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Die schwarze Tulpe

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IX.
Die Tauben von Dortrecht

An demselben Tage wurde gegen die vierte Nachmittagsstunde das Thor der Festung Löwenstein geöffnet, ein Wagen fuhr durch den Hof.

Baerle stieg melancholisch aus, folgte den ihm angewiesenen Kerkermeister, und staunte nicht wenig, als dieser ein Gefängniß öffnend bedeutete, daß in demselben Locale Hugo Grotius seine Strafzeit hätte überstehen sollen.

Aber noch mehr steigerte sich diese Empfindung durch die vertraulichen Mittheilungen dieses seines nunmehrigen Gebieter und Freundes zugleich, der ganz das Entgegengesetzte von Gryphus, in den ihm zur Verwahrung übergebenen Individuum mehr einen Gegenstand des Mitleids und der Theilnahme, als der Furcht und des Abscheues fand.

Baerle erfuhr also, daß in demselben Zimmer, noch vor Hugo Grotius, der in der Folge gerichtete und berühmte Barnefeldt gesessen sei, daß dieses Lokal dermalen aber nach seinem letzten Inwohner dem berühmten Philosophen nämlich, in keinem besonders guten Rufe stehe.

Man hatte dem Gelehrten gestattet, während der Gefangenschaft seine Gattin zu sich zu nehmen. Diese schon lange darauf sinnend, ihren Mann zu befreien, ergriff mit der größten Freude die bewilligte Gnade, und ließ in den Kerker, alles zu ihrem Putze und Vergnügen nothwendige Mobilar tragen.

Unter diesen befand sich ein großer Bücherkoffer, der im Stande war, einen Menschen commode aufzunehmen, und eher einem kleinen Wagen als irgend einem andern Gegenstande glich.

Die Bücher wurden im Gefängnisse ausgeräumt und Madame Grotius erklärte, ihre Bibliothek sei so groß, daß man diese ungeheuere Maschine wohl noch zwei- bis dreimal werde hin- und hertragen müssen.

Durch dieses Verfahren erstand in den Wächtern nicht der geringste Argwohn, sie fanden es nicht mehr nöthig, den Koffer zu untersuchen, und so verschwand schon am zweiten Tage der Gelehrte, auf diese Art ohne Anstand aus der Festung hinausgetragen.

Van Baerle war hoch erfreut und zugleich stolz. Der Gedanke, denselben Ort zum Aufenthalte angewiesen zu haben, den vor ihm so berühmte Männer bewohnten, erweckte die eine Empfindung, während die ihm so eben gemachte Mittheilung eine günstige Vorbedeutung enthielt, die ein unerklärbares Gefühl von Freude dadurch erzeugte.

Warum sperrt man mich gerade hier ein, dachte sich Baerle, wenn man weiß, daß bereits ein Gefangener von da entflohen ist.

Dieses Zimmer war demnach, wie wir bereits bemerkten, historisch. Es liegt aber weder in unserer Aufgabe, noch haben wir die Absicht unsere Leser durch eine, genaue Beschreibung jedes einzelnen Ziegels oder Steines, der Anzahl der Fensterscheiben, der mehr oder weniger vorhandenen Spinnen 2c. 2c. zu ermüden, wir begnügen uns daher auch nur mit den wenigen Worten:

Dieser Kerker sah wie jeder andere aus, gleich nebenan befand sich eine Art geräumiger Alkove, die früher für Madame Grotius bestimmt war, dann hatte«er eine ziemlich bedeutende Höhe, welche jede Anhäufung schädlicher Dünste verhinderte, und man genoß durch die wohl gut vergitterten, aber dennoch großen Fenster, eine reizende Aussicht.

Also (um es noch ein Mal zu wiederholen) das, Interesse unserer Geschichte besteht durchaus nicht in langen oder kurzen Beschreibungen, wir verfolgen nur einen Pfad, denselben nämlich, den der uns bereits bekannte Held wandelt, wir suchen ihn nun in dem beschriebenen Lokale auf, wir finden, daß dieser sonst nur seinen Blumen in stiller Zurückgezogenheit lebende Mensch, das Leben nunmehr von einem andern Gesichtspunkte betrachtet, daß sich zwischen ihn und seiner Lieblingsidee noch ein anderer Gegenstand gedrängt hat.

Und worin bestand dieser, wer war er?

Eine Frau —

Also die Blumen und eine Frau – beides himmlische Gegenstände, beide hoch, entzückend, beide verloren!!

Das waren seine düsteren, trüben Gedanken; da vergaß er ganz, daß es eine höhere Machte gebe, daß die allwaltende Vorsehung die Schritte und Schicksale des Menschen leite. Er vergaß ganz, wie eben diese gütige Vorsehung durch die milden Strahlen der Sonne, ihm in den Augenblicke entgegen gelächelt hatte, wo er das Schaffot verließ, er ahnte in seiner traurigen Stimmung nicht im entferntesten, welch’ sonderbare und abenteuerliche Existenz ihm gerade hier vorbehalten war.

So stand er eines Morgens ganz in seinem Gedanken, und in das Anschauen der sich vor ihm gleich einen wundervollen Panorama ausbreiteten Gegend am Fenster, blickte über die Wipfel der Tannen und Fichten mit tiefbewegten Herzen nach seiner Vaterstadt hinüber, deren Thürme ihm in weiter Ferne wie Nebelbilder entgegen lächelten, und folgte endlich aufmerksam, einem Schwarme von Vögeln, die über Dortrecht sich erhoben hatten, und langsam ihre Richtung gegen den Löwenstein nahmen.

Es waren Tauben.

An den Gibeln und vorspringenden Dächern der Festung ließen sie sich nieder.

Baerle sah sie lange, sehr lange und unverwandt an. Dieses Anschauen erweckte natürlicher Weise eine Reihe von Gedanken und Folgerungen.

Diese Tauben, dachte er, kommen von Dortrecht, und es ist wenig Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sie für immer jener Stadt entflohen sind. Sie werden früher oder später, dennoch gewiß wieder zurückfliegen.

In Dortrecht müssen sie Jemand angehören, der sie nährt und aufzieht. Bei diesem werden sie sich auch niederlassen.

Wenn man nun einer dieser Tauben ein Briefchen, mit der gehörigen Adresse versehen, um den Hals oder unter die Flügel blinde, so müsste es der Eigenthümer finden, und er würde gewiß die Gefälligkeit haben, es derjenigen Person zu übergeben, an die es abgeschickt wurde.

Er hatte reiflich überlegt, nachgedacht und erwogen.

Wir wollen es versuchen, sprach er dann.

Wenn man in einem Alter von acht und zwanzig Jahren für sein ganzes Leben zum Kerker verdammt ist, und diesem Zeitraum in Unterabtheilungen bis auf Tage zerlegt, so ergibt sich mit Berücksichtigung der zur Grundlage angenommenen, mittleren Lebensdauer, die ungeheure Zahl, von drei und zwanzigtausend solchen Tagen. Eine Summe, deren Ende man eigentlich gar nicht voraussehen kann, muß den unbändigsten Menschen zur Geduld mahnen.

Baerle hatte diese Berechnung gemacht, er fühlte dadurch die eben erwähnte ihm schon angeborene und lobenswerthe Eigenschaft bedeutend gestärkt.

Aber der Gedanke an seine theuern Zwiebel, die Art und Weise ihrer Behandlung, der Möglichkeit eines Mißlingens. wenn ungeschickte Hände sich damit befaßten, das alles machte ihn doch wieder etwas ängstlicher, und trieb ihn zur Eile.

Er verfertigte mit vieler Mühe eine Fangleine, oder eigentlich mehr eine Taubenschlinge, dann versuchte er die etwas scheuen Thierchen durch alle nur möglichen Leckerbissen der etwas kargen Küche zu ködern und an sich zu gewöhnen, und endlich gelang es ihm, nach, mehr monatlichen, rastlosen Versuchen, ein Weibchen zu fangen.

Zwei Monate darauf glückte es ihm wieder ein Männchen zu erhaschen. Beide sperrte er zusammen, und erhielt im Monate Jänner 1673 die ersten Eier von ihnen,

Er ließ das Weibchen frei, und dies flog mit einem Brief unter ihrem Flügel, während der Tauber unterdessen das Geschäft des Ausbrütens übernehme, schlug es die Richtung nach Dortrecht ein.

Am Abende kehrte sie zurück.

Der Zettel war noch unberührt unter den Flügeln.

Am nächsten Morgen ließ es Baerle wieder aus.«

Aber durch volle vierzehn Tage wiederholte er das gleiche Verfahren, ohne seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt zu sehen.

Immer wieder brachte die Taube das Blatt zurück.

Endlich am sechzehnten Tage kam sie leer an.

Baerle's Entzücken und Freude läßt sich nicht beschreiben.

Das Blatt, das der Gefangene diesem so seltenen Boten anvertraut hatte, war an seine alte Amme adressiert, und enthielt außerdem ein kleines Billet an Rosa.

Baerle hatte, wie bereits erwähnt, das Gelingen seiner Unternehmung ganz dem Zufalle überlassen. Traf die Taube einen gutmüthigen Menschen, der weiter über diese seltsame Erscheinung sich nicht den Kopf zerbrach, und daher auch keine Nachforschungen anstellte, so war es gewiß, daß die Amme den Brief erhalten mußte. Wenn dies aber nicht gewesen, oder gar der entgegengesetzte Fall eingetreten wäre?

Was dann? ’

Wir wollen uns nicht länger mit diesen Fragen und Zweifel quälen, und unsern Leser mit wenigen Worten bekannt machen, daß hier wieder der mächtige Arm der unerforschlichen Vorsehung wirkte, daß nämlich die Amme den Brief, so wie er abgeschickt worden war, erhielt.

Und wie geschah dies?

Isaak Boxtel war, wie wir wissen, um seine Absicht zu erreichen, nach Haag gereist. Er hatte aber durch diesen Schritt nicht nur sein Haus, nein, auch seinen Diener, das Teleskop, und eine Unzahl von Tauben, mit deren Zucht er sich ebenfalls beschäftigte, verlassen.

Dem Diener hatte er kein Geld gegeben, und da dieser ein ganz profaner Mensch, mehr Genuß an Essen und Trinken, als an sämmtlichen Tulpen und Zwiebeln seines Herrn fand, wird es Niemand wundern zu erfahren, daß nach und nach alle Eßvorräthe des Hauses verschwanden, und nachdem Nichts mehr zu finden war, langsam die Tauben an die Reihe kamen.

Allein diese liebten wieder das Leben und die Freiheit, und zogen diese beiden Güter, dem sehr thätigen Magen ihres Feindes vor.

Und so geschah es denn, daß die noch übrig gebliebenen Tauben des Herr Isaak Boxtel, auf Baerles Haus wanderten.

Die Amme war eine gutherzige Frau, die nicht leben konnte ohne etwas zu lieben. Sie konzentrierte Ihre Zuneigung auf die schutzlosen Wesen, versah sie mit reichlichem Futter, und genoß die Freude zu sehen, wie sich der ganze Schwarm mit aller Förmlichkeit, häuslich niederließ.

 

Da kam aber Boxtel’s Diener. Er kannte den Schlupfwinkel der Flüchtlinge sehr genau, er hatte in der Voraussetzung, daß er sie eines Tages besser genährt wieder zurückerhalten werde, bisher geschwiegen, und machte nun seine Forderung laut geltend. Allein auch die Amme konnte sich nicht mehr von den lieben Thieren trennen, sie schloß einen Handel ab, und bezahlte das Stück mit dem ungeheuern Betrage von sechs hölländischen Sous.

Auf diese Art wurde sie rechtmäßige Besitzerin der Tauben des Herrn Boxtel.

Einige dieser Thierchen hatten sich denn auch unter den uns bereits bekannten, und von Baerle beobachteten Schwarm gemengt, und mit diesen aus dem Löwenstein niedergelassen.

Und wer zweifelt noch an der wunderbaren Fügung des gütigen Geschickes?

Baerle fing gerade ein Weibchen aus seinem eigenen Taubenschlage, von dem er gar keine Ahnung hatte.

Aber noch seltsamer und wunderbarer erscheinen die Fügungen dieser uns unbekannten, höhern Macht, wenn man alle Umstände und Einzelheiten der Begebenheit näher erfaßt, und überlegt.

So dürfen wir nur annehmen, das Boxtel sein Haus nicht verlassen, daß er von Dortrecht sich gar nicht entfernt hätte, oder wenigstens nach seinen im Haag angestellten vergeblichen Versuchen, wieder zurückgekehrt wäre; dann würden die Tauben eben so wenig von seinem Diener gespeist worden sein, und keine einzige hätte jemals, außer aus Laune und Neugierde, Baerles Dach berührt. Dann waren aber alle Versuche des Gefangenen, alle seine Mühe nutzlos, das Billet fiel in Boxtel’s Hände, dieser ganz erfreut, hätte es zu seinem Zwecke benützt, vielleicht und sogar ganz gewiß, einen neuen schändlichen Plan darauf gegründet, und wir müßten eine Reihe trauriger Tage, trüber Stunden, Schmerzen und Seufzer schildern, ganz in unserer Absicht gehemmt, die höchst interessanten Erscheinungen, unserer Erzählung nach und nach in einem reizenden Bilde, den Augen des Lesers zu entrollen.

Der Brief fiel also, wie wir erst vor Kurzem erwähnten, glücklich in die Hände der Amme.

Es war in den ersten Tagen des Februars. Der Abend rückte heran, langsam tauchten an dem dunkeln Hintergrunde die Sterne auf. Baerle war in Betrachtungen versunken. Da durchzuckte es ihn plötzlich wie ein elektrischer Strahl.

Er hatte auf der Stiege die zum Thurme führt eine Stimme gehört, die ihn begeistert durchdrang.

Die zarte Stimme erklang dem Silbertone eines Glöckchens gleich.

 
Es war die süße harmonische Stimme von Rosa.
 

Eine unnennbare Seligkeit und Wonne ließ ihn Schmerz und Qual, alle erduldeten Leiden, eine ganze Zukunft vergessen. Ihm erschien der Ort, auf den das theuere Wesen in seiner Nähe weilte, ein lachendes Paradies.

Zwar enträthselte sich in demselben Augenblicke der ganze Vorgang seiner tiefen Forschung, er schrieb diese unerwartete Erscheinung sich und den Versuchen mit der Taube zu, aber Alles schwand wieder; er hatte ja statt der leeren Hoffnung nun die Antwort selbst da, lebend, athmend, himmlisch schön.

Rosa kam, und kam gewiß ihn zu sehen, und Nachricht von der schwarzen Tulpe zu bringen.

Er erhob sich, er sprang zur Thüre, er legte sein Ohr an das kalte Eisen, er glaubte diesen ehernen Widerstand durchbrechen zu müssen.

Und Rosa, dies herrliche Mädchen, die eine so weite Reise, vorn Haag nach dem Löwenstein gemacht hatte, der es gelungen war, in die Festung zu dringen, wird man ihr wohl gestatten, bei dem Gefangenen einzutreten?

So in seine Gedanken, Zweifel und Muthmaßungen vertieft, gewahrte es Cornelius beinahe gar nicht, wie der, das eiserne Gitter in der Thüre verdeckende Schuber sich öffnete, und das liebreizende schöne Antlitz der jungen Frisin daran erschien. Heiterkeit, Ruhe, himmlische Freude strahlte aus diesem lächelnden Engelsköpfchen, dem selbst die noch nicht ganz gewichene Blässe der Wangen einen unbeschreiblich hohen Reiz verlieh.

»Ich bin nun wieder da, mein lieber Herr,« rief die Kleine Freudestrahlend

Cornelius stand betäubt, regungslos da. Dann aber breitete er die Arme aus, er umschloß die eiserne, Thüre, er drückte sie an die Brust, er glaubte das Herz der Theuren, ihren leisesten Pulsschlag zu fühlen.

»Rosa, Rosa« rief er begeistert.

»Still, sprecht nicht so laut, mein Vater folgt nach.«

»Wie, was, Euer Vater.«

»Ja, er steht unten an der Stiege. Der Gouverneur ertheilt ihm nur noch einige Befehle, dann kommt er herauf.«

»Ich verstehe Euch nicht recht, er erhält Befehle vom Gouverneur?«

»Ich will es versuchen, Euch mit wenigen Worten von Allem, was Ihr vorläufig zu wissen notwendig habt, in Kenntnis zu sehen. Der Statthalter besitzt in der Nähe von Haag eine kleine Besitzung, eigentlich mehr eine Meierei, und hat meiner Tante, die seine, Amme war die Aufsicht über diese Wirtschaft übernahm. Es war als ich Ihren Brief erhielt, der, ach ich konnte nicht selbst lesen, aber die Ihre Amme las ihn mir vor, ich eilte zu meiner Tante, da blieb ich, bis zu dem Zeitpunkt, wo der Statthalter, seiner Gewohnheit nach, die Besitzung zu besehen pflegte. Bei dieser Gelegenheit bat ich ihn, und zwar ohne Mitwissen meines Vaters, diesem zum ersten Gefangenenwärter im Löwenstein zu ernennen, und denkt Euch meine Freude, der Prinz, der natürlich von gar Nichts weiß, und daher meiner Bitte keinen andern Grund als kindliche Liebe unterschob, bewilligte diese, und so sind wir denn hier.«

,, Und bleibt auch da?«

»Nach dem was ich sagte, natürlich.«

»Und ich sehe Euch dann oft, sehr oft?«

»Ja, gewiß, so oft es möglich ist.«

»O, meine Theuere, meine himmlische Rosa, zürnt mir nicht, wenn ich Euch frage, ob Ihr mich ein wenig liebt.««

»Ein wenig – o! Ihr seid sehr bescheiden in Euren Anforderungen, einem armen Mädchen gegenüber.«

Cornelius brachte die Hand an das Gitter, es gelang jedoch nur, daß die Spitzen der Finger sich gegenseitig berührten.

»Mein Vater kommt.«

Rosa schob in demselben Augenblicke, den Deckel wieder rasch vor das Gitter, und eilte ihrem Vater, der so eben über die Stiege heraufkam, entgegen.

Dritter Band

I.
Das Thürgitter

Der Kerkermeister erschien in Begleitung seines treuen, vierfüßigen und mürrischen Begleiters.

Er pflegte ihn gewöhnlich bei seinen Visitationen mitzunehmen, damit dieser sorgsame Wächter jeden Gefangenen genau kennen lerne.

Rosa war ihm entgegengeeilt.

»Mein Vater,« rief sie, ihren Zügen den Ausdruck einer sehr hohen Neugierde einprägend, »seht Ihr, hier ist das berüchtigte Zimmer, aus dem Hugo Grotius entwichen ist, o, wie gerne möchte ich es sehen.«

»Ja, ich entsinne mich dieses Spitzbuben von Grotius, ein Freund des bekannten gleich großen Verbrechers Barnefeldt, den ich in meiner Jugend hinrichten sah. Nun ich versichere Dich, wenn es auch jenem Schurken gelang zu entkommen, so werde ich Maßregeln zu treffen wissen, daß dieser Fall sich kein zweites Mal wieder ereignet.«

Er öffnete während dieser Worte die Thüre und trat, eine große Laterne in der rechten Hand, in das nun vollends dunkel gewordene Gemach.

Die Lampe, die darin brannte, verbreitete nur eine matte Helle.

Der Hund war unterdessen zu dem Gefangenen geschritten und beroch murrend dessen Waden.

Rosa rief ihn zurück, und nur sehr ungern gehorchte das Ungethüm, sich zu den Füßen des Mädchen kauernd.

Gryphus hob seine Laterne empor und beleuchtete das Antlitz des Gefangenen.

»Merkt auf, mein werther Herr, was ich Euch sage: Ich bin der Kerkermeister, der Oberaufseher über alle Gefangenenwärter, und bin mit der unmittelbaren Aufsicht der Gefängnisse und der darin verwahrten Personen betraut. Ihr werdet in mir einen guten und zuvorkommenden Mann finden, nur aus Eines mache ich Euch aufmerksam, daß ich nämlich unter keiner Bedingung von dem abweiche, was man die Hausordnung nennt.«

»O, ich kenne Euch ja schon, mein lieber, guter Gryphus

Der Kerkermeister trat näher und blickte den Sprechenden mit forschender Miene an.

»Ah, so, seid Ihr van Baerle, hm, hm, es ist doch sonderbar, wie man sich oft wiederfinde.«

»Ihr habt recht Gryphus, und könnt gar nicht glauben, wie erfreulich mir dies Wiedersehen ist, da ich gerade bemerke, daß Euer Arm sich im besten Wohlsein befindet, indem Ihr ihn mit Leichtigkeit und ohne Anstrengung wieder bei Euern Verrichtungen gebraucht.«

Gryphus legte die Stirne in mächtige Falten.

»Ich staune nur, wie man in der Politik so unendlich hohe Fehler machen kann. Der Prinz hat Euch das Leben geschenkt, ich und noch tausend Andere hätten dieß unter keiner Bedingung gethan.«

»Wißt Ihr mir keinen Grund dieser Erbitterung. anzugeben?«

»O ja, den Ihr werdet trotz dem, daß Ihr eingesperrt seid, wieder neue Verschwörungen anzetteln, denn Leute so wie Ihr, oder mit einem Worte die Gelehrten stehen im vertrautesten Bunde mit dem Teufel.«

»Nun, Meister Gryphus, da scheint Ihr ja über die Art, wie ich Euren Arm einrichtete, und den Preis, den ich dafür forderte, ganz unzufrieden zu sein.«

»Ganz sicher, denn dahinter steckt ja eben so eine, Zauberei. Ich konnte den Arm, was in derlei Fällen nie zu geschehen pflegt, schon nach sechs Wochen ohne Schmerz, und ganz so wie früher gebrauchen. Der Arzt von Buytenhoff ein sehr geschickter Mann, wollte es gar nicht glauben, und als er sich doch vollständig überzeugte rieth er mir, da mein Arm nicht nach der Regel der Kunst eingerichtet worden war, ihn noch ein Mal brechen zu lassen. Auch verpflichtete er sich, mir ihn so einzurichten, daß ich ihn ganz, so wie es sonst; immer geschieht, wenigstens durch sechs Monate nicht würde brauchen können.«

»Habt Ihr diesen Rath befolgt?«

»Ei, was Euch nicht einfällt. So lange ich das Kreuz damit machen kann, lache ich den Teufel aus.«

(Gryphus war demnach ebenfalls Katholik)

»So, wenn Ihr aber den Teufel auslacht Meister Gryphus, dann müßt Ihr Euch ja über die Gelehrten, die nur eigentlich seine Diener sind, noch mehr lustig machen.«

»O, sprecht mir nicht von den Gelehrten, die gehen noch über den Teufel. Ich habe lieber hundert Soldaten als einen Gelehrten zu bewachen. Die Soldaten spielen, essen, trinken, sind zufrieden wenn sie ihren Tabak, Wein oder Branntwein haben, und lassen die ganze übrige Welt, dort wo sie gerade ist. Aber so ein Gelehrter der ist immer nüchtern, immer nachdenkend, immer überlegt; wenn man ihm in das Gesicht spricht, so zettelt er auch schon im Rücken eine Verschwörung an. Aber darum versichere ich Euch, daß Ihr gar keine Bücher, Papiere, Schreibrequisiten oder dergleichen Sachen haben dürft, durch welche Complotte nur unterstützt und begünstigt werden. Richtet Euch darnach.«

»Seid unbesorgt, mein lieber Gryphus. Wenn ich auch früher einige Mal den Wunsch hatte zu entfliehen, so gebe ich Euch hingegen jetzt mein Ehrenwort, daß mir dies gar nicht mehr einfallen wird.«

»Ganz recht, ich will Euch glauben, rathe aber zugleich, daß Ihr über Euch so wachen möget, wie ich es thun werde. Es bleibt aber trotzdem dabei, daß Seine Hoheit einen großen Fehler begangen hat.«

»Weil er mir den Kopf auf dem Rumpf ließ.«

»Ganz sicher, seht nur ein Mal wie ruhig sich jetzt Euere Anverwandten, die Brüder von Witt verhalten.«

»Gryphus, Euere Worte sind gräßlich und schauererregend. Ihr scheint zu vergessen, daß mir der Eine Pathe, und der Andere ein zweiter Vater war.«

»Das kümmert mich Nichts. Ich habe in ihnen zwei der größten Verschwörer gesehen, und finde mich auch nur aus reiner Menschlichkeit bewogen, so zu Euch zusprechen.«

»Das ist ein wenig unerklärbar und räthselhaft?«

»Hm, wenn Euer Kopf durch das Schwert des Henkers, so recht ordentlich abgehauen worden wäre —«

»Was dann?«

»Dann hättet Ihr Alles überstanden und nichts mehr zu erdulden. So aber werdet Ihr durch mich noch unendlich Vieles ausstehen müssen.«

»Ich danke Euch für diese Mittheilung.«

Und während dieser Worte fiel sein Blick auf das engelreine Antlitz des schönen Mädchens, das ihm freundlich entgegen lächelte.

Der Gefangenenwärter trat zum Fenster. Der aufgehende Mond gestattete es, die Gegend in weitem Umkreise zu überblicken.

»Was habt Ihr da für eine Aussicht?«

»Eure entzückend Schöne,« aber zugleich fielen die Augen des Gefangenen auf das reizende Mädchen.

»Ja, ja, wirklich eine reizende Aussicht, und nach meiner Meinung sogar zu viel Aussicht«

 

In diesem Augenblicke flogen die Tauben, durch den Unbekannten, so wie die ihnen ganz fremde Stimme aufgeschreckt, aus ihrem Neste.

»Oho,« rief Gryphus, »was soll das?«

»Das sind meine Tauben.«

»Tauben, was Tauben, ist das je erhört, darf sein Gefangener solche Gegenstände besitzen?«

»Was findet Ihr denn gar so Seltsames daran, das sind Tauben, die mir Gott gesandt hat.«

»Das kümmert mich gar Nichts. Möge sie Euch geschickt haben wer da wolle, das ist ein und für alle Mal eine Uebertretung der Hausordnung, die ich unter keiner Bedingung dulde, und damit dem gleich ein Ende gemacht werde, erkläre ich Euch, daß diese Tauben morgen in meinen Fleischtöpfen sieden.«

»Vergeßt nicht Meister Gryphus, daß Ihr sie zu diesem Zwecke früher fangen müßt. Ihr wollt nicht, daß ich sie habe, und ich schwöre Euch dagegen, daß Ihr Sie nie bekommen werden.«

»Das wollen wir doch sehen, ob ich ihnen nicht spätestens bis morgen den Hals umdrehe.«

Er beugte sich während dieser Worte vor, und untersuchte sorgfältig die Lage und Gestaltung des Restes.

Unterdessen hatte Cornelius Zeit, Rosas Hand zu drücken, und diese fand es für gut ihm zuzuflüstern.

»Heute Abends neun Uhr.«

Der Kerkermeister war ganz von Begierde durchdrungen, sein Versprechen am nächsten Morgen pünktlich zu halten; mit Haß und unterdrücktem Zorne verließ er das Fenster, nahm Rosa unter den Arm, schloß die Thüre und schob die starken Riegel vor.

Cornelius war ihm nach geeilt, er horchte aufmerksam an dem Gitter, bis die sich langsam entfernenden schweren Schritte ganz verhallten, dann sprang er zum Fenster, öffnete den kleinen zum Einlassen der frischen Luft angebrachten Schuber, und zerstörte das Taubennest.

Er wollte diese Boten der Liebe, denen er Rosas Gegenwart verdankte, lieber ganz vertreiben, als dem Tode opfern.

Das Erscheinen des Kerkermeisters, sein brutales, rohes Benehmen, die Art und Weise einer unendlich strengen Bewachung, und die damit verbundenen Mißbräuche, die ihm nunmehr bevorstanden; nichts vermochte die Wonne aus seinem Innern zu bannen, die Rosas Gegenwart hervorgezaubert hatte.

Mit klopfendem Herzen erwartete er die neunte Stunde.

Diese Stunde war ja die, welche ihm Rosa bezeichnet hatte.

Endlich erdröhnte sie. Der lebte Schlag verhallte langsam in der Luft, Cornelius stand horchend an der Thüre, sie nahte, er vernahm den leichten Schritt, das Rauschen des weiten, frischen Kleides.

Das Gitter wurde geöffnet.

»Ich habe mein Wort gehalten,« lispelte Rosa so leise und so bewegt, daß man nicht wußte, ob das schnelle Gehen, oder eine innerliche Bewegung ihr den Athem geraubt habe.

»Meine theure Rosa

»Seid Ihr zufrieden, mich zu sehen?«

»Wie, Ihr könnt fragen? O, sagt mir doch, wie es Euch möglich wurde, wieder zu mir zu kommen.«

»Mein Vater trinkt den Wachholderbranntwein, mehr als er vertragen kann. Nach dem Abendessen ist er seiner Sinne nicht mächtig, dann trag ich ihn zu Bette, und diese Stunde macht es mir dann möglich, Euch zu sehen.«

»O, meine theure Rosa, nehmt meinen wärmsten Dank.«

Und der Gefangene drückte mit diesen Worten sein Gesicht so fest an das Gitter, daß Rosa ihr Köpfchen erschrocken zurückzog.

»Ich brachte Eure Zwiebelknospen mit.«

Das war es, wonach Cornelius nicht zu fragen wagte. Er glaubte auf den Schatz, den er dem Mädchen vermacht, auch keinen Anspruch mehr zu haben. Sein Herz zitterte vor Freude.

»So.habt Ihr Sie also aufbewahrt?«

»Zweifelt Ihr daran? Sie wurden mir von Euch als ein Gegenstand übergeben, »den Ihr liebtet und der Euch von unendlichem Werthe war.«

»Ja, aber ich schenkte sie Euch, Ihr könnt sie daher auch als Euer Eigenthum betrachten.«

»Nun dann, wenn Ihr gestorben wäret, hätte ich dies gethan, so seid Ihr aber glücklich am Leben geblieben. O, wenn Ihr wüßet wie ich dem Schöpfer dankte, und für den Prinzen, der Euch verzieh, Heil und Segen vom Himmel erflehte. Wenn nur ein kleiner Theil meiner Bitten in Erfüllung geht, muß Wilhelm von Oranien der glücklichste Mensch werden. Ich dachte damals schon auf ein Mittel, wie ich Euch wieder die Zwiebel einhändigen könnte, und eben hatte ich den Entschluß gefaßt, den Statthalter für meinen Vater um die Stelle eines Kerkermeisters in Gorkum zu bitten, da kam Euer Brief und ich änderte, wie Ihr es nunmehr seht, ganz meinen Plan.«

»Also schon vor Erhalt meines Briefes, theuere Rosa dachtet Ihr daran, mit mir wieder zusammenzukommen.«

»Ihr fragt mich so, glaubt Ihr, daß ich an etwas anderes in dieser Welt – —« aber gleichsam, als trete Ihr Schamgefühl mächtig hervor, blieb sie mit einem Male still.

Dunkle Röthe überzog die Wangen, der Blick senkte sich zur Erde, beschämt, verwirrt aber immer noch reizend schön, stand sie da.

Cornelius drückte abermals das Antlitz heftig an das Gitter.

Rosa wich wie das erste Mal zurück.

Sie hatte sich wieder gesammelt.

»Ja, mein Herr, ich versichere Euch, ich bedauerte oft,« sprach sie nach einer kleinen Pause, »daß ich nicht lesen kann, aber nie so tief und schmerzlich, als gerade in dem Augenblicke, wo mir die Amme Euer Schreiben brachte.«

»So, Ihr hattet also schon Gelegenheit es zu bedauern, wie und wann?«

»Nun, um alle die Briefe zu lesen, die man mir schickte.«

»Ihr habt schon Briefe erhalten?«

»O Gott, in die Hunderte!«

»Und wer schrieb Euch denn?«

»Sollte ich Euch die alle nennen? Dass ist eine pure Unmöglichkeit. Eine Menge Studenten, Kaufherrn und Kaufmannsdiener, die über den Buytenhoff gingen, Officiere, die aus dem Paradeplatz standen, und überhaupt eine Menge von Männern, die auf mein Fenster hinaufblickten.«

»Und was geschah mit all’ den Briefen?«

»Anfangs ließ ich sie mir von einer Freundin vorlesen, dann aber, als ich einsehen lernte, daß man mit dem Lesen solcher Dummheiten zu viel Zeit verliert, fing ich an, sie zu verbrennen.«

»Und seit wann thut Ihr das?«

Das Mädchen schlug die Augen nieder, sie bemerkte nicht, wie Cornelius abermals seine Lippen an das Gitter brachte und diesmal, trotz des Hindernisses, die glühende Stirne berührte.«

Rosa erblaßte, sie ward bleicher, als am Tage der Exekution. Dann aber fuhr sich rasch mit dem Kopfe zurück, ein tiefer Seufzer entrang sich dem hochwogen den Busen, und die Hand an das stürmische, pochende Herz gedrückt, gleichsam um dies zur Ruhe zu bringen, eilte sie fort.

Cornelius stand noch unbeweglich da, er sah der reizenden Gestalt nach, er athmete den Duft des langen dichten Haares, der noch einige Augenblicke die Luft zwischen dem Gitterfenster durchschwängerte.

Rosa war so hastig, so schnell entflohen, daß sie ganz ihr Versprechen vergaß, und an Cornelius die Zwiebel der großen schwarzen Tulpe nicht auslieferte.