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Der Graf von Bragelonne

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VII.
Parry

Während der Unbekannte mit Theilnahme diese Lichter betrachtete und auf all dieses Geräusch horchte, trat Meister Cropole in sein Zimmer mit zwei Dienern, die den Tisch deckten.

Der Fremde schenkte ihnen nicht die geringste Aufmerksamkeit.

Da näherte sich Cropole seinem Gaste und flüsterte ihm mit tiefer Ehrfurcht zu:

»Mein Herr, der Diamant ist geschätzt worden.«

»Ah!« machte der Reisende. »Nun?«

»Nun, mein Herr, der Juwelier Seiner königlichen Hoheit gibt zweihundert und achtzig Pistolen dafür.«

»Ihr habt sie?«

»Ich glaubte sie nehmen zu müssen, machte jedoch zur Bedingung bei dem Handel, daß, wenn der Herr seinen Diamant, bis wieder Gelder eingehen würden, behalten wollte, dieser Diamant zurückgegeben werden müßte.«

»Keines Wegs. Ich habe Euch gesagt, Ihr sollet ihn verkaufen.«

»Dann habe ich gleichsam gehorcht, da ich, ohne definitiv zu verkaufen, das Geld in Empfang nahm.«

»Macht Euch bezahlt,« sagte der Unbekannte.

»Ich werde es thun, mein Herr, da Ihr es durchaus verlangt.«

Ein trauriges Lächeln schwebte über die Lippen des Edelmanns.

»Legt das Geld auf diese Lade,« sagte er, indem er sich umwandte und zugleich durch eine Geberde das genannte Meuble bezeichnete.

Cropole legte einen ziemlich schweren Sack nieder, aus dem er den Preis des Miethzinses erhob.

»Der Herr wird mir nun nicht den Schmerz bereiten, nicht zu Nacht zu essen,« sprach Cropole . . . »schon ist das Mittagessen ausgeschlagen worden, und das ist beleidigend für das Haus der Medicis. Seht, mein Herr, das Mahl ist aufgetragen, und ich wage sogar beizufügen, daß es gut aussteht.«

Der Unbekannte verlangte ein Glas Wein, brach ein Stück Brod, und verließ das Fenster nicht, um zu essen und zu trinken.

Bald hörte man ein gewaltiges Geräusch von Fanfaren und Trompeten: Ausrufungen erhoben sich in der Ferne, ein verworrenes Gesumme füllte den untern Theil der Stadt, und der erste Lärmen, der deutlich an das Ohr des Fremden drang, war der des Hufschlags vorrückender Pferde.

»D« König! der König!« wiederholte eine geräuschvolle, gedrängte Menge.

»Der König!« wiederholte Cropole, der seinen Gast und seine Zartgefühlsideen im Stiche ließ, um seine Neugierde zu befriedigen.

Mit Cropole stießen und vermengten sich auf der Treppe Madame Cropole, Pittrino, die Gehilfen und die Küchenjungen,

Der Zug rückte langsam vor, beleuchtet von Tausenden von Fackeln, theils von der Straße, theils von den Fenstern aus.

Nach einer Compagnie Musketiere und einem ganz geschlossenen Corps von Edelleuten kam die Sänfte des Herrn Cardinal Mazarin. Sie wurde gezogen wie ein Wagen von vier Rappen.

Die Pagen und die Leute des Cardinals marschirten dahinter.

Dann kam die Carosse der Königin Mutter, ihre Ehrenfräulein an den Schlägen, ihre Edelleute zu Pferd auf beiden Seiten.

Hiernach erschien der König, auf einem schönen Pferde von sächsischer Race, mit langer Mähne, reitend. Der junge Prinz zeigte, indem er gegen einige Fenster grüßte, woher die lebhaftesten Ausrufungen kamen, sein schönes, liebreizendes Antlitz.

Zu den Seiten des Königs, aber zwei Schritte entfernt, ritten der Prinz von Condé, Herr Dangeau und zwanzig andere Höflinge, gefolgt von ihren Leuten und ihrem Gepäcke, den wahrhaft triumphartigen Zug schließend.

Dieses Gepränge war von einer militärischen Ordnung.

Nur einige Höflinge, und zwar unter den Alten, hatten Reisekleider, beinahe Alle trugen das militärische Gewand. Man sah sogar Viele mit dem Ringkragen und dem büffelledernen Koller, wie zur Zeit von Heinrich IV. und Ludwig XIII.

Als der König an ihm vorüber kam, fühlte der Unbekannte, der sich, um besser zu sehen, über den Balcon geneigt und sein Gesicht, indem er es auf seinen Arm stützte, verborgen hatte, sein Herz von bitterer Eifersucht anschwellen und überströmen.

Der Lärm der Trompeten berauschte ihn, der Zuruf des Volks betäubte ihn; er ließ einen Augenblick seine Vernunft in diese Woge von Licht, von Tumult und glänzenden Bildern fallen.

»Er ist König!« murmelte er mit einem Ton der Verzweiflung und des Schmerzes, der bis zum Throne Gottes aufsteigen mußte.

Dann, ehe er von seiner düsteren Träumerei zurückgekehrt war, erloschen all dieses Geräusch, all diese Herrlichkeit. An der Ecke der Straße blieben unter dem Fremden, nur heisere, nicht zusammenklingende Stimmen, die in Zwischenräumen: Es lebe der König! riefen.

Es blieben auch die sechs Lichter, welche die Bewohner des Gasthofes der Medicis hielten, nämlich zwei für Cropole, zwei für Pittrino, eines für jeden Küchenjungen.

Cropole wiederholte unablässig:

»Wie gut ist der König und wie sehr gleicht er seinem höchstseligen Herrn Vater.«

»Im Schönen,« sagte Pittrino.

»Wie stolz ist seine Miene!« fügte Madame Cropole bei, welche schon ihre Bemerkungen mit denen ihrer Nachbarn und Nachbarinnen vermischte.

Cropole nährte diese Reden mit seinen persönlichen Bemerkungen, ohne wahrzunehmen, daß ein Greis zu Fuß, der jedoch ein kleines irisches Pferd am Zügel nachzog, die Gruppe der Frauen und Männer, welche sich vor den Medicis aufgestellt hatte, durchschneiden wollte.

Doch in diesem Augenblick wurde die Stimme des Fremden am Fenster hörbar.

»Herr Wirth, macht doch, daß man bis zu Eurem Hause gelangen kann.«

Cropole wandte sich um, sah jetzt erst den Greis und machte ihm Platz, daß er vorüber konnte.

Das Fenster schloß sich wieder.

Pittrino bezeichnete dem Ankömmling den Weg, und dieser trat ein, ohne ein Wort von sich zu geben.

Der Fremde wartete auf dem Ruheplatz, er streckte die Arme nach dem Greis aus und führte ihn zu einem Stuhl, doch-dieser widerstand.

»Oh! nein, nein, Mylord,« sagte er, »Mich vor Euch setzen, niemals!«

»Parry!« rief der Edelmann, »ich bitte Euch, Euch, der Ihr von England, von so fern her kommt! Ah! man sollte Euer Alter nicht solche Strapazen wie die meines Dienstes aushalten lassen. Ruht aus . . . «

»Ich habe Euch vor Allem meine Antwort zu geben, Mylord.«.

»Parry . . . ich beschwöre Dich, sage mir nichts . . . denn wenn die Neuigkeit gut gewesen wäre, würdest Du Deinen Satz nicht so angefangen haben. Du nimmst einen Umweg, weil die Nachricht schlecht ist.«

»Mylord,« erwiederte der Greis, »laßt Euch nicht zu rasch beunruhigen. Es ist nicht Alles verloren, wie ich hoffe. Es bedarf des Willens, der Beharrlichkeit und besonders der Resignation.«

»Parry,« entgegnete der junge Mann, »ich bin allein durch tausend Hinterhalte, tausend Fallen, tausend Gefahren hierhergekommen: glaubst Du an meinen Willen? Ich habe diese Reise zehn Jahre lang überdacht, trotz aller Rathschläge und aller Hindernisse: glaubst Du an meine Beharrlichkeit? Ich habe diesen Abend den letzten Diamant meines Vaters verkauft, denn ich hatte nichts mehr, um mein Lager zu bezahlen, und der Wirth war im Begriff, mich fortzujagen.«

Parry machte eine Geberde der Entrüstung, welche der junge Mann durch einen Händedruck und ein Lächeln erwiederte.

Der Greis hob seine zitternden Hände zum Himmel empor.

»Sprich,« sagte der Fremde, »verbirg mir nichts: was ist geschehen?«

»Meine Erzählung wird kurz sein, Mylord, doch, um des Himmels willen, zittert nicht so.«

»Das geschieht vor Ungeduld. Parry; laß hören, was hat Dir der General gesagt?«

»Zuerst wollte mich der General gar nicht empfangen.«

»Er hielt Dich für einen Spion?«

»Ja, Mylord; doch ich schrieb ihm einen Brief.«

»Nun?«

»Er hat ihn angenommen, er hat ihn gelesen, Mylord.«

»Dieser Brief erklärte ihm wohl meine Lage und meine Wünsche?«

»Oh! ja,« sagte Parry mit einem traurigen Lächeln, »er schilderte getreulich Eure Ansicht.«

»Sodann, Parry . . . «

»Sodann schickte mir der General durch einen Adjutanten meinen Brief zurück und ließ mir ankündigen, wenn ich mich am andern Tag noch im Umkreise seines Commandos befände, würde er mich verhaften lassen.«

»Verhaften!« murmelte der junge Mann, »Dich, meinen treusten Diener, verhaften!«

»Ja, Mylord.«

»Und Du hattest doch Parry unterzeichnet?«

»Mit allen Buchstaben, Mylord; und der Adjutant kannte mich von Saint-James und von Whitehall,« fügte der Greis mit einem Seufzer bei.

Der junge Mann neigte sich träumerisch und düster.

»Das hat er vor seinen Leuten gethan,« sagte er, indem er sich selbst durch eine Hoffnung zu täuschen suchte . . . »Doch was hat er unter der Hand gethan, unter vier Augen, von ihm zu Dir? Antworte.«

»Ach! Mylord, er hat mir vier Reiter geschickt, die mir das Pferd gaben, auf dem Ihr mich habt ankommen sehen. Diese Reiter führten mich mit der größten Eile bis zu dem kleinen Hafen von Tenby, wo sie mich gleichsam auf ein Fischerboot warfen, das nach der Bretagne segelte, und so bin ich hier.«

»Oh!« seufzte der junge Mann, indem er krampfhaft mit seiner Hand seine nervige Kehle zusammenpreßte, in der ein Schluchzen emporstieg. »Parry, das ist Alles, das ist wirklich Alles?«

»Ja, Mylord, es ist Alles.«

Nach dieser kurzen Antwort von Parry trat ein langer Zwischenraum des Stillschweigens ein, man hörte nur das Geräusch vom Absatz des jungen Mannes, der damit voll Wuth den Boden peinigte.

Der Greis wollte es versuchen, das Gespräch zu verändern, denn es führte zu allzu traurigen Gedanken.

»Mylord,« fragte er, »was bedeutet denn all das Geräusch, das mir voranging? wer sind die Leute, die: Es lebe der König! rufen? Von welchem König ist die Rede, und warum alle diese Lichter?«

»Ah l Parry,« erwiederte ironisch der junge Mann, »Du weißt nicht, daß der König seine gute Stadt Blois besucht; alle diese Trompeten gehören ihm, alle diese mit Gold überzogenen Schabracken gehören ihm, alle diese Edelleute haben Schwerter, welche ihm gehören. Seine Mutter fährt ihm in einem prachtvollen, mit Silber und Gold eingelegten Wagen voran. Glückliche Mutter! Sein Minister häuft ihm Millionen an und führt ihn zu einer reichen Braut. Deshalb ist all dieses Volk so freudig, es liebt seinen König, es schmeichelt ihm durch seinen tausendfachen Zuruf und schreit: Es lebe der König! es lebe der König!«

 

»Gut, gut, Mylord!« sagte Parry, noch unruhiger über die Wendung des neuen Gesprächs, als über das alte.

»Du weißt,« fuhr der Unbekannte fort, »daß meine Mutter, meine Schwester, während dies Alles zu Ehren König Ludwig XIV. vorgeht, kein Geld und kein Brod mehr haben; Du weißt, daß ich arm, dem Hohne preisgegeben in vierzehn Tagen sein werde, wenn ganz Europa erfährt, was Du mir erzählt hast! Parry . . . gibt es Beispiele, daß sich ein Mann in meinen Verhältnissen . . . «

»Mylord, im Namen des Himmels!«

»Du hast Recht, Parry, ich bin ein Feiger, und wenn ich nichts für mich thue, was wird Gott thun! Nein, nein, ich habe zwei Arme, Parry, ich habe ein Schwert . . . «

Und er schlug heftig mit seiner Hand auf seinen Arm und nahm sein Schwert von der Wand, an der es hing,

»Was wollt Ihr thun, Mylord?«

»Parry, was ich thun will? Was Jedermann in meiner Familie thut; meine Mutter lebt von der öffentlichen Wohlthätigkeit, meine Schwester bettelt für meine Mutter, ich habe irgendwo Brüder, welche ebenfalls für sie betteln. Ich, der Aelteste, will es machen wie sie Alle, ich will Almosen fordern!«

Und nach diesen Worten, die er durch ein nerviges, schreckliches Gelächter kurz abschnitt, gürtete der junge Mann sein Schwert um, nahm seinen Hut vom Schrank, ließ sich einen schwarzen Mantel, den er während der ganzen Reise getragen hatte, auf der Schulter befestigen, drückte dem Greis, der ihn voll Angst anschaute, beide Hände und sprach:

»Mein guter Parry, laß Dir Feuer machen, iß, trinke, schlafe, sei glücklich: laß uns selig sein, mein treuer Freund, mein einziger Freund: wir sind reich wie Könige!«

Er gab dem Sack mit den Pistolen einen Faustschlag, daß er schwer auf die Erde fiel, brach wieder in jenes finstere Gelächter aus, das Parry so sehr erschreckt hatte, und während das ganze Haus schrie, sang und sich zum Empfang und zur Einquartierung der Reisenden, denen ihre Lackeien vorangegangen, bereit hielt, schlüpfte er durch den großen Saal auf die Straße, wo ihn der Greis, der sich an das Fenster gestellt hatte, nach einer Minute aus dem Gesicht verlor.

VIII.
Was Keine Majestät König Ludwig XIV. im Alter von zweiundzwanzig Jahren war

Durch die Erzählung, die wir zu geben versuchten, hat man gesehen, daß der Einzug von König Ludwig XIV. in die Stadt Blois geräuschvoll und glänzend war. Seine junge Majestät schien damit auch sehr zufrieden.

Als er unter die Halle des Schlosses der Stände kam, fand hier der König, umgeben von seinen Wachen und Edelleuten, S. K. H. den Herzog Gaston von Orleans, dessen von Natur majestätische Physiognomie von den feierlichen Umständen einen neuen Schimmer und eine neue Würde angenommen hatte.

Mit ihren großen Ceremoniengewändern geschmückt, erwartete Madame auf einem inneren Balcon den Einzug ihres Neffen. Alle Fenster des alten, an gewöhnlichen Tagen so öden und trübseligen Schlosses glänzten von Damen und Kerzen,

Unter dem Lärmen der Trommeln, der Trompeten und der Vivats überschritt der junge König die Schwelle des Schlosses, in welchem Heinrich III. zweiundsiebzig Jahre früher den Mord und den Verrath zu Hilfe gerufen hatte, um auf seinem Haupte und in seinem Hause eine Krone zu bewahren, welche schon von seiner Stirne glitt, um auf eine andere Familie zu fallen.

Aller Augen, nachdem sie den jungen, so schönen, so reizenden, so edlen König bewundert hatten, suchten den so alten, so bleichen, so gebückten andern König von Frankreich, der ganz anders König war, als der erste, und Cardinal von Mazarin genannt wurde.

Ludwig war damals ausgestattet mit allen natürlichen Gaben, welche den wahren Edelmann bilden: er hatte ein glänzendes und zugleich sanftes Auge von reinem Azurblau, Doch die geschicktesten Physiognomiker, diese Taucher der Seele, hätten, ihre Blicke darauf heftend, wenn es einem Unterthan gegönnt gewesen wäre, den Blick des Königs auszuhalten, die geschicktesten Physiognomiker, sagen wir, hätten nie den Boden dieses Abgrunds von Sanftmuth finden können. Es war mit den Augen des Königs, wie mit der unermeßlichen Tiefe des blauen Himmelsgewölbes, oder mit dem noch furchtbareren und beinahe ebenso erhabenen Azur, den das Mittelländische Meer unter dem Kiel seiner Schisse an einem schönen Sommertag öffnet, ein riesiger Spiegel, auf dem der Himmel bald seine Gestirne, bald seine Stürme wiederstrahlen zu lassen liebt.

Der König war von kleinem Wuchs; er maß kaum fünf Fuß zwei Zoll; doch seine Jugend entschuldigte diesen Fehler, der überdies durch einen großen Adel aller seiner Bewegungen und durch eine gewisse Gewandtheit in den Leibesübungen ausgeglichen wurde.

Es war in der That schon der König, und es war viel, König zu sein in jener Zeit traditioneller Ehrfurcht und Ergebenheit; doch da man ihn bis dahin dem Volk ziemlich wenig und stets ziemlich armselig gezeigt hatte, da diejenigen, welchen man ihn zeigte, bei ihm seine Mutter, eine Frau von hoher Gestalt, und den Herrn Cardinal, einen Mann von schöner Stattlichkeit, sahen, so fanden ihn Viele wenig genug König, um zu sagen: Der König ist minder groß als der Herr Cardinal.

Wie es auch mit diesen auf den Körper bezüglichen Bemerkungen sein mag, die man besonders in der Hauptstadt machte, der junge Prinz wurde wie ein Gott von den Einwohnern von Blois und beinahe wie ein König von seinem Oheim und seiner Tante, Monsieur und Madame, den Bewohnern des Schlosses, empfangen.

Es ist jedoch nicht zu leugnen, als er im Empfangssaal Fauteuils von gleicher Größe für sich, seine Mutter, den Cardinal, seine Tante und seinen Oheim sah, eine geschickt durch die Halbkreisform der Versammlung verborgene Anordnung, da erröthete Ludwig XlV. vor Zorn und schaute umher, um sich durch die Physignomie der Anwesenden zu versichern, ob man ihm diese Demüthigung absichtlich bereitet habe. Da er jedoch nichts auf dem unempfindlichen Gesicht des Cardinals, nichts auf dem seiner Mutter, nichts auf dem der übrigen Anwesenden sah, so fügte er sich und nahm Platz, dabei indessen besorgt, sich vor aller Welt zu setzen.

Die Edelleute und die Damen wurden Ihren Majestäten und dem Herrn Cardinal vorgestellt.

Der König bemerkte, daß seine Mutter und er selten den Namen derjenigen kannten, welche man ihnen vorstellte, während, der Cardinal im Gegentheil nie verfehlte, mit einem vortrefflichen Gedächtniß und einer bewunderungswürdigen Geistesgegenwart mit jedem von seinen Gütern, von seinen Voreltern oder seinen Kindern zu sprechen, von denen er ihnen einige nannte, was diese würdigen Dorfjunker entzückte und in dem Gedanken bestätigte, derjenige sei allein und wahrhaft König, welcher seine Unterthanen kenne, aus demselben Grunde, aus dem die Sonne keine Nebenbuhlerin habe, weil die Sonne allein erwärme und erleuchte.

Seit langer Zeit begonnen, obgleich man dies nicht vermuthete, nahm also das Studium des jungen Königs seinen Fortgang, und er betrachtete aufmerksam, um wo möglich irgend etwas in ihrer Physiognomie auszuscheiden, die Gesichter, die ihm Anfangs unbedeutend und trivial vorgekommen waren.

Man servirte einen Imbiß. Ohne daß er es wagte, die Gastfreundschaft seines Oheims anzusprechen, erwartete ihn der König voll Ungeduld. Auch diesmal wurde ihm alle, wenn nicht seinem Rang, doch wenigstens seinem Appetit gebührende Ehre zu Theil.

Der Cardinal begnügte sich, mit seinen verwelkten Lippen ein Bouillon zu berühren, das man ihm in einer goldenen Tasse anbot. Der allmächtige Minister, der der Königin Mutter ihre Regentschaft, dem König sein Königthum genommen hatte, war nicht im Stande gewesen, der Natur einen guten Magen zu nehmen.

Anna von Oesterreich, welche schon am Krebs litt, Woran sie sechs oder acht Jahre später sterben mußte, aß kaum mehr als der Cardinal.

Monsieur, der noch ganz verwirrt und verblüfft von dem Ereigniß war, das in seinem Provinzleben in Erfüllung ging, aß gar nichts.

Madame allein hielt, als wahre Lothringerin, Seiner Majestät Stand, so daß Ludwig XIV., der ohne diese Partnerin gleichsam allein gegessen hätte, seiner Tante zuerst und sodann Herrn von Saint-Remy, ihrem Oberhofmeister, der sich wirklich ausgezeichnet hatte, großen Dank wußte.

Als der Imbiß vorüber war, erhob sich auf ein Zeichen der Billigung von Herrn von Mazarin der König und fing an, in Folge einer Einladung seiner Tante, die Reihen der Versammlung zu durchwandern.

Die Damen bemerkten nun, – es gibt gewisse Dinge, für welche die Damen eben so gute Beobachterinnen in Blois, als in Paris sind, – die Damen bemerkten nun, Ludwig XlV. habe einen raschen und kühnen Blick, was den Reizen von einem guten Gehalt einen ausgezeichneten Würdiger versprach. Die Männer ihrerseits bemerkten, der Prinz sei stolz und hochmüthig, er liebe es, die Augen sich senken zu machen, die ihn zu lang und zu fest anschauten, was einen strengen Herrn zu weissagen schien.

Ludwig XlV. hatte ungefähr den dritten Theil seiner Revue vollendet, als seine Ohren ein Wort traf, das Seine Eminenz aussprach, welche sich mit Monsieur unterhielt.

Dieses Wort war ein Frauenname.

Kaum hatte Ludwig XIV. dieses Wort vernommen, als er nichts Anderes mehr hörte und, den Bogen des Kreises, der seinen Besuch erwartete, vernachlässigend, nur bemüht war, so rasch als möglich das Ende der krummen Linie zu expediren.

Als guter Höfling erkundigte sich Monsieur bei Seiner Eminenz nach der Gesundheit ihrer Nichten. Es waren in der That fünf bis sechs Jahre früher drei Nichten aus Italien bei dem Cardinal angekommen: die Fräulein Hortensia, Olympia und Maria von Mancini.

Monsieur erkundigte sich also nach der Gesundheit der Nichten des Cardinals; er bedaure, sagte er, nicht die Ehre zu haben, sie zugleich mit ihrem Oheim zu empfangen; gewiß haben sie an Schönheit und Anmuth zugenommen, wie sie dies zu thun versprochen, als Monsieur sie zum letzten Mal gesehen.

Was dem König Anfangs auffiel, war ein gewisser Contrast in der Stimme der zwei Redenden. Die Stimme von Monsieur war ruhig und natürlich, als er so sprach, während die von Herrn von Mazarin, wenn er ihm antwortete, um anderthalb Töne unter seine gewöhnliche Stimmlage sank.

Es war, als wünschte er, daß diese Stimme am Ende des Saals ein Ohr träfe, das sich zu sehr entfernte.

»Monseigneur,« erwiederte er, »die Fräulein von Mancini haben noch eine ganze Erziehung zu vollenden, Pflichten zu erfüllen, eine Stellung zu erlernen. Der Aufenthalt an einem jungen und glänzenden Hof zerstreut sie ein wenig.«

Bei diesem letzten Beiwort lächelte Ludwig traurig. Wohl war der Hof jung, doch der Geiz des Cardinals hatte es so eingerichtet, daß sich nichts von Glanz bemerkbar machte.

»Doch Ihr habt nicht die Absicht, sie in ein Kloster zu bringen oder zu Bürgerinnen zu machen?« entgegnete Monsieur.

»Keines Wegs,« erwiederte der Cardinal, indem er seine italienische Aussprache so bezwang, daß sie von sanft und sammetartig, wie sie war, scharf und vibrirend wurde; »keines Wegs. Ich habe ganz einfach die Absicht, sie zu verheirathen, und zwar so gut, als nur immer möglich.«

»Es wird nicht an Partien fehlen, Herr Cardinal,« sagte Monsieur mit der Treuherzigkeit eines Handelsmanns, der seinem Zunftgenossen Glück wünscht.

»Ich hoffe, Monseigneur, um so mehr, als Gott ihnen zugleich die Anmuth, die Weisheit und die Schönheit gegeben hat.«

Während dieses Gespräches vollendete, wie gesagt, Ludwig XlV., geführt von Madame, den Kreis der Vorstellungen.

»Mademoiselle Arnoulx,« sagte die Prinzessin, Seiner Majestät eine große Blonde von zweiundzwanzig Jahren vorstellend, die man bei einem ländlichen Feste für eine Bäuerin im Sonntagsstaate hätte halten können, »Mademoiselle Arnoulx, die Tochter meiner Musiklehrerin.«

Der König lächelte. Madame hatte nie vier Noten richtig auf der Violine oder auf dem Clavier hervorbringen können.

»Mademoiselle Aure von Montalais,« fuhr Madame fort, »ein Mädchen von Stand und eine vortreffliche Dienerin.«

Diesmal war es nicht mehr der König, der lachte, sondern es war die Vorgestellte, weil sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben von Madame, die sie gewöhnlich durchaus nicht verdarb, auf eine so ehrenvolle Weise bezeichnen hörte.

Montalais, unsere alte Bekanntin, machte auch Seiner Majestät eine tiefe Verbeugung, und dies sowohl aus Ehrfurcht, als aus Noth , denn es handelte sich darum, gewisse Zusammenziehungen ihrer lachenden Lippen zu verbergen, welche der König wohl nicht ihrem wahren Beweggrund hätte zuschreiben können.

 

Gerade in diesem Augenblick geschah es, daß der König das Wort hörte, das ihn beben machte.

»Und die dritte heißt?« fragte Monsieur.

»Marie, Monseigneur,« antwortete der Cardinal.

Ohne Zweifel lag in diesem Wort eine Zauberkraft, denn der König bebte, wie gesagt, als er es hörte; er zog Madame gegen die Mitte des Kreises, als wollte er irgend eine vertrauliche Frage an sie richten, in Wirklichkeit aber, um sich dem Cardinal zu nähern, und sagte hier lachend und mit halber Stimme:

»Frau Tante, mein Lehrer in der Geographie hat mich nicht davon unterrichtet, daß Blois so wunderbar weit von Paris entfernt ist.«

»Wie so, mein Neffe?« fragte Madame.

»Es scheint in der That, die Moden brauchen mehrere Jahre, um diesen Raum zu durchdringen. Seht doch die Fräulein an!«

»Ich kenne sie.«

»Einige sind hübsch.«

»Sagt das nicht so laut, Herr Neffe, Ihr werdet sie verrückt machen.«

»Wartet, wartet, meine liebe Tante,« erwiederte der König lächelnd, »der zweite Theil meines Satzes muß den ersten verbessern. Nun! meine liebe Tante, Einige scheinen alt und Andere scheinen häßlich zu sein durch ihre zehnjährigen Moden.«

»Aber, Sire, Blois ist nur fünf Tagereisen von Paris entfernt.«

»Ei!« sagte der König, »das ist es, zwei Jahre Aufenthalt im Tag.«

»Ah! wahrhaftig, Ihr findet? Das ist seltsam, ich bemerke es nicht.«

»Seht, meine Tante,« fuhr Ludwig XIV. fort, indem er sich immer mehr Mazarin näherte, unter dem Vorwand, seinen Gesichtspunkt zu wählen, »schaut neben diesem gealterten Plunder, neben diesen anmaßenden Frisuren dieses einfache weiße Kleid an. Es ist ohne Zweifel eines von den Ehrenfräulein meiner Mutter, obgleich ich es nicht kenne. Seht diese einfache Tournüre, diese anmuthige Haltung! Das lasse ich mir gefallen! das ist eine Frau, während alle die Andern nur Kleider sind.«

»Mein lieber Neffe,« entgegnete Madame lachend, »diesmal hat Euch Eure Wahrsagekunst getäuscht. Die Person, welche Ihr so lobt, ist keine Pariserin, sondern eine Blaisoise.«

»Ah! meine Tante!« rief der König mit einer Miene des Zweifels.

»Nähert Euch, Louise,« sprach Madame.

Und das Mädchen, das uns schon unter diesem Namen erschienen ist, näherte sich schüchtern, erröthend und beinahe gebeugt unter dem königlichen Blick.

»Mademoiselle Louise Fransoise de la Beaume-Leblanc, Tochter des Marquis de La Vallière,« sprach Madame mit ceremoniösem Tone zum König.

Und die Vorgestellte verbeugte sich mit so viel Anmuth unter der tiefen Schüchternheit, die ihr die Gegenwart des Königs einflößte, daß dieser, sie anschauend, einige Worte des Gesprächs von Monsieur und dem Cardinal verlor.

»Stieftochter,« fuhr Madame fort, »von Herrn von Saint-Remy, der bei der Bereitung des vortrefflichen getrüffelten Truthahns, den Eure Majestät so sehr lobte, präsidirte.«

Es gab keine Anmuth, keine Schönheit, keine Jugend, die einer solchen Vorstellung widerstehen konnte. Der König lächelte. Mochten die Worte von Madame ein Scherz oder eine Naivetät sein, es war jedenfalls die unbarmherzige Aufopferung Alles dessen, was Ludwig reizend und poetisch an dem Mädchen gefunden hatte.

Fräulein de la Vallière war für Madame und durch den Gegenschlag für den König im Augenblick nur die Stieftochter eines Mannes, der ein erhabenes Talent für getrüffelte wälsche Hühner besaß.

Doch die Fürsten sind einmal so beschaffen. Die Götter waren auch so im Olymp. Diana und Venus mußten wohl die schöne Alkmene und die arme Jo mißhandeln, wenn man sich aus Zerstreuung herabließ, zwischen Nektar und Ambrosia von den sterblichen Schönheiten bei der Tafel von Jupiter zu sprechen.

Zum Glück War Louise so tief gebückt, daß sie die Worte von Madame nicht hörte, daß sie das Lächeln des Königs nicht sah. Wenn dieses arme Kind, das genug guten Geschmack besaß, um allein unter allen seinen Gefährtinnen auf den Einfall zu kommen, sich weiß zu kleiden, wenn dieses für alle Schmerzen so leicht Zugängliche Herz von den grausamen Worten von Madame, von dem selbstsüchtigen und kalten Lächeln des Königs berührt worden wäre, die Unglückliche würde auf der Stelle gestorben sein.

Und Montalais selbst, das Mädchen mit den geistreichen Ideen, hätte es nicht versucht, sie zum Leben zurückzurufen, denn die Lächerlichkeit tödtet Alles, selbst die Schönheit.

Doch Louise, der die Ohren summten, deren Augen verschleiert waren, hörte, wie gesagt, zum Glück nichts, sah nichts, und der König, dessen Aufmerksamkeit beständig auf die Unterhaltung des Cardinals mit seinem Oheim gerichtet war, beeilte sich, zu diesen zurückzukehren.

Er kam gerade in dem Augenblick, wo Mazarin mit den Worten endigte:

»Marie reist mit ihren Schwestern in dieser Stunde nach Brouage ab. Ich lasse sie dem User der Loire folgen, das dem entgegengesetzt ist, welchem wir folgen, und wenn ich ihre Reise gut berechne, so werden sie nach den Befehlen, die ich gegeben habe, morgen auf der Höhe voll Blois sein.«

Diese Worte wurden mit dem Takt, der Maßhaltung, der Sicherheit rücksichtlich des Tons, der Absicht und des Gewichts gesprochen, welche del Signor Giulio Mazarini den ersten Komödianten der Welt machten.

Folge hiervon war, daß sie gerade in das Herz von Ludwig XlV. trafen, und daß der Cardinal, als er sich auf das einfache Geräusch der Tritte Seiner Majestät, welche sich eben näherte, umwandte, auf dem Antlitz seines Zöglings die unmittelbare Wirkung wahrnahm, die eine einfache Röthe den Augen Seiner Eminenz verrieth. Was war es aber auch, ein so einfaches Geheimniß zu ergründen, für denjenigen, dessen Schlauheit seit zwanzig Jahren alle Diplomaten Europas überlistet hatte?

Es schien von nun an, sobald er diese letzten Worte gehört, als hätte der König einen vergifteten Pfeil ins Herz bekommen. Er hielt es nicht mehr am Platze aus, er ließ einen unsichern, todten Blick auf dieser ganzen Versammlung umherschweifen. Er befragte mehr als zwanzigmal mit dem Auge die Königin Mutter, die sich dem Vergnügen der Unterhaltung mit ihrer Schwägerin hingab und überdies, durch den Blick von Mazarin zurückgehalten, die in den Mienen ihres Sohnes enthaltenen Bitten nicht zu verstehen schien.

Von diesem Augenblick an wurde Alles, Musik, Blumen, Lichter, Schönheiten, verhaßt und albern für Ludwig XIV. Nachdem er sich hundertmal auf die Lippen gebissen, seine Arme und seine Beine gereckt hatte, wie das wohlerzogene Kind, das, weil es nicht zu gähnen wagt, alle Arten, seine Langweile kundzugeben, erschöpft; nachdem er abermals vergebens Mutter und Minister angefleht hatte, wandte er ein verzweifeltes Auge nach der Thüre, das heißt nach der Freiheit.

An dieser Thüre sah er, umrahmt von der Vertiefung, an die sie sich anlehnte, kräftig hervortretend, eine stolze Gestalt mit braunem Gesicht, einer Adlernase, einem harten, aber funkelnden Auge, grauen, langen Haaren und schwarzem Schnurrbart, einen wahren Typus militärischer Schönheit, dessen Ringkragen, mehr funkelnd als ein Spiegel, alle Lichtstrahlen, die sich auf ihm concentrirten, brach und in Blitzen, zurücksandte. Dieser Officier hatte einen grauen Hut mit rother Feder auf dem Kopf, ein Beweis, daß er im Dienst hierher berufen war, und nicht für sein Vergnügen: wäre er für sein Vergnügen erschienen, wäre er Höfling gewesen, statt Soldat zu sein, so hätte er, da man sein Vergnügen immer um einen gewissen Preis bezahlen muß, seinen Hut in der Hand gehabt.

Was noch mehr bewies, daß dieser Officier im Dienst war und eine Aufgabe, an die er gewöhnt, erfüllte, ist der Umstand, daß er mit gekreuzten Armen, mit einer merkwürdigen Gleichgültigkeit und einer erhabenen Apathie die Freuden und die Langweile dieses Festes überwachte. Er schien besonders wie ein Philosoph – alle alte Soldaten sind Philosophen – unendlich viel besser die Langweile, als die Freuden zu verstehen; doch die eine nahm er hin, während er der anderen gar wohl zu entbehren wußte.

Er lehnte also, wie gesagt, am geschnitzten Simswerk der Thüre, als die traurigen und müden Augen des Königs zufällig den seinigen begegneten.