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Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

»Da beschloß der Kerkermeister, sein Project auszuführen und mich Hungers sterben zu lassen. Er brachte mir zwei Tage nichts zu essen.

»Obgleich das Leben nichts Süßes für mich war, wollte ich doch nicht sterben. Am zweiten Tage, da ich begriff, es sei dies ein gefaßter Entschluß, stieß ich ein Gebrülle aus; ich habe eine starke Stimme, wie Sie gestern beurtheilen konnten; dieses Gebrülle wurde vom Kerkermeister gehört. Da es von Anderen gehört werden konnte und der Kerkermeister, bezichtigt, er überschreite seine Vollmacht, seinen Platz zu verlieren risquirte, so griff er zu einem Mittel, welches, wie Sie sehen werden, seiner Einbildungskraft alle Ehre machte.

»Vor Allem lief er auf mein Geschrei herbei.

»»Was Teufels haben Sie denn? Fragte er mich, indem er meine Thüre öffnete.

»»Bei Gott! Was ich habe!«« antwortete ich; »»ich habe Hunger!««

»Er kam zu mir und gab mir meine Kost.

»»Hören Sie,«« sagte er zu mir, »»es scheint Sie sind müde , mein Gefangener zu sein?««

»»Ich glaube wohl!«« erwiederte ich.

»»Nun, ich bin es nicht minder, Ihr Wächter zu sein.««

»»Wahrhaftig!««

»Ich schaute ihn an.«

»»So daß, wenn Sie vernünftig seien und mir versprechen wollen, sich nicht wieder fangen zu lassen, heute Nacht…««

»»Nun, heute Nacht?««

»»Sie werden frei sein.««

»»Ich?««

»»Ja,Sie!««

»»Und wer wird mir die Freiheit geben?««

»»Habe ich nicht die Schlüssel von Ihren Ketten und von Ihrem Kerker? . . Essen Sie ruhig, und erwarten Sie mich; heute Nacht verlassen Sie die Festung.««

»»Wenn man aber bemerkt, daß ich entwichen bin, wie wird es Ihnen ergehen?««

»»Man wird es nicht bemerken.««

»»Wie werden Sie es also einrichten?««

»»Gut! das ist meine Sache.««

»Und er schloß die Thüre wieder.

»Ich hatte noch großen Hunger, und dennoch schnitt mir diese Kunde den Appetit ab; ich wußte, daß in allen Ländern der Welt die Kerkermeister die Gefangenen in Rechnung haben, und daß ein Gefangener nicht so verschwindet, ohne daß ein wenig Lärm im Gefängniß entsteht.

»Ich wartete also mehr erschrocken, als freudig über das Glück, das mir versprochen war.

»Ich sah den Tag sich neigen, ich sah die Nacht kommen, ich sah die Finsterniß sich verdichten, ich hörte zehn auf der Uhr der Festung schlagen.

»Beinahe in demselben Augenblicke öffnete sich meine Thüre, und ich erblickte den Kerkermeister. Er hatte eine Laterne in seiner linken Hand und trug auf seiner rechten Schulter eine Last, unter deren Gewicht er schwankte.

»Diese Last hatte eine so seltsame Form, daß sich meine Augen auf sie hefteten und sich nicht davon losmachen konnten. Auf fünfzehn Schritte war es ein Sack; auf zehn war es ein Mensch; auf fünf war es ein Leichnam.

»Ich stieß einen Schreckensschrei aus.

»»Was ist das?«« fragte ich meinen Kerkermeister.

»»Ihr Nachfolger,«« antwortete er mir lachend.

»»Wie, mein Nachfolger?««

»»Ja . . . Begreifen Sie, ich habe zwei Gefangene, für die ich besonders Sorge trage; der Eine ist in einem sehr trockenen Kerker, auf einem guten Strohlager; der Andere ist in einem Keller und hat Wasser bis an den Hals. . . Welcher von Beiden muß sterben? . . . Natürlich der, welcher am Schlimmsten ist . . . Ah! ja wohl, die Gefangenen, sie sind gemacht worden, daß die Kerkermeister darüber des Teufels werden! Einer stirbt, das ist derjenige, welchem es gut geht; der Andere lebt hartnäckig, es ist der, welchem es schlecht geht! . . Bei meinem Ehrenworte, das ist nicht mehr zu verstehen! . . . Hier, nehmen Sie Ihren Kameraden.««

»Und er warf mir den Leichnam in die Arme.

»Ich wußte noch nicht, was seine Absicht war; doch ich ahnte unbestimmt, mein Heil beruhe auf diesem Leichname.

»Ich machte eine Anstrengung, und so erschrocken, so schwach ich war, ich hielt ihn in meinen Armen fest.

»»Gut! .. .«« sprach der Kerkermeister. »»Nun suchen Sie Ihr Bein aus dem Wasser zu ziehen . . . das, an welchem eine eiserne Schelle ist.««

»Ich zog mein Bein zurück, indem ich mich, um mich aufrecht zu halten, an einen der Pfeiler anlehnte, welche das Gewölbe trugen.

»Die Operation dauerte lange; das Wasser hatte das Anlegschloß rostig gemacht, so daß das Innere nicht mehr spielen wollte.

»Der Kerkermeister fluchte wie ein Heide und schob die Schuld auf meinen bösen Willen, weil der Schlüssel nicht angriff.

»Endlich öffnete sich der eiserne Reif, der mir seit drei Monaten das Bein zusammenpreßte. Ich hatte den ersten Theil meiner Freiheit wiedererlangt!

»Der zweite Theil war, außer dem Kerker zu sein; der dritte, außer der Festung zu sein.

»»Nun geben Sie mir das Bein vom Anderen,«« sagte der Kerkermeister.

»»Sie wollen ihn also meinen Platz einnehmen lassen?««

»»Bei Gott! Oh! seien Sie unbesorgt! morgen wird man nicht mehr wissen, ob Sie es sind oder er: die Ratten und die Aale werden ein Gerippe aus ihm gemacht haben, und gute Nacht! es wird nur einen Todten gegeben haben, und ich werde von zwei Gefangenen befreit sein . . . Das ist nicht schlecht gespielt, wie?««

»Ich begriff vollkommen, und fand nicht nur, daß es nicht schlecht gespielt, sondern sogar, daß es vortrefflich gespielt war.

»Ich machte ihm aufrichtig mein Compliment zu seiner Erfindung.

»»Gut!«« sagte er, »»glauben Sie, man sei dergestalt Henker seines Leibes? Das war um ein Seitenstechen zu bekommen, wenn man so einmal jeden Tag das Essen zu Ihnen zu bringen hatte.««

»Wenn das, um ein Seitenstechen zu bekommen für den Gefangenwärter war, der einmal täglich in den Kerker ging, beurtheilen Sie, was der Gefangene erwarten mußte, welcher sich den ganzen Tag darin aufhielt! . . . Sie sehen, mein Lieber, was der Gefangene erwarten mußte: das zu werden, was ich bin!« sprach Marat.

Und er schlug ein Gelächter auf.

Danton war nicht leicht für Eindrücke empfänglich, und dennoch schauerte er bei diesem Gelächter von Marat.

XVIII
Zwei verschiedene Arten, zu sehen

»Sobald der Lebende abgefesselt,« fuhr Marat fort, »sobald der Todte an der Stelle des Lebenden gefesselt war, nahm der Kerkermeister wieder feine Laterne und winkte mir, ihm zu folgen. Das that ich von Herzen gern; doch es war für mich eine andere Arbeit, mich auf meinen gelähmten Beinen zu halten.

»Der Kerkermeister sah, wie es mir fast unmöglich war, ihm zu gehorchen.

»»Ho! ho!«« sagte er, »»nehmen Sie sich in Acht: man begräbt hier die Todten im Flusse, der sie ganz sachte ins Meer führt, das uns von ihnen befreit . . . Ich war im Begriffe, den Todten in den Fluß zu werfen: ich könnte wohl den Lebenden hineinwerfen; nach fünf Minuten würde das auf Eins herauskommen.««

»Diese Drohung brachte ihre Wirkung hervor: wie in der Hütte des Piqueur, wie in den Straßen von Warschau, rief ich um mein Herz Alles, was mir an Blut blieb, vereinigte ich mit meinem Willen Alles, was mir an Kräften blieb, und ich schleppte mich auf den Füßen und den Händen, nicht mehr wie ein Mensch, sondern wie ein unreines Thier, hinter meinem Kerkermeister fort.

»Nach einer Menge von Umwegen, welche mich die Posten und die Schildwachen vermeiden zu lassen zum Zwecke hatten, kamen wir zu einem bedeckten Wege; von dem bedeckten Wege erreichten wir die Schlupfpforte; der Kerkermeister öffnete die Thüre, deren Schlüssel er hatte, und wir befanden uns auf dem Niveau des Flusses.

»»Hier!«« sagte mein Führer zu mir.

»»Wie, hier?«« erwiederte ich.

»»Allerdings . . . Fliehen Sie!««

»»Wie soll ich fliehen?««

»»Schwimmend, bei Gott!««

»»Aber ich kann nicht schwimmen!«« rief ich.

»Er machte eine erschreckliche Bewegung, die ich durch eine Geberde hemmte; denn ich sah ein, daß er überdrüßig der Schwierigkeiten, die ich bei Allem fand, um damit zu Ende zu kommen, im Begriffe war, mich in den Fluß zu stoßen.

»»Nein,«« sagte ich, »»nein . . . Ein wenig Geduld! wir werden ein Mittel finden!««

»»Suchen Sie!««

»»Ist kein Boot da?««

»»Sehen Sie!««

»»Ei! ich bemerke eines dort.««

»»Ja, angekettet.. . Haben Sie den Schlüssel? ich habe ihn nicht.««

»»Mein Gott! was ist zu thun?««

»»Man sagt, die Hunde schwimmen, ohne es gelernt zu haben; Sie, der Sie so gut auf allen Vieren gehen, versuchen Sie es; vielleicht können Sie schwimmen, und Sie vermuthen es nicht.««

»»Warten Sie!«« rief ich.

»»Was?««

»»Am Eingange des bedeckten Weges ist ein Zimmerplatz.««

»»Ja.««

»»Auf diesem Zimmerplatze habe ich Balken am Boden liegen sehen.««

»»Gut!««

»»Helfen Sie mir einen von diesen Balken hierher tragen.««

»»Vortrefflich!««

»»Ich werfe den Balken ins Wasser, setze mich darauf, und empfehle mich der Obhut Gottes!««

»Ah!« unterbrach Danton, »Sie sehen wohl, daß Sie an Gott glauben!«

»Ja, hin und wieder, wie Jedermann,« erwiederte Marat; »es ist möglich, daß ich in diesem Augenblicke an ihn geglaubt habe.«

»Sie haben an ihn geglaubt, da er Sie gerettet hat.«

Marat umging die Erörterung.

»Gesagt, gethan: wir holten einen Balken; wir trugen ihn mit großer Mühe, – das heißt er, denn mir schien er nicht schwerer als eine Feder; beim Schlupfthore angelangt, machten wir sodann das Holzstück flott, und ich legte mich die Augen schließend darauf.«

»Sprechen Sie,« sagte Danton, »gestehen Sie, daß Sie sich auch diesmal Gott empfahlen.«

»Ich erinnere mich dessen nicht,« antwortete Marat; »ich entsinne mich nur, daß ich mich allmälig beruhigte; das Wasser des Flusses war vergleichungsweise weniger kalt, als das meines Kerkers; sodann hatte ich den Himmel über meinem Haupte, zu meiner Rechten und zu meiner Linken die Erde, vor mir die Freiheit!

»Die Strömung des Flusses mußte mich nothwendig gegen irgend ein Gebäude oder an den Eingang einer Stadt tragen. Wäre ich ans Land gekommen, so lief ich Gefahr, getroffen, verhaftet zu werden; hätte ich überdies marschiren können? Zu Wasser war es anders: der Fluß marschirte für mich, und zwar ziemlich rasch; ich mußte eine Meile in der Stunde machen!

 

»Indem ich mich auf meinem Balken fortführen ließ, hörte ich elf Uhr schlagen; der Tag kam um sieben Uhr. Kam der Tag, so hatte ich also schon ungefähr acht Meilen gemacht.

»Ich befand mich einen Augenblick mitten in einem Nebel, der nach und nach verschwand. Mir schien, als hörte ich durch diesen Morgendunst Menschenstimmen zu mir dringen. . . So wie die Strömung mich weiter trug, wurden diese Stimmen deutlicher; in dem Momente, wo der Nebel sich aufhellte, erblickte ich in der That Schiffsleute, welche mit dem Zerstücken eines gestrandeten Schiffes beschäftigt waren; hinter ihnen lagen die wenigen Häuser eines dürftigen Dorfes.

»Ich erhob die Stimme, rief um Hilfe und machte Zeichen mit der Hand.

»Die Arbeiter gewahrten mich, setzten einen kleinen Kahn ins Wasser, ruderten zuerst auf mich zu, und dann mir nach, denn mein Balken kam einen Augenblick dem Nachen zuvor.

»Endlich holte man mich ein, und ich ging in den Nachen über.

»Diese ganze Operation, die mich mit Freude hätte erfüllen müssen, verursachte mir eine gewisse Bangigkeit. Ich hatte meine Geschichte ganz fertig, und ich hatte Zeit gehabt, sie zu machen; würde man aber an diese Geschichte glauben?

»Der Zufall bediente mich; keiner von diesen Menschen sprach Lateinisch. Man führte mich zum Pfarrer.

»Ich sah, daß der Augenblick, meine Geschichte der Entführung von Stanislaus anzubringen, gekommen war. Der Pfarrer war ein katholischer Priester: er mußte also eine Handlung billigen, welche zur Verherrlichung der katholischen Religion vollführt worden war.

»Diesmal täuschte ich mich nicht: der Pfarrer nahm mich als einen Märtyrer auf, pflegte mich, behielt mich vierzehn Tage bei sich, und einen Wagen benützend, der Waaren nach Riga führend vorüberkam, empfahl er mich dem Fuhrmann und expedirte mich mit den Waaren.

»Nach einem Marsche von acht Tagen war ich in Riga.

»Die Waaren wurden an einen englischen Kaufmann expedirt, bei dem ich damit anfing, daß ich ihm in seiner eigenen Sprache die glückliche Ankunft seiner ganzen Fracht meldete, welche ziemlich bedeutend, weil der größere Theil davon durch Karavanen angekommener Thee war.

»Bei diesem, der ein Protestant, gingen meine ultrakatholischen Heldenthaten in Warschau nicht mehr als Empfehlung; ich gab mich also ganz einfach als einen Sprachmeister, der nach England zu gelangen wünschte. Ein englisches Schiff lag zur Abfahrt bereit im Hafen; der Kaufmann hatte Interessen bei seiner Ladung; er empfahl mich dem Kapitän. Drei Tage nachher durchfurchte das Schiff die Wogen des Baltischen Meeres; acht Tage nachher ging es in Folkestone vor Anker.

»Ich hatte Briefe von meinem Kaufmanne für Edinburgh. Ich kam in der Hauptstadt Schottlands an und wurde hier Professor der französischen Sprache.

»Mit allen meinen Abenteuern hatte ich mein achtundzwanzigstes Jahr und das Jahr 1772 erreicht. Es war dasselbe Jahr, in welchem sich die Veröffentlichung der Briefe von Junius vollendete; England war in der größten Aufregung. Ich habe im Vorübergehen den entsetzlichen Aufruhr gesehen, der wegen Wilkes stattfand, welcher vom Pamphletschreiber plötzlich Lordmayor und Sherif geworden war; ich fing an ebenfalls zu schreiben und gab in englischer Sprache die Ketten der Sklaverei heraus. Ein Jahr nachher erschien ein nachgelassenes Werk von Helvetius, und ich antwortete darauf durch mein Buch: der Mensch, das ich in Amsterdam veröffentlichte.«

»Stellen Sie nicht in diesem Buche ein neues psychologisches System auf?« fragte Danton.

»Ja; doch ich greife ihn an und vernichte den Ideologen, den man Descartes nennt, wie ich später Newton angriff und vernichtete. Alles dies gab mir indessen kaum um zu leben; von Zeit zu Zeit erhielt ich von einem reichen Engländer oder von einem Fürsten, der meiner Ansicht in der Philosophie war, eine goldene Tabatiere, die ich verkaufte; war aber die Tabatiere verzehrt, so mußte ich aufs Neue betteln. Ich entschloß mich, nach Frankreich zurückzukehren; mein Titel als spiritualistischer Arzt bahnte mir einen Weg zum Hofe; ein Buch über galante Medicin, das ich veröffentlichte, war meine Empfehlung beim Grafen von Artois, und ich trat in sein Haus als Arzt seines Marstalles ein.

»Heute bin ich zweiundvierzig Jahre alt; aufgezehrt von der Arbeit, den Schmerzen, den Leidenschaften und den Nachtwachen, bin ich noch jung an Rache und Hoffnung! Obschon Pferdearzt . . . Arzt ohne Kundschaft . . . muß doch ein Tag kommen, wo Frankreich krank genug sein wird, um sich an mich zu wenden, und, dann seien Sie unbesorgt, werde ich ihm zur Ader lassen, bis es Alles ergossen, was es an Blut von Königen, von Prinzen und von Aristokraten in den Adern hat.

»Das ist es, was ich bin, mein lieber schöner Mann, das heißt in moralischer und physischer Hinsicht mißgestaltet und gepanzert gegen jede Empfindsamkeit. Ich war schön abgereist, ich bin häßlich wiedergekommen; ich war gut abgereist, ich bin böse wiedergekommen; ich war als Philosoph und Monarchist abgereist, ich bin als Spiritualist und Republicaner wiedergekommen.«

»Und wie bringen Sie ihren Spiritualismus mit Ihrer Gottesleugnung in Einklang?«

»Ich leugne Gott nicht als großes Ganzes, als intelligente Universalität die Materie belebend; ich leugne Gott als himmlisches Individuum sich mit den menschlichen Ameisen und den irdischen Milben beschäftigend.«

»Das ist schon Etwas,« sagte Danton. »Und was ist aus Fräulein Obinska geworden?«

»Ich habe nie mehr von ihr reden hören . . . Bürger Danton, findest Du es nun seltsam, daß ich die Prätension, Gedächtniß zu besitzen, zur Schau stelle? Findest Du es seltsam, daß ich sage, die Einbildungskraft des Schriftstellers sei häufig nur Gedächtnis? findest Du es endlich seltsam, daß ich, Einbildungskraft und Gedächtniß in einem befruchtenden Principe vereinigend, einen Roman über Polen schreibe und Sätze zu Ehren des jungen Potocky aufstelle?«

»Bei meiner Treue! nein,« antwortete Danton, »nichts wird mich mehr von Ihnen in Erstaunen setzen, mag ich Sie nun Politik, Physik, Spiritualismus oder Roman machen sehen; ich werde mich aber jedes Mal wundern, so oft ich Sie mir ein so schlechtes Frühstück geben sehe, so oft ich Sie so vertraut mit Ihrer Köchin sehe; und sollte sie Albertine heißen, wie ich Sie die Ihrige, glaube ich, habe nennen hören; doch hauptsächlich werde ich mich wundern, so oft ich Sie mit schmutzigen Händen sehe.«

»Warum dies?« fragte Marat naiv.

»Weil der Mann, der die Ehre gehabt, auf eine so verliebte Art die unvergleichliche Cäcilie Obinska einzuschläfern, sich selbst sein Leben lang achten müßte, wie der Priester den Altar verehrt, auf dem er den Weihrauch feiner Opfer verbrannt hat.«

»Alles das ist kindisch!« entgegnete Marat mit Verachtung den Kopf schüttelnd.

»Es mag sein! doch es ist reinlich, mein Lieber, und die Reinlichkeit, sagen die Italiener, ist eine halbe Tugend; da ich nun gar keine Tugend von Ihnen kenne, so müßten Sie wenigstens diese erwerben.«

»Herr Danton,« erwiederte der ungestalte Zwerg, während er die Brodkrümchen und die Milchtropfen abschüttelte, die seinen alten Schlafrock besprenkelten, »will man das Volk lenken, so muß man sich fürchten, zu weiße Hände zu haben.«

»Ei!« rief Danton die Achseln zuckend, »was liegt an der Weiße der Hände, wenn es nur solide Hände sind! . . . Schauen Sie die meinen an!«

Und er hielt Marat. unter die Nase ein Paar von jenen sehr weißen und dicken, kräftigen Patschen, die das Volk in seiner gerechten und pittoresken Sprache Hammelsbüge nennt.

So geringschätzig Marat hinsichtlich der natürlichen Vorzüge war, er konnte doch nicht umhin, zu bewundern.

»Im Ganzen hast Du mich interessiert, Bürger Marat,« sagte Danton; »Du bist ein Gelehrter und ein Beobachter. Ich werde Dich also, wenn Du willst, nehmen wie einen Bären, den man vor der Thüre der Marktbuden zeigt. Deine physische Erscheinung wird die Aufmerksamkeit der Menge vorbereiten. An großen Festtagen wirst Du dem Publicum Obinsky und Obinska erzählen; wir werden einen Tempel dem Piqueur und einen Altar dem Kerkermeister errichten vor Allem mußt Du aber die kleine Bude verlassen, die Du hier inne hast: der Platz ist Deiner nicht würdig, und das Schild ist schlecht. Ein Republicaner, wie wir, im Marstalle von Artois wohnen! ein Fabricius im Register der Gehalte der Dienerschaft aufgeführt sein! ein Arzt, der Frankreich, so viel als nur immer möglich, Blut abzapfen will, mittlerweile mit seiner Lancette die Halsader der prinzlichen Pferde stechen, pfui! das compromittirt!«

»Sie sind gut daran mit Ihren Rathschlägen,« sagte Marat; »Sie mißgönnen mir mein unglückliches Plätzchen in der Sonne; Sie mißgönnen mir meinen armen Kaffee am Morgen, und Sie stopfen sich mit Diners zu fünfzig Louis d'or voll. Ich nähre mich ein Jahr mit dem, was Sie gestern in einer Stunde verschlungen haben.«

»Verzeiht, verzeiht', Meister Diogenes,« erwiederte Danton, »mir scheint, Ihr seid undankbar.«

»Die Undankbarkeit ist die Unabhängigkeit des Herzens,« versetzte Danton.

»Wohl! doch es handelt sich hier nicht um das Herz.«

»Um was denn?«

»Um den Magen! das Mahl war gut; warum übel davon sprechen? sollte es schon verdaut sein?«

»Ich spreche übel davon,« antwortete Marat, »weil es, so gut es war, schon verdaut ist und mir Appetit für heute gelassen hat; weil das Diner mit dem Golde der Prinzen bezahlt wurde, wie meine dreihundert und fünfundsechzig elende Mahle mit den Sous ebenderselben Prinzen bezahlt werden; Gold oder Kupfer, Fasan oder Ochsenfleisch, das ist, wie mir scheint, immer Corruption!«

»Aristides vergißt, daß die vom Abbé Roy, im Namen der Prinzen, gegebenen fünfzig Louis d'or der Preis einer Consultation waren.«

»Und meine zwölfhundert Livres sind nicht auch der Preis meiner Consultationen? . . . Nur geben Sie Consultationen für die Prinzen, und ich gebe für ihre Pferde. Bilden Sie sich zufällig ein, Ihr Verdienst stehe zu dem meinigen im Verhältniß von einer Stunde zu dreihundert und fünfundsechzig Tagen?«

Diese Worte sprechend, schwoll der Zwerg vor Zorn und Neid auf; die Galle entzündete sich wie ein Phosphor in seinen Augen; der Schaum stieg ihm aus seine blaurothen Lippen.

»Nun, nun,« sagte Danton, »sachte! Du hast mir gestanden, Du seist böse: gib Dir nicht die Mühe, es mir zu beweisen, mein lieber Potocky! Machen wir Frieden!«

Marat brummte wie eine Dogge, der man ihren Knochen zurückgibt.

»Vor Allem beharre ich bei dem Gesagten,« fuhr Danton fort: »ich werde nicht dulden, daß Du länger hier wohnst; Du spielst eine gemeine Rolle, Freund Marat . . . Oh! ärgere Dich wieder, wenn Du willst; aber höre! Ein Mann wie Du muß nicht das Brod der Tyrannen essen, nachdem er von ihnen alle die hübschen Dinge gesagt hat, die ich Dich gestern im Clubbe habe sagen hören. Sehen wir ein wenig: nimm an, dieser junge Mann, Dein Herr . . . gut! Marat hat keinen Herrn? es sei! Dein Patron; streiten wir nicht über die Worte; nimm an, der Graf von Artois lese Deine kleine Rede über die Rechte des Menschen, nimm an, er lasse Dich kommen, und sage zu Dir: »»Herr Marat, was haben Ihnen meine Pferde gethan, daß Sie mich so schlecht behandeln?«« Was würdest Du antworten? Sprich.«

»Ich würde antworten . . .«

»Du würdest eine Dummheit antworten; denn ich fordere Dich auf, etwas Geistreiches auf eine solche Interpellation zu erwiedern! eine Dummheit, die das Unrecht auf Deine Seite brächte und Deine Laufbahn verderben würde, weil, man immer mit einer Dummheit dem Manne von Geist antwortet, der Recht hat. Du stehst also, um die schöne Rolle zu behalten, um Dich Fabricius Marat zu nennen und Deinem Pathen nicht Abbruch zu thun, mußt Du den königlichen Fleischtopf umwerfen, das vergoldete Täfelwerk verlassen, und man muß Dich einen heroischen Hungerleider nennen; sonst bist Du kein Republicaner, und ich glaube weder mehr an Obinsky, noch an Obinska; richte Dich hiernach.«

Danton punktirte diesen Scherz mit einem ungeheuren Gelächter und mit einem freundschaftlichen Tapps, unter welchem Marat ganz zusammenstürzte.

»Es ist Wahres in Allem dem, was Du da sagst,« murmelte Marat, indem er sich seine Schulter rieb; »ja, man ist sich dem Vaterlande schuldig: erfahre aber meine Meinung über Dich, Danton; Du imponierst mir nicht durch Dich selbst', ich nehme Deine Moral an und verwerfe Dein Beispiel; Du gehörst zu denjenigen, welche Jesus übertünchte Gräber nannte, und von denen Juvenal schrieb:

 

»Qui Curios simulant, et bacchanalia vivunt; Du bist nur ein falscher Curius, ein Patriot mit Trüffeln.«

»Ei! den Henker!« rief der Coloß, »glaubst Du denn, Gott habe den Elephanten gemacht, daß er von einem Reiskorne lebe? Nein, mein Lieber, der Elephant ist eine höhere Intelligenz, welche bei einem einzigen Mahle verzehrt, was einen ganzen Tag fünfzig gewöhnliche Thiere nähren würde; der zu feinem Dessert alle Blätter eines Orangenwaldes verschlingt, und um sich ein Bund Klee zu nehmen, ein Morgen zertritt, wo man tausend Bunde ernten würde. Nun wohl, das thut dem Ansehen des Elephanten durchaus keinen Eintrag, wie mir scheint; man achtet den Elephanten, und Jeder von seinen Nachbarn hat Angst, er könnte ihm auf den Fuß treten. Bin ich ein falscher Curius, so ist dies so, weil ich finde, daß dieser Curius ein Einfaltspinsel und ein Unsauberer war: er aß Kohlstrunke aus gemeinen Schüsseln von Sabiner Erde; er würde sein Vaterland nicht minder glücklich gemacht haben, hätte er gute Mahle aus schönem Silbergeschirr zu sich genommen! Und dann sagtest Du mir so eben eine Albernheit, Bürger Marat: Du sagtest, Dein Verdienst stehe zu dem meinen nicht im Verhältniß von tausend Livres zu acht Millionen.«

»Ja, das sagte ich, und ich wiederhole es.«

»Was beweist das? Daß ein Gelehrter zweimal in fünf Minuten dieselbe Eselei wiederholen kann; war ich nicht tausend Livres für eine Stunde werth, mein Lieber, so hätte mir, das kannst Du glauben, der Herr Abbé Roy diesen Preis nicht bezahlt; überdies versuche Dir eben so viel geben zu lassen; versuche es!«

»Ich!« rief Marat wüthend; »ich würde mich schämen, die Hand den Aristokraten zu reichen, und wäre es auch für vierundzwanzig tausend Livres täglich.«

»Dann siehst Du wohl, daß ich hundertmal Recht hatte, Dir zu rathen, Du sollst nicht im Lohne des Herrn Grafen von Artois' um drei Franken sieben Sous für vierundzwanzig Stunden bleiben. Zieh aus, Freund Marat! zieh aus.«

Als Danton diese Worte vollendete, wurde ein gewaltiger Lärm auf der Straße hörbar, und man sah durch das Fenster die Leute vom Hotel nach dem Thore laufen, um hier frische Nachrichten zu erhalten.

Marat ließ sich nicht leicht stören; er schickte nur Mademoiselle Albertine auf Erkundigung aus.

Danton war nicht so stolz oder so indolent; er stand beim ersten Geräusche auf, lief an das Fenster des Flurgangs, öffnete es und horchte mit dem Verstande eines erfahrenen Mannes, der ein vorüberziehendes Geräusch verkostet, wie ein Mäkler den Wein verkostet.

Dieses Geschrei, diese Aufregung, diese Geräusche waren eine von den Wirkungen, deren Ursache die Leser gestern uns ins Palais-Royal, unter den Baum von Krakau, begleitend erfahren haben.

Die Ursache war die Ungnade von Herrn von Brienne und die Zurückberufung von Herrn Necker.

Die Wirkung war das Gerücht von dieser Entlassung und dieser Zurückberufung, das sich in Paris verbreitet hatte und die ganze Bevölkerung der Hauptstadt unter einander warf.