichtet, welche dick genug, daß nichts von dem, was in einem Zimmer geschah oder gesagt wurde, im anderen aufgefaßt werden konnte.

Man hätte, um, selbst am hellen Tage, die Aufmerksamkeit von Rétif zu erregen, mit einem Scheite an diese Wand klopfen müssen, und dies thaten, – wie es sich leicht begreift, – weder Ingénue, noch der Graf von Artois.

Was den Eintritt von Christian betrifft, so war dieser geheimnißvoll und verstohlen gewesen wie der eines Liebhabers; ihn erblickend war Ingénue, wie man sich erinnert, in Ohnmacht gefallen, und der schwache Schrei, den sie ausgestoßen, hatte nicht durch eine achtzehn Zoll dicke Mauer dringen können.

 

Was endlich die Erklärungen betrifft, welche am Morgen zwischen Ingénue und ihrem Manne stattfanden, so waren sie von so ernster Natur, daß sie den beiden Gatten die größte Behutsamkeit in ihren Reden, so lange sie dauerten, das tiefste Stillschweigen, sobald sie beendigt waren, geboten.

Nichtsdestoweniger war das Erstaunen von Rétif groß, als er, nachdem er vorläufig an der Thüre von Ingénue gehorcht und kein Geräusch gehört hatte, bei seiner Tochter Morgens um neun Uhr eintrat und sie auf, angekleidet und allein fand.

Er suchte zuerst, halb als spaßhafter Vater, halb als ausschweifender Historiker, die Spuren der sanften Ermattung, die er in den Zügen von Ingénue zu finden hoffte, und glaubte das, was er suchte, getroffen zu haben, als er die perlmutterartige Blässe, die schwarz befransten Augen und die Veilchen vereinigt mit den Heckenrosen auf den Lippen der jungen Frau wahrnahm.

Dies war wenigstens der Ausdruck, dessen er sich später bediente, und von dem er als gewissenhafter Romanenschreiber gestand, er sei ihm durch die Umstände und die Lage eingegeben worden.

Als Ingénue ihren Vater erblickte, lief sie auf ihn zu und warf sich ihm in die Arme.

In seinen Armen zerfloß sie in Thränen.

»Wie! wie! mein Kind!« sagte Rétif ganz in Folge seiner Ideen, »wir weinen?«

»Oh! mein Vater! mein Vater!« rief Ingénue.

»Nun, nun,« erwiederte Rétif, »das ist vorbei; . . . gut! und nach dem Manne kommt der Vater.«

Ingénue wischte ihre Thränen ab und schaute Rétif ernst an; sie hatte unter den Worten, die er gesprochen, die Absicht eines Scherzes gefühlt, und nichts schien ihr unerträglicher, als ein auf ihren tiefen Schmerz antwortender Spaß.

Da sah ihr Vater, indem er sie schärfer betrachtete, auf ihrem reizenden Gesichte die Spuren einer Traurigkeit, in deren Ursprung man sich unmöglich täuschen konnte; diese Traurigkeit bezeichnete ein grausames Leiden und eine düstere Schlaflosigkeit.

Und weder von einem solchen Leiden, noch von einer solchen Schlaflosigkeit suchte der unzüchtige Verfasser der Paysanne pervertie die Spur.

»Mein Gott! Du bist ganz entstellt, mein Kind!« sagte er.

»Ja, mein Vater, das ist möglich!« antwortete Ingénue.

»Wo ist denn Auger?« fragte Rétif.

Und er schaute rings umher, erstaunt, daß am andern Morgen nach der Hochzeit ein Mann seine Frau so frühzeitig verlassen hatte.

»Herr Auger ist weggegangen,« erwiederte Ingénue.

»Weggegangen? Und wohin?«

»Ei! zu seiner Arbeit, denke ich.«

»Oh! der wüthende Arbeiter!« sagte Rétif, der sich zu beruhigen anfing; »er ruhe wenigstens am Tage aus!«

Ein lustiger Gedanke, den Ingénue nicht verstand, oder den sie vorübergehen ließ, ohne ihm die Ehre zu erweisen, daß sie dabei verweilte.

»Wie!« fuhr Rétif fort, »er frühstückt nicht mit feiner Frau? . . . Oh! oh! oh!«

»Vielleicht wird er frühstücken.«

Alle diese Worte waren von Ingénue mit dem eisigen Tone gesprochen worden, der eine düstere Gemüthsstimmung bezeichnet.

Rétif erschrak immer mehr hierüber.

»Auf, mein Kind,« sprach er, indem er die reizende Statue auf seinen Schooß nahm und sie in seinen Armen und unter seinen Küssen wieder erwärmte, »sage das Deinem Vater: Du scheinst unzufrieden? Lüge nicht!«

»Ich bin es in der That, mein Vater,« antwortete Ingénue.

Rétif versuchte es abermals, an alles andere zu glauben, nur an das nicht, was existirte.

»Ah! ah!« sagte er, fortgerissen durch einen Leitfaden, der ihn, statt ihm den guten Weg zu bezeichnen, immer mehr im Labyrinthe seiner Gedanken irre führte, »ein Verliebter verliert leicht den Kopf, und dann . . .«

Rétif unterbrach sich und ließ ein kleines meckerndes, unzüchtiges Gelächter hören.

»Und dann ist er der Mann! und ein Mann . . . ei! ein Mann hat immer gewisse Rechte, welche die Mädchen in Verwunderung setzen!«

Ingénue blieb kalt, unbeweglich, stumm.

»Also, Ingénue, meine theure Liebe!« fuhr Rétif fort, »das ist abgeschlossen, es findet sich kein Kind mehr hier, und es handelt sich darum, die Ideen und die Geduld einer Frau anzunehmen. Ei! ich weiß nicht, wie ich Dir das sagen soll! wenn ich Deine arme Mutter noch da hätte, wie würdest Du Dein Herz erleichtern! wie würdest Du sehen, daß früher oder später alle Frauen sich hierein schicken müssen! Tröste Dich also, sei wieder stark und lächle mir zu.«

Doch statt sich zu trösten, statt wieder stark zu sein, statt ihrem Vater zuzulächeln, schlug Ingénue ihre schönen, in Thränen gebadeten Augen zum Himmel auf.

»Wie erhaben ist sie so!« rief Rétif. »Welche Schamhaftigkeit! mein Gott! wie schön ist die Schamhaftigkeit! und wie stolz muß dieser Schelm, dieser Auger sein!«

Ingénue stand aber auf, trocknete ihre Thränen und sagte zu ihrem Vater:

»Mein Vater, beschäftigen wir uns mit Ihrem Frühstück.«

»Wie, mit meinem Frühstück? Nun, und das Deinige? und das von Deinem Manne? Frühstückt Ihr denn, oder vielmehr, frühstücken wir nicht mit einander?«

»Ich habe keinen Hunger, und Herr Auger, wenn er Hunger hat, wird wissen, daß er zur Stunde kommen muß.«

»Teufel! wie Du ihn lenkst!«

»Mein Vater, ich bitte Sie inständig, sprechen wir nicht mehr hiervon!«

»Sprechen wir im Gegentheile hiervon! Ingénue, nimm Dich in Acht! Du bist eine verheirathete Frau, und Du bist Deinem Manne Rücksichten schuldig. . .«

»Ich bin weder Frau, noch verheirathet, noch zu Rücksichten gegen Herrn Auger verbunden. Er begnüge sich mit dem, was man ihm geben wird: das wird immerhin genug für ihn sein.«

»Wie?«

»Sie kennen mich, mein Vater, und Sie wissen, daß ich, wenn ich etwas sage, wie dies, das Recht, mehr als das Recht habe, es zu sagen.«

Diese bis zur Grausamkeit getriebene Strenge setzte Rétif in Erstaunen; doch er wußte, daß die Frauen manchmal unbarmherzig gegen diejenigen sind, welche zu viel gewagt, wie gegen die, welche nicht genug gewagt haben.

Man sieht, daß sich Rétif immer in demselben Kreise drehte.

Er kannte die von ihm erzogene Jungfrau hinreichend, um zu wissen, daß ihre Strenge nicht von der zweiten der beiden Beschwerden herrührte; er lächelte in dem Gedanken, sie werde später umgänglicher werden.

Was die Abwesenheit von Auger betrifft, so schrieb er sie dem Aerger zu, den der junge Lebemann darüber empfinde, daß er übermäßig hart vom Brautbette abgewiesen worden^

Und in seinem Innern sagte er:

»Es ist ein Dummkopf, daß er diese wilde Hindin nicht zu zähmen gewußt hat! Oh! wäre ich an seiner Stelle gewesen, Ingénue würde diesen Morgen nicht weinen!«

Und die Zeit seiner Jugend erschien ihm in ihrem ganzen Zauber und in ihrer ganzen Glorie, und er lächelte bei den Träumen der Vergangenheit. Glückliche Zeiten der Seufzer, des Schmachtens auf der Straße, der Küsse von einem Fenster zum andern! glückliche Zeiten der Begegnungen, der Complimente über die Eleganz eines Fußes, des Lächelns zum Danke für eine gut angebrachte Galanterie gespendet! göttliche Zeit der Rendez-vous in der Abenddämmerung, der Promenaden gemacht in Gesellschaft schüchterner Jungfrauen, welche, nachdem sie erröthend und lachend abgegangen, bleich und zärtlich, an dem Arme hängend, den sie zwei Stunden vorher kaum berührt, zurückkommen!«

Alle diese Dinge, die Rétif in seinen Kopf zurückrief, defilirten vor ihm bei der Helle aller der Scheine, die sie erleuchtet hatten, beim Feuer aller der Sonnen, die sie gereift hatten.

Diese Procession von reizenden Gesichtern, von Köpfen mit süßem , herausforderndem Lächeln, von widerspenstigen Füßen, von rebellischen Armen, von kratzenden oder verliebten Händen, nahm für den guten Mann den Raum einer Secunde ein, – glückliche Zeit, wie alle die glücklichen Zeiten, die sich ihm in seinem optischen Glase zeigten.

Und mit einem schweren Seufzer, der nicht traurig genug war, um ihm den Magen zu verstopfen, ging Rétif ins neue Speisezimmer, um mit Ingénue, deren Dienerin das Mahl bereitet hatte, zu frühstücken.

L
Was im Zimmer von Ingénue vorfiel, während Christian auf der Straße lauerte

Beim Frühstück war es still; befangen, sprach Ingénue nichts aufs Gerathewohl. Rétif aß nachdenkend.

Der Tag verging ebenso. Ingénue fing an zu arbeiten, wie sie es als Mädchen that; für Rétif setzte sie ihr früheres Leben fort; für jeden Andern hätte sie sich an ein neues Leben anzuhängen geschienen, so viel Resignation und sanfte Träumerei war in ihr.

Wir wären erstaunt, die Zurückhaltung von Rétif zu sehen, hätte ihm nicht der Gedanke, Auger habe ein wenig mißbraucht, den Mund verschlossen. Er nahm sich vor, seinem Schwiegersohne, sobald er ihn sehen würde, eine väterliche Vorstellung zu machen.

Auger kam, wie man gesehen hat, gegen sieben Uhr Abends nach Hause; seine Abwesenheit am Tage schien Rétif die Folge des kleinen Schmollens am Morgen zu sein; doch der Gott der Ehe, dachte Rétif, bewirkt eben so wohl Aussöhnungen, als der Gott der Liebe.

Der Eine und der Andere, so feindselig sie auch gegen einander sind, gebrauchen dasselbe Mittel; ein einziges aber unfehlbares Mittel.

Der Romanenschreiber zählte auf die Nacht, um diese Versöhnung herbeizuführen.

Sobald Auger anwesend, bemerkte er die demüthige, reuige, ängstliche Miene dieses Schwiegersohnes, der, seiner Ansicht nach, mit der Klage im Munde, die Bitterkeit im Herzen und mit gewissen Velleitäten, den Herrn zu machen, wozu ihm das französische Recht die Befugniß gab, erschienen wäre, hätte er nicht Ingénue gegenüber ein Unrecht gehabt, von dem er wußte, es sei schwer zu vergeben, da er nicht um Vergebung ansuchte.

Mit einem Worte, Rétif erwartete von Auger angegriffen zu werden; doch der gute Mann wußte nicht, von welchem Geheimniß die Schwäche von Auger herrührte.

»Wie! so spät, Vagabund?« sagte Rétif lachend zu Auger. »Sie sind also fern vom ehelichen Dache herumgeschweift?«

»Fern vom ehelichen Dache?« wiederholte leise Auger. »Ei! ich habe Gänge gemacht, welche zu machen Herr Réveillon mir befohlen.«

Sodann ganz leise:

»Sollte Ingénue wirklich ihrem Vater nichts gesagt haben? Das ist unmöglich.«

Und er erwartete mit Bangigkeit einen neuen Angriff.

»Auf, heraus, damit! erzählen Sie Ihren Verdruß, und bekennen Sie Ihre Sünden,« fuhr der Greis fort.

»Weiß er Alles, so nimmt er die Dinge nicht zu schlimm,« sagte der Elende zu sich selbst. »Das ist im Ganzen möglich: diese Pamphletschmierer, welche beständig Moral predigen, sind im Grunde die verdorbensten Menschen der Erde!«

Und er näherte sich, bereit, zu lächeln mit jenem niedrigen, gemeinen Lächeln, das er aus den untersten Stufen des fürstlichen Bedientenvolkes gelernt hatte.

»Sie haben also schon Zwist in der Ehe gehabt, mein Schwiegersohn?« sagte Rétif, die Frage mehr unmittelbar in Angriff nehmend.

»Oh! ich weiß nicht . . .«

»Erröthen Sie nicht. . . Sie haben vielleicht die Grazien geschreckt, Unglücklicher!«

»Ho! ho!« sagte Auger zu sich selbst, »es ist ihm nichts bekannt!«

Und er freute sich hierüber, während er sich zugleich bekümmerte. Der Feige war sehr froh , daß er seine Schlechtigkeiten nicht enthüllt sah; doch die Offenbarung bedrohte ihn immer, und diesen Kelch hätte er gern schon geleert gehabt.

»Wenn ich selbst spräche!« dachte er; »wenn ich die Geschichte auf meine Art erzählen würde!«

Doch er überlegte.

Nein,« sagte er zu sich selbst; »sobald Ingénue nicht gesprochen hat, wird sie auch nicht sprechen; Ingénue wird meinen Grafen von Artois verheimlichen, damit ich ihren Pagen verheimliche: Rhabarber und Genna, die wir uns gegenseitig werden hingehen lassen. Nun wohl, es sei; versuchen wir den Frieden auf diesen Basen.«

Und nachdem er sich vom Vater in Betreff seiner ungestümen Keckheiten, welche die Grazien erschreckt, hatte herunterkanzeln lassen, nachdem er Alles erduldet, was Rétif mit rhetorischen Blumen und Synonymie, mit Allegorien und Anspielungen auf diese unglückliche Hochzeitnacht zu umgeben beliebte, neigte er das Haupt und ging zu seiner Frau.

Sie erwartete ihn; sie hatte ihn kommen sehen.

Er debutirte auf die gute Art; sie antwortete ihm in einer derben Manier.

Auf seine Kniee fallend, sprach er:

»Verzeihen Sie mir! ich bin nicht schuldig. Können Sie mir böse sein, daß ich Drohungen nachgegeben habe? In der Furcht vor den Großen erzogen, glaubte ich, wir seien Alle verloren, wenn Einer der, mächtigen Herren dieses Reiches uns mit seinem Zorne bedecke; der Herr Graf von Artois hat mir anbefohlen, zu handeln, wie ich gehandelt habe; er hat gegen mich das Arsenal seiner Rache entwickelt; er ließ mich die Bastille, den Tod für mich erschauen! das Gefängniß für Sie und für Ihren Vater! er ließ mir die Wahl zwischen der Armuth für unser Dasein und dem Vermögen mit der Freiheit.«

 

Ingénue faltete ihre Lippen unter der tiefsten Verachtung.

Das war ihre einzige Antwort.

»Hegen Sie keinen Groll gegen mich, da Gott Sie gerettet hat!« fuhr Auger fort. »Ich gedachte diesen schändlichen Prinzen in Ihren Armen zu tödten , – doch ich rettete so Ihre Ehre nicht, und ich richtete Ihr Leben, das meine, das von Allen denjenigen, welche Ihnen theuer sind, zu Grunde. Ein peinlicher Proceß folgte auf diesen Mord, die Schande und das Schaffst verschlangen uns Alle. Begreifen Sie, Ingénue: bei meinen, ich gestehe es, von der Furcht eingegebenen Berechnungen erfuhren Sie nie etwas von dem Verbrechen, das Sie hintergangen; der Prinz verschwand, ohne Ihnen bekannt gewesen zu sein; am andern Tage gehörten Sie mir, ohne daß je die Vergangenheit Sie in der Erinnerung betrübt hätte.«

»Genug!« rief Ingénue bebend vor Zorn, »genug! Sie ekeln mich an! Sie glauben Ihr Verbrechen zu mildern, indem Sie die Entschuldigung der Furcht anrufen?«

»Ei! mir scheint. . .«

»Oh! ich wiederhole: schweigen Sie!«

»Ingénue!«

»Ich habe also einen Feigen geheirathet! ich habe vor Gott einen Mann genommen, der, statt mich mit Gefahr seines Lebens zu vertheidigen, wie dies den Ehemännern zu thun von der Schrift eingeschärft ist, mich preisgibt und entehrt, um sein Leben zu retten? Sie sind ein Feiger, und Sie verlangen von mir, daß ich Ihnen vergebe? Nein, weil Sie ein Feiger sind, jage ich Sie fort! weil Sie ein Feiger sind, vergebe ich Ihnen nicht! weil Sie ein Feiger sind, werde ich Ihnen nie vergeben!«

Auger blieb auf den Knieen liegen.

Nur schaute er empor und faltete die Hände.

Doch die Verachtung von Ingénue gegen diesen Menschen schien wo möglich immer mehr zuzunehmen.

»Stehen Sie auf, wenn Sie wollen,« sagte sie; »bleiben Sie am Boden und wälzen Sie sich in Ihrer Schande, wenn es Ihnen beliebt: ich bekümmere mich nichts darum!«

»Gewähren Sie mir wenigstens die Hoffnung!«

»Die Hoffnung auf was?«

»Auf Verzeihung.«

»Nie.«

»Und was wird unser Leben sein?«

»Unser Leben wird das sein, welches wir vor unserer Verheirathung führten.«

»Getrennt!«

»Durchaus.«

»Doch die Welt?«

»Mir gleichviel!«

»Man wird argwohnen . . .«

»Ich werde Alles sagen.«

»Ingénue, Sie würden mich ins Verderben stürzen?«

»Wenn Sie sich mir nähern, ja.«

»Dictiren Sie also . . .«

»Trennung!«

»Doch Ihr Vater?«

»Ich mache mit meinem Vater, was ich will: ich werde meinem Vater sagen, Sie haben mir ein unüberwindliches Grauen eingeflößt, und ich lüge nicht, denn das ist wahr.«

»Und ich, ich werde ihm sagen, Sie haben einen Liebhaber.«

»Sie dürften sich nicht täuschen!«

»Ich bin Ihr Gatte, und ich werde Ihren Liebhaber tödten!«

»Ich werde es so einrichten, daß er Sie tödtet.«

Auger schauerte und wich vor diesen vom Feuer des Zornes und .der Tugend funkelnden Augen zurück.

»Sie würde es thun,« dachte er.

»Sie haben mir also gedroht, Herrn Christian zu tödten oder tödten zu lassen?«

»Er ist also Ihr Liebhaber?«

»Das geht Sie nichts an . . . Haben Sie gedroht, ja oder nein? Seien Sie doch einmal in Ihrem Leben herzhaft.«

»Ich drohe nicht, ich bitte um Gnade!«

»Stehen Sie auf: Sie sind nicht werth, daß ich mir die Mühe nehme, mich zu ärgern.«

»Was werde ich hier thun?«

»Was Sie wollen.«

»Um zu leben?«

»Sie werden bei Tische speisen, wie wir.«

»Um zu wohnen?«

»Es ist oben eine Stube unter den Mansarden der Dienstboten: Sie mögen sie nehmen.«

»Das ist unmöglich!«

»Wollen Sie nicht, so wohnen Sie anderswo.«

»Ich werde hier wohnen, wie das mein Recht ist.«

»Versuchen Sie es! ich klopfe an die Wand und rufe meinen Vater.«

Auger knirschte mit den Zähnen. Doch ohne sich darum zu bekümmern, fuhr Ingénue fort:

»Sie sind wohl auf immer von mir getrennt. Versuchen Sie keinen Ueberfall, versuchen Sie keine Tränke, versuchen Sie keines von Ihren schändlichen Mitteln; denn bei jedem Traume gibt es ein Erwachen, und wach würde ich Sie umbringen wie einen Hund!«

»Wie treuherzig sind Sie!« sagte Auger mit seinem gräßlichen Lächeln des natürlichen Menschen.

»Ja, nicht so? . . . Treuherzig und wahr! Sie sollen den Beweis davon erhalten!«

»Sie jagen mich also fort?«

»Durchaus nicht; Sie haben alle äußere Rechte: hier unter meinem Dache wohnen ist eines.«

»Ich schlage es aus.«

»Wie Sie wollen.«

»Später werde ich überlegt haben . . .«

»Ich auch, doch ich werde mich nicht geändert haben.«

»Leben Sie wohl, Madame.«

»Leben Sie wohl, mein Herr.«

So ging Auger aus dem Hause weg, als ihn Christian von dem Winkel, wo er sich verborgen, sah; so standen die Dinge, als sich Christian nach dem Jardin du Roi wandte, wo im Ingénue ein Rendezvous gegeben.