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XX
Das Haus von Herrn Réveillon, Tapetenhändler im Foubourg Saint-Antoine

Unsere Leser mögen uns erlauben, einen Augenblick die Place Dauphine zu verlassen, wo der Brandhaufen von Herrn von Brienne flammt und ein Geräusch ertönt, das alle Bewohner der Cite auf die Beine gebracht hat, um in einen Theil von Paris zu gehen, in welchem die vollkommenste Stille und ebenso die vollkommenste Dunkelheit herrschen.

Flamme und Getöse werden übrigens dieses Quartier gleichfalls seiner Zeit erleuchten und aufwecken, und ist es einmal aufgeweckt, so wird es für sich allein in ein paar Jahren mehr Getöse und Flammen auswerfen, als seit Empedokles und Plinius dem Aeltern der Aetna und der Vesuv ausgeworfen haben.

Ein Hotel von schönem Ansehen erhob sich in der Rue de Montreuil, im Faubourg Saint-Antoine.

Es war das Eigenthum von Réveillon, dem reichen Tapetenhändler, dessen Name durch die Ereignisse, die sich damit verknüpft haben, ein historischer geworden ist.

In dieser Epoche, wo er noch nicht europäisch, war doch der Name von Herrn Réveillon sehr bekannt im Quartier Saint-Antoine, und sogar in der übrigen Stadt, wegen der sinnreichen Erfindungen von demjenigen, welcher ihn führte, wegen seiner commerciellen Thätigkeit und der Solidität seiner Unterschrift.

Réveillon war in der That Besitzer eines ungeheuren Vermögens, und über fünfhundert in feiner Fabrik verwendete Arbeiter, an denen er durch jeden fünf bis sechs Franken täglich verdiente, unterhielten nicht nur dieses Vermögen, sondern vermehrten es in einer so furchtbaren Progression, daß Niemand sagen konnte, wo dieses Vermögen stille stehen werde.

Man hat viel gesprochen und viel geschrieben über Réveillon; daraus gebt hervor, daß Réveillon sehr bekannt, aber vielleicht schlecht bekannt war.

Wir haben nicht die Anmaßung, Réveillon besser zu kennen, als die anderen Geschichtschreiber, welche von ihm gesprochen; überdies beschäftigen wir uns wenig mit diesen Zufallsreputationen, gemacht durch ein Ereigniß, das sie anhakt und ans Tageslicht zieht, immer sich schämend der Umstände, die sie emporhoben, und jenes Lichtes, das sie mit den Augen blinzeln macht wie eine aufgeschreckte Nachteule, die am Tage aus dem Loche hervorgekommen, welches sie nur bei Nacht zu verlassen pflegte.

Wir werden also von Réveillon nur sagen, was man zu jener Zeit von ihm sagte, oder was man seitdem von ihm gesagt hat.

Réveillon, sagten die Jacobiner, – und hinsichtlich der Jacobiner erlaube man uns hier zu bemerken, daß diejenigen, welche ihre Erscheinung in die Register von 90 oder 91 eingetragen, ihnen einen falschen Geburtsbrief gegeben haben: abgesehen von ihrem von dem Orte, wo sie sich versammelten, entlehnten Namen, bestanden die Jacobiner längst zu der Zeit, wo die Ereignisse vorfielen, die wir erzählen, – Réveillon, sagten also die Jacobiner, war ein harter, herber, geiziger Mann: er hatte vorgeschlagen, den Lohn seiner Arbeiter auf fünfzehn Sous täglich zu reduciren; er war, behaupteten die Führer dieser noch dunklen Partei, einer von. jenen Wucherern bereit, die Theorie der Herren Fleffelles und Berthier in Ausübung zu bringen, welche, als man mit ihnen von der Roth des Volkes sprach, antworteten: »Haben die Pariser kein Brod, so wird man ihnen Gras zu fressen geben; unsere Pferde fressen wohl!«

Die Royalisten und die Gemäßigten hatten dagegen eine ganz andere Idee von dem Tapetenhändler. Er war, sagten sie, ein wackerer Mann, lebend, wie man zu jener Zeit lebte, das Geschäft nehmend, wie er es von seinem Vater erhalten hatte, wenig Oeconomist, wenig Philosoph, wenig Politiker, aber sparsam, vernünftig und moralisch, – lauter Eigenschaften, welche sich im Destillierkolben der Revolutionen in Laster verwandeln.

Réveillon mußte Feinde haben, da er Einfluß hatte. Man betrachtete ihn in der Vorstadt als einen Mann, den man zu schonen hatte. Derjenige, welcher mit einer Geberde tausend Arme in Bewegung setzt, ist nie ein unbedeutender Bürger in den Tagen des Sturms.

An diesem Tage nun, zu welchem wir gelangt sind, einem Sturmtage, wie es nur einen geben konnte, soupirte Herr Réveillon in seinem schönen' Speisezimmer, geschmückt mit Gemälden, deren Copien in gemaltem Papier im Handel waren, während er die Originalien von Malern von einigem Talent gekauft und anständig bezahlt hatte.

Das gute, mehr schwere als elegante Silbergeschirr, das schöne Familientafelzeug, die substantiellen und freigebig gewürzten Gerichte, der gesunde Wein von einer kleinen Meierei in der Touraine bildeten einen angenehmen Schmaus, an dem sechs vortrefflich gesinnte Personen Theil nahmen.

Zuerst Réveillon selbst, dessen Portrait zu malen unnöthig ist, da der Name so viel Werth hat, als ein historisches Portrait; zwei von seinen Kindern und seine Frau, eine vortreffliche Frau; sodann ein fremder Greis und ein Mädchen.

Der Greis war bekleidet mit einem Ueberrocke von einer unbestimmten Farbe, welche einst olivengrün gewesen sein mußte; die Fayon bezeichnete fünfzehn Jahre hinsichtlich des Schnitts; das abgeriebene, fadenscheinige Tuch bezeichnete zwanzig Jahre des wirklichen Gebrauchs.

Das war nicht die Armuth, es war auch nicht die Unreinlichkeit, es war die merkwürdigste Nachlässigkeit, und man kann versichern, daß der Träger dieses Ueberrockes eines gewissen Muthes bedurfte, um ihn auf seinen Schultern, beim hellen Sonnenscheine, in Paris zu zeigen, wenn er am Arme das Mädchen chatte, dessen Portrait wir ebenfalls machen werden, sobald die letzten Lineamente von dem des Greises vollendet sind.

Kehren wir also zu diesem zurück.

Ein langer und schmaler, an den Schläfen sich ausbreitender Kopf, ein lebhaftes Auge, eine lange Nase, ein abgenutzter und cynisch spöttischer Mund, spärliche weiße Haare machten aus diesem Manne einen Greis, obschon er erst vierundfünfzig Jahre alt war.

Man nannte ihn Rétif de la Bretonne, und dieser sehr bekannte, wenn auch damals nicht sehr populäre Name hat sich nicht ganz durch die Reibung der Jahre verwischt, und ist bis zu uns gelangt. Er hatte schon mehr Bände geschrieben, als gewisse Academiker seiner Zeit Zeilen geschrieben hatten.

Sein getreuer Ueberrock, an den er keine dithyrambische Strophen gerichtet, wie es für ihre Kleider gewisse abgeschabte und gutmüthige Dichter unserer Zeit gethan haben, dessen Verdienste er aber dennoch in einem Paragraphe seiner Bekenntnisse gefeiert hat, war der beständige Gegenstand der Bemühungen und Flickereien des zur Linken von Herrn Réveillon sitzenden Mädchens.

Diese reine, frische Jungfrau, eine Blume, die sich im Kiessande einer Druckerei erschlossen, hieß Ingénue: ihr Vater hatte ihr einen Romannamen gegeben; übrigens entgingen schon seit zwanzig Jahren, – was merkwürdig und ein Vorzeichen der politischen und religiösen Umwälzungen war, welche stattfinden sollten, – schon seit zwanzig Jahren, sagen wir, entgingen die Taufnamen dem Einflusse des Kalenders, der bald selbst in einen Katalog von Blumen und Gemüsen verwandelt werden sollte. Dieser Romanname, auf den wir einen besondern Nachdruck legen, und den das Mädchen erhalten hatte, erklärt eine von den Seltsamkeiten des Greifes: er liebte Ingénue weniger als seine Tochter, denn als ein Modell zum Copiren; er widmete ihr weniger eine Zärtlichkeit des Vaters, als eine liebkosende Zuneigung des Schriftstellers.

Uebrigens war die schöne junge Tochter in allen Punkten würdig ihres Namens:20 die jungfräuliche Treuherzigkeit glänzte mild in ihren blauen hervorstehenden Augen. Sie hielt ihren Mund leicht geöffnet durch ein sanftes Lächeln oder ein naives Erstaunen, um, eine entstehende Blüthe, jede Empfindung einzuathmen, die sie der Welt in einem lieblichen süßen Athem zurücksandte! der perlmutterartige Teint, die aschblonden Haare ohne Puder, die reizenden Hände, obwohl ein wenig lang; – Ingénue zählte aber fünfzehn Jahre, und bei den Frauen von diesem Alter haben die Hand und der Fuß ihr ganzes Wachsthum erlangt, – die reizenden Hände, obwohl ein wenig lang, sagen wir, vervollständigten das Gemälde.

Ingénue, mit ihrem jungen und gleichsam nur schüchtern angelegten Leibe, mit ihrer bescheidenen Haltung und ihrem offenherzigen Lächeln, verschönerte das leinene Gewand, das ihr als große Toilette diente. Sie ersetzte den Reichthum dieses Gewebes durch die Eleganz der Form, und so demüthig auch ihre Tracht war, so brauchte es doch, wir wiederholen es, eine große Dosis Muth für Rétif um in Paris mit einem solchen Ueberrocke spazieren zu gehen, neben Ingénue, welche so frisch und so schön in ihrem neuen Gewande.

In dem Augenblicke, wo wir ins Speisezimmer eingetreten sind, trug Rétif die Kosten der Conversation und erzählte den Demoiselles Réveillon moralische Geschichten, die er mit Angriffen auf die Ueberreste eines völlig in Unordnung gebrachten Desserts vermischte, welches Dessert vor seiner Niederlage in schönster Ordnung gewesen sein mußte, denn es war ein Mann von großem Appetit, dieser Meister Rétif de la Bretonne, und seine Zunge that seinen Zähnen keinen Abbruch.

Réveillon, – den die moralischen Geschichten von Rétif de la Bretonne nicht so sehr interessirten, als seine Töchter, und dies vielleicht, weil er, gründlicher unterrichtet als sie, die Moralität des Erzählers kannte, und diese Bekanntschaft den Geschichten viel von ihrer Moralität benahm, – Réveillon entschloß sich, gegen das Ende des Mahles, über Politik mit seinem Gaste zu sprechen.

»Sie, der Sie ein Philosoph sind,« sagte er mit jenem spöttischen Tone, den die Männer des Geldes und der Materie gegen die Männer des Traumes und des Denkens affectiren, »während die Zwiebacke sich verdauen, mein lieber Rétif , erklären Sie mir, warum wir in Frankreich von Tag zu Tag mehr den nationalen Geist verlieren.«

 

Dieser Eingang erschreckte die Damen, welche, nachdem sie die zwei Männer angeschaut hatten, um sich zu versichern, das Gespräch werde dem ihm gegebenen neuen Impulse folgen, aufstanden, Ingénue mitnahmen und in den Garten gingen, um dort einige kleine Spiele zu spielen.

»Entferne Dich nicht, Ingénue,« sagte Rétif ebenfalls aufstehend und die Krümchen vom letzten Zwiebacke, den er gegessen, abschüttelnd, mit welchen Krümchen sein langer und getreuer Ueberrock bestreut war.

»Nein, mein Vater, ich bin zu Ihren Befehlen,« erwiederte das Mädchen.

»Gut!« sprach Rétif , glücklich, daß man ihm gehorchte, wie alle Väter glücklich sind, welche ihre Kinder zu lenken glauben, während sie von ihnen gelenkt werden.

Sodann sich an Réveillon wendend:

»Ein reizendes Kind, nicht wahr, Herr Réveillon? ein Trost meiner alten Jahre, ein Stab meiner letzten Tage, reine Freuden der Vaterschaft!«

Und er schlug die Augen gottselig zum Himmel auf.

»Sie müssen teufelmäßig freudig sein!« sagte hierauf Réveillon mit jener schalkhaften Gutherzigkeit unserer Bürger.

»Und warum dies?« fragte Rétif de la Bretonne.

»Ei!« antwortete Réveillon, »weil man, darf man Ihren Spionen glauben, Herr Faublas, Ihnen wenigstens ein Hundert Kinder zuschreibt.«

Der Roman von Louvet de Couvray, der gerade erschienen und damals in seiner ganzen Vogue war, hatte Réveillon seinen spöttischen Vergleichungspunkt geliefert.

»Rousseau hat wohl die Wahrheit in seinen Bekenntnissen gesagt,« sprach Rétif de la Bretonne, sichtbar in Verlegenheit gebracht durch den Hieb, den ihm der Tapetenhändler gegeben; »warum sollte ich ihm nicht, wenn nicht durch das Talent, doch wenigstens durch den Muth nachahmen?«

Die vier Worte: wenn nicht durch das Talent, wurden mit jenem Tone ausgesprochen, den selbst die Musik, diese große Lügnerin, welche die Prätension hat, sie drücke Alles aus, nicht wiederzugeben vermöchte.

»Nun wohl,« sagte Réveillon, »wenn Sie wirklich hundert Kinder wie Ingénue gehabt haben, so ist das eine hübsche Familie, und ich fordere Sie auf, nicht wenig Papier schwarz zu machen, um sie zu ernähren.«

Réveillon, huldigte ein wenig dem Vorurtheile, – das noch ziemlich von den Journalen unserer Tage, welche Herrn Leclerc21 Herrn Eugene Sue vorzogen, zugelassen war, – das weiße Papier habe mehr Werth, als das beschriebene Papier.

Es ist nicht an uns, die Frage zu beurtheilen, trotz unserer tiefen Bewunderung für die sauberen Blätter.

»Da man aber,« fuhr Réveillon fort, »da man nicht immer Kinder zeugen kann, und Sie überdies, unter uns gesagt, nicht mehr im Alter sind, um Ihre anderen Uebungen zu vernachlässigen wie diese, was machen Sie im gegenwärtigen Augenblicke, mein lieber nächtlicher Zuschauer22

Rétif gab damals unter diesem Titel eine Art von Journal heraus, das ein Seitenstück zu dem Tableau de Paris von Mercier bildete; nur hatten die zwei Freunde das Zifferblatt getheilt: der Eine hatte den Tag genommen, und das war Mercier; der Andere hatte die Nacht genommen, und das war Rétif de la Bretonne.

»Was ich mache?« fragte Rétif , indem er sich in seinen Stuhl zurückwarf.

»Ja.«

»Ich mache den Plan zu einem Buche, das ganz einfach im Stande ist, Paris zu revolutioniren.«

»Ho! ho!« rief Réveillon, auf seine gewaltige Weise lachend, »Paris revolutioniren! die Sache ist nicht leicht!«

»Ei! mein lieber Freund,« entgegnete Rétif de la Bretonne mit jener Vorhersehung, welche nur den Dichtern eigenthümlich ist, »leichter, als Sie glauben . . .«

»Und die Gardes francaises? und die deutschen Regimenter? und die Gardes du corps? und Herr von Biron? und Herr von Bezenval? . . . Glauben Sie mir, mein Lieber, revolutioniren Sie Paris nicht!«

War es Klugheit, war es Geringschätzung, der Verfasser des Pornographen erwiederte nichts auf die Apostrophe, und sagte, die Frage beantwortend, die ihm Réveillon gemacht hatte:

»Sie fragten mich vorhin, warum wir von Tag zu. Tag mehr unsern Patriotismus in Frankreich verlieren?«

»Bei meiner Treue! ja,« sprach Réveillon; »ich bitte, erklären Sie mir das.«

»Nun wohl!« antwortete Rétif , »der Franzose hat sich immer etwas auf seine Häupter eingebildet; er setzt seinen Stolz und sein Vertrauen auf sie. Seit dem Tage, wo er Pharamond auf den Schild erhoben, war es so. Er war groß mit Karl dem Großen, groß mit Hugo Capet, groß mit dem heiligen Ludwig, groß mit Philipp August, groß mit Franz I., mit Heinrich IV., mit Ludwig XIV.! Freilich ist es von Pharamond bis zu Ludwig XVI. weit, Herr Réveillon.«

Réveillon erwiederte lachend:

»Es ist doch ein braver Mann, der arme Ludwig XVI.«

Réveillon zuckte die Achseln auf eine Art, daß er eine Naht von seinem Ueberrocke krachen machte.

»Ein braver Mann! ein braver Mann!« sprach er, »sehen Sie, Sie haben selbst auf die Frage geantwortet, die Sie an mich gestellt. Sagen die Franzosen von ihrem Oberhaupte, er sei ein großer Mann, so haben sie Patriotismus; nennen sie ihn einen braven Mann, so haben sie keinen mehr.«

»Dieser Teufels-Rétif,« rief Réveillon aus vollem Halse lachend, »er hat immer das Wörtchen zum Lachen!«

Réveillon täuschte sich: Rétif lachte nicht, und Rétif sagte dies besonders nicht, um die Anderen lachen zu machen.

Dem zu Folge sich verdüsternd und die Stirne faltend, fuhr er fort:

»Und höre ich auf, vom Könige zu sprechen, gehe ich zu den subalternen Chefs über: sagen Sie mir ein wenig, welche Achtung Sie diesen bewilligen werden?«

»Ah! was das betrifft, lieber Herr Rétif, das ist teufelmäßig wahr.«

»Sagen Sie mir ein wenig, was ein d'Aiguillon war?«

»Oh! d'Aiguillon, an ihm hat man Gerechtigkeit geübt.«

»Ein Maupeou?«

»Ha! ha! ha!«

»Sie lachen?«

»Bei meiner Treue! ja.«

»Nun wohl, diese lächerlichen Minister sind Adler im Vergleiche mit den Brienne und den Lamoignon.«

»Ah! das ist wohl wahr! Doch Sie wissen, daß man Sie entläßt, und daß Herr Necker wieder zu den Geschäften zurückkehrt.«

»Von der Charybdis in die Scylla, Herr Réveillon! von der Charybdis in die Scylla!«

»Ja, ja, zwei Schlünde mit Hundköpfen,« sagte der ehrliche Fabricant auf eines von seinen Bildern deutend, wo mit allen Zuthaten, die sie verschönern, Charybdis, die Rinderdiebin, und Scylla, die Nebenbuhlerin von Circe, dargestellt waren.

Sodann auf das von Rétif ausgesprochene Princip zurückkommend, sagte Réveillon, indem er sich ausstreckte:

»Es ist wirklich wahr, man ist ohne Patriotismus in Frankreich, seitdem man Chefs hat wie die unseren. Ah! ah! hieran habe ich nie gedacht!«

»Das fällt Ihnen auf?« versetzte Rétif , entzückt über sich selbst und über die Fassungskraft von Réveillon.

»Oh! sehr! sehr!«

»Doch dieser auf Sie hervorgebrachte Eindruck, lieber Freund . . .«

»Er ist groß,« unterbrach Réveillon, »in der That sehr groß!«

»Ja, er ist aber nicht rein historisch oder moralisch?«

»Nein! nein!«

»Er ist also persönlich?«

»Nun wohl, ich gestehe es!«

»In wie fern berührt er Sie? Lassen Sie hören.«

»Er berührt mich, in so fern man mich zum Wähler von Paris vorschlägt! Bin ich ernannt . . .«

Réveillon kratzte sich am Ohre.

»Nun, wenn Sie ernannt sind?«

»Bin ich ernannt, so muß ich sprechen, eine Rede halten, ein Glaubensbekenntniß ablegen: es ist ein schöner Gegenstand zum Declamiren, der Ruin des Nationalgeistes in Frankreich, und Ihre Gründe, um die Sache festzustellen, haben mir unendlich gefallen; ich werde mich derselben bedienen.«

»Ah! Teufel!« murmelte Rétif mit einem Seufzer.

»Was haben Sie denn, mein lieber Freund?«

»Nichts! nichts!«

»Doch, Sie haben geseufzt.«

»Nichts, sage ich Ihnen; wenigstens eine Kleinigkeit.«

»Nun?«

»Ich werde wohl einen andern Stoff finden.«

»Stoff wofür?«

»Stoff für eine Brochure.«

»Ah! ah!«

»Ja, ich hatte diesen aufgefaßt, und in Hinsicht dessen nährte ich, wie ich Ihnen gesagt habe, Argumente, welche im Stande waren, Paris zu revolutioniren; da aber Sie, mein lieber Freund, diesen Stoff nehmen . . .«

»Nun?«

»Nun, so werde ich einen andern suchen.«

»Nein,« erwiederte Réveillon, »es ist nicht meine Absicht, Ihnen Nachtheil zu bringen!«

»Ah! bah! eine Kleinigkeit!« versetzte Rétif , sich in seinen Ueberrock drapirend; »ich hätte zwei Blätter hierüber componirt.«

»Warten Sie doch! warten Sie doch . . . Teufel!« sagte Réveillon, sich am Ohre kratzend, »es gäbe vielleicht ein Mittel . . .«

»Ein Mittel, wofür, lieber Herr Réveillon?«

»Wenn Sie wollten . . .«

Réveillon zögerte, Rétif de la Bretonne mit einer bezeichnenden Miene anschauend.

»Wenn ich was wollte?«

»Wenn Sie wollten, wäre Ihre Arbeit nicht verloren, und was sich Gutes hieran fände, wäre für mich gewonnen.«

»Ah!« versetzte Rétif , welcher sehr gut begriff, aber sich den Anschein gab, als begriffe er nicht; »erklären Sie mir doch Ihren Gedanken, lieber Freund.«

»Nun wohl, Sie hätten diese Brochure gemacht,« sagte Réveillon, indem er den Aermel seines schönen Kleides unter den fettigen Aermel des Ueberrockes von Rétif schob, »und sie wäre ausgezeichnet gewesen, wie Alles, was Sie machen.«

»Ich danke,« erwiederte Rétif sich verbeugend.

»Mehr noch,« fuhr der Fabrikant fort . . . »sie würde Ihrer kleinen Börse etwas beigefügt haben . . . Ha! ha! ha!«

Rétif schaute empor.

»Sie hätte Ihren Ruf nicht vergrößert, – das ist unmöglich!«

Rétif verbeugte sich abermals.

»Es ist wahr,« sagte er, »doch das würde meinem Freunde Mercier Vergnügen gemacht haben, und es liegt mir viel daran, ihm zu gefallen, weil er mir sehr hübsche Artikel in seinem Table au de Paris schreibt.«

»Nun, mein lieber Herr Rétif ,« fuhr Réveillon immer freundlicher fort, »Sie werden wieder etwas ersinnen, während ich . . .«

»Nun, Sie?«

»Ich werde nicht leicht einen Gegenstand wie diesen finden, um zu meinen Wählern zu sprechen . . .«

»Ah! das ist wahr . . .«

»Ich mache Ihnen also den Vorschlag . . .« sprach Réveillon.

Hier spitzte Rétif das Ohr.

»Ich mache Ihnen also den Vorschlag, die Brochure vorzubereiten, als wäre es für Sie, das heißt, ein Brouillon davon zu schreiben, und wenn dieses Brouillon fertig ist, es mir abzutreten; ich werde das Publikum ersetzen, das Ihre Arbeit gelesen hätte, und, bei meiner Treue, ich kaufe die ganze Ausgabe und erspare Ihnen zugleich die Kosten des Druckes. Steht Ihnen das an?« sagte Réveillon auf seine reizendste Weise lächelnd.

»Es ist eine Schwierigkeit dabei,« sagte Rstif.

»Bah!«

»Sie wissen nicht, wie ich componire.«

»Nein; componiren Sie anders, als die Anderen, lieber Herr Rétif ; anders, als Herr Rousseau, Herr Voltaire componirten, und Herr d'Alembert oder Herr Diderot componiren?«

»Ei! mein Gott, ja.«

»Wie componiren Sie denn?«

»Ich componire in der That, das heißt, ich bin zugleich der Dichter, der Factor und der Drucker; statt die Feder zu nehmen, halte ich den Winkelhaken, und statt die Buchstaben zu schreiben, welche die Worte und die Zeilen eines Manuskriptes bilden, bediene ich mich sogleich der typographischen Charaktere; kurz, ich drucke, während ich abfasse, so daß mich der Druck nichts kostet, weil ich selbst Drucker bin; und so findet sich mein Gedanke auf der Stelle in Blei gegossen . .. Das ist die Kabel von Minerva, welche ganz bewaffnet aus dem Gehirne von Jupiter hervorkommt.«

»Mit einem Helme und einem Speere,« sagte der Tapetenhändler; »ich habe das an meinem Plafond, gemalt von Seinard, einem artigen Jungen.«

»Glauben Sie nicht, daß ich Sie deshalb zurückweise,« sprach Rétif .

»Sie nehmen also an?«

»Ich nehme das Vergnügen an, Ihnen dieses kleine Geschenk zu machen; doch seien Sie auf Ihrer Hut . . . ist die Sache aus den typographischen Formen ganz componirt. . .«

 

»Nun wohl,« erwiederte Réveillon, der in seiner Begierde, sich die Idee von Rétif de la Bretonne anzueignen, kein Hinderniß mehr kannte, »nun wohl, man zieht ein Exemplar hier ab; ich habe Pressen für meine Tapeten, und an weißem Papier wird es Ihnen nicht fehlen . . .«

»Aber . . .« fing Rétif wieder an einzuwenden.

»Ei!« unterbrach Réveillon, »sagen Sie, daß Sie einwilligen, mehr brauche ich nicht. Ich werde meine Rede haben . . . nicht zulange, lieber Freund, nicht wahr? . . . und Phrasen über die griechischen Republiken; das macht viel Effect in der Vorstadt. Nun zum Geschäfte: sagen Sie, die Hand auf dem Gewissen, lieber Freund, wie viel denken Sie, daß . . .«

»Oh!« versetzte Rétif , »oh! reden wir nicht hiervon.«

»Doch, doch, reden wir hiervon; Geschäfte sind Geschäfte.«

»Nie, ich bitte Sie.«

»Sie würden mich entsetzlich in Verlegenheit bringen, mein Freund.«

»Warum sollte ich das nicht für Sie thun, den ich seit zwanzig Jahren kenne?«

»Sie ehren mich, lieber Herr Rétif ; doch ich werde nicht unter den Bedingungen annehmen, die Sie mir machen, oder die Sie mir vielmehr nicht machen: der Priester lebt vom Altar.«

»Bah!« erwiederte Rétif de la Bretonne, »das Schriftstellerhandwerk hat seine Nichtwerthe.«

Und er fügte einen Seufzer bei, der seine Freigebigkeit verdarb, und eine tragische Geberde, die seinen Ueberrock krachen machte.

Réveillon hielt ihn zurück.

»Hören Sie,« sagte er, »ich handle: das bringt mein Geschäft mit sich, und ich bin gerade reich, weil ich mir diese gute Gewohnheit zu eigen gemacht habe; doch ich werde nie etwas für nichts annehmen. Verlangten Sie von mir eine von meinen Platten gratis, so würde ich es Ihnen abschlagen: Wurst wieder Wurst! Für Ihr geschwärztes Papier gebe ich Ihnen einmal hundert Franken in klingender Münze; sodann die Tapete von einem Zimmer oder einem Cabinet für Sie, und endlich ein hübsches seidenes Kleid für Ingénue.«

Réveillon war so sehr an die Riffe von Rétif gewöhnt, daß er ihm nicht einmal einen andern Ueberrock anbot.

»Topp!« rief Rétif entzückt: »einmal hundert Livres, sodann eine Tapete für mein Cabinet, ferner ein seidenes Kleid für Ingénue . . . Ah! die Tapete mit Figuren, nicht wahr?«

»Die Grazien und die Jahreszeiten, steht das Ihnen an? herrliche nackte Figuren!«

»Teufel!« erwiederte R«tif de la Bretonne, der vor Begierde, in seinem Cabinet die Grazien und die Jahreszeiten zu haben, brannte, »es ist vielleicht ein wenig zu lebhaft für Ingénue, was Sie mir da anbieten!«

»Bah!« versetzte Réveillon, die Lippen ausstreckend, »wir haben nichts, was ein wenig lebhaft wäre, als diesen Schelm, den Herbst, einen sehr hübschen jungen Mann; doch wir werden ihm Weinranken ausschneiden. Was den Frühling betrifft, er ist, Dank sei es seiner Guirlande, sehr decent, und selbst der Sommer mit seiner Sichel mag passiren.«

»Hm!« versetzte Rétif , »seine Sichel . . . man muß sehen . . .«

»Und dann,« fuhr Réveillon fort, »man steckt die Mädchen nicht in Schachteln, mein Lieber! Werden Sie Ingénue nicht eines Tages verheirathen?«

»Sobald ich nur immer kann, mein lieber Herr Réveillon; ich habe sogar einen gewissen Plan hinsichtlich ihrer Aussteuer.«

»Ah! . . . Wir sagen also hundert Livres, die ich Ihnen gegen die Brochure zustellen werde . . .«

Rétif machte eine Bewegung.

»Oh! das ist mercantilisch . . . Hundert Livres, die ich Ihnen gegen die Brochure zustellen werde, ein hübsches seidenes Kleid für Ingénue . . . Madame Réveillon wird das besorgen, und Madame Réveillon macht die Dinge gut; – endlich die Tapete der Grazien und der Jahreszeiten, die ich Ihnen schicke, wann Sie wollen; nur erinnere ich mich Ihrer Adresse nicht mehr, lieber Herr Rétif .«

»Rue des Bernardins, bei der Place aux Veaux.«

»Sehr gut . . . Und das Manuscript?«

»In zwei Tagen.«

»Welch ein Genie!« rief Réveillon, indem er Rétif anschaute und sich die Hände rieb, »zwei Tage! eine Rede, die mich zum Wähler und vielleicht zum Deputirten machen wird!«

»Das ist also eine abgeschlossene Sache,« sagte Rétif . »Doch, wie viel Uhr ist es, lieber Herr Réveillon?«

»Acht Uhr hat es so eben geschlagen.«

»Acht Uhr! Geschwinde, geschwinde . . . Ingénue soll hereinkommen.«

»So bald? . . . Was drängt Sie?«

»Die Zeit, bei Gott!«

»Ei! lassen Sie sie noch eine halbe Stunde mit meinen Töchtern spielen, welche im Garten sind . . . Hören Sie die Mädchen?«

Und da Réveillon die Thüre mit einem väterlichen Lächeln öffnete, so hörte man vor dieser Oeffnung ein Concert von frischen, munteren Stimmen, welche ein Lied im Chore sangen, sich aushauchen.

Das Wetter war mild, die Nelken und die Rosen des Gartens erfüllten die Luft mit Wohlgerüchen; Rétif streckte schwermüthig seinen verwelkten Kopf durch die Thüre und betrachtete diese ganze lustige, muthwillige Jugend, deren Schatten sich, erbleichend, im ersten Nebel des Abends drehten.

Und diese reizenden Mädchengespenster erweckten in ihm die Erinnerungen an seine Jugend, lebhaftere, aber sicherlich minder keusche Erinnerungen: denn man hätte können unter den Geländern, von denen die Blumen und die Trauben herabhingen, seine Augen von einer Flamme glänzen sehen, welche kühnere Mädchen, als unsere weiße, reine Ingénue, würde erschreckt haben.

Unvermuthet ihren Spielen durch die grobe Stimme von Herrn Réveillon, die sie rief, und durch die furchtsamere Stimme von Rétif , der seine profanen Träume abgeschüttelt hatte, entrissen, nahm Ingénue von ihren Gefährtinnen Abschied und umarmte sie zärtlich. Dann warf sie auf ihre bescheiden entblößten, feuchten Schultern ihr Mäntelchen, das von demselben Stoffe wie ihr Kleid, grüßte, noch belebt von der Hitze des Tanzes, Madame Réveillon, die ihr zulächelte, Herrn Réveillon, der sie als Vater aus die Stirne küßte, und stützte endlich ihren runden, schauernden Arm auf den abgeschabten Aermel des väterlichen Ueberrocks.

Man sagte sich mehrere Male Lebewohl, man winkte sich unter den Mädchen: die Väter empfahlen sich die Erinnerung an ihre gegenseitigen Versprechen, wonach Herr Réveillon Rétif die ungewöhnliche Ehre erwies, ihn in Person bis zur Hausthüre zurückzugeleiten.

Hier empfing der würdige Handelsmann die Begrüßungen einer Gruppe von Arbeitern, welche seiner Fabrik angehörten; diese Leute sprachen sehr eifrig mit einander, schwiegen aber auf die Seite tretend, sobald der Patron erschien.

Réveillon erwiederte mit Würde diesen Gruß, der ein wenig zu demüthig war, um nicht geheuchelt zu sein, schlug die Augen zum Himmel auf, um die Atmosphäre zu sehen, die sich gegen Süden mit einer seltsamen, der eines Brandes gleichenden Tinte färbte, machte seinem Freunde Rétif ein letztes liebreiches Zeichen, und ging in sein Haus zurück.

20Ingénue, treuherzig.
21ein Papierfabrikant.
22Le spectateur nocturne.