Welche Farbe hat der Wind

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

»Wir haben hier einen Aussetzer!« warnt der zweite Wachmann über sein Mikrophon.

»Arbeite, hörst du?« befiehlt der erste Wachmann, aber 41-571512 reagiert nicht, als habe er den Wachmann gar nicht wahrgenommen. Er sieht nur den zerhackten Körper des Mädchens und das Monster, das mit dem Knüppel in der Faust über ihr steht. »Komm schon, arbeite!«

»Das liegt wohl an der Scheiße, die heute passiert ist«, sagt der zweite Wachmann mit Unbehagen. Er schaut sich nervös um. Sein Blick geht zwischen 41-571512 und der anderen Wache hin und her, dann wirft er einen Blick über die Schulter. »Warte besser auf den Bokor!«

»Ja ja, der Bokor wird's schon richten! Du willst mir doch nicht sagen, dass dieser Kadaver sich verliebt hat? Arbeite, du Scheißkerl!« Der erste Wachmann stößt 41-571512 die Spitze seines Schlagstocks in die Rippen. 41-571512 zuckt zusammen, hebt den Blick und wischt sich wütend die Tränen weg. »Na los, arbeite!« fährt ihn der Wachmann noch einmal an. 41-571512 nimmt eine Tastatur aus dem Kasten, doch im selben Moment hat er wieder das Mädchen vor Augen und knirscht mit den Zähnen. Sie knacken und quietschen. Er beißt sie so fest aufeinander, dass er sie fast im blutenden Zahnfleisch zermalmt. Etwas kocht in ihm, steigt hoch und zerplatzt, etwas, das wer weiß wie lang in Ketten gelegen hat, versklavt von Obszönitäten und Tritten und Peitschenschlägen und den Befehlen einer Grabesstimme. Und schließlich bricht es unaufhaltsam aus, wie ein Vulkan. Mit einem wilden Geheul drischt der Zombie mit beiden Fäusten auf die Handy-Deckel vor ihm ein. Er zertrümmert, was er in die Finger bekommt, das Plastik zerspringt, und Splitter fliegen umher, während der Zombie zerstört, zerlegt und auseinanderreisst und eine unsagbare Befriedigung bei all der Zerstörung empfindet. Er schlägt wieder und wieder zu und greift nach dem Kasten mit den Tastaturen und wirft sie durch die Gegend. Er springt von seinem Stuhl auf, hebt ihn hoch und schleudert ihn mit unbändiger Wut gegen das Metallgestell des Fließbands, während beide Wachen Verstärkung herbeirufen und fluchend und mit hoch erhobenen Schlagstöcken auf ihn losgehen.

Schläge treffen seinen Rücken, seine Rippen, seinen Kopf, doch 41-571512 beachtet sie nicht. Zwei weitere Wachleute laufen herbei und schlagen ihn, doch 41-571512 spürt keinen Schmerz mehr. Er wirft den Stuhl, der scheppernd zu Boden fällt. Ringsum eifern ihm die anderen Zombies nach, schreien wild durcheinander und zerstören alles in Reichweite. Einer wirft mit Leiterplatten und stürzt sich dann mit Begeisterung auf die Gehäuserückseiten, in die er sie montieren soll. Ein anderer drischt mit einem Stuhl auf den Nietroboter ein. Der Tote neben ihm schleudert die montierten Mobiltelefone auf den Boden, trampelt darauf herum und zertrümmert sie zu winzigen Bruchstücken. Weiter unten am Fließband, an der Teststation, schlagen zwei Zombies die Monitore ein. An der Packstation zerreißen die Zombies Kartons, Bedienungsanleitungen und Garantiescheine. Sirenen heulen durch die Werkshalle, als 41-571512 den Arm eines Wachmanns packt, den Mann zu sich zieht, auf das Fließband wirft und sich mit seinem ganzen Gewicht auf ihn lehnt. Der Wachmann schreit, als 41-571512 ihm mit einem einzigen brutalen Ruck den Arm von der Schulter reißt. Blut spritzt ihm entgegen, und 41-571512 genießt das Blut, seine Farbe, den Geruch, die Wärme, die Fülle, mit der es aus der Wunde schießt und seinen dünnen Kittel durchtränkt.

Ein Wachmann feuert mit seiner Pistole. Mehrere Kugeln treffen 41-571512 im Rücken, aber er nimmt sie bloß als vage, stumpfe Piekser wahr. Zwei Zombies stürzen sich auf den Wachmann. Andere flüchten, als die Toten ihm den Helm vom Kopf reißen. Ein Toter vergräbt seine Zähne in den Hals des Wachmanns, und der andere drückt ihm die Augen aus dem Schädel. Überall fließt Blut, während 41-571512 schreit, auf das angehaltene Fließband springt, den Arm hochhebt und wild krakeelt, heult und unverständliches Zeug brabbelt. Alle Zombies in der Halle springen auf und rufen durcheinander. Ihre Schreie, die Sirene, Schüsse und Detonationen verschmelzen zu einem ohrenbetäubenden Lärm.

Die Techniker und die restlichen Wachen laufen hinaus. 41-571512 springt vom Fließband, wedelt mit den Händen und ruft allen zu, dass sie ihnen folgen sollen: hinaus, durch die Tore und in die Freiheit. Die Massen strömen aus der Fabrikhalle und werden mit Maschinengewehrsalven von den Wachtürmen beschossen. Neben 41-571512 stürzt ein Zombie zu Boden, dem ein Geschoss den Schädel zerschmettert hat und auf einer Seite das Gehirn herausquillt. Aber die Flut ist nicht mehr aufzuhalten! 41-571512 läuft über den Hof, und die Zombies folgen ihm. Während Projektile ihm um die Ohren pfeifen, holt er einen Wachmann ein und reißt ihn zu Boden. Binnen Sekunden fällt ein wütender Mob über den Mann her und reißt ihn in Stücke. Seine unmenschlichen Schreie ertrinken in einer Flut von Blut.

Die Maschinengewehre feuert weiter von den Türmen herunter. Die Zombies torkeln in einem Kugelhagel vorwärts, fallen zu Boden. Manche richten sich wieder auf, stolpern weiter, fallen wieder, erheben sich von neuem. Andere bleiben mit durchlöcherten Köpfen liegen. 41-571512 steht auf, und Blut tropft von seinem Körper, das Blut seiner Unterdrücker. Sein Blick streift über den Hof: Maschinengewehre; Tote, die sich erheben; Wachen, die um ihr Leben kämpfen oder davonlaufen, um ihre Haut zu retten; hilflose Bokors, deren Befehle niemand mehr beachtet; die Zombies; der Stacheldraht und die Freiheit dahinter; Leben; Maschinengewehre; Tod; Maschinengewehre - auf den Türmen.

41-571512 läuft weiter, springt über die leblosen Körper hinweg, stürzt sich in das Getümmel und zwängt sich durch die Massen von Toten hindurch. Ein Wachmann stellt sich ihm in den Weg und feuert mit einer Maschinenpistole auf ihn. Die Kugeln durchbohren 41-571512, halten ihn aber nicht auf. Er rammt den Wachmann, stößt ihn dabei zu Boden, entreißt ihm die Maschinenpistole und wirft sie zur Seite. Andere Zombies fangen den entwaffneten Wachmann ein, beißen ihn mit ihren verfaulten Zähnen tot und reißen ihn mit ihren dürren, knotigen Händen in Stücke. 41-571512 erreicht den Wachturm. Über ihm mähen die Maschinengewehre alle auf dem Hof nieder. Er klettert ungehindert und unaufhaltsam die Leiter hoch. In dem ganzen Gemetzel nimmt kein Wachmann ihn zur Kenntnis.

41-571512 klettert Sprosse um Sprosse höher. Und als er die letzte Sprosse erreicht, springt 41-571512 den Schützen an, reißt ihn von seiner Waffe weg und wirft ihn wie eine Stoffpuppe auf den Hof hinaus, wo er von der Masse zerrissen wird. Der Ladeschütze greift nach seiner Pistole, aber 41-571512 ist sofort bei ihm, legt ihm die Hände um den Hals und beißt ihm ins Gesicht. Die Hände drücken zu und zermalmen seinen Kehlkopf. 41-571512 beißt große Fleischstücke heraus, schluckt sie und beißt noch mehr ab, und es ist ein herrliches Gefühl! Er lacht über dem toten Körper und kichert und johlt vor Freude. Und dann packt er die Maschinenpistole und lehnt sein Gesicht an den Kolben. Er weiß nicht, woher er weiß, wie es geht, aber er drückt den Kolben an seine Schulter und fasst den Griff mit der rechten Hand. Sein Zeigefinger krümmt sich von ganz allein um den Abzug. Als Kimme und Korn auf einer Linie sind, drückt 41-571512 den Abzug. Er spürt die Rückschläge in der Schulter, aber er hat die Waffe fest im Griff, als er auf die benachbarten Türme feuert. Die Einschläge sind ohrenbetäubend. Er feuert auf den nächsten Turm. Und dann auf den dritten und letzten. Die MG-Schützen bekommen gar nicht mit, von wo sie der Tod ereilt.

41-571512 feuert und feuert, doch plötzlich verstummt das Maschinengewehr. Der Patronengurt ist am Ende angekommen, alle Kugeln sind verbraucht. 41-571512 sieht hinunter: die Menge unter ihm wälzt sich voran, steigt über die Leichen hinweg. Die befreiten Sklaven reißen das Tor nieder und strömen in die Freiheit hinaus. Eine Welle unbändiger Freude bricht alle Dämme, zerreißt alle Ketten, fegt alle Angst und Flüche und Schläge und Bosheiten beiseite. Weißer Rauch steigt aus den Türen einer der Schlafbaracken auf. Die Hütte steht bald lichterloh in Flammen, und wenig später auch die anderen. Zombies mit Fackeln in den Händen laufen umher und bejubeln die Flammen. 41-571512 blickt über den dreifachen Stacheldrahtzaun hinweg: weibliche Zombies entkommen aus ihren Werkstätten. Es ist niemand mehr da, der sie aufhalten könnte. Ihre Wachen und Bokors wurden entweder getötet, als sie den Aufstand im Männerbereich des Lagers niederzuschlagen versuchten, oder sie sind davongelaufen. Beim Anblick der befreiten Frauen ist 41-571512 wieder mit Traurigkeit erfüllt. Zu spät für das Mädchen. Aber dann wischt er sich die Tränen weg und blickt auf.

Die warme Morgensonne vertreibt den letzten Hauch der grauen Kälte. Über dem IGZ hat sich der Nebel vom Fluss Sava gelichtet. Neue Freude erfüllt 41-571512, als er von seinem Platz auf dem Wachturm den Tag begrüßt, der vor ihnen liegt. Einige Zombies bleiben stehen und heben den Blick. Sie winken ihm zu, plappern fröhlich vor sich hin, jubeln ihm zu, weil er es war, der sie vom Tod zum Leben geführt hat. Auch andere bleiben stehen und jubeln ihm zu. Rings um ihn wogt ein Meer von Freiheit, als wollten sie ihn fragen, wohin sie jetzt gehen sollen, wohin als nächstes, welchen Weg sie nehmen werden? Und vielleicht weiß 41-571512 nicht alle Antworten. Aber er weiß, dass der Albtraum vorbei ist und die Sonne das Vorzeichen eines neuen Zeitalters für sie ist: die Toten sind ins Leben zurückgekehrt. Er zieht das Oberteil seines Arbeitsanzugs aus, der mit dem Blut seines Folterers getränkt ist, und schwenkt es über seinem Kopf, ruft ihnen allen zu, dass sie sich darunter versammeln sollen, unter der roten Flagge der Freiheit.

Deutsch von Michael K. Iwoleit

Die Argosie

Tagane stellte ihre Schale ab und betrachtete mit Sorge die Wolken im Westen, die sich bis hinauf zur Stratosphäre erhoben. Sie waren die Vorboten eines Gewitters. Auf der Steuerbordseite, eine halbe Meile entfernt, schwebten mehrere strahlend gelbe Blimps etwa fünfzehn Meter über den Wellen. Ihre Tentakel hingen bis zur Wasseroberfläche hinab und reichten zehn bis zwanzig Meter in die Tiefe, sanfte tödliche Fallen für alles, was sich in ihnen verfing. Marmorartige Muster auf ihren Blasen pulsierten friedlich zwischen Schwarz und Violett und gaben nicht zu erkennen, dass sich ein Gewitter zusammenbraute. Aber Tagane wusste, dass die Blimps nicht so niedrig schweben würden, wenn sie kein herannahendes Unwetter spürten. »Wir tauchen heute Nacht!«, sagte sie zu niemand bestimmtem.

 

»Sollen wir auf den Inseln nach einem Unterschlupf suchen?«, fragte Slaven. Mina hatte bereits aufgegessen. Sie aß gewöhnlich schneller als andere. Conrad beachtete die anderen nicht und holte sich einen Nachschlag aus dem Topf. Nur Roberta hob den Blick und begann schneller zu essen, gekochte Algen, die sie sich mit Essstäbchen in den Mund schaufelte. »Wir tauchen heute Nacht«bedeutete, dass es Zeit wurde, die Langleinen aus dem Wasser zu ziehen.

»Das würden wir nicht mehr schaffen«, sagte Tagane.

»Vielleicht wird das Gewitter nicht so stark.« Slaven hatte keine rechte Lust, die Leinen einzuholen. Sie wussten alle nur zu gut, dass nicht genug Zeit gewesen war, um etwas zu fangen. Jedenfalls nichts Erwähnenswertes.

»Wir werden nichts riskieren.« Tagane wandte sich den anderen zu: Slaven, Roberta, Mina und Conrad. »Ihr wisst alle, welche Gewässer unsere Argosie gerade durchquert.« Sie nickten wie ein Mann. Die Argosie ist so gut wie der Kapitän, dachte Tagane. Und der Kapitän ist so gut wie die Seeleute. »Los, esst auf, und dann machen wir uns an die Arbeit.«

*

Slaven hatte wie üblich recht. Gerade einmal etwas über fünfzig Pfund Flinkschwänze und ein paar Stachelfische. Sie vergeudeten nur ihre Köder. Große Klinker und 'kudas kamen nur nachts an die Oberfläche, wenn der Ozean in Flammen stand.

Aber Tagane hatte wie üblich auch recht. Während sie die Leinen einholten, alle Haken sicherten und die Fische ausnahmen, wurde der Wind stärker. Die Wellen begannen gegen die Flanken der Argosie zu spritzen und ihr Deck zu nässen, und das Schiff, offenbar unbeeindruckt von dem bevorstehenden Gewitter, blähte alle vier Segel. Die Argosie pflügte durch den aufgewühlten Ozean und zog schäumendes Kielwasser hinter sich her, vom Wind voran geschoben, getrieben von Instinkten aus einer Zeit, an die sich niemand mehr erinnern konnte.

»Soweit es uns betrifft...« Slaven trat von hinten an Tagane heran und schlang ihr die Arme um die Hüfte. Tagane nickte. Seine Berührung beruhigte sie. Tief in ihren Inneren murmelte die Argosie. Ihre Lust trieb auch Tagane an. Der Wind zerwühlte ihr pechschwarzes Haar und wälzte von Westen bleischwere Wolken heran. Auf einmal zuckte ein Blitz durch die Gewitterfront. Dann noch einer und noch einer. Es ist Zeit, beschloss Tagane. Die Argosie hielt immer noch ihre Segel ausgebreitet: ledrige Membranen von gut neun Metern Spannweite, von den starken Armen getragen und so gedreht und geneigt, dass sie möglichst viel Wind einfingen und die Argosie immer auf Kurs hielten. Aber die Argosie war schwer, angeschwollen, tief eingesunken; das Gewitter würde ihr einige Schwierigkeiten bereiten. Und sie spürte Taganes lautloses Flehen, ihr Unbehagen vor dem unbändigen Wind und dem entfesselten Ozean. Die Instinkte würden warten müssen.

Die Argosie ließ zwei Segel sinken und zog die Arme in ihre Schale. Roberta, Mina und Conrad hatten sich bereits ins Schiffsinnere zurückgezogen, in die längsseitigen Septa, die ihnen als Unterkunft dienten. Die Wellen schlugen höher, spülten übers Deck, und Schaum strömte die Seiten der Schale hinab. Schließlich zog die Argosie die letzten beiden Segel ein. Tagane spürte mehr, als dass sie hörte, wie die Kammern sich mit Wasser füllten und die Schale abzutauchen begann. In wenigen Minuten würden die Wellen über der Schale und den Personen zusammenschlagen, die sich darunter verbargen. Die Argosie würde in die stillen Tiefen versinken, sicher vor dem Toben eines tropischen Gewitters. »Gehen wir«, sagte Tagane und führte Slaven ins Schiffsinnere.

Ein naher Blitz flackerte über die innere Perlmuttschicht des Septums. Tagane warf durch die Sichtluke einen letzten Blick auf die von elektrischen Entladungen zerrissene Gewitterfront, ehe die Wellen über ihnen zusammenschlugen. Die Kammern waren gefüllt, und es ging abwärts. Vom Wind gepeitscht und von Blitzen durchstochen lief das Meer über ihnen förmlich Amok: eine heulende Bestie mit Schaum vor dem Mund, die mal stöhnte, dann wieder brüllte und jedes lebende Ding tief in die Stille hinein trieb, in eine Dunkelheit, geschmückt mit schillerndem Leuchtplankton wie Sterne in der Nacht.

Roberta lag auf einer Matratze aus getrockneten Algen. Conrad streckte sich neben ihr aus, nahm ihre Hand, küsste ihre Finger und leckte das Salz von der Handfläche. Roberta bewegte sich im Schlaf und seufzte kaum hörbar - man konnte sonst nicht viel tun unter Wasser. Mina hängte überall in der Kammer Lampen auf, kleine getrocknete Blimp-Blasen, gefüllt mit einem feinen Pulver, das aus getrockneten Fackelwürmern hergestellt wurde. Sie tauchte ihre Finger in eine Schüssel Wasser und besprenkelte das Pulver in allen Lampen. Wenn sie befeuchtet wurden, glühten sie in einem weichen grünlichen Licht, das durch die Sichtluken in die Tiefe drang. Ab und zu schlängelte sich ein Arm der Argosie durch das Licht.

Die Argosie sank immer tiefer, und das Gewitter war zuletzt nur noch ein gedämpftes Donnern von oben. Etwas schwamm durch das grünliche Leuchten, irgendetwas Großes, das selbst die Ausmaße des größten 'kudas übertraf. Tagane strengte ihre Augen an, aber die Dunkelheit hatte das Ding bereits verschluckt. Sie starrte noch eine Zeitlang in die Schwärze, dann zuckte sie die Achseln. Wer weiß, was in diesen Tiefen lauert, dachte sie. Aber sie fühlte sich sicher in der mächtigen, stabilen Schale der Argosie, die dem Druck in 1.500 Faden Tiefe standhalten konnte. Sie fühlte sich geschützt, bewacht von Dutzenden starken Armen. Die Jahrhunderte waren der einzige Feind einer ausgewachsenen Argosie.

Mina nickte in Richtung Roberta und Conrad, die umschlungen in den trockenen Algen lagen und sich küssten. Roberta spreizte schamlos die Beine. Conrad schob ihren knallbunten, blümchengemusterten Sarong hoch, entblößte ihren straffen Unterbauch und berührte sie dort, wo es am schönsten war. Seine Finger kraulten ihr Schamhaar, streichelten die Schamlippen und reizten ihre Klitoris. Mina verdrehte die Augen, als wollte sie sagen: »Die beiden haben auch nur das Eine im Sinn.« Aber Tagane übersah nicht das lüsterne Funkeln in Minas neckischen grünen Augen. Die Leidenschaft sprang von der Argosie auf all ihre Passagiere über. Tagane spürte, wie sie durch ihren Körper strömte, auf ihrer Haut prickelte und sie feucht zwischen den Beinen machte.

Tagane streckte eine Hand nach Mina aus, die andere nach Slaven. Sie zog die beiden zur anderen Matratze und gab sich ihnen hin. Slaven zog sein T-Shirt und seine Jeans-Shorts aus. Sein Schwanz richtete sich stolz auf, während Mina Taganes beige Hose aufknöpfte und sie ihr über die Beine zog. Slaven zog ihr das weiße Flanellhemd aus und entblößte ihre vollen Brüste, dann wartete er darauf, dass Mina sich aus ihrem orangefarbenen Overall schälte. Schließlich nahmen sich beide ihres Kapitäns an und bedeckten ihr Gesicht und ihren Hals, ihre Brüste und ihren Bauch mit sanften, warmen und feuchten Küssen. Sie versank glücklich in einem kochenden Strudel, entflammt von ihrem schweren, heißen Atem, gereizt von ihren Fingern, Zungen und Lippen, und stöhnte in Extase, als Slavens Schwanz in ihre Möse glitt. Mina liebkoste und küsste sie beide, voll brennender Sehnsucht beim Anblick Slavens, der Tagane in langsamen, stetigen Stößen fickte, bis er schließlich erstarrte und in ihr kam, sie mit Sperma füllte. Im selben Moment kam es auch Tagane, und Mina fingerte sich fieberhaft zum Orgasmus, dann sackten alle drei auf der Matratze zusammen, Leib an Leib an Leib. Roberta und Conrad trieben es neben ihnen, er in ihr, sie um ihn, und das alles im Innern der Argosie, tief im Schoß des Ozeans, der ihr Leben war.

*

Das Gewitter ging vorbei, und der Ozean funkelte. Die Argosie trieb an der Oberfläche, ließ ihre Arme müßig durchs Wasser schlängeln, hatte die Segel eingezogen und ließ ihre Schale sanft von den Wellen umspülen. Tagane und ihre Mannschaft traten aufs Deck hinaus, ihre Leidenschaften befriedigt. Fürs Erste. Der Himmel über ihnen war mit Sternen gesprenkelt, der Ozean ringsum brannte.

Nach dem Gewitter war das Leben aus seiner Zuflucht in der Tiefe an die Meeresoberfläche zurückgekehrt: unermessliche Massen mikroskopischer Stachelkästchen, winzige Geschöpfe, die sich mit filigranen Schalen schützten, bewehrt mit Stacheln und ausgestattet mit Leuchtorganen. Ihnen folgten Fackelwürmer und Borstenwürmer und Lanzenköpfe; Schlangenschlucker, Gaffer und Beilfische und andere Tiefseefische, die bei Nacht an die Oberfläche kamen. Außerdem gefräßige Klinker und 'kudas und Stachelfische und wer weiß was noch, das im Ozean der Lichter, Fackeln und Laternen, die die Dunkelheit mit hellen Farben zerrissen, nach Nahrung suchte. Grün- und Blautöne, gelb, rot, weiß: glühend, miteinander verschmelzend und ineinander strömend, während das Plankton wimmelte. Schulen bildeten und zerstreuten sich und sammelten sich erneut, während rings um die Argosie das Leben wogte.

Tagane betrachtete den Ozean, der sie umgab. Sie hatte immer schon den Eindruck gehabt, dass die Farben nach einem Gewitter am strahlendsten leuchteten. In der Ferne erblickte sie dunkle Gebilde, die durch das Grün schnellten, etwas Großes und Ungewohntes, das sie noch nicht gefangen hatten. Was vielleicht auch besser so war, dachte sie. Rund fünfzig schwarze Blimps erhoben sich sechzig Meter über die Wasseroberfläche, von marmorartigen Mustern überzogen, die organgefarben leuchteten und sie immer an glühende Magmaklumpen erinnerten, die gerade erkalteten.

Plötzlich setzte sich die Argosie ruckartig in Bewegung. Tagane spürte ihre Unruhe für einen Moment, bevor sie ihre starken Arme hoch über die Wasseroberfläche hob und alle vier Segel ausbreitete, um möglichst viel vom leichten Wind einzufangen. Mina sprang auf die Füße, Roberta und Conrad nach ihr. »Meinst du ...?«, fragte Slaven.

»Möglicherweise«, nickte Tagane. Sie spürte, dass sie alle von neuer Unruhe erfasst wurden. Und die Argosie auch. »Wurde auch Zeit.« Mit Lasten beladen, bewegte sich die Argosie recht schleppend und war wenig geneigt, ihren Kommandos Folge zu leisten und in die gewünschte Richtung zu segeln, den Fischen, Algen und Fackelwürmern hinterher, von denen sie lebten.

Die Argosie segelte dahin, von einem Verlangen getrieben. Langsam und träge, aber sie segelte und zog ein helles Kielwasser hinter sich her. Als ob er das wortlose Flehen der Argosie erhörte, blies der Wind etwas stärker. Das Schiff und seine Mannschaft ließen die Blimps hinter sich, segelten über den flammenden Ozean, gefolgt von einer Schule Klinker, die sicheren Abstand zu den Armen der Argosie hielten. Tagane lehnte sich gegen die Reling. Der Wind schlug ihr kalt ins Gesicht und zerwühlte ihr Haar. Sie warf einen Blick auf Slaven, Roberta, Mina und Conrad. Die Anspannung zwischen ihnen nahm erneut zu. Auch in Tagane. Erwartungen, Nervosität, Unruhe. Sie betrachtete noch einmal ihre Seeleute, die Kameraden, mit denen sie die Argosie teilte. Ihretwegen lebte sie nicht auf den Inseln, in der Sicherheit festen Bodens unter ihren Füßen. Ihretwegen war sie auf dem Meer unterwegs und den Wind, den Strömungen und den Launen der Argosie ausgeliefert. Vor einem Gewitter konnten sie sich in die Tiefe zurückziehen. Vor den Ungeheuern waren sie durch die Arme eines wohlwollenden Ungeheuers geschützt. Ihretwegen, erkannte Tagane, segele ich. Und mit ihnen fühlte sie sich lebendig.

Man muss nicht leben, aber man muss segeln. Ein uraltes Sprichwort, das noch von der Erde stammte. Tagane hatte es vor langer Zeit gehört. Aber auf der Argosie gab es diesen Unterschied nicht. Leben und Segeln waren ein und dasselbe. Tagane begriff, dass sie sich ein Leben ohne Segeln nicht mehr vorstellen konnte. Und in gewisser Weise - gegen jede Logik, denn sie alle wussten, das sie nur Passagiere waren, die von der Gnade eines unendlichen Ozeans eingelullt wurden, der sich in Wahrheit nicht um seine Kinder scherte - erfüllte es sie mit Freude und Frieden.

 

»Tagane, schau mal! Da drüben«, wurde sie von Conrads Ruf aufgeschreckt. Sie hob den Blick, sah in die Richtung, in die sein Finger zeigte, und sah eine ferne Schale und Arme und vier ausgebreitete Segel. Eine zweite Argosie.

Bevor sie etwas sagen konnte, spürte Tagane, dass die Kammern sich rasch mit Wasser füllten, schneller als üblich. »Rein mit euch!«, befahl sie, und sie alle verkrochen sich hastig in der Schale, in ihrer Luftblase, während die Argosie tauchte, getrieben von einem Instinkt, über den sie keine Kontrolle hatte.

*

»Er ist riesig«, flüsterte Mina, ihre Nase an die Sichtluke gedrückt. Tagane entging nicht das Zittern, das ihren zerbrechlich wirkenden Körper durchfuhr. Sie spürte es selbst. Sie alle spürten es - es war das Zittern der Argosie. Anspannung. Erwartung. Süßes Verlangen.

»Er ist nicht größer als unsere Argosie«, sagte Slaven.

Aber auch nicht viel kleiner, befand Tagane. Das Männchen war in etwa fünfzig Faden Tiefe zur Ruhe gekommen, die Arme angelegt, die Segel eingezogen. Seine Schale war ein dunkles, eiförmiges Gebilde inmitten der schimmernden Aquarelle der Farben. Er wartete darauf, dass ihre Argosie auf ihn zukam.

»Siehst du jemanden?«, fragte Conrad. Tagane schaute durch die Sichtluken, aus denen milchig grünes Licht drang, das das Männchen einhüllte. Und ja, sie sah einen Mann. Sie winkte ihm zu. Er winkte zurück. Und dann erschien ein zweiter Kopf neben ihm, der Kopf einer Frau.

»Wir haben Gäste!«, rief Tagane. Alle waren begeistert. Es wurde Zeit für ein wenig Veränderung. Sie drängten sich alle neben Tagane um die Lichtluke zusammen, um zu sehen, was auf sie zukam.

»Ich kann nichts sehen«, klagte Roberta. Die Argosie näherte sich dem Männchen, der zweiten Argosie.

»Sie kommen mir nicht bekannt vor«, sagte Slaven. Er winkte den drei Köpfen zu, die sie inzwischen aus dem Männchen beobachteten. »Es könnten Leute aus dem Norden sein. Die nördliche Strömung ist in diesen Monaten recht stark.«

Und dann, durch den brennenden Ozean, streckte die Argosie einen Arm aus und berührte das Männchen. Sie betastete seine Schale und strich über seine Arme. Sie umfuhr sein riesiges Auge und streichelte sein Schild. Tagane wusste, dass das Weibchen immer als erstes einen Arm ausstreckt. Das Weibchen lädt immer als erstes zum Tanz. So verlangen es die Tradition und die Sitten der Argosies.

Das Männchen musste nicht lang umgarnt werden. Taganes Herz machte einen Sprung, als es seine Arme ausbreitete und auf die Argosie zukam. Auch sie streckte ungeduldig ihre Arme aus. Das Männchen verharrte für einen Moment, dann kam es ganz nah. Sein Saugrohr verband sich mit dem der Argosie. Wer immer sich im Männchen aufhielt, das wusste Tagane, würde durch das Saugrohr in ihre Argosie hinüber steigen. Die Mannschaft des Männchens kommt immer zum Weibchen hinüber. Sie alle - Tagane, Slaven, Roberta, Mina und Conrad - starrten angespannt auf die fleischige Membran vor dem Eingang der Kammer.

Die Membran öffnete sich, und ein mittelalter blonder Mann in Begleitung zweier jüngerer Frauen betrat ihr Zuhause. Die Mannschaft der anderen Argosie bestand nur aus drei Leuten, was Tagane ein wenig beruhigte. Es wäre ihr alles andere als recht gewesen, wenn sieben oder acht Männer die Kammer betreten hätten, mit vielleicht einer oder zwei Frauen. Und Mannschaften konnten sich ihre Schiffe nicht aussuchen. Die Argosies trafen die Wahl.

Sie sind auch nervös, erkannte Tagane. Sie spürten das Drängen des Männchens, so wie Tagane das Drängen ihrer Argosie spürte. Und sie kennen uns nicht, wie auch wir sie nicht kennen. Tagane lächelte. Ein Lächeln brach immer das Eis. Die Frauen antworteten mit einem sichtlichen Flattern ihrer Herzen. Der Mann lächelte auch. »Ich bin Sven«, sagte er. Der Kapitän, der den Besuch abstattete, ist immer der oder die erste, die sich vorstellt. »Tilda und Marina.«

Tagane stellte sich und dann ihre Seeleute vor. »Kommt rein«, sagte sie und begrüßte die Gäste in ihrer Argosie mit offenen Armen. Sie musterte die drei, während sich die Membran hinter ihnen wasserdicht schloss, und kam schließlich zu dem Schluss, dass sie die Besucher mochte.

»Ihr müsst aus dem Norden kommen«, sagte Slaven und trat auf sie zu.

»Ja, der nördliche Strom ist in diesem Jahr sehr stark«, erwiderte Sven mit einem Nicken. Sein Blick blieb an Roberta und Mina hängen. Er mochte Tagane und ihre Seeleute auch, vielleicht die ersten fremden Gesichter, die er seit Monaten gesehen hatte. Trotzdem blieben Tilda und Marina etwas reserviert.

Dann erzitterte die Argosie. Sie wussten alle, was gerade geschah. Sie konnten es in sich spüren, in ihren Herzen pochen, in ihren Schläfen trommeln. Die Weibchen und das Männchen klammerten sich aneinander, verschlangen ihre Arme, zwei Argosies, die sich in lebhaften Zuckungen vereinten. »Unsere Argosie ist ziemlich ungeduldig«, sagte Tilda mit trockenem Mund, als müsse sie sich entschuldigen.

»Ja«, brummte Tagane, nahm Sven an der Hand und führte ihn zur Matratze. Der Kapitän machte den Anfang. So war es Tradition und Sitte bei den Seeleuten. »Und unsere Argosie hört kaum noch.« Die Argosie erzitterte wieder, diesmal stärker. Ihr Verlangen traf Tagane wie ein Blitzschlag, riss sie auseinander und verbrannte sie zu Asche wie einen alten Baum. Mit zittrigen Fingern streichelte sie Svens unrasierte Wangen, zerzauste sein Haar und zog ihn an sich, so wie die beiden Argosies sich gerade mit ihren kraftvollen Armen umklammerten. Sie küssten sich, anfangs kurz, unsicher, und dann sahen sie einander in die Augen - Augen, die nichts als Verlangen ausdrückten - und küssten sich wieder und konnten mit dem Küssen nicht mehr aufhören, angetrieben von der Lust ihrer Argosies. Sie zogen sich hastig aus, und Sven drückte Tagane sanft in die trockenen Algen. Tagane spreizte die Beine für ihn, bereit für ihn, feucht für ihn, und nahm ihn - hart und angeschwollen - in sich auf, nahm ihn ebenso, wie er sie nahm, gab sich ihm hin, wie er sich ihr hingab, mit Freude, hieß ihn willkommen, so wie ihre Argosie das Männchen willkommen hieß. In den Nebel ihrer Leidenschaft versunken, fickten die beiden Kapitäne, geborgen in einem schwitzenden, zitternden, brennenden Meer aus den Körpern ihrer Seeleute.

All das kam Tagane in kurzen Momentaufnahmen zu Bewusstsein, in Ausbrüchen von Farbe, die in den Ozean ringsum ausströmte. Smaragdgrün: Conrad mit Tilda, die auf ihm ritt, von seinem Schwanz aufgespießt, und mit ihrem unbändigen kastanienbraunen Haar durch die Luft peitschte, und Mina - die süße, stets hilfreiche Mina -, die beide liebkoste und küsste. Orange: Marina, in einem orgasmischen Krampf, die Beine eng um Slaven geschlungen. Himmelblau: Slaven, der nach einem lautstarken Orgasmus in sich zusammensackte, erschöpft, mit schweißnasser Stirn, Roberta an seiner Seite liegend, gleich neben Marina, die sie mit einem Lächeln akzeptierte, und die beiden küssten und umarmten und streichelten sich; und Roberte, die nach unten rutschte und Marinas angeschwollene Möse leckte, von krausem blonden Haar an der Nase gekitzelt, während sie sich an Slavens Samen erfreute, der zwischen den Schamlippen hervor rann. Grün: Sven, der stöhnte und Worte in einer nordischen Sprache hervor bellte, die Tagane nicht verstand, dann erstarrte und sie mit seinem Sperma füllte, und sie genoss es ebenso wie er und schloss sich ihm nach einer kurzen Pause an, als er Mina befummelte, ihren Hintern anhob und in sie eindrang. Feuerrot: Slaven, der Tilda wilde fickte, immer wieder seinen Schwanz in sie hinein stieß. Gelb: Conrad, der sich zu Marina und Roberta gesellte, und dann kam auch Tagane dazu, fasste ihn am Schwanz, positionierte ihn vor Marina und führte ihn ein; und er drang in sie ein, und die beiden bumsten, während Roberta und Tagane sie küssten und streichelten und ihnen den Schweiß von der salzigen Haut leckten, bevor sie sich einander zuwandten. Violett: Mina und Sven, dem es nach mehreren Minuten heftigen Stoßens kam, aber er hatte immer noch nicht genug, und seine starken Arme drehten Mina auf den Bauch; und er küsste und tätschelte ihren straffen Hintern, bevor er sie von hinten bestieg. Weiß: Slaven und Tilda, die sich neben ihnen aneinander pressten. Acht Körper, zu einem heißen, schwitzenden Malstrom aus Küssen und Lecken, Streicheln, Reiben und Reizen, Ficken und Bumsen vereint. Ein kontinuierlicher Strom von Orgasmen, die zu einem einzigen großen Höhepunkt ineinander übergingen, den Worte nicht beschreiben können. Atemlos, mit schwindendem Bewusstsein, während die beiden Mannschaften und die zwei Argosies ein neues Leben schufen, inmitten des Feuerwerks unzähliger Lebewesen, mit denen sie den Ozean teilten.