Za darmo

Der Chevalier von Maison-Rouge

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

XIII.
Der 31. Mai

Am Morgen des bekannten 31. Mai, wo die Sturmglocke und der Generalmarsch von Tagesanbruch an erschollen, rückte das Bataillon des Faubourg Saint-Victor im Temple ein.

Als alle die üblichen Förmlichkeiten vollzogen und die Posten vertheilt waren, sah man die Municipale vom Dienst ankommen und vier Kanonen wurden zur Verstärkung denjenigen beigefügt, welche man bereits am Thore des Tempel aufgepflanzt hatte.

Zu gleicher Zeit mit den Kanonen kam Santerre mit seinen gelben, wollenen Epauletten und seinem Rocke, auf dem sich seine Vaterlandsliebe in großen Fettflecken lesen ließ.

Er ließ das Bataillon die Revue passieren, fand es in geeignetem Zustand und zählte sodann die Municipale, welche nur ihrer drei waren.

»Warum drei Municipale?« fragte er, »und wer ist der schlechte Bürger, welcher fehlt.«

»Der Fehlende, Bürger General, ist kein Lauer,« antwortete unser alter Bekannter Agricola; »denn es ist der Secretaire der Section Lepelletier, der Anführer der braven Thermopylen, der Bürger Maurice Lindey.«

»Gut, gut,« versetzte Santerre, »ich muß wie Du den Patriotismus des Bürger Maurice Lindey anerkennen; dessen ungeachtet wird man ihn, wenn er in zehn Minuten nicht gekommen ist, auf die Liste der Abwesenden setzen.«

Und Santerre ging zu andern Dingen über.

Einige Schritte von dem General waren in dem Augenblick, wo er diese Worte sprach, ein Kapitän der Chasseurs und ein Soldat: der eine aus seine Flinte gestützt, der andere auf einer Kanone sitzend.

»Haben Sie gehört?« sagte mit halber Stimme der Kapitän zu dem Soldaten, »Maurice ist noch nicht gekommen.«

»Ja, doch seien Sie unbesorgt, er wird kommen, wenn er nicht in einem Aufruhr begriffen ist.«

»Wenn er nicht kommen könnte,« versetzte der Kapitän, »würde ich Sie als Schildwache aus die Treppe stellen, und da sie ohne Zweifel auf den Thurm steigt, so können Sie ihr ein Wort sagen.«

In diesem Augenblick trat ein Mann ein, in welchem man an seiner dreifarbigen Schärpe einen Municipal erkannte: nur war dieser Mann dem Kapitän und dem Chasseur unbekannt; ihre Augen richteten sich auch sehr aufmerksam auf ihn.

»Bürger General,« sprach der Eintretende, indem er sich an Santerre wandte, »ich bitte Dich, mich an der Stelle des Bürgers Maurice Lindey anzunehmen, der Krank ist; hier ist das Zeugniß des Arztes; die Reihe der Wache käme in acht Tagen an mich; ich tausche mit ihm, in acht Tagen wird er den Dienst für mich thun, wie ich ihn heute für ihn thue.«

»Wenn der Capet und die Capettes in acht Tagen noch leben,« versetzte einer von den Municipalen.

Santerre erwiderte den Scherz des Eiferers mit einem kleinen Lächeln, dann wandte er sich gegen den Mandatar von Maurice um und sprach:

«Es ist gut, unterzeichne im Register am Platze von Maurice Lindey und trage bei der Colonne der Bemerkung die Ursache dieser Vertauschung ein.«

Der Kapitän und der Chasseur hatten sich mit freudigem Erstaunen angeschaut.

»In acht Tagen,« sagten sie zu einander.

»Kapitän Dirmer,« rief Santerre, »stellen Sie sich mit Ihrer Compagnie in den Garten.«

»Kommen Sie, Morand,« sprach der Kapitän zu seinem Gefährten.«

Die Trommel erscholl und die Compagnie entfernte sich, geführt von dem Meister Rothgerber, in der vorgeschriebenen Richtung.

Man stellte die Waffen in Pyramiden auf und die Compagnie trennte sich in Gruppen, welche nach ihrer Laune hin und her zu gehen anfingen.

Der Ort ihres Spazierganges war derselbe Garten, wo zur Zeit von Ludwig XVI. die königliche Familie zuweilen Luft geschöpft hatte. Dieser Garten war kahl, unfruchtbar, öde, und entbehrte völlig der Blumen, der Bäume und des Grüns.

Ungefähr fünf und zwanzig Schritte von demjenigen Theile der Mauer, der nach der Rue Porte-Foin ging, erhob sich eine Art von Hütte, welche die Vorsicht der Municipalität zur größeren Bequemlichkeit der im Temple aufgestellten Nationalgarden zu errichten gestattet hatte; diese Nationalgarden fanden hier an den Tagen des Aufruhrs, wo es hinauszugehen verboten war, zu essen und zu trinken. Die Direction dieser kleinen inneren Schenke war ein Gegenstand sehr vielseitigen Strebens gewesen. Endlich hatte man die Concession einer vortrefflichen Patriotin, der Witwe eines am 10. August getödteten Vorstädters gegeben, welche auf den Namen Frau Plumeau antworte«.

Diese kleine, aus Brettern und Kleiberlehm gebaute Hütte lag mitten auf einer Rabatte, deren Grenze man noch an einer Hecke von Zwerchbuchs erkannte. Sie bestand aus einer einzigen Stube von etwa zwölf Fuß im Gevierte, unter welcher sich ein Keller ausdehnte, in den man auf Stufen hinabstieg, die nur plump aus der Erde ausgehauen waren. Hier verschloß die Witwe Plumeau ihre Flüssigkeiten und ihre Eßwaren, über welchen sie und ihre Tochter, ein Kind von zwölf bis fünfzehn Jahren, abwechselnd wachten.

Kaum hatten die Nationalgarden ihren Bivouac bezogen, als sie, wie gesagt, die einen im Garten auf- und abzugehen, die andern mit den Aufsehern zu sprechen anfingen, während diese die Zeichnungen an der Mauer betrachteten, welche alle irgend einen patriotischen Gegenstand darstellten, zum Beispiel den gehenkten König mit der Inschrift: »Herr Veto nimmt ein Luftbad,« oder den guilliotinirten König mit der Inschrift: »Herr Veto spuckt in den Sack,« und während jene wiederum Madame Plumeau Eröffnungen über ihre gastronomischen Absichten machten, wie sie ihnen ihr mehr oder minder starker Appetit eingab.

Unter der Zahl der Letzteren war der Kapitän und der Chasseur, wie wir schon bemerkt haben.

»Ah! Kapitän Dirmer,« sagte die Wirthin, »ich habe herrlichen Wein von Saumur.«

»Gut, Bürgerin Plumeau, doch der Wein von Saumur taugt, wenigstens meiner Ansicht nach, nichts ohne den Käse von Brie,« erwiderte der Kapitän, der, ehe er dieses System aussprach, vorsichtig umhergeschaut und unter den verschiedenen Eßwaaren, welche stolz auf den Fächern der Schenke ausgebreitet lagen, die Abwesenheit der von ihm geschätzten Speise wahrgenommen hatte.

»Ah! mein Kapitän, das ist eine unleugbare Thatsache, doch das letzte Stück ist genommen worden.«

»Dann: keinen Käse von Brie, keinen Wein von Saumur,« versetzte der Kapitän, »und bemerke wohl, Bürgerin, der Verbrauch lohnte sich schon der Mühe, da ich die ganze Compagnie bewirthen wollte.«

»Mein Kapitän, ich verlange fünf Minuten von Dir und hole bei dem Bürger Aufseher, der mit mir concurirt und immer Vorrath hat; ich werde ihn ein wenig theurer bezahlen, doch Du bist ein zu guter Patriot, um mich nicht zu entschädigen.«

»Ja, ja, gehe,« antwortete Dirmer, »und wir werden mittlerweile in Deinen Keller hinabsteigen und uns selbst unsern Wein wählen.«

»Thue, als ob Du zu Hause wärest, Kapitän.«

Und die Witwe lief aus Leibeskräften nach der Loge des Aufsehers, während der Kapitän und der Chasseur mit einem Lichte versehen die Fallthüre aufhoben und in den Keller hinabstiegen.

»Gut!« sagte Morand nach einer kurzen Untersuchung, »der Keller läuft in der Richtung der Rue Porte-Foin; er ist neun bis zehn Fuß tief und hat kein Mauerwerk.«

»Wie ist der Boden beschaffen?« fragte Dirmer.

»Kreidenartiger Tuff. Es ist aufgearbeitete Erde; alle diese Gärten sind wiederholt umgewühlt worden und es gibt nirgends einen Felsen.«

»Geschwinde!« rief Dirmer, »ich höre die Holzschuhe unserer Marketendnerin; nehmen Sie zwei Flaschen Wein, und lassen Sie uns wieder hinausgehen.«

Es erschienen Beide an der Oeffnung der Fallthür, als die Plumeau mit dem so dringend verlangten Biekäse zurückkehrte.

Hinter ihr kamen mehrere durch das gute Aussehe des berühmten Käses angelockte Chasseurs.

Dirmer machte die Honneurs: er bewirthete seine Compagnie mit ungefähr zwanzig Flaschen Wein, während der Bürger Morand von der Aufopferung von Curtius, von der Uneigennützigkeit von Fabricius und von der Vaterlandsliebe von Brutus und Cassius erzählte, lauter Geschichten, welche beinahe ebenso hoch geschätzt wurden, als der Käse von Brie und der Wein von Anjou, womit Dirmer die Chasseurs bewirthete, was nicht wenig besagen will.

Es schlug elf Uhr. Um halb zwölf Uhr löste man die Wachen ab.

»Geht nicht gewöhnlich von zwölf Uhr bis ein Uhr die Oesterreicherin spazieren?« fragte Dirmer Tison, der an der Hütte vorüberkam.

»Von zwölf bis ein Uhr, ganz richtig.«

Und er fing an zu singen:

 
»Madam' monte à son tour,
Mironton, tonton, mirontaine.4
 

Dieser neue Spaß wurde mit einem allgemeinen Gelächter von den Nationalgarden aufgenommen.

Sogleich rief Dirmer die Leute von seiner Compagnie auf, welche von halb zwölf Uhr bis halb ein Uhr die Wache beziehen sollten, hieß das Frühstück beschleunigen und ließ Morand das Gewehr nehmen, um ihn, wie es verabredet war, in den letzten Stock des Thurmes, gerade in das Schilderhäuschen zu stellen, hinter dem Maurice sich am Tage verborgen hatte, wo er die Zeichen wahrgenommen, welche man der Königin von einem Fenster der Rue Porte-Foin machte.

Wer Morand in dem Augenblick, wo er diesen sehr Einfachen und sehr erwarteten Befehl erhielt, beobachtet haben würde, hätte ihn unter den langen Locken seiner Warzen Haare erbleichen sehen können.

Plötzlich erschütterte ein dumpfer Lärmen die Höfe des Temple und man hörte es in der Ferne wie einen Orkan von Geschrei und Gebrülle.

»Was ist das?« fragte Dirmer Tison.

»Oh! oh! das ist nichts; eine kleine Meuterei, die uns gern diese Schurken von Brissotins machen möchten, ehe sie nach der Guillotine gehen.«

 

Der Lärm wurde immer bedrohlicher, man hörte die Artillerie rasseln, und eine Truppe von tobenden Menschen kam am Temple vorüber und schrie:

»Es leben die Sectionen! Es lebe Henriot! Nieder mit dem Brissotins! Nieder mit den Rolandisten! Nieder mit Madame Veto!«

»Gut, gut!« sprach Tison, sich die Hände reibend, »ich will Madame Veto öffnen, damit sie sich ohne Hindernis der Liebe erfreut, welche ihr Volk für sie hegt.«

»Oh! oh! Tison!« rief eine furchtbare Stimme.

»Mein General?« antwortete dieser, indem er rasch wieder stehen blieb.

»Heute kein Ausgang,« sagte Santerre, »die Gefangenen werden ihr Zimmer nicht verlassen.«

Der Befehl ließ keine Einrede zu.

»Gut,« sagte Tison, »das ist eine Mühe weniger, Dirmer und Morand wechselten einen düsteren Blick, dann spazierten sie wartend, bis die Stunde der Wache welche nun unnütz war, schlagen würde, Beide scheinbar gleichgültig zwischen der Hütte und der nach der Rue Porte-Foin gehenden Mauer hin und her. Hier fing Morand an, die Entfernung zu messen, indem er geometrische Schritte, nämlich Schritte von drei Fuß, machte.

»Wie groß ist die Entfernung?« fragte Dirmer.

»Sechzig bis ein und sechzig Fuß,« antwortete Morand.

»Wie viel^Tage wird man brauchen?«

Morand dachte nach und zog auf dem Sande ein paar geometrische Linien, die er sogleich wieder verwischte.

»Man wird wenigstens sieben Tage brauchen,« sagte er.

»Maurice ist in acht Tagen aus der Wache,« flüsterte Dirmer. »Von heute bis in acht Tagen müssen wir nothwendig mit Maurice ausgesöhnt sein.«

Es schlug halb zwölf Uhr, Morand nahm seufzend wieder sein Gewehr und löste, geführt von seinem Coporal, die Wache ab, welche auf der Plattform des Thurmes hin und her ging.

XIV.
Aufopferung

Am andern Tage, nachdem die von uns erzählten Scenen vorgefallen waren, nämlich am ersten Juni um zehn Uhr Morgens saß Geneviève an ihrem gewöhnlichen Platze beim Fenster; sie fragte sich, warum die Tage so traurig für sie anfingen, warum diese Tage so langsam vergingen, warum sie den Abend, statt ihn mit Sehnsucht zu warten, nunmehr mit Angst erwartete.

Ihre Nächte besonders waren traurig; ihre Nächte waren früher so schön gewesen, diese Nächte, welche in Träumen vom vorhergehenden Tage und vom kommenden verliefen.

In diesem Momente fielen ihre Augen aus einen prachtvollen Kasten mit getigerten Nelken und mit rothen Nelken, welche sie seit dem Winter in dem kleinen Treibhause, zog, wo Maurice gefangen gewesen war, um sie in ihrem Zimmer blühen zu lassen.

Maurice hatte sie dieselben in diesem Kasten von Mahagoniholz, in welchem sie eingeschlossen waren, pflegen gelehrt; sie hatte sie begossen, gesäubert, selbst mit Stäben versehen, während Maurice da gewesen war; denn wenn er am Abend kam, gefiel sie sich darin, ihm die Fortschritte zu zeigen, welche in Folge ihrer schwesterlichen Sorge die reizenden Blumen in der Nacht gemacht hatten, doch seitdem Maurice zu kommen aufgehört, waren die armen Nelken vernachlässigt worden, und in Ermangelung von Fürsorge und Erinnerung blieben die verschmachtenden Knospen leer und neigten sich vergelbend über ihre Ballustrade hinaus, auf welche sie halb verwelkt herabfielen.

Geneviève begriff bei diesem Anblick den Grund ihrer eigenen Traurigkeit. Sie sagte sich, es sei mit den Blumen wie mit gewissen Freundschaften, die man hegt, die man leidenschaftlich pflegt und anbaut und die dann das Herz blühen machen. Dann schneidet eines Morgens eine Laune oder ein Unglück die Freundschaft an ihrer Wurzel ab und das Herz, das diese Freundschaft belebte, zieht sich verschmachtend und verwelkt zusammen.

Die junge Frau empfand die furchtbare Bangigkeit ihres Herzens; das Gefühl, das sie hatte bekämpfen wollen, das sie zu besiegen gehofft, sträubte sich in ihrem Innersten und schrie mehr als je, es würde nur mit diesem Herzen sterben; dann hatte sie einen Augenblick der Verzweiflung, denn sie fühlte, daß ihr der Kampf immer unmöglicher wurde: sie neigte sachte das Haupt, küßte eine von den verwelkten Knospen und weinte.

Ihr Gatte trat in dem Augenblick bei ihr ein, wie sie ihre Thronen trocknete.

Doch Dirmer war seinerseits so sehr von seinen eigenen Gedanken in Anspruch genommen, daß er die schmerzliche Krise nicht errieth, welche seine Frau durchgemacht hat, und er schenkte der verrathenden Röthe ihrer Augenlieder keine Aufmerksamkeit. ''

Allerdings erhob sich Geneviève rasch, als sie ihre Gatten erblickte, und lief ihm entgegen, so daß sie dem Fenster den Rücken in der Halbtinte zuwandte.

»Nun?« sagte sie.

»Nichts Neues; es ist unmöglich, sich ihr zu nähern, unmöglich ihr etwas zukommen zulassen, unmöglich sogar sie zu sehen.«

»Wie!« rief Geneviève, »bei all dem Lärmen, der in Paris stattgefunden hat.«

»Ei! gerade dieser Lärmen hat das Mißtrauen der Wächter verdoppelt; sie befürchteten, man würde die allgemeine Aufregung benutzen, um einen Versuch aus den Temple zu machen, und in dem Augenblick, wo Ihre Majestät auf die Plattform steigen sollte, wurde von Santerre der Befehl gegeben, weder die Königin, noch Madame Elisabeth, noch die junge Prinzessin aus ihrem Zimmer zu lassen.«

»Armer Chevalier! er muß sehr betrübt gewesen sein.«

»Er war in Verzweiflung, als er sah, daß diese Chance uns entging, und erbleichte dergestalt, daß ich ihn fortzog, aus Furcht, er könnte sich verrathen.«

»Aber,« fragte schüchtern Geneviève, »aber war denn im Temple kein Ihnen bekannter Municipal?«

»Es sollte einer dort sein, doch er ist nicht gekommen.«

»Wer?«

»Der Bürger Maurice Lindey,« erwiderte Dirmer, mit einem Ton, den er gleichgültig zu machen bemüht war.«

»Und warum ist er nicht gekommen?« fragte ihrerseits Geneviève, welche sich auf dieselbe Weise gegen sich anstrengte.

»Er war krank.«

»Krank?«

»Ja, und zwar ziemlich schwer, da er, der Ihnen bekannte Patriot, sich genöthigt sah, seine Reihe einem Andern abzutreten.«

»Das ist ärgerlich.«

»Oh! mein Gott! wäre er auch da gewesen, Geneviève,« versetzte Dirmer, »das hätte uns eben so wenig genützt. Nun, da wir entzweit sind, würde er es vielleicht vermieden haben, mit mir zu sprechen.«

»Ich glaube, mein Freund, Sie übertreiben die ernste Lage der Dinge. Es kann eine Laune von Herrn Maurice sein, nicht mehr hierherzukommen, er kann wichtige Gründe haben, Sie nicht mehr zu sehen; doch er ist darum nicht unser Feind. Die Kälte schließt die Höflichkeit nicht aus, und wenn er Sie hätte auf sich zukommen sehen, so wird er, davon bin ich fest überzeugt, die Hälfte des Weges gemacht haben.«

»Geneviève,« sprach Dirmer, »für das, was wir von Maurice erwarteten, würde es mehr als der Höflichkeit bedürfen, und es war nicht zu viel an einer wahren und tiefen Freundschaft. Diese Freundschaft ist gebrochen und wir haben von dieser Seite keine Hoffnung mehr.«

Und er stieß einen tiefen, Seufzer aus, während seine gewöhnlich so ruhige Stirne sich traurig faltete.

»Doch wenn Sie glauben, daß Maurice für Ihre Pläne so nöthig ist. . .« versetzte schüchtern Geneviève.

»Ja, ich verzweifle daran, sie ohne ihn gelingen zu sehen.«

»Warum versuchen Sie denn nicht einen neuen Schritt bei dem Bürger Lindey?«

Es kam ihr vor, als dürfte der Ton ihrer Stimme, wenn sie den jungen Mann bei seinem Familiennamen nennen würde, minder zärtlich sein, als wenn sie sei, Taufnamen ausspräche.

»Nein,« erwiderte Dirmer den Kopf schüttelnd, »nein, ich habe Alles gethan, was ich thun konnte; ein neuer Schritt würde seltsam erscheinen und müßte nothwendig bei ihm Verdacht erregen; nein; und dann hören Sie Geneviève, ich sehe weiter als Sie in dieser ganzen Angelegenheit: es ist eine Wunde tief im Herzen von Maurice.«

»Eine Wunde?« fragte Geneviève sehr erschüttert.«

»Ei, mein Gott! was wollen Sie damit sagen? Sprechen Sie, mein Freund!«

»Ich will damit sagen, und Sie sind davon überzeugt, wie ich, Geneviève, daß unser Bruch mit dem Bürger Lindey auf etwas mehr, als aus einer Lage beruht,«

»Und was schreiben Sie denn diesen Bruch zu?«

»Dem Stolze vielleicht,« sprach Dirmer rasch.

»Dem Stolze? . . .«

»Ja, er that uns, wenigstens seiner Meinung nach Ehre an, dieser gute Bürger von Paris, dieser Halbaristokrat des Beamtenstandes, der seine Empfindlichkeiten unter seinem Patriotismus beibehalten hat, er that uns Ehre an, dieser in seinem Club, in seiner Section, in seiner Municipalität allmächtige Republikaner, indem seine Freundschaft Lederfabricanten schenkte. Vielleicht sind wir zu wenig zuvorkommend gegen ihn gewesen? vielleicht haben wir uns vergessen?«

»Doch wenn wir zu wenig zuvorkommend gewesen sind, wenn wir uns vergessen haben, so gleicht, wie mir scheint, der Schritt, den Sie gemacht, Alles aus.«

»Ja, vorausgesetzt, daß das Unrecht von meiner Seite gekommen wäre, wenn es aber im Gegentheil von Ihnen kam. . .«

»Von mir? Wie soll ich ein Unrecht gegen Herrn Maurice begangen haben?« sprach Geneviève erstaunt.

»Ei! wer weiß? bei einem solchen Charakter: habe Sie ihn nicht selbst, und zwar zuerst, der Laune beschuldigt, hören Sie, Geneviève, ich komme aus meinen ersten Gedanken zurück, Sie hatten Unrecht, Maurice nicht zu schreiben.«

»Ich!« rief Geneviève, »können Sie dergleichen denken?«

»Ich denke es nicht nur,« antwortete Dirmer, »sondern seit den drei Wochen, die der Bruch dauert, habe ich sogar sehr viel daran gedacht.«

»Und?« fragte Genevièves schüchtern.

»Und ich betrachte diesen Schritt als unerläßlich.«

.Oh!« rief Geneviève, »nein, nein, Dirmer, fordern Sie das nicht von mir.«

»Sie wissen, Geneviève, daß ich nie etwas von Ihnen fordere, ich bitte Sie nur; verstehen Sie mich wohl, ich bitte Sie, an den Bürger Maurice zu schreiben.«

»Aber . . .« versetzte Geneviève.

»Hören Sie,« sprach Dirmer, sie unterbrechend: »entweder sind ernste Ursachen zum Streite zwischen Ihnen und Maurice vorhanden, denn über mein Benehmen hat er sich nie beklagt, oder Ihre Zwistigkeit mit ihm rührt von einer Kinderei her.«

Geneviève antwortete nicht.

»Rührt diese Zwistigkeit von einer Kinderei her, so wäre es thöricht von Ihnen, sie in Ewigkeit auszudehnen: hat sie einen ernsten Beweggrund, so dürfen wir, auf dem Punkte wo wir stehen, begreifen Sie das wohl, weder mehr mit unserer Würde, noch mit unserer Eitelkeit rechnen. Glauben Sie mir, wir wollen einen Streit von jungen Leuten nicht mit unermeßlichen Interessen in die Waagschale legen. Ueberwinden Sie sich, schreiben Sie ein Wort an den Bürger Lindey, und er wird wiederkommen.«

Geneviève dachte einen Augenblick nach und erwiderte:

»Aber könnte man denn nicht ein minder kompromittierendes Mittel finden, um das gute Einverständniß zwischen Ihnen und Herrn Maurice wiederherzustellen?«

»Kompromittierend, sagen Sie? Wir scheint, das es im Gegentheil ein ganz natürliches Mittel.«

»Nicht für mich, mein Freund.«

»Sie sind sehr hartnäckig, Geneviève.«

»Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß Sie dies wenigstens zum ersten Male an mir bemerken.«

Dirmer, der seit einigen Augenblicken sein Sacktuch in seinen Händen zerknitterte, wischte seine schweißbedeckte Stirne ab und sprach:

»Ja, und gerade deshalb vermehrt sich mein Erstaunen.

»Mein Gott!« versetzte Geneviève, »ist es möglich Dirmer, daß Sie die Ursachen meines Widerstandes nicht begreifen und mich zum Sprechen zwingen wollen!«

Und sie ließ schwach und wie zum Aeußersten zu getrieben, ihren Kopf auf ihre Brust sinken, ihre Arme an de Seiten herabfallen.

Dirmer schien sich gewaltig gegen sich selbst anzustrengen, nahm Geneviève bei der Hand, nötigte sie, den Kopf emporzuheben, schaute ihr in die Augen und brach in ein Gelächter aus, das Geneviève sehr gezwungen vorgekommen sein müßte, wenn sie in diesem Augenblick minder erschüttert gewesen wäre.

»Ich sehe, was es ist,« sagte er; »in der That, Sie haben Recht. Ich war blind. Mit all Ihrem Geist Geneviève, mit all Ihrer Erhabenheit sind Sie einer Alltäglichkeit unterlegen. Sie haben befürchtet, Maurice könnte in Sie verliebt werden.«

Geneviève fühlte, wie eine tödtliche Kälte in ihr Herz drang. Diese Ironie ihres Gatten in Beziehung auf die Liebe, welche Maurice für sie hegte, auf eine Liebe deren Heftigkeit sie, so wie sie den Charakter des jungen Mannes kannte, zu schätzen wußte, auf eine Liebe endlich welche sie, ohne es sich anders als durch dumpfe Gewissensbisse gestanden zu haben, selbst in der Tiefe ihres Herzens theilte, diese Ironie versteinerte sie. Sie hatte nicht die Kraft, zu schauen. Sie fühlte, daß es ihr unmöglich wäre zu antworten.

 

»Nicht wahr, ich habe errathen?« versetzte Dirmer. »Nun wohl, beruhigen Sie sich, Geneviève, ich kenne Maurice; es ist ein wilder Republikaner, der keine andere Liebe in seinem Herzen hegt, als die für das Vaterland.«

»Mein Herr, sind Sie dessen, was Sie sagen, gewiß?« sprach Geneviève.

«Allerdings,« erwiderte Dinner; »wenn Maurice Sie liebte, so hätte er, statt sich mit mir zu entzweien, die Zuvorkommenheit gegen denjenigen verdoppelt, welchen hintergehen in seinem Interesse lag. Liebte Sie Maurice so würde er nicht so leicht aus den Titel eines Hausfreundes, mit dessen Hilfe man gewöhnlich solche Verräthereien bedeckt, verzichtet haben.«

»Ich bitte Sie,« rief Geneviève, »scherzen Sie nicht über dergleichen Dinge.«

»Ich scherze nicht, Madame, ich sage Ihnen nur, daß Maurice Sie nicht liebt.«

»Und ich,« rief Geneviève erröthend, »ich sage Ihnen, daß Sie sich täuschen.«

»Dann ist Maurice, der die Kraft gehabt hat, sich zu entfernen, als das Vertrauen seines Wirthes zu hintergehen, ein ehrlicher Mann; die ehrlichen Leute aber sind selten, Geneviève, und man kann nicht zu viel thun, um sie sich zurückzuführen, wenn sie sich entfernt haben. Geneviève, nicht wahr, Sie werden an Maurice schreiben?«

»Oh, mein Gott!« sprach die junge Frau.

Und sie ließ ihr Haupt in ihre Hände fallen; denn derjenige, auf welchen sie sich im Augenblick der Gefahr zu stützen gehofft hatte, entging ihr gänzlich und stürzte sie niederwärts, statt sie zurückzuhalten.

Dirmer schaute sie ein paar Secunden lang an, suchte dann zu lächeln und sprach:

»Auf, meine liebe Freundin, keine Fraueneitelkeit; will Maurice wieder ansangen, Ihnen eine gute Erklärung zu machen so lachen Sie über die zweite, wie Sie über die erste gelacht haben. Ich kenne Sie, Geneviève, Sie sind ein würdiges, edles Herz. Ich bin Ihrer sicher.«

»Oh!« rief Geneviève, indem sie sich so niedergleiten ließ, daß eines ihrer Kniee die Erde berührte; »o mein Gott! wer kann der Andern sicher sein, da Niemand seiner selbst sicher ist.«

Dirmer wurde bleich, als ob all sein Blut zum Herzen zurückflösse.

»Geneviève,« sprach er, »ich habe Unrecht gehabt, Sie alle Qualen durchmachen zu lassen, die Sie so eben ausgestanden. Ich hätte Ihnen sogleich sagen müsse, Geneviève, wir leben in der Zeit großer Opfer; Geneviève ich habe der Königin, unserer Wohlthäterin, nicht nur meinen Arm, nicht nur meinen Kopf, sondern auch meine Glückseligkeit geweiht. Andere werden ihr ihr Leben geben; ich werde mehr thun, ich werde meine Ehre aus das Spiel setzen; und geht meine Ehre unter, so ist es nur eine Thräne mehr in den Ocean der Schmerzen, der Frankreich zu verschlingen sich anschickt. Doch meine Ehre wagt nicht wenn sie unter der Obhut einer Frau wie meine Geneviève steht.«

Zum ersten Male hatte sich Dirmer ganz geoffenbart.

Geneviève erhob das Haupt, heftete aus ihn ihre Augen voll Bewunderung, stand langsam auf, gab ihm ihre Stirne zu küssen und sprach:

»Sie wollen es?«

Dirmer machte ein bejahendes Zeichen.

»So dictiren Sie,« sagte sie und nahm eine Feder.

»Nein, nein,« entgegnete Dirmer, »es ist genug damit, daß man diesen würdigen jungen Mann braucht, vielleicht mißbraucht; und da er sich mit uns in Folge eines Briefes, den er von Geneviève empfängt, aussöhnen wird, so soll dieser Brief auch wirklich von Geneviève und nicht von Herrn Dirmer sein.«

Dirmer küßte seine Frau zum zweiten Male aus die Stirne, dankte ihr und entfernte sich.

Dann schrieb Geneviève zitternd:

>»Bürger, Maurice,

»Sie wissen, wie sehr Sie mein Gatte liebte. Haben drei Wochen der Trennung, die uns wie ein Jahrhundert vorgekommen sind, gemacht, daß Sie ihn vergessen? Kommen Sie, wir erwarten Sie; Ihre Rückkehr wird für uns ein wahres Fest sein.

Geneviève.«
4Madame steigt auf den Thurm u.s.w.