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Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem Mars.

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Sechstes Kapitel
Im Reiche der Vergessenen

Mit gemischten Gefühlen kehrten die Herren von Angola nach Lumata zurück. Sollten sie auf dem Mars bleiben oder sollten sie gehen? Das war die ernste, schwerwiegende Frage, die sie in den folgenden Monaten beschäftigte.

„Wenn uns die Marsiten in Angola auch nicht geradezu den Stuhl vor die Tür gesetzt haben, so haben sie uns doch deutlich genug zu verstehen gegeben, daß wir unsere sieben Sachen zusammenpacken sollen,“ äußerte sich eines Tages Piller zu seinem Kollegen Stiller.

„Sie haben recht! Und ich muß Ihnen auch aufrichtig erklären, daß mir dieses unproduktive Leben, diese an uns geübte weitgehende Gastfreundschaft, für die wir uns auch nicht im geringsten erkenntlich zu zeigen vermögen, zuwider zu werden anfängt. Einmal müssen wir doch an das Fortgehen denken, denn bis ans Ende unserer Tage können wir wohl nicht hier oben sitzen bleiben.“

„Hm, hm, gerne gehe ich von Lumata nicht fort; es wird mir wirklich sehr schwer! Denke ich nur an unsere Herreise mit allen ihren Beschwerden, so graut es mir förmlich vor einer Rückkehr. Aber diese muß stattfinden, darüber kann und darf kein Zweifel bestehen. Es handelt sich nur um den Zeitpunkt. Warten wir’s noch ab!“ antwortete Piller.

„In ähnlicher Weise wie Sie sprechen sich auch die andern Freunde aus, lieber Piller. Nur Frommherz macht eine Ausnahme. Der weicht soviel wie möglich jeder Erörterung aus, die die Rückkehr zum Gegenstand hat.“

„Glaub’s wohl!“ lachte Piller laut auf. „Unser lieber Freund Friedolin ist überglücklich, hier oben weilen zu dürfen, und bekommt stets Herzbeklemmungen, wenn wir von einer Heimreise zu reden beginnen. Im Grunde genommen kann ich es ihm nicht verübeln, wenn er dauernd hierbleiben möchte. Aber aufhören muß einmal diese Art von Schlaraffenleben, das ist klar. Darin stimme ich Ihnen also völlig bei, Stiller.“

„So bleiben wir einstweilen noch hier und nützen unsere Zeit möglichst gut aus. Inzwischen sorge ich für die tadellose Ausbesserung unseres Weltenseglers, für Bereitstellung des geeigneten Proviantes usw. Langsam, aber gründlich werde ich die Vorbereitungen zu unserer Abreise treffen.“

„Und vergessen Sie mir nicht den feinen goldenen Tropfen! Nehmen Sie nur gleich, bitte, einen anständigen Vorrat davon mit in die Gondel!“

„Soll geschehen, Sie ewig Durstiger,“ sagte lächelnd Stiller.

In freundlichem, angenehmem Verkehr mit dem liebenswürdigen Marsvolke, in kleinen und größeren Ausflügen und Reisen verfloß die Zeit nur zu rasch. Auf einem ihrer Streifzüge waren sie auch weiter hinaus aus der eigentlichen Bevölkerungszone in die nördliche, kühlere Region des Planeten gelangt. Es mutete die Forscher ordentlich heimatlich an, als sie hier wohlgepflegte Nadel- und Laubholzwaldungen neben saftigen, grünen Wiesen und schönen, dunkelblauen Seen fanden. Hohe Gebirgszüge schoben sich dazwischen, und ihre mit Schnee bedeckten höheren Gipfel verstärkten noch den Eindruck einer alpinen Landschaft.

Hier stießen sie auch auf zerstreute, weit auseinander liegende kleine Kolonien von Marsiten, deren ernstes, wortkarges Wesen und Auftreten merkwürdig von der heiteren und frohen Lebensauffassung ihrer übrigen Brüder abstach. Auf ihr Befragen erfuhren die Gelehrten, daß ähnliche kleine Kolonien auch in der südlichen kühlen Zone des Mars beständen. Die Kolonisten hießen die „Vergessenen“, weil ihre Namen vorübergehend oder auch dauernd von den Tafeln der Marsstämme gestrichen worden seien.

„Dann sind es somit Verbrecher, die, von der Gemeinschaft der übrigen ausgestoßen, hier oben ihre Strafe abzubüßen haben?“ fragte Dubelmeier.

„Wir kennen nur Gesetzesübertreter, keine andern Missetäter,“ wurde dem Frager erklärt.

„Nun, schließlich kommt dies ja auf das gleiche heraus,“ antwortete Dubelmeier. „Worin besteht denn bei euch die Gesetzesübertretung, die die Strafe der Verbannung in diese Gegenden nach sich zieht?“

„In mangelhafter Erfüllung der allgemeinen Pflichten und Obliegenheiten.“

„Da müßte man bei uns auf der Erde neun Zehntel aller Menschen verbannen, und wir kämen des Platzes wegen für diese Menge von Verbannten in die größte Verlegenheit,“ rief Piller voll Erstaunen.

„Wir sind auch nicht auf eurem Planeten,“ antwortete mit überlegenem Lächeln Varan, der Führer der Reisebegleitung.

„Aber es ist doch grausam, kleinerer Verstöße wegen einen Mitmenschen aus seiner ihm trauten und gewohnten Umgebung zu reißen,“ warf Hämmerle ein.

„Über die Art der Verstöße gegen unsere Lebensvorschriften zu richten, sind nur wir allein maßgebend,“ entgegnete Varan ernst.

„Ohne Zweifel!“ gab Stiller zu.

„Aber Verzeihung ist die Krone der Liebe! Verzeiht ihr nicht auch?“ forschte Frommherz.

„Gewiß! Aber es gibt Vergehen, für die niemals Verzeihung gewährt werden kann. Sie sind zwar äußerst selten, diese Fälle, aber sie kommen bei uns doch noch hier und da vor. Die Vergessenen erhalten nach einer gewissen Zeit der Prüfung meist ihre Namen wieder. Es steht ihnen dann die Rückkehr in die engere Heimat und der Wiedereintritt in ihren Stamm frei. Aber nur wenige machen von dieser Erlaubnis Gebrauch. Einmal ausgestoßen, zieht unser Bruder ohne Namen es für gewöhnlich, vor, da zu bleiben, wo er hingebracht wurde, und sein Leben in strenger Arbeit dem Wohle der übrigen zu widmen.“

„Worin besteht diese Arbeit?“ fragten die Herren.

„In tadelloser Instandhaltung der hier ihren Ursprung nehmenden Kanäle: eine ebenso wichtige wie schwierige Aufgabe, von deren gewissenhafter Erfüllung unsere Gesamtexistenz abhängt.“

„Und wer sorgt für den Unterhalt der Vergessenen?“

„Sie selbst. Sie treiben nebenbei Viehzucht, Ackerbau und dergleichen mehr. Kommt einmal die Zeit, wo es keine Vergessenen mehr bei uns gibt, so müssen wir eben selbst diese Arbeiten ausführen. Darüber liegen bereits genaue Bestimmungen vor, denn unsere Vergessenen vermindern sich mehr und mehr,“ schloß Varan seine Auseinandersetzungen.

„Wunderbar glücklicher Planet, dieser Mars! Sogar die Missetäter hier oben, wenn man sie nach unseren Begriffen so bezeichnen darf, werden wieder Wohltäter durch ihre Leistung für das große Ganze,“ rief Stiller voll Enthusiasmus. „Und doch erfüllt es mich mit einer gewissen, wenn auch höchst bescheidenen, Genugtuung, daß auf dem Mars dieses Lebensbild voll Glanz und Licht einen kleinen Schatten hat, daß es auch nicht rein vollkommen ist.“

„Vollkommen oder unvollkommen sind Begriffe, die wir uns selbst unten auf der Erde geformt haben, und die wir im Sinne ihrer Bedeutung für uns auf die Zustände hier oben nicht anwenden dürfen,“ antwortete Dubelmeier.

„Sehr richtig!“ bestätigte Frommherz. „Mir persönlich kommt hier oben alles vollkommen, alles ganz wunderschön vor. Hier habe ich das Paradies gefunden, von dem man bei uns träumt.“

„Sie Schwärmer!“ erwiderte lachend Piller. „Besser ist die Marswelt entschieden als die unsere, und unsere Erde die beste der Welten zu nennen, wie es allgemein geschieht, ist daher nichts als platter Unsinn. Aber, lieber Frommherz, bald müssen Sie aus Ihrem Paradiese heraus und wieder hinunter nach Tübingen.“

„Das kann unmöglich Ihr Ernst sein, Piller,“ stotterte Frommherz erbleichend.

„Bitterer Ernst, mein Freund! Die schönen Marstage gehen nun bald zu Ende, nicht nur für Sie, nein, auch für uns, leider, leider!“ Professor Piller mußte sich nach diesen Worten heftig schneuzen.

„Aber die entsetzliche Reise!“ jammerte Frommherz. „Haben Sie denn schon so vollständig die ungeheuren Mühseligkeiten unserer Herreise vergessen?“

„Lieber Frommherz, es muß sein,“ entgegnete Stiller. „Wir sind nun bald zwei Jahre Gäste hier, und auch die Gastfreundschaft hat ihre Grenzen. Übrigens wissen Sie auch ganz genau, daß die Marsbewohner mit unserer Abreise rechnen. Ich glaube, die Worte, die damals Anan in Angola an uns richtete, enthielten deutlich genug den Wink zum Fortgehen. Unser Ehrgefühl und auch unsere Dankbarkeit erfordern, daß wir den Mars verlassen und zwar bald. Gewiß, die Rückreise ist mühselig, sie wird möglicherweise noch anstrengender für uns werden als die Herfahrt, aber – es muß sein!“

„Aber – aber könnte nicht ich wenigstens zurückbleiben?“

„Es geht nicht! Es ist nicht gut möglich! Wir sind miteinander gekommen, und wir müssen daher auch wieder miteinander gehen. Das ist klar. Wir alle, Sie leider ausgenommen, sind darüber einig, daß wir gehen müssen, obgleich uns der Abschied von diesem herrlichen Planeten wahrlich schwer genug wird, denn wir haben ohne Zweifel auf ihm die schönste und an Genuß reinste Zeit unseres Lebens zugebracht. Einen Drückeberger darf es nicht geben,“ entschied Stiller.

Etwas beschämt über diese wie eine Zurechtweisung klingende herbe Antwort, ließ Frommherz nichts mehr über die ihn bewegenden Gefühle verlauten; er verschloß sie von jetzt ab fest in seiner Brust.

In dem landschaftlichen Bilde, das sich hier den Augen bot, fiel Herrn Dubelmeier ein stattlicher Berg auf, der isoliert in stolzer Einsamkeit seine schneebedeckten Gipfel gen Himmel streckte. Der ganze pyramidenartige Aufbau des Berges verriet seinen vulkanischen Ursprung. Von seiner etwas abgestumpften Spitze aus mußte man eine großartige Fernsicht genießen. Bei diesem Gedanken war in Herrn Dubelmeier die alte Leidenschaft des Bergsteigers wieder geweckt.

„Wie wäre es, wenn wir zum Schlusse unseres Aufenthaltes auf dem Mars jenem prächtigen Berge da drüben einen Besuch abstatten würden? Bei der Beschaffenheit der Marsatmosphäre dürften wir dort oben eine außerordentlich schöne Aussicht haben,“ sprach Dubelmeier zu seinen Gefährten.

„Ich komme mit,“ entschied Stiller kurz entschlossen.

„Ich auch!“ erklärte Piller. „Wie heißt der Berg, Varan?“

„Der Berg des Schweigens.“

„Ein merkwürdiger Name!“ meinte Stiller. „Wer kommt sonst noch mit?“

 

Aber die vier übrigen Schwabensöhne konnten sich zu der Tour nicht entschließen. Eine gewisse Mattigkeit und Abspannung hielt sie davon zurück. Man kam überein, daß sie hier die Rückkehr der drei Freunde abwarten sollten. Varan sorgte für alle Bedürfnisse der kleinen Karawane und vergaß auch nicht die passenden Kleidungsstücke und die sonstigen erforderlichen Gegenstände. In Begleitung von drei Marsiten reisten die Herren ab. Ein Motorboot brachte sie auf einem der Kanäle rasch bis zum Fuß des Berges, der sich beim Näherkommen immer mehr als ein Riese entpuppte. Dubelmeier schätzte seine Höhe über der Talsohle auf ungefähr dreitausend Meter.

Steil fiel er von allen Seiten ab, und es war nur in langen Zickzacklinien möglich, zu ihm emporzuklimmen. Es war dies ein beschwerliches Stück Arbeit. Bei jedem Schritt sank der Fuß bis über den Knöchel in den schwarzen Sand des verwitterten Lavafeldes ein. Stunden vergingen in ermüdendem Steigen, bis die Herren endlich in die Nähe der Schneegrenze gelangten. Hier wurde Halt gemacht. Einige Stunden der Ruhe sollten die gesunkenen Kräfte der Bergsteiger wieder heben. Erst jetzt konnten die Herren erkennen, wie hoch sie schon gekommen waren, denn bei dem mühsamen Stampfen durch den lockern Boden hatten sie keine Zeit gehabt, Umschau zu halten.

Während die Marsiten einen Imbiß herrichteten, betrachteten die drei Schwaben das zu ihren Füßen sich ausbreitende parkartige Panorama, das sich im Lichte der untergehenden Sonne golden spiegelte. Kein Laut, kein Ton, der die Anwesenheit noch anderer belebter Wesen verraten hätte, ließ sich vernehmen, nicht einmal das Rauschen eines talwärts strebenden Baches. Alles schien an diesem Berge in die starren Fesseln völliger Stille geschlagen zu sein, und der Berg trug daher seinen Namen mit Recht. Auch die Erdensöhne waren schweigsam. Still mit den eigenen Gedanken beschäftigt, starrte jeder der Männer vor sich hin.

„Ich besinne mich vergeblich, mit welcher Landschaft auf der Erde ich das Panorama da unten vergleichen soll,“ unterbrach Stiller das Schweigen.

„Mich erinnert es in etwas an den Vulkan Villa rica im südlichen Chile. Hier wie dort ragt ein gleicher Bergkegel aus der Ebene hervor. Ganz ähnlich ist der Ausblick auf dunkelgrüne Waldungen und hellglitzernde Seen und Wasserstraßen.

Dazu kommt noch hier wie dort die durchsichtige Luft, die satte Bläue des Himmels und die geheimnisvolle Stille der Natur,“ entgegnete der vielgereiste Dubelmeier.

„Das kann ich nicht beurteilen. Aber ein Bild voll tiefen Friedens, voll wohltuender Anmut und Schönheit bleibt das Marsland auch von hoher Warte aus. Von wo aus man es auch betrachten mag, überall tritt es uns wie eine hehre Offenbarung entgegen,“ rief Stiller begeistert.

Bei diesen Worten seines Kollegen schneuzte sich Piller wieder einmal sehr kräftig.

„Recht haben Sie, Stiller! Doch hier kommt Speise und Trank, gute Mittel gegen – na, sagen wir Gemütsattacken.“ Damit ergriff Piller eine Flasche, schenkte sich von dem edlen Marsweine ein und trank das Glas mit einem Schluck leer.

Die Nacht war herangekommen. Phobos und Deimos zogen ihre stille, leuchtende Bahn, als die Karawane aufbrach, um auf dem festgefrorenen Schnee langsam den Weg zur Spitze des Berges emporzuklettern. Tiefe Rubintinten am östlichen Himmel kündigten den Aufgang der Sonne an, als Schwabens Söhne endlich glücklich den Gipfel des Berges erreicht hatten. Einem Glutballe gleich stieg bald darauf die Sonne empor und warf ihre Strahlen über Berge und Täler. Ein Rundblick von überwältigender Großartigkeit lohnte die Männer für ihre Anstrengungen des Aufstiegs.

Der Berg des Schweigens überragte die übrigen Höhenzüge ganz bedeutend. Er war die höchste Erhebung der nördlichen Marshemisphäre. Weithin schweiften die Blicke völlig frei und unbehindert. Selbst die fernsten Gegenstände schienen, dank der dünnen, klaren Luft, dem Auge greifbar nahe gerückt. In weiter, weiter Ferne nach Norden zu konnten die drei Gelehrten mit Hilfe der scharfen Marsteleskope, die sie mit sich führten, eine weiße, bogenförmige Linie erkennen. Diese grenzte scharf und deutlich den bläulich schimmernden Horizont ab. Die Herren wußten zunächst nicht, wofür sie diese eigenartige Linie, die ein erstarrtes Eismeer einschloß, halten sollten.

„Das ist ja der Nordpol des Mars!“ entfuhr es plötzlich den Lippen Stillers.

Eine große Erregung bemächtigte sich der Beobachter: der Hauch der Unendlichkeit wehte ihnen hier entgegen. Ein solches Ergebnis der Fernsicht hatten sie nicht erwartet. Immer und immer wieder betrachteten sie die deutlich wahrnehmbare Abrundung.

„Kein, Zweifel, es ist der Nordpol. Wie wunderbar, daß unsere Augen auf einem andern Planeten das schauen dürfen, was auf der Erde bis jetzt, allen Versuchen zum Trotz, niemandem gelang!“ sprach Herr Stiller. „Wie wird dieses Bild erst bei Nacht sein!“

„Wie meinen Sie das?“ forschte Dubelmeier.

„Nun, ich denke an die feurigen elektro-magnetischen Polausströmungen,“ erwiderte Stiller.

„So bleiben wir so lange hier!“ entschied Piller. „Aber sehen sie einmal, meine Freunde, was ist denn da unten?“

Stiller und Dubelmeier drehten sich um. Etwa zweihundert Meter unter ihnen lag, hell beschienen vom Lichte des Tages, im Krater des früheren Vulkans ein See von heller, smaragdgrüner Farbe. Blühende Blumen umsäumten seine Ufer.

„Blumen und Wasser, Eis und Schnee, merkwürdige Kontraste! Wie verträgt sich das?“ fragte Piller. „Wir scheinen ja hier oben von einem Wunder ins andere zu fallen!“

„Auf dem Mars hat das Merkwürdige überhaupt kein Ende!“ entgegnete Stiller lächelnd. „Doch untersuchen wir die Sache, und steigen wir hinab in den Krater, der nebenbei noch ein ausgezeichneter Lagerplatz sein dürfte!“

Bald waren die Herren unten am See. Da, wo der Schnee aufhörte und der Pflanzenwuchs einsetzte, fühlte sich der Boden warm an, ein Beweis, daß der Vulkan noch nicht gänzlich erloschen war. Das Wasser des Sees war gleichfalls warm und zeigte eine Temperatur von dreißig Grad Celsius. Das wunderbar klare, nahezu durchsichtige Wasser von etwas salzigem Geschmack ließ den Boden des tiefen Sees deutlich erkennen, der wie mit einem tiefroten Teppich bedeckt erschien.

„Das sieht ja aus, als ob ein schwerer mineralischer Farbstoff hier hineingeschüttet worden wäre,“ äußerte sich Piller zu seinem Kollegen Stiller.

„Es scheint Eisenoxyd zu sein, das sich auf dem Boden des Sees niedergeschlagen hat. Wahrscheinlich war das Wasser einst stark eisenhaltig,“ entgegnete Stiller.

„Das mag sein. Dadurch ist auch das Fehlen jeglichen Tierlebens in dem Wasser erklärlich.“

Die Herren betrachteten nun die in Fülle am Uferrande wachsenden blühenden Pflanzen. Es war ein bunter, duftender Blumenteppich, der einen anmutigen Eindruck auf die Erdensöhne machte. Alle möglichen Arten von Pflanzen waren vertreten, die mit denen der alpinen Regionen der Erde verwandt waren.

Mit Behagen genossen die Herren die Stunden des Tages hoch oben im Krater und bedauerten nur, daß die andern Freunde nicht auch anwesend waren. Als der Abend gekommen war, stiegen sie, wohl eingehüllt in ihre Pelze, wieder hinauf zur Spitze. Tiefes Dunkel lag bereits über dem Marsland, als die Forscher den Rand des Kraters erreichten. Die Marsmonde waren noch nicht aufgegangen. Aber in der Richtung des Nordpoles, den die Freunde diesen Morgen gesehen, begann es aufzublitzen, zuerst langsam, dann immer stärker. Schließlich fuhren feurige Strahlen empor, bildeten über dem polaren Horizonte einen Halbkreis und verschwanden wieder. Ein herrlicher Wechsel der Farben vom blendenden Rotgold bis zum leuchtenden Saphirblau, verbunden mit dem Wachsen und Schwinden der zuckenden Strahlen, erzeugten ein Bild von vollendeter Schönheit.

„Diese glänzende Naturerscheinung ist ein würdiger Abschluß unserer Expedition nach dem Berge des Schweigens,“ sprach Stiller zu seinen Freunden, als das Polarlicht durch die inzwischen emporgestiegenen helleuchtenden Monde des Mars mehr und mehr zurückgedrängt wurde.

„Ja, hier oben auf dem Mars ist alles lichtvoll, voll freundlicher Helle, selbst die Nacht. Welch zauberhaft schöne Reflexe bringt das Licht der Monde da unten hervor!“

Mit diesen Worten wies Piller hinunter auf den stillen Kratersee, auf dessen Wasser die zitternden Strahlen der beiden Monde tausendfach gebrochen tanzten. Es war, als ob mit Leuchtkraft begabte Wesen aus der Tiefe des Berges emporgestiegen wären und nun an der Oberfläche des Wassers ihr neckisches Spiel trieben.

Im Mondschein traten die drei wackeren Schwaben, um eine wertvolle Marserinnerung reicher, einige Stunden später den Abstieg an, um vereint mit ihren vier Kollegen wieder nach Lumata zurückzukehren.

Siebentes Kapitel
Der Abschied

Nach der Rückkehr aus dem Gebiete der Vergessenen begann Frommherz den Verkehr mit seinen Gefährten mehr und mehr einzuschränken. Er nahm mit ihnen allerdings noch die gemeinsamen Mahlzeiten ein, zog sich aber, sooft es sich ohne Aufsehen machen ließ, von der Gesellschaft seiner Freunde zurück. An den Abenden, die sonst der allgemeinen Unterhaltung und dem Gedankenaustausch im schönen Heim von Lumata gewidmet waren, ging er für sich allein spazieren und genoß in stillem Entzücken den eigenartigen Zauber der Mondnächte. Und von hier oben sollte er fort, von diesem Eden, und wieder hinunter auf die kalte Erde? An diesem Gedanken krankte Frommherz förmlich. Die Herren waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um dem eigentümlichen Benehmen ihres Genossen allzugroße Bedeutung beizulegen.

Durch Eran hatte Stiller dem Zentralsitze des Stammes der Weisen in Angola mitteilen lassen, daß er und seine Gefährten sich endgültig entschlossen hätten, nach der Erde zurückzukehren. Die Abreise beabsichtigten sie am zweiten Jahrestage ihrer Landung auf dem Mars anzutreten.

Darauf war eine Einladung, wieder nach Angola zu kommen, als Antwort eingetroffen. Ihr Empfang dort ließ an Herzlichkeit nichts zu wünschen übrig. Eine Reihe glänzender Feste wurde zu ihren Ehren und als Feier des bevorstehenden Abschiedes veranstaltet. Das Beste und Schönste, was die darstellenden und bildenden Künste auf dem Mars zu leisten vermochten, wurde bei diesen Festen den Erdensöhnen geboten. Aber die Schatten des Abschiedes von dem wundervollen Planeten und seinen so idealen Bewohnern begannen bereits auf den Herren Schwaben zu lagern und ließen sie das Gebotene nicht mehr mit voller Freude genießen.

In der gewaltigen Spiegelgalerie des Palastes der Weisen fand das letzte Essen statt. Zu ihm waren von allen Seiten des Mars Eingeladene erschienen und von allen Stämmen offizielle Vertreter. Draußen im Westen begann das ewige Licht, die Sonne, niederzusteigen. Ihre milden, goldenen Strahlen warfen die großen Spiegel des Saales unzähligemal gebrochen zurück. Es war im Saale ein Wogen und Fluten des Lichtes, das die Augen förmlich blendete. Durch die offenen Fenster drang der Duft der Blumen herauf in den Saal. Im leichten Abendwinde ließen die schlanken Palmen des Parkes ihre Kronen leise rauschen. Ruhig und still grüßte der tiefblaue See durch den grünen Dom der Bäume herüber, zwischen denen noch in geschäftiger Eile zwitschernde Vögel flogen und Lianen ihre farbenprächtigen Blütenschnüre warfen. Ferne, sanfte Höhenzüge, rosig angehaucht von der Abschied nehmenden Sonne, rahmten das köstliche Landschaftsbild ein, das die Erdgeborenen heute zum letzten Male sehen sollten. Diese waren als die ersten im Saale erschienen und standen nun an den hohen Fenstern versunken in die traumhaft schöne Szenerie.

„Uns wird der Abschied wahrhaftig schwer gemacht,“ sprach leise Piller zu dem neben ihm stehenden Kollegen Stiller. „Frommherz hat recht. Ist dies hier nicht ein Land, das die Bezeichnung eines Paradieses verdient?“

„Ohne Zweifel!“ antwortete Stiller. „Es, ist ein Eden, so recht geschaffen für die Betrübten, für die Heimatlosen, wie wir es nun sein werden.“

„Heimatlos? Wie meinen Sie das, Stiller?“

„Heimatlos, jawohl!“ erwiderte Stiller, und seine Lippen zuckten schmerzlich, als er nach kurzer Pause fortfuhr: „Glauben Sie denn, wir würden, nachdem wir zwei volle Jahre hier oben inmitten einer wunderbar schönen Natur, eines geradezu paradiesischen Landes unter stolzen, freien und edlen Menschen gelebt haben, uns in der Heimat wieder wohlfühlen können? Niemals! Fremdlinge werden wir da sein, wo wir geboren worden sind, wo wir früher gelebt, gerungen, für unsere Überzeugung gestritten haben.“

„Stiller, machen Sie mir den Abschied nicht zur Unmöglichkeit!“ Piller mußte sich, wie stets nach heftiger seelischer Erregung, mehrmals stark schneuzen. Dann trat er rasch an die Tafel, schenkte sich ein Gläschen Wein ein und leerte es auf einen Zug.

 

„Fern sei es von mir, Ihnen den Abschied zur Unmöglichkeit zu machen, denn wir müssen ja fort. Aber“ – ein Leuchten erhellte dabei das Gesicht des Sprechenden – „ausstreuen wollen wir, ohne Wortgeklingel, unten auf der Erde die Keime jener großen Zukunft, die wir hier oben in so herrlicher Weise verwirklicht angetroffen haben.“

Als Zeichen des Einverständnisses drückte Piller seinem Kollegen stumm die Hand.

Allmählich füllte sich der Saal mit den Geladenen. Alle kamen auf die Erdensöhne zu und schüttelten ihnen die Hände. Nachdem Anan erschienen war, begann das Essen. Neben dem Ältesten der Alten saßen die sieben Schwaben. Die Kronleuchter des Saales erstrahlten im Lichte elektrischer Lampen. Sie beleuchteten die glänzende Tafel und die große, feierlich gestimmte Gesellschaft. Unten, vor der Spiegelgalerie, auf der großen Terrasse, waren die Chöre der Sänger und Musiker aufgestellt, die während des Mahles abwechselnd ihre entzückenden Weisen ertönen ließen.

Als das Essen beendigt war, erhob sich Anan. „Meine Brüder und Schwestern,“ hub er zu sprechen an, „die Stunde des Abschiedes von Angola ist gekommen. Unsere Gäste aus dem fernen Schwabenlande kehren demnächst wieder dahin zurück. Mögen sie heil, und gesund den trauten Boden ihrer Heimat wieder erreichen! Sie selbst werden in unserm Andenken für immer fortleben. Wir haben beschlossen, ihre Namen in goldenen Buchstaben auf Marmortafeln hier in diesem Saale neben ihren Bildern anzubringen, unsern spätern Nachkommen zur Erinnerung an diese kühne Reise zu uns und an ihren langen, durch keinen Mißton getrübten Aufenthalt in unserer Mitte. Ferner haben wir beschlossen, als weiteres Zeugnis dieses ersten und letzten Besuches von Erdgeborenen auf unserm Lichtentsprossenen all die verschiedenen Mitteilungen, die sie uns über das Leben und Treiben der Völker der Erde gemacht haben, in einem Buche niederzulegen, das hier in unserm Heim einen besondern Ehrenplatz erhalten soll. Für ewig soll neben den Namen unserer Gäste auch das festgehalten werden, was sie uns in feierlichen Augenblicken verkündet haben. So soll ihr Besuch im Andenken bei uns geehrt werden bis in die fernsten Zeiten.

Und nun, meine lieben Freunde,“ Anan wandte sich mit diesen Worten an die sieben Schwaben, „haben wir für euch eine Reihe von Andenken bestimmt, wie sie Kunst und Wissenschaft vereint auf unserm Lichtentsprossenen hervorgebracht haben. Nehmet diese Erzeugnisse, die dort auf jenem Tische liegen, mit euch zur Erinnerung an den Aufenthalt unter uns. Hier übergebe ich euch ein goldenes Buch. Es enthält die Entwicklungsgeschichte unseres Volkes. Mit der allgemeinen fortschreitenden Bildung und Urteilsfähigkeit vereinfachte sich bei uns auch mehr und mehr die Gesetzgebung. Sie gipfelt eigentlich nur in dem einen fundamentalen Satze: Tue nicht, was du nicht willst, daß dir getan werde! Ihr werdet also in dieser Beziehung in dem Buche wenig mehr finden, denn die Menge der Gesetze eines Volkes ist nur der Beweis für dessen Handlungsunfähigkeit. Das Buch enthält aber noch unsere Ansichten und Begriffe über die natürliche Moral, über die unverwüstlichen Grundsätze, die bei uns das Werk der Reinigung vollendet haben. Möge dieses sich auch einst auf der Erde in ähnlicher Weise vollziehen wie bei uns, mögen einst auch bei euch die Hüllen und Verkleidungen fallen, die leider unten auf der Erde noch den wahren, an sich so einfachen Kern der natürlichen Moral umschließen! Möge, von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, eure gefahrvolle und beschwerliche Reise nach unserer fernen Himmelsleuchte und euer Aufenthalt unter uns von Nutzen gewesen sein!“ Anan setzte sich.

Eine tiefe Stille herrschte, als der ehrwürdige Greis gesprochen hatte. Jetzt erhob sich Stiller. In bewegten Worten dankte er zunächst in seinem und seiner Gefährten Namen für all das Gute, das ihnen hier oben erwiesen worden sei. Er habe hier eine Reife der Entwicklung angetroffen, die er früher nur zu ahnen gewagt, in Wirklichkeit aber nicht für möglich gehalten habe. Er und seine Gefährten hätten hier oben viel gelernt, und von manchem Irrtum seien sie befreit worden.

„So habe ich unter anderem auch geglaubt, daß ohne den rohen Kampf ums Dasein eine Entwicklung des Menschen zu Höherem nicht denkbar sei, daß der rücksichtslose Kampf um die Existenz die notwendige Erhebung des Menschen für dessen Klärung und Läuterung vorstelle. Von dieser Ansicht bin ich durch meine Beobachtungen hier oben abgekommen. Der rohe Kampf ist nur das Kennzeichen der Selbstsucht, die wahre Nächstenliebe mildert ihn, und diese fehlt bei uns leider noch in hohem Maße.

Auch bei euch hier oben herrscht ein Wettkampf, aber wie sehr ist er von dem verschieden, was wir unten auf der Erde darunter verstehen! Jeder einzelne von euch ist bestrebt, in edlem, selbstlosem Wettbewerbe nur das Beste zu bieten unter peinlichster Berücksichtigung der berechtigten Interessen seines Nebenmenschen und Bruders. Jeder lebt bei euch das große Leben der Gesamtheit mit, weil er sich als einen wesentlichen Bestandteil des Gesamtorganismus fühlt; denn gedeiht der einzelne, so gedeiht auch das Ganze, ist dagegen der einzelne krank, so leidet auch die Gesamtheit. Und wie gesund, kraftstrotzend ist diese bei euch!

Wie weit sind wir dagegen auf unserer Erde von dem Ideale des Lebens und seiner Auffassung überhaupt entfernt! Wie klein stehen wir euch gegenüber da! Und doch, es muß und wird auch bei uns einst tagen. Wir, die wir bei euch gewesen, wir wollen, soweit es in unsern Kräften steht, den Samen zu jenem schönen und großen Leben der Zukunft ausstreuen, das wir bei euch hier in so prächtiger Blüte verwirklicht kennengelernt haben. Unsere Reise zu euch war nicht vergeblich. Was wollen ihre Mühseligkeiten und Gefahren bedeuten im Verhältnis zu dem Reinen und Schönen, das wir hier genießen durften! Schweren Herzens, mit dem Bewußtsein, hier bei euch unsern inhaltreichsten Lebensabschnitt zugebracht zu haben, unendlich reich in der Erinnerung, treten wir unsere Heimreise an. Die Mutter Erde verlangt zurück, was ihr entsprossen.

Niemals bis zu unserm letzten Atemzuge werden wir vergessen, was ihr uns geboten habt, was ihr uns gewesen seid, und wie ihr uns geehrt habt. Wenn wir einst später unten in unserer Heimat in nächtlichen Stunden aus weiter Ferne euren Mars, den Lichtentsprossenen, herüberleuchten sehen, so werden wir in treuem Gedenken stets bei euch weilen und mit stiller Sehnsucht an die schönste Zeit unseres Lebens zurückdenken. Lebt wohl, teure Freunde! Ich umarme Anan für euch alle und drücke ihm für euch alle den Bruderkuß des Erdgeborenen auf seine reine Stirn. Denn Brüder sind wir ja alle, die sich Menschen nennen, hier oben wie unten auf der Erde.“

Stillers Worte hatten auf alle Anwesenden gewaltigen Eindruck gemacht, und als er nun auf Anan, den erhabenen Greis, zutrat, ihn umarmte und küßte, da ertönte im Saale ein Sturm des Beifalles.

„Mein Bruder, edler Sohn deines Landes,“ antwortete Anan, „habe Dank für das, was du eben gesagt hast. Nimm auch von mir, dem alten Sohne des Lichtentsprossenen, den Bruderkuß und ziehe glücklich heim mit deinen Gefährten. Mit ihnen wirst du am Werke der Menschenvervollkommnung erfolgreich arbeiten, das weiß ich. Meine Augen werden sich bald schließen zu jenem Schlummer, von dem es kein Erwachen mehr gibt, aber auch ich werde, solange ich hier noch wandern darf, mit Freuden an die Stunden denken, die ich in deiner Gesellschaft in unserm Angola zugebracht habe.“

Nach dem stimmungsvollen Abschiede in Angola befanden sich die sieben Schwaben einige Tage später wieder in Lumata. Stiller war mit der Sorge um das Luftschiff beschäftigt. In dieser Beziehung fand er bei den Marsiten alle Unterstützung und konnte nun die auf der Herfahrt gemachten schlimmen Erfahrungen durch Verbesserungen aller Art verwerten. Er machte sich auf eine lange Zeitdauer der Rückfahrt gefaßt, trotz der stärkeren elektromagnetischen Anziehungskraft der Erde, des im Verhältnis zum Mars um nahezu das Doppelte größeren Planeten.