Hochschulrecht im Freistaat Bayern

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1. Kapitel Grundlagen › IV. Grundlagen und Reichweite der akademischen Selbstverwaltung

Daniel Krausnick[1]

IV. Grundlagen und Reichweite der akademischen Selbstverwaltung

1. Kapitel Grundlagen › IV. Grundlagen und Reichweite der akademischen Selbstverwaltung › 1. Einführung

1. Einführung

137

Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV und Art. 11 Abs. 1 S. 1 BayHSchG billigen den Hochschulen das Recht der Selbstverwaltung zu. Dieses Recht ist seit Langem zentrales Thema in der Beziehung zwischen Staat und Hochschulen.[2] Wenn im Folgenden von akademischer oder Hochschulselbstverwaltung die Rede ist, sind unter „Hochschulen“ die staatlichen Hochschulen zu verstehen. Zwar müssen sich auch private Hochschulen gegen Eingriffe des Staates und/oder ihres Hochschulträgers verteidigen. Ihre Situation ist jedoch eine grundsätzlich andere als die der staatlichen Hochschulen: Zum einen befinden sich private Hochschulen gegenüber dem Staat in noch höherem Maße in einer typischen grundrechtlichen Abwehrposition. Zum anderen sind sie eben nicht „zugleich staatliche Einrichtungen“, wie es Art. 11 Abs. 1 S. 2 BayHSchG für staatliche Hochschulen anordnet.[3]

138

Wiewohl die akademische Selbstverwaltung prinzipiell gegen Eingriff aller staatlichen Stellen schützt, richtet sie sich in der Praxis vorrangig gegen die Länder bzw. gegen das jeweilige Sitzland derjenigen Einrichtung, die sich auf das Selbstverwaltungsrecht beruft. Der Bund hat zwar auch nach der Föderalismusreform 2006,[4] mit der die Rahmenkompetenz für die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens nach Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a GG a.F. abgeschafft wurde, noch Kompetenzen im Hochschulbereich behalten, insbesondere die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Hochschulzulassungen und Hochschulabschlüsse (Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG). Diese Kompetenz ist jedoch nicht nur thematisch eingeschränkt, sondern vor allem deshalb von begrenzter Wirkung, weil die Länder nach Art. 72 Abs. 3 Nr. 6 GG von bundesrechtlichen Vorgaben abweichen können.[5] Soweit im Folgenden das Verhältnis Staat und Hochschule behandelt wird, ist „Staat“ also primär der Freistaat Bayern.

1. Kapitel Grundlagen › IV. Grundlagen und Reichweite der akademischen Selbstverwaltung › 2. Akademische Selbstverwaltung als besondere Form der Selbstverwaltung

2. Akademische Selbstverwaltung als besondere Form der Selbstverwaltung

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Als Typen der Verwaltungsorganisation kennt das deutsche Verwaltungsrecht neben der allgemeinen staatlichen (Ministerial-)Verwaltung die Selbstverwaltung in Form der kommunalen (gebietsbezogenen) und in Form der funktionalen (sachbereichsbezogenen) Selbstverwaltung.[6] Die akademische Selbstverwaltung ist, weil sie die Funktion der Hochschulen für die freie Wissenschaft absichert, eine Erscheinungsform der funktionalen Selbstverwaltung.[7] Sie nimmt allerdings deswegen eine Sonderstellung ein, weil sie im Gegensatz zu anderen Selbstverwaltungsvarianten in den Grundrechten wurzelt (näher dazu sogleich III.).[8]

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Parallelen zu solchen anderen Selbstverwaltungsformen (etwa zur kommunalen) sind aufgrund dieser Sonderstellung der akademischen Selbstverwaltung nur eingeschränkt möglich.[9] Es bestehen jedoch gemeinsame Grundkonstanten aller Arten der Selbstverwaltung (z.B. die Unterscheidung in Selbstverwaltungs- und andere Angelegenheiten, das Satzungsrecht und die Trennung in Rechts- und Fachaufsicht). Ebenso können zumindest andere Modelle grundrechtlich bedingter Eigenständigkeit trotz öffentlich-rechtlicher Organisation, insbesondere die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zum Vergleich herangezogen werden.[10]

1. Kapitel Grundlagen › IV. Grundlagen und Reichweite der akademischen Selbstverwaltung › 3. Verfassungsrechtliche Grundlagen

3. Verfassungsrechtliche Grundlagen

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Verfassungsrechtlich wurzelt die akademische Selbstverwaltung im Grundgesetz und in noch stärkerem Maße in der Bayerischen Landesverfassung:

a) Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG

142

Auf grundgesetzlicher Ebene ist einziger Anknüpfungspunkt für Überlegungen zur akademischen Selbstverwaltung die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG)[11]. In welchem Umfang dieses Grundrecht den Hochschulen Autonomie garantiert, ist umstritten:

aa) Sicht des BVerfG

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Seit seinem Urteil zur Gruppenuniversität[12] interpretiert das BVerfG die Wissenschaftsfreiheit nicht nur als Abwehrrecht, sondern auch als „wertentscheidende Grundsatznorm“.[13] Das Grundgesetz enthalte in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG eine Wertentscheidung, die auf der Schlüsselfunktion freier Wissenschaft für die Selbstverwirklichung des Einzelnen und für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung beruhe. Dies umfasse „das Einstehen des Staates, der sich als Kulturstaat versteht, für die Idee einer freien Wissenschaft und seine Mitwirkung an ihrer Verwirklichung“.[14] Der Staat müsse, mit personellen, finanziellen und organisatorischen Mitteln schützend und fördernd einer Aushöhlung der Wissenschaftsfreiheit vorbeugen und funktionsfähige Institutionen für den Wissenschaftsbetrieb zur Verfügung zu stellen. Dies folgert das Gericht daraus, dass ohne institutionelle Voraussetzungen freie Forschung und Lehre nahezu unmöglich sei, der Staat bei ihrer Gewährleistung aber ein faktisches Monopol habe.[15] Auf den Erlass entsprechender, wissenschaftsadäquater Organisationsregeln habe der einzelne Wissenschaftler einen grundrechtlich fundierten Anspruch.[16] Hierfür hätten – wie das BVerfG in späteren Entscheidungen im Einzelnen herausgearbeitet hat – insbesondere funktionsfähige universitäre Kollegialorgane, die die Hochschulleitung bei allen wissenschaftsrelevanten Entscheidungen hinreichend effektiv kontrollieren können, Bedeutung.[17]

144

Diese Anforderungen an die Hochschulgesetzgebung relativierte das BVerfG allerdings: Die Wissenschaftsfreiheit garantiere weder das überlieferte Strukturmodell der Universität, noch überhaupt eine bestimmte Organisationsform des Wissenschaftsbetriebes.[18] Der Gesetzgeber dürfe innerhalb der Grenzen des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG die Organisation der Hochschulen nach weitgehend freiem Ermessen gestalten und aktuellen gesellschaftlichen und wissenschaftssoziologischen Gegebenheiten anpassen.[19] Dabei seien auch Auflösungen und Zusammenlegungen bestehender Einrichtungen wie z.B. die Fusion von Hochschulen zulässig.[20] Begrenzt sei die Freiheit des Gesetzgebers lediglich bei Angelegenheiten, die Forschung und Lehre unmittelbar berührten wie die Planung von Forschungsvorhaben und des Lehrangebots sowie Personalentscheidungen in Angelegenheiten der Professoren und der wissenschaftlichen Mitarbeiter.[21] Die Frage, ob auf das Selbstverwaltungsrecht besondere Rücksicht zu nehmen sei, weil Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG auch das „Grundrecht der deutschen Universität“[22] beinhalte, ließ das BVerfG offen[23] und bemerkte etwas sibyllinisch: „Kriterium für eine verfassungsgemäße Hochschulorganisation kann […] nur sein, ob mit ihr freie Wissenschaft möglich ist und ungefährdet betrieben werden kann“.[24]

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Näher präzisiert hat das BVerfG die in der Grundrechtsdogmatik wohl singuläre Formulierung „wertentscheidende Grundsatznorm“ kaum. Bis zur Entscheidung über das Brandenburgische Hochschulgesetz im Jahre 2004[25] wurde aber vielfach angenommen (auch wenn die einschränkenden Formulierungen in BVerfGE 35, 79 in die entgegen gesetzte Richtung deuteten), das BVerfG erkenne in gewissem Umfang eine Einrichtungsgarantie der akademischen Selbstverwaltung an.[26] In der Brandenburg-Entscheidung nahm das BVerfG diesen Auslegungen seiner Rechtsprechung jedoch den Wind aus den Segeln: Zwar stellte es erneut die Pflicht des Staates heraus, wissenschaftsadäquates Hochschul(organisations)recht zu schaffen.[27] Inadäquanz in diesem Sinne sei anzunehmen, wenn von einer hochschulorganisatorischen Entscheidung eine „strukturelle Gefährdung“ der Wissenschaftsfreiheit ausgehen könne, rein hypothetische Gefährdungen reichten nicht aus.[28] Das Gericht betonte jedoch noch einmal ausdrücklich, dass es keine Pflicht des Gesetzgebers gäbe, die Hochschulen nach dem Selbstverwaltungsmodell zu organisieren.[29] Ebenso wenig sei Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ein Vorrang von Kollegialorganen vor monokratischen Leitungsorganen zu entnehmen.[30]

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Auch in den seit der Brandenburg-Entscheidung ergangenen Urteilen hat sich das BVerfG nicht zu einer Verankerung der Hochschulselbstverwaltung auf der Ebene des Grundgesetzes bekannt. Ausführungen im Urteil zur Fusion der Technischen Universität Cottbus mit der Hochschule Lausitz[31] deuten sogar eher noch klarer als die entsprechenden Passagen in der Brandenburg-Entscheidung darauf hin, dass das Gericht eine Einrichtungsgarantie der akademischen Selbstverwaltung allein auf der Ebene der Landesverfassungen ansiedelt. Zumindest gelang es dem BVerfG aber, v.a. in den Urteilen zum Hamburgischen Hochschulgesetz[32] und zur Medizinischen Hochschule Hannover,[33] die Maßstäbe dafür, wann (insbesondere bei der Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Kollegial- und Leitungsorgan der Hochschule) eine verfassungswidrige „strukturelle Gefährdung“ der Wissenschaftsfreiheit vorliegt zu konkretisieren (näher s.u. Rn. 191–193).

 

147

Ebenso wurden im bereits erwähnten Beschluss zur Hochschulfusion in Brandenburg die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Zusammenlegung und Auflösung von Hochschulen näher herausgearbeitet. Insbesondere betonte das BVerfG unter Bezug auf seine Wesentlichkeitstheorie, dass der Gesetzgeber wegen der Relevanz für die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG die wesentlichen Fragen derartiger Maßnahmen selbst regeln müsse.[34] Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens für ein entsprechendes Fusions- oder Auflösungsgesetz seien dann u.a. die Auswirkungen auf die Wissenschaftsfreiheit zu berücksichtigen (durch die konkrete Ausgestaltung der Fusion/Auflösung dürfe keine strukturelle Gefährdung bewirkt werden). Ein zusätzliches, über die ohnehin bestehende Bindung des Gesetzgebers an Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG hinausgehendes Beteiligungs- bzw. Anhörungsrecht der betroffenen Hochschule/n, ihrer Fakultäten und/oder Wissenschaftler aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG lehnt das BVerfG aber ausdrücklich ab. Ein solches Recht folge auch nicht aus einer Parallele zur in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG garantierten kommunalen Selbstverwaltung.[35] Wörtlich heißt es in der Entscheidung: „Die Grundsätze zur Neugliederung von Gemeinden sind jedoch wegen der Unterschiede zwischen Hochschulen und Kommunen nicht auf Hochschulfusionen übertragbar. Die Verbürgung kommunaler Selbstverwaltung in Art. 28 II 1 GG ist als Einrichtungsgarantie gefasst, die sich zudem grundsätzlich auf alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft erstreckt und damit unmittelbar sämtliche Einwohnerinnen und Einwohner der Gemeinde einschließt; demgegenüber erfüllt die Hochschule einen inhaltlich umgrenzten, eigenständigen Sachauftrag durch und für einen durch die Hochschulmitgliedschaft beschränkten Personenkreis“. Die Frage, ob aus landesverfassungsrechtlichen Garantien der akademischen Selbstverwaltung (wie Art. 138 Abs. 2 BV) besondere Beteiligungsrechte der Hochschulen bei Hochschulfusionen folgen, ließ das BVerfG ausdrücklich offen.[36]

bb) Sicht der Literatur und Stellungnahme

148

Vereinzelt wurde Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG lediglich als Spezialfall der Meinungsfreiheit für Hochschullehrer gesehen.[37] Diese Ansicht, nach der ein grundrechtlicher Schutz der akademischen Selbstverwaltung von vornherein ausscheiden muss, wurde schließlich jedoch selbst von ihrem wohl prominentesten Vertreter aufgegeben.[38]

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Einigkeit besteht im Schrifttum darüber, dass Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG als Abwehrrecht primär die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft schützt.[39] Eigengesetzlichkeit bedeutet, dass sich die Art und Weise, in der wissenschaftliche Erkenntnis entsteht oder vermittelt wird, nicht normieren lässt. Deshalb obliegt insbesondere die Entscheidung über die anzuwendenden Methoden allein den Wissenschaftlern und nicht dem Staat.[40] Der Staat muss aber dennoch gewährleisten, dass sich die Eigengesetzlichkeit adäquat entfalten kann, und dafür geeignete Strukturen schaffen.[41] Diesem Dilemma zwischen Zurückhaltung gegenüber der Eigengesetzlichkeit und Gewährleistungspflicht entgeht der Staat insbesondere dadurch, dass er den Hochschulen ein Selbstverwaltungsrecht einräumt, denn akademische Selbstverwaltung bedeutet die Verwaltung durch diejenigen, die an den eigengesetzlich ablaufenden Prozessen unmittelbar beteiligt sind. Selbst, wenn man (mit dem BVerfG) annimmt, dass die Organisation der Hochschulen nach dem Selbstverwaltungsmodell nicht die einzige Variante der Hochschulorganisation ist, die Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zulässt, muss man daher anerkennen, dass dieses Modell der wissenschaftlichen Eigengesetzlichkeit in besonderer Weise entspricht.

150

Die Literatur verankert die akademische Selbstverwaltung regelmäßig fester als das BVerfG in der Wissenschaftsfreiheit, indem sie Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG als Einrichtungsgarantie[42] interpretiert. Garantiert würden auf diese Weise zumindest diejenigen Rechtsinstitute, die die Universität als Institution des Wissenschaftsbetriebs maßgeblich prägten und für Schutz und Organisation freier Forschung und Lehre unverzichtbar seien.[43] Regelmäßig beruft sich diese Meinung auf die seit Rudolf Smends Staatsrechtlehrertagungsreferat von 1927 verbreitete Umschreibung der Wissenschaftsfreiheit als „Grundrecht der deutschen Universität“.[44] Dieser Bezug ist historisch allerdings nicht eindeutig: Einerseits bleibt in Smends Formulierungen undeutlich, ob es ihm nicht primär darum ging, den individualrechtlichen Gehalt der Wissenschaftsfreiheit auch gegenüber dem Gesetzgeber zu stärken und die freie (nicht notwendig universitäre) Wissenschaft als Integrationsfaktor abzusichern.[45] Andererseits hat sich der Verfassungsgeber bei den Beratungen zum Grundgesetz vor allem aus Rücksicht auf die Kompetenzen der Länder bewusst gegen die Aufnahme einer Einrichtungsgarantie der Universität in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG entschieden.[46] Der Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG deutet höchstens dadurch auf eine solche Garantie hin, dass er nicht von der Freiheit des Wissenschaftlers, sondern von der Freiheit der Wissenschaft spricht.[47] Daraus mehr abzulesen als dass die Wissenschaftsfreiheit objektive Gehalte hat, dürfte kaum möglich sein. Die Gegner der institutionellen Interpretation des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG wenden außerdem ein, eine Einrichtungsgarantie könne zu einer „Versteinerung“ des Hochschulsystems führen.[48]

151

Vereinzelt wird die Wissenschaftsfreiheit im Hinblick auf staatliche Hochschulen, ähnlich der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) als dienende Freiheit[49] bzw. als „Funktionsgrundrecht“[50] ausgelegt. Zwar dient freie Wissenschaft sicherlich auch der Allgemeinheit, diese Ansicht ist aber dennoch letztlich abzulehnen: Zum einen bestehen gegen die Figur der dienenden Freiheit (jedenfalls außerhalb des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) schon generell gewisse Bedenken, weil hierdurch der vorrangig individualrechtliche Charakter der Grundrechte konterkariert werden kann.[51] Die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft als Kern des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG bedeutet zum anderen Zweckfreiheit und steht deshalb einer Zweckbindung der Wissenschaftsfreiheit im Sinne einer dienenden Freiheit entgegen.

152

Insgesamt ergibt sich, dass eine Hochschulorganisation nach dem Selbstverwaltungsmodell den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zwar entspricht, verfassungsrechtlich aber nicht zwingend geboten ist. Eine Einrichtungsgarantie der akademischen Selbstverwaltung ist dem Grundgesetz letztlich nicht zu entnehmen.[52] Unmittelbar verfassungsrechtlich geschützt ist die akademische Selbstverwaltung somit nur auf der Ebene der Landesverfassung (näher s.u. Rn. 154 ff.).

b) Art. 108 BV

153

Nach Art. 108 BV sind die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre frei. Diese Regelung garantiert ähnlich wie Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG die individuelle Wissenschafts- und speziell die Lehrfreiheit. Dass Art. 108 BV die Forschungsfreiheit nicht explizit erwähnt, bedeutet, da Forschung im Begriff der Wissenschaft enthalten ist, keine Verengung gegenüber Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG[53]. Zu Überlegungen, aus Art. 108 BV eine Garantie der akademischen Selbstverwaltung zu entnehmen, gilt ebenfalls das zu Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Gesagte entsprechend. Die Bayerische Rechtsprechung hat die Argumentation des BVerfG zur grundgesetzlichen Wissenschaftsfreiheit auf Art. 108 BV vollständig übertragen.[54] Mehr als, dass die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft ein Indiz dafür ist, dass die Verwaltung von Wissenschaftseinrichtungen am besten durch die Betroffenen, d.h. die Wissenschaftler zu erfolgen hat, lässt sich also auch Art. 108 BV als Aussage zum Hochschulorganisationsrecht nicht entnehmen. Der BayVerfGH billigt außerdem dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Hochschulwesens ähnlich wie das BVerfG einen Ermessensspielraum zu[55] und sieht durch organisatorische Entscheidungen (z.B. die Errichtung eines neuen Hochschulinstituts) die Wissenschaftsfreiheit einzelner Wissenschaftler regelmäßig als nicht verletzt an.[56] Es ist auch nicht erkennbar, dass der Bayerische Verfassungsgeber in Art. 108 BV einen weitergehenden Schutz der akademischen Selbstverwaltung bezweckt hat. Dies gilt auch für Maßnahmen, die den Bestand wissenschaftlicher Einrichtungen berühren.[57] Intensivere grundrechtsdogmatische Überlegungen zu Art. 108 BV im Zusammenhang mit der akademischen Selbstverwaltung sind im Übrigen deshalb nicht notwendig, weil Art. 138 Abs. 2 BV eine Garantie der akademischen Selbstverwaltung enthält.[58]

c) Art. 138 Abs. 2 BV

154

Zentrale Norm für die Gewährleistung der akademischen Selbstverwaltung in Bayern ist Art. 138 Abs. 2 BV:

aa) Einrichtungsgarantie und subjektives Recht

155

Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV garantiert den Hochschulen das Recht der Selbstverwaltung. Hierbei handelt es sich unstreitig um eine Einrichtungsgarantie.[59] Aus dem systematischen Zusammenhang mit Art. 138 Abs. 1 S. 1 BV („Die Errichtung und Verwaltung der Hochschulen ist Sache des Staates.“)[60] ergibt sich, dass sich diese Garantie auf die staatlichen Hochschulen bezieht. Der bayerische Gesetzgeber ist daher von Verfassungswegen verpflichtet, „die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass eine […] Universität die ihr im akademischen Selbstverwaltungsbereich zustehenden Aufgaben […] wahrnehmen kann“.[61] Wie der Gesetzgeber dieser Verpflichtung nachkommt, bleibt indes ihm überlassen. Er muss, solange gewährleistet ist, dass wissenschaftsrelevante Fragen primär von Wissenschaftlern entschieden werden, sich nicht notwendig am klassischen Modell der Hochschulbinnenorganisation orientieren und etwa eine Gliederung der Hochschule in Fakultäten vorsehen.[62]

156

Art. 138 BV ist zwar nicht Bestandteil des Grundrechtsteils der Bayerischen Verfassung (Art. 98–123 BV), sondern befindet sich im Teil „Das Gemeinschaftsleben“. Dennoch gewährleistet Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV nicht nur eine Einrichtungsgarantie, sondern zugleich ein subjektives Recht der (staatlichen) Hochschulen.[63] Die systematische Stellung der Vorschrift spricht nicht dagegen, da beispielsweise auch Art. 126 Abs. 1 S. 1, 128 Abs. 1 und 141 Abs. 3 S. 1 BV, die sich ebenfalls im Abschnitt „Das Gemeinschaftsleben“ stehen, subjektive Rechte gewährleisten.[64] Der Wortlaut („Die Hochschulen haben das Recht …“) spricht ebenfalls klar für die Interpretation des Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV als subjektives Recht. Dieses Recht erstreckt sich auf Eingriffe in den Selbstverwaltungsbereich bzw. in den Bereich der Körperschaftsangelegenheiten. Eingriffe dürfen nicht in den Kernbereich eingreifen und müssen, um gerechtfertigt zu sein, in verhältnismäßiger Weise einem legitimen Zweck dienen.

157

Der Bestand einer Hochschule oder einer Hochschuleinrichtung (z.B. Fakultät, Forschungsinstitut) ist von Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV prinzipiell genauso wenig geschützt wie von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG[65]. Auch die Feststellung des BVerfG, jedenfalls eine Zusammenlegung oder Auflösung ganzer Hochschulen bedürfe – weil damit erhebliche Folgen für die dort tätigen Wissenschaftler und Studierenden verbunden seien – einer parlamentsgesetzlichen Grundlage,[66] lässt sich auf die bayerische Verfassungslage übertragen. Weil die Bayerische Verfassung im Gegensatz zum Grundgesetz ein explizite Garantie der akademischen Selbstverwaltung enthält, stellt sich aber die Frage, ob aus dieser Garantie eine Pflicht folgt, vor entsprechenden staatlichen Entscheidungen die betroffenen Einrichtungen anzuhören (s. auch oben Rn. 143[67]. Zu berücksichtigen ist dabei zum einen, dass Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV als Verfassungsnorm im Gesetzgebungsverfahren ohnehin zu beachten ist. Zum anderen ist auch auf der Ebene des bayerischen Verfassungsrechts der Vergleich zwischen akademischer und kommunaler Selbstverwaltung (auf diesen stützt die wohl h. Lit. die Anhörungspflicht gegenüber den Hochschulen) nicht unproblematisch.[68] Die kommunale Selbstverwaltung hat örtlichen Bezug (alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft), die akademische Selbstverwaltung sachlichen (Forschung und Lehre); die Kommunen sind ein Element der mittelbaren Staatsverwaltung ohne Grundrechtsbezug, die staatlichen Hochschulen dienen gerade der Verwirklichung des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit. Letztlich kann die Frage, ob es eine verfassungsrechtliche Pflicht gibt, die Hochschulen vor ihrer Fusion oder Auflösung anzuhören, aber hier dahinstehen, da eine solche Anhörung in der Praxis nahezu immer stattfinden wird. Das Fusions-/Auflösungsgesetz muss im Übrigen den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Art. 108 Abs. 1 BV, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG sowie Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 166 Abs. 2 und 3 BV entsprechen, insbesondere verhältnismäßig sein.[69]

 

158

Anders ist die Rechtslage bei staatlichen Maßnahmen, die zwar den Bestand von Hochschuleinrichtungen unangetastet lassen, die Bedingungen für freie Forschung und Lehre an der Hochschule jedoch unmittelbar betreffen, wie insbesondere die Auflösung von Studiengängen.[70] In diesen Fällen ist wegen der Wissenschaftsrelevanz dieser Strukturentscheidungen die Hochschule bzw. die betroffene Einrichtung (z.B. die Fakultät, die das Lehrangebot in dem aufzulösenden Studiengang sicherstellt) anzuhören.[71] Da es sich um belastende Verwaltungsentscheidungen handelt, folgt das Anhörungsrecht aus dem Gedanken des Art. 28 BayVwVfG. Da die Initiative zur Auflösung von Studiengängen oder gar Hochschuleinrichtungen in der Praxis in aller Regel von der Hochschule selbst ausgeht oder als Maßnahme der Rechtsaufsicht verfügt wird (bei der ohnehin anzuhören ist), hat auch insoweit das Anhörungsrecht vorwiegend theoretische Bedeutung.

159

Art. 138 Abs. 2 S. 2 BV garantiert ausdrücklich eine studentische Beteiligung an der akademischen Selbstverwaltung, soweit es um Angelegenheiten der Studenten geht. Dieses Mitwirkungsrecht bezieht sich nur auf Fragen des Studiums und damit zusammenhängende Bereiche (z.B. Stipendienwesen, Verwendung von Studiengebühren, Bibliotheksangelegenheiten sowie Errichtung und Betrieb von Selbsthilfeeinrichtungen). Nicht erfasst ist der Bereich der Forschung. Gemessen an der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn Studierende auch in Fragen der Lehre und des Prüfungswesens sowie in Berufungsangelegenheiten zumindest angehört werden.[72] Ob Art. 138 Abs. 2 S. 2 BV den Studierenden in diesen Bereichen einen Anspruch auf Beteiligung garantiert, ist jedoch zweifelhaft. Die Formulierung „ihre Angelegenheiten“ spricht dafür, dass ein solcher Anspruch höchstens besteht, soweit es um Fragen geht, die die Studierenden spezifisch, nicht nur als eine von mehreren Hochschulgruppen betreffen. In keinem Fall wird von Art. 138 Abs. 2 S. 2 BV ein allgemein politisches Mandat von Studentenvertretungen garantiert.[73] Dies folgt bereits aus dem systematischen Zusammenhang mit Art. 138 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 BV. Eine bestimmte Form der studentischen Mitwirkung (etwa durch verfasste Studierendenschaften) garantiert Art. 138 Abs. 2 S. 2 BV ebenfalls nicht,[74] die Mitwirkung muss aber effektiv sein. Die generelle Beschränkung auf Anhörungsrechte wäre daher unzulässig. Grundrechtsdogmatisch gesehen ist Art. 138 Abs. 2 S. 2 BV ebenfalls eine Einrichtungsgarantie.