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Die Mohicaner von Paris

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Die zwei Frauen, als sie die Thüren der Wohnung offen fanden, traten ein und erblickten Colombau, der es versuchte, Carmelite dadurch zum Bewußtsein zurückzurufen, daß er ihr in die Hände schlug.

Als dieses Mittel nicht rasch genug wirkte, nahm eine von den Frauen eine Flasche, welche auf der Toilette stand, und übergoß das Gesicht der armen Waise mit Wasser.

Carmelite kam zitternd und mit den Zähnen klappernd zu sich, die zwei Frauen wollten sie auskleiden und zu Bette bringen.

Dach sie raffte ihre Kräfte zusammen, stemmte sich auf ihren Füßen an, wandte sich gegen Colombau und sprach zu ihm:

»Mein Herr, Sie haben gesagt, meine Mutter verlange, daß ich ihr die Augen schließe . . . Führen Sie sie mich zu ihr . . . führen Sie mich, ich bitte Sie! . . . Sonst,« fügte sie bei, indem sie voll Bangigkeit ihren Mund an das Ohr von Colombau hielt, »sonst würde sie mich die Ewigkeit hindurch so anschauen!«

»Kommen Sie!« erwiderte der junge Mann, welcher einen Anfang den Delirium in den Augen der Waise zu sehen glaubte.

Und sie durchschritt, gestützt auf den jungen Mann, ihr Zimmer, trat in das Zimmer ihrer Mutter ein, deren Blick, obgleich schon glasig, seine erschreckliche Starrheit behalten hatte, näherte sich mit langsamen. feierlichen Schritten dem Bette, neigte sich über den Leichnam, und drückte ihm in frommer Weise und eines nach dem andern die Augen zu.

Wonach Carmelite, der die Kräfte vollends entschwanden, auf den Leichnam ihrer Mutter fiel und zum zweiten Mal ohnmächtig wurde.

XXXVII
Fra Dominico Sarranti

Der junge Mann nahm Carmelite in seine Arme und trug sie, wie er es mit einem Kinde gethan hatte, in das anstoßende Zimmer, wo die zwei Frauen warteten.

Der Augenblick, sie auszukleiden und zu Bette zu legen, war gekommen.

Colombau kehrte in seine Wohnung zurück, nachdem er eine von den Nachbarinnen gebeten hatte, sich zu ihm zu begeben, sobald das Mädchen im Bette wäre.

Die Nachbarin trat zehn Minuten nachher bei ihm ein.

»Nun?« fragte er.

»Sie ist wieder zu sich gekommen,« antwortete die Nachbarin; »doch sie hält ihren Kopf mit beiden Händen und spricht Worte ohne Zusammenhang, als ob sie das Delirium hätte.«

»Hat sie Verwandte?« fragte der junge Mann.

»Wir kennen keine von ihr.«

»Freundinnen im Quartier?«

»Keine Freundin! es waren ruhige Leute, welche äußerst zurückgezogen lebten: das kannte Niemand in der Welt.«

»Was gedenken Sie mit ihr zu thun? Sie kann nicht in dieser Todtenwohnung bleiben. Man müßte sie das Zimmer wechseln lassen.«

»Ich würde Ihnen wohl das meinige anbieten,« sagte die Nachbarin; »doch wir haben nur ein Bett . . . Im Ganzen,« fügte die wackere Frau, wie mit sich selbstsprechend, bei: »ich werde meinen Mann zum Schlafen auf den Speicher schicken und die Nacht auf einem Stuhle zubringen.«

Diese Hingebungen für Unbekannte gehören ausschließlich gewissen Frauen aus der Arbeiterclasse: die Frau aus dem Volke bietet ihren Tisch, ihre Stube, ihr Bett mit mehr Uneigennützigkeit an, als der Handelsmann ein, Glas Wässer anbietet. Mag sie der moralische oder der physische Schmerz zu Hilfe rufen, mag es ein Mensch im Todeskampfe oder ein Mensch in der Verzweiflung sein, die Frau aus dem Volke bietet ihre Fürsorge, ihre Tröstungen, ihre Hilfeleistungen aller Art mit einer Großmuth und einer Selbstverleugnung, die eines ihrer schönsten Anrechte auf die Bewunderung des Philosophen und des Beobachters bilden.

»Nein,« sagte Colombau, »thun sie etwas Besseres: schleppen Sie das Bett der Waise in mein Zimmer, bringen Sie das meinige in ihren Alcoven; dann holen Sie einen Priester, um beim Todtenbette zu wachen: ich werde einen Arzt für sie holen.«

Die Nachbarin schien zu zögern.

»Was gibt es?« fragte Colombau.

»Es wäre mir lieber, ich würde den Arzt holen, und Sie würden den Priester holen.«

»Warum?«

»Weil die gute Frau plötzlich gestorben ist.«

»Ach! ja, sehr unvermuthet.«

»Und folglich gestorben . . . Sie begreifen?i«

»Nein, ich begreife nicht.«

»Gestorben ohne Beichte.«

»Wohl; doch Sie gestehen selbst, daß es eine Heilige war.«

»Ja, aber ein Priester . . . ein Priester hört nicht auf diesem Ohr!«

»Wie! ein Priester würde sich weigern, bei einer Todten zu wachen?«

»Eine Todte, die nicht gebeichtet hat . . . darauf kann man eine Wette eingehen.«

»Gut . . . So holen Sie den Arzt, ich übernehme den Priester.«

»Ah! der Arzt, der ist nicht sehr weit: er wohnt beinahe gegenüber.«

»Ich brauche nur Jemand, der mir einen Brief in die Rue du Poz-de-Fer trägt.«

»Geben Sie mir den Brief; ich werde wohl Jemand finden.

Colombau setzte sich au einen Tisch und schrieb:

»Kommen Sie, mein Freund! ein Lebender und ein Todter bedürfen Ihrer.«

Und er legte den Brief zusammen und schrieb darauf die Adresse:

»An den Bruder Dominique Sarranti, Dominicanermönch, Rue du Pot-de-Fer, No. 11.«

Dann übergab er den Brief der Nachbarin.

Die Nachbarin ging hinab.

Mittlerweile bewerkstelligte Colombau den beabsichtigten Auszug, indem er sein Bett in das Zimmer des Mädchens und das Bett des Mädchens in sein Zimmer brachte.

Die Frau, welche auf Besuch bei der Nachbarin war, übernahm es, bis zur Ankunft des Arztes bei Carmelite zu bleiben und, wenn es sein wüßte, die Nacht an ihrem Bette zuzubringen.

Das Delirium vermehrte sich jeden Augenblick.

Die Frau nahm ihren Platz bei Carmelite; Colombau ging zum Specereihändler hinab, kaufte eine Kerze, stellte sie oben an das Bett der Todten und zündete sie an.

Während der Abwesenheit von Colombau war die Nachbarin mit dem Arzte zurückgekommen, und den Mann der Wissenschaft bei der Kranken lassend, hatte sie der Todten den frommen Dienst geleistet, ihr die Hände auf der Brust zu kreuzen und in die Hände ein Crucifix zu geben-.

Colombau zündete die Kerze an, kniete nieder und sprach die Todtengebete..

Es war nicht zu viel an zwei Frauen, um Carmelite zu pflegen; der Arzt hatte die ersten Symtome einer Gehirnentzündung erkannt; er hatte eine Verordnung zurückgelassen und sie strenge zu befolgen ermahnt: die Gehirnentzündung konnte von einfach, wie sie war, hitzig werden.

Was die Mutter betrifft, sie war am Bruche von einem der großen Gefäße des Herzens gestorben.

Viele starke Geister würden gelacht haben, hätten sie diesen schönen zweiundzwanzigjährigen jungen Mann auf den Knieen beim Bette einer unbekannten Frau und Todtengebete aus dem Gebetbuche mit dem Wappen seiner Familie lesend gesehen.

Colombau war aber ein religiöser Bretagner der alten Tage, der, wie seine Ahnen, Güter und Schlösser verkauft hätte, um Walten Habenichts nach Jerusalem mit den Worten: Diex le volt!15 zu folgen.

Er betete also mit einer wahren Inbrunst, indem er aus seinem Gebete jeden irdischen Gedanken zu verbannen suchte, als er hinter sich das Geräusch einer auf ihren Angeln knirschenden Thüre hörte.

Er wandte sich um.

Derjenige, welchen er hatte holen lassen, kam auf seinen Ruf: Bruder Dominique, mit seiner schönen weiß und schwarzen Tracht, stand auf der Schwelle.

Dieser junge Mönch, von kaum siebenundzwanzig bis achtundzwanzig Jahren, war fast der einzige Freund, – die Collége-Kameraden ausgenommen, die man Freunde zu nennen übereingekommen ist, und die eine besondere Race bilden, – dieser junge Mönch, sagen wir, war fast der einzige Freund, den Colombau in Paris hatte.

Als Colombau eines Tags an der Kirche Saint-Jacques-du-Haut-Pas vorbeiging, sah er die Bevölkerung der Straße und der Vorstadt sich an der Thüre drängen; er fragte, was es sei, und man antwortete ihm, ein junger Mann, bekleidet mit einer langen weißen Robe, halte eine Predigt.

Er trat ein.

Es stand in der That ein Mönch, jung an Jahren, doch gealtert durch die strengen Uebungen oder durch den Schmerz, auf der Kanzel und predigte.

Seine Rede hatte zum Gegenstand die Resignation.

Der Mönch hatte sie in zwei sehr von einander abgesonderte Theile geteilt.

Bei den Mißgeschicken, weiche von Gott kommen, das heißt bei Todesfällen, bei erschrecklichen Unfällen, bei unheilbaren Gebrechen sagte er:

»Ja, ergebt Euch, meine Brüder, beuget Euch unter den Arm, der züchtigt; betet und betet an! Die Resignation ist eine Tugend!«

Bei allen Mißgeschicken aber, die von Menschen kommen, wie getäuschte Ambitionen, ruinierte Vermögensverhältnisse, gescheiterte Pläne, sagte er:

»Wirkt gegen das Unglück, meine Freunde, erhebet Euch stark durch Euer Vertrauen zum Herrn, zu Eurem Rechte und zu Euch selbst; beginnt den Streit und haltet den Kampf aus. Die Resignation ist eine Feigheit!«

»Colombau wartete, bis die Predigt beendigt war, und beim Ausgange aus der Kirche drückte er dem Mönche die Hand, wie er es, nicht einer mit einem geheiligten Charakter bekleidete Person, sondern jedem Menschen gethan hatte, in welchem er die drei Tugenden ehrte, die zu schätzen ihn sein eigener Charakter in den Stand setzte.

Die Einfalt des Herzens, die Redlichkeit, die Stärke.

Von diesem Tage an hatten sich die zwei jungen Leute, – der Mönch war vier bis fünf Jahre älter als Colombau, – von diesem Tage an hatten sieh die zwei jungen Leute eine seltsame Gemeinschaft der Grundsätze und der Gefühle geoffenbart.

Dem zu Folge hatten sie eine enge Verbindung geschlossen, und es kam selten vor, daß sie nicht ein oder zweimal in der Woche ein paar Stunden mit einander zubrachten.

 

Werfen wir einen Blick rückwärts und sehen wir diesen jungen Mönch ernst und nachdenkend auf dem rauhen Wege der Vergangenheit auf uns zukommen.

Er nannte sich Dominique Sarranti und hatte mehr als eine Analogie mit dem finsteren Heiligen, den der Zufall zu seinem Patron gemacht.

Er war geboren in Vic-Denos, einem am Saume eines Waldes, sechs Meilen von Foix, einen Sprug von der spanischen Grenze liegenden Dörfchen im Departement der Arriège.

Sein Vater war Corse und seine Mutter Catalonierin; er hatte von Beiden in seinem Charakter, denn er besaß das düstere Gedächtniß des Corsen und die erschreckliche Zähigkeit des Cataloniers. Wer ihn auf der Kanzel mit seiner mächtigen Geberde gesehen hatte, wer ihn mit seinem ernsten und strengen Worte gehört hätte, würde ihn sogleich für einen in Mission in Frankreich begriffenen spanischen Mönch gehalten haben.

In Ajaccio in demselben Jahre wie Napoleon geboren an das Glück seines Landsmannes gebunden, hatte sein Vater alle Wechselfälle dieses Glückes erduldet; er hatte den besiegten Kaiser nach der Insel Elba begleitet; er war dem verrathenen Napoleon nach St. Helena gefolgt.

Im Jahre 1816 war er nach Frankreich zurückgekehrt. Warum hatte er so bald den erhabenen Gefangenen verlassen? Gaetano Sarranti hatte das ungesunde Klima, die verzehrende Sonnenhitze vorgeschützt.

Diejenigen, welche ihn kannten, glaubten nicht an diesen Beweggrund, und sie betrachteten Sarranti als einen von den geheimnisvollen Agenten, welche der Kaiser der Sage nach in Frankreich verbreitete, um eine Rückkehr von St. Helena zu versuchen, wie er eine Rückkehr von der Insel Elba versucht hatte, oder wenigstens, sollte diese Rückkehr unmöglich sein, über die Interessen seines Sohnes zu wachen.

Er war als Lehrer von zwei Kindern bei einem sehr reichen Manne, Herrn Gèrard eingetreten.

Diese Kinder waren nicht der Sohn und die Tochter von Herrn Gèrard, sondern sein Neffe und seine Nichte.

Dach plötzlich, im Jahre 1820, zur Zeit der Verschwörung Nantès und Bérard, war Gaetano Sarranti verschwunden, und man sagte, er habe sich nach Indien zu einem ehemaligen General von Napeleon begeben, der 1813 in den Dienst eines Fürsten von Lahore getreten.

Wir haben schon dieser Flucht von Gaetano Sarranti bei Gelegenheit des Verschwindens des Wagners der Rue Saint-Jacques, eines Bruders der Mutter Boivin, erwähnt, ein Verschwinden, in Folge dessen die kleine Mina die Thüre, an die sie geklopft, verschlossen gefunden hatte und vom Schulmeister und von seiner Familie aufgenommen worden war.

Wir sprachen bei dieser Gelegenheit auch von einem Sohne, den im Seminar Saint-Sulpice der flüchtige Corse hatte.

Dieser Sohn war der Mann, dessen Portrait wir zu zeichnen versucht haben; es war der Bruder Dominique Sarranti, den man wegen seines spanischen Ansehens allgemein den Fra Dominico nannte.

Der junge Mann hatte sich jeder Zeit für den geistlichen Stand bestimmt; als seine Mutter todt und sein Vater nach St. Helena abgegangen war, wurde er einem Seminar übergeben.

Bei seiner Rückkehr von St. Helena im Jahre 1816 machte sein Vater, – welcher sehr ungern diesen seltsamen Beruf bei einem jungen Manne sah, der etwas ganz Anderes als Priester werden konnte, – sein Vater, sagen wir, machte einen letzten Versuch, ihn zu bewegen, ins bürgerliche Leben zurückzukehren; er brachte eine ziemlich bedeutende Summe mit, um die Unabhängigkeit des jungen Mannes zu sichern; doch dieser weigerte sich beharrlich.

Als Gaetano Sarranti verschwunden war, wurde sein Sohn, der damals, wie gesagt, Pensionär bei Saint-Sulpice, mehrere Male auf die Polizei gerufen.

Einmal sahen ihn seine Kameraden düsterer und bleicher als gewöhnlich zurückkommen.

Eine Anklage viel schwerer als die eines Complottes gegen den Staat lastete auf seinem Vater.

Nicht nur war er angeklagt, er habe mit Hilfe gewaltsamer Mittel die bestehende Regierung umstürzen wollen, sondern man verfolgte auch eine Untersuchung – gegen ihn als bezichtigt der Entwendung einer Summe von dreimal hunderttausend Franken eben diesem Herrn Gèrard gehörig, bei dem er Lehrer seines Neffen und seiner Nichte war, und man legte ihm sogar das Verschwinden, wie man Anfange sagte, und sodann die Ermordung dieses Neffen und dieser Nichte zur Last.

Allerdings wurde bald nachher die angefangene Untersuchung wieder aufgegeben; doch der Verbannte blieb nichtsdestoweniger unter dem Gewichte dieser entsetzlichen Anklage.

Alle diese Ereignisse machten Dominique immer düsterer als Menschen, immer strenger als Priester.

In dein Augenblicke, wo er sein Gelübde ablegen sollte, erklärte er auch, er wolle in einen der strengsten Orden eintreten, und er wählte den Orden des heiligen Dominique, der in Frankreich den Namen Jacobiner-Orden angenommen hat, weil das erste Kloster dieses Ordens in der Rue Saint-Jacques erbaut wurde.

Er legte sein Gelübde ab und wurde zum Priester am Tage nach seiner Volljährigkeit, das heißt am 7. März 1821, geweiht.

In der Zeit, zu der wir gelangt sind, war Bruder Dominique schon etwas über zwei Jahre im Orden.

Er war zu dieser Stunde ein Mann von siebenundzwanzig bis achtundzwanzig Jahren, mit großen, lebhaften, klaren, durchdringenden schwarzen Augen, mit tiefem Blicke, sorgenvoller Stirne, bleichem, strengem Gesichte und stolzer, energischer, entschlossener Haltung; er war groß von Gestalt, mächtig in Geberden, kurz in Worten; sein Gang war edel, langsam, ernst, gewisser Maßen rhythmisch; sah man ihn auf der Straße gehen, den Schatten der Häuser suchend, um seine träumerische-Stirne, welche unablässig die Spur eines finsteren Kummers an sich trug, darein zu versenken, so hätte man ihn für einen von jenen schönen Mönchen von Zurbaran gehalten, der, von der Leinwand herabgestiegen, ein Flüchtling des Grabes, mit dem gleichmäßigen, sonoren Schritte des der Einladung von Don Juan folgenden steinernen Gastes auf die Erde zurückgekehrt wäre.

Der unbeugsame Wille und die tiefe Energie, die sich in diesem Gesichte ausgeprägt fand, offenbarten indessen mehr die Strenge eherner Grundsätze, als den Kampf ehrgeiziger Leidenschaften.

Es war überdies das redlichste Urtheil, die gesundeste Vernunft, das reichste Herz der Welt.

Das einzige unverzeihliche Verbrechen, dessen sich ein Mensch in seinen Augen schuldig machen konnte, war die Gleichgültigkeit in Betreff der Menschheit; denn die Liebe für die Menschheit schien ihm das Hauptelement des Lebens der Völker; er gerieth zuweilen in eine bewunderungswürdige Begeisterung, wenn er in der Zukunft, so fern sie war, jene allgemeine Harmonie gegründet auf die Verbrüderung der Nationen erschaute, welche das Seitenstück der Harmonie der Welten bilden soll.

Sprach er von der zukünftigen Unabhängigkeit der Nationen, so geschah es mit einer ergreifenden Beredtsamkeit; man fühlte sieh dann zu ihm und mit ihm hingerissen durch einen Aufschwung unwiderstehlicher Sympathie; sein Wort hinterließ in Euch Etwas wie einen Reflex seines Herzens; seine Rede theilte Euch seine Stärke mit; man war im Begriffe, einen Flügel seines Rockes zu nehmen und zu sagen: »Voran, Prophet; ich folge Dir.«

Nur nagte ein furchtbarer Wurm an dieser köstlichen Frucht: das war die Bezichtigung des Diebstahls und des Mordes, die auf seinem Vater lastete.

XXXVIII
Symphonie des Frühlings und der Rosen

Das war der junge Mönch, der aus der Schwelle erschien.

Er blieb stehen, betroffen von dem Schauspiele, das er vor Augen hatte.

.

»Freund, sprach er mit seiner traurigen Stimme, der er bei Gelegenheit einen tröstlichen Ausdruck zu geben wußte, »die Frau, welche hier liegt, ist hoffentlich weder Ihre Mutter, noch Ihre Schwester.«

»Nein,« antwortete Colombau; »ich war fünfzehn Jahre alt, als ich meine Mutter verlor, und ich hatte nie eine Schwester.«

»Gott erhalte Sie zum Troste der alten Tage Ihres Vaters, Colombau,« sprach der Priester.

Und er schickte sich an, vor dem Leichnam niederzuknien.

»Warten Sie, Dominique,« sagte Colombau; »ich habe Sie holen lassen . . . «

Dominique unterbrach ihn:

»Sie haben mich holen lassen, weil Sie meiner bedurften Ich bin gekommen, und hier bin ich.«

»Ich habe Sie holen lassen, mein Freund, weil die Frau, die Sie hier liegen sehen, wie vom Blitze getroffen durch den Bruch von einem der großen Gefäße des Herzens, eine so gute Christin, eine so fromme Frau sie auch war, ohne Beichte gestorben ist.«

»Es geziemt Gott allein, und nicht den Menschen, zu beurtheilen, in welcher Verfassung sie gestorben ist,« antwortete der Mönch. »Beten wir!«

Und er kniete oben am Bette nieder.

Colombau, da er wußte, daß eine Wärterin bei der Tochter war und ein Priester bei der Mutter, konnte nun für die Beerdigung Sorge tragen.

Im Vorübergehen erkundigte er sich nach Carmelite.

Ganz erschöpft, war das Mädchen unter dem Einflusse eines vom Arzte verschriebenen Schlaftrunkes entschlummert.

Colombau nahm alles Geld, was er hatte, und ordnete mit der Kirche, mit dem Leichengepränge, mit dem Conservator des Friedhofes alle Einzelheiten von diesem fünften Acte des Lebens.

Am Abend um sieben Uhr kam er nach Hause zurück. Er fand Dominique, wenn nicht im Gebete, doch wenigstens in der Meditation beim Bette der Verstorbenen.

Der Mann Gottes hatte nicht einen Augenblick das Leichenzimmer verlassen.

Colombau verlangte von ihm-, daß er etwas Nahrung zu sich nehme. Der Mönch schien den gewöhnlichen Bedürfnissen des Lebens nicht unterworfen; er gehorchte jedoch der Aufforderung seines Freundes; nach zehn Minuten war er aber zurück und nahm wieder seinen Platz am Bette der Todten ein.

Carmelite war mit einem verdoppelten Delirium erwacht.

Der Armen, da sie nicht das Bewußtsein ihres Zustandes hatte, blieb wenigstens Alles, was um sie hervorging, unbekannt.

Im Ganzen genommen waren die brennenden Schmerzen des Leibes besser, als die tiefen Bangigkeiten der Seele.

Die Nachbarinnen übernahmen die frommen Sorgen der Beerdigung; ein Schreiner brachte den Sarg; Nägel wurden durch Schrauben ersetzt, damit in der tiefe ihres Deliriurns die arme Carmelite nicht die Schläge auf den Sarg ihrer Mutter höre.

Der Tod war plötzlich gewesen; erst am zweiten Tage wurde der Leichnam nach Saint-Jacques-du-Haut-Pas getragen.

Bruder Dominique las die Todtenmesse in einer besonderen Kapelle.

Dann wurde der Leib nach dem West-Friedhofe gebracht.

Colombau begleitete den Leichnam mit zwei Arbeitern, die sich entschloßen, ihren Tagelohn zu verlieren, um diese fromme Pflicht zu erfüllen.

Die Gehirnentzündung von Carmelite verfolgte ihren Laufs bewunderungswürdig durch den Arzt behandelt, war sie genötigt, Schritt für Schritt vor der Wissenschaft zurückzuweichen.

Nach Verlauf von acht Tagen kam Carmelite wieder zum Bewußtsein, nach zehn Tagen verbürgte sich der Arzt für ihre Erhaltung; am vierzehnten Tage stand sie auf.

.

Ihre Thränen floßen; – sie war gerettet!

Die Schwäche der Armen war aber Anfangs so groß, daß sie kaum einen Ton articuliren konnte.

Als sie die Augen wieder öffnete, erblickte sie an ihrem Bette das redliche Gesicht von Colombau; das letzte Gesicht, das sie die Augen schließend gesehen, das erste, das sie dieselben wieder öffnend sah.

Sie winkte mit dem Kopfes um Erkennung und Dank zu bezeichnen; dann that sie ihre durch das Fieber abgemagerte Hand aus den Betttüchern und reichte sie dem jungen Manne, der sie, statt sie zu drücken, achtungsvoll küßte, als ob das auf die Stirne des Mädchens gepreßte Siegel des Schmerzen in den Augen des edlen Bretagners ein Titel der Ehrfurcht wäre, der für den Moment so groß als die Krone auf der Stirne einer Königin.

Die Wiedergenesung von Carmelite erforderte einen Monat; am Anfange des März nahm sie wieder ihr Zimmer, und Colombau kehrte in das seinige zurück. Von diesem Tage an wurde die Vertraulichkeit, welche unter den zwei jungen Leuten begonnen hatte, unterbrochen.

Colombau bewahrte in einer Falte seines Gedächtnisses die Erinnerung an die Schönheit und die Güte des Mädchens.

Carmelite bewahrte in einem Winkel ihres Herzens eine grenzenlose Dankbarkeit und eine ergebene Zuneigung für Colombau.

Doch sie hätten auf sich anders zu sehen, als wie zwei auf demselben Boden wohnende Nachbarn, das, heißt in seltenen Zwischenräumen.

Begegnete matt sich, so entspann sich eitle kleine Plauderei vor der Thüre, doch das war Alles: nie überschritt das Eine die Schwelle des Andern.

Es kam der Monat Mai; der Garten von Colombau stieß an den von Carmelite an: eine einfache Syringenhecke erhob sich zwischen diesen beiden Gärten, welche so weniger getrennt waren, als die von Pyramos und Thisbe, die eine Mauer trennte.

 

Die jungen Leute waren also gewisser Maßen in demselben Garten, weil, wenn der Wind die Syringen bewegte, die Hacke sich aufthat, als wollte sie den Plaudereien Durchgang gewähren, und die Blumen sich bald zum Einen, bald zum Andern zerstreuten.

Eines Abends, auf die Bitte von Carmelite, öffnete der junge Mann das Klavier wieder und entlockte, diesem lange geschlossenen, lange wie sein Herz stummen Instrumente tausend harmonische Noten, weiche, durch die Fenster seines Zimmers entschlüpfend, in der ruhigen Luft der Abenddämmerung vibrierten und dann, durch die benachbarten Fenster eindringend, das Mädchen in seinem Bette liebkosten wie die erfrischenden Strömungen des Frühlings.

Es war also zugleich Wohlgeruch und Melodie.

Dann, im Grunde von Allem dem, Traurigkeit, tiefe Traurigkeit!

Die arme Carmelite! sie war in der besten oder in der schlechtesten Stimmung, um zu lieben, je nachdem Sie, guter Leser, aus der Liebe einen Schmerz oder eine Freude, ein Unglück oder ein Glück machen wollen.

Was wird nun aus dieser kränklichen Gemüthsverfassung werden?

In einem der vorhergehenden Kapitel sagten wir, alle auf der rechten Seite dieses Theils der Rue du Val-de-Grace und der Rue Saint-Jacques liegenden Häuser haben zu reizenden Gärten geführt.

Von diesen Fenstern der jungen Leute, aus denen so viel Harmonie hervorkam, und wo so viele Wohlgerüche eindrangen, entrollte sich in der That folgendes Panorama vor den Augen.

Rechts, nördlich, ein ungeheures Gehege mit Pappeln und großen Bäumen bepflanzt.

Links, südlich, eine Reihenfolge von Gärten, bepflanzt mit Acacien, Syringen, Jasminsträuchen und Bohnenbäumen mit den gelben traubenförmigen Blüthen.

Am Horizont, westlich, wie eine Hängematte von Grün, worin die Sonne unterging, der Gipfel der Bäume des Luxembourg.

Im Centrum dieser drei Hauptpunkte eines der schönsten Schauspiele, die sich den Augen eines Dichters oder eines Verliebten bieten können.

Man denke sich ein zwanzig bis fünfundzwanzig Morgen großes Feld von blühenden Rosen um ein kleines Grabmahl, erbaut im siebzehnten Jahrhundert und seiner Form nach ziemlich ähnlich den Kapellen, welche die Erben auf dem Père- Lachaise über der Gruft ihres Erblassers errichten lassen.

Und wenn wir sagen ein Rosenfeld, – eine Ebene in der Gegend von Persepolis, wo die Königin der Blumen geboren sein soll, – so glaube man nicht, es sei dies die geringste Übertreibung von uns: in einer Stadt wie Paris ist es schon so süß, fünf bis sechs Rosenköpfe um sich zu sehen, daß es vielleicht fabelhaft scheint, man könne ein ganzes Feld vor den Augen haben. Nichts ist indessen wahrer, und man kann heute noch, nach einem Zeitraums von dreißig Jahren, die vier bis fünf Morgen sehen, welche von diesem lieblichen Felde übrig geblieben sind.

Es war also, wie gesagt, nicht ein mit Klee oder Luzerne bepflanztes Feld, sondern ein wahres Rosenfeld, das die Luft auf zwei Stunden in der Runde mit seinen Wohlgerüchen erfüllte.

Alle Gegenden der Welt schienen in diesen Garten, um dieses Grab, als hätte dieses Grab die Reliquien eines Heiligen enthalten, die schönsten Rosen ihres Landes gebracht zu haben.

Man hätte glauben sollen, es seien die kolorierten Blätter der Monographie der Rose, zu jener Zeit durch den Engländer Lindley veröffentlicht.

Nichts fehlte hierbei, keine Gattung, keine Varietät; die fünf Welttheile figurierten hier in ihren schönsten Blumen verkörpert. Es war die Kaukasische Rose, die Kamtschatalische Rose, die gesprenkelte Rose von China, die Caroliner Rose, die glänzende Rose der Vereinigten Staaten, die Mai-Rose, die Schwedische Rose, die Alpen-Rose, die Sibirische Rose, die gelbe Rose der Levante, die Rose von Rankin, die Damascener Rose, die Bengalische Rose, die Provencer Rose, die Champagner Rose, die Rose von St. Cloud, die Provinser-Rose, – von der die Legende behauptet, sie sei von Syrien nach Provins durch einen Grafen von Brie bei der Rückkehr von den Kreuzzügen gebracht worden; – kurz, es war die, weil sie vollständig, vielleicht einzige Sammlung der zu jener Zeit bekannten zwei- bis dreitausend Varietäten von Rosen, eine Zahl, die sich noch alle Tage vermehrt, eine Progression, worüber wir den Kunstgärtnern nicht genug Lob zu spenden vermöchten.

»Der Titel Königin der Blumen, den die Rose verdient, ist durch zu häufige Wiederholung abgedroschen geworden.« sagt der Gute Gärtner; »die Rose vereinigt alle Arten von Vollkommenheiten, die matt bei einer Blume wünschen kann: die verführerische Coquetterie ihrer Knospen, die zierliche Disposition ihrer leicht geöffneten Blätter, die anmuthigen Umrisse ihrer ganz aufgegangenen Blüthen geben ihr die Vollkommenheit der Formen; es gibt keinen süßeren und lieblicheren Wohlgeruch, als den ihrigen; ihr Incarnat ist das der vollkommensten Schönheit; mit lebhafteren Nuancen ahmt sie dem feurigen Teint der Bacchantin nach und ihre Weiße wird ein Emblem der Unschuld und der Reinheit.«

Diese Definition der Rose, eine Definition gefärbt wie ein altes Pastellgemälde aus der Zeit von Ludwig XV., wird uns als natürlicher Übergang dienen, um zur frischen Schönheit unserer Heldin zu gelangen; in der That, einige Werte dem Portrait beigefügt, das der Gute Gärtner von der souveränen Blume entworfen hat, werden genügen, um Carmelite zu malen.

Sie war groß und biegsam von Gestalt, mit sehr dunkel kastanienbraunen Haaren, welche so reichlich und kräftig wuchsen, daß sie dem Auge rauh zu sein schienen, aber beim Berühren weich wie Seide waren.

Saphirblaue Augen, korallenrothe Lippen, perlenweiße Zähne vollendeten das Ganze dieses schönen, köstlichen Geschöpfs.

Eines Tags, gegen das Ende des Monats Mai, waren Colombau und Carmelite, schauend und athmend, jedes an seinem Fenster; das Mädchen war wie geblendet von dem Schauspiel, wie berauscht von dem Wohlgeruche.

Den ganzen Tag war die Hitze erstickend gewesen; es hatte drei bis vier Stunden geregnet, und gegen sieben Uhr Abends, als sie ihr Fenster öffnete, war Carmelite erstaunt, da sie ganz in Blumen dieses Rosenfeld sah, welches sie am Morgen in Knospen gesehen hatte. Sie begriff ebenso wenig dieses plötzliche Aufblühen der Pflanzen, als sie an einem Schmerzenstage, dessen Andenken ihrem Geiste immer gegenwärtig war, den plötzlichen Übergang vorn Leben zum Tod begriffen hatte.

Als am Abend Beide in den Garten hinabgegangen und nur durch die Hecke der schon verblühten Syringen von einander getrennt waren, befragte auch Carmelite Colombau über diese rasche Verwandlung der Knospen in Blumen.

Carmelite war sehr unwissend in der Botanik; denn in der Zeit, wo die Ereignisse vorgehen, die wir erzählen, wurde diese Wissenschaft als ziemlich überflüssig beider Erziehung eines Mädchens betrachtet. Colombau der mehr als einmal Gelegenheit gehabt hatte, diese Unwissenheit wahrzunehmen, fing nun, immer durch die bewegliche grüne Mauer, einen Cursus der Pflanzenphysiologie an, wobei er dieses reizende Studium von den genauen, aber, für die Frauen besonders, unverständlichen Worten befreite, mit denen es die Gelehrten überhäuft haben.

Er beschrieb ihr die Organisation der Pflanzen auf eine höchst einfache Art, indem er sie auf die drei Elementarorgane zurückführte, welche durch ihre Vereinigung alle Pflanzengewebe konstituieren, Gewebe vergleichbar im Princip einer Gummiauflösung, die sich verdichtend ihre feinen Fasern mit einander verwickelt, in welchen Fasern sich allmählich zahllose Zellen bilden; er machte ihr begreiflich, diese drei Elementarorgane enthalten den inkrustirenden Stoff des Holzes, die kristallisierten Säfte, das Salzmehl, den Klebestoff, die flüchtigen Oele und die verschiedenen Färbestoffe, unter denen der bedeutendste der grüne Stoff.

Von den Elementarorganen kam er zu den zusammengesetzten Organen, indem er von der Haut sprach, die ihnen als Uebergang diente er nahm eine Pflanze im embryonären Zustand, in der Periode, wo sie, kaum geboren, noch am mütterlichen Stängel hängt, und ließ sie alle Phasen des Wachsthums bis zu dem Augenblicke verfolgen, wo diese Pflanze, fähig, sich von ihrem Stamme loszumachen, sich selbst reproduziert.

Nachdem er so seiner jungen Nachbarin eine rasche und klare Definition von allen Organen der Pflanzen, – Wurzeln, Stängel, Blätter, Knospen, – gegeben hatte, erklärte er ihr die Verwandlungen, bei mehreren von diesen Vegetabilien, gewisser Organe von ihnen in Dorne, – wie bei den Disteln, den Sauerdornen, den falschen Acacien, – oder in Ranken, wie bei der Rebe, den Erbsen und den Passionsblumen.

15Gott will es!