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Die Flucht nach Varennes

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Der König setzte seinen Leidensweg fort.

X

Wir waren, diese Straße Schritt für Schritt verfolgend, von St. Ménehould um zehn Uhr Morgens abgereist. Eine halbe Stunde nachher waren wir aus dem höchsten Punkte der Hügelkette.

Dort bei der hölzernen Scheune beginnt der Wald von Argonne, und dort ist der Engpaß, welchen Dumouriez ein Jahr später, im Juni 1792, zu vertheidigen hatte. Auf beiden Seiten der Straße sieht man noch die Schanzen der Batterien, welche den Weg mit ihrem Kreuzfeuer bestrichen.

Ehe man nach Clermont kommt, führt der Weg durch ein herrliches Thal, wo sich die Grenze des Maasdepartements befindet. Der Anblick dieses Thales ist überraschend schön. Die Landstraße schlängelt sich zwischen zwei Hügel und anfangs sieht man nur eine enge, bewaldete Schlucht. Dann wendet sich der Weg und das ganze Thal wird sichtbar. Man sieht einen großen Hügelkreis und in der Mitte ein großes Dorf, welches mit seinen platten Dächern ein fast malerisches Aussehen hat. Rechts und links ragen die schlanken Kirchthürme einiger anderer Dörfer zwischen den Bäumen hervor. In den Windungen des Thales breitet sich ein leichter duftiger Nebel aus, und an den Abhängen weiden große Rinderheerden. Ein hübscher Fluß zieht wie ein Silberband durch das Thal.

Das Dorf mit den platten Dächern ist Islettes. Oberhalb dieses Dorfes sollte Guillaume den Seitenweg durch den Wald nehmen. Auf der neuen Straße verliert man indeß die Spur, man muß der alten Straße folgen, was freilich bei dem vernachlässigten Zustande derselben oft mit einiger Gefahr verbunden ist.

Wir kamen in Clermont an. Das Pferd bedurfte einer kurzen Ruhe. Wir kehrten in einem Wirthshause rechts an der Straße, etwa in der Mitte des Dorfes, ein.

Die Wirthin führte uns in ein kleines Zimmer, wo sich ein Collectivbild der ganzen Familie Orleans befindet. Auf der einen Seite dieser Lithographie hängt ein Porträt Poniatowsky’s, auf der andern ein Porträt des Prinzen Eugen.

Da ich alle diese Personen kannte und auch durch den Kunstwerth der Bilder nicht gefesselt wurde, so widmete ich ihnen nur geringe Aufmerksamkeit. Weit interessanter waren mir zwei sehr hübsche ovale Medaillons, welche auf beiden Seiten des Camins hingen. Das eine Medaillon stellte ein Mädchen, das andere einen jungen Mann dar, beide indem eigenthümlichen Costüm von 1793. Die Malerei war etwas flüchtig, aber offenbar von geschickter Hand.

Ich rief die Wirthin und fragte, wen diese beiden Bilder vorstellten.

»Es ist die Demoiselle und ihr Bräutigam,« erwiederte sie.

Ich fragte, wer die Demoiselle und ihr Bräutigam wären.

Die Demoiselle war, wie es scheint, vor sechzig Jahren das hübscheste Mädchen in Clermont, und deshalb nannte man sie bei diesem Ehrentitel, sie hieß Angélique Lefèvre. Der Bräutigam war Commissär der Republik; er reiste oft mit Extrapost durch, er sah die Demoiselle und verliebte sich in sie. Er hieß Sulpice Huguenin.

Eines Tages verschwand Angélique, der Commissär der Republik hatte sie entführt. In Paris heiratheten sie sich und kamen reich und glücklich nach Clermont zurück. Sie ließen oberhalb der Furt ein Schloß bauen. – »Aber,« setzte die Wirthin hinzu, das Glück bleibt nicht immer in Einer Hand. Eines Tages verbreitete sich das Gerücht, sie wären ruinirt und alle ihre Habseligkeiten sollten verkauft werden. Man verkaufte wirklich das Schloß sammt allem Hausgeräthe. Die junge Frau ging wieder zu ihren Eltern und der Mann begab sich nach Paris, um einen Platz zu suchen. Plötzlich sah man die Demoiselle – man pflegte sie auch nach ihrer Verheirathung noch so zu nennen – in Trauerkleidern. Ihr Mann war plötzlich gestorben. Sie trug ihr ganzes Leben Trauerkleider. Endlich im Jahre 1815 starb sie an einem bösartigen Fieber.«

Die Wirthin lud mich ein, mich in den ersten Stock zu bemühen, um mir ein Bild, welches Beide vorstellte, zu zeigen. Ich folgte ihr.

Das Gemälde ist sehr hübsch. Das junge Paar lustwandelt in einem Walde. Die beiden Liebenden sehen einander zärtlich an und werden von lauschenden Nymphen beneidet.

Wenn Sulpice Huguenin nicht seinen Hut mit einer großen dreifarbigen Cocarde zu seinen Füßen hätte, so würde man glauben, es sey Werther und Charlotte. Das Gemälde ist von Mademoiselle Gérard.

Das Gemälde hat keinen großen Kunstwerth, aber es fesselte mich unwillkürlich. Die beiden Gesichter hatten einen so zärtlichen Ausdruck, daß sie den schönsten Commentar zu der von der Wirthin erzählten Geschichte bildeten.

Unweit Clermont nahm unser Pferd, welches der Kutscher etwas zu stark angegriffen hatte, einen steilen Abhang zum Vorwande, um zu stürzen und uns umzuwerfen. Wir standen ohne Schaden zu nehmen wieder auf; aber das Pferd rührte sich nicht Ich glaubte es sey vom Schlage getroffen worden, und hielt einen Aderlaß für nothwendig. Bocage war meiner Meinung; aber unser Kutscher, der an die Launen des Gauls gewöhnt war, wandte ein wirksameres Mittel an: seine Peitsche brachte unsern Bucephalus bald wieder auf die Füße und wir fuhren weiter.

Gegen vier Uhr kamen wir nach Varennes. Ich wußte bereits alles, was man von einer Localität wissen kann, ohne sie gesehen zu haben. Ich war indeß, wie so viele Andere, über den Ort der Verhaftung Ludwigs XVI. im Irrthum. Alle Geschichtschreiber behaupten, die Verhaftung habe im Gasthofe »zum Grand Monarque« stattgefunden. Ich befahl daher unserm Kutscher, uns zum »Grand Monarque« zuführen.

Ich erkannte die Brücke und den Fluß, und kam in der Ueberzeugung, daß die Verhaftung in dem genannten Gasthofe stattgefunden, an. Aber der Anblick des Hauptplatzes, an welchem der Gasthof liegt, weckte in mir einige Zweifel. Ich hatte in dem Buche meines Freundes Hugo, dessen Gewissenhaftigkeit als Erzähler mir bekannt ist, gelesen:

»Heute gehe ich über den verhängnißvollen kleinen Platz von Varennes, welcher die dreieckige Form des Fallbeils der Guillotine hat. Ich rief die Wirthin und ersuchte sie, mir das Haus des Krämers Sauce zu zeigen. – Es geht Ihnen wie allen Andern, erwiederte sie; Sie irren sich in dem Platz. – Ist denn Ludwig XVI. nicht vor dem Gasthofe »zum Grand Monarque« verhaftet worden? – Nein, vor dem Gasthofe »zum goldenen Arm« in der oberen Stadt. – Ludwig XVI. ist also nicht über die Brücke gefahren? – Nein, er ist nicht weiter gekommen als bis in das Haus des Gemeindeprocurators; wenn er über die Brücke hätte fahren können, so wäre er gerettet gewesen , weil er dann von den Husaren beschützt worden wäre.

»Die Frau hatte Recht. Ich erwiederte: Aber alle Geschichtschreiber sagen, Ludwig XVI. sey im Gasthofe »zum Grand Monarques« verhaftet worden. – Das ist ein Irrthum, entgegnete die Wirthin; er wurde daselbst erwartet. Ich habe als Kind oft gehört, man habe acht Tage ein Diner für ihn bereit gehalten. Wenn Sie den wirklichen Ort seiner Verhaftung sehen wollen, so müssen Sie in die obere Stadtgehen.

»Wir gingen über die Brücke und kamen bald auf den kleinen dreieckigen Platz. Ich brauchte indeß einen Führer; ich begab mich zum Bürgermeister und nannte meinen Namen. Zum Glück war der Registrator anwesend und stellte sich zu meiner Verfügung.

»In einer Stadt wie Paris läßt selbst das wichtigste Ereigniß unter der unaufhörlich wogenden Bevölkerung keine Spur zurück; es geht dort mit den Ereignissen wie mit den Meereswogen, sie treiben einander fort. Aber in einer kleinen Provinzstadt, wie Clermont, St. Ménehould oder Varennes, ist es anders. Vor dem 21. Juni 1791 hatte Niemand von Varennes gesprochen; am 22. war der Name Varennes in Frankreich und wenige Tage darauf in ganz Europa bekannt. Varennes war zwölf Stunden in einer fieberhaften Aufregung, und in diesen zwölf Stunden fand in seinen Mauern das wichtigste, folgenschwerste Ereigniß der neuesten Geschichte statt. Seit jenem Tage blickt die Bevölkerung von Varennes zurück, ihre Augen sind beständig auf jenes große Ereigniß gerichtet. Man frage den unbedeutendsten Menschen in Varennes, er weiß die Geschichte jener zwölf Stunden besser als der gelehrteste Geschichtsforscher. Mitten in der tiefen Dunkelheit, in welche die Provinz gehüllt war, verbreitete sich plötzlich ein grelles Licht, wie von einer Feuersbrunst oder von einem Gewitter; alles was während jenen zwölf Stunden beleuchtet wurde, alle Thatsachen, Worte, Ereignisse sind in dem Gedächtniß des Volkes so lebendig geblieben, als ob Alles erst gestern geschehen wäre, und werden künftig noch lebhaft im Gedächtniß bleiben, denn nie wird sich dort ein Ereigniß von solcher Wichtigkeit wieder zutragen. Der wichtigste Tag für Varennes wird immer der 22. Juni 1791 bleiben, der Tag, an welchem der König Ludwig XVI. von Drouet vor dem Gasthofe »zum goldenen Arm« verhaftet wurde.

Unser Registrator versah seinen Dienst als Cicerone vortrefflich; er gab uns über alle Umstände die vollständigste Aufklärung. Es war kein Zweifel mehr möglich. Der Platz bekam sein ursprüngliches Aussehen wieder, die abgebrochene Kirche stand wieder da, der nicht mehr vorhandene gewölbte Weg führte wieder unter derselben hindurch; das inzwischen neu gebaute Haus des Krämers Sauce, welches um ein paar Ellen zurückgerückt ist, nahm seine frühere Stelle wieder ein, und ich verstand, was ich in Thiers’ Geschichte vergebens gesucht hatte.

Die Geschichte der Revolution von Thiers, welche man oft als ein Muster hingestellt hat, scheint eben so ungenau als wässerig geschrieben zu seyn; die Darstellung des Ereignisses vom 22. Juni wenigstens ist durchaus unrichtig; es heißt darin:

»Varennes liegt an einem schmalen, aber tiefen Flusse. [Der Aisnefluß ist so seicht, daß ich ihn, nachdem ich meine Beinkleider aufgeschlagen, durchwaten konnte; die von Louis de Bouillé befehligten Dragoner fanden nicht an dem Flusse, sondern an dein Mühlcanal ein Hindernis.]. Ein Detachement Husaren war daselbst aufgestellt, aber der Offizier, welcher die ihm angekündigte Casse nicht kommen sah, hatte seine Leute in den Quartieren gelassen. Der Wagen kommt endlich an und fährt über die Brücke [Wir haben bereits gesehen, daß der Wagen gar nicht über die Brücke gekommen ist.]. Kaum war er unter einer Bogenwölbung, [Der Wagen fuhr gar nicht unter die Bogenwölbung; er war zu hoch, die auf den Bock sitzenden Leibgardisten würden sich an den Steinen den Kopf zerschmettert haben.] so hält Drouet, von einem Andern begleitet, die Pferde an. – »Ihren Paß!« ruft er den Reisenden zu, und droht ihnen mit einem Gewehre, wenn sie nicht anhalten wollen. Man gehorcht diesem Befehle und zeigt den Paß vor. Drouet nimmt ihn und sagt, der Gemeindeprocurator habe ihn zu prüfen, und die königliche Familie wird zu dem Gemeindebeamten, Namens Sausse, geführt. [Der Gemeindebeamte schrieb sich nicht Sausse. Sondern Sauce; ich habe seine eigene Unterschrift gesehen; er müßte denn, was nicht wahrscheinlich, seinen eigenen Namen falsch geschrieben haben.]

 

Da sind wir Romanschreiber doch viel gewissenhafter. Victor Hugo ist mir zur Verbesserung der von Lacretelle, Lamartine und Thiers begangenen Fehler behilflich.

Wir begaben uns wieder in die Mairie, und man zeigte mir den sehnlich gewünschten Grundriß des Städtchens.

Der Grundriß war vom Jahre 1812. Dieser war zu meinem Zwecke nicht zu benutzen, ich brauchte einen vor 1791 entworfenen Plan.

Unser Cicerone sann eine kleine Weile nach, dann sagte er:

»Kommen Sie mit mir, ich kann Ihren Wunsch erfüllen.«

Wenn ich einmal eine Idee verfolge, so kümmere ich mich nicht um die Mühe, die ich Andern mache, ich bin nur auf die Erreichung meines Zweckes bedacht.

Der Registrator klopfte an eine Thür.

»Ist Herr von Malberg zu Hause?« fragte er.

»Ja,« war die Antwort; »aber er ist oben und räumt sein Zimmer auf.«

»Sagen Sie ihm, Herr Alexander Dumas wünsche ihn zu sprechen.«

Als mein Name genannt wurde, kam Frau von Malberg aus einem Zimmer und nöthigte mich in den Salon.

Gleich darauf hörte man hastige Fußtritte auf der Treppe und Herr von Malberg erschien.

Warum sollte ich zweifeln, wenn ich Jedermann so freundlich und zuvorkommend sehe? Ich habe um eine Gefälligkeit zu bitten, und man empfängt mich, als ob ich einen wichtigen Dienst erwiesen hätte.

Herr von Malberg hatte einen von seinem Vater im Jahre 1772 entworfenen Plan der Stadt Varennes. Ich bat um die Erlaubniß, den Plan abzuzeichnen. Herr von Malberg war so gütig, mir den Plan zu schenken.

Es fehlten mir noch die beiden vom 23. und 27. Juni datirten Protokolle über die Verhaftung des Königs; ich beschloß daher, diese wichtigen Actenstücke in der Gemeinderegistratur zu copiren. Mein Cicerone erbot sich dazu; wir konnten uns daher wieder in den Gasthof »zum Grand Monarque« begeben.

Hugo sagt: »Ludwig XVI. hat vielleicht im Gasthofe »zum Grand Monarque« angehalten und sein Porträt auf dem Schilde gesehen. Der unglückliche große Monarch war ja in der That nur ein Scheinkönig.«

Der Wirth »zum Grand Monarque« pflegte von jeher bei jedem Regierungswechsel ein neues Porträt auf seinen Schild malen zu lassen. Unter Ludwig XIV., der einundsiebzig Jahre regierte, unter Ludwig XV., der vierundfünfzig, und unter Ludwig XVI., der neunzehn Jahre regierte, ging’s noch an; aber unter der Republik und dem Directorium begann die Verlegenheit. Zuerst mußte Napoleon I. abgebildet, dann 1814 Ludwig XVIII. an seine Stelle gesetzt, 1815 wieder Napoleon, und drei Monate später noch einmal Ludwig XVIII. porträtirt werden. Dann kamen Carl X. und Ludwig Philipp.

Ludwig Philipp war der letzte König, dessen Bild auf dem Schilde des Grand Monarque prangte. Ein im Jahre 1848 durchmarschirendes Regiment, welches seit achtzehn Jahren seinen Sold in Geld mit dem Bilde des Königs erhalten hatte, ließ einen Topf mit Berliner blau bringen und übertünchte das Schild. Seit jener Zeit hat die verständige Wirthin ihr Wirthshausschild blau gelassen. Der Gasthof ist nach wie vor das Hotel »zum Grand Monarque« ohne Monarchen.

Ich weiß nicht, ob die Wirthin von 1791 eine eben so gute Küche hatte, wie Madame Gautier; wenn es der Fall war, so hat Ludwig XVI. viel verloren, daß er die für ihn zubereiteten acht Diners nicht bekommen.

Lieber Victor, Du hast gerade siebzehn Jahre vor mir im Gasthofe »zum Grand Monarque« gewohnt. Deinem Scharfblicke entgeht nichts. Du beachtest sogar die Jahreszahl 1776 an dem Kirchthurme auf dem Hauptplatze von Varennes und machst die Bemerkung, daß der Thurm um zwei Jahre älter sey, als Madame Royale; aber zwei kleine Mädchen, welche damals zu deinen Füßen spielten, hast Du wohl kaum beachtet. Die ältere war fünf, die jüngere zwei Jahre alt.

Geh jetzt wieder nach Varennes: die beiden Mädchen sind herangewachsen und sehr hübsch geworden; sie heißen Rosa und Clémence; während sie hold erröthend die leckeren Speisen auftragen, werden sie Dir sagen, was sie mir sagten:

»Ach, ich bin um Ihretwillen recht ausgezankt worden! «

Die Mama Gautier wird Dir im Vertrauen sagen, daß die beiden Mädchen gar oft eine Kerze stahlen, um die Gedichte Viktor Hugo’s und die Romane Alexander Dumas heimlich zu lesen.

Du kannst leicht denken, daß ich die Mädchen wegen dieses Verbrechens nicht auszankte, sondern küßte – einmal in deinem, und einmal in meinem eigenen Namen.

Es wird mich ungemein freuen, lieber Viktor, wenn Du mir einst schreibst, daß Du mein Beispiel befolgt hast.

Als wir noch beim Diner saßen, schickte der Pfarrer von Varennes zu mir und ließ mich fragen, ob er mir mit seinem Vicar einen Besuch machen dürfe. Ich antwortete ihm, es komme mir zu, ihm meine Aufwartung zu machen.

Fünf Minuten nachher war ich im Pfarrhause. Ich blieb bis nach Mitternacht, so sehr vertieften wir uns in unser Gespräch über Geschichte und Theologie.

Um ein Uhr Nachts setzten wir uns wieder in den Wagen und reisten ab.

Allen Reisenden, welche nach Varennes kommen, habe ich einen dreifachen Rath zu geben: bei Madame Gautier im Gasthofe »zum Grand Monarque« einzukehren, einige Stunden mit dem Pfarrer und seinem Vicar zu plaudern, und im Mondschein durch den Wald von Argonne zu fahren. Wer Paul Bocage zum Reisegefährten hat, wird eine um so genußreichere Reise haben.

XI

Wir können einen andern Irrthum, dessen sich Herr Thiers schuldig gemacht hat, nicht unerwähnt lassen.

»Die Reise war sehr langsam,« sagte er, »weil der Wagen der vorausmarschirenden Nationalgarde folgte, sie dauerte acht Tage

Die Reise dauerte drei Tage. »Herr Thiers hätte nur das vom Könige eigenhändig geschriebene Reisetagebuch lesen und abschreiben dürfen. Es heißt darin: »Mittwoch den 22, Abreise von Varennes um fünf oder sechs Uhr Morgens. Zu St. Ménehould gefrühstückt. Um zehn Uhr Abends Ankunft in Châlons soupirt und in der vormaligen Intendantur übernachtet. Donnerstag den 23. wurde die Messe um halb zwölf Uhr unterbrochen, um die Abreise zu beschleunigen. In Châlons gefrühstückt. In Epernay zu Mittag gespeist. Die Commissäre der Nationalversammlung bei Port à Louison gefunden. Um elf Uhr zu Dormans angekommen, daselbst soupirt und drei Stunden in einem Lehnstuhl geschlafen. Freitag den 24. Abreise von Dormans um halb acht Uhr. Diner zu Laferté. Um zehn Uhr in Meaux angekommen, daselbst soupirt und im bischöflichen Palaste übernachtet. Sonnabend den 25. Abreise von Meaux um halb sieben Uhr. Ankunft in Paris um acht Uhr.«

Wenn sich die Geschichte, welche die malerischen Schilderungen verschmäht, nicht einmal um richtige Daten kümmert, wozu nützt sie dann? Eine Chronologie ist sehr wenig, aber eine unrichtige Chronologie ist gar nichts.

Zwischen Varennes und St. Ménehould ereignete sich nichts von Bedeutung. Der erlauchte Gefangene war sehr niedergeschlagen. St. Ménehould war überfüllt; die Nationalgarde eilte von allen Seiten herbei. Die bewaffneten Bürger von Châlons waren größtentheils mit Extrapost in Privatfuhrwerken oder auf Ackerwagen gekommen. Die Anzahl der Fremden war so groß, daß man in St. Ménehould nicht genug Lebensmittel zu haben fürchtete.

Die rasch nacheinander eintreffenden Couriere meldeten die nahe bevorstehende Ankunft der königlichen Familie. Der Bürgermeister ging ihr mit dem Gemeinderathe bis an die Brücke entgegen. Ein Gemeindebeamter benutzte die Gelegenheit, um über die Bestürzung, welche die Flucht in ganz Frankreich verursacht, eine Anrede an den König zu halten.

Der König antwortete ihm nur: »Ich hatte nie die Absicht, mein Königreich zu verlassen.«

Gegen zehn oder elf Uhr kamen die Reisewagen an. Von der Vorstadt bis zum Rathhause hatten sich die bewaffneten Bürger in einer doppelten Reihe aufgestellt; sie traten zurück, als die Wagen weiter fuhren. Der Zudrang war so stark, daß man beinahe eine halbe Stunde brauchte um fünfhundert Schritte zu machen.

Gegen halb zwölf begab sich der König ins Rathhaus. Seine Kleider waren mit Staub bedeckt und sein Gesicht sehr blaß. Die schwarzgekleidete Königin führte den Dauphin an der Hand. Ludwig XVI. und die Kinder hatten Hunger; die Königin hingegen schien weder der Speisen noch des Schlafes zu bedürfen.

Der Gemeinderath hatte ein Frühstück bestellt; aber da die Speisen lange ausblieben, brachte ein Gendarme Kirschen in seinem Hute und reichte sie der kleinen Prinzessin.

Die königliche Familie bedurfte der Ruhe. Der Maire Dupuis von Dammartin bot ihm eine Wohnung an. Der König nahm das Anerbieten an. Der Maire meinte, es wäre vielleicht gut, wenn sich der König mit der Königin und dem Dauphin zeigte. Der König trat zuerst auf den Balcon des Rathhauses; dann erschien die Königin, welche den Dauphin auf dem Arme trug.

Ein Gemeindebeamter zeigte nun dem Volke an, daß der König sehr ermüdet sey und daher den Einwohnern von St. Ménehould die Ehre erweisen wolle, in ihrer Mitte zu übernachten.

Die Wagen waren bereits in den Hof gebracht, als die Nationalgardisten der umliegenden Städte und Dörfer aus den Wirthshäusern auf den Marktplatz eilten und die sofortige Weiterreise des Königs verlangten; denn sie meinten, man lasse ihn in der Nähe der Grenze, um ihn von den Feinden entführen zu lassen.

Der König hörte den Lärm, und als er die Ursache erfuhr, sagte er:

»Gut, wir wollen weiter reisen.«

Die Königin betrachtete die Sache keineswegs mit demselben Gleichmuth. Ein Greis, Namens Chalier, hat mir versichert, er habe selbst gehört, wie die Königin, auf die Nationalgardisten deutend, zu dem Dauphin sagte:

»Sieh, dort die blauen Kröten (ces crapauds bleus) verlangen, daß wir weiter reisen. «

Ohne diese Aeußerung, welche übrigens in dem Charakter der Königin lag, verbürgen zu wollen, nenne ich meinen noch lebenden Gewährsmann.

Die erlauchten Gefangenen gingen durch einen Saal, welcher durch eine Gitterthür mit der Rathhauscapelle verbunden war. Es war eben die Zeit, wo die Sträflinge die Messe hörten, Marie Antoinette ließ fünf Louisd’or der König zehn Louisdor unter dieselben vertheilen.

Um zwei Uhr fuhren die Reisewagen nach Châlons ab. Der König nahm den ersten Platz in dem großen Wagen ein; die drei Couriere saßen auf dem Kutschenbock. [Diese ganze Darstellung ist der Erzählung eines Augenzeugen, Herrn Buirette entnommen.] Man hörte weder bei der Ankunft noch bei der Abreise des Königs den Ruf : »Vive le roi!« überall rief man: »Vive la nation! Vive les patriotes!«

Wir kommen nun an ein verschieden erzähltes Ereigniß an den Tod des Grafen von Dampierre.

Nach der Erzählung eines schon genannten glaubwürdigen Augenzeugen trug sich die Sache folgendermaßen zu.

Um neun Uhr Morgens war Dampierre zu St. Ménehould und kam zu dem Notar Mathieu.

»Der König ist in Varennes verhaftet worden,« sagte er höchst aufgebracht. »Wir Alle sind verloren; aber der König soll wissen, daß er noch treue Unterthanen hat.«

Er war zu Pferde nach St. Ménehould gekommen; er hatte Pistolen in den Holftern und trug eine kleine Jagdflinte auf der Schulter. Seine Kleidung bestand in einem kastanienbraunen Frack mit Goldtressen, grauen Beinkleidern, langen Stiefeln, weißer Weste und dreieckigem Tressenhut.

Als der König abreiste, hielt Dampierre zu Pferde, wie eine Schildwache, an der Ecke der Hauptstraße, und als der Reisewagen vorüberfuhr, präsentirte er das Gewehr. Der König erwiederte den Gruß.

Dampierre entfernte sich im Galopp, ritt durch einige Seitengassen, hielt am Promenadeplatz wieder an, und als der Reisewagen erschien, präsentirte er, wie vorhin, das Gewehr. Der König grüßte ihn zum zweiten Male.

Dampierre suchte sich nun einen Weg durch die Volksmenge zu bahnen und zum Wagen zu gelangen. Es gelang ihm mit großer Mühe. Er redete den König an und nannte seinen Namen und Titel.

Dies war in der damaligen argwöhnischen und erbitterten Stimmung eine große Nachsicht von Seiten der Nationalgarde; denn das ganze Benehmen des eifrigen Royalisten hatte ganz das Aussehen einer Herausforderung. Dampierre wurde zurückgedrängt und entfernte sich noch einmal, um den Wagen des Königs an einer andern Stelle zu erwarten.

 

Er hielt wirklich außerhalb der Stadt, an der Landstraße und winkte dem sich nähernden Reisewagen zu. Diese Winke erregten endlich Argwohn; man glaubte, in der kurzen Unterredung Dampierre’s mit Ludwig XVI., sey ein Entführungsplan besprochen worden. Die Nationalgardisten bildeten einen engern Kreis um den Reisewagen, so daß sich Dampierre nicht wieder nähern konnte. Der letztere suchte sich mit Gewalt einen Weg zu bahnen, allein vergebens.

Die Unzufriedenheit, welche er bereits erregt hatte, erreichte den höchsten Grad, als er mit dem Rufe: »Vive le roi!« sein Gewehr abfeuerte und im Galopp davon ritt.

Einige hundert Schritte von der Landstraße ist ein Wald. Man glaubte, es wären Truppen darin versteckt, und der Schuß sey ein verabredetes Zeichen. Fünf oder sechs Personen ritten ihm nach; viele Schüsse fielen, aber keiner traf. Dampierre schwenkte triumphirend sein Gewehr. Bei dem Sprunge über einen Graben stürzte sein Pferd. Die Flinte fiel in den Graben; das Pferd stand wieder auf und Dampierre ritt im Galopp weiter.

In diesem Augenblick fiel ein einziger Schuß. Sein Verfolger war ein Bauer, der ein Tags zuvor erbeutetes Husarenpferd ritt.

Dieses Mal war Dampierre getroffen. Er sank zurück bis auf die Croupe des sich bäumenden Pferdes.

Es folgte nun eine gräuliche Scene. Der Bauer, von einer etwa vierzig Mann starken Schaar gefolgt, holte den Grafen ein und versetzte ihm einen Säbelhieb Der Schwerverwundete fiel vom Pferde. Man sah nun nichts mehr, man hörte nur noch mehre Schüsse. – Dampierre war von vielen Kugeln durchbohrt.

»Herr Mathieu, mein Gewährsmann, erzählte mir auch diesen Vorfall als Augenzeuge. Dampierre war keineswegs, wie einige Geschichtschreiber behaupten, zufällig am Wege, er wollte dem Könige nicht nur durch Blicke seine Treue und Ergebenheit beweisen; er war keineswegs unbewaffnet; er wurde nicht in dem Augenblicke, als er dem Könige die Hand küssen wollte, von mehren Kugeln getroffen, wie Lacretelle behauptet.

Auch Michelet, der gründliche, geniale Historiker, hat sich bei der Erzählung der Reise des Königs zu einem Irrthum verleiten lassen. Seine Schilderung ist, wie immer, meisterhaft, weicht aber in der Hauptsache von der Wahrheit ab.

»Ein einziger Mensch,« sagt er, »wurde auf der Rückreise von Varennes getödtet: ein Ludwigsritter, welcher neben dem Wagen des Königs muthig wie ein heiliger Georg mitten unter der Volksmenge ritt; er legte durch seine Huldigungen öffentlich Verwahrung ein gegen die Gefangennahme des Königs. Der Adjutant mußte ihn ersuchen sich zu entfernen: es war zu spät, er suchte sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, und als er sich umzingelt sah, spornte er sein Pferd und galoppirte querfeldein. Man schoß, er antwortete, vierzig zugleich abgefeuerte Schüsse streckten ihn zu Boden. Er verschwand einen Augenblick in einer Gruppe wo man ihm den Kopf abschnitt. Dieses blutende Haupt wurde bis an den Wagen geschleppt, und man beredete die Unmenschen mit großer Mühe, diesen gräulichen Gegenstand zu entfernen.«

Buirette, der gewissenhafte Geschichtschreiber, widerlegt diese Erzählung von dem abgeschnittenen Kopf durch einen überzeugenden Beweis.

Der damals noch sehr junge Graf von Dampierre, der jetzige General, erhielt im April 1821 von den Behörden die Erlaubniß, den Leichnam seines Vaters auf dem Friedhof zu Chaude-Fontaine ausgraben und in die Gruft seiner Ahnen bringen zu lassen. Die Ausgrabung fand am 17. October um sechs Uhr Morgens in Gegenwart des Grafen von Dampierre, des Pfarrers, des Bürgermeisters, eines Arztes und vier vormaliger Diener des Verstorbenen statt. Die letztern hatten 1791 seinem Begräbniß beigewohnt. Sie erkannten nebst mehren Leuten im Dorfe den eichenen Sarg wieder, und der anwesende Arzt fand mehre Gebeine von Kugeln zerschmettert. – Als der Sohn sich überzeugt hatte, daß es wirklich die Gebeine seines Vaters waren, ließ er sie in einen neuen Sarg legen und in seine Familiengruft bringen. – Der Kopf war keineswegs vom Rumpfe getrennt, denn die Wirbelsäule war unverletzt. Ueberdies haben mir die Herren Mathieu und Nicaise als Augenzeugen versichert, daß der Kopf nie vom Rumpfe getrennt wurde.

»Das Tribunal,« setzt Buirette hinzu, »suchte die Urheber dieses Mordes zu erforschen, und die Untersuchung führte auch zu der Entdeckung der Mörder. Alle waren aus der untersten Volksclasse; sie blieben aber straflos infolge eines von der Nationalversammlung erlassenen Amnestiedecretes.«