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»Welche Hoffnung?«

»Daß sie meine Reue und den Umfang meiner Gewissensbisse erfahren werden.«

»Nun denn,« sprach der Pfarrer wie mit einer letzten Bewilligung, »soll ich es Ihnen sagen?«

Oh! mein Vater, da würden Sie mir wirklich das Leben retten!«

»Aber,« fügte der wackere Pfarrer ein wenig verlegen bei, »ich kenne sie nicht, und ich gestehe Ihnen, daß ich mich nicht durch eine lebhafte Sympathie zu Herrn Rétif de la Bretonne hingezogen fühle, Sie begreifen?«

»Vollkommen; aber wenn Sie mir nicht helfen, wer wird mir denn helfen? wenn Sie, der Sie mein entsetzliches Geheimniß kennen, mich nicht erleichtern, so werde ich wohl eine neue Prüfung durchmachen und mich einem Anderen anvertrauen müssen?«

»Oh!« rief der Priester, »hüten Sie sich wohl!«

»Dann,« fuhr Auger fort, »welches Mittel? Sterben ohne Verzeihung!«

»Nun wohl, es sei, ich werde Herrn Rétif besuchen,« sprach der treffliche Pfarrer; »ich werde es da hin bringen, daß er Ihnen verzeiht . . . und dann . . .?«

»Dann, o mein Vater! sind Sie ein Wohlthäter, welchen auf meinen Weg geschickt zu haben ich Gott danken werde! Sie werden der Engel des Guten sein, der in mir den Dämon des Bösen besiegt hat!«

»Gehen Sie im Frieden, mein Sohn!« sagte der Priester mit einer erhabenen Selbstverleugnung, »ich werde thun, was Sie wünschen,«

Auger warf sich vor dem würdigen Manne aus die Kniee, bemächtigte sich seiner Hand, küßte s« gegen seinen Willen, und entfernte sich, die Arme zum Himmel erhebend.

XXX
Rétif und Ingénue verzeihen

Während Auger dem Pfarrer des Kirchspieles Saint-Nicolas-du-Chardonnet beichtete, wünschten sich Rétif und seine Tochter Glück, daß sie gegen den schlimmen Emmissär gesiegt hatten.

Auger entfernt haben war viel; es blieb aber noch Christian zu bekämpfen.

Christian, obgleich fern, schien in der That und mit Recht Rétif der gefährlichere Gegner zu sein.

Christian oder vielmehr der einfache Einfluß von Christian hatte Ingénue gegen Auger bestimmt . Nachdem Auger abgegangen, träumte Ingénue nur noch von Christian.

Wir haben gehört, was sie zu ihrem Vater in Betreff des Besuches gesagt, den dieser von Christian an demselben Tage, oder am andern Tage oder später erwartete.

Dieser Tag verging, der andere Tag verging, und das so scharfe, so geübte Auge von Ingénue sah weder in der Nähe, noch in der Ferne ein Gesicht, eine Tournure, wodurch sie an das Gesicht oder die Tournure von Christian erinnert worden wäre.

Da begann eine Reihe von Raisonnements, die sich die arme Ingénue machte, um den schuldigen Christian zu entschuldigen. Woher konnte seine lange Abwesenheit rühren? War es die falsche Scham, einen andern Namen als den seinen angenommen zu haben? Das dünkte ihr nicht wahrscheinlich. War es die durch Rétif eingeflößte Furcht? Ein schlechter Grund! War es der Aerger, mißhandelt worden zu sein, als man ihn auf frischer That der Lüge ertappt hatte? Er war aber von Rétif mißhandelt worden, und nicht von Ingénue. Was konnte ihm daran liegen! es war Ingénue, die Christian liebte, und nicht Rétif.

Diese Gründe waren übrigens, wenn nicht gut, doch wenigstens – unter Voraussetzung einer großen Nachsicht, – für vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden annehmbar; sie konnten jedoch nicht eine Abwesenheit von zwei, vier, sechs, acht Tagen entschuldigen!

Dahinter war sicherlich ein Räthsel, dessen Auflösungswort Ingénue vergebens suchte.

Während dieser Zeit geschah es, daß Auger angriff und geschlagen wurde; dieser Angriff.von Auger und der Sieg von Rétif dienten Ingénue einen, Augenblick zur Zerstreuung.

Doch nach dem Siege kam die Besorgniß wieder stärker als je, und der Zweifel, dieser Rost der Liebe, sing an sich ihres Herzens zu bemächtigen.

Ingénue fragte sich, ob in der That die Erfahrung der Väter nicht gemacht sei, um die Kinder aufzuklären, und Ingénue bebte bei dem Gedanken, sie könnte genöthig sein, an die Erfahrung von Rétif zu glauben.

Sie bildete sich ein, Christian habe bei ihr nur eine Belustigung gesucht; die Liebe, die er ihr ausgedrückt, sei nichts Anderes als eine Laune gewesen, die er habe befriedigen wollen; mit einem Worte, sie kam dahin, daß sie dachte, Christian, da er zu viel Schwierigkeiten gesehen, um bis zu ihr zu gelangen, habe sich auf eine andere Seite gewandt.

Die von Rétif vorangestellte Macchiavellische Idee, Christian sei nur eine schändliche Mittelsperson zwischen ihr und dem Grafen von Artois, bot sich nicht einmal dem Geiste des Mädchens: diese vom Romanenschreiber, als ein Thätigkeitsmittel, eingeblasene Idee war auf der Stelle durch Alles das, was sich an reinen und edlen Elementen in der Einbildungskraft von Ingénue fand, zurückgewiesen worden und hatte sich in unsichtbaren Dunst ausgelöst.

Eine redliche Einbildungskraft hat stäte, sichere Blicke, deren Tiefe die geschicktesten Combinationen der am weitesten vorgerückten Erfahrungen in Verwirrung bringt und gleichsam aus dem Felde schlägt. Rétif folgte übrigens in dem unschuldigen Herzen von Ingénue dem verzehrenden Gange dieser Ideen. Er> wünschte sich Glück zu einer Melancholie, die, obgleich sie immer mehr zunahm, am Ende auf die Gleichgültigkeit auslaufen mußte.

In Erwartung der Dinge, lebte man traurig im Hause Rétif. Es ist immerhin eine Zerstreuung für einen Mann, auf der Straße angehalten, und für ein Mädchen, entführt zu werden, und hat man keine andere, so fehlt diese sehr.

Mittlerweile ließ sich eines Abends, als der gute Rétif eben von seinem Boden herabstieg, – wo er zum Trocknen auf Schnüren einige frisch gedruckte Blätter von seinen Pariser Nächten aufgehängt hatte, – der wackere Pfarrer Bonhomme, unter dem Passe seines Namens, beim Romanendichter, seinem Nachbar, melden.

Rétif war Philosoph und, wie alle Philosophen jener Zeit, ein wenig Atheist: sein Verkehr mit den Priestern des Quartiers war also etwas äußerst Seltenes, und er stand mit der Kirche nur in Berührung durch seine Tochter Ingénue, welche am Vorabend von jedem der vier großen Festtage des Jahres einem alten Pfarrer des Kirchspieles, dem ehemaligen Gewissensrathe ihrer Mutter, beichtete.

Als er seine Tochter den Pfarrer Bonhomme melden hörte, war es also Rétif erlaubt, zu glauben, es handle sich ganz einfach um ein frommes Werk; er hatte gerade kein Geld und rechnete auf seinen Buchhändler für eine Einnahme von fünfzig Livres.

Er empfing auch den guten Pfarrer auf eine verdrießliche Weise: als hoffärtiger Schriftsteller, den eine indiscrete Bitte auf frischer That der Armuth ertappt hat.

Es war noch viel schlimmer, als der Pfarrer Bonhomme mit einer geheimnisvollen Miene von Rétif eine Unterredung unter vier Augen verlangte.

Dieser ließ ihn nichtsdestoweniger in sein Zimmer eintreten, das zugleich sein Arbeitscabinet und seine Druckerei war; während er aber den Pfarrer vor sich gehen ließ, warf er seiner Tochter, welche im ersten Zimmer geblieben war, einen Seitenblick zu, der besagen wollte: »Sei ruhig: unser Nachbar der Pfarrer der Kirche Saint-Nicolas-du-Chardonnet wird finden, mit wem er spricht.«

Rétif bot dem Pfarrer Bonhomme ein Fauteuil an und setzte sich zu ihm, doch Beide, – und das ist leicht zu errathen, – begannen das Gespräch durch eine gewisse Antipathie in der Entfernung von einander gehalten.

Nach den ersten Worten jedoch verstanden sich der patriotische Pfarrer und der philosophische Romanendichter: Beide, obgleich auf sehr verschiedenen Wegen gehend, strebten nach einem und demselben Ziele hin. Schüttelt der Herbstwind die Bäume eines Waldes, so sieht man mit einander und in demselben Wirbel , die Blätter der Eiche und des Maulbeerfeigenbaumes, der Platane und der Buche rollen.

Man war aber im Herbste, beinahe im Winter des achtzehnten Jahrhunderts, und der Wind der Revolution sing an scharf zu wehen.

Wir bedauern, nicht in der unmerklichen Annäherung, die er zwischen diesen zwei Männern bewerkstelligte, jeden Satz der interessanten Unterredung wiederholen zu können; man würde hierin sehen, mit welcher vollkommenen Herzensgüte der würdige Pfarrer bei Rétif die Sache des unglücklichen Auger, der der Familie in den Tod zuwider, plaidirte.

Die Menschenliebe ist eine Tugend, welche alle andere in sich schließt. Man hat Unrecht, zu sagen der Glaube, die Hoffnung und die Liebe: es ist gewiß, daß in der dritten theologischen Tugend die zwei ersten enthalten sind.

Der Pfarrer, sagen wir, plaidirte für seinen Bußfertigen mit einem so kräftigen Glauben an seine Tugend, daß Rétif sich erschüttert fühlte. Geistreich geworden, so sehr wünschte er, daß es ihm gelingen möchte, faßte der Pfarrer Rétif bei seiner politischen Nuance und zeigte ihm Auger so, wie er ihn selbst gesehen, nämlich als unfreiwilligen, gezwungenen, gegen die aristokratische Tyrannei von tiefem Widerwillen erfüllten Agenten.

Der Pfarrer, wie wir ihn unseren Lesern vorgestellt haben, das heißt als Vorläufer der constitutionellen Pfarrer von 1792, mußte Succeß beim Freunde von Mercier dem Reformator haben.

Er hatte auch.

Die Frage aus diesem Gesichtspunkte betrachtend, fing Rétif an nur den Grafen von Artois ganz absolut zu verfluchen; der Pfarrer, mit seiner gewöhnlichen Menschenfreundlichkeit, ging aber so weit, daß er die Person des Prinzen entschuldigte, indem er seine Schuld von seinem Stande und seiner fürstlichen Erziehung herleitete.

Das Resultat hiervon war, daß am Ende der Unterredung, nachdem er zuerst Auger, sodann den Prinzen angeklagt hatte, Rétif im Ganzen nur noch die Aristokratie anklagte.

Es war nicht mehr Herr Auger, es war nicht mehr der Herr Graf von Artois, der ihm seine Tochter hatte nehmen wollen: es war die Aristokratie.

Nachdem aber die Sache beim Vater gewonnen und plaidirt war, brauchte man einen Schluß.

Dieser Schluß war die Verzeihung.

 

»Verzeihen Sie! verzeihen Sie!« sagte der gute Pfarrer, welcher erzählte, das Leben von Auger schwebe am Faden dieser Verzeihung.

»Ich verzeihe!« sprach Rétif majestätisch.

Der Pfarrer gab einen Freudenschrei von sich.

»Nun lassen Sie uns zu Ingénue gehen und ihr die Sache mittheilen,« fügte Rétif bei: »die Reue ist ein gutes Beispiel für die Jugend. Ein Mädchen, wenn es das Verbrechen entweder bestraft oder bereut sieht, macht sich keinen schlechten Begriff von der göttlichen Gerechtigkeit.«

»Ich liebe diesen Gedanken,« sagte der Pfarrer.

Man ging zu Ingénue. Wie Schwester Anna , stand Ingénue am Fenster, und wie Schwester Anna sah sie nichts kommen.

Rétif berührte Ingénue bei der Schulter; sie wandte sich schauernd um. Als sie ihren Vater und den Pfarrer sah, lächelte sie sodann dem Einen traurig zu, machte dem Andern eine Verneigung und setzte sich wieder an ihren gewöhnlichen Platz.

Rétif erzählte Ingénue die Reue und die Tugenden von Auger.

Ingénue hörte ohne Theilnahme.

Es lag ihr wenig daran, ob Herr Auger ein redlicher oder ein unredlicher Mann war. Ach! sie würde viel gegeben haben, hätte Christian eine Anzahl Verbrechen begangen wie Auger, wären sie sodann nur auf dieselbe Art bereut worden.

»Nun,« fragte Rétif, als seine Erzählung beendigt war, »bist Du zufrieden mit dieser Genugthuung?«

»Ja, allerdings, sehr zufrieden, mein Vater,« antwortete Ingénue maschinenmäßig.

»Verzeihst Du diesem armen Manne?«

»Ich verzeihe ihm.«

»Ah!« rief der Pfarrer im höchsten Maße erfreut, »der Unglückliche wird neu geboren sein! Ihre Großmuth hat dieses schöne Werk vollbracht, Herr Rétif; doch das ist nicht Alles, Sie haben ein noch viel verdienstlicheres Werk zu vollbringen, und Sie werden es vollbringen, dessen bin ich sicher.«

Rétif kam zu seiner ersten Befürchtung zurück.

Er schaute den Pfarrer an, der ihn selbst, das Lächeln auf den Lippen, die Ueberzeugung in den Augen, anschaute.

Er schauerte, denn er glaubte schon die Sammetbörse aus der großen Tasche des Pfarrers hervorkommen zu sehen.

»Oh!« bemerkte er eiligst, um der Bitte, die er befürchtete, zuvorzukommen, »oh! ich glaube, er ist reicher als Sie und ich, Herr Pfarrer.«

»Nun, hierin täuschen Sie sich,« erwiederte dieser. »Er hat die Dinge bis zum Ende gethan: er hat das Geld des Grafen von Artois ausgeschlagen, er hat den Lohn, den dieser ihm schuldig war, im Stiche gelassen; er hat in guten Werken die Ersparnisse verwendet, die er gemacht, der arme Junge! so sehr lag ihm am Herzen, wieder zum ehrlichen Manne zu werden; und in der That, das Geld dieses verdammten Hauses war nichts Anderes als die Belohnung für die schlechten Handlungen, die er verwischen wollte. . .«

»Gleichviel, gleichviel, Herr Pfarrer,« unterbrach Rétif, »Sie werden nichtsdestoweniger zu gestehen, es wäre seltsam, wenn Herr Auger, nachdem er unser Unglück verursacht, Almosen von uns fordern würde.«

»Und sollte er Almosen von Ihnen fordern, Herr Rétif,« erwiederte der brave Mann, »so müßten Sie ihm meiner Ansicht nach als guter Christ geben; mehr noch: dieses Almosen wäre unendlich verdienstlich in den Augen des Herrn, weil Sie dafür angesehen würden, daß Sie es nach Maßgabe des Bösen, das er gethan, gespendet.«

»Aber . . .« murmelte Rétif.

»Doch die Frage liegt nicht hierin,« unterbrach der Pfarrer: »Auger will nichts fordern und verlangt Alles nur von seiner Arbeit; das ist schon ein vollkommen redlicher Mann, und er wird in kurzer Zeit der allerredlichste Mensch sein.«

»Was verlangt er denn?« fragte Rétif sehr beruhigt. »Erklären Sie mir das, Herr Pfarrer.«

»Er ist es nicht, der verlangt, mein lieber Nachbar; ich bin es, der für ihn verlangt.«

»Und was verlangen Sie?« fragte Rétif, indem er sich aufrichtete und seine Daumen sich um einander drehen ließ.

»Ich verlange, was jeder gute Bürger verlangen kann, ohne für seinen Nächsten zu erröthen: Arbeit.«

»Ah! ah!«

»Sie lassen viele Leute arbeiten, Herr Rétif.«

»Nein, ich setze selbst, und dann weiß ich nicht, ob Herr Auger Buchdrucker ist.«

»Er wird Alles sein, um ehrlich zu leben.«

»Teufel! Teufel!«

»Vermögen Sie selbst nichts, so haben Sie wenigstens Bekanntschaften.«

»Ich habe Bekanntschaften,« wiederholte maschinenmäßig Rétif; »wir haben Bekanntschaften, bei Gott! nicht wahr, Ingénue? Allerdings haben wir Bekanntschaften.«

»Ja, mein Vater,« antwortete zerstreut das Mädchen, »wir haben.«

»Suchen wir . . . Wir haben vor Allem Herrn Mercier; doch er ist wie ich, er verwendet Niemand.«

»Teufel! Teufel!« murmelte nun der Pfarrer.

»Aber suche doch, Ingénue!«

Das Mädchen schlug seine schönen blauen, ganz mit Schwermuth beladenen Augen auf.

»Herr Réveillon,« sagte Ingénue.

»Herr Réveillon, der Tapetenfabricant, der eine Manufactur im Faubourg Saint-Antoine hat?« fragte der Abbé Bonhomme.

»Oh! ja, in der That,« rief Rétif.

»Er selbst,« antwortete Ingénue.

»Mademoiselle hat Recht,« sagte der Abbé, »das ist eine vortreffliche Bekanntschaft für das, was uns beschäftigt! Herr Réveillon ist ein Mann, der viele Arbeiter verwendet.« ,

»Wozu taugt denn aber Herr Auger?« fragte Rétif.

»Oh! er hat eine gewisse Bildung erhalten: das ist leicht zu sehen. . . Sprechen Sie also mit Herrn Réveillon und empfehlen Sie ihm denselben mit voller Sicherheit.«

»Das soll noch heute geschehen,« sagte Rétif; »nur . . .«

»Nun, was gibt es noch?« fragte der Abbé Bonhomme mit Besorgniß.

»Nur begreifen Sie, wird das eine traurige Empfehlung bei Herrn Réveillon sein, der Töchter hat . . . denn . . .«

»Denn?«

»Denn ich muß Ihnen sagen, mein lieber Nachbar, gerade Herr Réveillon hatte uns Arbeiter geliehen, um den Mädchenräuber zu züchtigen,«

»Sie werden ihm seine Reue erzählen, lieber Herr Rétif.«

»Diese Fabrikanten sind ungläubige Leute,« entgegnete Rétif den Kopf schüttelnd.

»Kurz, Sie werden ein Opfer der Sittenverderbniß der Großen nicht verlassen!«

Diese Art, die Frage umzudrehen, überredete Rétif vollends: er versprach mit der festen Absicht, zu halten.

Und in der That, er unterließ es nicht.

XXXI
Ein Aristokrat und ein Demokrat des Faubourg Saint-Antoine

Da es schon spät war, als der Abbé Bonhomme von Rétif wegging, und, trotz der Kunde, die er von der Reue von Auger erhalten, der Romanenschreiber sich in der Dunkelheit nicht mit seiner Tochter auf

die Straßen von Paris wagen wollte, so begab sich Rétif erst am andern Tage, gegen Mittag, zum Tapetenhändler, um das am Tage vorher dem Herrn Pfarrer des Kirchspieles Saint-Nicolas-du-Chardonnet geleistete Versprechen auszuführen.

Réveillon hatte große Conferenz mit einem seiner Nachbarn.

Die zwei Töchter von Réveillon bemächtigten sich ihrer Freundin Ingénue und baten Rétif, zu warten, bis Herr Santerre und ihr Vater ihre Unterredung beendigt hätten.

»Santerre der Bierbrauer?« fragte Rétif.

»Ja, Herr Rétif; Sie können sie hören.«

»Teufel! ja; mir scheint sogar, sie schreien sehr laut.«

»Es ist immer so, wenn sie über Politik mit einander reden.«

»Ei! man sollte glauben, sie ärgern sich.«

»Das ist möglich, denn sie sind über nichts derselben Ansicht; da sie aber in Geschäftsverbindung stehen, so entzweien sie sich nie ernstlich, und sie mögen immerhin schreien, wir bekümmern uns nichts darum.«

Rétif behorchte während dieser Zeit, was im Cabinet von Réveillon gesprochen wurde.

»Ah! ah!« murmelte er, »sie sprechen von der Sache von Herrn von Dubois, dem Ritter von der Wache. Das ist in der That Stoff zum Streiten.«

»Er hat wohl gethan,« sagte Réveillon, »und ich finde, er hat sich als braver Soldat und als guter Diener des Königs benommen!«

»Das ist ein Schuft! das ist ein Bösewicht!« rief Santerre: »er hat auf das Volk schießen lassen.«

»Ei! das Volk, das sich empört, ist nicht mehr das Volk,« entgegnete Réveillon.

»Wie! weil Sie reich sind, wollen Sie für sich allein das Recht bewahren, eine Meinung zu haben und sie zu sagen, und weil man arm ist, müßte man Alles erdulden, ohne sich je zu beklagen oder ein wenig zu empören? Gehen Sie doch!«

»Man soll nicht, dem König und dem Gesetze zum Trotze, die öffentliche Ruhe stören, das sage ich.«

»Réveillon! Réveillon!« rief Santerre; »mein Freund, sagen Sie nicht solche Dinge!«

»Ei! soll ich nicht sagen, was ich denke?«

»Nein, besonders nicht vor Ihren Arbeitern.«

»Und warum nicht?«

»Weil sie früher oder später Ihre Tapeten in Brand stecken werden, verstehen Sie?«

»Nun wohl, haben wir an diesem Tage noch das Glück, Herrn Dubois als Ritter von der Wache zu besitzen, so wird er mit ein paar Rotten kommen und auf sie schießen lassen, wie er auf diese ganze Canaille vom Pont-Neuf und von der Place Dauphine schießen ließ.«

»Teufel! Teufel!« murmelte Rétif, »mein Freund Réveillon ist noch weniger von der Bewegung, als ich glaubte, und hätte er sich, wie Ingénue und ich, mitten unter den Flintenschüssen befunden, hätte er die Verwundeten wegtragen sehen, hätte er die Todten gezählt. . .«

Während Réveillon halblaut diese Reflexion machte, schrie Santerre, der nicht der Mann war, um sich das letzte Wort nehmen zu lassen, noch viel lauter, als er es bis dahin gethan.

»Ah! Sie würden Herrn Dubois herbeirufen? ah! Sie würden den Ritter von der Wache holen? ah! Sie würden auf die wehrlosen armen Teufel schießen lassen? Nun wohl! ich erkläre Ihnen, daß beim ersten Schusse meine Arbeiter da wären, um den Ihrigen bewaffneten Beistand zu leisten.«

»Ihre Arbeiter?«

»Ja, und ich an ihrer Spitze, hören Sie?«

»Nun wohl, das werden wir sehen.«

»Das werden Sie sehen.«

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thüre des Cabinets ungestüm und geräuschvoll; Réveillon und Santerre erschienen auf der Schwelle.

Santerre war sehr roth und Réveillon sehr bleich.

Beide stießen gleichsam mit der Nase auf die drei Mädchen, welche sehr besorgt über die Scene, die sie vernommen, und auf Rétif, der sich den Anschein gab, als hätte er nichts gehört.

»Guten Morgen, lieber Herr Rétif,« sagte Réveillon.

»Ah! Herr Rétif de la Bretonne,« rief Santerre, dem Romanenschreiber von der Höhe seiner Athletengestalt zulächelnd.

Rétif verbeugte sich, sehr glücklich, Santerre bekannt zu sein.

»Ein patriotischer Schriftsteller, er!« fuhr der Bierbrauer fort.

Rétif verbeugte sich abermals.

Santerre trat auf ihn zu und drückte ihm die Hand.

Réveillon, der begriff, daß man Alles, was in seinem Cabinet gesagt worden, gehört hatte, grüßte mittlerweile Ingénue mit einer verlegenen Miene.

»Sie haben uns gehört?« fragte Santerre, als ein Mann überzeugt, eine gute Sache vertheidigend, könne er vor Allen wiederholen, was er unter vier Augen gesagt hatte.

»Ei! Sie sprachen laut genug, Herr Santerre,« erwiederte die jüngere von den Töchtern von Réveillon. .

»Das ist wahr,« versetzte Santerre mit seiner plumpen Stimme und seinem plumpen Gelächter, denn er hatte schon wieder alle Erbitterung des Streites verloren; »dieser Teufels-Réveillon ist noch bei Heinrich IV.; er billigt Alles, was die Regierung thut, und erwartet jeden Morgen das Huhn im Topfe.«

»Es ist nicht zu leugnen,« sprach Rétif, der ganz danach strebte, sich vom ersten Augenblicke an mit dem Bierbrauer, einer Person von notorischem Einflusse, mit der er überdies nach seinen Meinungen sympathisierte, zu einigen, »es ist nicht zu leugnen, daß es an jenem Abend bei der Statue von Seiner Majestät König Heinrich IV. heiß zuging.«

»Ah! ah! Sie waren dort, Herr Rétif?« fragte Santerre.

»Ach! ja, Ingénue und ich . . . Nicht wahr, Ingénue? . . . Wir wären sogar beinahe dort geblieben.«

»Nun,« sprach der Bierbrauer , »Sie hören, mein lieber Réveillon, Herr Rétif war mit seiner Tochter dort.«

»Was dann?«

»Herr Rétif und seine Tochter sind weder Canaille, wie Sie vorhin sagten, noch Feinde der öffentlichen Ruhe.«

»Nun, was? . . . sie sind nicht umgekommen! und wären sie umgekommen, mir gleichviel! warum waren sie dort, statt zu Hause zu sein!«

Nur die Gemäßigten sind im Stande, solche grausame Raisonnements zu machen.

»Ho! ho!« rief Santerre mit seinem plumpen, aber logischen Verstande, »Sie werden es am Ende diesen armen Bürgern von Paris zum Vorwurfe machen, daß sie in Paris spazieren gehen? Ei! ei! Meister Réveillon, der Sie Wähler zu werden trachteten, was Teufels! seien Sie ein wenig mehr patriotisch.«

»Eh! alle Wetter!« rief Réveillon zum zweiten Male beim wunden Fleische berührt, – denn hatte man ihn das erste Mal in seinen Interessen bedroht, so war er das zweite Mal in seiner Eitelkeit verletzt worden, »ich bin ein eben so guter Patriot, als irgend Einer in der Welt, mein lieber Santerre; doch ich will keinen Lärmen, weil es mit Lärmen keinen Handel, kein Gewerbe gibt.«

 

»So ist es,« sagte Santerre, »vortrefflich! machen wir eine Revolution, rücken wir aber Niemand von der Stelle und bringen wir in Nichts eine Störung!«

Und er sprach diese Worte mit jenem spöttischen Phlegma, das einen der hervorspringendsten Charaktere des französischen Geistes bildet.

Rétif lachte.

Der Bierbrauer, der sich unterstützt fühlte, wandte sich auf die Seite von Rétif und sagte:

»Ich mache Sie zum Richter, Sie, der Sie dort waren: man behauptet, es seien dreihundert Personen getödtet worden.«

»Warum nicht dreitausend?« erwiederte Réveillon; »eine Nulle mehr oder weniger, – es ist nicht der Mühe werth, dabei zu verweilen.«

Das Gesicht von Santerre nahm einen gewissen Ernst an, dessen man diese gemeine Physiognomie nicht fähig gehalten hätte,

»Setzen wir nur drei,« sagte er. »Ist das Leben von drei Bürgern weniger werth, als die Perrücke von Herrn von Brienne?«

»Gewiß nicht!« murmelte Réveillon.

»Nun wohl,« wiederholte Santerre, »ich sage Ihnen, daß dreihundert Bürger getödtet, und noch viel mehr verwundet worden sind.«

»Gut,« sprach Réveillon, »nun nennen Sie das Bürger! eine Menge Gesindel, das nach der Wohnung vom Chevalier Dubois zog, um zu plündern. Man hat diese Leute niedergeschossen, und daran hat man wohl gethan . . . ich habe es gesagt, und ich wiederhole es.«

»Nun, mein lieber Réveillon, Sie haben zwei oder dreimal statt einmal etwas gesagt, was nicht genau richtig ist: Sie wissen wohl, daß sehr anständige Leute Opfer von diesem Zusammentreffen geworden sind. Nicht wahr, Herr Rétif?«

»Warum fragen Sie das mich?« versetzte Rétif.

»Ei!« erwiederte Santerre naiv, »weil Sie versichert haben, Sie seien dort gewesen.«

Rétif sing an sehr in Verlegenheit zu gerathen über die Wendung, die das Gespräch nahm, und über das Interesse, das sich damit verknüpfte.

»Ah!« fragte eine von den Töchtern von Réveillon, »Sie sagen, es seien Opfer unter den anständigen Leuten gefallen?«

»Bei Gott!« erwiederte Santerre, »warum nicht? Die Kugeln sind blind, und zum Beweise mag dienen: man führt einen . . .«

Rétif begann sehr stark zu husten; Santerre fügte aber bei:

»Man führt vor Allem eine Präsidentenfrau an, welche eine Kugel auf der Stelle getödtet hat.«

»Arme Frau!« rief Mademoiselle Réveillon.

»Man führt einen dicken Tuchhändler der Rue des Bourdonnais an.«

Rétif athmete.

»Man führt . . .«

»Viele, viele ehrliche Leute an!« sagte hastig Rétif.

Santerre war aber nicht der Mann, der sich so das Wort abschneiden ließ.

»Man führt,« sprach er mit schallender Stimme, um den hartnäckigen, trockenen Husten von Rétif zu bedecken, »man führt sogar Aristokraten an.«

»Wahrhaftig?«

»So, zum Beispiel, einen Pagen . . .«

Rétif wurde roth, um lachen zu machen, Ingénue bleich, um bange zu machen.

»Einen Pagen?« fragte sie fast flüsternd.

»Ja, ja, einen Pagen,« erwiederte Santerre, »und zwar vom Herrn Grafen von Artois.«

»Verzeihen Sie, vom Herrn Grafen von Provence!« entgegnete hastig Rétif, in seinen Worten einen von seiner Tochter ausgestoßenen Schrei erstickend.

»Man hat mir gesagt von Artois,« wiederholte Santerre.

»Man hat mir versichert von Provence,« sagte Rétif mit einer großen Anstrengung des Muthes, die er aus der Blässe von Ingénue schöpfte, welche athemlos an den Lippen der zwei Redenden hing und gleichsam bereit war, in Ohnmacht zu fallen oder wiederaufzuleben, je nachdem der Eine oder der Andere mehr Recht zu haben schien.

»Artois oder Provence, gleichviel!« rief endlich Santerre; »immerhin bleibt gewiß, daß dieser junge Page ein wenig Aristokrat ist.«

»Bah! bah! bah!« sprach Réveillon. »Rétif sagt Provence, Santerre sagt Artois, Sie sehen wohl, daß man sich nicht verständigt . . . Ist es denn gewiß, daß es ein Page war?«

»Ei! gerade das ist es! Darüber ist man nicht einmal sicher,« bemerkte Rétif, ganz wiedergestärkt durch die unerwartete Hilfe, die ihm zukam.

»Ho! ho!« rief Santerre, »halt! halt! meine Herren! es ist ein Page und ganz gewiß ein Page.«

»Gut! woher wissen Sie das?« fragte Réveillon.

»Ja, woher wissen Sie das?« wiederholte Rétif, sich an alle Aeste anklammernd.

»Oh! ich weiß das auf eine ganz einfache Art: mein Freund Marat behandelt ihn; man hat ihn nach dem Marstalle von Artois zurückgebracht, und Marat, der höchst menschenfreundlich ist, hat ihm sogar sein Zimmer abgetreten.«

»Aber,« fragte Réveillon, »hat es Ihnen Marat selbst gesagt?«

Was Rétif betrifft, er wagte es nicht mehr, den Mund aufzuthun.

»Nein,« antwortete Santerre, »die Wahrheit vor Allem! nein, nicht Marat, sondern Danton, der es von Marat selbst gehört.«

»Wer ist das, Danton?«

»Ein Advocat beim Cassationshofe. . . Sie werden nicht sagen, dieser gehöre zur Canaille, obschon es ein Patriot ist.«

»Nun wohl, und wenn auch ein Page verwundet worden wäre,« sagte Rétif, der, während er das Ansehen hatte, als wollte er auch sein Wort in die Conversation mischen, seiner Tochter antwortete und nicht Santerre; – »es gibt mehr als hundert Pagen in Paris.«

Ingénue hörte aber nicht, was ihr Vater sprach.

»Verwundet,« flüsterte sie, »er ist nur verwundet!«

Und sie athmete; nur behielten ihre Wangen einen Rest von der Blässe, die sie einen Augenblick überzogen hatte, was den Demoiselles Réveillon nicht entgangen war, – denn die Mädchen bemerken Alles.

»Sie sehen also,« fuhr Santerre fort, »man darf hier nicht kommen und uns sagen, man habe wohl gethan, auf das Volk zu schießen; denn von zwei Dingen eines: entweder ist man Aristokrat, – und Sie hören, daß Mehrere von diesen getroffen worden sind, oder man ist Patriot, – und die Verheerungen sind unstreitig sehr zahlreich in unseren Reihen gewesen!

Das Dilemma war so stark, daß Réveillon nicht antwortete; die Discussion schien also geschlossen; doch aus Furcht, es könnte dies nicht so sein, beeilte sich Rétif, das Gespräch abzulenken und es auf einen andern Weg zu treiben.

»Lieber Herr Réveillon,« sprach er, »ich muß Ihnen doch sagen, warum ich zu Ihnen gekommen bin.«

»Ei!« erwiederte der Tapetenhändler, »ich hoffe wie gewöhnlich, um uns einen Besuch zu machen und mit uns zu Mittag zu speisen.«

»Nein, meine Reise hat heute einen speciellen Zweck; ich will Sie um eine Gefälligkeit bitten.«

»Um eine Gefälligkeit?«

»Sie erinnern sich des schändlichen Hinterhalts, dessen Opfer meine Tochter und ich sicherlich ohne den Beistand Ihrer braven Arbeiter geworden wären?«

»Ja, ja, bei Gott! meine Arbeiter haben sogar einen von diesen schlimmen Aristokraten, von denen Sie vorhin sprachen, mein lieber Santerre, tüchtig geprügelt. . . Erzählen Sie das dem Nachbar, Rétif.«

Das war Rétif ganz willkommen. Er erzählte die Geschichte mit allen Verschönerungen, welche seine Einbildungskraft eines Romanendichters beifügen konnte.

Die Erzählung machte einen lebhaften Eindruck auf Santerre.

»Bravo!« rief er bei der Aufrechnung der Streiche, welche auf die Angreifer geregnet hatten. »Oh! das Volk, wenn es sich einmal darein mischt, schlägt kräftig!«

»Nun wohl, lassen Sie hören, was ist aus Alle dem hervorgegangen?« fragte Réveillon. »Beunruhigt man Sie? Rührt sich der Herr Graf von Artois?«

»Nein,« erwiederte Rétif, »derjenige, welcher sich rührt, ist im Gegentheile der Schuldige.«

»Ei! wenn er sich rührt,« sagte Santerre, auf seine plumpe Weise lachend, »dann kenne ich nur Eines: man muß ihm den Rest geben!«

»Unnöthig,« entgegnete Rétif.

»Wie, unnöthig?«

»Ja, er bereut, und er geht mit Sack und Pack in unser Lager über.«

Und hiernach erzählte Rétif, als Seitenstück zur ersten Geschichte, die ganze Palinodie von Auger.

Er wurde unter einem Stillschweigen voll Sympathie angehört; es war nicht wenig um jene Zeit, die Hingebung eines Menschen wie Auger für das Volk, besonders da er seiner Tugend eines ergebenen Menschen den Titel Ueberläufer beifügte.

Santerre brach in Entzückungen der Freude aus.

»Das ist, bei Gott! ein braver Mann!« sagte er; »welche Reue! wie gut sühnt er sein Vergehen! und wie wird der Prinz wüthend gewesen sein, wenn er dies erfahren hat!«

»Das läßt sich wohl denken,« sprach Rétif.