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Der Weltensegler

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Die geologische Beschaffenheit des Mars glich der der Erde. Den kristallinischen Massengesteinen standen die Sedimentformationen gegenüber, die in ähnlicher Weise übereinander gelagert waren wie auf der Erde. Die geologische Entwicklungsgeschichte des Mars schien also mit der Erde übereinzustimmen, nur hatte der Mars seine Entwicklungsphasen offenbar schneller und früher durchgemacht als diese. Dafür sprach auch das Fehlen von aktiven Vulkanen. Dagegen war der Mars reich an heißen Quellen aller Art; an Fumarolen (d. h. Bodenöffnungen auf vulkanischem Gesteine, aus denen Wasserdämpfe ausströmen, die oft mit chemischen Verbindungen beladen sind) und an Mofetten (Kohlensäure ausströmenden Gasquellen) war auch kein Mangel.

Große Städte, wie sie in den sogenannten Kulturstaaten der Erde zu finden sind, gab es auf dem Mars nicht. Es bestanden lediglich kleinere oder größere Gruppierungen von Häusern, die aber überall frei für sich im Grünen lagen. Nur an einem großen See, zwei Tagereisen von Lumata nach Süden zu, hatten die Schwaben den einzigen Anklang an eine Stadt gefunden. Dort war eine größere Kolonie mit zahlreichen architektonisch hervorragenden Bauten, die sich an regelmäßig angelegten Straßenzügen erhoben. Eine Stadt von Palästen, wirkte sie namentlich durch die vornehme Ruhe, die in ihr herrschte, durch ihre peinliche Sauberkeit und den Glanz und die Pracht ihrer öffentlichen Gärten.

Die Erdensöhne konnten mit ihren noch mangelhaften Sprachkenntnissen nur so viel herausbekommen, daß dieser Ort, Angola mit Namen, der Zentralsitz der Stämme der Weisen, der Heitern und der Ernsten sei. Was waren aber das für Stämme? Nach Hause zurückgekehrt, befragten sie hierüber Eran, den Patriarchen. Dieser lächelte eigentümlich bei der Frage und erwiderte den neugierigen Herren, daß er sie später selbst einmal nach Angola führen werde, um sie mit seinen Brüdern dort bekannt zu machen, die übrigens von ihrer Anwesenheit in Lumata sowie von ihrer Herkunft und ihrer Reise nach dem Mars längst unterrichtet seien.

Anfangs waren die Tübinger Herren von ihren Ausflügen, dem Niederschreiben ihrer täglichen Beobachtungen und gewonnenen neuen Eindrücke und dem Erlernen der Sprache vollständig in Anspruch genommen. Aber nach und nach begann in ihnen doch eine gewisse Sehnsucht nach dem alten, trauten, ihnen zur zweiten Gewohnheit gewordenen Berufe zu erwachen, den sie mit so großem Erfolge in ihrer Heimat ausgeübt hatten. An ernste, rege Tätigkeit gewöhnt, kam ihnen das angenehme und ideal schöne Leben auf dem Mars mehr und mehr wie eine Art Schlaraffentum vor. Die Mühseligkeiten der Herreise verblaßten immer mehr in der Erinnerung, je länger sie sich auf dem Mars befanden.

Schon war ein ganzes Jahr vergangen, seit sie vom Cannstatter Wasen aus ihre Marsfahrt angetreten hatten. Aber während unten auf der heimatlichen Erde der Winter mit Schnee und Kälte vor der Türe stand, herrschte hier oben in Lumata ein ewiger Frühling, obgleich die Marsiten die Jahreszeit, in der sie sich gerade befanden, ebenfalls als die vorgerücktere bezeichneten.

War es nur Zufall, daß die sieben Schwaben auch auf dem Mars in den wichtigsten Einteilungen der Siebenzahl begegneten? Herr Stiller konnte sich diese auffallende Tatsache nicht erklären und begnügte sich damit, sie festgestellt zu haben.

Auf dem Mars wurde das Jahr in sieben Abschnitte geteilt, die die Tätigkeit wie auch die Ruhe der Natur zum Ausdruck brachten. Nach Erdenmaß gerechnet umfaßte ein solcher Zeitabschnitt die ungefähre Zahl von zweiundfünfzig Tagen. Die einzelnen Perioden hießen:

1. Die Zeit des Erwachens.

2. Die Zeit der Saaten.

3. Die Zeit des Knospens und der Blüten.

4. Die Zeit der Früchte.

5. Die Zeit der Garben.

6. Die Zeit der Ernten oder Freuden.

7. Die Zeit der Ruhe.

Nach und nach hatten die Erdensöhne so bedeutende Fortschritte in der Marssprache gemacht, daß sie nun auch gründliche Einblicke in die staatliche Organisation des Marsvolkes tun konnten. Vor ihren Augen enthüllte sich immer mehr ein großangelegtes, riesiges demokratisches Gemeinwesen, das nicht auf die Gewalt gestützt war, sondern ausschließlich durch den freien Willen des Volkes und durch das Band gemeinschaftlicher Interessen zusammengehalten wurde. Jedes einzelne Individuum ordnete sich hier dem Gemeinwohl unter und leistete ihm nach seinen Fähigkeiten Dienste. So stellte sich das Staatswesen als eine zwar große, aber doch wieder engverbundene Familie voll schönster Eintracht dar. An der Spitze des gesamten Staatswesens stand der Stamm der Weisen oder der Hüter des Gesetzes.

Die Bevölkerung des Mars schied sich in folgende sieben Stämme:

1. Stamm der Weisen oder der Hüter des Gesetzes.

2. Stamm der Heitern (Bildende Künste: Maler, Bildhauer, Komponisten).

3. Stamm der Ernsten (Gelehrte aller Richtungen).

4. Stamm der Frohmütigen (Darstellende Künste: Musiker, Schauspieler).

5. Stamm der Sorgenden (Acker- und Gartenbauer und Dienende).

6. Stamm der Flinken (Handel- und Verkehrtreibende).

7. Stamm der Findigen (Industrielle).

Die sechs letzten Stämme standen einander im Ansehen völlig gleich. Der erste Stamm rekrutierte sich aus den erfahrensten, ältesten, vor allem aber den geachtetsten und durch ihre Lebensführung hervorragenden Individuen männlichen wie weiblichen Geschlechts der übrigen sechs Stämme.

Der größte Stamm, der an Zahl seiner Angehörigen alle andern Stämme zusammen weit übertraf, war der der Sorgenden.

Die Zulassung zu den einzelnen Stämmen, den der Weisen allein ausgenommen, wurde lediglich durch die Neigung und den Nachweis der Fähigkeit entschieden. Ein Übertritt von dem einen Stamm in den andern konnte auf Grund einer Prüfung jederzeit an einem bestimmten Zeitpunkt stattfinden. Fest gebunden war niemand, und gerade dieser völlige Mangel an Zwang schien hier oben eine der Hauptursachen für die Entwicklung der verschiedenen Berufsarten zu sein.

Ein natürlicher, vernünftiger Ehrgeiz, das Bestmögliche zu leisten, beherrschte die Marsbewohner und hielt nicht nur das Streben des Einzelnen wach, sondern regelte es auch in gesunder Weise.

Da auf dem Mars kein Geld in Umlauf war, so gab es auch nicht das widerliche, Geist wie Körper gleichmäßig aufreibende Hasten und Jagen nach dessen Besitz wie unten auf der Erde. Geldsorgen waren auf dem Mars unbekannt. Die verschiedenartigsten Leistungen des einzelnen wurden durch Anweisungen auf seine sämtlichen Lebensbedürfnisse aufgewogen. Zu diesen Bedürfnissen wurde aber auch eine gewisse Summe von Lebensfreude gerechnet, wie sie die bildenden und darstellenden Künste und dergl. zu bieten vermögen.

Der höchste Ruhm und die größte Ehre bestand in der allgemeinen Anerkennung und Wertschätzung. Diese konnte sich aber jeder durch treue Erfüllung seiner Pflichten und Obliegenheiten erringen. Für die Leistungen, die über die allgemeine Pflichtarbeit hinausgingen, also da, wo das wirkliche Verdienst um das große Ganze beginnt, erhielten die Marsiten durch den Stamm der Weisen Auszeichnungen in Form öffentlicher Belobungen, die den Inhaber in vorgeschrittenerem Lebensalter zum Eintritt in diesen allgemein hoch verehrten Stamm berechtigten.

Das gesamte Leben auf dem Mars war in seiner so eigenartigen Form nur dadurch möglich, daß es unter dem ausschließlichen Zeichen des Zusammenhalts stand. Der allgemeine Grundsatz, daß das einzelne Individuum alles tun muß, was das Gesamtwohl fördert, alles zu unterlassen hat, was dem Nebenmenschen Schaden und Schmerzen bereitet, war hier oben schon seit undenklicher Zeit in die Praxis umgesetzt. Dabei wurde die Eigenliebe, ein gesunder, berechtigter Egoismus, nicht vernichtet. Der natürliche Selbsterhaltungstrieb des einzelnen wurde durch die einfache Erkenntnis machtvoll gefördert, daß vom Wohl und Wehe des Nächsten auch das eigene Wohl und Wehe abhänge, daß das Blühen und Gedeihen der andern das eigene Blühen und Gedeihen mit einschließe, und daß ihr Elend gleichbedeutend mit dem eigenen sei.

Diese klare, natürliche Moral, die zu reiner Nächstenliebe (Altruismus) führt, und die jeden geistig normalen Menschen instinktiv das Gute tun und das Schlechte meiden läßt, bestand in vollster Anwendung auf dem Mars. Die Quelle aller Übel auf der Erde, die rohe Selbstsucht, die die Unsumme von Gesetzesparagraphen nötig machte, bestand beim Marsvolke nicht. Nächstenliebe, Wahrheit, ein gewisser Frohmut schlossen den niederen Egoismus völlig aus.

Ein Bund von Brüdern und Schwestern schien das Volk hier oben zu sein, wissend, wahr, frei und gut, das Ideal reinen Menschentums verwirklichend. Wie klein kamen sich die Söhne der Erde vor, als sie nach und nach die Pfeiler kennenlernten, auf denen das Staatswesen sowie das öffentliche und private Leben der Marsiten so fest ruhte! Und diese festen Pfeiler waren hervorgegangen, herausgebaut aus einer großartig organisierten, allgemeinen und freien Schulung der Marsjugend. Die ideale Schule der Zukunft, von der Professor Hämmerle in Tübingen so viel schon geträumt, – hier auf dem Mars begegnete er ihr als einer alten, bewährten Einrichtung.

Der leitende Grundsatz der Marsschulen war, die Jugend geistig und körperlich gleich gut zu bilden; denn je gebildeter und körperlich kräftiger zugleich ein Individuum ist, desto fähiger ist es, seine Lebensaufgaben und seine Pflichten als Mitglied des Staates zu erfüllen. Der Unterricht beschränkte sich daher nicht nur auf die einfacheren, elementaren Kenntnisse, sondern er erstreckte sich auch auf die Geschichte und die Kenntnis der Einrichtungen des Staatswesens, auf die Einführung in die Gesetze der Natur und auf die Bekanntschaft mit den poetischen und prosaischen Meisterwerken der Marsliteratur. Hand in Hand damit ging der Unterricht in der allgemeinen Körperpflege und in der Gesundheitslehre, der den Altersstufen der Jugend entsprechend angepaßt war.

 

Gymnastische Spiele aller Art füllten die Nachmittage aus, an denen der Unterricht wegfiel. Am Ende einer bestimmten Schulzeit wurden Wettprüfungen vorgenommen. Wer aus ihnen als Sieger hervorging, rückte zu den höheren Unterrichtsklassen vor. Auf diese einfache Weise war eine klare Scheidung zwischen den wirklich talentierten und den weniger begabten Schülern durchgeführt. Den ersteren stand dann der Weg zu den Kunstschulen oder zu den verschiedenartigen höheren wissenschaftlichen Lehranstalten offen. Die höhere Bildung war Gemeingut des ganzen Volkes, und keine anmaßende Mittelmäßigkeit konnte sich auf dem Mars breitmachen.

»Wir Erdgeborene sind die reinen Stümper gegen diese Prachtkerle hier oben. Was für ein Leben hier im Verhältnis zu dem da unten auf der Erde! Hier hellster Sonnenschein, dort trüber Nebel. Wie unendlich weit zurück steht die so gepriesene Kultur unserer führenden Nationen gegen die des Marsvolkes!« äußerte sich eines Tages Brummhuber, als die Herren gerade beim Mahle saßen.

»Ich vermutete schon unten auf unserm Planeten, daß wir hier oben Wesen von hoher Vollkommenheit antreffen würden, ich gestehe aber, daß meine Erwartungen in jeder Richtung weit übertroffen worden sind,« antwortete Stiller.

»Freilich, bieten können wir den Menschen hier nichts, aber auch rein gar nichts. Und das drückt mich persönlich schwer,« warf Thudium ein.

»Was sollten wir ihnen auch bieten? Vielleicht von unserm Pessimismus, von der widerlichen Selbstsucht, von der unser Leben vergiftenden Unwahrheit? Alles Kennzeichen unserer Zivilisation!« rief in ehrlicher Entrüstung Professor Piller.

»Sie haben recht, Piller, leider nur zu recht,« bestätigte Professor Stiller. »Mars bietet entschieden heute schon das, was den Geschlechtern auf der Erde vielleicht erst im Laufe der kommenden Jahrhunderte zuteil werden wird.«

»Ob es wohl je dazu kommen wird?« seufzte Frommherz.

»Daran ist nicht zu zweifeln,« entgegnete Hämmerle. »Mars hat ohne Zweifel einst dieselben oder wenigstens ähnliche Stufen in seiner zivilisatorischen Entwicklung durchgemacht wie die Völker der Erde. Seine Kultur ist nur bedeutend älter.«

»Jawohl, um Tausende und Abertausende von Jahren. Die Frage ist nur die, ob wir überhaupt die Fähigkeit haben, bei der Entartung unserer Rassen – ich betone das Wort Entartung nochmals ganz besonders! – die Höhe der Marskultur zu erklimmen. Ich möchte es bezweifeln!« schrie Piller und suchte seine zornige Erregung durch einen Schluck Wein zu besänftigen.

»Piller, Sie sind ja selbst Pessimist und ungerecht wie immer,« tadelte Dubelmeier.

»Ich Pessimist? Und ungerecht? Was verstehen Sie denn darunter?«

»Darüber lasse ich mich mit Ihnen in keine Aussprache ein!«

»Oho! Also beleidigen wollen Sie mich, wie es scheint?«

»Fällt mir gar nicht ein; dazu sind Sie mir viel zu lieb und wert, Sie alter Alkoholikus! Aber ungerecht und pessimistisch ist es meines Erachtens, wenn Sie so schroff unsern Völkern auf der Erde die Fähigkeit einer gesunden Weiterentwicklung absprechen.«

»Ich möchte Freund Dubelmeier beistimmen,« warf hier Stiller ein. »Piller, nehmen Sie doch uns zum Beispiel als Modelle an!«

»Schöne Modelle, fürwahr!« brummte Piller, sichtlich besänftigt durch den genommenen Schluck Wein.

»Freilich, Modelle von Erdensöhnen, wie ich ohne allzu große Selbstüberhebung sagen darf; vertreten wir doch bis zu einem gewissen Grade die Zukunft. Was wir heute auf dem Gebiete der allgemeinen Bildung und der Entwicklung des moralischen Gefühles vertreten, wird später mehr und mehr das Gemeingut der Massen der Kulturvölker auf unserer Erde.«

»Wer’s glauben mag!«

»Es ist nicht allein mein Glaube, nein, es ist, auch meine felsenfeste Überzeugung, gestützt auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit.«

»Stiller, ich will Ihnen nicht widersprechen, denn ich möchte mich nicht noch mehr ärgern, sondern im Gegenteil froh darüber sein, daß ich hier oben in dem reizenden Lumata sitzen darf.«

»Ein vernünftiger Ausspruch, der aller Ehren wert ist. Und nun Friede, meine lieben Freunde!« rief Frommherz.

»Einverstanden!« fügte Brummhuber bei.

Einige Tage waren seit dieser Unterhaltung verflossen. Da erschien Eran, der Patriarch aus dem Stamme der Alten, wieder einmal im Heim seiner Gäste und lud die Herren ein, mit ihm für kurze Zeit nach Angola zu reisen. Freudig stimmten die Herren bei. Diesmal wurden in Angola Schwabens würdige Söhne von dem Stamme der Weisen förmlich empfangen. Vollzählig hatten sie sich hier versammelt, um nebenbei auch noch über eine Reihe wichtiger innerer Fragen zu entscheiden. Gleichzeitig tagte auch noch der Stamm der Ernsten, um in einer Versammlung, wie sie von Zeit zu Zeit stattfand, Gedanken und Beobachtungen wissenschaftlicher Art untereinander auszutauschen.

Die Aufnahme der Erdensöhne in Angola ließ an Herzlichkeit nichts zu wünschen übrig. Ihre so wunderbare und schnelle Fahrt von der Erde her durch den ungeheuren Weltraum nach dem »Lichtentsprossenen«, wie die Marsiten ihren schönen Planeten nannten, war begreiflicherweise zuerst der Gegenstand der allgemeinen Unterhaltung und des lebhaftesten Interesses.

Bei der ersten Sitzung des Stammes der Ernsten, die in einem großartig ausgestatteten Saale eines Marmorpalastes stattfand, erklärte Professor Stiller die verschiedenen Umstände, die ihn zur Konstruktion des Weltenseglers und zu der kühnen, mit so großem Erfolge gekrönten Fahrt bestimmt hätten. Er erzählte ihnen ferner von seiner engeren und weiteren Heimat, von den Völkern Europas und von der Erde überhaupt. Letztere war den Ernsten wohl bekannt. Die Begriffe, die sie sich von ihr dank ihren außerordentlich scharfen Instrumenten und ihrer Vorstellungskraft zu machen verstanden, kamen der Wirklichkeit verblüffend nahe. So wußten die Marsgelehrten, daß das dritte Kind des Lichtes (als Kinder des Lichtes bezeichneten die Marsiten alle Planeten), die Erde, Eismassen an ihren Polen führe, die einen ansehnlichen Bruchteil des Meerwassers in feste Bande geschlagen haben, und daß die Oberfläche der Erde von über siebzig Prozent Meerwasser bedeckt sei. Auch daß die Erdatmosphäre reich an Wasserdampf sein müsse, schlossen sie aus dem Verhältnis des Festlandes zu den Meeren. Die Dichtigkeit der Erde war ihnen genau bekannt, ebenso ihr Polar- und Äquatorialdurchmesser, ferner die Geschwindigkeit ihrer Bewegung um sich selbst wie um das »ewige Licht«, die Sonne, und dergleichen mehr.

Ja, auch von den einzelnen Erdteilen hatten sie richtige Vorstellungen, und diese gingen sogar so weit, daß sie eine Reihe einzelner größerer Länder oder Gebiete zu unterscheiden vermochten. Um so weniger schwer war es daher den gelehrten Fremden, die Marsiten gewissermaßen, auf der Erde spazierenzuführen, von der sie bereits so achtungswerte Kenntnisse besaßen. Und so entwarfen sie ihnen ein genaues Bild ihres Vaterlandes und berichteten von dem Ort am Neckar, von dem sie nach dem Mars abgefahren waren.

Allen diesen Schilderungen brachten die Weisen sowie die Ernsten das lebhafteste Interesse entgegen. Dieses Interesse steigerte sich noch, als sie vernahmen, daß die sieben Schwaben ebenfalls zu einer Art Stamm der Ernsten unten auf der Erde gehörten. Die Herren wurden daher eingeladen, vor der versammelten Elite der Marsiten ihre Berufsarten näher zu beleuchten, das heißt die Zustände zu schildern, unter denen sie auf der Erde und bei ihrem Volke ausgeübt würden. Gleichzeitig wurde der allgemeine Wunsch ausgedrückt, die Fremden möchten ein genaues Bild von dem Leben und Treiben der Bewohner der Erde entwerfen, das dann zu einem Vergleiche mit den bestehenden Verhältnissen auf dem Mars herangezogen werden sollte.

Es wurde ausgemacht, daß jeder der Professoren an einem bestimmten Tage abwechselnd zwei Vorträge halten solle, den einen fachlich und den andern über das allgemein interessierende Thema der Erdbewohner und deren kulturelle Zustände. Die Professoren entledigten sich ihrer Aufgabe in meisterhafter Weise. Sie erzählten von dem derzeitigen Stande der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen in den Kulturländern der Erde, besonders in Deutschland, beleuchteten ehrlich und rückhaltlos offen die politischen und sozialen Gegensätze unter den wenigen um die führende Rolle im Leben der übrigen Völker kämpfenden Nationen. Sie schilderten all die Mittel der List, der Gewalt und Verschlagenheit, die dabei angewendet würden, und erklärten den Marsiten, was unten auf der Erde unter der Bezeichnung »Diplomatie« alles verstanden werde.

Sie verschwiegen auch die trüben Erscheinungen nicht, die der mehr und mehr sich zuspitzende Kampf um das Dasein, der Wettstreit bei der Beschaffung der notwendigsten Lebensbedürfnisse für die große Mehrzahl der Menschen, sowohl der einfachen als auch der gebildeten Erdbewohner, mit sich bringe. Unumwunden räumten sie ein, daß dem Fortschrittsdrange der Kulturvölker leider überall auf der Erde alle möglichen Hindernisse in den Weg gelegt würden durch allerlei einengende Einrichtungen und kleinliche Bestimmungen, daß die Massen der sogenannten gebildeten Völker trotz gewaltiger Fortschritte in der Technik und in den Naturwissenschaften immer noch weit entfernt von dem Ideale einer reinen Weltanschauung seien.

Letztere werde nur von einem verhältnismäßig kleinen Bruchteile der wirklich Hochgebildeten vertreten, und auch diese kleine Schar der Auserlesenen sei mit geringen Ausnahmen von der schwersten und schlimmsten Krankheit der Zeit angesteckt: der Feigheit. Man wage unten auf der Erde bei den Kulturnationen – von den weniger zivilisierten Völkern ganz zu schweigen – nicht, offen und klar das zu sagen, was man denke, aus Furcht, bei mächtigeren Personen anzustoßen und dadurch seine Existenz zu gefährden. Die Empfindungen würden daher auch selten mit den Handlungen in Einklang gebracht. Infolgedessen herrsche überall ein mehr oder weniger großer Mangel an Mut und Ehrlichkeit der Überzeugung, und die aus der Heuchelei geborene Lüge hindere den Sieg der Wahrheit und lasse immer noch sehr viele auf die Dauer doch als völlig unhaltbar erkannte Einrichtungen, ungesunde, unvernünftige, der reinen Weltanschauung und dem Volkswohle geradezu feindlich gegenüberstehende Zustände weiter bestehen.

Mit freudigem Staunen hätten sie auf dem Mars Verhältnisse angetroffen, die dem Ideal des Lebens und des reinen Menschentums, das sie sich gebildet, und dessen Verwirklichung von den Besten der Nationen unten auf der Erde so heiß angestrebt werde, in der schönsten Weise entsprächen.

In dieser Art äußerte sich mehr oder weniger jeder der Herren. Frommherz fügte diesen Berichten noch einige Bemerkungen über die religiösen Anschauungen und die kirchlichen Einrichtungen Deutschlands hinzu.

Voll Aufmerksamkeit hatten die Weisen und die Ernsten diese Auseinandersetzungen der Erdensöhne angehört. Die wissenschaftlichen Darlegungen der Fremden brachten den Marsiten nichts Neues, die sozialen und übrigen Bilder, die ihnen von ihren Gästen so lebhaft vor Augen geführt worden waren, hatten ihr Interesse am meisten erregt. Mit keinem Laute waren die langen Vorträge unterbrochen worden.

Als Stiller den Schluß der Vorträge verkündet hatte, zogen sich die Weisen und die Ernsten zu einer gemeinsamen Beratung zurück, von der die sieben Schwaben ausgeschlossen waren. Das Ergebnis dieser Beratung aber sollte ihnen später bekannt gegeben werden.

»Was die nur vorhaben?« fragte besorgt Frommherz.

»Nun, ich denke, sie werden scharfe Kritik an unsern Schilderungen üben, wozu sie ja auch vollkommen berechtigt sind,« antwortete Stiller.

»Und uns dann den Laufpaß geben, passen Sie auf,« fügte Brummhuber bei.

»Dies zu tun, sind unsere Wirte viel zu anständig,« entgegnete Piller, »obwohl ich nicht bestreiten will, daß die Marsiten zu einer Einladung, unsere Abreise endlich einmal in den Kreis unserer Überlegung zu ziehen, ein gewisses Recht hätten.«

»Warten wir ab, was kommt!« entschied Dubelmeier.

»Bleibt uns auch nichts anderes übrig,« seufzte Frommherz, der seiner religiös-kirchlichen Darstellungen wegen ein etwas bedrücktes Gewissen hatte.

Aber es war doch eine gewisse Unruhe, die die Erdensöhne beherrschte, als sie miteinander durch die paradiesisch schönen Parkanlagen von Angola spazierten, während die Beratung der Marsiten stattfand.

Am nächsten Tage, dem zehnten ihres Aufenthaltes in Angola, wurden die Schwaben wiederum in feierlicher Weise in den großen Sitzungssaal geführt, in dem sie ihre Vorträge gehalten hatten. Der Älteste unter den Alten, eine Hüne von Gestalt, Anan mit Namen, erhob sich und begrüßte zunächst wieder in herzlichen Worten die Eingeführten.

»Meine lieben Freunde!« sprach er weiter zu ihnen. »Wir alle haben gestern mit lebhaftester Teilnahme eure Schilderungen vernommen, die ihr von den allgemeinen und besonderen Verhältnissen eures Weltkörpers entworfen habt. Diese Schilderungen haben in uns merkwürdige Gefühle und Empfindungen ausgelöst, so daß wir uns über sie zuerst in aller Ruhe klar werden wollten, bevor wir euch mit unserem schuldigen Danke zugleich auch eine Antwort auf das Gehörte geben. Dies war der Grund, warum wir uns zu einer Beratung unter uns zurückgezogen haben. Vor allem danken wir euch für die anerkennenswerte Offenheit, mit der ihr uns das Leben eurer Kulturvölker geschildert habt. Uns muteten eure Berichte im ersten Augenblicke wie Märchen an. Wir würden sie auch als solche auffassen, wären wir nicht von dem Ernste eurer Lebensauffassung, von eurer Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit vollkommen überzeugt. Nicht vergeblich haben wir euer Leben in Lumata beobachtet. Das Ergebnis dieser Beobachtung war unsere Einladung hieher, das Zeichen unserer Achtung und unseres Vertrauens. Und nun wende ich mich zu euren Auseinandersetzungen. Umsonst haben wir in der Geschichte unserer Vergangenheit geblättert; solch barbarische, von der Unwahrheit beherrschte Zustände im Leben der einzelnen wie der Völker, wie sie bei euch noch bestehen, haben wir in diesem Umfange glücklicherweise nie gekannt. Gewiß, es fehlte auch uns nicht an inneren Kämpfen, an schweren Enttäuschungen aller Art, bis wir uns endlich im Laufe der Zeit zu den Lebensverhältnissen und Lebensauffassungen durchgerungen haben, die ihr bei uns heute bewundert. Aber unsere Entwicklung vollzog sich weniger mühselig, weniger schmerzhaft als die eure. Schon vor Urzeiten hatte sich bei uns in der breiten Masse des Volkes die Erkenntnis durchgerungen, daß unsere erste Aufgabe unsere Erhebung, nicht aber das Verharren in unserer Niedrigkeit sei, aus der wir hervorgegangen sind. Diese unsere Erhebung und Entwicklung zur reinen Freiheit konnte nur durch eine vernünftige, naturgemäße Aufklärung kommen, die uns für das hehre Licht der Wahrheit empfänglich machte.

 

Ihr, liebe Freunde, habt während eures längeren Aufenthaltes bei uns nach und nach die Wege kennengelernt, die wir eingeschlagen haben, um dieses hohe Ziel zu erreichen, Wege, die wir, weil sie sich bewährt haben, auch heute noch wandeln und fernerhin wandeln werden. Darüber will ich kein Wort mehr verlieren. Gerne wollen wir auch zugeben, daß wir es mit unserem Entwicklungsgange ungleich leichter gehabt haben, als ihr es in dieser Beziehung unten auf der Erde noch habt. Hier bei uns haben wir ein ziemlich gleichmäßiges, in Sprache, Denken und Empfinden übereinstimmendes Volk, während dies auf eurem Planeten nicht der Fall ist. Wir konnten uns daher mit viel weniger Schwierigkeiten und ohne den von euch geschilderten furchtbaren Massenmord, Krieg genannt, zu der Höhe unserer Kultur erheben, die eurem Ideale nahe kommt. Wir hatten also diese entsetzlichen Verwirrungen nicht zu überwinden, die eurem Glücke und Fortschritte so fürchterlich hemmend entgegentraten und noch drohend entgegenstehen.

Das Gefühl der Zusammengehörigkeit, ein brüderlicher Gemeinsinn besteht bei uns seit Äonen. Es bildet den fundamentalsten Bestandteil unseres Bewußtseins und die Triebkraft unseres Handelns. Bedauerlicherweise fehlt bei euch dieses mächtige Gefühl der Zusammengehörigkeit oder ist zum mindesten noch nicht in dem Maße vorhanden, als zum Wohle des Ganzen so dringend nötig wäre. Der Grund eures Tiefstandes liegt meines Erachtens nach in dem Mangel an jener einfachen, natürlichen Moral, die unser Leben so vorteilhaft beeinflußt.

Für uns war es schmerzlich zu hören, wie bei euch jeder Fortschritt, auch der kleinste, durch ein Meer von Tränen, von Blut und zertrümmerten Existenzen führt. Und doch, – ihr selbst sagtet es ja – es muß und wird einst besser bei euch auf der Erde werden. Ihr selbst seid dafür die lebendigen Zeugen, denn ihr stellt heute schon das vor, was die Masse bei euch nach eurem eigenen Ausspruche in späterer Zeit sein wird. Wackere, brave Männer von der geistigen Bedeutung wie ihr müssen daher unten auf der Erde wirken, an der Weiterentwicklung ihrer Brüder arbeiten. Wenn auch der einzelne von euch bei dieser schwierigen Arbeit keine volle Befriedigung empfindet, – dies gilt ja von allem Streben nach noch nicht Erreichtem! – so bedenkt, daß die Folgen der Arbeiten an dem Werke der Vervollkommnung eurer Mitmenschen zwar nicht euch, so doch euren Nachkommen zugute kommen werden.

Unser Rat lautet dahin: Kehrt zurück auf eure Erde!« – »O Himmel, ahnte ich es doch!« klagte bei diesen Worten Anans Professor Frommherz leise vor sich hin. – »Schweigen Sie, Jammerseele!« herrschte ihn unsanft Piller an. – »Kehrt zurück in euer Schwabenland, zu dem biedern Volke, aus dessen Mitte ihr stammt, und widmet euch dort wieder dem erhabenen Werke der Vervollkommnungsarbeit. Ferne sei es von uns, euch von hier wegdrängen zu wollen, ihr seid und bleibt uns werte Gäste.« – »Dem Himmel Dank!« murmelte hier Frommherz. – »Aber ich gestehe es aufrichtig, und ich spreche hier die Ansicht von allen meinen Brüdern und Schwestern aus: Ihr seid die ersten und zugleich die letzten fremden Wesen, die von einem der fernen Kinder des Lichtes zu uns gelangen durften. Denn dies ist der Hauptpunkt, das Endergebnis unserer Verhandlung. Im Interesse unseres Volkes lehnen wir weiteren Verkehr ab. Nicht mit euch, – ich betone nochmals ausdrücklich, daß ihr uns werte, liebe Gäste und Freunde seid, – nein, überhaupt; denn wir haben keine Gewähr dafür, daß nicht auch einmal Fremde zu uns gelangen könnten, die nicht auf der Höhe der Anschauung stehen wie ihr und deren Benehmen bei längerem Aufenthalte wahrscheinlich dann nur zu unerquicklichen Auseinandersetzungen und schließlich zu einer gewaltsamen Entfernung von hier führen müßte. Das wollen wir uns aber ersparen.

Eure kühne Reise wird zwar so bald nicht wieder Nachahmer finden. Doch kann man dies nicht wissen, und so haben wir bereits die bestimmte Weisung gegeben, künftig und für alle Zeiten auf unserem Lichtentsprossenen kein Luftschiff mehr landen zu lassen, woher es auch kommen möge, und wäre es auch aus dem uns durch euch so sympathisch gewordenen Schwabenlande. Bleibt bei uns, wenn ihr wollt, oder fliegt über kurz oder lang wieder heimwärts. Wir stellen dies ganz in euer Belieben und sind und bleiben stets eure aufrichtigen, treuen Freunde. Ich bitte euch, liebe Brüder und Schwestern,« – mit diesen Worten wandte sich Anan an die Marsiten – »ruft mit mir: Glück und Heil den sieben Schwaben, unsern lieben ersten und einzigen Gästen!«

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