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Die Flucht nach Varennes

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XII

Um die Handlungen der Menschen zu beurtheilen muß man sich in die Zeiten, wo sie begangen wurden, zurückversetzen und die Verhältnisse möglichst berücksichtigen. Es herrschte zu jener Zeit eine große Erbitterung gegen den König und noch mehr gegen die Königin. Michelet erzählt zwei Thatsachen, wir erzählen sie ihm nach und setzen noch eine dritte hinzu.

»Clouet, einer der Gründer der polytechnischen Schule, ein harter Stoiker, dessen einzige Liebe das Vaterland war, entfernte sich sogleich von Meszières mit seinem Gewehr; erlegte sechzig Lieues in drei Tagen zu Fuß zurück; er hoffte den König tödten zu können. In Paris gab er diesen Gedanken auf.

»Ein Anderer, ein junger Tischler aus Burgund, welcher sich später in Paris niederließ und der Vater von zwei großen Gelehrten geworden ist, verließ ebenfalls seine Heimat um der Verurtheilung Ludwigs XVI. beizuwohnen. Unterwegs übernachtete er bei einem Tischlermeister, welcher ihm vorstellte, daß er zu spät kommen würde; er würde besser thun zu bleiben und mit ihm Bruderschaft zu schließen. Um das Band der Freundschaft noch fester zuknüpfen, gab er ihm seine Tochter zur Frau.«

Wir haben eine von der Stadt Tourneins an die Municipalbeamten von Varennes geschickte Adresse copirt. Die Adresse lautet folgendermaßen:

»27. Juni im zweiten Jahr der Freiheit. [Die Zeitrechnung der Republik datirte erst vom 21. September 1791. aber die Zeitrechnung der Freiheit vom 14. Juli 1789.]

»Meine Herren, erlauben Sie den patriotischen Bürgerinnen, der Gesellschaft der Verfassungsfreunde von Tourneins, daß sie den braven Bürgern, welche durch die Verhaftung des Königs dem Blutvergießen »vorgebeugt« haben, ihren Dank und ihre Bewunderung aussprechen. Wir werden ihre Namen nie ohne Rührung aussprechen, denn ihnen verdanken wir die Erhaltung unserer Kinder, Gatten, Brüder, Freunde u.s.w.«

Es war ein weiter Weg von St. Ménehould nach Châlons: neun Lieues auf einer staubigen Landstraße in drückender Hitze, mitten unter blitzenden Gewehrläufen und Sensen.

Die königliche Familie kam um zehn Uhr Abends ganz erschöpft in Châlons an. Der Bürgermeister, von den städtischen Beamten umgeben, erwartete die erlauchten Gefangenen an der Porte Dauphine. Sonderbares Zusammentreffen! Dieses Thor war kein anderes, als der Triumphbogen, welchen man der Dauphine bei ihrer Ankunft in Frankreich errichtet hatte. Die Inschrift: »Aeternum stet ut armor,« (Er bleibe ewig wie unsere Liebe) war noch vorhanden.

In Châlons herrschte in der That eine andere Stimmung als an den übrigen Orten. »Die patriotischen Kundgebungen waren milder. Die alte Stadt, welche noch heutzutage auf ihren Handel mit Champagner beschränkt ist, war größtentheils von royalistischen Edelleuten und Bürgern bewohnt; es war für alle ein herzzerreißender Anblick, den König in einem solchen Zustande zu sehen.

Ein großes Souper wird aufgetragen. Der König und die Königin speisen öffentlich, wie in Versailles. Viele Personen werden vorgestellt; die Damen kommen im schönsten Schmuck, die Königin wird mit Blumen überschüttet.

Am andern Morgen soll die Reise erst nach der Messe und nach dem Mittagessen fortgesetzt werden. Aber am andern Morgen ist alles verändert.

Um zehn Uhr begibt sich der König in die Messe; aber kaum hat der Gottesdienst begonnen, so entsteht ein großer Lärm. Die Ursache dieser Störung ist das Erscheinen mehrerer Nationalgardisten von Rheims. Im Hofe entsteht ein furchtbares Getümmel; die Menge dringt trotz des Widerstandes der Nationalgarde in die Capelle. Der König und die Königin zeigen sich auf dem Balcon, aber ihr Anblick verdoppelt nur die Erbitterung; man verlangt die Abreise des Königs, man zieht die Wagen auf die Straße, der König erklärt selbst, daß er sogleich abreisen will.

Diese Erklärung beruhigte das Volk, und gleichwohl enthalten die Worte des Königs im Grunde nur eine Verwahrung. »Da man mich dazu zwingt,« sagte er, »so will ich abreisen.«

Gegen elf Uhr reiste er wirklich ab.

Zwischen Epernay und Dormans hält der Zug plötzlich an. Der König schaut zum Wagen hinaus und fragt nach der Ursache dieses Aufenthaltes.

Es ist nicht zu vergessen, daß der Reisewagen noch immer von drei- bis viertausend Bewaffneten begleitet war. Drouet und Guillaume sind vorausgeeilt, um die Ankunft des Königs in Paris zu melden.

Die Ursache der Verzögerung ist die Ankunft von drei Deputirten der Nationalversammlung, welche den Zug beaufsichtigen wollen. Alle drei sind von der Linken gewählt und vertreten die drei Abstufungen der Linken. Latour-Maubourg ist Royalist; Barnave vertritt die Partei der Constitutionellen; Pétion ist Republikaner.

Die drei Deputirten näherten sich dem Wagen des Königs. Pétion zog eine Schrift aus der Tasche und las sie laut vor. Es war ein Decret der Nationalversammlung, welche die drei Abgeordneten beauftragte, dem Könige entgegen zureisen und nicht nur über seine Sicherheit zu wachen, sondern auch die seiner Person schuldige Ehrerbietung von Jedermann zu fordern.

Als das Decret vorgelesen war, setzten sich Barnave und Pétion in den Wagen des Königs. Frau von Tourzel stieg aus und setzte sich mit Latour-Maubourg in den Wagen der Kammerfrauen.

Die Königin wäre lieber in Gesellschaft Latour-Maubourg’s weiter gereist, aber dieser sagte leise zu ihr:

»Ich habe diesen traurigen Auftrag, der mich in die Nähe Eurer Majestät bringt, nur in der Hoffnung übernommen dem Könige nützlich zu seyn. Eure Majestät können daher auf meinen Eifer und meine Ergebenheit zählen. Anders ist es mit Barnave der einen sehr großen Einfluß auf die Nationalversammlung hat; er ist eitel wie ein Advocat und es schmeichelt seiner Eitelkeit, in dem Wagen des Königs zu sitzen. Es ist daher sehr gut, daß Eure Majestät ihn genauer kennen lernen.«

Die Königin gab sich zufrieden.

Pétion gab sogleich einen Beweis seiner feinen Sitte: er erklärte, daß er als Vertreter der Nationalversammlung seinen Platz auf dem Hintersitz haben müsse. Der König und die Königin gaben der Prinzessin Elisabeth einen Wink, und sie setzte sich auf den Vordersitz. Barnave begnügte sich mit einem Platze neben Madame Elisabeth, Madame Royale und dem Dauphin.

Anfangs erschien Barnave der Königin kalt, abstoßend und böswillig. Sein Ehrgeiz hatte ihn zum Nachahmer Mirabeau’s gemacht. In der Nationalversammlung hatte er dessen Stelle bereits eingenommen, aber damit war er noch nicht zufrieden; die Königin hatte ja Mirabeau in St. Cloud eine Zusammenkunft bewilligt; warum sollte Barnave nicht Anspruch auf gleiche Gunst haben?

Es hatte sich das Gerücht verbreitet, unter den drei auf dem Bock sitzenden Edelleuten befinde sich Herr von Fersen, welcher, wie das Gerücht sagte, der Königin näher stand als andere Hofcavaliere. Dieser Gedanke erregte den Neid Barnave’s.

Marie Antoinette errieth mit wunderbarem Scharfblick die Gedanken des eitlen Depuitrten. Sie nannte gesprächsweise die drei Leibgardisten: De Moustier, Valory, Malden.

Barnave konnte seine Freude nicht verbergen, er wurde äußerst liebenswürdig und zuvorkommend.

Barnave war ein junger, schöner Mann von feinem Benehmen, geistreich und beredt, voll von Ehrerbietung gegen das Unglück der königlichen Familie; was Wunder, daß er auf Marie Antoinette einen günstigen Eindruck machte, zumal da seine Höflichkeit gegen das anmaßende Wesen Pétion’s sehr abstach.

Zwischen Madame Elisabeth und Madame Royale stand eine Flasche Limonade und ein Glas. Pétion hatte Durst, und er fand es natürlich seinen Durst zu löschen. Er nahm das Glas und reichte es der Prinzessin. Diese nahm die Flasche und schenkte ihm ein.

»Genug,« sagte Pétion und hob sein Glas, als ob er in einer Schenke gewesen wäre.

Der kleine Dauphin stand oft von seinem Platz auf und hüpfte im Wagen umher. Pétion wurde verdrießlich, er zog den kleinen Prinzen an sich und hielt ihn zwischen den Knien fest.

Dies konnte auch als eine Aufmerksamkeit gedeutet werden. Aber Pétion, der mit dem Könige sprach, wurde nach und nach sehr lebhaft; er hatte die blonden Haare des Dauphin anfangs gestreichelt, endlich zog er ihn bei den Haaren. Der kleine Prinz zuckte vor Schmerz. Die Königin entriß ihn den Händen Pétion’s.

Barnave breitete ihm lächelnd die Arme aus; der Dauphin setzte sich sogleich auf seinen Schooß; sein Instinct sagte ihm, daß er an ihm einen Beschützer habe.

Der Dauphin spielte mit den Rockknöpfen des Deputirten und versuchte die Aufschrift auf denselben zu lesen. Nach einiger Mühe gelang es ihm. Der Wahlspruch lautete: »Vivre libre ou mourir« (Frei leben oder sterben).

Die Königin war sehr betroffen und sah Barnave mit feuchten Augen an.

Plötzlich entstand ein großer Lärm um den Reisewagen. Barnave wurde aus seinen egoistischen Träumen geweckt.

Wie früher der Graf von Dampierre, kam ein Geistlicher an den Wagen und wollte den König segnen; aber sogleich fielen zehn, zwanzig, dreißig Hüter des Wagens über ihn her und schleppten ihn fort, um ihn hinter einem Gebüsch zu tödten. Wenn das Volk einmal Blut gekostet hat, so ist es wie der Tiger; wehe dem, der in seine Krallen fällt!

Barnave sah was vorging; er schob den kleinen Prinzen in die Arme seiner Tante und öffnete den Kutschenschlag so hastig, daß er hinausgestürzt wäre, wenn ihn Madame Elisabeth nicht am Rockschoß gehalten hätte.

»Franzosen!« rief er der ergrimmten Rotte zu, »wollt Ihr denn ein Volk von Mördern werden?«

Die Bewaffneten ließen den Priester los, und Niemand wagte es ferner Hand an ihn zu legen. Barnave streckte die Hand aus und sein gebietender Blick hielt Alle im Zaume.

Als die Königin ihre Vertraute, Madame de Campan, wieder fand, sagte sie zu ihr:

»Wenn jemals die Macht wieder in unsere Hände kommt, so ist die Verzeihung Barnave’s zum Voraus in unsere Herzen geschrieben.«

Bis zu der Ankunft der Commissäre hatte der König, der Etikette gemäß, immer allein mit seiner Familie gespeist; aber bei der nächsten Mahlzeit wurden die Commissäre eingeladen, mit dem Könige und der Königin Platz an der Tafel zu nehmen.

 

Pétion nahm die Einladung an; aber Latour-Maubourg und Barnave lehnten es ab. Barnave wollte sogar den König bedienen. Die Königin gab ihm jedoch einen Wink, und er gab nach.

In Dormans wurde Halt gemacht. Seit zwei Tagen war man im Schritt auf der staubigen Landstraße, in der drückenden Hitze gefahren. Barnave sah ein, wie schrecklich die Königin zumal durch die beständigen Drohungen und die zudringliche Neugier des Pöbels leiden mußte. Er beschloß daher mit seinen beiden Collegen, von dort an Cavallerieescorte zu nehmen. Man konnte dann wenigstens im Trabe fahren.

So kam die königliche Familie am dritten Tage nach Meaux. In dem düstern bischöflichen Palaste wurde ihr eine Wohnung angewiesen. Die Königin verlangte das Arbeitszimmer des berühmten Bossuet zu sehen. Sie nahm Barnave’s Arm und begab sich in die öden Gemächer, während der König mit Pétion in den Garten ging.

Barnave getraute sich nicht das Gespräch anzuknüpfen. Die Königin begann die Unterredung.

»O! Madame,« sagte der junge Deputirte, dessen Herz überwallte, wie schlecht ist Ihre Sache vertheidigt worden! Wie wenig kennen die Royalisten den Geist der Zeit und den Genius Frankreichs!«

Die Königin sah ihn mit Wohlwollen an.

»Mein, Gott!« fuhr Barnave fort, »wie oft war ich schon im Begriff, mich Ihrem Dienste zu widmen, Ihrem Wohl mein ganzes Daseyn zu opfern! … «

»Was für Mittel würden Sie mir denn gerathen haben?« fragte die Königin.

»Ein einziges, Madame: die Zuneigung Ihres Volks zu erwerben.«

»Ach!« erwiederte Marie Antoinette, welche in jenem Augenblicke wohl recht tief fühlen mochte, wie fern sie dem französischen Volke stand, »wie hätte ich mir diese Zuneigung erwerben können? Es vereinigten sich ja alle Umstände, um sie mir zu nehmen.«

»Ich war nur ein Advocat in einer kleinen Provinzstadt,« erwiederte Barnave, »und es ist mir gelungen, aus meiner Dunkelheit herauszutreten und mich populär zu machen: um wie viel leichter würden Ew. Majestät Ihre Popularität bewahrt oder die verlorne wieder erlangt haben!«

Während dieser Zeit hatte Pétion, dessen natürliche Herzensgüte über die Eitelkeit und die patriotischen Gefühle den Sieg davontrug, den Entschluß gefaßt, die drei Leibgardisten in Nationalgardeuniform zu stecken und in dieser Verkleidung entkommen zu lassen. Er hatte nur für den König, die Königin, die Prinzessin Elisabeth und die Kinder Frankreichs zu bürgen. Aber welchen Kuchen sollte er dem Cerberus, den man das Volk nennt, hinwerfen? Pétion fürchtete, das Volk werde die drei jungen Edelleute ermorden.

Er theilte diese Idee dem Könige mit. Ludwig XVI. lehnte das Anerbieten ab. Warum? hegte er etwa den Wahn, Pétion beabsichtige die Ermordung der drei Edelleute und suche nur ein Mittel zur Ausführung dieses ruchlosen Planes? Oder wollte er dem republikanischen Deputirten nichts verdanken? Dies ist wahrscheinlicher. Er hatte eine unüberwindliche Abneigung gegen Pétion. Warum verleugnete er diese Abneigung an dem Tage, wo er Lafayette zum Bürgermeister von Paris ernennen konnte, aber Pétion den Vorzug gab?

Der folgende Tag kam. Es war der 25. Juni. Die erlauchten Flüchtlinge sollten nach fünftägiger Abwesenheit wieder nach Paris kommen.

Fünf Tage! welch eine tiefe Kluft hatte sich in diesen fünf Tagen aufgethan!

Vor den Thoren von Paris verlangte Barnave den Plan auf dem Hintersitz. Es war nicht mehr der Ehrenplatz, sondern der Platz der Gefahr. Wenn etwa ein Fanatiker – was wohl nicht wahrscheinlich, aber doch möglich war – auf den König oder die Königin schießen würde, so war Barnave da, um den König gegen die mörderische Kugel zu schützen.

Mathieu Dumas hatte von Lafayette den Befehl erhalten, bei dem Einzuge des Königs die Ruhe und Ordnung zu erhalten; viertausend Mann der Armee von Paris waren zu seiner Verfügung gestellt worden.

Der geschickte Strategiker hatte alle Umstände und Ortsverhältnisse benützt, um die Gefahr zu vermindern. Zur Bewachung des Wagens beorderte er Grenadiere, deren hohe Bärenmützen die Wagenthüren verbargen. Ein zweiter Kreis wurde von einer Cavallerieabtheilung gebildet.

Valory erzählt selbst die Vorkehrungen, die man getroffen hatte, um ihn und seine beiden Cameraden zu beschützen. »Zwei Grenadiere,« sagt er, wurden mit aufgepflanztem Bajonett auf den Vorderwagen mittelst eines unter dem Bock festgebundenen Brettes gesetzt.

Die Hitze war außerordentlich groß; der Wagen schien in einen glühenden Ofen hineinzufahren. Die Königin ruft zu wiederholten Malen: »Ich ersticke!« Der König verlangte ein Glas Wein und trank.

Die ganze Bevölkerung der Hauptstadt war in einer ungeheuren Aufregung. Von Zeit zu Zeit sah man große Zettel über der wogenden Menge. Der König, der etwas kurzsichtig war, nahm ein Augenglas und las:

»Wer den König mit Jubel begrüßt, bekommt Prügel; wer ihn beleidigt, wird gehängt.«

Alle Fenster, sogar die Dächer, waren mit Menschen bedeckt. Oberst Mathieu Dumas wollte den Weg nicht durch die Rue St. Martin nehmen; er sah wohl, daß er mit seinen Truppen nicht im Stande seyn würde, den König und die königliche Familie gegen ein Attentat zu schützen. Der Zug machte daher einen Umweg über die äußern Boulevards, die Champs-Elysées und die Place Louis XV.

Der Statue auf diesem Platz hatte man die Augen mit einem Schnupftuch verbunden.

»Warum hat man jener Bildsäule die Binde auf die Augen gelegt?« fragte der König.

»Um die Verblendung der Monarchie anzudeuten,« antwortete Pétion.

Auf dem Wege von den Champs-Elysées zu der Place Louis XV. wurde die doppelte Reihe der Grenadiere und Reiter einige Male durchbrochen. Die Königin sah nun gräuliche, grinsende Gesichter an der Wagenthür erscheinen.

Wodurch diese Menschen mit den dämonischen Gesichtern entfernt wurden? Durch eine Kußhand, die ihnen der Dauphin zuwarf, durch einen freundlichen Gruß seiner Schwester. Die beiden Schutzengel wandten jede Gefahr ab.

Einmal waren Kußhände und Grüße erfolglos. Die Königin, welche die Hitze nicht mehr ertragen konnte, ließ die Fenster herab. Sie bemerkte Lafayette, der dem Wagen mit seinem Generalstabe entgegenritt, und rief ihn.

»Herr von Lafayette,« rief sie ihm zu, »vor Allem retten Sie die Leibgardisten; sie haben nur die erhaltenen Befehle vollzogen.«

Die drei jungen Edelleute waren wirklich in der größten Gefahr.

Der Wagen hielt vor der großen Terrasse, welche sich vor den Tuilerien ausbreitet. Dort erwartete man ihn. Weiter konnte man nicht fahren, man mußte aussteigen.

»Herr Barnave,« sagte die Königin, »ich empfehle Ihnen die Gardisten.«

Die Nationalversammlung war von der Ankunft bereits benachrichtigt. Zwanzig Deputirte wurden abgeschickt.

Lafayette besetzte den Weg über die Terrasse bis an die Thür mit Nationalgarde.

Die Kinder stiegen zuerst aus und erreichten ungehindert die Thür. Dann kam die Reihe an die Leibgardisten.

Es entspann sich ein kurzer aber erbitterter Kampf. Valory und Malden wurden schwer verwundet.

Plötzlich fühlte sich die Königin bei den Händen ergriffen und fortgezogen. Sie sah sich um – und erblickte ihre erbitterten Feinde, den Herzog von Aiguillon und den Grafen von Noailles.

Marie Antoinette war einer Ohnmacht nahe. Was hatten sie im Sinne? Gewiß wollten sie die Königin dem Pöbel überliefern oder sie wenigstens in ein Kloster stecken.

Sie irrte sich: die beiden Cavaliere führten sie mit Lebensgefahr ins Schloß, bis in ihre Gemächer.

Als Marie Antoinette in Sicherheit war, wurde sie von einer neuen Angst ergriffen. Wo war der Dauphin? was war aus dem kleinen Prinzen geworden? Niemand hatte ihn gesehen, Niemand vermochte ihn zu beschützen.

Die Königin eilte verzweifelnd aus einem Zimmer ins andere und rief ihn.

Der ermüdete Knabe lag auf seinem Bette und schlief.

Endlich kam auch der König in seinem gewohnten langsamen Schritt. Er war zuletzt aus dem Wagen gestiegen und hatte sich zwischen Barnave und Pétion in die Tuilerien begeben.

Das Volk schrie und tobte den ganzen Tag im Tuileriensgarten und auf dem Carrouselplatz.

Am andern Morgen schrieb der Journalist Prudhomme:

»Einige gute Patrioten, in denen der royalistische Eifer das Gefühl des Mitleids nicht ertödtet hat, schienen über den körperlichen und geistigen Zustand Ludwigs XVI. und der königlichen Familie nach einer so unglücklichen Reise besorgt. Man hat keine Ursache sich zu ängstigen: unser Ci-devant befand sich am Sonnabend bei seiner Rückkehr nicht unbehaglicher als nach einer ermüdenden Jagd; er verzehrte sein Huhn wie gewöhnlich, und nach dem Diner spielte er mit seinem Sohne.

»Die Mutter nahm nach ihrer Ankunft ein Bad; ihr erster Befehl war, Schuhe zu bringen, weil ihre Fußbekleidung auf der Reise zerrissen war. Sie benahm sich sehr gebieterisch gegen die Offiziere, welche in den äußeren Gemächern die Wache hatten, und fand es lächerlich und unschicklich, daß sie die Thür des Badesaales und des Schlafzimmers offen lassen sollte.«

*                                      *
*

Das Blutgerüst, auf welchem das Haupt Ludwigs XVI. fiel, hatte fünf Stufen:

Die erste Stufe war – die Erstürmung der Bastille;

die zweite – der 5. und 6. October;

die dritte Stufe – die Verhaftung in Varennes – hatte er so eben erstiegen; es blieben noch zwei zu ersteigen:

der 20. Juni und der 10. August.

Der 21. Januar war nur die Schlußscene des furchtbaren Dramas.

Ende
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Druck und Papier von Leop. Sommer in Wien
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