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Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem Mars.

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Die Herren lachten über den Disput der beiden Gefährten, die sich im Grunde ihres Herzens trotz allen Reibereien sehr zugetan waren.

Von mehreren ehrwürdigen Männern begleitet, erschien der Greis wieder im Rahmen der großen Türe des Saales. Ein Lächeln huschte über das ernste, ausdrucksvolle Gesicht des alten Mannes, als er die sieben Fremden wieder erblickte, die da, ähnlich gekleidet wie er, achtungsvoll vor ihm standen. Der Greis neigte leicht den Kopf zum Zeichen des Grußes und lud die Herren durch eine Handbewegung ein, ihm zu folgen. Es ging den Weg zurück, den sie diesen Morgen gekommen waren.

„Am Ende werden wir gleich wieder dahin abgeschoben, wo wir hergekommen sind,“ bemerkte besorgt Professor Frommherz.

„Darüber brauchen Sie sich nicht zu ängstigen,“ erwiderte Professor Stiller. „In diesem Falle wären wir nicht so liebenswürdig aufgenommen worden.“

Die Gesellschaft war nun auf der Wiese angelangt, auf der sich der Weltensegler kaum merkbar am Ankerkabel bewegte. Der Alte gab den Herren zu verstehen, daß sie ihr Eigentum aus der Gondel herausnehmen sollten. Zu diesem Zwecke und der besseren Verständigung wegen stieg der Greis mit seiner Begleitung die Strickleiter zur Gondel hinauf und brachte aus ihr verschiedene Dinge herab, die den Erdmenschen gehörten. Nun begriffen diese den Greis.

„Sehen Sie, daß ich recht hatte?“ Mit diesen Worten wandte sich Stiller an seinen Kollegen Frommherz. „Man kommt doch nicht von der Erde zu so freundlichen, gastfreien Menschen, wie es die Marsbewohner zu sein scheinen, um gleich wieder kehrtmachen zu müssen. Übrigens könnten wir in unserer jetzigen Verfassung an eine sofortige Rückkehr überhaupt nicht denken.“

„Vor dieser bewahre uns für immer der Himmel in Gnaden!“ antwortete Frommherz, emsig damit beschäftigt, seine Habseligkeiten zusammenzupacken.

Bald nachher war das bescheidene Gepäck der Marsreisenden unten auf dem Boden. Mit Aufmerksamkeit betrachtete der Greis die verschiedenen Instrumente, die da zum Vorschein kamen. Ganz besonderes Interesse erregte bei ihm das Fernrohr. Stiller suchte ihm dessen Gebrauch klarzumachen. Aber der Greis schüttelte zu diesen stummen Auseinandersetzungen nur den Kopf und wies endlich mit der Rechten nach einem fernen Bau, dessen kuppelförmiges Dach der Professor jetzt zum erstenmal erblickte.

„Beim Zeus, die haben ja hier oben auch eine Sternwarte und zwar in nächster Nähe!“ rief Stiller erfreut. „Freunde, da müssen wir noch heute abend hingehen, um von dort aus unsere Mutter Erde in weiter Ferne als leuchtenden Stern erster Größe betrachten und bewundern zu können.“

Stiller machte dem Greise diesen Wunsch sofort begreiflich. Er deutete zuerst nach dem Himmel, dann auf sein Fernrohr und schließlich auf die Kuppel des Gebäudes. Endlich entnahm er seinem Gepäck eine große Himmelskarte, die er entfaltete. Mit dem Zeigefinger der Rechten wies er auf die Planeten hin, deren Bahnen um die Sonne auf einem besonderen Abschnitt der Karte verzeichnet waren. Nun verstand ihn der Greis sofort und nickte bejahend mit dem Kopfe. Jetzt suchte ihm auch der Professor begreiflich zu machen, woher er und seine Gefährten gekommen seien. Er zeigte auf die eingezeichnete Erde, dann auf die sie umschließende Bahn des Mars, auf diesen selbst, endlich auf das Luftschiff. Ein lauter Ton des Erstaunens kam über die Lippen des Greises. Er hatte Professor Stiller vollkommen verstanden und reichte ihm zum erstenmal mit Worten, die wie ein herzliches Willkommen klangen, die Hand, die dieser warm, drückte.

Der Greis übersetzte seinen Begleitern, was der Fremde ihm da in seiner stummen Zeichensprache erklärt hatte, und auf den offenen, ehrlichen Gesichtern trat ein gewisser Ausdruck der Achtung vor den kühnen Fremden, die so weit hergekommen waren, hervor. Die Weltensegler wurden wieder in ihr Heim zurückgeführt, in dem sie sich mit den aus ihrer Heimat mitgebrachten Sachen häuslich einzurichten begannen. Darüber war es spät am Mittag geworden. Keine lästige Neugier hatte die Herren bei ihrer Einrichtung gestört. Mit unendlichem Behagen streckten sie sich nach Beendigung dieser Arbeit auf die weichen Ruhebetten in ihren Zimmern, um in dem so lange entbehrten Genusse eines ausgezeichneten Lagers kurze Zeit zu schwelgen.

Inzwischen war die Tischzeit herangekommen. Das Mittagsmahl verlief ähnlich wie das Frühstück, nur war es reichlicher. Voll Befriedigung über die ihnen gebotenen Tafelfreuden wollten sich die Herren gerade erheben, als sie eine neue Überraschung an ihre Plätze bannte. Draußen, vom Hallenhofe des Hauses her, erschallte a capella der Gesang menschlicher Stimmen. Es war ein Lied voll Innigkeit und Tiefe. Die tongewordene Barmherzigkeit selbst schien es zu sein, die da an die Herzen der Gelehrten so mächtig pochte, daß sie ihre große Ergriffenheit nur schlecht zu bemeistern vermochten. Als das Lied verklungen war, wischten sich einige der Herren verstohlen die Tränen aus den Augen.

„Darauf muß ich noch einen Schluck nehmen,“ erklärte Piller, seinen Pokal füllend. „Seelische Erregungen rufen bei mir das Bedürfnis nach materieller Stärkung hervor. Dubelmeier, schneiden Sie kein so sonderbares Gesicht; tun Sie mir lieber Bescheid!“

„Bewahre mich der Himmel davor, diesen hehren Augenblick durch Alkohol zu entweihen!“

„Ganz wie Sie wollen, lieber Dubelmeier!“ erwiderte Piller gegen seine sonstige Gewohnheit milde.

Die Gelehrten verließen das Haus, um den schönen Abend zu einem Spaziergang zu benützen und die Gegend etwas näher kennenzulernen, die voraussichtlich längere Zeit ihren Wohnort bilden würde. Auf diesem Spaziergange wurde es ihnen mehr und mehr klar, daß ihr Luftschiff in der Nähe einer viel größeren Niederlassung gelandet war, als sie anfänglich geglaubt hatten. Es mußte eine Art von Stadt sein; denn trotz des garten- oder parkartigen Charakters des Ganzen bewiesen die vielen Häuser, die stets allein für sich standen, daß hier eine verhältnismäßig dichte Bevölkerung vorhanden sein müsse.

In dieser Auffassung wurden die Herren auch durch die zahlreichen Menschen unterstützt, die sie noch mit den verschiedensten Arbeiten beschäftigt antrafen. Niemand war hier untätig. Die Hast aber schien ein unbekannter Begriff zu sein, denn bei aller Arbeit trat ein gewisses Maß vornehmer Ruhe hervor. Wie wohltuend stach diese gegen das lärmende Treiben der Menschen auf der Erde ab! Überall, wohin auch die Gelehrten ihre Blicke richteten, erschien ein gleichmäßig verteilter Wohlstand; selbst die relative Armut mußte hier unbekannt sein. Nicht nur in den Häusern, deren offene Hallen dem neugierigen Auge ungehinderten Einblick gestatteten, nein, auch um die Wohnungen herum, auf allen Wegen und Stegen herrschte eine geradezu peinliche Sauberkeit.

Ihr Spaziergang führte die Herren auch an den breiten Strom, den sie heute in der Frühe des Tages vom Luftschiff aus gesehen hatten. Es mußte einer der berühmten Marskanäle sein; denn soweit sie sehen konnten, war der Strom kunstvoll eingedämmt, schnurgerade seine Ufer. Eine kühn geschwungene steinerne Brücke, auf vielen Pfeilern ruhend, ein architektonisches Meisterwerk, führte hinüber an das andere Ufer. Auf dem Mars schien alles unter dem Zeichen gemessener Ruhe zu stehen: auch die klaren, hellgrünen Gewässer des mächtigen Kanales flossen still und ruhig dahin und trugen auf ihrem Rücken eine Menge geschmackvoll gebauter Schiffe.

An der Brücke lag ein Schiff, aus dem einige Männer Platten verschieden gefärbten Marmors, Blöcke von Granit und Syenit ans Ufer schafften und zwar mit einer Leichtigkeit, die auf die sieben Schwaben geradezu verblüffend wirkte. Sollten diese Marsbewohner über ungewöhnliche Körperkräfte verfügen, eine Art Athleten sein?

„Welch großartig entwickelten Brustkorb diese Leute haben! Sehen Sie einmal genauer hin!“ Mit diesen Worten zeigte Piller auf die Arbeiter. „Es ist mir heute früh schon aufgefallen, wie herrlich gebaut und wie breitschultrig diese Menschen hier sind. Auch die Kinder zeichnen sich in dieser Beziehung gegenüber den unsern auf der Erde vorteilhaft aus. Die reinste Züchtung einer lungenstarken Rasse, die der Schwindsucht kaum zugänglich sein dürfte,“ fuhr Piller fort.

Unterdessen war Brummhuber zu den arbeitenden Marsiten getreten und versuchte, eine der Steinplatten zu heben.

„Mir kommt dieser Marmor merkwürdig leicht vor. Sollte es vielleicht eine andere Art von Stein sein als bei uns?“ rief er fragend seinen Gefährten zu.

Diese kamen, neugierig geworden, näher und untersuchten die Steine.

„Nein, es ist tadellos schöner Marmor. Betrachten Sie nur das feine Korn und die zartgefärbten Adern, die ihn durchziehen!“ entgegnete Piller nach eingehender Prüfung.

„Und dieser prächtige rote Stein hier ist bester Syenit, oder ich müßte geradezu kein mineralogisches Unterscheidungsvermögen mehr besitzen,“ warf Herr Hämmerle ein, der an dem Steine herumgeklopft hatte.

„Versuchen wir einmal, die Steine zu heben!“ entschied Piller.

„Richtig, die scheinen hier oben ein geringeres spezifisches Gewicht zu haben als unten bei uns. Nun begreife ich, warum diese Leute die Lasten so leicht zu heben vermögen. Woher das wohl kommen mag? Wissen Sie vielleicht die Ursache, Stiller?“

„Der Grund dieser Erscheinung liegt meines Erachtens in der Dichtigkeit des Mars, die nur o,7 von der der Erde beträgt,“ antwortete Herr Stiller.

„Nun geht mir auch ein Licht auf, warum mir heute bei unserm Mahle die Pokale, unsere Silbergeräte überhaupt, so eigentümlich leicht vorkamen,“ fügte Thudium bei. „Ich hatte aber keine Zeit, über diese auffallende Erscheinung nachzudenken, denn die Musik nahm mich zu sehr gefangen.“

„So ging es auch mir,“ bestätigte Stiller.

„Und wie steht es mit der Dichtigkeit der Marsatmosphäre?“ forschte Frommherz. „In dieser Beziehung finde ich keinen Unterschied gegenüber unserer Heimatluft im Sommer. Im Gegenteil, ich atme leichter, freudiger hier oben als unten.“

 

„Der Luftkreis, der diesen Planeten umgibt, ist von bedeutend geringerer Höhe als der unserer Erde. Denken Sie sich bei uns auf einen Berg von mäßiger Höhe gestellt, so wird die etwas dünnere Luft dort ungefähr der hier entsprechen. Unsere Erdbarometer sind leider nicht für den Mars so verwendbar, daß wir zu ganz sichern Vergleichen und Schlüssen kommen könnten,“ entgegnete Stiller.

„Sei dem wie ihm wolle! Aus Ihren Worten kann ich mir auch ganz ungezwungen die wunderbare Entwicklung des Brustkorbes unserer Marsfreunde erklären: Anpassung der Lungen an die äußeren Lebensbedingungen. So werden sich auch in derselben einfachen Weise andere Eigentümlichkeiten der Marsleute erklären lassen, die uns noch da und dort entgegentreten werden,“ erwiderte Piller, sich in Marsch setzend, während die übrigen Herren seinem Beispiele folgten.

„Übrigens, meine Freunde, haben Sie noch nicht die auffallend schönen Augen unserer Marsmenschen bewundert?“ fragte Piller im Weiterschreiten.

„Ihre Größe und ihr schöner Glanz stechen allerdings stark gegen Größe und Glanz der unsern ab. Ein merkwürdiges Leuchten geht aus diesen Spiegeln der Seele bei unsern Marsleuten hervor.“

„Ganz richtig beobachtet, Stiller! Das satte Blau der Iris habe ich in dieser vollendeten Schönheit früher noch niemals gesehen. Es ist die Idealfarbe des edeln Auges. Und dieses lockige, reiche Haar! Wahre Zeus- und Junogestalten! Frommherz hatte heute recht mit seinem Vergleiche.“

„Nicht wahr?“ rief dieser erfreut über Pillers laute Anerkennung. „Körperlich wie geistig gleich hochstehende Menschen scheinen mir die Marsbewohner zu sein.“

„Für diese Gegend wenigstens scheint Ihr Urteil zu stimmen nach dem, was wir heute erfahren haben,“ erwiderte Stiller.

Da die Sonne untergegangen war, so beschlossen die Herren aus dem Schwabenlande, für heute den Spaziergang zu beenden und in ihr Heim zurückzukehren. Dort wollten sie den Besuch des würdigen Greises erwarten, um von ihm auf die Sternwarte geführt zu werden. Sie befanden sich noch unterwegs, als die Nacht ihre dunklen Schwingen über die Landschaft auszubreiten begann. Im Osten wurde es hell und heller. Der Mond tauchte auf und warf sein klares Licht auf die stille, friedvolle Gegend.

„Das ist der große Marsmond, Deimos genannt, der uns da leuchtet,“ erklärte Professor Stiller seinen Gefährten. „Wenige Augenblicke nur, und Sie werden den zweiten Trabanten des Mars sehen, mit dem wir, wenn auch glücklicherweise höchst oberflächlich, letzte Nacht in peinliche Berührung gekommen sind.“

Richtig, da kam auch der kleine Phobos über den Horizont gestiegen.

„Welch prachtvolles Schauspiel!“ rief voll Entzücken Stiller. „Wahrlich, die Marsbewohner brauchen keine künstliche Beleuchtung ihrer Nächte! Sie haben nicht nur jede Nacht vollen Mondschein, sondern sie besitzen auch gleich zwei Himmelsleuchten.“

„Ein merkwürdiger Weltkörper, dieser Mars, fürwahr!“ entgegnete Piller, einen Augenblick stehen bleibend und die beiden Monde betrachtend, deren fast taghelles Licht eigenartige, reizvolle Schattenbilder hervorbrachte.

„Ein lebendig gewordenes Märchen. Das wäre wieder ein neuer Anlaß für Sie zu trinken, Piller,“ spottete Dubelmeier.

„Warum denn nicht, alter Freund, warum denn nicht? Es scheint mir aber nach dem, was wir heute schon erlebt haben, auf dem Mars so viel Bewunderungswürdiges zu geben, daß die Anlässe zum Trinken sich denn doch zu bedenklich mehren dürften. Mein Wahlspruch aber ist gleich dem des alten griechischen Weisen: Nichts zuviel!“

Dubelmeier lachte laut auf.

„Lachen Sie nicht so töricht, altes Wasserhuhn, und folgen Sie selbst lieber diesem Beispiele in Ihrer übertriebenen Wassertrinkerei! Das rate ich Ihnen schon vom Standpunkte der modernen Heilkunde aus.“

„Die Monde kommen mir hier oben bedeutend größer vor als z. B. unten unser Trabant,“ bemerkte Frommherz, die eingetretene Stille unterbrechend.

„Nur Täuschung, mein Lieber!“ erklärte Stiller. „Die Monde des Mars sind beträchtlich kleiner als der Mond unserer Erde, sie sind aber bedeutend näher am Hauptplaneten, als dies bei unserm Monde der Fall ist. Phobos hier ist vom Mars nur etwas über 9000 Kilometer, der große Deimos nicht mehr als etwa 23500 Kilometer entfernt. Daher kommt es, daß diese Trabanten des Mars so übermäßig groß erscheinen.“

Unter diesen Gesprächen gelangten die Herren vor ihr stattliches Heim. Dort erwartete sie bereits ihr aufmerksamer Gastgeber, der ihnen heute schon so viel Gutes erwiesen hatte. Im Mondschein erschien den Herren die hohe Gestalt des Alten womöglich noch feierlicher als im Lichte des Tages, das lange, wallende weiße Haar noch silberner, glänzender.

„Sieht er nicht aus wie ein Patriarch aus der alten jüdischen Zeit, in der Sittenreinheit und Einfachheit des Volkes herrlichste Tugenden waren?“ fragte Professor Stiller leise seinen Kollegen Frommherz.

„Wahrhaftig, Sie haben recht!“ entgegnete dieser. „Nennen wir unsern Alten, dessen Namen uns noch unbekannt ist, einfach Patriarch. Diese Bezeichnung paßt prächtig auf ihn, hat er uns doch heute unter seinen väterlich milden Schutz genommen.“

Nach einer kurzen, stummen Begrüßung geleitete der Alte die Erdensöhne nach dem mit einem Kuppelbau versehenen Hause. Der Weg dahin führte durch eine Art von Wald voll großer wohlgepflegter Bäume, auf deren dunkelgrünen, glänzenden Blättern die zitternden Strahlen der Monde ihr neckisches Spiel trieben. Millionen von Leuchtkäfern schwirrten in der weichen Nachtluft unter den Bäumen, und das bläulich schillernde Licht der lautlos dahinhuschenden Tiere machte den Eindruck kleiner, in rascher Bewegung begriffener Sternchen. Muntere Bächlein, über die zierliche Brücken führten, kreuzten oft den Weg.

Der eigenartig schöne Weg hatte ungefähr eine Stunde Zeit in Anspruch genommen. Das in Form eines Rundbaus angelegte Gebäude trug in seinem Erdgeschoß eine Reihe von Büsten auf roten Marmorsockeln. Sie schienen die Männer darzustellen, die hier am Observatorium gewirkt hatten. Breite Stufen führten in den eigentlichen Beobachtungsraum hinauf, in dem einige Männer bereits an ihrer stillen Arbeit saßen. Der Patriarch mußte mit ihnen bereits Rücksprache genommen haben, denn sie erhoben sich sofort beim Eintritt der Fremden und luden diese durch freundliche Handbewegung ein, ihre Plätze einzunehmen.

Stiller war von der gediegenen Pracht und Großartigkeit der gesamten Einrichtung überrascht. Wie gering erschien ihm dagegen seine Sternwarte da unten auf Stuttgarts Bopserhöhe! Er trat auf eines der Riesenteleskope zu, prüfte es kurz und gestand sich, daß dessen Linsen an Schärfe nichts zu wünschen übrig ließen, ja sogar alles übertrafen, was er in dieser Beziehung überhaupt bis jetzt kennengelernt hatte. Welch eine Summe von Intelligenz mußte auf dem Mars vorhanden sein, die so feine, auf genauester wissenschaftlicher Berechnung beruhende optische Arbeit auszuführen ermöglichte!

Der Professor betrachtete aufmerksam den Himmel. Da und dort flammten Sternbilder und einzelne Sterne auf, die ihm bekannt waren. Ein auffallend großer, rotleuchtender Stern stand tief im Westen und erregte die vollste Aufmerksamkeit des Gelehrten. Es konnte nur ein Planet sein, der da funkelnd im unermeßlichen Weltraum hing, und möglicherweise war es der auffallenden Nähe wegen gar die Erde. Das Riesenfernrohr wurde daraufhin sorgfältig eingestellt. Die Vermutung Professor Stillers war richtig. Dank den unübertrefflich scharfen Linsen und der Reinheit der Marsatmosphäre erkannte er deutlich die Mutter Erde. Gut konnte er auf ihr die verschiedenen Meere und Kontinente unterscheiden. Vom Nordpol abwärts ließen sich sogar die Umrisse der einzelnen Länder gegen das Eismeer sowie gegen den Atlantischen Ozean hin feststellen, und das da, – ja, jetzt hatte er es – was sich jetzt zeigte, im Fernrohr scharf abzeichnete, mußte die Heimat, mußte dem ganzen Aussehen nach Deutschland sein.

Voll freudiger Aufregung teilte Stiller seinen Gefährten die gemachte Beobachtung mit und lud sie ein, einen Blick auf das ferne teure Vaterland hinunterzuwerfen. Einer nach dem andern folgte dieser Aufforderung.

„Unglaublich, aber wahr! Diese Fernsicht ist wirklich einzig in ihrer Art! Zum ersten Male sehen wir aus weiter, weiter Ferne die Erde und die Heimat,“ rief Hämmerle begeistert.

„Die Großartigkeit dieses Bildes wirkt geradezu feierlich,“ äußerte Thudium.

„So ist es auch,“ bestätigte Piller.

Die Astronomen vom Mars und der Patriarch, warfen nun ebenfalls nacheinander einen Blick durch das Teleskop. Sie wußten ja schon, woher die sonderbaren Fremden heute früh gekommen waren, und konnten aus ihrer Aufregung bei der Beobachtung eines bestimmten Teiles des fernen Gestirnes leicht schließen, daß dieser Teil, der sich augenblicklich im Gesichtsfelde des Fernrohres befand, die engere Heimat ihrer Gäste sein müsse.

„Es ist jammerschade, daß wir uns mit den Kollegen hier nicht unterhalten können! Welch interessanter, gewinnbringender Meinungsaustausch käme dabei heraus!“ sprach Stiller zu seinen Gefährten, als sie nach stummem Abschiede das Observatorium verließen.

„Wir müssen in erster Linie so rasch wie möglich die Sprache der Marsbewohner erlernen. Ihre Kenntnis ist die unumgängliche Voraussetzung für unsere Forscherzwecke,“ antwortete Hämmerle.

„Wahr gesprochen, Meister der Sprachforschung!“ erwiderte Piller, und auch die andern Herren nickten zustimmend mit dem Kopfe.

Die beiden Trabanten des Mars standen nun als volle Monde am Himmel, als die Herren heimwärts schritten. Gewaltigen, übereinandergestellten Leuchtkugeln gleich, hingen sie oben am Himmel und warfen ihr silberglänzendes Licht über die stille Landschaft. Während Phobos, der innere, kleinere Mond, sich in rascher Bewegung von West nach Ost befand, zog der große, äußere Deimos, weniger hastend als sein Gefährte, auf stiller Bahn den umgekehrten Weg. Es war ein Anblick, so wunderbar und einzig in seiner Art, daß die Erdensöhne in lautes Entzücken über diese bezaubernde Mondnacht ausbrachen. Langsam schlenderten sie nach Hause und genossen in vollen Zügen die Wunder einer Marsnacht.

Fünftes Kapitel
Lumata und Angola

Die folgenden Wochen verflossen für die Gäste des Patriarchen in angenehmem Verkehr mit diesem selbst und den Bewohnern der Marskolonie. Die Fremden waren aufs eifrigste bestrebt, sich mit ihren neuen Freunden sprachlich zu verständigen. Sie schrieben zunächst alle Bezeichnungen für die verschiedensten Dinge nieder, wie sie eben ihr Ohr vernahm. Hierauf brachten sie die Dinge mit ihrer Tätigkeit und ihren Eigenschaften in Verbindung und erhielten so auf diese einfache Weise nach und nach den Schlüssel zur Sprache selbst. Ging auch die Verständigung anfänglich sehr langsam und mühsam von statten, so gewährte ihnen doch das allmähliche Begreifen der klangvollen Sprache viel Freude und lohnte ihnen dadurch die große Mühe wieder, die sie für ihr Studium aufwenden mußten.

Alles geht in der Welt der Menschen nur schrittweise vorwärts; nirgends marschiert der wahre Fortschritt mit Siebenmeilenstiefeln. Die Wahrheit dieses Satzes erfuhren die sieben gelehrten Schwaben nicht nur an sich selbst bei ihren Studien, sondern konnten sie auch bei den Marsbewohnern beobachten. Waren sie auch erst kurze Zeit da und in ihren Bewegungen auf einen verhältnismäßig kleinen Raum beschränkt gewesen, so konnten sie sich doch unschwer davon überzeugen, daß die Bewohner des Mars eine ganz bedeutende Höhe in der Kultur erreicht hatten, die nur das Ergebnis einer jahrtausendelangen geistigen Entwicklung sein konnte.

In dem Maße, wie die Herren im Verstehen ihrer Umgebung vorwärts schritten, wuchs auch ihre Bewunderung und Wertschätzung dieser in jeder Beziehung so hochstehenden Menschen. Immer mehr drängte sich ihnen die Überzeugung auf, daß die Masse der Marsbewohner, wenigstens die, deren Gäste sie waren, in idealster Weise als Menschen das erfüllte, was auf der Erde nur die Besten und Edelsten, also immer nur vereinzelte Individuen, leisteten.

Was sie selbst vom Schönen, Wahren und Guten unten auf der Erde geträumt hatten, hier oben fanden sie alles in die Wirklichkeit umgesetzt; denn überall und in allem offenbarte sich ihnen die wunderbarste Harmonie, alles atmete Schönheit, Güte und Wahrhaftigkeit, und das ganze Leben trug den Stempel vornehmer, ruhiger Tätigkeit. Zweifellos mußte eine weise Regierung dieses große Staatswesen leiten, obwohl die Herren von Behörden, wie sie sich unten in der Heimat breit machten, hier oben nicht das geringste wahrnahmen.

Ob dieses Lebensbild voll Licht und Schönheit wohl auch seine Schatten, seine dunkle Seite hatte? Diese Frage wurde von den Herren am Abend bei der gemeinsamen Unterhaltung im großen Bibliotheksaale ihres Heims wiederholt aufgeworfen. Ihre endgültige Beantwortung mußte aber immer wieder verschoben werden, denn die Meinungen liefen schließlich stets darauf hinaus, daß man erst die Sprache vollständig beherrschen müsse, bevor man sich ein abschließendes Urteil bilden könne. Hier oben auf dem Mars lag eben alles anders als auf der Erde.

 

Die sieben Schwaben fühlten sich in ihrem neuen Wohnorte außerordentlich wohl, so wohl, daß sie an die Möglichkeit einer Rückkehr gar nicht mehr zu denken schienen. Wenigstens äußerte sich keiner der Herren mehr darüber. Von den Marsiten, wie sie die Marsbewohner nannten, wurden sie wie liebe, alte Freunde, ganz wie ihresgleichen behandelt, und die Gastfreundschaft wurde ihnen gegenüber in so zartfühlender Weise geübt, daß sie die Empfindung von etwas Drückendem gar nicht aufkommen ließ, im Gegenteil zu frohem Genusse förmlich einlud.

Auch der Weltensegler hatte unterdessen zweckmäßige Unterkunft gefunden. Eine geräumige, mit Glas bedeckte, aus Eisen luftig konstruierte Halle war in aller Stille auf der Wiese errichtet worden, auf der das Luftschiff niedergegangen war. In dieser Halle war das Fahrzeug untergebracht worden. Die verschiedenen großen und kleinen Schäden am Ballon wie an der Gondel hatten die Marsiten in so meisterhafter Weise ausgebessert, daß Herr Stiller zuerst sprachlos vor Erstaunen darüber war. Die Leute hier oben kamen ihm in ihrer Geschicklichkeit und Erfahrung in den schwierigsten Dingen der Aeronautik wie Zauberer vor. Wenn schon die Techniker auf dem Mars so viel Wissen und Können offenbarten, wie es die schwierigen Reparaturen des Weltenseglers erforderten, um wieviel verblüffender mußten die Ergebnisse der forschenden Wissenschaft sein! Wie viel konnten sie selbst hier noch lernen! Diese Aussicht enthielt so viel Verführerisches, daß Stiller kaum die Zeit erwarten konnte, die ihm und seinen Gefährten den näheren Verkehr mit den Männern der Wissenschaft, mit ihren Marskollegen, bringen sollte.

Die Frage, wie sie die ihnen erwiesene Gastfreundschaft ausgleichen könnten, beschäftigte Schwabens Söhne oft; denn das war den Herren klar, daß sie sie auf die Dauer nicht ohne Gegenleistung genießen durften. Sie beschlossen daher, sich später in irgendeiner Weise, jeder nach seinem Berufe, den Marsiten nützlich zu machen, ihre dankbare Anerkennung in einer passenden Form zum Ausdruck zu bringen. Das einstweilen noch unklare Wie würde sich möglicherweise eines Tages von selbst ergeben.

Die Zeit verging. Sie brachte ihnen mancherlei weitere Erfahrungen und Einblicke in die eigenartig neue Welt, die sie umgab. Zunächst konnten sie feststellen, daß ihr Wohnort auf der nördlichen Halbkugel des Mars lag, und zwar auf dem fünfzehnten Breitengrade. Da der eigentliche Tropengürtel des Mars gegenüber dem der Erde nur die Hälfte beträgt, so lag der fünfzehnte Grad nördlicher Breite hier bereits in der subtropischen Zone. Die gemäßigte Zone des Mars reichte nördlich wie südlich nur bis zum fünfunddreißigsten Breitengrade. Über diesen Grad hinaus begann die kühle Region. Während diese nur spärlich und nur von einer bestimmten Klasse von Marsbewohnern bevölkert war, wie den Gelehrten mitgeteilt wurde, lebte die Hauptmasse der Marsiten innerhalb der fünfunddreißig Breitengrade nördlich und südlich vom Äquator. Es war also ein verhältnismäßig kleiner Raum des Planeten, der bewohnt und wirklich kultiviert wurde, er genügte aber vollständig, um der auf nur zweihundertundfünfzig Millionen geschätzten Bewohnerzahl des Mars eine gute Existenz zu gewähren.

Daß diese Existenz an die Riesenkanäle gebunden sein müsse, hatten die von Professor Stiller und andern Forschern schon früher angestellten Marsbeobachtungen vermuten lassen. Diese Vermutungen wurden jetzt zur Gewißheit, als Professor Stiller in der Lage war, die elementarsten Lebensbedingungen des Mars persönlich zu erforschen.

Die Atmosphäre des Mars war der der Erde ähnlich. Da es aber auf dem Mars nur kleinere Ozeane und Binnenmeere gab, so enthielt der Luftkreis, der diesen Planeten umschloß, im allgemeinen weniger Wasserdampf oder Feuchtigkeit als die Erdatmosphäre. Eine wunderbar klare, durchsichtige Luft, die die fernsten Gegenstände nähergerückt erscheinen ließ, ein tief dunkelblauer Himmel waren die natürlichen Folgen dieser Tatsache, gleichzeitig aber auch ein gewisser Mangel an starkem Regen. Wohl taute es in den herrlich kühlen Nächten so reichlich, daß dadurch die Pflanzenwelt in schönster Frische erhalten wurde, aber dieser Niederschlag allein genügte nicht den Ansprüchen der Pflanzen an Wasser. So waren die Marsbewohner im Kampfe um ihre Existenz gezwungen, diesen natürlichen Mangel durch die Kunst auszugleichen. Auf diese Weise entstanden die Kanäle, die sich bis zu den polaren Zonen hinzogen und von diesen das im Sommer abschmelzende Wasser der dort abgelagerten gewaltigen Eismassen nach allen Richtungen hin leiteten.

Schon die ganze großartige Ausführung dieser uralten, Tausende von Kilometer langen Wasserstraßen, die da und dort in Riesenseen, künstlichen Zentralsammelbecken, zusammenflossen, die Art und Weise ihrer sorgfältigen Instandhaltung zeigte allein schon den hohen Grad von Intelligenz und den Gemeinsinn der Marsbewohner.

Die Regelung des Wasserstands war genau dem Bedarf und der Jahreszeit angepaßt. Dank dieser Einrichtung und der Unmasse kleiner Wasseradern, die sich überallhin abzweigten, herrschte nie Wassermangel auf dem Mars. Die Folge davon war jener üppige, prachtvolle Pflanzenwuchs, den die Schwaben immer und immer wieder bewundern mußten. Dazu kam das völlige Fehlen wilder Tiere, giftiger Reptile und gefährlicher Insekten. Es war ein Eldorado, in das die Erdensöhne geraten waren, und auf das die Worte Homers trefflich paßten:

 
„Wo in behaglicher Ruhe den Menschen das Leben dahinfließt:
Dort ist kein Schnee, kein schneidender Sturm, kein strömender Regen,
Sondern der Ozean sendet empor zur Erquickung der Menschen
Immer den luftigen Hauch des frisch hinwehenden Zephyrs.“
 

Und diese zahlreichen Wasserstraßen waren zugleich auch die besten und einfachsten Verbindungswege der Marsbewohner untereinander. Kein Wunder daher, daß sich auf den Kanälen ein lebhafter Schiffsverkehr abwickelte. Aber die auf den klaren Fluten der tiefen Wasserläufe dahinziehenden Schiffe verdarben die köstliche Luft nicht durch qualmende Schornsteine. Sämtliche Fahrzeuge, mochten sie nun für Personen- oder Lastenbeförderung bestimmt sein, wurden durch Elektrizität in Bewegung gesetzt und vermittelten den Verkehr in ruhiger und rascher Weise.

Auf diesen ebenso zweckmäßig wie bequem und gefällig eingerichteten Fahrzeugen hatten die sieben Schwaben schon so manche weite Reise ausgeführt. Sie hatten dabei aber das übrige Land und seine Bewohner nur flüchtig kennengelernt, weil diese Fahrten eben hauptsächlich zur allgemeinen Orientierung unternommen worden waren. Was sie aber sahen, das verstärkte nur ihre ersten guten Eindrücke und befestigte ihre Überzeugung, sich in einem großangelegten Staatswesen von tadelloser Verwaltung zu befinden. Nicht nur waren die Marsbewohner trotz der Verschiedenheit der Zonen überall gleichartig, d. h. sie sprachen dieselbe Sprache und schienen auch unter ähnlichen sozialen Lebensbedingungen zu stehen wie ihre Brüder in Lumata, – so hieß die Kolonie, in der die Herren aus dem Schwabenlande angesiedelt waren, – sondern an all den vielen verschiedenen Orten, die die Fremden besuchten, fiel diesen auch eine gewisse Gleichmäßigkeit des Besitzes auf, und sie empfanden das völlige Fehlen wirklicher Dürftigkeit oder Armut sehr angenehm.