»A la bonne heure!« lachte der Graf von
Moret
, »das ist einmal eine gut gehütete Königin, an deren Bette zu Häuptern die Herzogin von
Chevreuse
und zu Füßen Frau von
Fargis
Wache halten. Ach, mein armer Bruder Ludwig! Gesteht Ihr es, Frau Herzogin, dass er besser bedient sein könnte?«
»Aber wisst Ihr, Monseigneur, dass Ihr zum Entzücken unverschämt seid, und dass es ganz gut ist, dass wir bereits an Ort und Stelle uns befinden?«
»Wir sind also bereits angelangt?«
Die Herzogin zog einen Schlüssel aus ihrer Tasche und öffnete damit die Tür zu einem dunklen Korridor.
»Hier ist Euer Weg, Monseigneur!« sagte sie.
»Ich hoffe, dass Ihr nicht die Absicht habt, mich da hineingehen zu lassen.«
»Und warum nicht? Ihr werdet wirklich da hineingehen, und das ganz allein.«
»Gut! Man hat meinen Tod beschlossen; ich werde da, plötzlich eine offene Falltür unter meinen Füßen haben, und dann, gute Nacht
Anton von Bourbon
. Ich werde eigentlich nicht viel dabei verlieren, da mich die Frauen so schlecht behandeln.«
»Undankbarer! Wenn Ihr Diejenige kennen würdet, die Euch am anderen Ende dieses Korridors erwartet!«
»Wie!« rief der Graf, »ich werde jenseits dieses Korridors von einer Frau erwartet?«
»Das wird die Dritte an diesem Abende sein, trotzdem hört Ihr nicht auf, Euch zu beklagen, schöner Amadis.«
»Ich beklage mich nicht mehr; auf Wiedersehen, Herzogin!«
»Gebt auf die Falltüren Acht!«
»Die sind mir jetzt gleichgültig; ich wage Alles!«
Die Herzogin verschloss die Tür hinter dem Grafen, welcher sich nun in der vollkommensten Dunkelheit befand.
Einen Augenblick zögerte er; er wusste durchaus nicht, wo er sich befand; einen Moment ging er wirklich mit dem Gedanken um, zurückzugehen, doch das Geräusch des Schlüssels, der die Tür hinter ihm abschloss, hielt ihn auf seinem Platze.
Nach wenigen Sekunden hatte er sich entschlossen, das Abenteuer bis an sein Ende zu verfolgen.
»Ventre-Saint-Gris!« rief er, »die schöne Herzogin behauptet, ich sei der echte Sohn
Heinrichs
IV.; strafen wir sie nicht Lügen!«
Und er schlich, den Atem anhaltend und mit den Händen vor sich hin tastend, durch den Korridor.
Kaum hatte er zwanzig Schritte mit jenem Zaudern gemacht, das selbst der Mutigste nicht überwinden kann, wenn er sich im Finstern befindet, als er das Rauschen eines Frauenkleides zu hören glaubte, das ihm immer näher kam.
Er blieb stehen, das Rauschen hörte auf.
Er überlegte noch, wie er die Person anreden sollte, von der das Geräusch ausging, als eine sanfte und zitternde Stimme fragte:
»Seid Ihr es, Monseigneur?«
Die Inhaberin der Stimme konnte kaum zwei Schritte vom Grafen entfernt sein.
»Ich bin es!« antwortete der Graf.
Und er trat einen Schritt vorwärts. Seine Hand berührte dabei eine andere, weiche Hand, welche ausgestreckt worden zu sein schien, um ihn zu suchen, die sich aber nach der erfolgten Berührung schüchtern zurückzog.
Zugleich ließ sich ein leichter Schrei hören, der von Überraschung und Angst hervorgerufen sein mochte, aber so einschmeichelnd und melodisch klang, wie der Seufzer einer Sylphe oder das Vieriren einer Aeolsharfe.
Der Graf erbebte; er empfand bei dem Anhören dieses Tones ein Gefühl, das er bisher noch nicht gekannt hatte.
Tiefes Gefühl war köstlich.
»Wo seid Ihr?« flüsterte er.
»Hier!« wurde zögernd geantwortet.
»Man hat mir gesagt, dass ich eine Hand finden würde, die mich führt, da ich den Weg nicht kenne; werdet Ihr mir diese Hand verweigern?«
Eine Pause folgte, während welcher die Person, an welche die Frage gerichtet war, zu überlegen schien; dann erfolgte die Antwort:
»Hier ist meine Hand.«
Mit beiden Händen erfasste der Graf das Händchen, das ihm gereicht wurde, und machte eine Bewegung, um es an seine Lippen zu drücken, aber diese Bewegung wurde durch ein einziges Wort vereitelt, dessen bittende Betonung nur als ein Schmerzensruf verletzter Schamhaftigkeit gedeutet werden konnte.
»Monseigneur!«
»Verzeihung, mein Fräulein!« sagte der Graf, und der Ausdruck, mit dem er diese Worte sprach, war so achtungsvoll, als ob er sie an die Königin selbst gerichtet hätte.
Ein Stillschweigen folgte; der Graf behielt die Hand der Dame in der seinigen, und diese versuchte es nicht mehr, sie zurückzuziehen, aber sie ruhte unbeweglich in der sie umschließenden Hand, und es war, als ob ein fester Wille alles Leben aus ihr entfernt hätte.
Es war, wenn man sich dieses Ausdruckes bedienen darf, eine stumme Hand.
Aber die Ausdruckslosigkeit dieser Hand hinderte den Grafen nicht, zu bemerken, dass sie klein, zart, aristokratisch gebaut und vor Allem von jungfräulicher Frische sei.
Nicht an seine Lippen hatte er jetzt das Verlangen sie zu pressen, sondern gegen sein Herz.
Seit er diese Hand berührt hatte, war er unbeweglich geblieben, als ob er den Zweck seines Hierseins völlig vergessen hätte.
»Kommt Ihr, Monseigneur?« fragte die sanfte Stimme.
»Wohin wollet Ihr, dass ich gehe?« sagte der Graf, ohne sonderlich zu wissen, was er sprach.
»Dorthin, wo die Königin Euch erwartet; zu Ihrer Majestät!«
»Es ist wahr,« erwiderte er seufzend, »ich hatte es vergessen; gehen wir!«
Und ein moderner Theseus tappte er durch ein weniger kompliziertes. aber viel finstereres Labyrinth als das von Creta, und nicht durch den Faden
Ariadne's
, sondern von
Ariadne
selbst geführt.
Nachdem einige Schritte gemacht worden waren, wandte sich
Ariadne
nach rechts.
»Wir sind gleich zur Stelle!« sagte sie.
»Leider!« flüsterte der Graf.
Man langte in der Tat vor einer Glastür an, welche in das Vorzimmer der Königin führte; aber da die Majestät in Folge ihrer Unpässlichkeit sich bereits zur Ruhe begeben hatte, waren in diesen! Vorzimmer alle Lichter bis auf eine Ampel ausgelöscht, welche von der Decke herabhing und durch ihre matt geschliffene Schale nur ein sehr schwaches Dämmerlicht verbreitete.
Bei diesem geringen Scheine versuchte es der Graf, seine Führerin zu betrachten, aber er konnte nichts als die Umrisse ihrer Gestalt gewahren.
Das junge Mädchen blieb stehen.
»Monseigneur,« sagte sie, »da Ihr hier genug seht, um allein geben zu können, so folgt mir.«
Und trotz einer leichten Anstrengung, die der Graf machte, um ihre Hand festzuhalten, befreite sie dieselbe, schritt voran, öffnete die Tür und trat in das Vorzimmer der Königin.
Der Graf von
Moret
folgte ihr.
Schweigend und auf den Fußspitzen durchschritten Beide das Vorzimmer, um die dem Korridor gegenüberliegende Tür zu erreichen, welche in die Gemächer
Anna's von Österreich
führte.
Plötzlich blieben sie stehen, denn sie vernahmen ein Geräusch, welches mit jeder Sekunde näher kam.
Dieses Geräusch rührte von mehreren Personen her, welche die große Treppe hinan stiegen.
»Mein Gott,« flüsterte das Mädchen bestürzt, »sollte es der König sein, der, vom Ballet kommend, sich nach dem Befinden Ihrer Majestät erkundigen, oder vielmehr sich überzeugen will, ob sie wirklich krank ist?«
»Man kommt in der Tat von dieser Seite!« sagte der Graf.
»Wartet,« sagte die junge Dame, »ich will nachsehen.«
Sie ging aus die Tür zu, welche auf die Haupttreppe führte, öffnete sie ein wenig und kehrte schnell zum Grafen zurück.
»Er ist es wirklich,« sagte sie; »schnell, schnell in dieses Kabinett!«
Und eine Tapetentür öffnend, stieß sie den Grafen durch dieselbe, und trat nach ihm in das Kabinett.
Es war hohe Zeit gewesen. Kaum hatte sich die Tür des Kabinetts geschlossen, als sich die andere schon öffnete, und unter Vorantritt zweier Pagen, welche Fackeln trugen, und in Begleitung seiner Lieblinge,
Baradas
und
St. Simon
, denen der erste Kammerdiener,
Beringhen
, folgte, trat der König
Ludwig
XIII. in das Vorzimmer, und verfügte sich, nachdem er seinem Gefolge ein Zeichen gegeben hatte, zu warten, in die Gemächer der Königin.
IX.
Ludwig XIII
Wir glauben, dass die Zeit gekommen ist, unsern Lesern den König
Ludwig
XIII. vorzustellen, und sie werden uns verzeihen, wenn wir dieser eigentümlichen Persönlichkeit ein ganzes Capitel widmen.
Ludwig
XIII., geboren am 27. September 1601, also zu der Zeit, von der wir erzählen, in einem Alter von 27 Jahren und drei Monaten, war eine lange, trübselige Figur von braunem Teint, mit einem großen schwarzen Schnurrbart. Kein Zug, weder seiner Physiognomie noch seines Charakters, erinnerte an
Heinrich
IV., ja nicht einmal an den Franzosen. Da war keine Spur von Fröhlichkeit, von Jugend. Die Spanier erzählen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, dass er der Sohn
Virginio
Orsini's
, Herzogs von
Bracciano
, eines Cousins
Marias von Medicis
. sei. In der Tat hatte
Maria von Medicis
, als sie, bereits 27 Jahre zählend, nach Frankreich abreiste, von ihrem Oheim, dem Kardinal Ferdinand, welcher, um den Thron von Toscana zu besteigen, seinen Bruder
Franz
und seine Schwägerin
Bianca Capello
vergiftet hatte, ein Schreiben folgenden Inhaltes erhalten:
»Meine teure Nichte! Ihr seid im Begriffe, einen König zu heiraten, der seine erste Frau verstieß, weil sie ihm keine Kinder gebar. Ihr habt eine Reise vor Euch, die einen Monat währen wird; in Eurer Begleitung befinden sich drei hübsche Jungen; der Eine ist
Virginio Orsini
, der bereits Euer
Cicisbeo
ist. ferner
Paolo Orsini
, endlich
Concino Concini
. Sucht es so einzurichten, dass Ihr gesichert seid, von Eurem Gatten nicht verstoßen zu werden.«
Maria von Medicis
hatte, wie die Spanier versicherten, den Rat ihres Oheims Punkt für Punkt befolgt. Sie hatte zehn Tage gebraucht, um von Genua nach Marseille zu gelangen, und obwohl
Heinrich
IV. nicht gerade sehr ungeduldig war, seine »dicke Banquiersfrau«, wie er sie nannte, zu sehen, fand er doch die Überfahrt etwas lang; der Dichter
Malherbe
aber hatte bald den Grund dieser Langsamkeit entdeckt; er schrieb sie der Liebe zu, welche Neptun für die königliche Braut fühlte, die er nicht sobald aus seinen Armen lassen wollte. Möglicher Weise war diese Entschuldigung nicht sehr logisch, aber Königin Margot hatte ihrem Gatten das Grübeln über ähnliche Entschuldigungen abgewöhnt.
Nach neun Monaten konnte der Großherzog
Ferdinand
sich beruhigen; er vernahm die Nachricht von der Geburt des Dauphins, dem man sofort den Beinamen »der Gerechte« beilegte, weil er unter dem Himmelszeichen der Wage zur Welt gekommen war.
Seit seiner Kindheit trug er den bei den
Orsinis
erblichen Trübsinn zur Schau, aber auch alle seine Anlagen verrieten seine italienische Abstammung; er war ein leidenschaftlicher Musiker, ein passabler Komponist und ein leidlicher Maler. Von schwächlichem Körperbau, wurde er in seiner Jugend den Experimenten von allerhand Ärzten und Quacksalbern ausgesetzt, woher es kam, dass er als junger Mann sehr kränklich war, und sogar zwei- oder dreimal dem Tode nahe kam. In einem Tagebuch, welches durch achtundzwanzig Jahre von seinem Arzte
Hérouard
geführt wurde, ist verzeichnet, was er Tag für Tag aß, womit er sich Stunde für Stunde beschäftigte. Seit seiner Kindheit verriet er wenig Herz, war hart, manchmal sogar grausam.
Heinrich
IV. züchtigte ihn zweimal mit seiner eigenen königlichen Hand, das erste Mal, als er gegen einen Edelmann so viel Abneigung gezeigt hatte, dass man, um ihm seinen Willen zu tun, eine blind geladene Pistole auf den Edelmann abschießen und den Dauphin glauben machen musste, derselbe sei todt auf dem Platze geblieben, das andere Mal, als er mit einem hölzernen Schlägel das Köpfchen eines Sperlings zerschmettert hatte.
Ein einziges Mal zeigte er seinen Willen, König zu sein, und betätigte denselben. Das war am Tage seiner Krönung. Man hatte ihm das Reichsscepter übergeben, welches sehr schwer war, da es aus massivem Gold und Silber bestand und mit Edelsteinen reich besetzt war. Seine Hand zitterte, als er es eine Weile hielt. Dies bemerkte der Prinz von Condé, der als der erste Prinz von Geblüt in seiner unmittelbaren Nahe stand, und wollte ihm die Hand unterstützen.
Aber
Ludwig
XIII. wandte sich lebhaft nach ihm um und sagte mit zornfunkelndem Blick:
»Ich habe die Absicht, das Scepter allein zu tragen, und brauche keinen Gehilfen!«
Seine Lieblingszerstreuung bestand darin, Elfenbeinkugeln zu drehen, Kupferstiche zu kolorieren, Kartenhäuser zu bauen oder in seinen Gemächern kleine Vögel durch einen gelben, abgerichteten Papagei jagen zu lassen.
L'Etoile
sagt von ihm mit Recht, dass er sich in allen seinen Handlungen allein sehr
kindisches
Kind erwies.
Seine beiden Hauptleidenschaften jedoch waren Musik und Gesang. In dem Tagebuch
Hérouard's
, einer sehr wenig gekannten Geschichtsquelle, heißt es: »Zu Mittag begibt er sich in die Galerie, um daselbst mit seinen Hunden
Patelot
und
Grisette
zu spielen.
»Um ein Uhr kehrt er nach seinen Zimmern zurück, lässt
Ingret
, seinen Lautenspieler, rufen, und macht gemeinschaftlich mit ihm Musik, indem er selbst zu seinem Spiele singt, denn er ist der Tonkunst leidenschaftlich ergeben.«
Manchmal reimte er, um sich zu zerstreuen, Sprichwörter und Sentenzen; hin und wieder forderte er auch seine Umgebung auf, Verse zu machen.
Wie alle melancholischen Charaktere, wusste er sich trefflich zu verstellen und gerade Denen, die er verderben wollte, zeigte er in dem Augenblicke, wo er seine Hand von ihnen abzog, sein gewinnendstes Lächeln.
Am 2. März, einem Montag des Jahres 1613, im Alter von zwölf Jahren, bediente er sich zum ersten Male der Lieblingsredensart
Franz I
., und schwor »auf Edelmanns Wort«. In eben diesem Jahre verlangte die Etiquette, dass man dem jungen Könige das Hemd reiche. Es war
Courtauvaux
, der es ihm übergab; einer seiner Genossen, wir können nicht sagen des Vergnügens, denn wir werden sogleich sehen, dass
Ludwig
XIII. sich nur zweimal in seinem Leben amüsirte.
Man erinnert sich, dass die Anklage gegen
Chalais
sagte: er hatte ihn vergiften wollen, indem er ihm das Hemd überwarf. In eben diesem Jahre wurde bei ihm durch den Marschall
d'Ancre
der junge
Luynes
eingeführt. Er hatte bisher zur Abwartung und Fütterung seiner Vögel nur einen einfachen Bauern gehabt; »einen Plattfuß von St. Germain Namens
Pierrot,
« sagt
l'Etoile
.
Luynes
wurde zum Oberfalconier ernannt, und
Pierrot
, der bis dahin allmächtig gewesen war, erhielt den Befehl, ihm zu gehorchen. Die Falken, Sperber, Weihen, Buntspechte und Papageien wurden zu Kabinettsvögeln ernannt, damit
Luynes
immer bei dem Könige bleiben könne, und aus jener Zeit datiert bei
Ludwig
XIII. eine solche Freundschaft für ihn, dass sein Oberfalconier ihn nicht nur vom Morgen bis zum Abend nicht verlassen durfte, sondern dass er sogar, wie Hérouard sagt, im Schlafe laut von ihm träumte, und seinen Namen rief, indem er ihn abwesend glaubte.
Wenn es
Luynes
nicht gelang, ihn zu unterhalten, so zerstreute er ihn doch wenigstens, indem er bei ihm die Neigung zur Jagd so sehr entwickelte, als dies die geringe Freiheit erlaubte, welche man den königlichen Kindern gewährt. Wir sahen, dass
Ludwig
in seinen Gemächern kleine Vögel mit einem gelben Papagei und Buntspechten jagte.
Luynes
ließ ihn in den Gräben des Louvre mit kleinen Windhunden Kaninchen jagen und auf der Ebene von Grenelle Weihe fliegen. Hier fing er – alle Daten sind von Wichtigkeit in dem Leben eines Königs von dem Charakter
Ludwigs
XIII. —. seinen ersten Reiher am 1. Januar, und am I. April desselben Jahres schoss er in Vaugirard sein erstes Rebhuhn.
Am Eingange des Pont dormant endlich, nahe dem Louvre, jagte er den ersten Menschen und tödtete
Concini.
Wir wollen hier ein Blatt aus dem Tagebuch
Hérouard's
einflechten; es ist dadurch merkwürdig für den Philosophen, sowie für den Geschichtsschreiber, dass es angibt, was
Ludwig
XIN. Während des Montags, den 24. April 1617, tat, dem Tage, an welchem er statt der Kaninchen, der Reiher und der Rebhühner Menschen jagte.
Wir schreiben buchstäblich ab. Unsere Leser, besonders aber unsere Leserinnen, mögen sich dies gesagt sein lassen.
»Montag, den 24. April 1617. Aufgewacht um siebeneinhalb Uhr Morgens. Voller, gleichmäßiger Puls, leichte Wärme; aufgestanden, gutes Gesicht, gelber Urin, seine Geschäfte verrichtet, gekämmt, angekleidet, zu Gott gebetet; um acht ein halb Uhr gefrühstückt, vier Löffel Gelee, nichts getrunken, außer leichtem Wein und sehr gemischt.
»Den Marschall
d'Ancre
aus der Brücke des Louvre, zwischen zehn und elf Uhr des Morgens ermorden lassen.
»Um die Mittagsstunde gegessen; Spargel-köpfe als Salat, zwölf; vier Hahnenkämme in weißer Brühe; Löffel Suppe, zehn; Spargel-köpfe an einem gekochten Kapaun – gekochtes Kalbfleisch; das Mark eines Knochens; Sprossen, zwölf; die Flügel von zwei gebratenen Tauben; zwei Schnitt junges, gebratenes Huhn mit Prot; Gelee; Feigen, fünf; süße, getrocknete Kirschen, vierzehn; Quittenbrot; Brot wenig; getrunken sehr gewässerten Clairetwein; Fencheldragee – einen kleinen Löffel voll;
unterhalten
bis sieben ein halb Uhr.
»Seine Geschäfte verrichtet, gelb, weich, viel.
»Unterhalten bis neun ein halb Uhr.
»Tisane getrunken, entkleidet, zu Bett gegangen; voller, gleichmäßiger Puls; leichte, milde Wärme; zu Gott gebetet; um zehn Uhr eingeschlafen bis sieben Uhr.«
Nicht wahr, jetzt sind unsere Leser beruhigt über das arme Königskind; sie konnten befürchten und wir auch, dass die Ermordung des Geliebten seiner Mutter, des mehr als wahrscheinlichen Vaters seines Bruders
Gaston
, eines Connetable von Frankreich endlich, d. h. nach ihm, und vielleicht sogar vor ihm, eines der angesehensten Männer des Königreiches, ihm den Appetit oder die Heiterkeit geraubt hätte und dass er – die Hände von Blut gerötet – zögerte, zu Gott zu beten.
Doch keineswegs; sein Mittagessen wurde freilich um eine Stunde verzögert; aber er konnte nicht um elf Uhr zu gleicher Zeit am Tische sitzen und aus einem Fenster des Louvre zusehen, wie
Vitry
den Marschall
d'Ancre
ermordete. Sein Magen wurde zwar ziemlich erleichtert, doch das war eben die Wirkung, welche der Anblick des Feindes bei
Heinrich
IV. hervorbrachte. Dagegen aber hat er sich unterhalten von sieben bis sieben ein halb Uhr und dann: wieder von neun bis neun ein halb Uhr, was keineswegs in seinen Gewohnheiten lag.
Während der achtundzwanzig Jahre, während welcher der Doktor
Hérouard
ihn beobachtete, hat er sich nur diese beiden Male
unterhalten
.
Außerdem legte er sich mit einem
vollen, gleichmäßigen
Puls und einer
leichten, milden Wärme
zu Bett. Er
betete
zu Gott um zehn Uhr und schlief bis
sieben
Uhr Morgens, d. h. zehn Stunden. Das arme Kind!
Am nächsten Tage erwachte er daher auch als König. Dieser gesunde Schlaf verlieh ihm Kräfte und nachdem er am Tage zuvor eine männliche Tat vollbracht, übte er am Tage darauf eine königliche Tat aus.
Die Königin-Mutter fiel nicht nur in Ungnade, sondern wurde nach Blois verwiesen und durfte weder ihre Töchter, noch ihren viel geliebten Sohn,
Gaston
von Orleans, sehen; ihre Minister wurden entlassen und nur allein der Bischof von Lyon, welcher später der große Kardinal sein wird, erhielt die Erlaubnis;, ihr in das Exil zu folgen, wo er sich in das Herz, das nie leer bleiben konnte, einschlich und der Nachfolger
Concini's
wurde.
Ist aber
Ludwig
XIII. König, so ist er deshalb noch nicht Mann. Seit zwei Jahren mit der Infantin von Spanien, Anna von Österreich, vermählt, ist er nur dem Namen nach ihr Gatte.
Duraut, Provinzial-Kriegscommissär, mochte für ihn immerhin Ballette Komponieren, in welchen der König den Dämon des Feuers darstellte und der Königin die zärtlichsten Verse sang, so beschränkte sich doch auf diese seine ganze Galanterie.
In der Tat trug
Ludwig
XIII. ein mit Flammen bedecktes Gewand, aber wenn er dieses ablegte, um schlafen zu gehen, legte er die Flammen zugleich mit ab.
Da das Ballett: »Die Befreiung Renaud's« nichts bewirkt hatte, versuchte man es mit einem anderen Ballett unter dem Titel: »Die Abenteuer Tancred's in dem Zauberwalde.«
Diesmal erweckte die Choreographie des Herrn von
Porchére
den König ein wenig und seine Neugier ging so weit, dass er wünschte zu erfahren, wie die Dinge in einer Hochzeitsnacht zwischen wirklichen Ehegatten vorgehen. Herr
d'Elbeuf
und Fräulein von
Vendôme
führten für den König eine Probe von dem Stücke auf, welches er selbst noch nicht gespielt hatte. Aber nichts half. Der König blieb zwei Stunden lang in dem Zimmer der Eheleute auf deren Bett sitzen und kehrte dann ruhig in sein Junggesellengemach zurück.
Endlich war es
Luynes
, der, gedrängt durch den Gesandten Spaniens und den Nuntius des Papstes, die wichtige Sache übernahm, wobei er aber Denen, die ihn dazu bewogen, nicht verhehlte, dass er Gefahr liefe, dabei seinen Einfluss zu verlieren.
. Der Tag wurde auf den 25. Januar 1619 festgesetzt.
Das Tagebuch
Hérouard's
wird uns wieder die Verwendung dieses Tages sagen.
»Am 25. Januar 1619 stand der König, der nicht wusste, was seiner am Ende des Tages wartete, in vortrefflicher Gesundheit auf, mit gutem Gesicht und relativ heiter; er frühstückte um neun ein viertel Uhr; hörte die Messe in der Capelle von
Latour
; präsidierte dem Ministerrate; aß um zwölf Uhr zu Mittag; machte einen Besuch bei der Königin; ging durch die Galerie nach den Tuilerien; kehrte um vier ein halb Uhr auf demselben Wege in den Ministerrat!) zurück; ging zu Herrn von
Luynes
, um sein Ballett zu probieren; aß um acht Uhr zu Abend; machte wieder einen Besuch bei der Königin, verließ sie um zehn Uhr; kehrte in seine Gemächer zurück und legte sich zu Bett; kaum aber lag er, als
Luynes
in sein Zimmer trat und ihn ersuchte, wieder aufzustehen. Der König sah ihn so verwundert an, als hätte er ihm den Vorschlag gemacht, eine Reise nach China zu unternehmen. Aber
Luynes
bestand auf seinem Willen, sagte ihm, Europa fange an sich darüber zu beunruhigen, den Thron Frankreichs ohne Erben zu sehen, und es würde für ihn eine Schande sein, wenn seine Schwester, Madame Christine, welche soeben den Sohn des Herzogs von Piemont, den Prinzen Amadeus von Savoyen, geheiratet hatte, ein Kind bekäme, bevor die Königin einen Dauphin geboren. Aber da, alle diese Gründe, obgleich der König sie durch ein Kopfnicken billigte, noch nicht hinreichend waren, ihn zu bestimmen, nahm
Luynes
ihn ganz einfach auf die Arme und trug ihn dahin, wohin er nicht gehen wollte.«
Zweifelt man im Geringsten von der Welt an diesen Einzelheiten, die noch kein Geschichtsschreiber erzählt Hat und die jetzt ein Romanschreiber mitteilt, so lese man die Depeschedes Nuntius vom 30.Januar 1619 und man wird darin die folgende Phrase finden, die uns überzeugend zu sein scheint: »
Luynes
nahm ihn um den Leib und trug ihn sozusagen mit Gewalt zu dem Bette der Königin.«
Aber wenn
Luynes
bei dieser Angelegenheit nicht nur seinen Einfuß nicht verlor, sondern sogar den Titel eines Connetable gewann, so verlor er doch wenigstens seine Mühe, oder wurde nur sehr spät dafür belohnt. Der Dauphin, der um den Preis der Schnelligkeit mit dem Erstgeborene der Herzogin wetteifern sollte, und der so glühend gewünscht wurde, erblickte das Licht des Tages erst neunzehn Jahre darauf, d. h. 1638, und
Luynes,
der nicht des Glückes genießen sollte, den Baum, welchen er gepflanzt hatte, Früchte tragen zu sehen, starb zwei Jahre darauf an dem roten Friesel. Dieser Tod ließ
Maria von Medicis
freies Spiel. Sie kam nach Paris zurück und brachte Richelieu mit sich, der mittlerweile Kardinal geworden war, den sie in den Staatsrat einführte und der in einem Jahre Premierminister werden sollte.
Von diesem Zeitpunkte an ist es
Richelieu
, der regiert, und der, indem er sich sowohl gegen die spanische, als auch gegen die österreichische Politik erklärt, sich zu gleicher Zeit mit der Königin-Mutter,
Maria von Medicis
, und mit der Königin,
Anna von Österreich
, verfeindet. Der Hass verfolgt ihn von nun an, die Intrigen umgeben ihn, die Königin-Mutter hat ihr Ministerium, so gut wie der König und auch dieses ist von einem Kardinal prasidirt, dem Kardinal Bérulle, mit dem Unterschiede, dass Richelieu ein Genie und Bérulle ein unfähiger Mensch ist. Monsieur, den der Kardinal Richelieu verheiratete und dem er, um sich eine Stütze aus ihm zu machen, das ungeheure Vermögen des Fräulein von
Montpensier
verschaffte, konspiriert nun gegen ihn, ein Geheimrat wird gebildet, der Arzt
Bouvard,
der Nachfolger
Hérouard's
, eine der Königin ergebene Creatur, wird diesem bei gezogen, und Monsieur, welcher der Nachfolger
Ludwigs
XIII. werden soll, hält durch diesen Arzt gewissermaßen die eigene Hand am Puls des kranken Königs, denn
Bouvard
, ein Mann von echt spanischer Frömmigkeit, lebte in den Kirchen und war der böse Geist der Königinnen. Man begreift es bei Hofe, dass dieser düstere König, den die Langweile verzehrt, den die Sorgen aufreiben, welcher sich von Niemandem geliebt, von Vielen jedoch gehasst weiß, dem die Ärzte mit den energischen Heilmitteln damaliger Zeit zusetzten, der kein Mut hat, und dennoch in jedem Monate einen Aderlass erdulden muss, dass dieser König von einem Augenblick zum anderen von der Bühne des Lebens verschwinden kann. Wenn der König stirbt, hängt
Richelieu
von der Gnade seiner Feinde ab, das heißt, er ist in den nächsten vierundzwanzig Stunden verloren, und dennoch wollen diese Feinde nicht warten; man macht den Vorschlug, den Kardinal ermorden zu lassen; die Königin-Mutter unterstützt diesen Vorschlug; Frau von Conti kauft Dolche und die sanfte
Anna von Österreich
macht keine andere Einwendung, als die drei Worte: »Er ist Priester!«
Der König, welcher seit der Ermordung
Heinrichs
IV. seine Mutter hasst, seit
Chalais
Verschwörung seinem Bruder misstraut, seit ihren Liebeleien mit Buckingham, und besonders seit den Ärgernissen in den Gärten von Amiens, die Königin verachtet; der König, welcher seine Frau, und die Frauen überhaupt, nicht liebt, und wenn er auch keine von den Tugenden der Bourbons hat, doch auch nur halb die Laster der Valois besitzt, ist kälter und misstrauischer gegen seine Familie, wie je. Er weiß es, dass der italienische Krieg, den er, oder vielmehr den der Kardinal beginnen will, sowohl
Maria von Medicis
als auch seinem Bruder
Gaston von Orleans
missfällt, und dass er namentlich der Königin ein Gräuel ist, weil es eigentlich ein Krieg mit
Ferdinand
II. und
Philipp
IV. werden soll, und Anna zur Hälfte Österreicherin, zur Hälfte Spanierin ist.
Als daher die Königin unter dem Vorgeben heftiger Kopfschmerzen sich geweigert hatte, dem Ballett beizuwohnen, welches zu Ehren der Einnahme von La Rochelle, aus Anlass des Sieges ihres Gatten über ihren Liebhaber, getanzt w