Stressfrei glücklich sein

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Das Ende meiner Karriere

Nach dem Ende meiner Karriere zog ich mich komplett aus der Öffentlichkeit zurück. Ich lebte in Miami, wo mich niemand kannte. Absichtlich ging ich keiner geregelten Tätigkeit nach. Ich brauchte Ruhe, Zeit und freien Raum, denn ich spürte, wie wichtig es für mich war, mein bisheriges Leben zu verarbeiten und mir über einige Dinge klar zu werden. Es war Zeit, meine Verwirrung zu entwirren. Ich startete meine Lehre und mein Forschungsvorhaben im spannendsten Unternehmen unseres Planeten: dem Leben.

Die erste Zeit habe ich uneingeschränkt genossen. Frei und unbeobachtet zu sein, keine Verpflichtungen zu haben, keine Erwartungen mehr erfüllen zu müssen, zu tun und zu lassen, wann und was immer ich wollte, ein paar Schritte gehen und schon im Meer baden. Golf spielen, ausgehen, lesen, shoppen, reisen …

Ein Leben, wie »man« es sich erträumt. Und ich war mir zunächst auch sicher, das sei mein gelebter Traum, denn ich wünschte mir nichts sehnlicher, als nach 13-jährigem hektischem Fußballer-Leben im Glashaus der Öffentlichkeit etwas Ruhe zu finden. Doch das Erwachen kam rasch. Die Ruhe und das Nichtstun wurden bald schon zur großen Belastung. Meine ganz persönliche Lebenskrise begann.

Denn ich war vorher überzeugt davon, dass sich dieses allgemein bekannte Loch, in das so viele Sportler nach ihrer Karriere fallen, für mich nicht auftun würde. War ich doch einer, der sich schon während seiner Karriere viele Gedanken über die Mechanismen, die als Fallgrube nach der Karriere lauerten, gemacht hatte. Trotzdem war ich absolut nicht vorbereitet auf den emotionalen Entzug, der auf mich wartete und mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte.

Mein Fußballer-Dasein hatte jede Woche zwei bis drei emotionale Höhepunkte für mich bereitgehalten, dann nämlich, wenn ich in die Stadien einlief und mich die Aufmerksamkeitswelle der Zuschauer überrollte. Diese Aufmerksamkeit, gepaart mit der Bedeutung, die ich diesen Ereignissen beimaß, führte zu ungeheuer intensiven Momenten emotionaler Glücksgefühle. Hormon-Cocktails, die im normalen Alltag nicht existieren.

Diesbezüglich war mein Leben als Fußballer sehr intensiv. Erst als diese Momente nicht mehr in meinem Leben vorhanden waren, realisierte ich, wie stark diese »Droge« ist. Mir wurde bewusst, dass ich während meiner Karriere ein Emotions-Junkie geworden war.

Da mein Entzug ebenso freiwillig wie radikal war – ich füllte das entstandene Loch weder mit Inhalt (Arbeit) noch mit Ersatzbefriedigungen (Drogen, Alkohol, Partys, etc.) – traf er mich mit voller Wucht.

Eine Szene, die mich tief berührte und mir die ganze Stärke dieser »Droge« zeigte, war zum Beispiel das Abschiedsspiel von Diego Armando Maradona. Einem der begnadetsten Fußballer aller Zeiten. Als er nach dem Spiel von seinen Fans und Mitspielern verabschiedet wurde, weinte er wie ein kleines Kind, dem gerade das Wichtigste in seinem Leben weggenommen wurde. Sein Gesichtsausdruck und seine Körperhaltung schrien förmlich danach, nicht gehen zu müssen. Er liebte diese Bühne so sehr, dass er wohl am liebsten nie von ihr abgetreten wäre. So weinte er hemmungslos, denn er musste etwas loslassen, obwohl er noch nicht bereit dazu war. Doch genau dafür ist Trauer – die sich hier in ihrer Reinheit zeigte – da: um uns zu helfen, etwas loszulassen, was wir gar nicht loslassen wollen. Er liebte dieses Spiel und war mit ganzem Herzen dabei. Das Spielfeld war seine Bühne, wo er die Aufmerksamkeit erhielt, die ihm immer wieder Glücksgefühle schenkte. Doch was würde nach dem Abpfiff geschehen? Wenn alle seine Fans das Stadion verlassen hatten und für ihn der Alltag zum Alltag wurde, ohne Aufmerksamkeit, Anerkennung, Lob und Bestätigung anderer?

Tief ergriffen saß ich damals vor dem Fernseher und habe mit ihm geweint. Ich wusste genau, was in ihm vorging. Mein »neuer« Alltag hatte mir gezeigt, was Sache war. Ein Leben ohne diese Kicks, in ein Stadion mit 30–40 000 Menschen »einzumarschieren«, ohne dieses enorme Maß an Aufmerksamkeit mit der Chance auf Anerkennung, Lob und Bestätigung. Ein solches Leben kam mir doch sehr langweilig und öde vor. Ich empfand es zeitweilig wie eine als Paradies verkleidete Hölle.

Wäre da nicht meine Frau Melanie gewesen, die mich mit unendlicher Geduld unterstützt und meine Launen ausgehalten hat, weiß ich nicht, ob ich diese Phase meines Lebens so gut überstanden hätte. Ich hätte wohl nie die Chance gehabt, mich aus dieser Abhängigkeit zu befreien und jemals frei zu genießen, was ich habe, tue und bin, ohne dies zu brauchen. Dafür werde ich ihr ewig dankbar sein.

Zum Glück war ich stark genug, diese Umstände ohne Drogen und Alkohol auszuhalten, was leider für viele in solchen Krisen ein beliebtes Mittel ist, um der öden Realität, dem Alltag, zu entfliehen. Während dieser Zeit schien es mir, als sei das Beste in meinen Leben schon vorbei, alles Weitere konnte sich nach diesen »Höhepunkten« nur noch im Bereich des Mittelmäßigen, das heißt Langweiligen bewegen.

Wie man sich doch täuschen kann.

Heute bin ich unendlich dankbar für diese Erfahrung. Sie hat dazu geführt, dass ich die Freude und Magie des Moments – eine Gabe, die ich als Kind schon hatte – wiederentdeckte und mir bewusst werden konnte, was Glück wirklich bedeutet. Mein Mut, diesen Weg konsequent zu gehen und nicht die Flucht zu ergreifen, schenkte mir im Laufe der Zeit wahrhaftes Selbstvertrauen und eine immer größer werdende innere Stärke und Stabilität.

Auch die Augenblicke der Zufriedenheit mit mir, meinem Leben und meiner Umwelt vermehrten sich zusehends und führten mich immer wieder in den Zustand des stressfreien Glücks, das an keine äußeren Umstände und kein Ereignis gebunden war. Diese tiefen Momente des Glücklichund Zufriedenseins stellten all die früher erlebten Glücksgefühle in den Schatten und ließen sie allmählich verblassen.

Bekannt und unglücklich

Liegt das persönliche Scheitern erfolgreicher und berühmter Menschen etwa daran, dass sie mit der Zeit von der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit mit all ihren positiven Emotionen abhängig wurden?

Hat sich so vielleicht langsam und unmerklich der Erfolg, der sich so gut anfühlt, ins Zentrum ihres Tuns geschlichen?

Hat sich durch gelegentliche Misserfolge, die mit Kritik, Häme und Verletzungen verbunden waren und sich bescheiden anfühlten, allmählich die Angst eingeschlichen, den bisherigen Erfolgen und Erwartungen nicht mehr genügen zu können?

Konnte so ein stetig steigender innerer Druck entstehen, der zu einer Abhängigkeit von Erfolg und süßen Glücksgefühlen geführt hat, die nun immer wieder erlebt werden wollten?

Verdrängt mit der Zeit die Angst, diese Glücksgefühle des Erfolges nicht mehr erleben zu können, kritisiert und verletzt zu werden, also dieser selbst auferlegte Erfolgsdruck, die Freude irgendwann vollständig?

Jagen diese Menschen den Glücksgefühlen, die der Erfolg ihnen beschert hat, ständig hinterher?

Könnte es dann sein, dass sich dieses Glücksgefühl nach Verlassen der Bühne und mit Beginn des normalen Alltags immer wieder im Nichts auflöst? Was dann?

Bei mir führte dieser Mechanismus irgendwann einmal zu dem Punkt, an dem ich die Aufmerksamkeit brauchte, aber gleichzeitig auch die Angst vor dem Verletztwerden da war. Das hat zur Entstehung eines immensen inneren Kon- flikts geführt, der großen Stress auslöste. Ich war abhängig geworden von der Aufmerksamkeit und dem Applaus und diesen Kick wollte beziehungsweise musste ich immer wieder spüren. Gleichzeitig hatte ich aber auch vor jedem Auftritt Angst, kritisiert und verletzt zu werden. Dass diese Kombination zu inneren Konflikten und Stress führt, ist unausweichlich. Es ist sozusagen ähnlich wie bei einem Drogenabhängigen, der weiß, dass ihm die Drogen körperlichen und seelischen Schaden zufügen, der aber trotzdem den nächsten Kick braucht.

Die vielen traurigen und auch tragischen Geschichten von berühmten und erfolgreichen Menschen zeigen, was aus diesem Erfolgsdruck entstehen kann.

Die Angst zu versagen und dadurch kritisiert und verletzt zu werden, kann erdrückend sein. Man lebt in einem Käfig der Angst vor den Reaktionen und Meinungen anderer, die immer wieder die Wunden der Vergangenheit aufreißen können. Wenn man in der Öffentlichkeit steht, wird dieser Druck noch um ein Zigfaches erhöht, da man quasi permanent in einem Glashaus sitzt – eine Erfahrung, die ich selbst oft genug gemacht habe.

Die Macht der Medien bei diesem »Spiel«

Die Macht der Medien darf nicht unterschätzt werden. Im Falle des Erfolgs krönen sie jemanden zum Star, andernfalls, bei Misserfolg, Scheitern oder Nichterfüllung der gesetzten Erwartungen, wird derjenige gnadenlos vom vorher geschaffenen Sockel gestoßen. Die Medien haben zweifellos die Macht, durch gezielte Maßnahmen das Leben einzelner Personen kaputt zu machen. Die große Masse der Öffentlichkeit glaubt, was dort verbreitet wird, sodass die mediale Wahrheit zur absoluten Wahrheit wird, aufgrund derer Personen geund verurteilt werden. Schlussendlich bleibt so ein Image hängen, das den betroffenen Personen sämtliche beruflichen und persönlichen Möglichkeiten zunichtemachen kann. Zweifelsfrei sind schon einige Menschen daran zerbrochen.

Aus Schwäche und mangelndem Bewusstsein heraus habe ich lange Zeit gegen verschiedene Medien einen unmöglich zu gewinnenden Kampf geführt. Weil ich nicht stark genug war, negative Kritiken und über mich verbreitete Unwahrheiten auszuhalten, habe ich mir mein Leben unnötig schwer gemacht. Aus diesem Mangel an innerer Stärke heraus habe ich dann angefangen, infantile Verhaltensweisen an den Tag zu legen: Ich habe zum Beispiel mit den Journalisten nicht mehr geredet, sie nicht mehr gegrüßt und beachtet etc. – natürlich habe ich damit meine ganze Stärke und Souveränität demonstriert (oder ging das etwa voll in die Hose?). Ich war schlicht und einfach nicht in der Lage, Kritik richtig einzuordnen und konstruktiv damit umzugehen. In den Medien wurde ich deshalb auch oft als Mimose betitelt, und wissen Sie was, ich geb‘s ja nicht gern zu, aber ich habe drei Tage Überwindung gebraucht, um das hier niederzuschreiben. Rückblickend muss ich sagen: Die hatten recht, ich konnte schlicht und einfach Kritik nicht richtig einordnen. Trotzdem ich nach außen den schönen Schein wahrte und so tat, als würde ich über den Dingen stehen – nach dem Motto: Was stört es die Eiche, wenn sich die Sau an ihr reibt.

 

Doch in Tat und Wahrheit habe ich jede Kritik persönlich genommen. Das ist eine ganz normale Reaktion, denn wenn man schwach ist, kann man vor allem und ganz besonders eines nicht: Schwäche zeigen. Natürlich fand ich deshalb diese Kritik unfair und ungerecht.

Ich habe lange Zeit geglaubt, dass es bei den Geschichten, die über mich produziert wurden, um mich persönlich gehen würde. Doch mittlerweile habe ich verstanden, dass es einzig und allein um das Produkt geht, das verkauft werden muss. Und ob da auch immer alles voll und ganz der Wahrheit entspricht, ist gar nicht so entscheidend.

Hier ein paar Beispiele, wie man eine Tatsache nur leicht abändern muss, um einen Inhalt zu kreieren, der verkauft werden kann:

Als ich während meiner Zeit in München gesundheitlich angeschlagen war und ein paar Kilos verloren hatte, gab meine Ernährungsweise zu Diskussionen Anlass. Es hieß, ich sei Vegetarier, würde nur Körner picken und, wie man ja sehe, sollte ich lieber mal Schweinshaxen essen. Und statt immer nur Wasser zu trinken, sollte ich mich lieber mal an Bier halten. Fakt aber war, dass ich nie in meinem Leben Vegetarier war, was nicht heißen soll, dass das schlecht wäre, ich war es nur einfach nie. Ich kümmerte mich um meine Ernährung und legte großen Wert auf einen gesunden Körper, denn mein Körper war mein Kapital. Da ich von Natur aus eine eher zarte Konstitution habe, gab es dazu auch gar keine Alternative, wenn ich den Fußballzirkus unbeschadet überstehen wollte. Ich musste also aufgrund meiner konstitutionellen Gegebenheiten auf jedes Detail achten.

Interessant aber war, dass ich wegen meines, wenn ich mir das so recht überlege, doch sehr professionellen Verhaltens heftig kritisiert wurde und ich mich regelmäßig erklären und rechtfertigen musste. Spannend, oder? Nur halt nicht als Schlagzeile. So gesehen haben ein paar Journalisten etwas an den Schrauben der Wahrheit gedreht, damit auch was Handfestes dabei herauskommt.

Oder man hat mich in die Esoterikschublade gesteckt und mir angedichtet, dass ich in einer Sekte oder einer anderen ähnlich gearteten Glaubensgemeinschaft sei.

Tatsache aber ist, dass ich für jede Art von Glaubensgemeinschaft völlig untauglich bin, ich wäre der absolute Albtraum, deshalb hatte ich ja schon im Fußball so meine liebe Mühe, denn ich bin als Befehlsempfänger einfach nicht geeignet. Ich mache die Dinge in meinem Leben so, wie ich sie für richtig halte und lasse mich nur schwer von meinem Weg abbringen; das war schon während meiner Kindheit so und ist auch heute nicht anders. Deshalb bin ich alles andere als sektentauglich. Die einzige Sekte, der ich beitreten könnte, wäre meine eigene, die der »Klub der Freien Denker« wäre und konsequenterweise nur ein Mitglied hätte, nämlich mich. Alle Glaubensgemeinschaften, die mehr als ein Mitglied haben, sind mir an sich schon suspekt. Und in die Esoterikschublade bin ich geraten, weil ich mich dummerweise einmal mit einem Buch habe fotografieren lassen, das in dieses Genre gehörte. Fakt ist aber auch, dass ich sehr viele Bücher aus ganz unterschiedlichen Ecken gelesen habe – aus dem einfachen Grund, weil mich der Mensch und das Leben faszinieren und ich sehr interessiert bin, wie beides funktioniert. So war es für mich nur logisch, dass ich mir aus diversen Bereichen wie Psychologie, Hirnforschung, Biologie, Philosophie, Spiritualität, Pädagogik, Wirtschaft, Populärwissenschaft, Medizin, Coaching … Informationen holte und hole, aus denen ich dann ganz frei das für mich Passende integriere. Dabei halte ich Ausschau nach Gemeinsamkeiten beziehungsweise einem roten Faden, sodass das Gelesene für mich im Zusammenhang mit meinen Lebenserfahrungen Sinn macht.

So haben mir meine Erfahrungen gezeigt, dass der Mensch eine große Vielfalt in sich trägt und man es sich zu einfach macht, wenn man jemanden in die Einfältigkeit einer Schublade presst.

Da Menschen generell nicht rein objektiv sein können, betrachten auch Journalisten die Welt durch ihre jeweils subjektive »Brille«. Diese Tatsache führt selbstverständlich dazu, dass sie ihr Bild von jemandem abgeben und nicht das Bild.

Ich kann mich also auf den Kopf stellen, mich rechtfertigen, kämpfen und wehren gegen das von der Öffentlichkeit gezeichnete Bild, ich habe keine Chance gegen diesen Mechanismus.

Wenn man in der Öffentlichkeit steht, ist die Gefahr relativ groß, sich manipulieren und instrumentalisieren zu lassen, denn man möchte ja ein gutes Verhältnis zu den Medienvertretern pflegen, damit man von ihnen wiederum mit einem möglichst guten und positiven Bild in der Öffentlichkeit »belohnt« wird. Diese Disziplin habe ich nie besonders gut beherrscht, was mir schließlich doch die eine oder andere mediale Abreibung eingebracht hat.

So gibt es heute für mich nur eines: Meinen Mitmenschen authentisch, ehrlich und respektvoll zu begegnen, ohne dabei das Gefühl zu haben, es allen recht machen zu müssen. Am Ende des Tages muss ich mir im Spiegel immer noch selbst mit gutem Gewissen in die Augen sehen können.

Der Damm bricht

Wird der Druck, dem berühmte und erfolgreiche Menschen in der Öffentlichkeit ausgesetzt sind, mangels Bewusstsein, innerer Stärke und Stabilität zu groß, sehen manche leider nur noch den Ausweg im Drogenoder Alkoholkonsum, schlimmstenfalls beenden sie ihr Leben.

Amy Winehouse, Romy Schneider, Marilyn Monroe, Elvis Presley, Jimi Hendrix, Whitney Houston, Michael Jackson … Frauen und Männer aus der Filmund Musikbranche, die jung verstorben sind. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sehr erfolgreich waren, mit dieser Art von Leben aber nicht zurechtkamen und sehr früh verstorben sind.

Robbie Williams, Britney Spears, Mel Gibson, Eminem, Eric Clapton … die Liste kann beliebig fortgesetzt werden.

Sie alle haben oder hatten ein Alkoholoder Drogenproblem, was darauf schließen lässt, dass ihnen trotz ihres Erfolges etwas fehlte und sie nicht wirklich glücklich waren.

Diego Armando Maradona, Paul Gascoigne, Gerd Müller, Tony Adams, George Best – sie stehen hier nur stellvertretend für Spitzenfußballer, die wohl dem Druck oder Stress für einen Moment mithilfe von Alkohol oder Drogen entfliehen wollen oder wollten.

Sebastian Deisler und Ivan Ergic berichteten öffentlich über ihre Depressionen. Wie hoch ist wohl die Dunkelziffer derer, die ein ähnliches Schicksal erleiden wie sie oder Robert Enke?

Viele Erfolgreiche stehen in den Schlagzeilen wegen ausschweifenden Partys, Alkohol und Sex – ständig auf der Suche nach einem neuen Kick.

Das alles sind hoch begabte Menschen und von daher ist ihre Reaktion nicht weiter verwunderlich, denn meistens sind diese außergewöhnlichen Talente auch immer einen Tick sensibler und eher gefährdet, an diesem inneren Druck zu zerbrechen.

Bis hierhin habe ich anhand von Beispielen berühmter und erfolgreicher Menschen aufgezeigt, was durch Erfolgsdruck alles entstehen kann. Zum einen habe ich das gemacht, weil ich persönlich das alles so erlebt habe und aus eigener Erfahrung berichten kann. Zum anderen sind solche Beispiele prädestiniert, um die Thematik dieses Buches deutlich zu machen. Doch diese Mechanismen beziehen sich auf menschliche Verhaltensweisen, die völlig unabhängig von Herkunft, Beruf und Status sind. Deshalb gilt der Inhalt dieses Buches selbstverständlich für alle Menschen, egal was und woher sie auch immer sind.

Die oben beschriebenen Probleme gibt es leider in allen Gesellschaftsschichten, denn der Erfolgsdruck und der daraus entstehende Stress fordern ihre Opfer nicht nur unter Filmstars, Musikern, Unterhaltungskünstlern oder Profisportlern.

Wie viele Menschen, die mit ihrer stressigen Lebenssituation überfordert oder am Erfolg gescheitert sind, können ihren Alltag nur noch mit einem Schluck aus der Pulle, einer Pille oder einem Pulver meistern?

Wie viele Schüler, Studenten oder Lehrlinge kiffen, trinken oder greifen zu Ecstasy oder anderen Designerdrogen, um dem inneren Stress für einen Moment zu entfliehen?

Und ist die steigende Gewaltbereitschaft vieler Jugendlichen und Erwachsenen vielleicht auch nur ein Ventil, um den inneren Druck abzulassen?

Die Zahl der an Depressionen erkrankten Menschen zum Beispiel in der Schweiz, in der man von 5–8 % der Bevölkerung spricht, also etwa 350bis 400 000 Menschen, von denen ein Drittel schwerste Depressionen haben, also etwa 130 000, zeigt deutlich, dass (zu) viele mit dem Druck nicht zurechtkommen.

Auch Suizidstatistiken sprechen eine deutliche Sprache. In der Schweiz etwa ereignen sich täglich 40 Suizidversuche, von denen durchschnittlich vier »erfolgreich« sind. Rechnet man dies hoch, wären das 1460 Suizidtote und 14 600 Suizidversuche im Jahr, wobei man davon ausgeht, dass sich etwa zehnmal mehr Menschen ernsthaft Gedanken über Suizid machen als diejenigen, die es tatsächlich versuchen – das wären dann 146 000. Und das in einem Land wie der Schweiz, das als eines mit der höchsten Lebensqualität jährlich ausgezeichnet wird.

Stress, Druck und seine Folgen

Der Druck, erfolgreich sein zu müssen und Aufmerksamkeit zu erhalten, um sich gut und glücklich zu fühlen, kann mit der Zeit die große Freude, die bei allen erfolgreichen Menschen die anfängliche Triebfeder ihres Tuns war, ersticken. Ich habe das persönlich so erlebt. Als Kind spielte ich Fußball aus reiner Freude am Spielen. Als ich im Alter von fünf Jahren einem Fußballverein beitrat, war ich den meisten anderen Kindern bereits einen Schritt voraus, weil ich etwas talentierter war als sie. Schnell bekundeten Trainer, Eltern und Zuschauer ihre Freude an mir. Ich erhielt Aufmerksamkeit, Lob und Anerkennung für die guten fußballerischen Leistungen, was mich natürlich freute und sich gut anfühlte.

Wegen meines Talents aber stiegen bald schon die Ansprüche und Erwartungen an mich. War ich dann bei Spielen nicht besser als meine Kameraden, folgten schnell auch Kritik und Häme. Das verletzte mich und fühlte sich entsprechend schlecht an. So war mein Befinden plötzlich direkt an meine Erfolge gekoppelt. Spielte ich gut und erfolgreich, fühlte ich mich gut und glücklich. Spielte ich durchschnittlich oder schlecht, fühlte ich mich schlecht und unglücklich. Mehr und mehr wurde ich emotional abhängig von meinen fußballerischen Erfolgen und Misserfolgen. Ich wurde quasi zum Sklaven meines so sehr geliebten Hobbys.

Die Zusammenhänge waren mir damals natürlich nicht bewusst; ich wollte einfach jedes Spiel unbedingt und um jeden Preis gewinnen. Weshalb das so war, sollte mir erst später klar werden. Aber der Druck, gewinnen und erfolgreich sein zu müssen, lastete schon bald auf mir, obwohl ich mich in einem Umfeld bewegte, das keineswegs erfolgsbesessen war. Meine Eltern und Trainer setzten mich nicht speziell unter Druck, ich bewegte mich in einem ganz normalen Dorfverein-Umfeld. Das reichte für einen sensiblen Jungen, wie ich es war, jedoch vollkommen aus, um in Zeiten des Misserfolgs Verletzungen davonzutragen. Eine Tatsache, die einmal mehr zeigt, dass das, was der Norm entspricht, nicht immer für jeden gesund sein muss.

Als wir bei einem E-Junioren-Turnier »nur« den zweiten Platz herausspielten, überfiel mich eine solch unsägliche Traurigkeit, dass ich kaum zu weinen aufhören konnte. Niederlagen wurden für mich zu persönlichen Katastrophen.

Der Mechanismus »Aufmerksamkeit und Anerkennung durch Erfolg« begann bei mir im Alter von etwa 14 Jahren zu greifen, dem Alter, in dem Auswahlen zusammengestellt werden. Die Aussichten, was der Erfolg alles Gutes bringen kann, helfen natürlich, den Konkurrenzkampf anzuheizen; der Druck, der dabei als Nebenwirkung bei den Kindern zum Tragen kommt, ist aber leider nicht wegzudiskutieren. Damals war mir natürlich noch nicht bewusst, dass der Druck, den ich verspürte, nicht von außen kam und nichts mit den Umständen zu tun hatte. Er entstand allein durch meine Ängste, kritisiert und verletzt zu werden, und genau das machte mich selbst zu meinem größten Gegner.

 

Da ich schon als Kind sehr sensibel war und auch noch keine ausreichende innere Stabilität und Stärke entwickelt hatte, konnte ich mit Konkurrenzkämpfen und Selektionen, in denen einem gesagt wird, ob man gut genug ist oder nicht, schlecht umgehen. Ich fühlte mich einfach nie wohl in diesem Umfeld, in dem mit Disziplin, Gehorsam, Schreien und Drohen versucht werden sollte, das Beste aus den Kindern herauszuholen beziehungsweise um zu sehen, wer zu den Stärksten gehört, in die es sich lohnt zu investieren. Dieses Umfeld war schlicht und einfach nicht gesund für mich, deshalb habe ich auch etliche Spiele oder Trainings abgesagt, weil es mir bereits beim Gedanken, dorthin zu fahren, den Magen umgedreht hat.

So hörte ich damals auf meine Impulse und war bereit, die Verwirklichung meines Traums als Profifußballer zu riskieren, sollte es dabei zwingend notwendig sein, mich in diesem für mich ungesunden Umfeld zu bewegen.

Auch später, während meiner Karriere, zog mein Körper immer dann, wenn ich nicht mehr fähig war, diesen inneren Stress und Druck auszuhalten und zu verarbeiten, die Notbremse, um mich vor größerem Schaden zu bewahren: Ich wurde krank.

Als Schutzmauer vor weiteren Wunden entwickelte ich Verhaltensmuster, die mir dabei halfen, meine kindliche Verletzlichkeit zu schützen. Zum einen legte ich mir als Kind, vor allem auf dem Spielfeld, eine unglaubliche Arroganz zu. Spielte mir ein Mitspieler einen Pass zu, der einen halben Meter neben meinen Füßen ankam, machte ich keinen Schritt, um diesen zu erreichen. Dafür pflaumte ich ihn an, ob er denn keinen vernünftigen Pass spielen könne. Ich lamentierte mit den Schiedsrichtern oder legte mich mit meinen Gegenspielern an. Auch demonstrativ zur Schau gestelltes Desinteresse dem Fußball gegenüber gehörte zu meinen Allüren. Provokant stand ich gelangweilt auf dem Platz herum und brachte damit Trainer und Mitspieler zur Verzweiflung. Dieses Verhalten zeigte sich allerdings nur sporadisch, nämlich immer in Zeiten, in denen ich nicht gut spielte oder wir Spiele verloren hatten und ich irgendetwas brauchte, um mir vorzugaukeln, dass ich schon hätte besser spielen können, wenn ich nur gewollt hätte.

Dies alles waren in schwierigen Zeiten Hilfeschreie eines Kindes, das einen Weg suchte aus diesem inneren Gefängnis der Angst, verletzt und abgelehnt zu werden, und diesen nicht fand.

Die meiste Zeit aber genoss ich es, mit meinem Bruder und unseren Freunden Fußball zu spielen. Ich bin unendlich froh, dass ich in solch einem Umfeld aufwachsen durfte und nicht in einer Förderungsmaschinerie, denn damit wäre wohl meine Freude am Fußballspielen schnell erloschen.

Dass bei all dem Stress die Freude am einst geliebten Sport irgendwann verloren gehen kann, ist für mich aus heutiger Sicht nur logisch. Ich habe mich lange Zeit dagegen gewehrt und bin froh, dass ich mir meine Begeisterung daran wenigsten während meiner Kindheit und die meiste Zeit als Profi erhalten konnte. Aber irgendwann war mir alles zu viel und ich versuchte zwar noch, in Amerika diese Freude wiederzufinden, doch die Spuren der Kritik und des daraus entstandenen Stresses waren zu tief.

Ich habe mich oft gefragt, was mit mir nicht stimmt, weil ich mein Leben teilweise nicht genießen konnte, obwohl ich doch alles hatte, was man sich nur erträumen kann. Dieser Umstand animierte mich zusätzlich, die Gründe zu finden, warum Erfolg allein nicht glücklich macht.

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