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Die Taube

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Der Pfarrer Chambard

Kriminalgeschichte

Das, was ich hier erzähle, ist weder ein Roman, noch eine dramatisierte Geschichte; es ist ganz einfach eine Tatsache, in ihrer ganzen Einfachheit und ohne alle Ausschmückung so wiedergegeben, wie man sie in der Gazette des Tribunaux gefunden haben würde, wenn es zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts schon eine Gazette des Tribunaux gegeben hätte.

Der Leser weiß, daß ich vor einigen Jahren sechs Bände unter dem Titel: Berühmte Verbrechen, herausgegeben habe. Dieses Werk war Ursache von zahlreichen, aus den verschiedenen Theilen von Frankreich mir eingesandten Mittheilungen, gleichsam als ob jede Provinz ihre Garbe zu dieser blutigen Ernte hätte liefern wollen. Eine dieser Sendungen ist es, welche ich heute dem Leser vorlege. Außer dem Interesse, das sie an sich selbst enthalten kann, enthält sie das Verständniß einer ernsten Frage geistlicher Disciplin.

Wenn ich die Geschichte des Mittelalters erforschte, habe ich es oft als eine Art von Abweichung der gesellschaftlichen Regel oder zum Mindesten als eine ungerechte Grausamkeit betrachtet, daß die kanonischen Gesetze der Kirche einen Priester zu weihen verböten, der nicht seine physischen und geistigen Eigenschaften in ihrer vollen Kraft genösse. Gewiß war in Bezug auf die geistigen Anlagen nichts dagegen zu sagen: der, welcher bestimmt ist, das Licht zu sein, welches Andern auf ihrem Pfade vorleuchtet, muß mit der hellsten Flamme strahlen. Um die erhabenen Wahrheiten der christlichen Religion zu erklären und verständlich zu machen, muß die Seele ein vollkommener Spiegel sein, in welchem diese Wahrheiten zurückstrahlen. Aber es schien mir unnöthig schön, groß und kräftig zu sein, um gewissenhaft das Gelübde der Keuschheit zu erfüllen, und manche kränkliche und schwächliche Natur, welche ich gekannt, hatte mir oft einen bei Weitem größeren Verstand offenbart, als eine andere, dem Scheine nach weit vollständigere. Das kam daher, weil ich dm Geist der katholischen Kirche noch nicht recht verstanden hatte; weil ich nicht überlegt hatte, daß es keine Aufopferung ohne Opfer, keinen Sieg ohne Kampf, keinen Kampf ohne Kraft gibt. Die herrschende Kirche wollte logischer Welse, daß damit das Priesterthum seine ganze Gewalt bewahre, der Priester der Menge durch alle möglichen Mittel imponiere; daß er zu den Sinnen ebenso gut, als zu dem Geiste spräche, daß er nicht allein Eindrücke, sondern auch Empfindungen hervorbrächte; daß er von der Höhe des christlichen Lehrstuhles, aus der Mitte des religiösen Gepränges, der dem Gottesdienste geweihte Mann durch die Stimme, durch den Blick, durch die Gebilde auf die versammelte Menge wirke, damit er nachher in die geheimsten Verrichtungen seines Amtes eingehen könnte. Deshalb wollte sie, daß der Priester einsichtsvoll und schön wäre. Die streitende Kirche wollte, daß der Priester ohne moralische oder Physische Gebrechen wäre, weil in dem Märthyrerthume ein moralisches oder physisches Gebrechen ihm seine Kraft rauben und ihn unter der Gefahr unterliegen lassen könnte, der er Trotz bieten, oder unter dem Schmerze, den er überwinden mußte. Deshalb wollte sie, daß der Priester schön und stark wäre.

Wenn daher der Abhang von den Erhabenheiten des Gedankens nach den niederen Regionen der Ausführung jäh ist, so wollen wir deshalb nur die Gebrechlichkeit der menschlichen Natur anklagen. Die römischen Prälaten beschlossen eine schöne und erhabene Stiftung, sie haben von den Priestern, das heißt von den geringen Kriegern ihrer Kirche, alle die Eigenschaften verlangt, welche oft den Häuptern fehlen, nämlich Beredsamkeit, Kraft und Muth. Sie haben Bedingungen gestellt, damit der Priester so wäre. Die Stiftung ist schön geblieben, es ist die Schuld derer, welche, wie ich, den ursprünglichen Gedanken nicht verstanden hatten, wenn sie aufgehört hat/erhaben zu sein. Das langsame Märtyrerthum eines Lebens voll Selbstverleugnung hat wohl einige Heilige unter unsern Landpfarrern gemacht; aber, wir. müssen es gestehen, dieses Heer des Herrn, das die größte Kraft unserer Religion ausmachen sollte, besteht heut zu Tage und bestand seit langer Zeit aus weniger als gewöhnlichen Elementen.

Kommen wir auf unsere Geschichte zurück, welche außerdem nur die Entwickelung dieser geistigen Theorie ist, daß, damit der Priester seiner Sendung gewachsen sei, er seine physischen und geistigen Anlagen in ihrer ganzen Fülle genießen muß.

I

Die Pfarre von Croix-Daurade, einem kleinen Dorf« der Umgegend von Toulouse, war im Jahre 1700 durch Peter Cölcstin Chambard besetzt, einem frommen Manne nach den Anforderungen seiner Zeit, einem wackeren Manne im Sinne aller Zeiten, der alle die verlangten Eigenschaften besaß, um seine Pfarrkinder auf der Bahn des Heiles zu leiten; geliebt und geachtet in seinem Kirchsprengel, wo er der Schiedsrichter der Localinteressen, der Vermittler der inneren Streitigkeiten, der Rath in schwierigen Fällen, der Tischgenosse aller Familienmahl war; kurz, ein guter Pfarrer im strengsten Sinne des Wortes, wie man deren noch in unsern Tagen einige in den Ortschaften findet, wo weder Eisenbahnen noch Dampfschiffe durchkommen.

Das einzige, was man dem Pfarrer Chambard vorwarf, war eine Schwäche des Geistes, deren er nicht Herr war und die ihn leicht der Furcht zugänglich machte, z.B. wenn man ihn mitten in der Nacht zu holen kam, um einem Sterbenden auf seinem Todtenbette den letzten Beistand zu leisten, so ließ er den Boten warten, um mit ihm zu gehen, und wenn seine heiligen Verrichtungen vollbracht, bevor der Tag angebrochen war, so ließ er sich von ihm wieder zurückführen.

Wir führen diese Thatsache an, um einen Begriff von seinem schüchternen Charakter zu geben, einem Charakter, den er einer Krankheit zuschrieb, welche er während seiner Kindheit gehabt und die ihn lange schwach und leidend gelassen hatte, so daß in dem Augenblicke, wo er den Stand der Waffen ergreifen sollte, ein Stand, zu dem er bestimmt war, seine Eltern ihn zum Geistlichen machten, weil sie meinten, daß weniger Kraft und Muth dazu gehöre, um in der Miliz des Herrn zu dienen, als in der des Königs, und indem sie auf die Einwürfe, welche man ihnen in dieser Beziehung machte, antworteten, daß die Zeiten der blutigen Kämpfe für die Kirche vorüber wären, und daß, wenn die katholische Geistlichkeit noch ihre Liste von Heiligen zu liefern hätte, die Verfolgung glücklicherweise nicht mehr ihren Beitrag von Märtyrern von ihr verlange.

Peter Cölestin Chambard wurde daher zum Priester geweiht und zum größten Glücke seiner Pfarrkinder zum Pfarrer von Croix-Daurade ernannt, welches er zu der Zeit, wo diese Erzählung beginnt, seit sieben und zwanzig bis acht und zwanzig Jahre bewohnte, ohne daß, wie wir bemerkt, ein Feind, so erbittert er auch sein mochte, irgend eine Anklage gegen ihn hätte stellen können,

Die alte Marie, welche nach ihrem Gefallen die inneren Angelegenheiten des Pfarrhauses von Croix-Daurade leitete, behauptete wohl, in Ubereinstimmung mit dem, was wir gesagt haben, daß der würdige Hirte bei allen Veranlassungen zuerst an sich dächte, eine Beschuldigung, welche übrigens seine wohlbekannte Mildthätigkeit bedeutend milderte. Ferner, daß es ihm an Energie fehle, daß er zu gutwillig seinen Kirchenvorständen in den Beratungen über das Kirchenvermögen nachgäbe, daß er sich zu leicht durch die Furcht vor den Mächtigen und durch den Schall kräftiger Lungen erschüttern ließe. Aber auf diese Vorwürfe antwortete der gute Pfarrer: »Dem ist nun einmal so, meine arme Marie; es ist nicht jeder ein heiliger Bernhard, der es sein will!« Und in der That, wenn die Seele des Pfarrers Chambard nicht an derselben Flamme gestählt war, als die jener Märtyrer, welche Nero in dem Circus und Diocletian in dem Colyseum Trotz boten, so wußte man ihm gerade für diese Schwäche Dank, welche die Versicherung gab, daß er niemals weder seine moralische Macht noch sein zeitliches Ansehen mißbrauchen würde.

Eines Tages, es war am 26. April, trat die alte Marie, welche bei dem Pfarrer alle die Freiheiten hatte, die der Titel einer alten Magd gewährt, früher als gewöhnlich in das Schlafzimmer des Abbé, und indem sie seine Vorhänge mit großem Geräusch aufzog, sagte sie:

– Geschwind! geschwind! Sie müssen aufstehen, Herr Pfarrer, hören Sie das Angelus läuten?

– Und warum so früh aufstehen, Marie? fragte der Pfarrer mit einem Ausdrucke, welcher bewies, daß er durchaus nicht geneigt wäre, Widerstand zu leisten, welcher Art auch der Grund sein möchte, den man für dieses nach seiner Meinung ein wenig zu frühzeitige Wecken angäbe.

– Weil Sie in die Stadt gehen müssen, Sie wissen es wohl.

– Ich, ich muß in die Stadt gehen? Du glaubst, Marie?

– Ohne Zweifel, haben Sie nicht bei dem Erzbischofe zu thun?

– Das ist richtig, Marie, aber erst, gegen Mittag; es hat also keine Eile.

– Warum eher um Mittag, als zu einer andern Stunde? Was gethan ist, ist gethan, Herr Pfarrer. Brechen Sie daher frühzeitig auf, besuchen Sie dort alle Ihre Freunde und beeilen Sie sich nicht zurückzukehren.

– Ich werde nach meiner Messe gehen.

– Nein, Sie werden Ihre Messe in der Cathedrale lesen.

– Dann erwarte mich gegen ein Uhr zum Mittagsessen.

– Aber da Sie in Toulouse sein werden, so benutzen Sie doch die Gelegenheit, um bei dem Abbé Mariotte zu speisen, der Sie immer einladet und dessen Einladungen Sie niemals annehmen.

– Das heißt, daß Du Deinen Tag für Dich haben willst, nicht wahr, Marie? Ich sehe das.

– Nun denn, wenn dem so wäre? Habe ich nicht am Ende täglich Mühe genug in dem Pfarrhause, daß Sie mir von Zeit zu Zeit einen Urlaub von einem Tage geben können?

– O! doch, meine gute Marie, und ich mache Dir keinen Vorwurf darüber. . .

– Das ist ein Glück!,

– Erwarte mich daher erst um fünf Uhr.

– Sie brauchen erst um sieben Uhr hier zu sein; warum wollten Sie früher zurückkehren?

 

– Habe ich denn gerade um sieben Uhr etwas zu thun? fragte der gute Pfarrer, der gewöhnlich das ganze Verzeichniß seiner täglichen Beschäftigungen aus den Händen seiner Haushälterin empfing.

– Sie sollen bei den Siadoux zu Nacht essen.

– Aber der Vater ist abwesend.

– Er wird heute Abend zurückkehren,

– Wer hat Dir das gesagt?

– Sie haben Ihnen geschrieben und zugleich den Brief übersandt, den Sie gestern von ihrem Vater erhalten haben.

Und die alte Haushälterin überreichte dem Pfarrer die beiden Briefe ganz offen, was bewies, daß in der allgemeinen Vollmacht, welche Marie durch das Vertrauen ihres Herrn besaß, keine Einschränkung in Bezug auf das Briefgeheimniß stattfand.

Der Pfarrer nahm den Brief, den Saturnin Siadoux an seine Kinder geschrieben hatte, und las laut Folgendes:

»Meine Kinder, wenn Ihr Gegenwärtiges empfangt, werde ich bereits Narbonne verlassen haben, um nach Castelnaudary zu gehen, wo einer meiner lieben Jugendfreunde wohnt. Ich denke zwei Tage bei ihm zu bleiben,, um ein wenig auszuruhen und mich dann wieder sogleich auf den Weg zu begeben. Ich werde daher unfehlbar Dienstag, den 20., gegen Abend nach Haus zurückkommen.

»Sobald Ihr diesen Brief empfangen, wird einer von Euch nach Toulouse gehen, um Schwester Mirailhe zu melden, daß ich sehr wünsche, sie bei meiner Ankunft in Croix-Daurade zu finden, um ihr die Auskünfte mitzutheilen, die ich mir über das frühere Leben Cantagrels verschafft habe. Sie sind so, wie ich sie zugleich hoffte und fürchtete.

»Um uns über den Erfolg meiner Reise zu erfreuen, werdet Ihr den Herrn Pfarrer einladen, am Dienstage mit uns zu Nacht zu essen. Ladet gleichfalls meine Gevattern Delguy,und Cantagrel ein, denn wir müssen ohne Verzug zwölf Faß Oel an das Haus Delmas und sechs an das Haus Pierreleau liefern.

»Derjenige unter Euch, welcher sich nach Toulouse begibt, muß sorgfältig vermeiden, durch die Straße der schwarzen Büßer zu gehen, in welcher Cantagrel wohnt, aus Furcht, daß dieser, wenn er ihn erkenne, etwas ahnt und ihm zu Eurer Tante folgt, durch die er von meiner Reise nach Narbonne etwas erfahren könnte, welche ihm im Gegentheile durchaus unbekannt bleiben muß.

»Demnach also auf Dienstag Abend.

»Euer Vater, der Euch zärtlich umarmt,
»Saturnin Siadoux.«

Dieser Brief, den Marie als letztes Beweisstück aufbewahrt hatte, um den Pfarrer zu überzeugen, daß seine Rückkehr nach Croix-Daurade übereilt wäre, wenn sie vor sieben Uhr Abends stattfände, hatte seine volle und gänzliche Wirkung. Der gute Pfarrer liebte die Siadoux, seine Nachbarn, sehr, und er hatte den seligen Mirailhe, bei seinen Lebzeiten Trödler auf dem Markte Saint-Georges in Toulouse, gut gekannt. Die Wiltwe, dieses letzteren, welche als Ueberlebende das Vermögen der Gütergemeinschaft geerbt hatte, war eine Frau von vierzig Jahren, und noch schön, was sie um so lieber von sich sagen hörte, als dieser Genuß der Eigenliebe nicht sehr lange dauern konnte, was nicht verhinderte, daß sie, da man. sie im Besitz eines Capitals von einigen sechzig Tausend Livres wußte, immer eine gute Anzahl von Bewerbern hatte.

Unter der Zahl derselben bemerkte man Cantagrel,

Dieser Contagrel, dessen Name man mit einem Gefühle von Furcht in dem Briefe Saturnin Siadoux ausgesprochen findet, war der bekannteste unter den Fleischern von Toulouse, wo seine Stärke ihm besonders unter seinen Collegen einen großen Ruf erworben hatte. Auf den Märkten der umliegenden Städte hatte man ihn den schrecklichen Thieren gegenüber, mit denen er zu thun hatte, eine Muskelkraft entwickeln sehen, welche ihm selbst ein Milon,von Croton beneidet haben würde. So war es ihm sehr häufig begegnet, den Stier zu erwarten, der ihn verfolgte, und indem er ihn. bei den Hörnern packte, ihn auf die Seite zu legen und ihn regungslos zu halten, während sein Knecht ihm mit einem glühenden Eisen den Namenszug seines Herrn aufdrückte. Es versteht sich von selbst, daß ein von ihm geschlagener Ochse weder aufstand, noch eines zweiten Schlages bedurft hätte, um zu fallen. Außerdem erzählte man, daß er eines Tages auf der Bärenjagd in den Pyrenäen Leib an Leib mit einem dieser schrecklichen Thiere gekämpft hätte, und mit ihm in einen Abgrund gerollt wäre. Beide mußten unvermeidlich in diesem Sturze umkommen, dessen Höhe man auf mehr als Hundert und zwanzig Fuß schätzte; aber das Glück hatte gewollt, daß der Bär unter ihn fiel, und indem er seinen Feind vor dem Stoße bewahrte, hatte jener sich das Kreuz gegen einen Felsen gebrochen. Cantagrel war ganz betäubt zehn Schritte weit weg von dem Thiere gerollt, als aber seine Freunde, von einem Hirten geführt, der dem stattgehabten Kampfe zugesehen, zu seiner Hilfe herbeieilten, erblickten sie Cantagrel, wie er eben seinen tobten Feind auf seinen Schultern tragend, wieder zu ihnen hinaufstieg. Was Cantagrel anbelangt, so war er mit einem Bisse in der Wange davongekommen, dessen Narbe er behalten hatte, und die er voll Stolz als ein ehrenvolles Merkmal seiner Stärke und seines Muthes zeigte.

Daher kam es denn, daß Cantagrel trotz gewisser Gerüchte, welche über sein früheres Leben im Umlaufe waren, sehr respektiert war. Als Saturnin Siadoux, dem aus verschiedenen Gründen wenig daran lag, daß der Fleischer sein Schwager würde, Erkundigungen über ihn in Toulouse einzog, erlangte er daher auch nur sehr unbestimmte Angaben über die Begebenheiten, welche er zu ergründen wünschte. »Man wußte nicht recht, man hatte sagen hören, aber man konnte nicht behaupten.« Das waren die rednerischen Vorsichtsmaßregeln, mit denen jeder seine Erzählungen begleitete, indem jeder fürchtete, auf eigene Rechnung diese wunderbare Stärke fühlen zu müssen, welche Cantagrel bis jetzt nur Gelegenheit gefunden hatte, an Bären, Stieren und anderem Viehzeug zu versuchen.

Der Pfarrer Chambard hatte daher Saturnin Siadoux den Rath gegeben, nach Narbonne zu gehen, eine Gegend, welche der schreckliche Fleischer vordem bewohnt hatte, um dort die Auskünfte zu suchen, welche er sich in Toulouse nicht hatte verschaffen können, und welche einige Aufklärung über eine erste Ehe verbreiten würden, welche Cantagrel mit einem jungen Mädchen dieser Stadt geschlossen hatte. In der That, wenn man den verbreiteten Gerüchten glauben durfte, so lebte diese erste Frau noch, obgleich Beweggründe, welche man nicht kannte, sie das tiefste Schweigen über die Bande bewahren ließ, welche sie mit demjenigen vereinigten, der nach der Ehre strebte, in zweiter Ehe der Gatte der Wittwe Mirailhe zu werden. Aber wie wir bemerkt, diese Gerüchte waren so unbestimmt daß man sie niemals hatte feststellen können, und daß sie zu den Ohren der Interessierten nur als Verleumdungen oder zum Mindesten als Aeußerungen ohne Haltbarkeit gelangt waren.

Die Rückkehr Saturnin Siadoux sollte alle Zweifel über diesen Gegenstand aufhellen. Und so wenig der gute Pfarrer auch für die Eigenliebe zugänglich war, so sagte er sich doch nichtsdestoweniger mit einer innen, Zufriedenheit, daß die Familie Siadoux es dem ihr von ihm gegebenen Rathe verdanke, endlich die Wahrheit kennen zu lernen.

Was ihn anbetraf, so hatte ihn, wohlverstanden, kein feindseliges Gefühl veranlaßt, seinem Freunde diesen Rath zu geben, denn er kannte Cantagrel gar nicht.

Da ihn indessen eine gewisse Neugierde stachelte, so hatte er dieses Mal beschlossen, Cantagrel kennen zu lernen, wäre es auch nur von Ansehen. Das war etwas Leichtes; der Laden des Fleischers befand sich, wie Saturnin Siadoux gesagt, in der Straße der schwarzen Büßer, und nach der wohlbekannten Beschreibung der Person war es nicht schwer, ihn in seiner Fleischbank von seinen Knechten und von seinen Kunden zu unterscheiden. Der Pfarrer machte sich daher mit dem festen Entschlusse auf den Weg, durch die Straße der schwarzen Büßer zu gehen, wenn er sich zu dem Abbé Mariotte begäbet

Croix-Daurade ist kaum drei Viertelstunden weit von Toillouse entfernt. Der Pfarrer legte daher diese Strecke wie gewöhnlich zurück, indem er langsam ging und sein Brevier las; an das Thor von Toulouse gelangt, schlug er sein Buch zu und ging nach der Wohnung des Abbé Mariotte. Es konnte acht Uhr Morgens sein.

Der würdige Pfarrer hatte sein Vorhaben nicht vergessen, durch die Straße der schwarzen Büßer zu gehen; er machte daher auch den kleinen Umweg, den ihm dieser Beschluß gebot, Und trat in die genannte Straße, ungefähr auf dem dritten Theile ihrer Länge befand sich der Laden des Bewerbers um die Hand der Wittwe Mirailhe; nur war Cantagrel nicht in seiner Fleischbank. Ein Fleischerknecht von einigen dreißig Jahren vertrat seine Stelle; ohne Zweifel auch stark und kräftig, wie es die Männer dieses Gewerbes gewöhnlich sind, deren Poren von den Ausdünstungen des Blutes, unter denen sie sich beständig aufhalten, so viele Lebenstheile einsaugen, war er indessen nach dem, was der Pfarrer hatte sagen hören, weit davon entfernt, mit seinem Herrn verglichen werden zu können. Man konnte sich indessen nicht darüber irren, es war wirklich die Fleischbank Cantagrels, und sein mit großen Buchstaben über seinen Laden geschriebener Name konnte keinen Zweifel in dieser Beziehung übrig lassen.

Indessen war diese Abwesenheit so etwas Natürliches, daß der würdige Pfarrer sich nicht weiter darum bekümmerte.

An dem Ende der Straße der schwarzen Büßer befand sich die, welche der Abbé Mariotte bewohnte.

Der Abbé Mariotte war zwar zu Haus, aber der Pfarrer Chambard fand ihn im Begriff, eben auszugehen. Er wollte nach Blognac, wo ihn einer seiner Freunde fast sterbend erwartete. Der Pfarrer von Croix-Daurade kam daher zu gelegener Zeit, nicht um mit seinem Collegen zu frühstücken, sondern um an seiner Stelle die Messe in der Metropolitankirche Sanct Stephan zu lesen, deren Pfründner beide waren. Sobald er die Messe gelesen, sollte der Pfarrer Chambard sein Frühstück von der Köchin des Abbé Mariotte zubereitet finden, eine Köchin, der es unter den Geistlichen von Toulouse und der Umgegend nicht an einem gewissen Rufe fehlte. Was das Mittagessen anbelangt, so hatte der Pfarrer Chambard sich nicht darüber zu beunruhigen; an welche Thür er auch zu der Stunde, wo man sich gewöhnlich zu Tische setzt, anklopfen mochte, er wäre willkommen gewesen, und vielleicht würde ihn sogar der Herr Großvikar oder der Herr Bischof, mit dem er Geschäfte hatte, an der erzbischöflichen Tafel zurückhalten.

Indem er sich nach Sanct Stephan begab, ging der Abbé zum zweiten Male durch die Straße der schwarzen Büßer, und. warf von Neuem einen forschenden Blick in den Laden Cantagrels; der Fleischer war noch abwesend, und der Knecht thronte noch immer auf dem Sitze des Herrn. Der Pfarrer setzte seinen Weg nach der Kirche fort.

Sobald er die Kathedrale betreten, verbannte der würdige Hirt von Croix-Daurade jeden weltlichen Gedanken und bereitete sich auf das heilige Opfer vor, das er zu vollziehen im Begriffe stand, er ging frommer Weise durch die Kirche, indem er den gebräuchlichen Gruß vor dem Hauptaltare machte, ging in die Sakristei, legte dort die priesterlichen Gewänder seines Collegen an, und knieete hierauf, den Kelch in der Hand, vor dem Altare nieder.

Als die Messe beendigt, kehrte der Abbé Chambard in die Sakristei zurück und begann sich auszukleiden; er war noch damit beschäftigt, als einer der Kirchendiener mit der Frage eintrat, ob der Abbé Mariotte da wäre.

– Nein, antwortete der Pfarrer, er ist in Blognac und hat mich gebeten, für ihn die Messe zu lesen, was will man von ihm?

– Es erwartet ihn ein Mann im Beichtstuhle, der mich beauftragt hat, ihn davon in Kenntniß zu setzen. Dieser Mann läßt Sie bitten, ihn nicht warten zu lassen, er scheint große Eile zu haben.

– Nun denn! antworten Sie ihm, daß der Abbé Mariotte nicht da ist, aber daß ich seine Stelle vertreten kann, ich habe meine Erlaubniß zur Beichte; fügen Sie hinzu, daß, wenn er bis morgen warten will, der Abbé Mariotte heute Abend zurückkehren würdet

Einen Augenblick nachher kehrte! der Kirchendiener zurück, um dem Pfarrer Chambard zu sagen, daß der bußfertige Sünder ihn erwarte.

Der Abbé Chambard ging nach dem Beichtstuhle, welcher sich, wie gewöhnlich, in dem dunkelsten Theil der Kirche befand. Der Mann, welcher ihn hatte rufen lassen, erwartete ihn dort auf den Knieen; aber er konnte sein Gesicht nicht sehen, der Büßende drehte ihm den Rücken zu und hielt seinen Kopf mit Gewalt in seine Hände gedrückt.

Der Pfarrer setzte sich in den Beichtstuhl, und die Beichte begann.

Eine Viertelstunde nachher öffnete sich die Thür von dem Richterstuhle der Buße wieder, und der Mann Gottes erschien todtenbleich und indem er sich kaum aufrecht erhielt.

 

Was den Bußfertigen anbelangt, so war er mit einem Schrei der Verzweiflung entflohen, als ihm der Pfarrer Chambard die Absolution verweigert hatte.

Der gute Priester blieb einen Augenblick lang regungslos stehen, indem er sich an einer Säule der Kirche hielt, als ob er gefühlt hätte, daß die Beine ihm den Dienst versagen würden; dann ging er wankenden Schrittes wie ein Trunkener, ohne in die Sakristei zurückzukehren, ohne von irgend Jemand Abschied zu nehmen, nach einer der Seitenthüren der Kirche zu, und indem er sich durch die einsamsten Straßen schlich, verließ er die Stadt mit einem wieder so rasch gewordenen Schritte, daß man ihn niemals für fähig gehalten hätte, so zu gehen, wobei er das Frühstück des Abbé Mariotte, seinen Besuch im erzbischöflichen Palaste, den Traum des Mittagessens bei Seiner Gnaden, die Angelegenheiten der Pfarre und auch die seinigen vergaß.

Sobald er sich auf dem Wege von Croix-Daurade befand, beschleunigte der Pfarrer seinen Schritt noch mehr Seine Befangenheit war so groß, daß er vor dem Kreuze vorüberging, das an dem Eingange des Dorfes stand, ohne den Hut vor dem Christusbilde abzunehmen, und daß er ganz in Schweiß gebadet in dem Pfarrhause ankam, wo sich Marie in frommer Trägheit brüstete. Sobald er angekommen, blieb er mitten in dem Zimmer stehen und suchte sein Taschentuch, um sich die Stirn abzutrocknen, aber er hatte es verloren. Er wollte seine Zuflucht zu seinem Brevier nehmen, um seine Verwirrung zu verbergen, er hatte sein Brevier in der Sakristei von Toulouse gelassen. Nichts konnte ihm helfen, sich einige Fassung zu geben. Die Verlegenheit seiner Bewegung, wie die Unordnung seines Anzuges deuteten eine wichtige Katastrophe an, welche sich zugetragen hatte oder sich zuzutragen im Begriffe stand. Er war regungslos und stumm, nur seine Augen drehten sich in ihren Höhlen, seine Kniee zitterten, indem sie an einander schlugen, und dennoch schien er nicht daran zu denken, sich zu setzen. Marie schob instinktmäßig einen Sessel hinter ihn, es war Zeit; der arme Pfarrer war nahe daran, rücklings zu Boden zu sinken. Er fiel wie vernichtet in den Sessel.

– Jesus mein Gott! rief Marie aus, indem sie zurückwich, um mit einem Blicke alle diese Zeichen von Schrecken zu übersehen, was ist Ihnen denn begegnet, Herr Pfarrer?

–Was mir begegnet ist, fragte der Priester mit verwirrter Miene, was mir begegnet ist? Gott sei Dank, durchaus nichts.

– Aber Sie sehen ganz bestürzt aus. Ich habe Sie niemals so gesehen.

– Du irrst Dich, meine gute Marie, ich denke, ich habe mein gewöhnliches Ansehen.

– Und warum kommen Sie denn so bald nach Haus; ich wette, daß Sie nicht zu Mittag gegessen haben?

– Doch, Marie, ich glaube doch.

Der gute Pfarrer bemerkte kaum, daß er, indem er versicherte, daß er zu Mittag gegessen hätte, ganz einfach eine große Lüge sagte.

– Sie haben nicht zu Mittag gegessen, Herr Pfarrer.

– Nun denn, nein, Marie.

– Und dann haben Sie Hunger?

– Nein, Marie, ich habe keinen Hunger, ich habe durchaus keinen Hunger, ich versichere es Dir.

– Aber Sie können das Abendessen nicht abwarten, ohne etwas zu genießen?

– Ich werde nicht zu Abend essen, Marie.

– Wie! Sie haben nicht zu Mittag gegessen, und Sie wollen nicht zu Abend essen? Aber so sagen Sie doch, Herr Pfarrer, was hat das zu bedeuten? Außerdem können Sie sich nicht entbinden, zu Abend zu essen; Sie essen ja bei den Siadoux.

Bei diesem Namen stieß der Pfarrer einen erstickten Schrei aus, dann, als ob irgend ein innerer Damm bräche, rollten zwei lange unterdrückte Thränenströme über die hohlen und bleichen Wangen des Greises.

Nun begriff Marie, die im Grunde ein gutes Mädchen, obgleich ein wenig herrschsüchtig war, wie es jede Magd eines Pfarrers sein muß, welche den Stand nicht verderben will, daß ihr Herr irgend einen gewaltigen Kummer empfinden müsse, den er genöthigt sei, in seinem Herzen zu verschließen, und daß er dem zu Folge der Einsamkeit und des Schweigens bedürfe, diese beiden großen Vertrauten der Leiden der Menschheit. Sie entfernte sich daher, ohne ein Wort zu sagen, aber nicht ohne Tausend Schlüsse zu machen, von denen zuverlässig keiner sie dem Ziele zu nähern vermochte, das sie suchte.

Aber besorgt und in ihrer Besorgnis unfähig, geduldig abzuwarten, daß der Pfarrer zu ihr zurückkehre, oder sie riefe, kehrte sie eine halbe Stunde nachher in sein Zimmer zurück.

Der Pfarrer lag vor einem Kruzifix auf den Knieen und betete, er sah sie nicht eintreten und fuhr fort zu beten. Ihre Tasse in der Hand, blieb Marie an der Thür stehen; aber nach Verlauf eines Augenblickes ließ der arme Priester sein Haupt mit einem so unendlichen Stöhnen auf den Betaltar sinken, daß, obgleich es bis in das Herz der armen Marie drang, sie fühlte, es sei jetzt nicht der Augenblick, einen so großen Schmerz zu besänftigen, sie begnügte sich daher, die Tasse Milch auf eine Ecke des Betaltars zu setzen, und zog sich auf den Fußspitzen zurück, ohne daß der Pfarrer nur ihren Eintritt und ihr Fortgehen bemerkte.