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Der Graf von Bragelonne

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XXIV.
Der Tod eines Titanen

In dem Augenblick, wo Porthos, mehr an die Dunkelheit gewöhnt, als alle diese aus der Helle kommenden Leute, umherschaute, um zusehen, ob ihm nicht in dieser Nacht Aramis irgend ein Zeichen machen würde, fühlte er sich sanft beim Arm berührt, und eine Stimme so schwach wie ein Hauch flüsterte ihm in’s Ohr:

»Kommt!«

»Oh!« machte Porthos.

»Stille!« sagte Aramis noch leiser.

Und mitten unter dem Geräusch der immer mehr vorrückenden dritten Brigade, mitten unter den Verwünschungen der aufrecht gebliebenen Garden, der ihren letzten Seufzer röchelnden Sterbenden schlüpften Aramis und Porthos an den Granitwänden der Höhle hin.

Aramis führte Porthos in die vorletzte Abtheilung und zeigte ihm in einer Vertiefung der Mauer ein Fäßchen Pulver von sechzig bis achtzig Pfund, woran er eine Lunte befestigt hatte.

»Freund,« sprach er zu Porthos, »Ihr nehmt dieses Fäßchen, dessen Lunte ich anzünden werde, und werft es mitten unter unsere Feinde; könnt Ihr es?«

»Bei Gott!« erwiederte Porthos, und er hob die kleine Tonne mit einer Hand aus. »Zündet an.«

»Wartet, bis sie Alle in einer Masse beisammen sind, und dann mein Jupiter, schleudert Euren Blitz in ihre Mitte.«

»Zündet an,« wiederholte Porthos.

»Ich,« fuhr Aramis fort, »ich will unsern Bretanniern folgen und ihnen die Barke ins Meer schaffen helfen. Ich erwarte Euch am Ufer. Schleudert fest und lauft dann zu uns.«

»Zündet an,« sprach Porthos zum letzten Mal.

»Ihr habt begriffen?« fragte Aramis.

»Bei Gott!« erwiederte Porthos in ein Gelächter ausbrechend, das er nicht einmal zu ersticken suchte, »wenn man mir erklärt, begreife ich; geht, und gebt mir das Feuer.«

Aramis gab den brennenden Zunder Porthos, und dieser reichte ihm, in Ermangelung der Hand, den Arm zum Drücken.

Aramis drückte mit seinen beiden Händen den Arm von Porthos, und kehrte bis zum Ausgang der Höhle zurück, wo ihn die drei Ruderer erwarteten.

Als Porthos allein war, hielt er muthig den Zündschwamm an die Lunte.

Der Schwamm, ein schwacher Funke, der Uransaug eines ungeheuren Brandes, glänzte in der Dunkelheit wie ein fliegender Glühkäfer, hing sich dann an die Lunte an und entzündete diese, wobei Porthos die Flamme mit seinem Hauche belebte.

Der Rauch hatte sich ein wenig zerstreut, und beim Schimmer der knisternden Lunte konnte man ein paar Secunden die Gegenstände unterscheiden.

Er bot ein kurzes, aber glänzendes Schauspiel, dieser bleiche, blutige Riese, dessen Gesicht das Feuer der in der Finsterniß brennenden Lunte erleuchtete.

Die Soldaten sahen ihn. Sie sahen die Tonne, die er in seiner Hand hielt. Sie begriffen, was vorgehen sollte.

Schon voll Schrecken beim Anblick dessen, was vorgefallen war, voll Schrecken in Gedanken an das, was sich ereignen sollte, stießen nun diese Leute alle gleichzeitig ein Gebrülle der Todesangst aus.

Die Einen versuchten es, zu entfliehen, aber sie trafen aus die dritte Brigade, die ihnen den Weg versperrte; die Andern schlugen maschinenmäßig an und schoßen mit ihren entladenen Musketen, wieder Andere fielen auf ihre Kniee.

Ein paar Officiere riefen Porthos zu, um ihm die Freiheit zu versprechen, wenn er ihnen das Leben schenken würde.

Der Lieutenant der dritten Brigade befahl, zu feuern, aber die Garden hatten ihre erschrockenen Kameraden vor sich, welche Porthos als lebendiger Wall dienten.

Das durch das Blasen von Porthos aus den Zündschwamm und auf die Lunte hervorgebrachte Licht dauerte, wie gesagt, nur zwei Secunden. Doch während dieser zwei Secunden erhellte es: einmal den in der Finsterniß sich vergrößernden Riesen, dann zwei Schritte von ihm einen Hausen blutiger, zerschmetterter, zermalmter Körper, unter denen noch ein letztes Schauern des Todeskampfes lebte, das die Masse aufhob, wie ein letztes Athmen die Seiten eines in der Nacht verscheidenden ungestalten Ungeheuers aushebt.

Die Lunte wiederbelebend, sandte jeder Hauch von Porthos auf diesen Haufen von Leichnamen einen schwefeligen Ton, durchschnitten von purpurnen Streifen.

Außer dieser Hauptgruppe schienen, in der Grotte zerstreut, je nachdem sie der Zufall des Todes oder die Ueberraschung des Schlages niedergestreckt hatte, einige vereinzelte Leichname mit ihren gähnenden Wunden zu drohen.

Über diesem aus einem Blutschlamm gekneteten Boden erhoben sich unheimlich und schimmernd die untersetzten Pfeiler der Höhle, deren kräftig bezeichnete Nuancen die leuchtenden Theile hervorhoben.

Und dies Alles wurde gesehen bei dem zitternden Feuer einer Lunte, welche mit einer Pulvertonne in Verbindung stand, das heißt bei einer Fackel, die, den vergangenen Tod beleuchtend, den zukünftigen Tod zeigte.

Dieses Schauspiel dauerte, wie gesagt, nur ein paar Secunden. Während dieses kurzen Zeitraums versammelte ein Officier der dritten Brigade acht Soldaten und befahl ihnen, durch eine Oeffnung auf Porthos zu feuern.

Doch diejenigen, welche Befehl erhielten, zu schießen, zitterten dergestalt, daß aus ihr Feuern drei Garden fielen und die fünf anderen Kugeln zischend das Gewölbe streiften, die Erde durchfurchten oder die Wände der Grotte aushöhlten.

Ein schallendes Gelächter antwortete aus diesen Donner, dann wiegte sich der Arm des Riesen, dann sah man, einem glänzenden Stern ähnlich, den Feuerstreifen durch die Lust hinzucken.

Aus dreißig Schritte geschleudert, flog das Fäßchen über die Barricade der Leichname und fiel in eine heulende Gruppe von Soldaten, die sich aus den platten Bauch warfen.

Der Officier war in der Lust dem glänzenden Streiken gefolgt; er wollte sich auf das Fäßchen werfen, um die Lunte abzureißen, ehe sie das Pulver erreichte, welches darin enthalten war.

Eine vergebliche Aufopferung: die Lust hatte die am Leiter befestigte Flamme angefacht; die Lunte, welche in Ruhe zehn Minuten gebrannt hätte, war in dreißig Sekunden verzehrt, und das höllische Werk kam zum Ausbruch.

Wüthende Wirbel, Zischen und Prasseln des Schwefels und des Salpeters, gräßliche Verwüstungen des Alles verschlingenden Feuers, erschrecklicher Donner der Explosion, das war es, was die Sekunde, welche aus die zwei von uns beschriebenen Sekunden folgte, in dieser Höhle, die an Gräueln einer Höhle von Teufeln ähnlich, sich erzeugen sah.

Die Felsen spalteten sich wie tannene Bretter unter der Art. Ein Strahl von Feuer, Rauch und Trümmern warf sich mitten in der Grotte empor und breitete sich immer mehr aus, je mehr er ausstieg. Die großen Feuersteinwände neigten sich, um sich aus dem Sande niederzulegen, und der Sand selbst, ein Werkzeug des Schmerzes, durchsiebte, aus seinen verhärteten Lagern geschleudert, das Gesicht mit seinen Myriaden verwundender Atome.

Das Geschrei, das Geheul, die Flüche, die Verwünschungen, die Existenzen, Alles erlosch in einem ungeheuren Gekrache. Die drei ersten Abtheilungen wurden ein Schlund, in den einer nach dem andern, je nach ihrer Schwere, alle vegetabilische, animalische und menschliche Trümmer versanken.

Dann fielen, leichter, der Sand und die Asche auch und breiteten sich wie ein gräuliches, rauchendes Bahrtuch über diesem schauderhaften Leichenschlunde aus.

Und nun suchet in dieser brennenden Grube, in diesem unterirdischen Vulkan die Garden des Königs mit ihren blauen, silberbetreßten Röcken.

Suchet die von Gold glänzenden Officiere, suchet die Waffen, auf die sie zu ihrer Vertheidigung gezählt hatten, suchet die Steine, die sie getödtet, suchet den Boden, der sie trug.

Ein einziger Mensch hat aus dem Allem ein Chaos gemacht, das verworrener, ungestalter, gräßlicher, als das Chaos, welches eine Stunde, ehe Gott den Gedanken hatte, die Welt zu schassen, bestand.

Es blieb nichts von den drei ersten Abtheilungen übrig, nichts, was Gott selbst als sein Werk zu erkennen im Stande gewesen wäre.

Porthos aber, nachdem er das Pulverfäßchen mitten unter die Feinde geschleudert, war, nach dem Rathe von Aramis, geflohen und hatte die letzte Abtheilung der Grotte erreicht, in welche die Luft, das Licht und die Sonne eindrangen.

Kaum hatte er sich um die Ecke gewandt, welche die dritte Abtheilung von der vierten trennte, als er hundert Schritte vor sich die aus den Wellen schaukelnde Barke erblickte; dort waren seine Freunde; dort war die Freiheit; dort war das Leben nach dem Sieg.

Noch sechs von seinen ungeheuren Schritten, und er war außerhalb des Gewölbes; zwei bis drei kräftige Sprünge, und er berührte die Barke.

Plötzlich fühlte er seine Kniee, als wären sie hohl, unter seinem Leibe erschlaffen; seine Beine erweichten sich.

»Ho! ho!« murmelte er erstaunt, »meine Müdigkeit erfaßt mich wieder, ich kann nicht mehr gehen. Was soll das bedeuten?«

Aramis erblickte ihn durch die Oeffnung und rief ihm zu, da er nicht begriff, warum er so stehen blieb:

»Kommt, Porthos! Kommt, kommt geschwinde.«

»Oh!« erwiederte der Riese, während er eine Anstrengung machte, welche vergebens alle Muskeln seines Körpers spannte, »ich kann nicht.«

Nach diesen Worten fiel er aus seine Kniee; doch mit seinen mächtigen Händen klammerte er sich an den Felsen an und erhob sich wieder.

»Geschwinde! geschwinde!« wiederholte Aramis, sich gegen das Ufer bückend, als wollte er mit seinen Armen Porthos an sich ziehen.

»Hier bin ich,« stammelte Porthos, alle seine Kräfte zusammenraffend, um einen Schritt mehr zu machen.

»In des Himmels Namen, Porthos, kommt! kommt! die Tonne wird springen!«

»Kommt, gnädiger Herr,« riefen die Bretannier Porthos zu, der sich zerarbeitete wie in einem Traum.

Doch es war nicht mehr Zeit; die Explosion fand statt, die Erde barst, der Rauch qualmte durch die breiten Spalten heraus und verdunkelte den Himmel, das Meer floß zurück wie fortgetrieben durch den Hauch des Feuers, das aus der Grotte hervorzuckte wie der Rachen einer riesigen Chimäre; die Ebbe riß die Barke auf zwanzig Klafter vom Ufer weg; alle Felsen krachten auf ihrer Glundfeste und trennten sich wie Holzklötze unter der Gewalt der Keile; man sah einen Theil des Gewölbes zum Himmel emporspringen; das rosenfarbene und grüne Feuer des Schwefels, die schwarze Lava der thonigen Schmelzungen bekämpften sich einen Augenblick unter einem majestätischen Dom von Rauch; dann sah man sie zuerst schwanken, dann sich neigen, dann allmälig fallen, die Felskämme, welche die Gewalt der Explosion nicht hatte von ihren Jahrhunderte alten Sockeln entwurzeln können; sie grüßten einander wie ernste, langsame Greise, und endlich stürzten sie nieder, um aux ewig in ihrem staubigen Grabe zu liegen.

 

Dieser furchtbare Schlag schien Porthos die Kräfte wiederzugeben, die er verloren hatte; er erhob sich, selbst ein Riese unter diesen Riesen. Doch in dem Augenblick, wo er zwischen der doppelten Reihe von Granitgespenstern durch floh, begannen die letzteren, welche nicht mehr durch die mit einander verbundenen Ketten gehalten wurden, krachend um diesen Titanen zu rollen, der vom Himmel herab mitten unter die Felsen, die er gegen ihn geschleudert, gestürzt schien.

Porthos fühlte den’ durch das lange Zerreißen erschütterten Boden unter seinen Füßen zittern. Er streckte rechts und links seine gewaltigen Hände aus, um die einstürzenden Felsen zurückzustoßen. Ein riesiger Block lehnte sich an jede von seinen ausgestreckten flachen Händen an; er neigte das Haupt, und eine dritte Granitmasse senkte sich zwischen seine beiden Schultern herab.

Einen Augenblick hatten die Arme von Porthos nachgegeben, doch der Hercules raffte alle seine Kräfte zusammen, und man sah die zwei Wände dieses Gefängnisses, in welchem er begraben war, sich langsam entfernen und ihm Platz machen. Einen Augenblick erschien er in dem Granitrahmen wie der antike Engel des Chaos, aber indem er die Seitenfelsen zurückschob, benahm er seinen Stützpunkt dem Block, der aus seinen starken Schultern lastete, und mit seinem ganzen Gewichte aus ihn drückend, stürzte der Steinblock den Riesen aus seine Kniee nieder.

Die einen Moment entfernten Seitenfelsen näherten sich und fügten ihr Gewicht dem Urgewichte bei, das genügt hätte, um zehn Menschen zu zermalmen.

Der Riese fiel, ohne um Hülse zu rufen, er fiel, indem er Aramis mit Worten der Ermuthigung und der Hoffnung antwortete, denn er konnte einen Augenblick glauben, er würde wie der Riese Enkelados durch den mächtigen Strebepfeiler seiner Hände das dreifache Gewicht abschütteln. Doch allmälig sah Aramis den Block niedersinken; die kurze Zeit krampfhaft gespannten Hände, die durch eine letzte Anstrengung starr ausgestreckten Arme erschlafften, und der Fels senkte sich stufenweise.

»Porthos! Porthos!« rief Aramis, sich die Haare ausraufend, »Porthos, wo bist Du? Sprich!«

»Hier! hier!« murmelte Porthos mit erlöschender Stimme, »Geduld! Geduld!«

Er vollendete kaum das letzte Wort; der Impuls des Falles vermehrte das Gewicht, der ungeheure Fels stürzte nieder gepreßt durch die zwei anderen, die auf ihn stürzten, und verschlang Porthos in einem Grabe Erbrochener Steine.

Als Aramis die verscheidende Stimme seines Freundes hörte, sprang er ans Land. Zwei von den Bretanniern folgten ihm, einen Hebebaum in der Hand, da ein einziger genügte, um die Barke zu bewachen. Das letzte Röcheln des muthigen Streiters leitete sie im Schutt.

Funkelnd, herrlich, jung wie mit zwanzig Jahren, stürzte Aramis nach der dreifachen Masse, und mit seinen Händen, die so zart wie Frauenhände, hob er durch ein Wunder der Kraft eine Ecke von dem ungeheuren Granitgrabe auf. Da erblickte er in der Finsterniß dieses Grabes das noch glänzende Auge seines Freundes, dem die einen Moment aufgehobene Masse den Athem wieder gegeben hatte. Sogleich klammerten sich die zwei Männer an die eiserne Hebestange an und vereinigten ihre angestrengten Kräfte mit denen von Aramis, nicht um sie auszudrücken, sondern um sie zu halten. Alles war vergeblich; die drei Männer gaben langsam unter Schmerzensschreien nach, und die rauhe Stimme von Porthos, als er sah, wie sie sich in einem unnützen Kampfe erschöpften, murmelte mit spöttischem Tone die letzten Worte, welche mit seinem letzten Athem bis aus die Lippen kamen:

»Zu schwer!«

Wonach das Auge sich verdunkelte und schloß, das Gesicht erbleichte, die Hand weiß wurde und der Titane einen letzten Seufzer ausstoßend sich niederlegte.

Mit ihm sank der Fels nieder, den er selbst noch in seinem Todeskampfe gehalten hattet

Die drei Männer ließen die Hebestange los, und diese rollte aus den Grabstein.

Keuchend, bleich, den Schweiß aus der Stirne, die Brust zusammengepreßt, das Herz dem Zerspringen nahe, horchte Aramis.

Nichts mehrt Der Riese schlief den ewigen Schlaf in dem Grabe, das ihm Gott für seine Gestalt gemacht hatte.

XXV.
Die Grabschrift von Porthos

Schweigsam, in Eis verwandelt, zitternd wie ein furchtsames Kind erhob, sich Aramis über diesem Stein.

Ein Christ geht nicht aus Gräbern.

Im Stande, sich aufrecht zu erhalten, war er unfähig, zu gehen. Man hätte glauben sollen, etwas vom todten Porthos wäre in ihm gestorben.

Seine Bretannier umgaben ihn. Aramis überließ sich ihren Händen; die drei Seeleute hoben ihn aus und trugen ihn in die Barke. Nachdem sie ihn aus die Bank beim Steuerruder gelegt hatten, ruderten sie aus allen Kräften, denn sie wollten lieber rudernd sich entfernen, als das Segel hissen, das sie verrathen konnte.

Auf der ganzen geebneten Oberfläche der ehemaligen Grotte von Locmaria, auf diesem abgeflachten Strand, zog ein einziger Hügel den Blick an. Aramis konnte seine Augen nicht davon losmachen und von fern, aus der See, schien der drohende, stolze Fels emporzuragen, wie einst Porthos emporragte, um zum Himmel ein lächelndes, unbesiegbares Haupt zu erheben, wie das des redlichen, muthigen Freundes, des Stärksten von den Vieren, der jedoch zuerst gestorben.

Ein seltsames Geschick, das Geschick dieser ehernen Männer! Der Einfachste dem Gemüthe nach mit dem Schlausten verbunden; die Kraft des Körpers geleitet durch die Feinheit des Geistes; und im entscheidenden Augenblick, da die Stärke allein Geist und Körper retten konnte, triumphirte ein Stein, ein Fels, ein gemeines, materielles Gewicht über die Stärke, stürzte aus den Körper ein und vertrieb den Geist.

Würdiger Porthos! geboren, um den anderen Menschen zu helfen, immer bereit, sich der Rettung, dem Heile der Schwachen zu opfern, als hätte ihm Gott die Kraft nur zu diesem Gebrauche gegeben, hatte er bloß die Bedingungen seines Vertrags mit Aramis zu erfüllen geglaubt, eines Vertrags, den jedoch Aramis allein abgfaßt, und den Porthos nur kennen gelernt, um die furchtbare gemeinschaftliche Verbindlichkeit davon zu fordern!

Edler Porthos! Wozu nützen die von herrlichem Geräthe strotzenden Schlösser, die von Wildbret strotzenden Wälder, die von Fischen strotzenden Teiche, die von Reichthümern strotzenden Keller! Wozu nützen die Lackeien mit den glänzenden Livreen, und mitten unter ihnen Mousqueton, stolz auf die ihm von Dir übertragene Gewalt! O edler Porthos! sorgsamer Anhäufer von Schätzen, mußtest Du so viel arbeiten, Dein Leben zu vergolden und zu versüßen, um Dich am Ende aus einem öden Gestade, bei dem Geschrei der Vögel des Oceans, mit zerschellten Knochen unter einem kalten Stein auszustrecken! Mußtest Du edler, Porthos, so viel Gold ansammeln, um nicht einmal das Distichon eines armen Poeten aus Deinem Grabmale zu haben!

Muthiger Porthos! Er schläft ohne Zweifel noch, vergessen, verloren unter dem Felsen, welchen die Hirten der Heide für das riesige Dach eines Dolmen halten.

Und so viel kräftiges Heidekraut, so viele vom bittern Wind des Oceans bestrichene Moose, so viele ausdauernde Flechten haben das Grab mit der Erde verlöthet, daß nie ein Vorübergehender sich einzubilden vermöchte, ein solcher Granitblock habe von der Schulter eines Sterblichen ausgehoben werden können.

Immer kalt, immer zu Eis erstarrt, das Herz an den Lippen, schaute Aramis bis zum letzten Strahl des Tages nach dem am Horizont verschwindenden Gestade.

Nicht ein Wort hauchte sich seinem Munde aus, nicht ein Seufzer hob seine tiefe Brust.

Die abergläubischen Bretannier schauten ihn zitternd an. Dieses Stillschweigen war nicht das eines Menschen, sondern das einer Bildsäule.

Bei den ersten grauen Linien, welche vom Himmel herabstiegen, hatte indessen die Barke ihr kleines Segel gehißt, das sich beim Kusse des Windes rundete; rasch entfernte sich das Fahrzeug von der Küste, und den Schnabel gegen Spanien gerichtet, schwamm es muthig durch den schrecklichen, an Stürmen so fruchtbaren Golf von Gascogne.

Doch kaum eine halbe Stunde, nachdem das Segel gehißt war, beugten sich die Ruderer, unthätig geworden, über ihre Bänke, machten sich einen Lichtschirm aus ihrer Hand und zeigten sich einander einen weißen Punkt, der am Horizont erschien, ebenso unbeweglich, als es scheinbar eine durch das unerklärliche Athemholen der Wellen gewiegte Möwe ist.

Was aber gewöhnlichen Augen unbeweglich geschienen, ging mit raschem Schritte für das geübte Auge des Seemanns; was aus der See festzustehen schien, streifte behende über die Wellen hin.

Eine Zeit lang, da sie die tiefe Erstarrung sahen, in welche der Gebieter versunken war, wagten sie es nicht, ihn zu erwecken, und sie begnügten sich damit, daß sie ihre Muthmaßungen mit leiser, ängstlicher Stimme austauschten. Aramis, der sonst so thätig, so wachsam, Aramis, dessen Auge wie das des Luchses unablässig lauerte und bei Nacht besser sah, als bei Tag, Aramis entschlummerte in der Verzweiflung seiner Seele.

So verging eine Stunde, während welcher der Tag allmälig abnahm, während welcher aber auch das Schiff, das man sah, es so sehr der Barke an rascher Fahrt zuvorthat, daß Goennec, einer von den drei Seeleuten, endlich laut zu sagen wagte:

»Monseigneur, man macht Jagd aus uns!« Aramis antwortete nichts. Das Schiff kam immer mehr heran.

Aus den Befehl des Patrons Yves zogen nun die zwei Matrosen das Segel ein, damit dieser einzige Punkt, der aus der Oberfläche der Wellen erschien, das feindliche Auge, das sie verfolgte, zu leiten aufhörte.

Von Seiten des Schiffes beschleunigte sich im Gegentheil die Verfolgung durch zwei neue Segel, die man am Ende der Masten aussteigen sah.

Zum Unglück war man in den schönsten und längsten Tagen des Jahres, und der Mond folgte in seiner ganzen Klarheit aus den unseligen Abend. Den Wind hinter sich, hatte das Schiff, das die kleine Barke verfolgte, also noch eine halbe Stunde Dämmerung und eine ganze Nacht Halbhelle.

»Monseigneur! wir sind verloren!« sagte der Patron; »schaut! Sie sehen uns, obgleich wir unser Segel eingezogen haben.«

»Darüber braucht man sich nicht zu wundern,« murmelte einer von den Matrosen; »man sagt, mit Hilfe des Teufels haben die Leute von den Städten Instrumente erfunden, mit denen sie so gut von fern, als von nahe, so gut bei Nacht, als bei Tag sehen.«

Aramis nahm aus der Barke ein Fernrohr, richtete es stillschweigend, gab es dem Matrosen und sagte:

»Nehmt und schaut.«

Der Matrose zögerte.

»Seid unbesorgt,« sprach der Bischof, »es ist keine Sünde, und wenn es eine Sünde ist, so nehme ich sie auf mich.«

Der Matrose hielt das Fernrohr an sein Auge und stieß einen Schrei aus.

Es war ihm vorgekommen, als hätte das Schiff, das ihm kaum einen Kanonenschuß weit entfernt erschien, den Raum plötzlich und mit einem Sprung zurückgelegt.

Als er aber das Instrument von seinem Auge zurückzog, bemerkte er, daß das Schiff, abgesehen von dem Weg, den es während dieses kurzen Moments hatte machen können, noch in der gleichen Entfernung war.

»Sie sehen uns also, wie wir sie sehen,« murmelte der Matrose.

»Sie sehen uns,« wiederholte Aramis, und er versank abermals in seine Unempfindlichkeit.

»Wie! sie sehen uns!« sagte der Patron Yves; »unmöglich!«

»Schaut, Patron!« rief der Matrose.

Und er reichte ihm das Fernrohr.

»Monseigneur versichert mich, der Teufel habe nichts mit dem Allem zu schassen?« fragte der Patron.

Aramis zuckte die Achseln.

Der Patron hielt das Fernrohr an sein Auge.

»Oh! Monseigneur, das ist ein Wunder,« rief er, »sie sind da; mir scheint, ich kann sie berühren. Wenigstens fünf und zwanzig Mann! Ah! ich sehe den Kapitän auf dem Vordertheil! Er hält ein Fernglas wie dieses und schaut nach uns. Ah! er wendet sich um; er gibt einen Befehl; sie rollen eine Kanone auf das Vordertheil; sie laden sie; sie richten sie . . . Barmherzigkeit! sie schießen aus uns!«

 

Und mit einer maschinenmäßigen Bewegung legte der Patron sein Fernrohr rasch nieder, und, an den Horizont zurückgeschoben, erschienen ihm die Gegenstände wieder unter ihrem wahren Anblick.

Das Schiff war ungefähr noch eine Lieue entfernt, aber das vom Patron verkündigte Manoeuvre wurde darum nichtsdestoweniger wirklich ausgeführt.

Eine leichte Rauchwolke erschien unter den Segeln, weißer als sie, und dehnte sich aus wie eine Blume, die sich erschließt; dann sah man ungefähr aus eine Meile von der kleinen Barke die Kugel ein paar Wellen entkrönen, eine weiße Furche im Meere graben und am Ende dieser Furche so harmlos verschwinden, als der Stein, mit dem ein spielender Schüler Prollungen macht.

Das war zugleich eine Drohung und eine Ankündigung.

»Was ist zu thun?« fragte der Patron.

»Sie werden uns in den Grund bohren,« sagte Goennec; »gebt uns die Absolution, Monseigneur!«

Und die Seeleute knieten vor dem Bischof nieder.

»Ihr vergeßt, daß sie uns sehen,« sprach dieser.

»Es ist wahr,« sagten die Matrosen, ihrer Schwäche sich schämend. »Befehlt, Monseigneur, wir sind bereit, für Euch zu sterben.«

»Warten wir,« sprach Aramis.

»Wie! warten?«

»Ja, seht Ihr nicht, daß sie uns, wenn wir zu fliehen versuchen, wie Ihr so eben sagtet, in den Grund bohren werden?«

»Aber vielleicht,« wagte der Patron zu bemerken, »aber vielleicht können wir ihnen, begünstigt durch die Nacht, entwischen.«

»Oh!« entgegnete Aramis, »sie haben wohl ein wenig griechisches Feuer, um ihren Weg und den unseren zu erleuchten.«

Und zu gleicher Zeit, als hätte das Schiff aus die Bemerkung von Aramis antworten wollen, stieg eine zweite Rauchwolke langsam zum Himmel aus, und aus dem Schooße dieser Wolke sprang ein entzündeter Pfeil hervor, der, einem Regenbogen ähnlich, seine Parabel beschrieb und in das Meer fiel, wo er zu brennen fortfuhr und den Raum aus eine Viertelmeile im Durchmesser erleuchtete.

Die Bretannier schauten sich erschrocken um.

»Ihr seht wohl,« sagte Aramis, »es ist besser, sie zu erwarten.«

Die Ruder entschlüpften den Händen der Matrosen, und die Barke wiegte sich unmerklich aus dem Ende der Wogen.

Es wurde Nacht, aber das Schiff segelte immer weiter.

Es war, als verdoppelte es seine Geschwindigkeit mit der Finsterniß. Dann und wann, wie ein Geier mit dem blutigen Hals seinen Kopf aus seinem Neste herausstreckt, sprang das griechische Feuer aus seinen Flanken hervor und warf mitten in den Ocean seine Flamme wie einen weiß glühenden.Schnee.

Endlich kam es aus Flintenschußweite.

Die ganze Mannschaft war, das Gewehr im Arm, auf dem Verdeck.

Man hätte glauben sollen, es handle sich darum, eine Fregatte zu entern und eine der Zahl nach überlegene Equipage zu bekämpfen, und nicht, eine von vier Personen besetzte Barke zu nehmen.

»Ergebt Euch!« rief der Commandant des Schiffes mit Hilfe seines Sprachrohrs.

Die Matrosen schauten Aramis an,

Aramis machte ein Zeichen mit dem Kopf.

Der Patron Yves ließ einen weißen Fetzen am Ende eines Bootshaken flattern.

Das war eine Manier, die Flagge zu streichen.

Das Schiff rückte weiter wie ein Renner.

Es schleuderte eine neue griechische Rakete, sie fiel zwanzig Schritte von der Barke nieder und setzte sie besser in’s Licht, als es ein Strahl von der glänzendsten Sonne gethan hätte.

»Beim ersten Zeichen des Widerstandes Feuer!« rief der Commandant des Schiffes.

Die Soldaten senkten ihre Musketen.

»Man sagt Euch doch, man ergebe sich,« rief der Patron Yves.

»Lebendig! lebendig!« schrieen einige exaltirte Soldaten; »wir müssen sie lebendig nehmen.«

»Nun wohl! ja, lebendig,« erwiederte der Kapitän.

Dann wandte er sich gegen die Bretannier und rief:

»Es soll Euch Allen nichts am Leben geschehen, meine Freunde, Herrn d’Herblay ausgenommen.«

Aramis bebte unmerklich.

Einen Moment heftete sich sein Auge auf die Tiefen des Oceans, der an seiner Oberfläche durch den letzten Schein des griechischen Feuers beleuchtet war, durch einen Schein, welcher an den Flanken der Wellen hinlief, an deren Gipfel wie ein Federschmuck spielte, und noch düsterer, noch geheimnißvoller die Abgründe machte, die sie bedeckten.

»Ihr höret, Monseigneur?« sagten die Matrosen.

»Ja.«

»Was befehlt Ihr?«

»Willigt ein.«

»Doch Ihr, Monseigneur?«

Aramis neigte sich weiter vor und spielte mit der Spitze seiner weißen, zarten Finger mit dem grünlichen Wasser der See, der er wie einer Freundin zulächelte.

»Willigt ein,« wiederholte er.

»Wir willigen ein,« riefen die Matrosen, »doch welches Unterpfand werden wir haben?«

»Das Wort eines Edelmanns,« erwiederte der Officier. »Bei meinem Grade und bei meinem Namen schwöre ich Euch, daß Allem, was nicht Herr d’Herblay ist, das Leben unversehrt bleiben soll. Ich bin Lieutenant der Fregatte des Königs Pomane und heiße Louis Constant von Pressigny.«

Schon halb über die Barke hinaus nach dem Meere hinab geneigt, erhob Aramis mit einer raschen Geberde das Haupt, richtete sich hoch aus und rief, das Auge entflammt, ein Lächeln aus den Lippen, als ob ihm das Commando zugekommen wäre:

»Werft die Leiter, meine Herren.«

Man gehorchte.

Aramis ergriff das Seil und stieg zuerst hinaus, aber statt der Angst, die man aus seinem Gesichte hervortreten zu sehen erwartete, sahen ihn die Matrosen des Schiffes zu ihrer großen Verwunderung mit sicherem Schritte auf den Commandanten zugehen, diesen fest anschauen und ihm mit der Hand ein geheimnißvolles, unbekanntes Zeichen machen, bei dessen Anblick der Officier erbleichte, zitterte, und die Stirne senkte.

Ohne ein Wort zu sagen, hob Aramis nun die Hand bis unter die Augen des Commandanten empor und zeigte ihm einen Ring, den er am Goldfinger der linken Hand trug.

Und indem er dieses Zeichen machte, hätte Aramis, in eine kalte, schweigsame, stolze Majestät gehüllt, das Aussehen eines Kaisers, der seine Hand zum Kusse reicht.

Der Commandant, der einen Augenblick das Haupt erhoben hatte, neigte es zum zweiten Mal mit dem Zeichen der tiefsten Ehrfurcht.

Dann streckte er die Hand gegen das Hintertheil, das heißt gegen sein Zimmer aus und trat auf die Seite, um Aramis vorangehen zu lassen.

Die drei Bretannier, welche hinter ihrem Bischof hinausgestiegen waren, schauten sich erstaunt an.

Die ganze Mannschaft schwieg.

Fünf Minuten nachher rief der Commandant den Secondlieutenant; sogleich kam dieser wieder heraus und befahl, nach der Corogne zu steuern.

Während man den gegebenen Befehl vollzog, erschien Aramis wieder aus dem Verdeck und setzte sich an die Verschanzung.

Es war völlig Nacht geworden, der Mond zeigte sich noch nicht, und dennoch schaute Aramis hartnäckig gegen Belle-Isle. Yves näherte sich dem Commandanten, der wieder seinen Platz aus dem Hintertheil eingenommen hatte, und fragte ihn sehr leise, sehr demüthig:

»Welchen Weg verfolgen wir, Kapitän?«

»Wir verfolgen den Weg, der Monseigneur beliebt,« antwortete der Officier.

Aramis brachte die Nacht an die Verschanzung angelehnt zu.

Yves bemerkte am andern Morgen, als er in seine Nähe kam, diese Nacht müsse sehr feucht gewesen sein, denn das Holz, auf das der Bischof seinen Kopf gestützt hatte, war benetzt wie von einem Thau.

Wer weiß, dieser Thau waren vielleicht die ersten Thränen, die den Augen von Aramis entfallen!

Welche Grabschrift wäre so viel werth gewesen, als diese! Guter Porthos!