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Der Graf von Bragelonne

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VII.
Worin d’Artagnan endlich seines Kapitänspatents habhaft wird

Der Leser weiß zum Voraus, wen der Huissier meldete, als er den Boten aus der Bretagne meldete. Dieser Bote ließ sich leicht erkennen. Es war d’Artagnan, das Kleid voll Staub, das Gesicht in Flammen, die Haare von Schweiß triefend, die Beine steif; nur mit Mühe hob er die Füße bis zur Höhe jeder Stufe, auf der seine blutigen Sporen klirrten.

Er erblickte auf der Schwelle, in dem Augenblick, wo er sie überschritt, den Oberintendanten.

Fouquet begrüßte mit einem Lächeln denjenigen, welcher ihm eine Stunde früher den Untergang oder den Tod gebracht hätte.

D’Artagnan fand in seiner Seelengüte und in seiner unerschöpflichen körperlichen Stärke Geistesgegenwart genug, um sich des guten Empfangs dieses Mannes zu erinnern.

Er fühlte auf seinen Lippen das Wort, das er so oft dem Herzog von Guise wiederholt hatte, das Wort:

»Flieht!«

Doch dieses Wort aussprechen wäre ein Verrath an einer Sache gewesen; dieses Wort im Cabinet des Königs und in Gegenwart eines Huissier aussprechen hätte sich freiwillig, ohne Jemand zu retten, in’s Verderben stürzen geheißen.

D’Artagnan beschränkte sich also darauf, daß er Fouquet grüßte, ohne mit ihm zu sprechen, und eintrat.

In diesem Augenblick schwebte der König zwischen dem Erstaunen, in das ihn die letzten Worte von Fouquet versetzt hatten, und dem Vergnügen, das ihm die Rückkehr von d’Artagnan bereitete.

Ohne ein Höfling zu sein, hatte d’Artagnan einen eben so raschen und sicheren Blick, als ob er einer gewesen wäre.

Er las bei seinem Eintritt die verzehrende Demüthigung, welche auf der Stirne von Colbert ausgedrückt war.

Er konnte sogar die Worte hören, die der König zu ihm sprach:

»Ah! Herr Colbert, Ihr hattet also neunmal hunderttausend Livres für die Oberintendanz?«

Halb erstickt, verbeugte sich Colbert, ohne zu antworten.

Diese ganze Scene drang also in den Geist von d’Artagnan durch die Augen und die Ohren zugleich ein.

Das erste Wort von Ludwig XIV. an seinen Musketier, als hätte er einen Gegensatz gegen das, was er sagte, machen wollen, war ein freundliches »Guten Morgen.«

Sein zweites eine Entlassung für Colbert.

Der Letztere verließ das Cabinet des Königs leichenbleich und wankend, während d’Artagnan die Haken seines Schnurrbarts in die Höhe wirbelte.

»Gern sehe ich in dieser Unordnung einen meiner Diener,« sprach der König, der den martialischen Schmutz an den Kleidern seines Abgesandten bewunderte.

»In der That, Sire,« erwiederte d’Artagnan, »ich hielt meine Gegenwart für so dringend im Louvre, daß ich es wagte, so vor Eurer Majestät zu erscheinen.«

»Ihr bringt mir also wichtige Neuigkeiten, mein Herr?« fragte der König lächelnd.

»Sire, hört, wie die Sache sich verhält mit zwei Worten: Belle-Isle ist befestigt, bewunderungswürdig befestigt; Belle-Isle hat eine doppelte Ringmauer, eine Citadelle, ein vorgerücktes Fort; sein Hafen enthält drei Freibeuterschiffe und, seine Küstenbatterien erwarten nur noch die Kanonen.«

»Ich weiß dies Alles, mein Herr,« erwiederte der König.

»Ah! Eure Majestät weiß dies Alles!« versetzte der Musketier erstaunt.

»Ich habe den Plan der Festungswerke von Belle-Isle.«

»Eure Majestät hat den Plan?«

»Hier ist er.«

»In der That, Sire, so ist es, und ich habe dort den ähnlichen gesehen,« sprach d’Artagnan.

Die Stirne von d’Artagnan verdüsterte sich, und er fuhr mit einem vorwurfsvollen Ton fort:

»Ah! ich begreife, Euere Majestät hat mir allein nicht getraut, und sie hat noch Jemand abgeschickt.«

»Was ist daran gelegen, auf welche Art ich erfahren habe, was ich weiß, wenn ich es nur weiß.«

»Es mag sein, Sire,« erwiederte der Musketier, ohne daß er nur seine Unzufriedenheit zu verbergen suchte; »doch ich erlaube mir, Eurer Majestät zu bemerken, daß es nicht der Mühe werth war, mich so jagen zu lassen, mich zwanzigmal der Gefahr auszusetzen, meine Knochen zu brechen, um mich bei meiner Ankunft hier mit einer solchen Nachricht zu empfangen. Sire, wenn man den Leuten mißtraut, oder wenn man sie für ungenügend hält, so verwendet man sie nicht.«

Und mit einer ganz militärischen Bewegung stampfte d’Artagnan mit dem Fuß und machte einen blutigen Staub auf den Boden fallen.

Der König schaute ihn an und ergötzte sich in seinem Innern an seinem ersten Triumph.

»Mein Herr,« sagte er nach einem Augenblick, »Belle-Isle ist mir nicht nur bekannt, sondern es gehört sogar mir.«

»Es ist gut, es ist gut, Sire, ich frage nicht mehr,« erwiederte d’Artagnan. »Meinen Abschied.«

»Wie! Euren Abschied?«

»Allerdings. Ich bin zu stolz, um das Brod des Königs zu essen, ohne es zu verdienen, oder vielmehr, um es schlecht zu verdienen. Meinen Abschied, Sire.«

»Hoho!«

»Meinen Abschied, oder ich nehme ihn.«

»Ihr ärgert Euch, mein Herr?«

»Ich habe wohl Ursache, Mordioux! Ich bleibe zweiunddreißig Stunden im Sattel, ich renne Tag und Nacht, ich verrichte Wunder der Geschwindigkeit, ich komme steif wie ein Gehenkter an, und ein Anderer ist vor mir angekommen! Oh! ich bin ein Tropf: meinen Abschied, Sire!«

»Herr d’Artagnan,« sagte Ludwig XIV., indem er seine weiße Hand auf den bestaubten Arm des Musketiers legte, »was ich Euch so eben gesagt habe, wird in keiner Hinsicht dem, was ich Euch versprochen, Eintrag thun. Ein Mann, ein Wort.«

Und der junge König ging gerade auf seinen Tisch zu, zog eine Schublade, nahm ein viereckig zusammengelegtes Papier heraus und sprach:

»Hier ist Euer Patent als Kapitän der Musketiere, Ihr habt es verdient, Herr d’Artagnan.«

D’Artagnan öffnete rasch das Papier und schaute es wiederholt an, denn er konnte seinen Augen nicht trauen.

»Und dieses Patent,« fügte der König bei, »es wird Euch nicht nur verliehen für Eure Reise nach Belle-Isle, sondern auch für Eure tapfere Dazwischenkunft auf der Grève. Dort habt Ihr mir in der That sehr muthig gedient.«

»Ah! ah!« sagte d’Artagnan, ohne daß er im Stande war, es durch seine Selbstbeherrschung zu verhindern, daß ihm eine gewisse Röthe gegen die Augen stieg; »Ihr wißt das auch, Sire?«

»Ja, ich weiß es.«

Der König hatte einen durchdringenden Blick und ein unfehlbares Urtheil, wenn es sich darum handelte, in einem Gewissen zu lesen.

»Mein Herr,« sprach er zu dem Musketier, »Ihr habt etwas zu sagen, was Ihr nicht sagt. Auf, seid offenherzig , ich habe Euch einmal für allemal bemerkt, Ihr könnet Euch ganz offenherzig gegen mich benehmen.«

»Nun, Sire, so gestehe ich, daß ich lieber zum Kapitän der Musketiere ernannt worden wäre, weil ich an der Spitze meiner Compagnie angegriffen, eine Batterie zum Schweigen gebracht, oder eine Stadt genommen, als weil ich zwei Unglückliche habe henken lassen.«

»Ist das wirklich wahr, was Ihr mir da sagt?«

»Warum sollte mich Eure Majestät im Verdacht der Verstellung haben?«

»Weil Ihr, wenn ich Euch kenne, nicht bereuen könnt, daß Ihr den Degen für mich gezogen habt.«

»Hierin täuscht Ihr Euch, Sire, und zwar bedeutend; ja, ich bereue es, den Degen gezogen zu haben, wegen der Resultate, welche diese Handlung herbeigeführt hat; die armen Leute, die den Tod fanden, Sire, waren weder Eure Feinde, noch die meinigen, und sie vertheidigten sich nicht.«

Der König schwieg einen Augenblick.

»Und Euer Gefährte, Herr d’Artagnan, theilt er Eure Reue?«

»Mein Gefährte?«

»Ja. Mir scheint, Ihr waret nicht allein?«

»Allein? Wo dies?«

»Auf der Grève.«

»Nein, Sire, nein,« sprach d’Artagnan erröthend bei dem Verdacht, der König könnte denken, er, d’Artagnan, habe sich allein den Ruhm zueignen wollen, der Raoul gebührte; »nein, Mordioux! und wie Eure Majestät sagt, ich hatte einen Gefährten, und zwar einen guten Gefährten.«

»Einen jungen Mann?«

»Ja, Sire, einen jungen Mann. Doch ich mache Eurer Majestät mein Compliment, sie ist eben so gut auswärts, als im Innern unterrichtet. Herr Colbert erstattet ohne Zweifel Eurer Majestät alle diese schönen Berichte?«

»Herr Colbert hat mir nur Gutes von Euch gesagt, Herr d’Artagnan, und er wäre schlimm angekommen , wenn er anders gesprochen hätte.«

»Ah! das ist ein Glück!«

»Doch er sagt auch viel Gutes von dem jungen Mann.«

»Das ist nur Gerechtigkeit,« sprach der Musketier.

»Kurz, es scheint dieser junge Mann ist ein Braver,« sagte Ludwig XIV., um das Gefühl, das er für Aerger hielt, zu stacheln.

»Ein Braver? Ja, Sire,« erwiederte d’Artagnan seinerseits entzückt, den König für Raoul zu begeistern.

»Wißt Ihr seinen Namen?«

»Ich denke wohl.«

»Ihr kennt ihn also?«

»Seit ungefähr fünf und zwanzig Jahren, ja, Sire.«

»Er ist aber kaum fünf und zwanzig Jahre alt!« rief der König.

»Nun! Sire, ich kenne ihn seit seiner Geburt.«

»Ihr gebt mir diese Versicherung?«

»Eure Majestät fragt mich mit einem Mißtrauen, in welchem ich einen ganz andern Charakter erkenne, als den Eurigen, Sire. Hat denn Colbert, der Euch so gut unterrichtete, vergessen, Euch zu sagen, dieser junge Mann sei der Sohn meines vertrauten Freundes?«

»Der Vicomte von Bragelonne?«

»Ei! gewiß, Sire, der Vicomte von Bragelonne hat zum Vater den Grafen de la Fère, der so mächtig die Restauration von König Karl II. unterstützte. Oh! Bragelonne stammt von einem Geschlecht von Tapferen, Sire.«

»Dann ist er der Sohn des Mannes, der bei mir, oder vielmehr bei Herrn von Mazarin im Auftrag von König Karl II. erschienen ist, um uns sein Bündniß anzubieten.«

»Ganz richtig.«

»Und dieser Graf de la Fère ist ein Braver, sagt Ihr?«

»Sire, er ist ein Mann, der öfter den Degen für den König, Euren Vater, gezogen hat, als es Tage in dem gesegneten Leben Eurer Majestät gibt.«

 

Nun war es Ludwig XIV., der sich auf die Lippen biß.

»Gut, Herr d’Artagnan! Und der Herr Graf de la Fère ist Euer Freund?«

»Seit bald vierzig Jahren, ja, Sire. Eure Majestät sieht, daß ich nicht von gestern spreche.«

»Würde es Euch Freude machen, diesen jungen Mann zu sehen, Herr d’Artagnan?«

»Ich wäre entzückt, Sire.«

Der König läutete. Ein Huissier erschien.

»Ruft Herrn von Bragelonne,« sagte der König.

»Ah! ah! er ist hier?« fragte d’Artagnan.

»Er hat heute die Wache im Louvre mit der Compagnie der Edelleute des Herrn Prinzen.«

Der König hatte kaum vollendet, als Raoul erschien und, d’Artagnan erblickend, diesem auf jene reizende Weise zulächelte, welche man nur auf den Lippen der Jugend findet.

»Komm, komm,« sprach d’Artagnan vertraulich zu Raoul, »der König erlaubt, daß Du mich umarmst; nur sage Seiner Majestät, Du dankest ihr.«

Raoul verbeugte sich so anmuthig, daß Ludwig, dem alle Vorzüge zu gefallen vermochten, wenn man sich nur damit kein Ansehen den seinigen gegenüber geben wollte, diese Schönheit, diese Kraft und diese Bescheidenheit bewunderte.

»Mein Herr,« sprach der König, sich an Raoul wendend, ich bat den Herrn Prinzen, er möge Euch mir abtreten? ich habe seine Antwort erhalten, Ihr gehört seit diesem Morgen mir. Der Herr Prinz war ein guter Herr, doch ich hoffe, Ihr verliert nichts bei dem Tausch.«

»Ja, ja, Raoul, sei unbesorgt,« sagte d’Artagnan, der den Charakter von Ludwig errathen hatte und mit seiner Eitelkeit innerhalb gewisser Grenzen spielte, wohlverstanden übrigens, indem er stets die Schicklichkeit beobachtete und schmeichelte, selbst wenn er zu spotten schien.

»Sire,« sagte sodann Bragelonne mit einer sanften, unendlich holden Stimme und mit jener natürlichen und leichten Redeweise, die er von seinem Vater hatte, »Sire, ich gehöre Eurer Majestät nicht erst seit heute.«

»Oh! ich weiß es,« rief der König, »Ihr sprecht von der Expedition auf der Grève; an diesem Tag waret Ihr in der That mir zugethan, mein Herr.«

»Sire, ich spreche auch nicht von diesem Tag; es stünde mir nicht wohl an, an einen so geringfügigen Dienst in Gegenwart eines Mannes wie Herr d’Artagnan zu erinnern; ich meinte einen Umstand, der Epoche in meinem Leben macht und mich schon in einem Alter von sechzehn Jahren dem Dienste Eurer Majestät geweiht hat.«

»Ah! ah!« sagte der König, »sprecht, welcher Umstand ist dies, mein Herr?«

»Hört, Sire. Als ich zu meinem ersten Feldzug aufbrach, um mich zur Armee des Herrn Prinzen zu begeben, geleitete mich der Herr Graf de la Fère bis Saint-Denis, wo die Ueberreste von Ludwig XIII. auf den letzten Stufen der Gruft der Basilika auf einen Nachfolger warten, den ihm Gott, wie ich hoffe, nicht vor langen Jahren schicken wird. Da ließ er mich auf die Asche unserer Gebieter schwören, dem durch Euch vertretenen, in Tuch zu Fleisch gewordenen Königthum zu dienen in Gedanken, Worten und Werken.

»Ich schwur; Gott und die Todten haben meinen Schwur empfangen.

»Seit zehn Jahren, Sire, habe ich nicht so oft, als ich es gewünscht, Gelegenheit gehabt, meinen Eid zu halten: ich bin ein Soldat Eurer Majestät, nichts Anderes, und indem sie mich zu sich ruft, wechsle ich nicht den Herrn, sondern nur die Garnison.«

Raoul schwieg und verbeugte sich.

Er hatte geendigt, als Ludwig XIV, immer noch horchte.

»Mordioux!« rief d’Artagnan, »das ist gut gesagt, nicht wahr, Eure Majestät? Ein gutes Geschlecht, Sire, ein großes Geschlecht!«

»Ja,« murmelte der König bewegt, doch ohne daß er die Bewegung in seinem Innern offenbaren wollte, denn sie hatte keine andere Ursache als die Berührung einer im höchsten Maße aristokratischen Natur. »Ja, mein Herr, Ihr sprecht die Wahrheit; überall, wo Ihr waret, gehörtet Ihr dem König. Doch indem Ihr die Garnison wechselt, werdet Ihr, glaubt mir, ein Eurer würdiges Avancement finden.«

Raoul sah, daß hierbei das, was ihm der König zu sagen hatte, endigte. Und mit dem vollkommenen Takt, der diese treffliche Natur charakterisirte, verbeugte er sich und ging hinaus.

»Habt Ihr mir noch etwas mitzutheilen?« fragte der König, als er sich mit d’Artagnan allein fand.

»Ja, Sire, und ich bewahrte diese Nachricht bis zuletzt auf, denn sie ist betrüblich und wird das europäische Königthum in Trauer kleiden.«

»Was sagt Ihr mir?«

»Sire, als ich durch Alois kam, traf ein Wort, ein trauriges Wort, das Echo des Palastes, au mein Ohr.«

»In der That, Ihr erschreckt mich, Herr d’Artagnan.«

»Sire, dieses Wort wurde von einem Piqueur ausgesprochen, der einen Flor am Arm trug.«

»Mein Oheim Gaston von Orleans vielleicht?«

»Sire, er hat den letzten Seufzer ausgehaucht.«

»Und ich bin nicht davon unterrichtet!« rief Ludwig XlV., dessen königliche Empfindlichkeit eine Beleidigung darin sah, daß er diese Kunde noch nicht erhalten hatte.

»Oh! ärgert Euch nicht, Sire,« sprach d’Artagnan, »die Couriere von Paris und die Couriere der ganzen Welt reiten nicht wie Euer Diener; der Courier von Blois wird nicht vor zwei Stunden hier sein, und er reitet gut, dafür stehe ich Euch, denn ich habe ihn erst diesseits Orleans eingeholt.«

»Mein Oheim Gaston,« murmelte Ludwig, indem er die Hand auf seine Stirne drückte und in diese drei Worte Alles schloß, was an entgegengesetzten Gefühlen bei diesem Namen sein Gedächtniß erweckte.

»Ja, ja, Sire, so ist es,« sprach philosophisch d’Artagnan, den königlichen Gedanken beantwortend, »die Vergangenheit entflieht.«

»Es ist wahr, mein Herr, es ist wahr; doch es bleibt uns, Gott sei Dank! die Zukunft, und wir werden bemüht sein, sie nicht zu düster zu machen.«

»Ich verlasse mich in dieser Hinsicht auf Eure Majestät,« sprach der Musketier sich verbeugend, »und nun . . . «

»Ja, Ihr habt Recht, mein Herr, ich vergesse die hundert Meilen, die Ihr zurückgelegt. Geht, mein Herr, und tragt Sorge für einen der besten Soldaten, und wenn Ihr ausgeruht habt, stellt Euch zu meinen Befehlen.«

»Sire, abwesend oder gegenwärtig bin ich dies immer,« antwortete d’Artagnan.

Und er verbeugte sich und ging ab.

Dann durchschritt er, als ob er nur von Fontainebleau gekommen wäre, rasch den Louvre, um Raoul einzuholen.

VIII.
Ein Verliebter und eine Geliebte

Während die Kerzen im Schlosse Blois und um den entseelten Leib von Gaston von Orleans, diesen letzten Repräsentanten der Vergangenheit brannten, während die Bürger der Stadt seine Grabschrift machten, welche entfernt keine Lobrede war, während die verwitwete Hoheit, die sich nicht mehr erinnerte, ihn in ihren jungen Jahren so sehr geliebt zu haben, daß sie aus dem väterlichen Palast entflohen, um ihm zu folgen, zwanzig Schritte von dem Leichenzimmer ihre kleinen Berechnungen des Interesses anstellte und ihre kleinen Opfer des Stolzes überdachte, waren andere Leidenschaften des Interesses und des Stolzes in allen Theilen des Schlosses, wohin eine lebendige Seele hatte dringen können, in Bewegung.

Weder die Trauertöne der Glocken, noch die Stimmen der Kirchenfänger, noch die Vorbereitungen zur Beerdigung hatten die Macht, zwei Personen zu zerstreuen, die an einem, uns schon bekannten, Fenster des Hofes standen, durch das ein Zimmer beleuchtet wurde, welches zu dem gehörte, was man die kleinen Gemächer nannte.

Ein freudiger Sonnenstrahl, denn die Sonne schien sich sehr wenig um den Verlust, den Frankreich erlitten, in bekümmern, ein Sonnenstrahl, sagen wir, fiel auf sie, die Wohlgerüche den nahen Blumen entlockend, und selbst die Mauern belebend. Diese zwei, nicht durch den Tod, sondern durch das Gespräch, das die Folge dieses Todes, so sehr in Anspruch genommenen Personen waren ein Mädchen und ein junger Mann. Der Letztere , der ungefähr fünf und zwanzig bis sechs und zwanzig Jahre alt sein mochte, bald aufgeweckt, bald verdrießlich aussah und zu gelegener Zeit zwei von langen Wimpern bedeckte, ungeheure Augen spielen ließ, war klein und braun von Haut; er lächelte mit einem ungeheuren, aber wohl ausgerüsteten Mund, und sein spitziges Kinn, das sich einer Beweglichkeit erfreute, welche die Natur diesem Theil des Gesichts gewöhnlich nicht bewilligt, verlängerte sich zuweilen sehr verliebt gegen das Mädchen, das, leugnen wir es nicht, nicht immer so rasch zurückwich, als dies der strenge Wohlanstand zu fordern berechtigt war.

Das Mädchen, wir kennen es, denn wir haben es schon an demselben Fenster beim Scheine derselben Sonne gesehen, das Mädchen bot eine seltsame Mischung von Feinheit und Ueberlegung. Es war reizend, wenn es lachte, schön, wenn es ernst wurde, doch bemerken wir sogleich, es war viel öfter reizend als schön.

Diese zwei Personen schienen den Culminationspunkt eines halb spöttischen, halb ernsten Streites erreicht zu haben.

»Sprecht, Herr Malicorne,« sagte das Mädchen, »beliebt es Euch endlich, vernünftig mit mir zu reden?«

»Ihr glaubt, das sei leicht, Fräulein Sure,« erwiederte der junge Mann. »Thun, was man will, wenn man nicht thun kann, was man kann.«

»Gut! nun verwickelt er sich in seinen Redensarten.«

»Ich?«

»Ja, Ihr; gebt diese Anwaltslogik auf, mein Lieber.«

»Abermals etwas Unmögliches. Schreiber bin ich, Fräulein von Montalais.«

»Fräulein bin ich, Herr Malicorne.«

»Ach! ich weiß es wohl, und Ihr drückt mich durch die Entfernung nieder; ich werde Euch auch nichts mehr sagen.«

»Nein, ich drücke Euch nicht nieder, sagt, was Ihr mir zu sagen habt: sprecht, ich will es.«

»Nun wohl, ich gehorche Euch.«

»Das ist wahrhaftig ein Glück!«

»Monsieur ist todt.«

»Ah! Teufel, welch’ eine Neuigkeit! und woher kommt Ihr denn, daß Ihr uns das sagt.«

»Ich komme von Orleans, mein Fräulein.«

»Und das ist die einzige Neuigkeit, die Ihr uns bringt?«

»Oh! nein. Ich komme auch, um Euch zu sagen, daß Madame Henriette binnen Kurzem eintrifft, um den Bruder Seiner Majestät zu heirathen.«

»In der That, Malicorne, Ihr seid unerträglich mit Euren Neuigkeiten aus dem vorigen Jahrhundert; hört, wenn Ihr auch die schlechte Gewohnheit annehmt, zu spotten, so lasse ich Euch hinauswerfen.«

»Oh!«

»Ja, denn Ihr bringt mich wahrhaftig in Verzweiflung.«

»Ruhe, Geduld, mein Fräulein.«

»Ihr wollt Euch so geltend machen, doch ich weiß wohl, warum.«

»Sprecht, und ich werde Euch offenherzig antworten, wenn die Sache wahr ist.«

»Ihr wißt, daß ich Lust nach einer Anstellung als Ehrendame habe, die ich von Euch zu verlangen so albern war, und Ihr schont Euer Ansehen.«

»Ich?«

Malicorne senkte seine Augenbraunen, faltete die Hände und nahm sein verdrießliches Gesicht an.

»Und welches Ansehen dürfte der arme Schreiber eines Anwalts haben, frage ich Euch?«

»Euer Vater hat nicht umsonst zwanzigtausend Livres Einkünfte, Herr Malicorne.«

»Ein Provinzvermögen, Fräulein von Montalais.«

»Euer Vater ist nicht umsonst in die Geheimnisse von Monsieur dem Prinzen eingeweiht.«

»Ein Vorzug, der sich darauf beschränkt, daß er Seiner Hoheit Geld leiht.«

»Mit einem Wort, Ihr seid nicht umsonst der verschmitzteste Bursche der Provinz.«

»Ihr schmeichelt mir.«

»Ich?«

»Ja, Ihr.«

»Wie dies?«

»Ich behaupte, ich habe kein Ansehen, und Ihr behauptet, ich habe Ansehen.«

»Und meine Anstellung?«

»Nun, Eure Anstellung?«

»Werde ich sie erhalten oder nicht erhalten?«

»Ihr werdet sie erhalten.«

»Aber wann?«

»Wann Ihr wollt.«

»Wo ist sie denn?«

»In meiner Tasche.«

»Wie! in Eurer Tasche?«

»Ja,« antwortete Malicorne. Und er zog wirklich mit seinem duckmäuserischen Lächeln aus seiner Tasche einen Brief, den die Montalais an sich riß und sogleich voll Begierde las.

Während sie las, klärte sich ihr Gesicht immer mehr auf.

»Malicorne!« rief sie, nachdem sie gelesen hatte, »Ihr seid ein guter Junge.«

»Warum dies, mein Fräulein?«

»Well Ihr Euch hättet die Anstellung können bezahlen lassen, und weil Ihr dies nicht gethan habt.«

Und sie brach in ein Gelächter aus und glaubte den Schreiber aus der Fassung zu bringen. Aber Malicorne hielt den Angriff muthig aus und erwiederte nur:

»Ich verstehe Euch nicht.«

Nun war die Montalais aus der Fassung gebracht.

»Ich habe Euch meine Gefühle erklärt,« fuhr Malicorne fort, »Ihr habt mir dreimal gesagt, Ihr liebtet mich nicht; Ihr habt mich einmal, ohne zu lachen, geküßt, und das ist Alles, was ich brauche.«

»Alles?« fragte die stolze und gefallsüchtige Montalais mit einem Ton, in welchem die beleidigte Eitelkeit vordrang.

»Durchaus Alles, mein Fräulein,« antwortete Malicorne.

 

»Ah!«

Diese Einsylbe deutete ebenso viel Zorn an, als der junge Mann Dankbarkeit hätte erwarten können.

Er schüttelte ruhig den Kopf und sprach, ohne sich darum zu bekümmern, ob diese Vertraulichkeit seiner Geliebten gefiel oder nicht gefiel:

»Hört, Montalais, streiten wir nicht hierüber.«

»Warum?«

»Weil Ihr mich seit dem Jahr, daß ich Euch kenne, hundertmal vor die Thüre geworfen hättet, wenn ich Euch nicht gefiele.«

»In der That! Und warum hätte ich Euch aus der Thüre geworfen?«

»Weil ich unverschämt genug hierzu gewesen bin.«

»Oh! das ist wahr.«

»Ihr seht wohl, daß Ihr genöthigt seid, es zu gestehen.«

»Herr Malicorne!«

»Aergern wir uns nicht; wenn Ihr mich behalten habt, so ist es nicht ohne Ursache geschehen.«

»Wenigstens nicht, weil ich Euch liebe!« rief Montalais.

»Einverstanden. Ich sage Euch sogar, daß Ihr mich in diesem Augenblick verwünscht.«

»Oh! Ihr habt nie so wahr gesprochen.«

»Gut! ich, ich verabscheue Euch.«

»Ah! das nehme ich als eine urkundliche Erklärung.«

»Nehmt es so. Ihr findet mich roh und albern; ich finde, Ihr habt eine harte Stimme und ein durch den Zorn entstelltes Gesicht. In diesem Augenblick würdet Ihr Euch eher aus dem Fenster stürzen, als mich das Ende Eures Fingers küssen lassen; ich würde mich eher von der Höhe des Glockenturmes herabstürzen, als daß ich den Saum Eures Kleides berührte. Doch in fünf Minuten werdet Ihr mich lieben, und ich werde Euch anbeten. Oh! so ist es.«

»Ich zweifle daran.«

»Und ich, ich schwöre darauf.«

»Geck!«

»Und dann ist dies nicht der wahre Grund; Ihr bedürft meiner, Aure, und ich bedarf Eurer. Wenn es Euch gefällig ist, heiter zu sein, mache ich Euch lachen; wenn es mir genehm ist, verliebt zu sein, schaue ich Euch an. Ich habe Euch die Anstellung als Ehrendame gegeben, die Ihr wünschtet; Ihr werdet mir sogleich etwas geben, was ich wünschen werde.«

»Ich?«

»Ihr! doch in diesem Augenblick, meine liebe Aure, erkläre ich Euch, daß ich durchaus nichts wünsche; seid also unbesorgt.«

»Ihr seid ein abscheulicher Mensch, Malicorne; ich wollte mich über diese Anstellung freuen, und nun benehmt Ihr mir jede Freude.«

»Gut! es ist keine Zeit dabei verloren, Ihr freut Euch, wenn Ich weggegangen bin.«

»Sprecht also . . . «

»Es sei, doch zuvor einen Rath.«

»Welchen?«

»Nehmt wieder Eure schöne Laune an; Ihr werdet häßlich, wenn Ihr schmollt.«

»Grober!«

»Gut, sagen wir uns unsere Wahrheiten, während wir noch daran sind.«

»Oh! Malicorne! oh! schlechtes Herz!«

»Oh! Montalais! oh! Undankbare!« rief der junge Mann.

Und er stützte sich mit dem Ellenbogen auf die Fensterlehne.

Montalais nahm ein Buch und öffnete es.

Malicorne richtete sich auf, bürstete seinen Filzhut mit seinem Aermel und glättete sein schwarzes Wamms.

Montalais, während sie sich den Anschein gab, als läse sie, beobachtete ihn aus einem Augenwinkel.

»Gut!« rief sie wüthend, »nun nimmt er seine ehrerbietige Miene an. Er wird acht Tage lang schmollen.«

»Vierzehn, mein Fräulein,« erwiederte Malicorne sich verbeugend.

Montalais hob ihre krampfhaft geballte Faust gegen ihn auf und rief:

»Ungeheuer! Oh! wenn ich ein Mann wäre!«

»Was würdet Ihr thun?«

»Ich würde Dich erwürgen.«

»Ah! sehr gut,« sagte Malicorne; »ich glaube, ich fange an, etwas zu wünschen.«

»Und was wünscht Ihr, Herr Dämon? Daß ich meine Seele durch den Zorn in’s Verderben bringe?«

Malicorne rollte ehrfurchtsvoll seinen Hut zwischen seinen Fingern hin und her; doch plötzlich ließ er seinen Hut fallen, faßte Aure bei beiden Schultern, näherte sich ihr und drückte auf ihre Lippen zwei Lippen, welche sehr glühend waren für einen Mann, der ganz gleichgültig zu sein behauptete.

Aure wollte einen Schrei ausstoßen, aber dieser Schrei erlosch im Kuß. Nervig und aufgereizt, stieß das Mädchen Malicorne an die Wand zurück.

»Gut,« sagte Malicorne philosophisch, »das ist für sechs Wochen; Gott befohlen, mein Fräulein, empfangt meinen unterthänigsten Gruß.«

Und er machte drei Schritte, um sich zu entfernen.

»Nein, nein, Ihr werdet nicht von hier weggehen!« rief Montalais mit dem Fuß stampfend; »bleibt, ich befehle es Euch!«

»Ihr befehlt es?«

»Ja; bin ich nicht die Herrin?«

»Meiner Seele und meines Geistes, ohne allen Zweifel.«

»Meiner Treue! ein schönes Eigenthum! Die Seele ist albern und der Geist trocken.«

»Nehmt Euch in Acht, Montalais, ich kenne Euch: Ihr werdet wieder Hiebe für Euren Diener fassen.«

»Nun wohl, ja,« sagte sie, indem sie sich mehr mit einer kindischen Indolenz, als mit einer wollüstigen Hingebung an seinen Hals hing, »nun wohl, ja, denn ich muß Euch doch am Ende danken.«

»Wofür?«

»Für die Anstellung; ist das nicht meine ganze Zukunft?«

»Und die meinige.«

Montalais schaute ihn an und sagte:

»Es ist doch abscheulich, daß man nie errathen kann, ob Ihr im Ernste sprecht.«

»Man kann nicht mehr im Ernste sprechen; ich war im Begriff, nach Paris zu gehen, Ihr geht dahin, wir gehen dahin.«

»Ihr habt mir also aus diesem Beweggrund allein gedient, Selbstsüchtiger?«

»Was wollt Ihr, Aure, ich kann nicht ohne Euch leben.«

»Wahrhaftig, das ist wie bei mir; Ihr seid jedoch, man muß es gestehen, ein sehr schlimmer Bursche.«

»Aure, meine liebe Aure, nehmt Euch in Acht! Wenn Ihr wieder in die Beleidigungen verfallt, wißt Ihr wohl, welche Wirkung Ihr bei mir hervorbringt, . . . ich werde Euch anbeten.«

Und während er diese Worte sprach, zog Malicorne zum zweiten Mal das Mädchen zu sich heran.

In demselben Augenblick erscholl ein Tritt auf der Treppe.

Die jungen Leute waren so nahe beisammen, daß man sie einander in den Armen getroffen haben würde, hätte Montalais nicht mit Gewalt Malicorne zurückgestoßen, der mit dem Rücken an die Thüre schlug, welche sich in diesem Augenblick öffnete.

Sogleich ertönte ein gewaltiger Schrei gefolgt von Schmähungen.

Es war Frau von Saint-Remy, die den Schrei ausstieß und die Schmähungen von sich gab. Der unglückliche Malicorne hatte sie halb zwischen der Wand und der Thüre, die sie öffnete, zerquetscht.

»Abermals dieser Taugenichts!« rief die alte Dame, »immer hier.«

»Ah! gnädige Frau!« erwiederte Malicorne mit ehrfurchtsvollem Tone, »ich bin seit acht langen Tagen nicht hier gewesen.«