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Der Graf von Bragelonne

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XXXIV.
Der letzte Gesang

Schon am andern Tage sah man den ganzen Adel der Umgegend, der Provinz, von überall herbeikommen, wohin die Boten die Kunde zu bringen Zeit gehabt hatten.

D’Artagnan war eingeschlossen geblieben, ohne mit Jemand sprechen zu wollen. Zwei so schwere Todesfälle, welche nach dem Tode von Porthos über den Kapitän hereinbrachen, hatten auf lange Zeit diesen bis dahin unermüdlichen Geist niedergebeugt.

Außer Grimaud, der einmal in sein Zimmer kam, erblickte der Musketier weder Bedienten, noch Hausgenossen.

Er glaubte aus dem Geräusche des Hauses, aus dem Hin – und Hergehen zu errathen, daß man Vorbereitungen zum Leichenbegängniß des Grafen traf. Er schrieb an den König, um sich einen weiteren Urlaub zu erbitten.

Grimaud war, wie gesagt, bei d’Artagnan eingetreten, und hatte sich bei der Thüre aus einen Schemel gesetzt, wie ein Mensch, der tief nachsinnt; dann war er wieder ausgestanden und hatte d’Artagnan durch ein Zeichen bedeutet, er möge ihm folgen.

Dieser gehorchte stillschweigend. Grimaud ging bis in das Schlafzimmer des Grafen hinab, deutete mit dem Finger auf den Platz des leeren Bettes und schlug die Augen beredt zum Himmel aus.

»Ja,« erwiederte d’Artagnan, »ja, guter Grimaud, beim Sohne, den er so sehr liebte.«

Grimaud verließ das Zimmer und begab sich in den Saal, wo man nach dem Gebrauche der Provinz den Leichnam, ehe man ihn für immer bestattete, in Parade hatte ausstellen müssen.

D’Artagnan war betroffen, als er zwei offene Särge in diesem Saale sah; auf die stumme Einladung von Grimaud trat er hinzu und sah in einem derselben Athos, schön bis in den Tod, und im andern Raoul, die Augen geschlossen, die Wangen geperlmuttert wie die der Pallas von Virgil, und das Lächeln auf seinen violetten Lippen.

Er schauerte, als er den Vater und den Sohn sah. Diese zwei entflohenen Seelen, aus der Erde vertreten durch zwei düstere Leichname, welche unfähig, sich einander zu nähern, so klein der Raum war, der sie trennte.

»Raoul hier!« murmelte er. »Oh! Grimaud, das sagtest Du mir nicht!«

Grimaud schüttelte den Kopf und antwortete nichts, aber er nahm d’Artagnan bei der Hand, führte ihn zu dem Sarg und zeigte ihm unter dem zarten Schweißtuch die schwarzen Wunden, durch welche das Leben entflohen sein mußte.

Der Kapitän wandte den Blick ab, und indem er es für unnütz hielt, Grimaud zu befragen, der nicht antworten würde, erinnerte er sich, daß der Secretär von Herrn von Beaufort mehr geschrieben, als er, d’Artagnan, zu lesen den Muth gehabt hatte.

Er nahm den Bericht über das Treffen, welches Raoul das Leben gekostet hatte, wieder aus und fand folgende Worte, die den letzten Paragraph des Briefes bildeten:

»Der Herr Herzog hat befohlen, den Leichnam des Herrn Vicomte einzubalsamiren, wie dies bei den Arabern gebräuchlich ist, wenn sie wollen, daß ihre Leiber in ihr Geburtsland gebracht werden, und der Herr Herzog hat Relais bestimmt, daß ein vertrauter Diener, der den jungen Mann aufgezogen, seinen Sarg zum Herrn Grafen de la Fère zurückführen könnte.«

»Ich werde also Deinem Leichenbegängniß folgen, mein armes Kind,« dachte d’Artagnan, »ich, der ich schon alt, der ich nichts mehr aus der Erde werth bin, und ich werde den Staub auf die Stirne streuen, die ich vor zwei Monaten küßte. Gott hat es gewollt. Du hast es selbst gewollt. Ich habe nicht einmal mehr das Recht, zu weinen: Du hast den Tod gewollt; er schien Dir den Vorzug vor dem Leben zu verdienen.«

Endlich kam der Augenblick, wo die kalten Hüllen dieser zwei Edelleute der Erde zurückgegeben werden sollten.

Es strömten Kriegsleute und Voll in solcher Menge herbei, daß bis zur Grabstätte, einer Kapelle aus der Ebene, der Weg von der Stadt voll von Reitern und Fußgängern in Trauerkleidern war.

Athos hatte zu seinem letzten Wohnort die kleine Umfriedung dieser Kapelle gewählt, die er an der Grenze seiner Güter erbaut. Er hatte hierzu die im Jahre 1550 vom Bildner bearbeiteten Steine von einem alten gothischen, im Berry liegenden, Herrnhause, das seine erste Jugend geschützt, kommen lassen.

So wiederaufgebaut, ruhte die Kapelle unter einer Gruppe von Pappelbäumen und Sycomoren. Jeden Sonntag verrichtete darin den Gottesdienst der Pfarrer vom benachbarten Flecken, dem Athos hierfür ein Einkommen von zweihundert Livres ausgesetzt hatte, und alle Lehnsleute seiner Herrschaft, ungefähr vierzig an der Zahl, die Feldarbeiter und die Pächter mit ihren Familien kamen hierher, um die Messe zu hören, ohne daß sie nöthig hatten, sich nach der Stadt zu begeben.

Hinter der Kapelle dehnte sich, in zwei dicke Hecken von Haselstauden, Weißdorn und Flieder eingeschlossen und umgeben von einem tiefen Graben, die kleine Befriedung aus, welche zwar unangebaut, aber heiteren Aussehens in ihrer Unfruchtbarkeit, weil die Moose hoch waren, weil die wilden Heliotrope und die Violen ihre Wohlgerüche vermengten, weil unter den Kastanienbäumen eine kräftige Quelle in einer marmornen Cisterne gefangen sprudelte, und weil aus dem Thymian rings umher Tausende von Bienen summten, welche von den benachbarten Ebenen kamen, während die Finken und die Rothkehlchen munter aus den Blüthen der Hecke sangen.

Dahin brachte man die zwei Särge inmitten einer stillen, gesammelten Menge.

Als das Todtenamt gefeiert war, als man den letzten Abschied von den edlen Hingeschiedenen genommen hatte, zerstreute sich die ganze Versammlung, auf den Wegen von den Tugenden und dem sanften Tode des Vaters, von den Hoffnungen, welche der Sohn gegeben, und von seinem traurigen Ende aus der Küste von Africa sprechend.

Allmälig erloschen die Gespräche, wie die in dem bescheidenen Schiff der Capelle angezündeten Lampen. Der Geistliche verbeugte sich zum letzten Mal vor dem Altar und den noch frischen Gräbern, und kehrte dann gefolgt von seinem Meßner, der ein heiseres Glöckchen läutete, langsam nach seinem Pfarrhause zurück.

D’Artagnan, welcher allein geblieben, bemerkte, daß es Nacht wurde.

An die Todten denkend, hatte er die Stunde vergessen.

Er stand von der eichenen Bank aus, auf die er sich in der Kapelle gesetzt hatte, und wollte, wie der Priester, einen letzten Abschied von dem doppelten Grabe nehmen, das seine verlorenen Freunde enthielt.

Eine Frau betete aus dieser feuchten Erde knieend.

D’Artagnan blieb auf der Schwelle der Kapelle stehen, um diese Frau nicht zu stören, und auch, um zu sehen, wer die fromme Freundin sei, welche die heilige Pflicht mit so viel Eifer und Beharrlichkeit übte.

Die Unbekannte verbarg ihr Gesicht unter ihren alabasterweißen Händen. An der edlen Einfachheit ihres Anzugs errieth man die Frau von Stand. Außen warteten mehrere berittene Diener und ein Reisewagen auf diese Dame. D’Artagnan suchte vergebens zu errathen, was sie aufhielt.

Sie betete immer und wischte oft mit ihrem Sacktuch über ihr Gesicht. D’Artagnan begriff, daß sie weinte.

Er sah sie mit der unbarmherzigen Zerknirschung christlicher Frauen an ihre Brust schlagen. Er hörte sie zu wiederholten Malen den aus einem geschworenen Herzen hervorkommenden Schrei: »Verzeihung! Verzeihung!« von sich geben.

Und als sie sich ganz ihrem Schmerz hinzugeben schien, als sie sich mitten unter ihren Klagen und Gebeten halb ohnmächtig zurückwarf, machte d’Artagnan gerührt aus Liebe für seine so sehr bejammerten Freunde einige Schritte gegen das Grab, um das finstere Gespräch der Büßerin mit den Todten zu unterbrechen.

Doch sein Fuß hatte nicht sobald aus dem Sande gekracht, als die Unbekannte das Haupt erhob und d’Artagnan ein von Thränen überfluthetes, ein befreundetes Gesicht sehen ließ.

Es war Fräulein de la Vallière.

»Herr d’Artagnan!« flüsterte sie.

»Ihr?« erwiederte der Kapitän mit düsterem Tone, »Ihr hier? Oh! Madame, ich hätte Euch lieber mit Blumen geschmückt im Herrenhause des Grafen de la Fère gesehen. Ihr hättet weniger geweint, sie auch, ich auch!«

»Mein Herr!« stammelte sie schluchzend.

»Denn Ihr,« fügte der unbarmherzige Freund der Todten bei, »Ihr habt diese zwei Männer in’s Grab gelegt.«

»Oh! schonet mich.«

»Mein Fräulein, Gott verhüte, daß ich eine Frau beleidige oder sie umsonst weinen mache; aber ich muß Euch sagen, daß der Platz des Mörders nicht auf dem Grabe der Opfer ist.«

Sie wollte antworten.

»Was ich Euch da sage, sagte ich dem König,« setzte er kalt hinzu.

Sie faltete die Hände.

»Ich weiß, daß ich den Tod des Vicomte von Bragelonne verursacht habe,« sprach sie.

»Ah! Ihr wißt es?«

»Die Nachricht ist gestern bei Hof eingetroffen. Ich habe seit heute Nacht um zwei Uhr vierzig Meilen gemacht, um den Grafen, den ich noch lebend glaubte, um Verzeihung zu bitten und hier aus dem Grabe von Raoul Gott anzuflehen, er möge mir alles Unglück schicken, das ich verdiene, ein einziges ausgenommen. Ich weiß nun, mein Herr, daß der Tod des Sohnes den Vater getödtet, und habe zwei Strafen zu erwarten.«

»Ich wiederhole Euch, mein Fräulein, was mir von Euch in Antibes Herr von Bragelonne gesagt hat, als er schon auf seinen Tod sann: »»Haben sie die Hoffart und die Gefallsucht fortgerissen, so verzeiht ich ihr, indem ich sie verachte. Ist sie der Liebe unterlegen, so verzeihe ich ihr und schwöre ihr zugleich, daß sie Niemand so geliebt hat, wie ich.«

»Ihr wißt,« erwiederte Louise, »daß ich für meine Liebe mich selbst zu opfern im Begriff war; Ihr wißt, ob ich gelitten, als Ihr mich verloren, sterbend, verlassen trafet! Nun denn! nie habe ich so viel gelitten, wie heute, weil ich damals hoffte, wünschte, während ich heute nichts mehr zu wünschen habe; weil dieser Todte alle meine Freude in sein Grab hinabzieht; weil ich nicht mehr ohne Gewissensbisse zu lieben wage, und ich fühle es, derjenige, welchen ich liebe . . . oh! das ist das Gesetz . . . wird mir alle Qualen zurückgeben, die ich Andere habe ausstehen lassen.«

 

D’Artagnan antwortete nichts; er fühlte zu sehr, daß sie sich nicht täuschte.

»Mein lieber Herr d’Artagnan,« fügte sie bei, »beugt mich heute nicht zu tief nieder, ich beschwöre Euch abermals. Ich bin wie der vom Stamm gelöste Zweig, ich halte an nichts mehr in dieser Welt, und ein Strom reißt mich fort, ich weiß nicht wohin. Ich liebe wahnsinnig, ich liebe in einem Grade, daß ich es, gottlos, wie ich bin, auf der Asche dieses Todten sage, und ich erröthe nicht darüber, und es macht mir keine Gewissensbisse. Diese Liebe ist eine Religion. Nur, da Ihr mich später allein, vergessen, verachtet sehen werdet; nur, da Ihr mich verachtet für das sehen werdet, was Ihr zu bestrafen bestimmt seid, schonet mich in meinem ephemeren Glück, laßt es mir ein paar Tage, laßt es mir einige Minuten. Zur Stunde, wo ich mit Euch spreche, besteht es vielleicht nicht mehr. Mein Gott! dieser doppelte Mord ist vielleicht schon gesühnt!«

Sie sprach noch; ein Geräusch von Stimmen und von Pferdetritten machte den Kapitän aufhorchen.

Ein Officier des Königs, Herr von Saint-Aignan, kam, um la Vallière im Auftrag von Ludwig XIV. aufzusuchen, den Eifersucht und Unruhe zernagten.

Saint-Aignan sah d’Artagnan nicht, da dieser halb durch einen dicken Kastanienbaum verborgen war, der seinen Schatten aus die zwei Gräber fallen ließ.

Louise dankte Saint-Aignan und entließ ihn mit einer Geberde. Er entfernte sich aus dem Gehäge.

»Ihr seht,« sprach bitter der Kapitän zu der jungen Frau, »Ihr seht, Madame, daß Euer Glück noch fortwährt.«

Die junge Frau erhob sich und erwiederte mit einer feierlichen Stimme:

»Ihr werdet eines Tags bereuen, daß Ihr mich so schlecht beurtheilt. An diesem Tage, mein Herr, will ich Gott bitten, er möge vergessen, daß Ihr ungerecht gegen mich gewesen. Ueberdies werde ich so sehr leiden, daß Ihr zuerst mein Leiden beklagen werdet. Dieses Glück, Herr d’Artagnan, werft es mir nicht vor: es kommt mich theuer zu stehen, und ich habe nicht meine ganze Schuld bezahlt.«

Nach diesen Worten kniete sie abermals sanft und liebevoll nieder und sprach:

»Zum letzten Mal bitte ich Dich um Verzeihung, mein Bräutigam Raoul. Ich habe unsere Kette gebrochen; wir sind Beide bestimmt, aus Schmerz zu sterben. Du gehst zuerst von hinnen; sei unbesorgt, ich werde Dir folgen. Sieh nur, daß ich nicht feig gewesen und daß ich gekommen bin., um Dir dieses letzte Gehab’ dich wohl zu sagen. Der Herr ist mein Zeuge, Raoul, hätte es mein Leben gekostet, das Deinige zu erkaufen, ich würde mein Leben ohne Zögern hingegeben haben. Ich konnte meine Liebe nicht geben. Noch einmal, verzeih!«

Sie pflückte einen Zweig und steckte ihn in die Erde; dann trocknete sie ihre von Thränen befeuchteten Augen, grüßte d’Artagnan und verschwand.

Der Kapitän sah Pferde, Reiter und Wagen abgehen; dann kreuzte er die Arme über seiner angeschwollenen Brust und sprach:

»Wann wird die Reihe, abzugehen, an mir sein? Was bleibt dem Menschen nach der Jugend, nach der Liebe, nach dem Ruhm, nach der Freundschaft, nach der Stärke, nach dem Reichthum? . . . Der Fels, unter dem Porthos ruht, der Alles gehabt hat, was ich genannt; dieses Moos, unter dem Athos und Raoul ruhen, welche noch viel mehr besaßen!«

Er zögerte eine Minute, das Auge ohne Blick; dann erhob er sich und fügte bei:

»Vorwärts! Wenn es Zeit ist, wird es mir Gott sagen, wie er es den Andern gesagt hat.«

Hiernach berührte er mit dem Finger die vom Abendthau befeuchtete Erde, bekreuzte sich, als wäre er beim Weihkessel einer Kirche gewesen, und schlug allein, für immer allein, den Weg nach Paris ein.

XXXV.
Epilog

Vier Jahre nach der so eben von uns geschilderten Scene ritten zwei Cavaliere auf stattlichen Rossen bei Tagesanbruch durch Blois und ordneten Alles zu einer Vogeljagd an, die der König aus der schönen Ebene machen wollte, welche die Loire entzwei schneidet, aus der Ebene, die aus einer Seite an Meung, aus der andern an Amboise grenzt.

Es war der Kapitän der Windhündinnen des Königs und der Gouverneur der Falken, zur Zeit Ludwigs XIII, sehr geachtete, aber von seinem Nachfolger ein wenig vernachläßigte Personen.

Nachdem diese beiden Reiter das Terrain recognoscirt und ihre Beobachtungen gemacht hatten, kehrten sie zurück; da erblickten sie kleine Gruppen zerstreuter Soldaten, welche Sergenten in gewissen Entfernungen von einander an den Mündungen der Ringmauer ausstellten. Das waren die Musketiere des Königs.

Hinter ihnen kam aus einem guten Pferde, erkennbar an seinen goldenen Stickereien, der Kapitän. Er hatte graue Haare, einen mit Grau vermischten Bart, Er schien ein wenig gebückt, obgleich er sein Pferd mit Leichtigkeit führte und Alles umher beschaute und überwachte.

»Herr d’Artagnan wird nicht alt,« sagte der Kapitän der Windhündinnen zu seinem Collegen, dem Falkner, »obgleich zehn Jahre älter, als wir, scheint er ein Junker zu Pferde.«

»Es ist wahr,« erwiederte der Kapitän der Falken, »seit zwanzig Jahren bleibt er immer derselbe.«

Dieser Officier täuschte sich; seit vier Jahren war d’Artagnan um zwölf Jahre älter geworden.

Das Alter drückte seine unbarmherzigen Klauen an jedem Winkel seiner Augen ein, seine Stirne hatte sich entblößt, seine einst braunen und nervigen Hände wurden weiß, als ob das Blut darin zu erkalten anfinge.

D’Artagnan redete die zwei Officiere mit jener Nuance von Leutseligkeit an, welche erhabene Menschen auszeichnet. Er empfing im Austausch gegen seine Artigkeit zwei Grüße voll Ehrfurcht.

»Ah! welch ein Glück ist es, daß wir Euch hier sehen, Herr d’Artagnan,« rief der Falkner.

»Es ist vielmehr an mir, Euch das zu sagen, meine Herren.« erwiederte d’Artagnan, »denn in unseren Tagen bedient sich der König viel öfter seiner Musketiere, als seiner Vögel.«

»Das ist nicht wie in der guten Zelt,« seufzte der Falkner. »Erinnert Ihr Euch, Herr d’Artagnan, als der selige König in den Weinbergen jenseits Beaugency beizte? Ah! Ihr waret damals nicht Kapitän der Musketiere, Herr d’Artagnan.«

»Und Ihr waret nur Gefreiter der kleinen Raubvögel,« sagte d’Artagnan heiter. »Gleichviel, das war die gute Zeit, insofern es immer die gute Zeit ist, wenn man jung ist. Gott befohlen, Herr Kapitän der Windhündinnen.«

»Ich danke, Herr Graf,« erwiederte dieser.

D’Artagnan entgegnete nichts. Der Titel Graf fiel ihm nicht aus. D’Artagnan war vier Jahre vorher Graf geworden.

»Seid Ihr nicht sehr müde von der langen Reise, die Ihr gemacht, Herr Kapitän?« fuhr der Falkner fort. »Es sind, glaube ich, zwei hundert Meilen von hier nach Pignerol?«

»Zwei hundert und sechzig bis Pignerol und eben so viel zurück,« sprach d’Artagnan ruhig.

»Und,« fragte der Vogelsteller ganz leise, »und er ist wohl?«

»Wer?« versetzt d’Artagnan.

»Der arme Herr Fouquet?« fuhr leise der Falkner fort.

Der Kapitän der Windhündinnen war aus Klugheit auf die Seite geritten.

»Nein,« antwortete d’Artagnan; »der arme Mann härmt sich im Ernste ab: er begreift nicht, daß das Gefängnis eine Gnade ist; er sagt, das Parlament habe ihn, indem es ihn verbannt, freigesprochen, und die Verbannung sei die Freiheit, Er stellt sich nicht vor, daß man seinen Tod geschworen, und daß sein Leben aus den Klauen des Parlaments retten zu viel Verbindlichkeit gegen Gott haben heißt.«

»Ah! ja, der arme Mann ist am Schaffot vorbeigestreift,« sagte der Falkner! »Herr Colbert soll Befehle dem Gouverneur der Bastille gegeben haben und die Hinrichtung schon angeordnet gewesen sein.«

»Nun!« machte d’Artagnan mit einer nachdenkenden Miene, und als wollte er das Gespräch kurz abschneiden.

»Nun!« wiederholte der Kapitän der Windhunde, der sich wieder näherte, »Herr Fouquet ist in Pignerol, und er hat es wohl verdient. Es ist ihm das Glück zu Theil geworden, von Euch dahin geführt zu werden . . . er hatte den König genug bestohlen.«

D’Artagnan schleuderte dem Hundemeister einen von seinen schlimmen Blicken zu und entgegnete:

»Mein Herr, wenn man mir sagte, Ihr habet das Brod von Euren Windhunden gegessen, so würde ich es nicht nur nicht glauben, sondern ich würde auch, wenn man Euch deshalb zum Staupbesen oder zum Kerker verurtheilte, Euch beklagen und nicht dulden, daß man schlecht von Euch spräche. Ein so redlicher Mann Ihr auch seid, mein Herr, versichere ich Euch doch, daß Ihr es nicht mehr seid, als es der arme Herr Fouquet gewesen ist.«

Nachdem er diesen scharfen Verweis, mit dem ihn der Musketier begossen, wieder abgewischt hatte, senkte der Kapitän der Hunde Seiner Majestät die Nasenspitze und ließ den Falkner ein paar Schritte voraus neben d’Artagnan reiten.

»Er kann zufrieden sein,« sagte leise der Falkner zum Musketier, »man sieht wohl, daß die Windhunde gegenwärtig in der Mode sind; wäre er Falkner, so würde er nicht ebenso sprechen.«

D’Artagnan lächelte schwermüthig, als er diese große politische Frage durch die Unzufriedenheit von einem so geringfügigen Interesse gelöst sah; er dachte abermals an jene schöne Existenz des Oberintendanten, an den Verfall seines Vermögens, an den Einsturz seines Glückes, an den traurigen Tod, der seiner harrte, und um zu schließen, fragte er:

»Liebte Herr Fouquet die Vogelhäuser?«

»Oh! leidenschaftlich, Herr Kapitän,« antwortete der Falkner mit einem Ausdruck bittern Bedauerns und mit einem Seufzer, der die Leichenrede von Herrn Fouquet war.

D’Artagnan ließ die üble Laune des Einen und die Traurigkeit des Andern vorübergehen und ritt auf der Ebene weiter.

Man sah schon in der Ferne die Züge aus den Ausgängen des Waldes hervorbrechen, die Federbüsche der Reiterinnen wie Sternschnuppen durch die Lichtungen fliegen und die weißen Rosse durch ihre leuchtenden Erscheinungen das buschreiche, düstere Gehölze durchschneiden.

»Werdet Ihr uns eine lange Jagd machen?« fragte d’Artagnan. »Ich bitte, gebt uns rasch den Vogel; ich bin sehr müde. Ist es ein Reiher, ist es ein Schwan?«

»Beides, Herr d’Artagnan,« erwiederte der Falkner; »aber seid unbesorgt, der König ist kein Kenner; er jagt nicht um seinetwillen, er will nur den Damen eine Belustigung geben.«

Das Wort den Damen wurde so betont, daß d’Artagnan die Ohren spitzte,

»Ah!« machte er, den Falken mit erstaunter Miene anschauend.

Der Kapitän der Windhunde lächelte, ohne Zweifel, um sich mit dem Musketier zu versöhnen.

»Oh! lacht immerhin,« sagte d’Artagnan; »ich weiß nichts von den Neuigkeiten, denn ich bin gestern erst wieder nach einer Abwesenheit von einem Monat angekommen. Als ich den Hof verließ, betrauerte man noch den Tod der Königin-Mutter. Der König wollte sich nicht mehr belustigen, seitdem er den letzten Seufzer von Marie Antoinette empfangen halte; aber Alles nimmt ein Ende in dieser Welt. Nun! er ist also nicht mehr traurig? desto besser!«

»Und Alles hat auch einen Anfang,« sprach der Kapitän der Windhunde mit einem schallenden Gelächter.

»Ah!« machte zum zweiten Mal d’Artagnan, der vor Begierde, das Neue zu erfahren, brannte, während ihm seine Würde verbot, Leute, welche unter ihm standen, zu befragen; »es nimmt etwas seinen Anfang, wie es scheint?«

Der Kapitän blinzelte aus eine bezeichnende Weise mit den Augen. Aber d’Artagnan wollte nichts von diesem Menschen erfahren.

»Wird man den König frühzeitig sehen?« fragte er den Falkner.

»Um sieben Uhr, mein Herr, werde ich die Vögel lanciren.«

»Wer kommt mit dem König? Wie geht es Madame? Wie geht es der Königin?«

»Besser, Herr Kapitän.«

»Sie ist also krank gewesen?«

»Mein Herr, seit dem letzten Kummer, den sie gehabt, ihr Ihre Majestät leidend geblieben.«

»Welchen Kummer? Unterrichtet mich ohne Furcht, mein lieber Herr; ich komme so eben an.«

»Ein wenig vernachläßigt seit dem Tode ihrer Schwiegermutter, scheint sich die Königin beim König beklagt zu haben, und dieser antwortete ihr, wie man sagt:

»»Schlafe ich nicht jede Nacht bei Euch? Was braucht Ihr mehr?««

»Ah!« rief d’Artagnan, »die arme Frau! Sie muß Fräulein de la Vallière sehr hassen!«

»Oh1 nein, nicht Fräulein de la Vallière,« entgegnete der Falkner.

»Wen denn?«

Der Klang der Hörner unterbrach das Gespräch. Er rief die Hunde und die Vögel. Der Falkner und sein Gefährte gaben den Pferden die Sporen, ohne daß die Anspielungen einen Sinn erhalten hatten.

Der König erschien in der Ferne, umgeben von Damen und Kavalieren. Diese ganze Truppe kam im Schritt, in schöner Ordnung, herbei; die Hörner und die Trompeten belebten die Hunde und die Pferde.

Das war eine Bewegung, ein Geräusch, eine Spiegelung von Licht, wovon jetzt nichts mehr einen Begriff zu geben vermöchte, wenn nicht der lügenhafte Reichthum und die falsche Majestät der Theaterspiele.

 

Mit einem etwas geschwächten Auge erschaute d’Artagnan hinter der Gruppe drei Wagen; der erste war der für die Königin bestimmte.

Er war leer.

D’Artagnan, der Fräulein de la Vallière nicht an der Seite des Königs erblickte, suchte sie und sah sie im zweiten Wagen.

Sie war allein mit zwei Frauen, die sich wie ihre Gebieterin zu langweilen schienen.

Zur Linken des Königs, aus einem ungestümen Rosse, das von ihrer geschickten Hand gebändigt wurde, strahlte eine Frau in der glänzendsten Schönheit. Der König lächelte ihr zu, sie lächelte dem König zu.

Alle Welt lachte geräuschvoll, wenn sie gesprochen hatte.

»Ich kenne diese Frau,« dachte der Musketier; »wer ist es denn?«

Und er neigte sich gegen seinen Freund, den Falkner, an den er diese Frage richtete.

Der Falkner wollte eben antworten, als der König d’Artagnan erblickte und ihm zurief:

»Ah! Graf, Ihr seid also zurückgekehrt. Warum habe ich Euch noch nicht gesehen?«

»Sire,« antwortete der Kapitän, »weil Eure Majestät schlief, als ich ankam, und weil sie nicht erwacht war, als ich diesen Morgen meinen Dienst übernahm.«

»Immer derselbe,« sprach mit lauter Stimme der König, zufrieden, »Ruht aus, Graf, ich befehle es Euch. Ihr werdet heute mit mir zu Mittag speisen.«

Ein Gemurmel des Bewunderns umhüllte d’Artagnan wie eine ungeheure Liebkosung. Jeder beeiferte sich um ihn. Mit dem König zu Mittag speisen, das war eine Ehre, welche Seine Majestät nicht verschwendete wie Heinrich IV.

Der König machte einige Schritte vorwärts, und d’Artagnan sah sich durch eine neue Gruppe ausgehalten, unter der Colbert glänzte.

»Guten Morgen, Herr d’Artagnan,« sagte der Miniger zu ihm mit einer leutseligen Höflichkeit, »habt Ihr eine gute Reise gehabt?«

»Ja, mein Herr,« erwiederte d’Artagnan, sich aus den Hals seines Pferdes verbeugend.

»Ich habe den König Euch zu seiner Mittagstafel einladen hören,« fuhr der Minister fort, »Ihr werdet dort einen alten Freund von Euch finden.«

»Einen alten Freund von mir?« fragte d’Artagnan, mit Schmerz in die düsteren Wellen der Vergangenheit niedertauchend, welche für ihn so viele Freundschaften und so viele Feindseligkeiten verschlungen hatten.

»Den Herrn Herzog von Alameda, der diesen Morgen von Spanien angekommen ist,« erwiederte der Minister.

»Den Herzog von Alameda!« rief d’Artagnan suchend.

»Mich!« rief ein Greis weiß wie Schnee und gebückt in seinem Wagen, den er öffnen ließ, um dem Musketier entgegenzugehen.

»Aramis!« rief d’Artagnan, von Staunen ergriffen.

Und er ließ träge, wie er war, den abgemagerten Arm des alten Herrn zitternd sich an seinen Hals hängen.

Colbert, nachdem er einen Augenblick beobachtet hatte, ritt weiter und ließ die zwei alten Freunde allein.

»Ihr seid also hier?« sagte der Musketier, während er Aramis beim Arm nahm, »Ihr, der Verbannte, der Rebell in Frankreich?«

»Und ich speise mit Euch beim König,« erwiederte lächelnd der Bischof von Vannes. »Ja, nicht wahr, Ihr fragt Euch, wozu die Treue aus der Welt diene? Laßt den Wagen der armen la Vallière vorüberfahren.

Seht, wie unruhig sie ist! seht, wie ihr durch die Thränen ermattetes Auge dem König folgt, der dort reitet!«

»Mit wem?«

»Mit Fräulein von Tonnay-Charente, welche Frau von Montespan geworden ist.«

»Sie ist eifersüchtig, sie ist also betrogen?«

»Noch nicht, d’Artagnan, doch das wird nicht lange ausbleiben.«

Sie plauderten mit einander, während sie der Jagd folgten, und der Kutscher von Aramis führte sie so geschickt, daß sie in dem Augenblick ankamen, wo der Falke seine Beute zwang, sich niederzusenken, und über sie herfiel.

Der König stieg ab, Frau von Montespan ahmte ihn nach. Man war vor eine einsame, durch Bäume, welche schon die ersten Herbstwinde entblättert hatten, verborgene Kapelle gelangt. Hinter dieser Kapelle war ein durch ein Gitterthor geschlossenes Gehäge.

Der Falke hatte die Beute genöthigt, in das an die Kapelle anstoßende Gehäge zu fallen, und der König wollte hier eindringen, um nach dem Gebrauche die erste Feder zu nehmen.

Man bildete einen Kreis um das Gebäude und die Hecken, welche zu klein waren, um die ganze Gesellschaft zu empfangen.

Aramis wollte aus dem Magen steigen wie die Anderen. Doch d’Artagnan hielt ihn zurück und sagte mit kurzem Tone:

»Wißt Ihr, Aramis, wohin uns der Zufall geführt hat?«

»Nein,« erwiederte der Herzog.

»Hier ruhen die Leute, die ich gekannt habe,« sprach d’Artagnan, tief bewegt durch eine traurige Erinnerung.

Ohne etwas zu errathen und mit zitterndem Schritte trat Aramis in die Kapelle durch eine kleine Thüre ein, die ihm d’Artagnan öffnete.

»Wo sind sie begraben?« fragte er.

»Dort in dem Gehäge. Ihr seht, es ist ein Kreuz unter jener kleinen Cypresse. Geht nicht dorthin, der König begibt sich dahin, der Reiher ist dort gefallen.«

Aramis blieb stehen und verbarg sich im Schatten. Sie sahen nun, ohne gesehen zu werden, das Gesicht von la Vallière; in ihrem Wagen vergessen, hatte diese Anfangs schwermüthig über ihren Schlag hinausgeschaut; dann war sie, von der Eifersucht fortgerissen, in die Kapelle gegangen, wo sie, an einen Pfeiler angelehnt, den lächelnden König betrachtete, der Frau von Montespan durch ein Zeichen bedeutete, sie möge näher kommen und nicht bange haben.

Frau von Montespan näherte sich; sie nahm die Hand, die ihr der König bot; dieser riß die erste Feder dem Reiher aus, den der Falke erwürgt hatte, und befestigte sie am Hut seiner schönen Gefährtin.

Ebenfalls lächelnd, küßte sie nun zärtlich die Hand, die ihr dieses Geschenk machte.

Der König erröthete vor Vergnügen; er schaute Frau von Montespan mit dem Feuer des Verlangens und der Liebe an.

»Was werdet Ihr mir dagegen geben?« fragte er.

Sie riß einen Zweig von der Cypresse ab und reichte ihn dem von Hoffnung berauschten König.

»Das ist ein trauriges Geschenk,« sagte Aramis leise zu d’Artagnan. »Die Cypresse beschattet ein Grab.«

»Ja, und dieses Grab ist das von Raoul von Bragelonne,« erwiederte d’Artagnan ganz laut, »von Raoul, der unter jenem Kreuze neben Athos, seinem Vater, schläft.«

Ein Seufzer wurde hinter ihnen hörbar. Sie sahen eine Frau ohnmächtig niederfallen. La Vallière hatte Alles gesehen und Alles gehört.

»Arme Frau!« murmelte d’Artagnan, der ihren Dienerinnen sie in ihren Wagen bringen half, »nun ist es an ihr, zu leiden.«

Am Abend setzte sich d’Artagnan wirklich an die Tafel des Königs, neben Herrn Colbert und den Herrn Herzog von Alameda.

Der König war heiter. Er sagte tausend Artigkeiten der Königin, tausend Zärtlichkeiten Madame, welche an seiner Linken saß und sehr traurig aussah. Man hätte glauben sollen, Man befinde sich in der Zeit der Ruhe, da der König in den Augen seiner Mutter auf die Billigung oder die Mißbilligung dessen, was er gesagt, lauerte.

Von Geliebtinnen war bei diesem Mahle nicht die Rede. Der König richtete wiederholt das Wort an Aramis, den er Herr Botschafter nannte, was das Erstaunen vermehrte, das d’Artagnan schon darüber fühlte, daß er seinen Freund, den Rebellen, so vortrefflich am Hofe ausgenommen, so wohl gelitten sah.

Als der König ausstand, machte er Colbert, dessen Auge das des Herrn bespähte, ein Zeichen.

Colbert nahm d’Artagnan und Aramis beiseit. Der König plauderte mit seiner Schwägerin, während sich Monsieur unruhig und mit einer ängstlichen Miene, ohne seine Frau und seinen Bruder mit dem Augenwinkel zu verlassen, mit der Königin unterhielt.

Das Gespräch zwischen Aramis, d’Artagnan und Colbert drehte sich um verschiedene Gegenstände. Es war von den vorhergehenden Ministern die Rede. Colbert erzählte von Mazarin und ließ sich von Richelieu erzählen.

D’Artagnan mußte unablässig staunend diesen Mann mit den dicken Augenbrauen und der niedrigen Stirne anschauen, der so großes Wissen und eine so heitere Laune entwickelte. Aramis wunderte sich über diese Leichtigkeit des Geistes, die es einem ernsten Mann gestattete, den Augenblick einer tieferen Unterredung zu verzögern, auf die Niemand anspielte, obgleich die drei Redenden fühlten, daß sie nahe bevorstand.