Za darmo

Die Zwillingsschwestern von Machecoul

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Vl.
Wo es anders Kommt, als man erwarten konnte

Wie fest auch Mary entschlossen war, sich zu beherrschen, so wurde sie doch durch Michel’s plötzliches Erscheinen, durch den leidenschaftlichen, tiefsinnigen Ton seiner Stimme sehr erschüttert. Ihr Busen wogte, ihre Finger zuckten und die Thränen, die an ihren Wimpern gezittert hatten, fielen in dicken Tropfen, wie flüssige Perlen, auf Michel’s Hände, welche die ihrigen gefaßt hielten. Zum Glück war der junge Baron selbst zu befangen, um diese Aufregung zu bemerken, und Mary hatte Zeit sich zu fassen, ehe er mehr sagte.

Sie entzog ihm ihre Hand und sah sich um.

Michels Blick folgte dem ihrigen; dann sah er sie unruhig und fragend an.

»Wie kommt es, Herr Baron, daß Sie allein sind?« fragte sie, »wo ist Rosine?«

»Und wie kommt es, Mary,« erwiderte er, »daß Sie sich unseres Wiedersehens nicht freuen?«

»Ach, lieber Freund,« sagte Mary, dieses Wort betonend, »Sie haben, zumal in diesem Augenblicke, nicht das Recht, an meiner Theilnahme zu zweifeln.«

»Nein,« versetzte Michel, und suchte die ihm entzogene Hand wieder zu fassen, »ich verdanke ja Ihnen die Freiheit und aller Wahrscheinlichkeit nach das Leben.«

»Aber wir dürfen dabei nicht vergessen, daß wir allein sind,« unterbrach ihn Mary, »wenn man auch zum Wolfsgeschlecht gehört, so darf man doch gewisse Schicklichkeitsrücksichten nicht außer Acht lassen. Rufen Sie Rosine – haben Sie die Güte, Herr Baron.»

Michel antwortete mit einem tiefen Seufzer; er blieb in seiner knienden Stellung, während ihm die hellen Thränen über die Wangen rollten.

Mary wandte sich ab, um diese Thränen nicht zu sehen, und wollte aufstehen.

Michel hielt sie zurück.

Der arme junge Mann hatte nicht genug Kenntniß des menschlichen Herzens, um zu bemerken, daß Mary früher einige Male kein Bedenken getragen hatte, allein mit ihm zu seyn, und um aus diesem Mißtrauen gegen sich selbst und gegen ihn einen für seine Liebeshoffnungen günstigen Schluß zu ziehen. Im Gegentheil, seine schönen Träume begannen zu zerrinnen, und er fand Mary eben so kalt und gleichgültig wieder, wie sie in der letzten Zeit gewesen war.

»O, warum haben Sie mich aus der Gewalt der Soldaten gerettet!» klagte er, »man würde mich vielleicht erschossen haben, und der Tod wäre mir minder schrecklich gewesen, als das Schicksal, das mir bevorsteht, wenn Sie mich nicht lieben.«

»Michel, Michel!» sagte Mary, sich abwendend.

»Ja, ich habe es gesagt, und ich wiederhole es!«

«Reden Sie nicht so, Sie böser Mensch!« erwiderte Mary, die sich zu einem mütterlich ermahnenden Tone zwang, »sehen Sie denn nicht, daß Sie mir Angst machen?«

»Was liegt Ihnen daran?« sagte Michel.

»Was mir daran liegt?« entgegnete Mary, »Sie zweifeln wohl gar an meiner aufrichtigen Freundschaft?«

»Ach, Mary,« antwortete der junge Baron traurig, »die Freundschaft kann den Gefühlen nicht genügen, die mein Herz zerreißen, seitdem ich Sie gesehen; wenn ich an Ihrer Freundschaft nicht zweifeln kann, so verlangt mein Herz doch mehr von Ihnen.«

Mary bot alle ihre Fassung und Selbstbeherrschung auf.

»Lieber Freund, was Sie von mir verlangen, bietet Ihnen Bertha; sie widmet Ihnen die Liebe, welche Sie wünschen und verdienen,« sagte Mary mit zitternder Stimme, indem sie sich beeilte, den Namen ihrer Schwester als Schutzwehr zwischen sich und den Geliebten zu stellen.

Michel schüttelte seufzend den Kopf.

»O nein; sie ist es nicht!« sagte er.

»Warum,« erwiderte Mary hastig, als ob sie diese abwehrende Geberde nicht gesehen, diese aus dem Herzen kommende Stimme nicht gehört hatte, »warum haben Sie ihr diesen Brief geschrieben, der sie zur Verzweiflung getrieben haben würde, wenn sie ihn erhalten hätte?«

»Und Sie haben den Brief erhalten?«

»Ach ja,« sagte Mary, »und es ist ein großes Glück, obgleich er mir viel Schmerz gemacht hat.«

»Haben Sie ihn ganz gelesen?« fragte Michel.

»Ja,« antwortete Mary, die vor seinem flehenden Blicke die Augen niederschlug, »ja, ich habe ihn gelesen, und weil ich ihn gelesen, wollte ich Sie sprechen, ehe Sie Bertha wiedersehen.«

»Haben Sie denn nicht verstanden,« sagte Michel mit bittend erhabenen Händen, »daß die letzten Zeilen dieses Briefes eben so wahr sind wie die ersten? Haben Sie nicht verstanden, daß ich Bertha nur als Bruder lieben kann?«

»Nein, nein,« sagte Mary, »ich habe nur verstanden, daß mein Los ganz anders seyn würde, wenn es mir vorbehalten wäre, die Ursache des Unglückes meiner geliebten Schwester zu seyn.«

»Was verlangen Sie denn von mir?« fragte Michel.

»Ich verlange von Ihnen das Opfer eines Gefühls, das nicht Zeit gehabt hat, in Ihre Seele tiefe Wurzeln zu schlagen. Ich verlange von Ihnen, daß Sie auf eine durch nichts gerechtfertigte Bevorzugung verzichten und eine Zuneigung vergessen, die für Sie erfolglos, für uns Drei verderblich seyn würde.«

»Fordern Sie mein Leben, Mary! Ich kann mir das Leben nehmen und nehmen lassen, nichts ist leichter als das – aber verlangen Sie nicht, daß ich aufhöre, Sie zu lieben. Mein Gott! womit sollte ich denn den Platz ausfüllen, den die Liebe in meinem Herzen einnimmt?«

»Aber es muß seyn, lieber Baron,« erwiderte Bertha zutraulich, »denn nie werde ich die Liebe erwidern, von der Sie in Ihrem Briefe sprechen, ich habe es gelobt.«

»Wem den, Mary?«

»Gott und mir.«

»Ach, und ich wähnte, von ihr geliebt zu werden!« schluchzte Michel.

Mary glaubte sein überspanntes Gefühl durch größere Kälte erwiedern zu müssen.

»Alles was ich Ihnen sage, lieber Freund,« versetzte sie, »gebietet mir nicht nur die Vernunft, sondern auch der innige Antheil, den ich an Ihrem Wohlergehen nehme. Wenn Sie mir gleichgültig wären, so würde ich mich begnügen, Ihnen mit kalten Worten meine Meinung zu sagen; aber dem ist nicht so, ich sage Ihnen als Freundin, vergessen Sie die, welche nie die Ihrige werden kann, und lieben Sie die, von der Sie geliebt werden, mit der Sie eigentlich schon verlobt sind.«

»Sie wissen wohl,« entgegnete der junge Baron, »daß diese Verlobung eine Ueberraschung war, daß Petit-Pierre sich in mir geirrt hat, als er für mich warb; sie hingegen wußten, wem mein Herz gehört; ich sagte es Ihnen an jenem Abend, als die Soldaten das Schloß besetzt hatten; Sie wiesen das Geständniß meiner Liebe nicht zurück; ich fühlte Ihren Händedruck, ich lag zu Ihren Füßen, Mary, wie jetzt; Ihr Haupt war zu mir geneigt, Ihre schönen wunderbaren Locken berührten meine Stirn. Ich hatte Unrecht, die Theure, der mein Herz gewidmet ist, nicht zu nennen; aber ich hielt es nicht für möglich, daß man vermuthen könne, es sey eine Andere als Mary. Es ist die Schuld meiner verwünschten Schüchternheit; aber im Grunde ist es kein Fehler, der mich von der Geliebten auf immer trennen und mein Leben an ein Wesen, das ich nicht liebe, fesseln müßte!«

»Lieber Freund, dieser Fehler, der Ihnen so gering erscheint, ist nicht wieder gutzumachen. Wenn Sie auch das Versprechen nicht halten, welches Ihr Stillschweigen gutgeheißen, so müssen Sie doch einsehen, daß ich nicht die Ihrige werden kann, und daß ich mich nie entschließen werde, meiner theuern Schwester durch den Anblick meines Glückes das Herz zu zerreißen.«

»O mein Gott! mein Gott!« jammerte Michel, 175wie unglücklich bin ich!«

Er drückte beide Hände auf das Gesicht und brach in Thränen aus.

»Ja,« sagte Mary, »ich glaube wohl, daß Sie sich in diesem Augenblicke unglücklich fühlen. Aber fassen Sie Muth, lieber Freund, bekämpfen Sie Ihren Schmerz und hören Sie mich ruhig an: die Zeit wird Ihren Schmerz lindern – und wenn es seyn muß, wenn es zur Forderung Ihrer Genesung nothwendig ist, so werde ich mich entfernen.«

»Sie wollen sich entfernen? Sie wollen sich von mir trennen? Nein, Mary, nein, verlassen Sie mich nicht! Sobald Sie fortgehen, gehe ich auch fort; ich folge Ihnen überall. Mein Gott! was sollte auch aus mir werden, wenn ich Sie nicht mehr sähe? Nein, nein, Sie dürfen nicht fortgehen – ich beschwöre Sie, Mary!«

»Gut, ich will bleiben; aber nur um das Schwere, Peinliche Ihrer Pflicht zu erfüllen, und wenn diese Pflicht erfüllt ist, wenn Sie glücklich, ich sage wenn Sie Bertha’s Gatte sind —«

»Nie, nie!« stammelte Michel.

»Ja, lieber Freund, denn Bertha ist vom Schicksal für Sie bestimmt. Ich schwöre Ihnen, Sie werden inniger, leidenschaftlicher geliebt, als Sie ahnen, und die Willenskraft meiner Schwester wird von Ihrem Lebenswege die Dornen entfernen, zu deren Beseitigung es Ihnen vielleicht an Kraft gebricht. Wenn Sie daher ein Opfer zu bringen haben, so werden Sie gewiß reichlich dafür belohnt werden.«

Mary sprach diese Worte mit einer Ruhe, die keineswegs in ihrem Herzen war; ihre wahre Stimmung verrieth sich durch die Blässe ihrer Wangen und durch das leise Beben ihres Körpers. Michel hörte sie mit fieberhafter Ungeduld an.

»Sprechen Sie nicht so,« erwiderte er, als sie schwieg, »glauben Sie denn, daß man die Gefühle des Herzens nach Belieben lenken könne, wie einen Bach, den ein Ingenieur zwischen die Ufer eines Canals einzwängt? Nein, nein, ich sage es Ihnen noch einmal, ich werde es Ihnen noch hundertmal sagen: nur Sie, Mary, liebe ich! Es wäre meinem Herzen unmöglich, einen andern Namen als den Ihrigen auszusprechen, wenn ich’s wollte – und ich wills nicht! O mein Gott,« setzte er hinzu, indem er die Arme mit dem Ausdruck der tiefsten Verzweiflung zum Himmel hob, »was würde aus mir werden, wenn ich Sie als die Frau eines Andern sehen müßte!«

»Michel,« sagte Mary mit Begeisterung, »wenn Sie thun, was ich von Ihnen verlange, so schwöre ich Ihnen bei Allein was mir heilig und theuer ist, daß ich keinem andern Manne angehören, daß ich mich nie vermählen werde. Meine Freundschaft, meine Zuneigung soll Ihnen gewidmet bleiben – es wird keine gewöhnliche Liebe seyn, die mit Jahren erloschen, durch einen Zufall ertödtet werden kann. Es wird die treue, innige Zärtlichkeit einer Schwester seyn; die Dankbarkeit wird mich auf immer an Sie fesseln: ich werde Ihnen ja das Glück meiner Schwester verdanken, und so lange als ich lebe, werde ich Sie segnen.«

 

»Ihre Schwesterliebe führt Sie zu weit, Mary,« erwiderte Michel, »Sie denken nur an Bertha, Sie vergessen, was ich leide, da Sie mich zu dieser furchtbaren Qual verurtheilen, mich für mein ganzes Leben an ein Weib, das ich nicht liebe, fesseln wollen! Es ist zu grausam von Ihnen, Mary, das von mir zu verlangen! Fordern Sie mein Leben, aber in dieses Verlangen kann ich nicht willigen!«

»Doch, lieber Freund,« entgegnete Mary, »Sie werden sich in das Unabänderliche fügen; Sie werden einwilligen, weil Sie einsehen werden, daß Gott ein solches Opfer nicht unbelohnt lassen kann – Sie machen ja zwei arme Waisen dadurch glücklich!«

»Nein, Mary, schweigen Sie davon!« sagte Michel, der seinem Schmerz keinen Zwang mehr anthun konnte. »Man sieht wohl, daß Sie nicht wissen, was Liebe ist, da Sie verlangen, daß ich auf Ihren Besitz verzichten soll. Bedenken Sie doch, daß Sie mir Alles im Leben sind! Soll ich mir denn das Herz aus der Brust reißen? soll ich meine innigsten Gefühle verleugnen, mein ganzes Lebensglück vernichten? Sie sind für mich daß Licht, das meinen Lebensweg erleuchtet, und sobald Sie mir nicht mehr leuchten, werde ich in einen Abgrund sinken, dessen Finsterniß mich erschreckt. Ich schwöre Ihnen, Mary, daß mir seit der Minute, wo ich Sie zum ersten Male sah, seit dem Augenblicke, wo Ihre Hände meine blutende Stirn erfrischten, Ihr Bild beständig vor der Seele schwebt; und wenn dieses Bild verschwände, würde ich aufhören zu leben. Sie sehen also, es ist mir nicht möglich, Ihren Wunsch zu erfüllen.«

»Aber,« erwiderte Mary in höchster Verzweiflung, »aber wenn Bertha Sie liebt? wenn ich Sie nicht liebe?«

»O, wenn Sie mich nicht lieben, Mary; wenn Sie den Muth haben, mir Auge in Auge, Hand in Hand zu sagen: Ich liebe Sie nicht! – dann ist Alles aus!«

»Was meinen Sie damit?«

»Es ist ganz einfach, Mary. So wahr wie die Sterne am Himmel die Reinheit meiner Liebe zu Ihnen sehen, so wahr wie Gott, der über jenen Sternen thront, weiß, daß meine Liebe unsterblich ist – Sie werden mich nie wiedersehen. Mary – auch Ihre Schwester wird mich nicht wiedersehen.«

»Was sagen Sie da!«

»Ich sage, Mary, daß ich nur über den See zu fahren, mein im Weidengebüsch wartendes Pferd zu besteigen und zum nächsten Posten zu reiten brauche – es ist in zwanzig Minuten geschehen. Wenn ich mich dort als den Baron Michel de La Logerie zu erkennen gebe, so werde ich in drei Tagen erschossen.«

Mary schrie laut auf.

»Und das werde ich thun, Mary – so wahr als die Sterne am Himmel scheinen!«

Er machte eine Bewegung, um eilends die Hütte zu verlassen.

Mary trat ihm in den Weg und umfaßte ihn, aber ihre Kräfte schwanden und sie sank vor ihm auf die Knie.

»Michel,« sagte sie, »wenn Sie mich lieben, wie Sie sagen, so werden Sie meinen Bitten Gehör geben. Ich beschwöre Sie, bringen Sie meine Schwester nicht um – schenken Sie ihr das Leben, machen Sie sie glücklich! Gott wird Sie segnen für Ihren Edelmuth, denn täglich wird sich mein Herz zu ihm erheben und Glück erflehen für den Mann, der mir behilflich gewesen, meine theure Schwester zu retten, die ich mehr als mich selbst liebe. Michel, vergessen Sie mich, ich beschwöre Sie, treiben Sie Bertha nicht zur Verzweiflung!«

»Mein Gott, wie unglücklich bin ich!« klagte der junge Baron. »Sie sind sehr grausam, Mary! Sie fordern mein Leben – ich werde sterben!«

»Fassen Sie Muth, Freund,« sagte Mary, deren Standhaftigkeit erschüttert wurde.

»Ich werde Muth haben, Alles zu wagen – nur Ihnen entsagen, das vermag ich nicht! Dieser Gedanke macht mich schwächer als ein Kind, trostloser als einen zur Hölle Verdammten.«

»Michel – lieber Freund, werden Sie thun, was ich wünsche?« stammelte Mary, deren Stimme in Thränen erlosch.

Er war im Begriff, ja zu sagen; aber er besann sich.

»Wenn Sie wenigstens litten wie ich leide —« erwiderte er.

Wie hätte die gemarterte, halb bewußtlose Mary diesen selbstsüchtigen, aber auch den tiefsten Liebesschmerz ausdrückenden Worten widerstehen können? Sie sprang auf, schloß Michel mit fast wahnsinniger Gewalt in ihre Arme und sagte schluchzend:

»Würde es Dich wirklich trösten, wenn Du das Bewußtseyn hättest, daß mein Herz eben so zerrissen wie das deine ist?«

»Ja, – ja – o ja!«

»Du glaubst also, die Hölle würde ein Paradies werden, wenn ich an deiner Seite darin wäre?»

»Mit Dir, Mary, bin ich bereit eine Ewigkeit der Leiden zu erdulden.«

»Nun, so sey dein Wunsch erfüllt, Du Grausamer!« sagte Mary außer sich, »ja, ich theile deine Qualen, ich fühle deine Schmerzen mit – wie Du denke ich mit Verzweiflung an das Opfer, das uns die Pflicht auferlegte.»

»Du liebst mich also, Mary?« fragte Michel.

»O der Undankbare!» klagte Mary, »er sieht meine Bitten, meine Thränen, meine Qualen – aber meine Liebe sieht er nicht!«

»Mary! Mary!» stammelte Michel, kaum seiner Sinne mächtig, »Du hast mir so grausame Qualen bereitet, soll ich denn vor Freude sterben?»

»Ja, ja, ich liebe Dicht« wiederholte Mary, »ich liebe Dich. Ich muß es aussprechen dieses Geständniß, das mir so lange schon wie eine Zentnerlast auf dem Herzen gelegen; – ich liebe Dich, wie Du mich lieben kannst – bei dem Gedanken an das Opfer, das wir bringen müssen, würde mir der Tod süß scheinen, wenn er mich in dem Augenblick überraschte, wo ich dieses Geständniß ablege.«

Bei diesen Worten neigte sie sich wie durch eine magnetische Gewalt angezogen, zu dem Geliebten, der sie mit Entzücken, aber auch zugleich mit Staunen betrachtete, als ob er an der Wirklichkeit seines Glückes noch zweifelte; ihre Locken berührten seine Stirn; Michel, von ihrem Athem berauscht, schloß fast besinnungslos die Augen und Mary, durch den langen inneren Kampf erschöpft, folgte dem unwiderstehlichen Zuge ihres Herzens– ihre Lippen fanden sich und blieben in einem langen Kuß vereinigt.

Mary bekam zuerst ihre Besonnenheit wieder.

Sie machte sich rasch von Michel los, wandte sich ab und brach in Thränen aus.

In diesem Augenblick trat Rosine in die Hütte.

VII.
Wo der Baron Michel statt eines Rohres eine Eiche als Stütze findet

Mary betrachtete das Erscheinen Rosinens als eine vom Himmel kommende Hilfe; denn sie erkannte das Bedenkliche ihrer Lage; wer konnte wissen, wie weit sie sich, wie weit sich ihr Geliebter durch das schwärmerische Gefühl hätte hinreißen lassen!

Sie eilte auf Rosine zu und lehnte sich auf ihre Schultern.

»Was gibts denn, mein Kind,« fragte sie. »warum kommst Du hierher?«

Sie drückte die Hände auf die Augen, um ihre Thränen abzuwischen.

»Mademoiseile,« sagte Rosine. »ich glaube eine Barke kommen zu hören.«

»Von welcher Seite?«

»Von St. Philibert her.«

»Ich glaubte, der Kahn deines Vaters sey der einzige auf dem See.«

»Nein, Mademoiselle, der Müller zu Grand-Lieu hat auch eine Barke, die freilich sehr schadhaft ist; aber man wird sie genommen haben, um hierher zu kommen.«

»Ich gehe mit Dir, Rosine,« sagte Mary.

Und ohne den jungen Baron, der bittend die Hände nach ihr ausstreckte, im mindesten zu beachten, eilte Mary aus der Hütte; sie fühlte, daß sie sich von Michel entfernen mußte, um ihre Gedanken zu sammeln und wieder Muth zu fassen. – Rosine folgte ihr.

Michel blieb allein; er sah mit Schrecken, daß das Glück von ihm wich und daß er es nicht zurückzuhalten vermochte. Ein solches Geständniß hatte er wohl schwerlich wieder zu erwarten.

Als Mary wieder kam, nachdem sie in allen Richtungen gelauscht und nur das Plätschern der Wellen am Ufer gehört hatte, fand sie Michel, den Kopf auf beide Hände gestützt, auf den Binsen sitzen. Sie hielt seine Niedergeschlagenheit für Ruhe und Fassung.

Sie ging auf ihn zu.

Michel schaute auf, und als er sie so gelassen und zurückhaltend sah, reichte er ihr die Hand.

»O Mary! Mary!« seufzte er.

»Was gibt’s, lieber Freund?« fragte sie.

»Mary, um des Himmels willen, wiederholen Sie jene süßen Worte, die mein Herz mit Wonne erfüllt – sagen Sie mir noch einmal, daß Sie mich lieben!«

»Ich werde es Ihnen so oft sagen, als Sie wünschen, lieber Freund,« antwortete Mary traurig, »wenn das Bewußtseyn, daß ich an Ihren Leiden innigen Antheil nehme, Ihren Muth beleben, Ihre Entschlossenheit fördern kann.«

»Wie, Mary,« erwiderte Michel, die Hände ringend, »Sie denken noch an Trennung? Sie wollen, daß ich mit dem Bewußtseyn meiner Liebe, mit der Gewißheit, von Ihnen geliebt zu seyn, einer Andern angehöre?«

»Ich will, daß wir Beide thun, was ich für unsere Pflicht halte, lieber Freund. Deshalb bereue ich nicht, daß ich Ihnen mein Herz geöffnet; denn ich hoffe, daß mein Beispiel Sie Geduld und Ergebung in den Willen Gottes lehren wird. Ein verhängnißvolles Zusammentreffen von Umständen hat uns getrennt, wir können einander nicht angehören.«

»Warum nicht? Ich habe keine Verpflichtung, ich habe Bertha nie meine Liebe erklärt.«

»Aber sie hat mir ihre Liebe gestanden; sie hat mir ihr Herz geöffnet, als wir Sie in Tinguy’s Hütte trafen; als Sie Bertha begleiteten.«

»Aber Alles was ich ihr damals sagte, bezog sich auf Sie Mary!« erwiderte Michel.

»Die arme Bertha hat sich getäuscht, lieber Freund; während ich bei mir selbst dachte: ich liebe ihn! sagte sie mir es laut. Sie zu lieben, Michel, ist nur eine Qual; Ihnen anzugehören, wäre eine Sünde.«

»O mein Gott! mein Gott!«

»Ja wohl, Freund! Gott, den wir anrufen, wird Ihnen Kraft geben; wir müssen die Folgen unserer Schüchternheit geduldig ertragen. Ich mache Ihnen keine Vorwürfe, merken Sie das wohl, ich zürne Ihnen nicht, daß Sie Ihre Gefühle nicht ausgesprochen, als es noch Zeit war; aber ersparen Sie mir wenigstens die Reue, meine Schwester unglücklich gemacht zu haben, ohne daß ich selbst einen Nutzen davon habe.«

»Aber bedenken Sie,« entgegnete Michel, »daß unvermeidlich geschehen wird, was Sie vermeiden wollen; Bertha wird früher oder später bemerken, daß ich sie nicht liebe,und dann —«

»Hören Sie mich an, lieber Freund, unterbrach Mary, indem sie die Hand auf seinen Arm legte, »ich bin noch sehr jung, aber meine Ueberzeugung in dem, was Sie Liebe nennen, steht fest. Meine Erziehung, die der Ihrigen gänzlich entgegengesetzt ist, hat eben so wie die Ihrige, manche Mängel, aber auch manche Vorzüge. Einer dieser Vorzüge ist die frühe Bekanntschaft mit dem wirklichen Leben. Ich habe Gespräche angehört, in denen die Vergangenheit ungeschminkt dargestellt wurde; aus der Lebensgeschichte meines Vaters weiß ich, daß nichts vergänglicher ist, als eine Zuneigung wie die, welche Sie zu mir haben; ich hoffe daher, daß Bertha in Ihrem Herzen meine Stelle einnehmen wird, ehe sie Zeit hat Ihre Gleichgültigkeit zu bemerken. Dies ist meine einzige Hoffnung, Michel, und ich bitte Sie inständigst, rauben Sie mir sie nicht.«

»Sie verlangen etwas Unmögliches, Mary.«

»Gut, es steht Ihnen frei, das Versprechen, welches Sie an meine Schwester bindet, nicht zu halten; es steht Ihnen frei, meine fußfällige Bitte zurückzuweisen! Es wird eine neue Schmach seyn für zwei arme Mädchen, die von der Welt schon so ungerecht behandelt werden. Meine arme Bertha wird sehr leiden, aber ich werde wenigstens mit ihr leiden, ich werde ihren Schmerz theilen – und nehmen Sie sich in Acht, Michel, vielleicht wird unser gegenseitig aufgestachelter Schmerz Sie am Ende verwünschen!«

»Ich bitte Sie, Mary; ich beschwöre Sie, sprechen Sie nicht solche Worte, die mir das Herz brechen!«

»Hören Sie mich an, Michel. Die Zeit vergeht, der Tag wird bald anbrechen; wir müssen uns trennen; und mein Entschluß ist unwiderruflich. Wir Beide haben einen Traum geträumt, den wir vergessen müssen. Ich habe Ihnen gesagt, wie Sie – nicht meine Liebe, denn die haben Sie schon – sondern den ewigen Dank der armen Mary verdienen können. Ich schwöre Ihnen,« setzte sie flehender als je hinzu, »ich schwöre Ihnen, daß ich, wenn Sie sich dem Glücke meiner Schwester widmen, nur einen Wunsch im Herzen habe: Gott möge Sie hiernieden und dort oben dafür belohnen! Wenn Sie mir dagegen meine Bitte verweigern, wenn Ihr Herz sich nicht zu der Höhe meiner Selbstverleugnung zu erheben vermag, so dürfen wir uns nicht mehr sehen; Sie müssen sich entfernen; denn ich schwöre Ihnen noch einmal, lieber Freund, dass ich Ihnen nie angehören werde.«

»Mary! Mary! sprechen Sie diesen Schwur nicht aus! Lassen Sie mir wenigstens eine Hoffnung – die Hindernisse, die uns trennen, können beseitigt werden.«

 

»Es wäre nicht recht von mir, Michel, wenn ich Ihnen noch Hoffnung machen wollte. Da Ihnen die Gewißheit, daß ich Ihren Schmerz theile, meine Standhaftigkeit und Ergebung nicht geben kann, so bedaure ich bitter meine heutige Uebereilung. Nein Michel, wir dürfen uns durch schöne Träume nicht mehr täuschen lassen, sie sind zu gefährlich,« setzte Mary hinzu, indem sie die Hand auf die Stirn hielt, »ich habe meine Bitten ausgesprochen; da Sie dieselben nicht anhören wollen, so bleibt mir nichts übrig, als Ihnen auf ewig Lebewohl zu sagen.«

»Ich soll Sie nicht wiedersehen, Mary! Ich soll Sie verlieren! Lieber will ich sterben! Ich will Ihnen gehorchen, Mary; was Sie von mir fordern –«

Er stockte, er hatte nicht die Kraft mehr zu sagen.

»Ich fordere nichts, sagte Mary, »ich habe Sie fußfällig gebeten, nicht zwei Herzen statt eines einzigen zu brechen, und ich bitte Sie noch einmal auf den Knien darum.

Sie sank dem jungen Baron wirklich zu Füßen.

»Stehen Sie auf, Mary, stehen Sie auf!« erwiderte Michel. »Ja, ich will Alles thun, was Sie wollen. Aber Sie müssen bleiben, Sie dürfen uns nie verlassen. Sie werden bleiben, nicht wahr? Und wenn ich zu viel leide, werde ich aus Ihren Blicken die mir mangelnde Kraft und Entschlossenheit schöpfen. Ich werde Ihnen gehorchen, Mary.«

»Tausend Dank, lieber Freund! Ich nehme dieses Opfer an, weil ich die Ueberzeugung habe, daß es zu Ihrem wie zu Bertha’s Glücke gereichen wird.«

»Aber Sie?« stammelte er.

»An mich müssen Sie nicht denken.«

Er seufzte.

»Ich,« setzte Mary hinzu, indem sie die Hände auf die Augen hielt, als ob sie gefürchtet hatte, diese würden ihre Worte Lügen strafen, »ich hoffe daß mir der Anblick Ihres Glückes genügen wird. Gott belohnt ja jede Aufopferung mit süßem Troste.«

»O mein Gott!i mein Gott!« sagte Michel, die Hände ringend, »es ist also fest beschlossen, ich soll unglücklich seyn!«

Er lehnte seine glühende Stirn an die Wand der Hütte.

In diesem Augenblicke kam Rosine.

»Mademoiselle,« sagte sie, der Tag bricht an.«

»Was fehlt Dir denn, Rosine?« fragte Mary, »mir scheint, Du zitterst?«

»Es schien mir so eben, als ob Jemand hinter mir ginge, so wie ich vorhin das Plätschern von Rudern auf dem See zu hören glaubte.«

»Wer sollte denn auf dieser einsamen Insel hinter Dir gehen? Du hast geträumt, mein Kind.«

»Ich glaube es auch, denn ich habe überall gesucht, und Niemand gesehen.«

»Wir wollen allein ans Land hinüberfahren, lieber Freund,« sagte Mary, sich zu Michel wendend, »in einer Stunde wird Rosine mit dem Kahne wieder kommen, Sie abzuholen. Vergessen Sie nicht, was Sie mir versprochen haben, ich zähle auf Ihren Muth.

»Zählen Sie auf meine Liebe, Mary; der Beweis, den Sie von derselben verlangen, ist sehr schwer, Sie fordern fast Unmögliches von mir. Gott gebe, daß ich unter der Last nicht erliege!«

»Bedenken Sie, daß Bertha Sie liebt, Michel, daß sie jeden Ihrer Blicke belauscht; bedenken Sie, daß ich lieber sterben würde, als das Geheimniß Ihres Herzens verrathen zu sehen.«

»O mein Gott! mein Gott!« jammerte der junge Baron.

»Fassen Sie Muth! Adieu, lieber Freund!« Sie benützte den Augenblick, wo Rosine aus der Thür schaute, ihm den Scheidekuß auf die Stirn zu drücken.

Es war ein ganz anderer Kuß, als der, den sie sich vor einer halben Stunde hatte rauben lassen; der eine war ein Blitz, der aus seinem Herzen in das ihrige zuckte; der andere war das keusche Lebewohl der Schwester an den Bruder.

Michel empfand den Unterschied sehr gut, denn diese Liebkosung preßte ihm das Herz zusammen, seine Thränen brachen von Neuem hervor. Er begleitete die beiden Mädchen bis an’s Ufer, und als sie in den Kahn gestiegen waren, setzte er sich auf einen Stein und schaute ihnen nach, bis sie im Morgennebel, der den See bedeckte, verschwunden waren.

Er hörte noch das Plätschern der Ruder. Während er darauf lauschte, wie auf eine Todtenglocke, die ihm das Zerrinnen seiner liebgewordenen Täuschungen anzeigte, fühlte er einen leisen Schlag auf seiner Schulter.

Er sah sich um – Jean Oullier stand hinter ihm.

Das Gesicht des Vendéers war noch ernster als gewöhnlich, aber es hatte wenigstens jenen gehässigen Ausdruck verloren, den Michel immer bemerkt hatte.

Seine Augen waren feucht, und dicke Wassertropfen funkelten in seinem Barte. War es der Nachtthau? waren es Thränen, die der alte Soldat Charette’s vergossen hatte?

Er reichte dem jungen Baron die Hand. Das hatte er noch nie gethan.

Michel sah ihn erstaunt an, und faßte zögernd die dargebotene Hand.

»Ich habe Alles gehört,« sagte Jean Oullier.

Michel seufzte und schlug die Augen nieder.

»Sie sind brave Herzen,« sagte der Vendéer, »aber Sie haben Recht, es ist eine schwere Aufgabe, die Ihnen das liebe Mädchen gestellt hat, Gott vergelte ihr, was sie an ihrer Schwester thut. Wenn Sie den Muth verlieren, Herr von La Logerie, so benachrichtigen Sie mich. Sie werden dann sehen, daß Jean Oullier seinen Freunden eben so eifrig ergeben ist, wie er seine Feinde haßt.«

»Ich danke Euch,« antwortete Michel.

»Jetzt weinen Sie nicht mehr,« sagte Jean Oullier, »Thränen ziemen sich nicht für einen Mann, und wenn es seyn muß, werde ich mir Mühe geben, den Starrkopf Bertha’s zur Vernunft zu bringen, obschon ich Ihnen im Voraus erklären muß, daß es keine leichte Sache ist.«

»Aber Eines ist leicht, falls sie euren Vorstellungen kein Gehör geben will – zumal wenn Ihr mir dabei helfen wollt.«

»Was meinen Sie?« fragte Jean Oullier.

»Mich ums Leben zu bringen,« sagte Michel.

Er sagte dies so ruhig und gelassen, daß man nicht zweifeln konnte, es sey ihm Ernst damit.

»Oho!« sagte Jean Oullier für sich, »er sieht mir wahrhaftig aus, als ob er bereit sey zu thun, was er sagt. – Nun, wir wollen sehen, wenns so weit ist,« setzte er laut hinzu.

Dieses Versprechen, wie traurig es auch war, machte dem jungen Baron wieder einigen Muth.

»Sie können nicht hier bleiben,« fuhr der Vendéer fort, »ich habe wohl eine sehr schlechte Barke, aber mit einiger Vorsicht können wir schon an’s Land hinüberfahren.«

»Aber Rosine wird mich in einer Stunde abholen,« entgegnete Michel.

»Sie wird einen vergeblichen Weg machen,« antwortete Jean Oullier, »eine gerechte Strafe dafür, daß sie auf offener Straße von den Angelegenheiten anderer Leute plaudert, wie diese Nacht mit Ihnen.«

Nach diesen Worten, welche dem jungen Baron erklärten, wie ihm Jean Oullier nachgehen und sein Gespräch mit Mary belauschen konnte, begaben sich Beide ans Ufer und stiegen in die Barke. Einige Minuten nachher ruderten sie über den See, in der Richtung von St. Philibert, und entfernten sich daher von dem Wege, den Rosine und Mary genommen hatten.