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Die Mohicaner von Paris

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Sie hatte ihren weißen Rosenstock gesehen, – ihren weißen Rosenstock, das Symbol der Unschuld, die Erinnerung an ihre erste Liebe!

»O mein Rosenstock!« sagte sie, indem sie ihn auf die Gefahr, sich an den Dornen zu verwunden, an ihr Herz drückte, »in der Nacht, da ich dich aushob, kamst du kaum aus der Erde, unserer gemeinschaftlichen Mutter, hervor, du stelltest noch nicht in der Sonne die Glorie deiner weißen Knospen, umhüllt von deinem Moosmantel, aus; das Feuer des Tages konnte dich nicht erreichen, die Kälte der Nacht konnte dich nicht ergreifen . . . O mein Rosenstockt wie ich, hast du während der Hitze einer glühenden Sommernacht die Schätze deiner glänzenden Blüthen gezeigt; du warst stolz auf deine weißen Blütenblätter; du strahltest in der Sonne, die du für deinen Freund hieltst; du glaubtest an die Ewigkeit des Lebens, wie ich an die Ewigkeit der Liebe glaubte! O mein Rosenstock, warum hast du deine Blüthen gegeben, wie ich meine Liebe gegeben habe, da wir Beide sterben sollten!«

Und sie brach die paar verspäteten Blüthen ab, welche noch das Haupt ihres Rosenstocks bekränztem und statt sie in ihren Mädchenschleier zu, legen, wie sie es mit den andern gethan hatte, entblätterte sie dieselben und gab sie dem Winde preis, der sie auf das kothige Pflaster des Weges forttrug.

LII
Die verwundete Löwin

Von dieser Stunde an betrachtete Carmelite dieses Haus, wie sie es gesagt hatte, als ihr Grab, und den Garten am Hause als ihren Friedhof; sie begriff Lavallière, welche ihre drei Jahre des Lichtes und der Sonne durch dreißig Jahre des Schattens in der Tiefe eines Klosters gebüßt hatte; sie begriff Magdalena, welche, da sie es nicht wagte, ihre Augen bis zur Stirne von Christus zu erheben, seine Füße mit ihren Haaren trocknete.

Ihre Zukunft schien ihr zusammengefasst in den zwei mit schwarzen Buchstaben auf ein weißes Blatt geschriebenen Worten: Weinen und Sterben.

Und in der That, nichts konnte sie fortan an die Güter dieser Welt fesseln, und sie sah sich im Leben gehen, wie das Gespenst den sich selbst.

Sie blieb drei Viertelstunden in ihre düsteren Betrachtungen versunken, das heißt so lange, als der Bretagner brauchte, um Camille zu begleiten, das Vorüberfahren der Diligence zu erwarten und zurückzukommen.

Diese drei Viertelstunden waren Jahrhunderte für Carmelite.

Als Colombau wiederkam, fand er, statt des jungen Mädchens, das er verlassen, gebeugt unter der trostlosesten Niedergeschlagenheit eine Art von Gespenst mit finsterer Haltung, mit erloschenen Farben, mit stieren Augen.

Doch er begriff nichts, der unschuldige Colombau; er glaubte, diese Verzweiflung habe keine andere Ursache, als die Abreise von Camille, er versuchte es, die arme Verlassene dadurch zu trösten, daß er ihr von der Rückkehr sprach. Nun erst verstand er, nach der Art, wie Carmelite den Kopf schüttelte, daß das Uebel aus einer andern Quelle kam, und er begann seine Rolle des ergebenen Freundes, indem er sie brüderlich befragte.

Carmelite antwortete nicht; stumm für seine Blicke, taub für seine Worte, trug sie in sich einen so ungeheuren Schmerz, daß es schien, sie befürchte ihren Freund damit niederzubeugen.

Der erste Tag verging so. Colombau, als er das Mädchen seine Tröstungen zurückweisen sah, wie ein krankes Kind, das mit dem Finger einen wohlthätigen Trank zurückweist, Colombau schrieb der nervösen Aufregung, n der er Carmelite wiedergefunden, diese Traurigkeit zu, die er für vorübergehend hielt, und verschob eine ernstere Befragung auf den andern Tag und auf die folgenden Tage.

Doch am andern Tag und an den folgenden Tagen war die Schwermuth von Carmelite dieselbe, und das Mädchen entzog sich fortwährend jedem Geständnis.

Die Zeit verging also, ohne dem Bretagner die Geheimnisvollen Ursachen dieser tiefen Verzweiflung zu enthüllen.

Die Stunden des Tages waren mit einer unabänderlicher Regelmäßigkeit eingetheilt; alle Morgen vom Monat November an brach Colombau, trotz des Regens, des Kothes, des Windes, des Schnees, der Kälte, zwischen sieben und acht Uhr vom Bas-Meudon auf, um zu Fuße nach Paris in, die Rechtsschule zu gehen und dem Cursus beizuwohnen, der um halb zehn Uhr begann.

Dieser Cursus endigte um halb elf Uhr: Colombau war also pünktlich zu Mittag zurück.

Man frühstückte; dann, eine Stunde nachher, nahm jedes seinerseits seine Arbeit, und man sah sich erst um sechs Uhr, das heißt im Augenblicke des Mittagessens wieder.

Man brachte die übrige Zeit des Abends entweder lesend, oder indem man Musik machte, selten plaudernd mit einander zu.

Der Bretagner fühlte wohl, daß es seine Pflicht war, Carmelite zu befragen; doch er sah den Widerstand des Mädchens, und ohne daß er die Gelegenheiten, das Gespräch auf diesen Boden zu bringen, floh, suchte er sie nicht mehr, wobei er handelte wie ein verständiger Arzt bei einer organischen Krankheit, das heißt, mehr von der Zeit, als von der Wissenschaft, mehr von Gott, als vom Arzte erwartend.

Was aber Colombau in Erstaunen setzte, das waren die ungeheuren Fortschritte, welche Carmelite in der Musik seit der Abreise von Camille gemacht hatte.

Es war, als hätte sich ein neuer, unbekannter, fast erschrecklicher musikalischer Sinn in ihr entwickelt. Spielte sie nur, so hatte ihr Klavier eine Stimme, eine Seele: es weinte, es seufzte, es schluchste; sang sie, so hatte ihre Stimme, besonders in den hohen Noten, einen Umfang, ein Gefühl, eine schmerzliche Bitterkeit, wodurch aus dieser Stimme die Stimme eines trostlosen Engels wurde, der den Verlust des Himmels mit menschlichen Accenten beklagt.

Die Sonntage wurden besonders der Musik und dem Spaziergange gewidmet; man brachte sie gemeinschaftlich zu, ohne sich eine Viertelstunde von einander zu entfernen. War das Wetter so schlecht, daß man nicht ausgehen konnte, so kam man im Pavillon von Colombau zusammen. Der Bretagner war Anfangs erstaunt über diese Wahl von Carmelite, über diese Bevorzugung seines Zimmers, während man einen gemeinschaftlichen Solon hatte; doch als ein echter französischer Jurist, der die provisorischen Gesetze als definitiv annimmt, hatte er diese Laune von Carmelite angenommen, ohne sich Rechenschaft darüber zu geben.

Es hatte übrigens Carmelite nicht an Vorwänden gefehlt, um Colombau zu beweisen, sein Zimmer sei günstiger für ihre Plauderei, als irgend ein anderes. An einem Tage war das Klavier von Carmelite um einen Ton gesunken, und das Klavier von Colombau ging besser für ihre Stimme; an einem andern Tage rauchte der Kamin des Solon, und der Kamin von Colombau war vortrefflich; wieder an einem andern Tage war es ein ernstes Buch, dessen man bedurfte, um eine Thatsache, ein Datum zu bewahrheiten, und die ernsten Bücher fanden sich nur in der Bibliothek von Colombau. Kurz, es gab hundert Gründe, im Zimmer von Colombau zusammenzukommen, und nicht anderswo, und zum Beweise dient, daß man hier zusammenkam.

So vergingen mehrere Wochen; man empfing keine Briefe von Camille, und Colombau bemerkte mit Erstaunen, daß sich Carmelite nie bei Nanette erkundigte, ob Briefe angekommen seien.

Gegen das Ende des Decembers traf indessen der erste Brief ein.

Colombau brachte ihn ganz freudig Carmelite.

Sie saß an ihrem Klavier.

»Ein Brief von Camille! rief Colombau, als er in ihr Zimmer eintrat.

Doch ohne ihre Hände von den Tasten aufzuheben, sprach Carmelite:

»Lesen Sie, mein Freund.«

Colombau pflegte den Wünschen des Mädchens ohne Widerstreben zu gehorchen.

Er entsiegelte den Brief und las.

Der Brief erzählte alle Erörterungen, welche Camille nicht mit seinem Vater, sondern mit seinen Tauten, seinen Großtanten, so wie mit der übrigen Familie gehabt, die sich beständig seinem Plane entgegengesetzt gezeigt hatte, und sich zur Stunde, wo er diese Zeilen schrieb, mehr als je wiedersetzte.

Außerdem war der Brief voll der lebhaftesten Zärtlichkeit für Carmelite, der tiefsten Dankbarkeit für Colombau; es fand sich sogar im allgemeinen Tone des Briefes eine Art von Melancholie, welche nicht gewöhnlich beim Americaner, und die der Bretagner auf Rechnung seiner durch die Uneinigkeit der Familie gefesselten Liebe und des Kampfes, den er aushielt, setzte.

Worüber sich aber Colombau wunderte, das war die mehr als kalte Art, wie Carmelite diesen Brief ihres zukünftigen Gatten aufnahm; er wagte es nicht, ihr eine Bemerkung in dieser Hinsicht zu machen; als er jedoch Abends allein war, fragte er sich in seinem Innern nach der Ursache dieser augenscheinlichen Kälte, und je mehr er in den Geheimnisvollen Tiefen des Herzens der Frau suchte, desto mehr entfernte er sich von der Wirklichkeit.

Gegen das Ende des Januars kam ein zweiter Brief von Camille voll leidenschaftlicher Zärtlichkeit. Die Kämpfe währten im Schooße der Familie Rozan immer noch fort; Camille hatte indessen einige Verwandte für seinen Plan eingenommen; einige andere hatte er gerührt kurz, er hatte ein wenig Terrain gewonnene man war also im Fortschritte.

Diesen zweiten Brief empfing Carmelite mit derselben Gleichgültigkeit wie den ersten: sie las alle die glühenden Zeilen, ohne im Geringsten davon bewegt zu werden; als sie die letzte erreicht hatte, machte sie den Brief zu und legte ihn auf den Kamin ohne Affectation, aber mit einer eisigen Verachtung.

Colombau war wohl versucht, diesen Umstand zu benützen, um sie zu befragen; aber er fand sie, jenseits ihrer scheinbaren Kälte, so aufgeregt, so fieberisch, daß er befürchtete, sie wie die Sinnpflanze, wenn er sie nur berühren würde, niederzubeugen.

Er verzichtete also für den Augenblick, irgend eine Frage an sie zu machen, und beschränkte sich darauf, daß er, jedoch vergebens, wie er es seit drei Monaten that, die Ursachen dieses krankhaften Zustandes suchte.

So verging ein Jahr.

Colombau, um das Mädchen nicht allein zu lassen, schrieb an seinen Vater, eine Pflicht halte ihn in Paris zurück, und er werde nicht das Glück haben, ihn während der Ferien dieses Jahres zu besuchen.

 

Statt sich langsam wie ein Jahr der Abwesenheit hinzuschleppen, war dieses Jahr übrigens mit einer außerordentlichen Schnelligkeit, in einer unaussprechlichen Heiterkeit auf der Seite von Colombau, in einer leidenschaftlichen Bewunderung und in einem beständigen Gewissensbisse auf der Seite von Carmelite verlaufen.

Als sie eines Abends wie gewöhnlich beisammen saßen, – es war dies am 23. des Monats October, gerade am Jahrestage der Abreise von Camille, – äußerte Colombau die Ansicht einfach gestützt auf die Redlichkeit, die er beim Creolen voraussetzte, dieser, der seit einem Monat sein fünfundzwanzigstes Jahr vollendet hatte, würde unstreitig zurückkommen, um mit oder ohne Einwilligung seines Vaters zu heirathen.

Carmelite schüttelte den Kopf auf die bezeichnende Weise, welche schon mehrere Male den Bretagner beunruhigt hatte, ohne daß er indessen den bestimmten Sinn davon begriff, was ihn noch viel mehr beunruhigt hätte.

Diesmal beschloß er, eine Erklärung von dem Mädchen zu verlangen.

»Carmelite,« sagte er, »es ist heute ein Jahr, daß unser Freund abgereist ist; es ist heute ein Jahr, daß Sie bei den Versicherungen, die ich Ihnen über die baldige Rückkehr von Camille gab, traurig den Kopf schüttelten, wie Sie es in diesem Augenblicke thun. Ich habe vergebens die Ursache dieser stillschweigenden Mißbilligung gesucht, und da ich sie nicht einsehen konnte, so bitte ich Sie, mir dieselben redlich zu sagen, wie ich sie von Ihnen verlange.«

»Alles ist ernst bei Ihnen, Colombau,« erwiderte Carmelite; »und da Sie die höchste Vernunft sind, so wollen Sie, daß der Grund von jeder Sache gleichsam zu Ihnen komme. Nun wohl! diese Kopfbewegung, mein Freund, ist eine Formel meiner Ungläubigkeit . . . Ich habe nicht Ihr anbetungswürdiges Vertrauen, da ich nicht Ihre fast göttliche Vollkommenheit besitze: von dem Augenblicke an, wo Camille abgereist ist, habe ich an seiner Rückkehr gezweifelt; ein Jahr ist abgelaufen, und ich zweifle mehr als je daran!«

»Oh! Sie täuschen sich!« rief Colombau . . . »Sie kennen also die Vorurtheile nicht, mit denen die amerikanischen Familien behaftet sind? Das einzige Hindernis gegen die Rückkehr von Camille liegt hierin, dessen seien Sie sicher; Camille bekämpft diese Vorurtheile: unter einem leichtfertigen Anscheine hat er ein redliches Herz, und ich bedaure, Carmelite, daß Ihnen da Sie Gelegenheit gehabt haben, ihn zu schätzen, nicht über seine Treue eine unerschütterliche Gewißheit geblieben ist.«

Carmelite seufzte.

»Sie, Colombau,« sagte sie, »Sie sind ein Goldherz; Sie sehen überall das Gute, weil Sie es in sich tragen. Sie sagen mir, ich habe Gelegenheit gehabt, Camille zu schätzen . . . Ja, mein Freund, ich habe ihn geschätzt, und deshalb wiederhole ich Ihnen: ›Camille wird nicht wiederkommen.‹

»Ei! was kann Ihnen denn diesen beleidigenden Glauben gegeben haben?«

»Unser Leben von drei Monaten, in welchem ich ihn begriffen habe, ohne ihn zu befragen, in welchem ich ihn kennen gelernt habe, ohne ihn zu studieren . . . Man lebt zwanzig Jahre mit einem Freunde, ohne daß dieser Freund einen kennen lernt, während es mit einer Frau gewisse Augenblicke gibt, wo man sich offenbart, gewisse Stunden, wo man sich verräth; das Sichgehenlassen, das eine nothwendige Folge des vertrauten Verkehrs ist, zwingt uns, die Maske abzulegen: so habe ich den wahren Charakter von Camille ergründet . . . Ich will ihn nicht in seiner Abwesenheit und in Ihrer Gegenwart schmähen; doch für mich geht aus dieser Kenntniß, die ich erlangt habe, eine Kälte hervor, die sich zuerst in Widerwillen und dann allmählich in Verachtung verwandelt hat. Camille mag mich auf eine gewisse Art lieben, ich bestreite es nicht; doch er hat für mich ein wenig von jener furchtsamen Liebe des schlimmen Schülers für seinen Lehrer; ich beherrsche ihn mehr, als ich ihn rühre, und seine Eitelkeit ist mehr befriedigt, mich zu besitzen, als seine Liebe darüber glücklich ist. Ich leugne nicht, daß er indem Augenblicke, wo er mich verließ, bei der Erschütterung der Abreise die Absicht gehabt hat, wiederzukommen: gewöhnt an die leichte Liebe gewisser Frauen, war er erstaunt, sogar insgeheim darüber aufgebracht, in mir ein Hinderniß aller Tage, einen Widerstand aller Augenblicke zu treffen; er hat mich überrumpelt, aber nicht besessen, und dieser Kampf, den er zweitausend Meilen von uns besteht, erhält ihn im Grunde immer im Athem; glauben Sie aber mir, mein Freund, ich bin für Camille nur der Preis eines Sieges und nicht das Ziel einer ernstlichen Zuneigung.

Colombau schaute das Mädchen mit einer tiefen Traurigkeit an.

»Carmelite,« sagte er, »Sie lieben Camille nicht mehr?«

»Ich habe ihn nie geliebt!« antwortete sie stolz, als ob diese paar Worte sie hätten rechtfertigen müssen.

»Oh! sagen Sie das nicht!« sprach mit Sanftmuth Colombau.

»Vor Gott,« erwiderte Carmelite feierlich, »vor Gott sage ich die Wahrheit, Colombau ich habe Camille nie geliebt.«

»Und dennoch . . . « versetzte der junge Mann zögernd.

»Und dennoch sei ich besiegt worden . . . das ist es, was Sie sagen wollen, nicht wahr mein Freund? Nun wohl, ja, ich bin besiegt worden, doch nicht durch meine Schwäche; doch nicht durch die Stärke von Camille: ich hin besiegt worden durch eine unbekannte Macht, welche größer als die meine; durch eine geheimnisvolle Macht, weiche größer als die seine; er hat keine Anstrengung gewagt, um meinen Fall herbeizuführen, wie er Ihnen sagte, um sich zu entschuldigen, daß er zum Verräther an seinem Schwure geworden; doch er hat kalt auf die Gelegenheit gewartet, und das ist es, was ich ihm vorwerfe, das ist es, was mir, nicht die Röthe der Scham, sondern die Flamme des Zornes und der Verachtung zur Stirne steigen macht.«

»Oh! schweigen Sie, Carmelite!« sagte Colombau, indem er die Hand auf seine Augen legte, als ob seine geschlossenen Augen, weil sie ihn verhinderten, Carmelite zu sehen, auch seine Ohren verhindert hätten, sie zu hören.

»Und,« sprach Carmelite, auf dem schlüpfrigen Wege fortgerissen, »soll ich Ihnen die volle Wahrheit sagen, Colombau?«

»Oh! Nein, nein, ich will nichts mehr hören,« rief der Bretagner.

»Warum haben sie mich dann gefragt?« versetzte sie fast drohend.

»Reden Sie also.«

»Wohl, Sie werden meinen Schmerz in seinem ganzen Umfange, meinen Fehler in seiner ganzen Tiefe kennen, wenn Sie erfahren, daß ich in jener Nacht des Sieges von Camille nicht Camille nachgab.«

»Wem denn?« fragte Colombau.

»Einem Gespenste meiner Einbildungskraft, einem Traume meines Herzens; Camille war nur der Abgeordnete meines Unglücks, nur der Namensleiher des Verhängnisses.«

Colombau schlug zu Carmelite seinen Blick so klar und durchsichtig wie das Licht auf und sagte:

»Carmelite, ich verstehe Sie nicht.«

»Oh! Colombau,« erwiderte sie, »es war eine schöne Nacht, eine glückliche Nacht, wo wir den Rosenstock am Fuße des Grabes der armen Lavallière ausgehoben haben!«

Und sie stand langsam auf, verließ den Pavillon und ging wieder in ihr Zimmer hinauf, während Colombau, fast geblendet durch den ersten Lichtstrahl, der in sein Herz fiel, ihr mit den Augen folgte und murmelte:


»Oh! mein Gott! mein Gott! sie hätte mich also lieben können, da sie Camille nicht liebte? . . . «

LIII
Wo Jeder, nicht nur in seinem eigenen Herzen, sondern auch in dem des Andern klar zu sehen anfängt

Von diesem Tage an wurde der Verkehr der zwei jungeu Leute von einfach und vertraulich, wie er war, kalt und abgemessen.

Carmelite sah ein, daß sie Colombau zu viel gesagt hatte.

Colombau hatte bange, schlecht gehört zu haben.

Er glaubte immer an die Rückkehr von Camille; er benahm sich behutsam gegen Carmelite und floh alle Gelegenheiten, das Gespräch auf das schlüpfrige Terrain zu bringen, wo das Mädchen beinahe ein Geständniß hätte entfallen lassen.

Der Gedanke, er liebe Carmelite immer mehr, seine Leidenschaft nehme von Tag zu Tag zu, erschreckte ihn.

Was wäre es denn gewesen, wenn er die Gewißheit gehabt hätte, er liebe Carmelite?

Er hätte auf der Stelle Paris verlassen und wäre nach der Bretagne zurückgekehrt.

Mittlerweile verliefen die Tage, die Monate, die Wochen, und die Einwilligung des Vaters von Camille kam nicht an; man empfing immer Briefe von Creolen, Brief, in denen sich die lebhafteste Zärtlichkeit, zuweilen die glühendste Leidenschaft malte, doch das war Alles.

Eines Morgens erhielt man einen Brief von seinem Bruder.

Camille war gefährlich krank geworden.

Carmelite empfing diese Nachricht mit einer fast eben so großen Gleichgültigkeit wie die anderen.

Die Krankheit dauerte drei Monate.

Wir wissen Alle, was die Gemüthsbewegungen bei der Wiedergenesung sind, nachdem die Krankheit mit ihrer fieberischen, entfleischten Hand uns die Thore des Grabes halb offen gezeigt hat.

Die ersten Worte, oder vielmehr die ersten Freudenschreie sind Hymnen der Dankbarkeit an den rettenden Gott, an die Familie, an die Freunde, an diejenigen welche man liebt, und sogar an diejenigen welche man geliebt hat; die schlimmen Gefühle sind erloschen, die guten sind gewachsen; man sollte glauben, das Fieber habe, alle faule Miasmen des Leibes fortnehmend, zu gleicher Zelt die Schmarotzerpflanzen der Seele entwurzelt; das Herz wird ein fruchtbarer Neubruch, der sich mit frischen Blumen bedeckt und nur Wohlgerüche ausdünstet. Eine große Krankheit ist eine Art von Station zwischen dem Leben und dem Tode, eine Ruhegelegenheit, wo die Seele, ganz von der Materie losgebunden, frei über den menschlichen Leidenschaften schwebt, wie jene Rosenkreuzer, welche auf den Gipfeln der Berge wohnten, um sich mehr unmittelbar mit dem Geiste Gottes zu unterhalten.

Das Zimmer des Genesenden ist ein Kloster, in welchem die Metamorphose des alten Aeson sich bewerkstelligt hat: der alte Mensch ist verschwunden, der neue sammelt sich darin und meditiert; die Bösen werden darin gut und die Guten besser.

Der Genesende, der zum Leben zurückkehrt, gleicht dem Kinde, das zur Weit kommt; Alles um ihn herum ist Heiterkeit, Licht, Frische, Zauber; er reicht beide Hände jedem Menschen, den er sieht, wie einem alten Freunde; seine, lange Zeit in Banden gehaltene, Zärtlichkeit hat das Ungestüm und die Klarheit des Stromes, der seinen Damm durchbricht, und kein Hemmniß vermischte sich ihr zu widersetzen.

So daß vor diesem raschen, herrlichen Ergusse die Verwandten, die Freunde, selbst die einfachen Zuschauer sich zurückhalten, aus Furcht, ihn zu hemmen, und geneigt sind, Alles zu versprechen, mit dem Hintergedanken jedoch, später nichts zu erfüllen.

Welches ist denn das väterliche Herz, das dem Kinde die Klapper verweigern kann, die es begehrt, und nach der es weinend die Arme ausstreckt?

So erhielt Camille von seinem Vater und der übrigen Familie indem Augenblicke, wo die Genesung bei ihm eintrat, das Versprechen, nichts widersetze sich fortan seiner Heirath mit Carmelite, und das war das Thema, welches er in dem Briefe, den er an seine Freunde unter der Herrschaft dieser noch fieberhaften Wiedergenesung schrieb, paraphrasirie. Von der Exaltation des Augenblicks eine neue Gluth entlehnend, war sein Brief ein Meisterstück der Liebesleidenschaft, und der gute Colombau reichte ihn Carmelite und sprach, die Augen voll Thränen, zu ihr:

»Sie sehen, Carmelite, daß ich mich nicht getäuscht hatte.«

Doch für Carmelite war es nicht dasselbe; sie bestreite alle leidenschaftliche Ausdrücke des Briefes von den durch das Fieber erregten Hinreißungen, und sie weigerte sich, in diesem Schreiben etwas Anderes zusehen, als jenes Sonnengespenst mit den lebhaften Farben, den ephemeren Sohn des Sturmes, der mit ihm verschwindet. Ueberdies handelte es sich nicht mehr darum, den Grad der Liebe, welche Camille für sie haben konnte, kennen zu lernen; sollte er in das lange Fieber zurückfallen, aus dem er hervortrat, Carmelite hätte keinen Schritt gethan, um ihn zu retten; sie hätte vielleicht nicht die Kaltblütigkeit des Henkers gehabt, doch sie hatte den Muth des Richters, und sie sprach in ihrem Innern unwiderruflich das Urtheil.

Diese größte Freude für Carmelite wäre es gewesen keine Briefe vom Creolen mehr zu empfangen, nichts mehr von ihm zu hören, ihn bis auf den Namen zu vergessen.

Sie liebte Colombau mit der ganzen Macht ihres Herzens, mit der ganzen Stärke ihres Kummers, mit der ganzen Größe ihrer Gewissensbisse. Wenn sie ihn zu gleich so traurig und so stolz auf die Redlichkeit seines Freundes sah, so fühlte sie ein fast unwiderstehliches verlangen, Colombau um den Hals zu fallen und ihm ihre Liebe zu gestehen; doch die strenge Stirne des jungen Mannes hielt sie ab und nötigte sie, in sich selbst zurückzukehren.

 

Diese Liebe, die sich ihrer jeden Tag mehr bemächtigte, war nicht Liebe; es war etwas Besseres: es war die Anbetung, die ein höheres, fast göttliches Wesen einflößt.

Hätte, wenn sie ihn verstohlen anschaute und mit den Augen verschlang, Colombau einen von ihren Blicken wahrgenommen, dieser Blick, so einfach und bescheiden der Bretagner war, würde ihn von Allem unterrichtet haben.

Und dennoch hatte der Zwang, den sie einander gegenüber empfanden, für Beide Augenblicke von unaussprechlicher Süßigkeit.

Wenn Colombau las, – meistens eine Ode von Hugo, ein Gedicht von Lamartine, – da neigte sich Carmelite, die ihn anschaute und ihm zuhörte, sie streckte sich, sie legte sich beinahe auf ihr Canapé, den jungen Mann mit den Augen bedeckend und einer jungen Löwin ähnlich, bereit, sich mit einem Sprunge auf den falben Löwen, den Gegenstand ihrer mächtigen Liebesgluth, zu stürzen.

Sang Carmelite entweder das Pria che spunti l’aurora des neapolitanischen Maestro, oder das hitzige Fieber von Grétry, so hörte Colombau auf zu athmen; er lauschte wie in Extase und schaute, so zu sagen, zu, wie jede der funkelnden Noten aufstieg, jenen Raketen ähnlich, welche, auf der Erde erschlossen, am Himmel aufblühen, glänzen und erlöschen. Er, mit seiner schüchternen, ehrfurchtsvollen Liebe, schien die Frau zu sein, und er hätte sein Leben gegeben, nicht einmal um die Lippen von Carmelite zuküssen, sondern um nur den göttlichen Hauch, die himmlische Harmonie, welche daraus hervorkam, einzuathmen.

Sie nahmen Abschied von einander um Mitternacht oder um ein Uhr Morgens; Colombau kehrte dann in seinen Pavillon zurück; hinter ihm schloß Carmelite ihre Thüre, oder sie gab sich den Anschein, als schlösse sie dieselbe; dann, wenn sich kaum das Geräusch der Tritte auf den letzten Stufen der Treppe verloren hatte, öffnete sie die Thüre wieder, lief ans Fenster des Flurgangs, schaute dem jungen Manne nach, wie er den Garten durchschritt, und die Augen auf das Licht geheftet, das durch die Scheiben des Pavillons schien, wachte sie manchmal bis zum Tage wie dieses Licht, erschöpft sich wie dasselbe in ihrer verzehrenden Liebe, und zog sich erst zurück, wenn das Licht erloschen war.

Zuweilen riß sie diese fieberhafte Gluth sogar weiter fort. In den schönen Sommernächten, wo die Sterne allein die Erde beleuchten oder vielmehr die Finsternis zu unterscheiden erlauben, ging sie auf den Fußspitzen hinab, trat furchtsam in den Garten ein und erreichte ein Gebüsche, wo sie einen Augenblick Halt machte; dann wie die Feen, wie die Undinen, deren Schatten dem Grabe entschlüpft, um bei der Wohnung des Mannes, den sie in ihrem Leben geliebt, weiß und klagend umherzuirren, drehte sich Carmelite um den Pavillon von Colombau.

Manchmal auch, bewegt durch ein ähnliches Gefühl, öffnete der junge Mann seine Thüre, kam, die Luft mit voller Brust einathmend, heraus und setzte sich auf die Rasenbank, auf der er, Camille erwartend, am Tage, wo er von der Bretagne zurückkehrte, gesessen hatte. Hier blieb er unbeweglich, die Augen auf das Fenster des Flurgangs geheftet, durch das ihm ohne Zweifel sein Blick bis ins Zimmer von Carmelite zu tauchen schien.

Da näherte sich Carmelite sachte, langsam, von Baum zu Baum, ihren Athem zurückhaltend, sie schaute ihn mit Flammenaugen durch die Finsternis an, und zog sich erst zurück, wenn er selbst wieder in seine Wohnung ging, ohne zu wissen, daß die Seele von derjenigen, welche er liebte, einem Irrlichte ähnlich, ihn eine Stunde lang umschwebt hatte.

In einer Nacht, als die Erde mit einem Schneeteppich bedeckt war, und, da sie es nicht wagte, hinauszugehen, aus Furcht, die Spur ihrer Tritte auf der weißen, wattirten Fläche zu hinterlassen, Carmelite am Fenster ihres Flurganges stand, die Augen auf das Licht der Lampe von Colombau geheftet, ohne sich um Kälte oder Wärme zu bekümmern, – denn das Feuer hätte ihre Hände nicht erwärmt, denn der Schnee hätte ihre Stirne nicht gekühlt, – in einer Winternacht also sah sie die Thüre des Bretagners sich öffnen und diesen welcher auf den Fußspitzen herauskam, wie sie es oft selbst that, sich nach dem Hause wenden, wo er verschwand.

Die erste Bewegung von Carmelite war, in ihr Zimmer zu fliehen.

Doch die Neugierde gewann die Oberhand; überdies hätte sie, die Thüre öffnend und wieder schließend, ihre Gegenwart verrathen.

Sie hüllte sich in den Fenstervorhang und wartete.

Das Krachen der Stufen deutete an, daß Colombau die Treppe heraufstieg, und nach einigen Secunden erschien sein Schatten wirklich oben auf den Stufen und rückte langsam im Flurgange vor.

Als er die Thüre des Mädchens erreicht hatte, blieber stehen, lehnte sich an die Wand an und verweilte hier, den Athem an sich haltend und in der Stellung eines Betrachtenden, als ob er durch diese geschlossene Thüre hätte schauen können.

Von Zeit zu Zeit machte sich seine auf sein Herz gelegte Hand von seiner Brust los, drückte auf seine Augen und schien Thränen abzuwischen.

Das war eine Offenbarung für Carmelite. Was suchte er vor ihrer Thüre, wenn nicht, was sie oft selbst vor der seinigen suchte? Was für Thränen konnte er vergießen, wenn nicht die brennenden Thränen der Liebe, die bitteren Thränen der Wehmuth?

Und in der That, bald verwandelten sich die stillen Zähren von Colombau in Schluchzen.

Carmelite legte ihre beiden Hände auf ihren Mund, um sogar ihren Athem am Ausströmen zu verhindern; denn sie fühlte, der Schrei: »Ich liebe Dich! Ich liebe Dich!« war nahe daran, ihren Lippen zu entschlüpfen.