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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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CLVII
Von Mittag bis drei Uhr

Einen Augenblick, wie die Königin, da sie die Flucht der Vorhut sah, konnten die Schweizer glauben, sie haben es mit dem Heere selbst zu thun gehabt, und dieses Heer sei zerstreut.

Sie hatten ungefähr vierhundert Menschen im Königshofe, hundert und fünfzig bis zweihundert im Corrousel getödtet, und endlich sieben Kanonen zurückgebracht.

So weit das Auge reichte, erblickte man keinen Mann, der im Stande, sich zu vertheidigen.

Eine einzige kleine, isolirte Batterie, welche auf der Terrasse eines Hauses der Wachstube der Schweizer gegenüber aufgepflanzt war, setzte ihr Feuer fort, ohne daß man sie zum Schweigen bringen konnte.

Da man sich indessen Meister des Aufruhrs glaubte, so wollte man alle Maßregeln ergreifen, um mit dieser Batterie um jeden Preis ein Ende zu machen, als man auf der Seite der Quais das Rasseln der Trommeln und das dumpfe Aufstoßen des schweren Geschützes hörte.

Das war dieses Heer, das der König mit einem Augenglase von der Galerie des Louvre aus kommen sah.

Zu gleicher Zeit fing das Gerücht an sich zu verbreiten, der König habe das Schloß verlassen und sei, um ein Asyl zu verlangen, in die Nationalversammlung gegangen.

Es ist schwer, zu sagen, welche Wirkung diese Nachricht selbst auf die ergebensten Royalisten hervorbrachte.

Der König, der auf seinem königlichen Posten zu sterben versprochen, verließ diesen Posten und ging zum Feinde über, oder gab sich wenigstens gefangen, ohne zu kämpfen!

Von da an betrachteten sich die Nationalgarden als entbunden und zogen sich fast insgesammt zurück.

Einige Edelleute folgten ihnen, da sie es für unnütz erachteten, sich für eine Sache tödten zu lassen, die sich selbst als verloren bekannte.

Die Schweizer allein blieben, düster, still, aber Sklaven der Disciplin.

Von der Terrasse des Pavillon de Flore herab und aus den Fenstern der Galerie des Louvre sah man die heldenmüthigen Vorstädte kommen, denen nie ein Heer widerstanden, und die in einem Tage die Bastille zerstört hatten, – die Festung, deren Füße seit vierhundert Jahren im Boden eingewurzelt waren.

Die Angreifenden hatten ihren Plan: sie glaubten den König im Schlosse und wollten von allen Seiten das Schloß umzingeln, um den König zu nehmen.

Die Colonne, welche dem Quai des linken Ufert folgte, hielt daher Befehl, das Gitter am Wasser zu forciren; die, welche durch die Rue Saint-Honoré kam, das Thor der Feuillants zu sprengen, während die Colonne des rechten Ufers, commandirt von Westermann, der unter seinen Befehlen Santerre und Billot hatte, von vorne angreifen würde.

Diese letzte mündete plötzlich durch alle Einlässe bei Carrousel, das Ça ira singend.

Die Marseiller bildeten die Spitze der Colonne; sie schleppten mitten in ihren Reihen zwei mit Kartätschen geladene kleine Vierpfünder.

Ungefähr zweihundert Schweizer waren in Schlachtordnung auf dem Carrousel aufgestellt.

Die Aufrührer marschirten gerade auf sie zu, und in dem Augenblicke, wo die Schweizer ihre Gewehre senkten, um Feuer zu geben, demaskirten sie ihre zwei Kanonen und gaben selbst Feuer.

Die Soldaten schoben ihre Flinten ab, zogen sich aber unmittelbar hierauf gegen das Schloß zurück und ließen dreißig Todte und Verwundete auf dem Pflaster des Carrousel.

Sogleich warfen sich die Aufrührer, welche an, ihrer Spitze die Marseiller und die bretonischen Föderierten hatten, auf die Tuilerien und bemächtigten sich zweier Höfe: des Königshofes, welcher im Centrum lag, – wo so viele Todte waren, – und des Prinzenhofes in der Nähe des Pavillon de Flore und des Quai.

Billot hatte da kämpfen wollen, wo Pitou getödtet worden war; dann, wir müssen es sagen, blieb ihm noch eine Hoffnung: die, der arme Junge sei nur verwundet worden, und er werde ihm im Königshofe denselben Dienst leisten, den ihm Pitou auf dem Marsfelde geleistet.

Er drang also einer der Ersten in den Hof vom Zentrum ein; der Blutgeruch war so stark, daß man sich in einem Schlachthause geglaubt hatte; er strömte aus diesem Leichenhaufen gewisser Maßen sichtbar wie ein Rauch aus.

Dieser Anblick, dieser Geruch erbitterten die Angreifenden im höchsten Grade; sie stürzten nach dem Schlosse.

Hätten sie aber auch zurückweichen wollen, es wäre unmöglich gewesen; die Massen, die sich unaufhörlich durch die Einlässe des Carrousel drängten, trieben sie vorwärts.

Bemerken wir aber sogleich, obschon die Façade des Schlosses einem Feuerwerke glich, fiel es doch Keinem ein, einen Schritt rückwärts zu machen.

Und die Aufrührer, waren sie einmal in diesen mittleren Hof vorgedrungen, fanden sich doch wie diejenigen, in deren Blute sie bis an die Knöchel marschierten, zwischen zwei Feuern gefaßt: zwischen dem Feuer des Vestibule und dem der doppelten Reihe der Baraken.

Man mußte zuerst das Feuer der Baraken auslöschen.

Die Marseiller warfen sich auf sie wie Doggen auf einen glühenden Kohlenhaufen. Sie konnten sie aber nicht mit ihren Händen einreißen: sie verlangten Hebestangen, Karste und Hauen.

Billot verlangte Stückpatronen.

Westermann begriff den Plan seines Lieutenants.

Man brachte Stückpatronen mit Lunten.

Auf die Gefahr, das Pulver in ihren Händen losgehen zu sehen, zündeten die Marseiller die Lunten an und schleuderten die Stückpatronen in die Baraken.

Die Baraken geriethen in Brand. Diejenigen, welche sie vertheidigten, sahen sich genöthigt, sie zu räumen und sich unter das Vestibule zu flüchten.

Die Aufrührer, Billot an der Spitze, benützten diesen Augenblick, um den Flüchtlingen bis unter das Vestibule zu folgen. Hier wurde Mann gegen Mann gekämpft, die Mündung der Gewehrläufe berührten sich. Plötzlich fühlte Billot sich von hinten umfaßt; er glaubte es mit dem Feind zuthun zu haben und wandte sich rasch um. Aber er war freudig überrascht, als er den vermeinten Gegner erblickte. – Es war Pitou.

Pitou war kaum zu erkennen, denn er war von Kopf bis zu den Füßen mit Blut bedeckt, aber er lebte, er war nicht einmal verwundet.

In dem Augenblick, als die Schweizer ihre Gewehre gesenkt, hatte er seinen Begleitern die leider nicht schnell genug befolgte Warnung zugerufen; er selbst hatte sich noch früh genug zu Boden geworfen. Wir haben gesehen, wie das Gewehrfeuer gleich einer Riesensense drei Vierteile dieser Menschenhalme, die fünfundzwanzig Jahre wachsen, in einer Secunde niedergemacht hatte.

Pitou war buchstäblich unter Todten begraben und mit Blut begossen worden; allein trotz seines Entsetzens beschloß er unbeweglich unter den Todten liegen zu bleiben und einen günstigen Augenblick abzuwarten, um ein Lebenszeichen zu geben.

Diesen günstigen Augenblick hatte er länger als eine Stunde erwartet und jede Minute hatte ihm so lange gedauert, wie eine Stunde.

Endlich schien der günstige Augenblick gekommen, als er das Siegesgeschrei seiner Genossen hörte und mitten in dem Tumulte die Stimme Billot’s erkannte. Er arbeitete sich unter den Todten hervor, richtete sich auf, eilte auf Billot zu und drückte ihn an sein Herz, ohne sich zu kümmern, von welcher Seite er ihn umfaßte.

Eine Salve der Schweizer, die ein Dutzend Menschen zu Boden streckte, rief Billot und Pitou zum Ernste der Lage zurück.

Neunhundert Klafter Gebäude brannten rechts und links im mittleren Hofe.

Das Wetter war schwül, und es ging nicht der geringste Wind. Der Rauch des Brandes und des Musketenfeuers lastete auf den Kämpfenden wie ein Bleidach; der Rauch füllte das Vestibule des Schlosses; die ganze Façade, an der jedes Fenster flammte, war mit einem Rauchschleier bedeckt; man konnte weder unterscheiden, wohin man den Tod sandte, noch von wo man ihn empfing.

Pitou, Billot, die Marseiller, die Spitze der Colonne marschierten voran und drangen mitten unter dem Rauche in das Vestibule ein.

Man befand sich vor einer Mauer von Bajonneten: das waren die der Schweizer.

Da begannen die Schweizer ihren Rückzug, einen heroischen Rückzug, bei welchem Schritt für Schritt, Stufe um Stufe, auf jeder Stufe ein Glied der Seinigen lassend, das Bataillon langsam zurückwich.

Am Abend zählte man achtzig Leichname auf der Treppe.

Plötzlich hörte man durch die Corridors und die Zimmer den Ruf ertönen:

»Der König befiehlt den Schweizern, das Feuer einzustellen.«

Das war Nachmittags um zwei Uhr.

Man vernehme, was in der Nationalversammlung vorgefallen war, und was den Befehl herbeigeführt hatte, den man in den Tuilerien proclamirte, um den Kampf aufhören zu machen; ein Befehl, der den doppelten Vortheil hatte, daß er die Erbitterung der Sieger verminderte und die Ehre der Besiegten bedeckte.

In dem Augenblicke, wo sich das Thor der Feuillants wieder hinter der Königin schloß, und sie durch dieses noch ein wenig offene Thor eiserne Stangen, Bajonnete und Pieken Charny bedrohen sah, gab sie einen Schrei von sich und streckte ihre Arme nach dieser Seite aus; doch fortgerissen gegen den Saal von ihren Begleitern und zu gleicher Zeit durch jenen Mutterinstinct, der sie vor Allem ihrem Kinde folgen hieß, trat sie hinter den König in die Nationalversammlung ein.

Hier wurde ihr eine große Freude zu Theil: sie erblickte ihren Sohn auf dem Bureau des Präsidenten sitzend; der Mann, der ihn hierher gebracht hatte, schüttelte seine rothe Mütze neben dem Kopfe des jungen Prinzen und rief ganz freudig:

»Ich habe den Sohn meiner Gebieter gerettet! Es lebe Monseigneur der Dauphin!«

Sobald aber ihr Sohn in Sicherheit, führte eine schnelle Rückkehr des Herzens der Königin diese wieder zu Charny.

»Meine Herren,« sagte sie. »einer meiner bravsten Officiere, einer meiner ergebensten Diener ist in Todesgefahr vor dem Thore geblieben; ich bitte Sie um Hilfe für ihn.«

Fünf bis sechs Abgeordnete eilten auf diese Stimme fort.

 

Der König, die Königin, die königliche Familie und die Personen, welche sie begleiteten, wandten sich nach den für die Minister bestimmten Sitzen und nahmen hier Platz.

Die Nationalversammlung hatte sie stehend empfangen, nicht wegen der königlichen Häuptern schuldigen Etiquette, sondern wegen der dem Unglücke schuldigen Ehrfurcht.

Ehe er sich setzte, bedeutete der König durch ein Zeichen, er wolle sprechen.

Man schwieg.

»Ich bin hierher gekommen,« sagte er, »um, ein großes Verbrechen zu vermeiden; ich dachte, ich könne nicht mehr in Sicherheit sein, als in Ihrer Mitte.«

»Nun,« antwortete Vergniaud, der präsidirte, »Sie können ans die Festigkeit der Nationalversammlung zählen; ihre Mitglieder haben geschworen, in Vertheidigung der Rechte des Volks und der constituirten Gewalten zu sterben.«

Der König setzte sich.

In diesem Augenblicke erscholl ein entsetzliches Musketenfeuer beinahe vor den Thüren der Reitschule54: die Nationalgarde, vermischt mit den Aufrührern, schoß von der Terrasse der Feuillants auf den Kapitän und die Schweizer Soldaten, welche der königlichen Familie als Bedeckung gedient hatten.

Ein Officier von der Nationalgarde, der ohne Zweifel den Kopf verloren, trat ganz erschrocken ein, hielt erst an den Schranken an und rief:

»Die Schweizer! die Schweizer! wir sind überwältigt!«

Die Nationalversammlung glaubte einen Augenblick, die Schweizer haben als Sieger die Insurrection zurückgeschlagen und marschiren gegen die Reitschule, um ihren König wieder zu nehmen, – denn zu dieser Stunde, man muß es sagen, war Ludwig XVI. viel mehr König der Schweizer, als König der Franzosen.

Die ganze Nationalversammlung erhob sich wie ein Mann.

Alle Anwesenden, die Volksvertreter wie die Zuhörer auf den Tribünen die Nationalgardisten wie die Secretäre hoben die Hand auf und riefen: »Was auch geschehen möge, wir schwören als freie Männer zu leben und zu sterben!«

Der König und die königliche Familie hatten bei diesem Schwur nichts zu thun, sie blieben daher sitzen.

Dieser laute Ruf aus dreitausend Kehlen dröhnte wie ein Donner in dem überfüllten Saale. Die Täuschung dauerte nicht lange, aber dieser Moment der Begeisterung war erhaben.

Zehn Minuten nachher ertönte ein anderer Ruf: »Das Schloß ist erstürmt, die Insurgenten rücken gegen die Nationalversammlung, um den König zu ermorden!«

Dieselben Männer, die aus Haß gegen das Königthum soeben geschworen hatten, ihr Leben für die Freiheit zu lassen, erhoben sich nun mit demselben Eifer und schwuren, den König bis auf den letzten Blutstropfen zu vertheidigen.

In diesem Augenblicke wurde der Schweizerhauptmann Durler im Namen der Nationalversammlung aufgefordert, die Waffen zu strecken.

»Ich diene dem Könige und nicht der Nationalversammlung,« erwiderte der Schweizer; »wo ist der Befehl des Königs?«

Die Abgeordneten der Nationalversammlung hatten keinen schriftlichen Befehl.

»Ich habe mein Commando vom Könige erhalten,« sagte Durler »und werde es auch nur in die Hände des Königs niederlegen.«

Man führte ihn fast mit Gewalt in die Reitschule. Er war vom Pulverrauch geschwärzt, vom Blut geröthet.

»Sire,« sagte der brave Capitän, »man verlangt, daß ich die Waffen strecke. Ist es der Wille Ew. Majestät?«

»Ja,« sagte der König, »übergeben Sie Ihre Waffen der Nationalgarde: ich will nicht, daß brave Leute wie Sie umkommen.«

Durler beugte das Haupt, stieß einen Seufzer aus und ging ab; an der Thüre ließ er aber sagen, er werde nur auf einen schriftlichen Befehl gehorchen.

Da nahm der König ein Papier und schrieb:

»Der König befiehlt den Schweizern, die Waffen niederzulegen und sich in die Kasernen zurückzuziehen!«

Das war das, was man in den Zimmern, in den Corridors und auf den Treppen der Tuilerien ausrief.

Als dieser Befehl der Nationalversammlung wieder einige Ruhe verschafft hatte, setzte der Präsident seine Glocke in Bewegung und sprach:

»Lassen Sie uns berathschlagen.«

Ein Deputirter stand aber auf und bemerkte, ein Artikel der Constitution verbiete, in Gegenwart des Königs zu berathschlagen.

»Das ist wahr,« sagte Ludwig XVI. »doch wohin werden Sie uns bringen?«

»Sire,« erwiederte der Präsident, »wir haben Ihnen die Tribüne des Journals: der Logographe, anzubieten, welche leer ist, da dieses Journal zu erscheinen aufgehört hat.«

»Es ist gut,« versetzte der König, »wir sind bereit, uns dahin zu begeben.«

»Huissiers,« rief Herr Vergniaud, »führen sie den König in die Loge des Logographe.«

Die Huissiers beeilten sich, zu gehorchen.

Der König, die Königin, die königliche Familie kamen wieder, um aus dem Saale wegzugehen, den Weg, den sie genommen hatten, um hereinzukommen, und befanden sich bald im Corridor.

»Was ist denn hier auf der Erde?« fragte die Königin; »man sollte glauben, es sei Blut.«

Die Huissiers antworteten nicht; wahrscheinlich wußten sie nicht, ob es wirklich Blutflecke waren und woher diese Flecke kamen.

Sonderbar! Diese Blutspuren wurden größer und häufiger, je näher man der Loge kam.

Um der Königin diesen Anblick zu ersparen, ging Ludwig XVI. rasch fort, und öffnete selbst die Thür der Loge.

»Treten Sie ein, Madame,« sagte er zu der Königin.

Marie Antoinette eilte voraus; aber als sie in die Thür trat, schrie sie laut auf vor Entsetzen, hielt die Hand vor die Augen und wandte sich ab.

Die Blutspuren fanden nun ihre Erklärung: man hatte einen Todten in die Loge gebracht.

Dieser Todte, den die Königin in ihrer Eile fast mit dem Fuße berührt, hatte ihr den Schrei entlockt.

»Siehe da!« sagte der König mit demselben Tone, womit er gesagt hatte: das ist der Kopf des armen Maudat; »wahrhaftig, es ist der arme Graf von Charny!«

Es war wirklich der Leichnam des Grafen. Die Deputirten hatten ihn den Händen der Mörder entrissen und in die Loge des Logographe« bringen lassen; sie hatten nicht ahnen können, daß man diese Loge zehn Minuten nachher der königlichen Familie anweisen werde.

Der Leichnam des Grafen wurde fortgetragen und die königliche Familie nahm Platz in der Loge. – Man wollte den Fußboden waschen, denn er war ganz mit Blut bedeckt; aber die Königin verbot es durch einen Wink und nahm zuerst Platz. Niemand bemerkte, daß sie ihre Schuhbänder zerriß und ihre bebenden Füße mit dem nach lauen Blut in Berührung brachte.

»O Charny!« sagte sie in Gedanken; »theurer Charny! warum fließt mein Blut nicht hier bis aus den letzten Tropfen, um sich auf ewig mit dem Deinen in vermischen! . . . «

Es schlug Drei Uhr Nachmittags.

CLVIII
Von drei Uhr bis sechs Uhr Nachmittags

Wir haben das Schloß in dem Augenblicke verlassen, wo, nachdem das mittlere Vestibule erstürmt und die Schweizer von Stufe zu Stufe bis in die Gemächer des Königs zurückgedrängt waren, eine Stimme in den Zimmern und in den Corridors erscholl, ausrufend! »Der König befiehlt den Schweizern, die Waffen niederzulegen!«

Dieses Buch ist wahrscheinlich das letzte, das wir über die erschreckliche Epoche machen werden; sowie unsere Erzählung vorrückt, verlassen wir also das Terrain, was wir durchlaufen haben, um nie mehr darauf zurückzukehren. Das ermächtigt uns, in allen Einzelheiten diesen äußersten Tag unsern Lesern vor Augen zu legen; wir haben um so mehr das Recht hierzu, als wir es, ohne irgend ein Vorurtheil, ohne irgend einen Haß, ohne irgend eine Partei genommen zu haben, thun.

Der Leser ist in den Königshof hinter den Marseillern eingetreten; er ist Billot unter den Flammen und dem Rauche gefolgt und hat ihn mit Pitou, einem aus der Mitte der Todten erstandenen blutigen Gespenste, jede Stufe der Treppe, auf deren Höhe wir sie gelassen, hinaufsteigen sehen.

Von diesem Augenblicke an waren die Tuilerin genommen.

Wer ist der finstere Geist, der beim Siege vorgewaltet hatte?

Der Zorn des Volkes, wird man antworten.

Ja, allerdings, doch wer lenkte diesen Zorn? Der Mann, den wir kaum genannt haben, der deutsche Officier, der auf einem kleinen Rappen an der Seite des Riesen Santerre und seines colossalen flämischen Rosses marschirte, der Elsäßer Westermann.

Wer war dieser Mann, der sich, dem Blitze ähnlich, nur unter dem Gewitter sichtbar machte?

Einer von den Menschen, welche Gott im Arsenal seines Zornes verborgen hält, und die er aus der Dunkelheit nur in dem Augenblicke zieht, wo er ihrer bedarf, nur in der Stunde, wo er schlagen will!

Er heißt Westermann, der Mann des Niedergangs.

Und in der That, er erscheint, da das Königthum fällt, um sich nicht mehr zu erheben.

Wer hat ihn erfunden? wer hat ihn errathen? wer ist der Vermittler zwischen ihm und Gott gewesen?

Wer hat begriffen, man müsse dem Bierbrauer, einem aus dem materiellen Blocke des Fleisches gehauenen Riesen, eine Seele für diesen Kampf geben, wo die Titanen Gott entthronen sollten? Wer hat Geryon durch Prometheus vollkommen gemacht? Wer hat Santerre mit Westermann vervollständigt? Danton.

Wo hat der furchtbare Tribun diesen Sieger geholt!

An einem Sammelplatze alles Gesindels, in einem Winkel des Auswurfs, in einem Gefängniß, in Saint-Lazare.

Westermann war angeklagt, – verstehen wir uns wohl, nicht überwiesen, – falsche Kassenbillets gemacht zu haben, und er war präventiv in Verhaft genommen worden.

Danton brauchte für das Werk vom 10. August einen Mann, der nicht zurückweichen konnte, weil er zurückweichend den Pranger bestiegen hätte.

Danton wandte kein Auge von dem geheimnißvollen Gefangenen; am Tage und in der Stunde, wo er seiner bedurfte, brach er Kette und Riegel mit seiner mächtigen Hand und sagte: »Komm!«

Die Revolution besteht, wie ich gesagt habe, nicht allein darin, daß man obenauf bringt, was unten ist, sondern auch, daß man die Gefangenen in Freiheit setzt und ins Gefängniß die freien Leute steckt; nicht nur die freien Leute, sondern auch die Mächtigen der Erde, die Großen, die Fürsten, die Könige!

Ohne Zweifel in seiner Sicherheit über das, was kommen sollte, schien Danton so fühllos während der fieberhaften Finsterniß, welche der blutigen Morgenröthe des 10. August vorherging.

Schon am Tage vorher hatte er den Wind gesäet, und er brauchte sich um nichts mehr zu bekümmern, sicher, wie er war, den Sturm zu ernten.

Der Wind, das war Westermann; der Sturm, das war Santerre, diese riesenhafte Persönlichung des Volks.

Santerre zeigte sich kaum an diesem Tage; Westermann that Alles, war überall.

Es war Westermann, der die Verbindungsbewegung des Faubourg Saint-Marceau und des Faubourg Saint-Antoine auf dem Pont-Neuf leitete; es war Westermann, der, auf seinem kleinen Rappen reitend, an der Spitze des Heeres unter dem Einlasse des Carrousel erschien; es war Westermann, der, als handelte es sich darum, das Thor einer Kaserne einem Regimente am Ende einer Etape zu öffnen, mit dem Griffe seines Degens an das Thor der Tuilerien klopfte.

Wir haben gesehen, wie dieses Thor sich öffnete, wie die Schweizer heldenmüthig ihre Pflicht thaten, wie sie sich zurückzogen, ohne zu fliehen, wie sie vernichtet wurden, ohne besiegt zu sein; wir sind ihnen Stufe um Stufe auf der Treppe gefolgt, die sie mit ihren Todten bedeckten: folgen wir ihnen Schritt für Schritt in den Tuilerien, die sie mit Leichen bestreuen werden.

In dem Augenblicke, wo man erfuhr, der König habe das Schloß verlassen, versammelten sich die zwei bis dreihundert Edelleute, welche gekommen waren, im mit dem König zu sterben, im Saale der Leibwachen der Königin, und sie fragten sich, ob sie, da der König nicht mehr da sei, um mit ihnen zu sterben, wie er sich hierzu feierlich verbindlich gemacht, ohne ihn sterben sollen.

Da beschlossen sie, da der König in die Nationalversammlung gegangen sei, ihm selbst dahin nachzufolgen.

Sie zogen alle Schweizer zusammen, die sie treffen konnten, vereinigten ferner mit sich ungefähr zwanzig Mann von der Nationalgarde, und gingen, fünfhundert an der Zahl, gegen den Garten hinab.

Der Durchgang war geschlossen durch ein Gitter, genannt das Gitter der Königin; man wollte das Schloß sprengen: das Schloß widerstand.

Die Stärksten fingen an, an einer Stange zu rütteln, und es gelang ihnen, sie zu zerbrechen.

Die Oeffnung gewährte der Schaar Eingang, doch nur Mann für Mann.

Man war dreißig Schritte von den am Gitter des Pont Royal aufgestellten Bataillons entfernt.

 

Zwei Schweizer Soldaten kamen zuerst aus der engen Passage hervor: Beide waren getödtet, ehe sie vier Schritte gemacht hatten.

Alle Andere schritten über ihre Leichname.

Die Schaar wurde rasch gelichtet durch zahllose Musketenschüsse; da aber die Schweizer mit ihren glänzenden Uniformen einen leichteren Zielpunkt boten, so richteten sich die Kugeln vorzugsweise auf die Schweizer; für drei Edelleute, von denen zwei getödtet wurden und einer verwundet, fielen sechzig bis siebzig Schweizer.

Die zwei getödteten Edelleute waren die Herren von Corteja und von Clermont d’Amboise; der verwundete Edelmann war Herr von Viomesnil.

Während man nach der Nationalversammlung marschierte, zog man an einem Wachhause vorüber, das an die Terrasse am User angelehnt und unter Bäume gestellt war.

Die Wache kam heraus und gab Feuer auf die Schweizer, von denen acht bis zehn fielen.

Der Rest der Colonne, der aus ungefähr achtzig Schritten achtzig Menschen verloren hatte, wandte sich nach der Treppe der Feuillants.

Herr von Choiseul sah sie von fern, lief, mit dem Degen in der Hand, unter dem Feuer der Kanonen des Pont Royal und des Pont Tournant auf sie zu und suchte sie wiederzuvereinigen.

»Nach der Nationalversammlung!« rief er.

Und da er glaubte, die vierhundert Leute, welche übrig blieben, folgen ihm, so stürzte er in die Corridors und eilte die Treppe hinauf, welche in den Sitzungssaal führte.

Auf der letzten Stufe begegnete er Merlin.

»Was machen Sie hier mit dem Degen in der Hand, Unglücklicher?« fragte ihn der Abgeordnete.

Herr von Choiseul schaute umher: er war allein.

»Stecken Sie Ihren Degen in die Scheide und suchen Sie den König wieder auf;« sagte Merlin; »nur ich allein habe Sie gesehen: folglich hat Sie Niemand gesehen.«

Was war aus der Schaar geworden, von der sich Herr von Choiseul gefolgt glaubte?

Die Kanonenschüsse und das Musketenfeuer hatten gemacht, daß sie sich um sich selbst gedreht wie ein Wirbel von dürren Blättern, und hatten sie bis auf die Terrasse der Orangerie verfolgt.

Von der Terrasse der Orangerie stürzten die Flüchtlinge auf die Place Louis XV. fort, und von da wandten sie sich nach dem Garde-Meuble, um die Boulevards oder die Champs-Elysées zu erreichen.

Herr von Viomesnil, acht bis zehn Edelleute und für Schweizer flüchteten sich in das Hotel der venezianischen Gesandtschaft, das in der Rue Saint Florentin lag, und dessen Thüre sie offen gefunden hatten. Diese waren gerettet.

Der Rest der Colonne suchte die Champs-Elysées zu erreichen.

Zwei mit Kartätschen geladene Kanonen wurden vom Fuße der Statue Ludwigs XV. abgefeuert zerrissen die Colonne in drei Teile.

Ein Theil entfloh über das Boulevard und begegnete der Gendarmerie, welche mit dem Bataillon du Capucines ankam.

Die Flüchtlinge glaubten sich gerettet. Herr Villiers, früher selbst Major-Adjutant der Gendarmerie lief mit offenen Armen auf einen der Reiter zu und rief »Zu Hilfe, meine Freunde!«

Der Reiter zog eine Pistole aus seinen Holfter und zerschmetterte ihm die Hirnschale.

Bei diesem Anblicke eilten dreißig Schweizer und ein Edelmann, ein ehemaliger Page des Königs, in das Hotel der Marine.

Die Schweizer waren der Meinung, man sollte sich ergeben, und als sie acht Sansculottes erscheinen sahen, legten sie ihre Waffen nieder und riefen: »Es lebe die Nation!«

»Ha! Verräther!« sagten die Sansculottes: »Ihr ergebt Euch, weil Ihr Euch gefangen seht! Ihr ruft »»Es lebe die Nation!«« weil Ihr glaubt, dieser Ruf werde Euch retten? Nein, kein Quartier!!«

Und zu gleicher Zeit fallen zwei Schweizer, der Eine von einem Piekenstoße, der Andere von einem Flintenschusse getroffen.

Auf der Stelle wird ihnen der Kopf abgeschnitten und an die Spitze einer Pieke gesteckt.

Wüthend über den Tod ihrer Kameraden, ergreifen die Schweizer wieder ihre Gewehre und feuern Alle zugleich.

Sieben Sansculottes fallen todt oder verwundet.

Die Schweizer fliehen sodann unter das große Thor, um sich zu retten, und sehen sich vor der Mündung einer Kanone.

Sie weichen zurück; die Kanone rückt vor; Alle gruppiren sich in einer Ecke des Hofes; die Kanone dreht den Schlund auf ihre Seite und gibt Feuer.

Dreiundzwanzig sind von achtundzwanzig getödtet.

Fast zu gleicher Zeit und in dem Augenblicke, wo der Rauch diejenigen, welche geschossen haben, blendet, öffnet sich zum Glücke eine Thüre hinter den übrig gebliebenen fünf Schweizern und dem Expagen des Königs.

Alle stürzen durch diese Thüre hinaus, die sich wieder schließt; die Patrioten haben nicht diese Art von englischer Falle gesehen, die ihnen die Ueberlebenden entzogen: sie glauben Alles getödtet zu haben, und entfernen sich, ihre Kanone unter Triumphgeschrei fortschleppend.

Das zweite abgerissene Stück bestand aus etwa dreißig Soldaten und Edelleuten; es wurde commandirt von Herrn Forester von Saint-Venant. Von allen Seiten beim Eingange der Champs-Elysées eingeschlossen, wollte der Anführer wenigstens seinen Tod bezahlen lassen: an der Spitze seiner dreißig Mann griff er dreimal, er den Degen in der Hand, sie das Bajonnet am Ende der Flinte, ein ganzes am Fuße der Statue zusammengedrängtes Bataillon an; bei diesen drei Angriffen verlor er fünfzehn Mann.

Mit den fünfzehn Andern versuchte er es, durch eine Lichtung zu passiren und die Champs-Elysées zu erreichen; eine Musketensalve tödtete ihm acht Mann; die sieben Andern zerstreuten sich, wurden verfolgt und von der Gendarmerie niedergehauen.

Herr von Saint Benat war nahe daran, eine Zuflucht im Café des Ambassadeurs zu finden; da gab ein Gendarme seinem Pferde die Sporen, setzte über den Graben, der die Promenade von der Straße trennte und zerschmetterte dem unglücklichen Commandanten mit einem Pistolenschusse die Lenden.

Das dritte Stück, begehend aus sechzig Mann, hatte die Champs-Elysées erreicht und wandte sich gegen Courbevoin vermöge jenes Instinctes, welcher macht, daß sich die Tauben nach dem Taubenhause, die Schafe nach dem Schafstalle wenden; in Courbevoin waren die Kasernen.

Umgeben von der Gendarmerie und vom Volk wurden sie nach dem Stadthause geführt, wo man sie Sicherheit zu bringen hoffte: zwei bis dreitausend an dem Grève-Platze zusammengeschaarte Wüthende entrissen sie ihrer Bedeckung und brachten sie um.

Ein junger Edelmann, der Chevalier Charles d’Autichamp, floh aus dem Schlosse durch die Rue de l’Echelle, eine Pistole in jeder Hand; zwei Männer suchen ihn festzunehmen; er tödtet Beide; der Pöbel bemächtigt sich seiner und schleppt ihn bis auf die Grève, um ihn hin feierlich hinzurichten.

Glücklicher Weise aber vergißt man ihn zu durchsuchen; statt seiner unnützen Pistolen, die er weggeworfen, bleibt ihm ein Messer; er öffnet es in seiner Tasche, den Augenblick erwartend, um sich desselben zu bedienen. In dem Momente, wo er auf den Platz des Stadthauses kommt, ermordet man hier die sechzig Schweizer, die man dahin geführt hat; dieses Schauspiel zerstreut diejenigen, welche ihn bewachen; er tödtet seine zwei nächsten Nachbarn mit zwei Messerstichen, schlüpft dann durch die Menge wie eine Schlange und verschwindet.

Die hundert Mann, die den König in die Nationalversammlung geleitet haben und, zu den Feuillants geflüchtet, hier entwaffnet worden sind; die fünfhundert, deren Geschichte wir erzählt; einige isolirte Flüchtlinge wie Herr Charles d’Antichamp, den wir dem Tode mit so viel Glück haben entkommen sehen, sind die Einzigen, welche das Schloß verlassen haben.

Der Rest hat sich unter dem Vestibule, auf den Treppen, auf dem Ruheplatze, tödten lassen, oder ist in den Gemächern und in der Kapelle ermordet worden.

Nennhundert Leichen von Schweizern oder Edelleuten liegen im Innern der Tuilerien zerstreut umher!

54Sitz der Nationalversammlung