Der erste Landammann der Schweiz

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Wieder in der Schweiz, wurde er 1797 Stabshauptmann in der Miliz des Kantons Freiburg, was zeigt, dass er wieder in Gnaden aufgenommen war. Im Dienste der Koalition verpflichtete er sich den Gegenrevolutionären und stellte die Hingabe seiner Familie an das unter Beweis, was man in Freiburg die «gute Sache» nannte. 1797/98 war er Mitglied des Freiburger Grossen Rates und erwarb das Schloss Belfaux, wo er mehrere Umbauten vornahm, was auf eine fortan günstigere finanzielle Lage hindeutet. Den Giebel zierte das Wappen der d’Affry und Diesbach. Als sich das Ancien Régime in Freiburg dem Ende zuneigte, schien sich auch die Lage der Familie d’Affry sichtlich zu normalisieren.

VORSPIEL ZUR SCHWEIZERISCHEN REVOLUTION: ENDE DER DURSTSTRECKE

Louis d’Affry spaziert täglich mit der Pfeife im Mund über die Felder, im Alltagsgewand des Landedelmannes.187 Vermutlich ist es eine der schönsten Zeiten seines Lebens. Da er das Glück hat, in der Nähe der Landstrasse zwischen Lausanne und Murten zu wohnen, begegnet er am 23. November 1797 General Bonaparte, der auf dem Weg von Genf über Basel zum Rastatter Kongress die Schweiz durchquert. Zufall oder von langer Hand vorbereitete günstige Gelegenheit? Fred von Diesbach beschreibt uns einen Louis d’Affry, der «auf der feuchten Strasse an diesem eisigen Herbstmorgen vom 23. November in dem vom See aufsteigenden Nebeldunst auf und ab geht. Der Wind wirft die letzten Blätter von den Bäumen auf das reifstarre Gras. Der höchst einfach gekleidete Louis d’Affry [...] späht nach der Kutsche und ihrer Eskorte von Berner Dragonern im gelbroten Rock.

Der General hatte Lausanne am frühen Morgen verlassen. Es war noch dunkel. Er durchquert Moudon, dessen Schultheiss, Herr de Weiss, seit acht Tagen auf der Landstrasse auf und ab marschiert in der Hoffnung, einen Blick auf sein Idol werfen zu können. In Domdidier geht Bonaparte in ein Bauernhaus und macht sich eigenhändig ein einfaches Frühstück. Dann besteigt er wieder seinen Wagen, der durch das verlassene Land weiterfährt. Plötzlich gibt es einen Stoss; eine Feder ist gebrochen. Bonaparte steigt aus und sieht das Beinhaus von Murten: ‹Ah, ah, die Knochen der Burgunder›, sagt er und wendet sich an einen Adjutanten (Marmont). ‹Das ist was für dich, du bist doch Burgunder!› Während das Gefährt notdürftig repariert wird, wirft Bonaparte, der nie einen Augenblick verliert, einen scharfen Blick auf die Hügel und Wiesen, die einst ein Schlachtfeld gewesen waren.» Und wen erblickt er da plötzlich? Erlach, meint Barante in seiner Geschichte des Directoire. Aber es kann sich nicht um einen Berner handeln. General Bonaparte machte keinen Hehl aus seiner «feindseligen Einstellung» ihnen gegenüber. Er «sagte immer wieder, der Berner Adel, seine Interessen und seine Machtgelüste seien mit der Republik unvereinbar; seiner Meinung nach musste das damals Bestehende durch einen neuen Zustand ersetzt werden. Er vermied es deshalb sorgfältig, irgendwo in der Schweiz mit einer massgebenden Obrigkeit zusammenzutreffen, und beeilte sich deshalb, so gut es ging»,188 erinnert sich Marmot. «Ein Einwohner auf der Strasse, Herr d’Affry, ehemaliger Oberst des Schweizergarderegiments, gab dem General die Erläuterungen, nach denen er sich erkundigte; sie bezogen sich vor allem auf die Bewegungen der beiden Armeen und ihre jeweiligen Stellungen».189 Fred von Diesbach kommentiert: «Der General überlegt einen Moment lang, dann sagt er zu Marmont und Junot, die ihn begleiten: ‹Dieses Land kann man mit zweitausend Mann besetzen!›» Eine beunruhigende Aussage, von der man nicht recht weiss, ob sie rein spekulativ oder konkret gemeint ist.

Wenig später besteigt Napoleon Bonaparte seine Kutsche wieder und fährt schnell bis Murten weiter, wo eine längere Pause eingelegt werden muss, mindestens zwei Stunden, um die gebrochene Feder auszutauschen. Der dortige Schultheiss, Herr de Gottrau, bittet den General ins Schloss, wo ihn eine warme Mahlzeit erwartet. Er geht hin, traut aber wohl den Speisen nicht und nimmt nur Kaffee zu sich. Er ist von Würdenträgern umgeben, darunter Herr de Rougemont und der Pariser Bankier du Löwenberg, der an gewisse finanzielle Dienste erinnert, die er der Familie erwiesen habe. «Ach?», meint der General darauf nur. D’Affry, den Gottrau holen liess, bringt das Gespräch auf allgemeine politische Themen: «Die Schweiz ist ein glückliches Land», sagt Bonaparte, «daran soll man nicht rühren, sondern alles lassen, wie es ist. Die Neutralität der Schweiz ist ein grosses Glück für Frankreich.» Das wissen alle wohlmeinenden Franzosen. Der General stellt dann noch ein paar Fragen, denn er befindet sich auf kaum bekanntem Neuland, und ist erstaunt zu erfahren, dass Neuenburg dem König von Preussen gehört.

Während des Gesprächs beobachtet d’Affry den seltsamen, trockenen, sonnengebräunten Mann mit der gebogenen Nase, dem leicht olivfarbenen Teint und dem ungepuderten, zusammengebundenen Haar. Er ist mager, trägt einen einfachen Reiserock, nicht einmal eine Uniform. Aber von ihm geht eine unvergleichliche Anziehungskraft und Autorität aus, fast eine Faszination. Er ist der Held auf der Brücke von Arcole, den Gros unsterblich gemacht hat. In ihm steckt eine gewaltige Kraft. Man spürt, dass er die Ereignisse befehligen wird. Im Anschluss an das Gespräch verlässt Bonaparte Murten und erreicht noch am selben Abend Bern, das er hinter sich lässt, ohne an dem Bankett teilzunehmen, das ihm die «Oligarchen» bereitet haben.190

Diese Begegnung ist für d’Affry ein gutes Omen, und bald schon kommt die Stunde, da er wieder im politischen Rampenlicht stehen wird.

DIE FRANZÖSISCHE VORMUNDSCHAFT UND DIE IDEE DER MEDIATIONSAKTE

Heute wissen wir, dass die Idee der Mediationsakte 1803, als der Erste Konsul die Schweizer Frage regelte, nur insoweit etwas Neues ist, als sich die Mediation nunmehr für die Schweiz insgesamt und nicht mehr nur für diesen oder jenen Teil der Eidgenossenschaft aufdrängte. Die Neuheit lag in der späteren Betrachtung der Mediation als einer aussergewöhnlichen Zeit. Gern wird vergessen, dass die Schweiz in in traditioneller Weise mit Frankreich liiert war und von einer fremden Macht abhing. Für uns bezeichnet die Mediation den Moment, in dem die Frankreichhörigkeit ihren Höhepunkt erreichte und dabei die gesamte Schweiz umfasste. Zuvor hatten die einzelnen Stände unterschiedene Abhängigkeiten von den benachbarten Mächten. Die strukturelle Trägheit der Tagsatzung hatte dies recht gut ertragen.

Die Rolle des Vermittlers fiel Bonaparte sehr schnell zu. Der Basler Peter Ochs (1752–1821) forderte ihn zum Eingreifen auf, um das unitaristische System durchzusetzen, und bat ihn gar, sich zum «Gesetzgeber der Schweiz» zu erheben – ein Angebot, das der General zum damaligen Zeitpunkt ablehnte.191 Ochs übernahm es also, den Verfassungsentwurf zu formulieren, nachdem er die Ansichten von Daunou und Reubell eingeholt hatte.192 Anschliessend überarbeiteten Merlin de Douai, Reubeull und Ochs193 gemeinsam den Text, der nach Guyot alles in allem «viel weniger an der Verfassung des Jahres 3 ausgerichtet ist, als man gemeinhin meint.»194 Die helvetische Verfassung vom 12. April 1798 errichtete eine in den Schweizer Annalen einmalige zentralisierte Republik.

STURZ DES CORPS HELVÉTIQUE (1798)

Zunächst musste ein Schlussstrich unter die Schweiz in ihrer ursprünglichen Gestalt gezogen werden. Dem Marschall d’Affry war bewusst, dass die Revolution, hätte sie erst einmal Einlass in die Schweiz gefunden, durch nichts mehr aufzuhalten sein würde und dass sein Vater lediglich Zeit gewann, indem er das Unvermeidliche hinauszögerte. Fünf Jahre Zeit, die kein Mensch dazu nutzte, irgendwelche Reformen einzuleiten. Louis d’Affry wurde zum herausragenden Akteur des Zusammenbruchs des Ancien Régime in Freiburg. Wie sehr musste es dem Kanton Freiburg an geeigneten oder mindestens zur Übernahme einer gewissen Verantwortung bereiten Männern mangeln, wenn man sich dazu entschloss, seine Dienste in Anspruch zu nehmen! Als sich die französische Bedrohung konkretisierte, hielten die drei Kantone Freiburg, Bern und Solothurn in Zofingen Kriegsrat ab, um die Verteidigung vorzubereiten. Dorthin begab sich Louis d’Affry am 10. Januar 1798 in Begleitung von Generalmajor Nicolas de Weck. Ihr Auftrag geschah in grösster Heimlichkeit. Fred von Diesbach rief uns in Erinnerung, dass die beiden Offiziere «ermächtigt waren, mit den Verbündeten einen gemeinsamen Verteidigungsplan aufzustellen, ohne dabei einem kompromittierenden Versuch des Staates Freiburg die Hand zu leihen und ohne sich den von Bern getroffenen Massnahmen anzuschliessen. Diesen strengen Massnahmen stand Freiburg ablehnend gegenüber. Die Republik erwies sich mal als hochfahrend und fest entschlossen, dann wieder als von Unentschlossenheit gelähmt und politisch gespalten.»195 Von seinem Vater wusste d’Affry um die traditionelle Unentschlossenheit der Kantone und gab sich darum hinsichtlich ihres kollektiven Abwehrwillens keinen Illusionen hin. Anfang 1798 breitete sich der Waadtländer Aufstand wie eine Pulverspur auf die Freiburger Vogteien aus. Louis d’Affry erhielt den Oberbefehl über die am 23. Januar von der Freiburger Regierung zur Verteidigung der Stadt und der Altländer ausgehobenen Truppen und nahm an den Beratungen des Geheim- und des Kriegsrats teil, der am 30. die Aushebung der Miliz dekretierte. Angesichts der Gefahr eines französischen Einmarsches beschloss der Freiburger Grosse Rat eine Verfassungsänderung, welche die Volkssouveränität zur Grundlage machte. Louis d’Affry gehörte also am 28. Januar 1798 dem Kriegsrat und dem Geheimen Rat an. Am selben Tag verabschiedete der Grosse Rat die Revision der für Freiburg gültigen Verfassung im Sinne der Volkssouveränität. Als sich die Waadtländer Kontingente am Stadteingang einfanden, verhinderte d’Affry, dass sich irgendjemand zeigte, und untersagte das Trommelrühren. Er liess sich gemeinsam mit Ignace de Montenach den Auftrag geben, mit den Ankömmlingen als Parlamentäre zu verhandeln, und zog danach «ein Lied trällernd» ab, wie ein Zeuge berichtet. Er redete mit den Waadtländern, gewann ihr Vertrauen durch Lieferung einiger Nahrungsmittel und erreichte, dass sie sich entfernten. Sie zogen in Richtung Belfaux ab. Freiburg atmete auf. Aber wenn es einem an Stärke fehlt, muss man diplomatisch zu handeln wissen. Indem er das Waadtländer Bataillon des Kommandanten Alioth aus Vevey zum Abmarsch bewegte, zögerte d’Affry eine vom Zusammenstoss zwischen Waadtländer und Freiburger Patrioten ausgelöste revolutionäre Bewegung um einige Wochen hinaus. Hier stellte d’Affry die ihm eigene, meisterhafte Kunst aus Umsicht und Geschicklichkeit unter Beweis, die er dazu benutzte, seiner Heimat die Geissel des Bürgerkriegs so weit wie möglich zu ersparen. Man fühlt sich an seinen Vater erinnert, dessen erprobte Rezepte er sichtbar angewendet hat, aber damit endet der Vergleich auch schon. Was ihm damals noch fehlte, war die politische Genialität. Dass d’Affry herbeigerufen wurde, zeigt, wie unverzichtbar er war. Als Mitglied des Geheimen Rates und Befehlshaber der Freiburger Truppen gab er sich alle Mühe, Freiburg die Schrecken eines nutzlosen Kampfes zu ersparen. Er wollte das schaffen, was seinem Vater am 10. August versagt blieb. Max von Diesbach unterstrich, «seiner charakteristischen Mässigung und seines ungebundenen Geistes wegen wurde er dazu berufen, mit dem kommandierenden General Brune zu verhandeln».196 Aber Ménards Nachfolger Brune brachte es fertig, die Regierenden einschliesslich Louis d’Affry einzuschläfern. Letzterer besass eindeutig nicht das Format seines Vaters. Fred von Diesbach schrieb: «Er liess sich von den Verhandlungen täuschen, die Brune mit ihm und seinen Nachbarn führte, um Zeit zu gewinnen. Für den Franzosen war das aber eine blosse ‹Finte›. Die Berner liessen sich trotz den Protesten ihrer Generäle einwickeln. Ihre Abgesandten, Schatzmeister Frisching und Oberst de Tscharner de St. Jean, kamen in Payerne an. Die Freiburger, Louis d’Affry mit dem Kanzler der Republik Simon Tobie de Raemy und Nicolas de Gady, gingen ebenfalls in die Falle. Ihre Weisungen waren nach Aussage Gadys ‹vage, fast sinnlos› und ‹liefen lediglich darauf hinaus, den General dazu zu bringen, dass er nicht in den Kanton Freiburg einmarschiere›, und er fügte hinzu, ‹Herr d’Affry legte unter diesen Umständen eine grosse Energie an den Tag, aber vergebens. Wir kehrten zurück, ohne ein anderes Ergebnis vorweisen zu können als die Gewissheit eines bevorstehenden Einmarsches in die Schweiz.›»197

 

Der zur 18. Halbbrigade der Invasionsarmee in die Schweiz gehörige spätere französische General Jean Baptiste Materre schrieb anlässlich der Einnahme Freiburgs im März 1798 über d’Affry: «Nach den üblichen Aufforderungen wurden einige Kanonenkugeln abgefeuert; das veranlasste die Einwohner, zum Kommandeur der französischen Division einen Bevollmächtigten zu entsenden, um mit ihm die Übergabe der Festung auszuhandeln; sie delegierten Herrn d’Affry, vor der Revolution Oberst eines Schweizer Regiments im Dienste Frankreichs, einen versierten Höfling, geübt in Intrige und Versteckspiel, der die Freimütigkeit unseres Generals [Pijon] geschickt auszunutzen verstand, um ihn hinzuhalten, die Dinge in die Länge zu ziehen und damit seinen Auftraggebern die Zeit zur Evakuierung der Festung zu verschaffen, das Schönste und Beste wegzubringen und den Rest praktisch einsatzunfähig zu hinterlassen. General Pijon merkte ein wenig zu spät, dass ihn dieser gerissene Unterhändler an der Nase herumführte, liess Sergeant Barbe den Schutzwall ersteigen, sich beim Kommandanten die Stadtschlüssel beschaffen und befahl uns die Aufstellung in Marschkolonne zum Einmarsch.»198 «Gerissener Unterhändler» – der Begriff war geboren. Freiburg fiel wie eine reife Frucht oder genauer wie eine teigige Birne. Als die Franzosen am 2. März endlich vor Freiburg auftauchten, oblag es wiederum d’Affry, die Übergabe auszuhandeln. Er übernahm das hässliche Geschäft, das ihm nur schaden konnte. Aber das gesamte Patriziat hatte sich gedrückt, nur d’Affry sprang ein. So hob sein Biograf hervor: «Ihm wurde oft vorgeworfen, Freiburg unverteidigt übergeben und so der Berner Armee die linke Flanke geboten zu haben.»

Wie hätte er denn die Verteidigung vorbereiten sollen, da er doch Chef der Kontingente und Unterhändler zugleich war? Selbst wenn er die Zeit gehabt hätte, einen Plan zu entwerfen, wäre dieser durch die Desertion der Vogteien, das Zögern der Verbündeten, die Langsamkeit der bis mitten in die Schlacht andauernden wirren Verhandlungen zunichte gemacht worden. «In Erkenntnis der Nutzlosigkeit eines bewaffneten Widerstandes verhielt sich d’Affry sehr umsichtig und trug dazu bei, seiner Geburtsstadt die Übel des Krieges und insbesondere jene zu ersparen, die in der Krise dem Zusammenprall der Parteien zu erwachsen pflegen.» Dieses sehr ausgewogene Urteil äusserten de Stapfer und d’Usteri, zwei seiner Gegner, in ihrem Artikel in der Biographie universelle.199 M. Michaud schrieb: «Er machte sich die den Umständen angemessene Schmiegsamkeit zu eigen und erreichte einige Erleichterungen bei der Kapitulation Freiburgs.»200 Im Klartext: Er lieferte die Stadt den Franzosen aus und rettete sie so vor der Zerstörung. Sein Biograf Fred von Diesbach bemerkte dazu: «D’Affry wollte gerade aus dem Romont-Tor heraus, als ein Soldat auf ihn schoss, ihn aber zum Glück verfehlte. Die Unterhaltung geschah im Châtelet, einem kleinen Pavillon auf einer Anhöhe ausserhalb der Schutzwälle. D’Affry zeigte sich ungemein flexibel, höflich, bester Manieren und erlangte damit ehrenhafte Bedingungen. Nicht nur das, sondern er brachte den französischen General dazu, die ihm erteilten Weisungen etwas abzumildern. Es wurde vereinbart, dass die Stadttore von den Franzosen bewacht, die Freiburger Milizen entlassen, der Sieger aber die notwendigen Truppen in der Stadt belassen würde, um dort die Ordnung sicherzustellen, die Religion, das Besitztum und die Personen unangetastet zu lassen. Die zur Garnison gehörigen Berner und Sensler konnten mitsamt ihren Waffen die Stadt verlassen und waren an die Kantonsgrenze zu bringen.»201

Kaum war die Stadt am 2. März 1798 eingenommen, trat d’Affry für ein paar Tage in die provisorische Regierung ein, bis er dann wie alle bisherigen Adligen und Patrizier von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen wurde. Gleich nach Einrichtung der neuen Behörden wurde Louis’ Sohn Charles zum Statthalter des Präsidenten ernannt. Sein zweiter Sohn, Guillaume, trat dem Unterbringungskomitee bei. Er sollte sich eine Art Uniform zurechtgeschneidert haben und diente dem republikanischen General als Fremdenführer. Wieder waren die d’Affrys in Freiburg obenauf. Fern war die Zeit, als sich die Familie nicht mehr am Ufer der Saane aufzuhalten wagte. Sie rächten sich. Bei der Restauration geisselte Jean de Montenach die Haltung des Mannes, der «die Unverfrorenheit besass, wenige Tage nach dem Einzug der Franzosen mit den äusseren Anzeichen eines Adjutanten des Revolutionsgenerals verbrämt durch Freiburg zu stolzieren.»202 Kann man den d’Affrys einen Vorwurf machen, dass sie die Franzosen, nachdem diese nun einmal da waren, mit offenen Armen empfingen? Den d’Affrys lag es fern, vor den Unbilden der Zeit zu kapitulieren, sondern sie stellten sich den Gegebenheiten, während sich die anderen Regierenden irgendwo im Nebel aufgelöst zu haben schienen. Der pragmatische d’Affry schreibt: «Gewaltsame Mittel können die Ängste verlängern, während sanfte sie mildern und verkürzen können.» Louis d’Affry hielt die Revolution für ein unvermeidliches Übel, dem man sich aus eigenem Entschluss stellen musste und das man nicht durch Sturheit oder Verfolgung eigener Vorstellungen verlängern darf, wie Marcus Lutz sagt. Immerhin erweisen ihm die Franzosen einen guten Dienst, indem sie ihn in seiner Eigenschaft als adliger Patrizier aus seinem Amt jagen. Auf diese Weise kompromittiert er sich nicht mit dem Regime der Helvetik, die bald auf Widerstand traf, und man vergisst sogar mehr oder weniger, dass er an ihren Anfängen teilhatte. Die Besteuerung in Höhe von zwei Millionen, die am 19. Germinal des Jahres VI (8. April 1798) den Patriziern auferlegt wurde, traf ihn hart: «Das Kapital von Louis d’Affry, der zur höchstbesteuerten ersten Klasse gehörte, wurde auf 12 375 Ecus und seine Einkünfte auf fast 2000 Ecus angesetzt. Er wurde mit 7000 Ecus besteuert – 24 000 Franken in unserer heutigen Währung. Seine in die zweite Klasse eingereihte Frau musste 2000 Ecus hinlegen.»203 Sein Schwiegervater von Diesbach musste 20 000 Ecus zahlen. Sein künftiger Schwiegersohn, Jean Antoine Vendelin de Castella de Villardin (1765–1831) aus dem Berlens-Zweig, ein reicher Grossgrundbesitzer und 1787 Mitglied des Grossen Rates, der am 20. April 1800 d’Affrys Tochter Marie Anne Elisabeth Françoise d’Affry (1775–1831) ehelicht, musste nicht weniger als 30 000 Ecus hinblättern, womit er zu dem am höchsten Besteuerten der Zeit wird.204 Nach Aussage seiner Schwägerin Marie besass er «ein ungeheures Vermögen».205

Zum Rückzug ins Privatleben gezwungen, verhielt sich Louis d’Affry vorläufig still und verbrachte seine Zeit zwischen seinem kleinen Gut in Prehl, seinem schönen Haus von Givisiez und der Residenz seiner Schwester Marie-Madeleine von Griesbach Torny (1739–1822) in Courgevaux.206 In dieser Zeit war seine Tochter Minette bei ihm, die er sehr liebte.207

Für seinen ältesten Sohn Charles Philippe d’Affry war es an der Zeit, eine Frau zu finden. Mademoiselle de Garville war in Betracht gezogen worden. Letztlich heiratete er mit Vertrag vom 17. Januar 1799208 und kirchlich am 28. Januar209 die am 11. März 1777 im Schloss Achiet-le-Petit (Artois) geborene, am 24. März gleichen Jahres in der Kirche von Achiet getaufte Marie Adélaïde Philippine Dorothée, genannt Mimi, von Diesbach Belleroche (1777–1828), Dame de Sainghin-en-Mélantois und Cournillens, Tochter von Marie Claire de Baudequin Sainghin und Graf François-Philippe Ladislas, Baron von Diesbach Belleroche, Generalleutnant im Dienste Frankreichs, davor letzter Oberst und Eigner des Regiments Diesbach, den die Revolution zur Rückkehr ins Schloss de la Poya in Freiburg veranlasst hatte. Die beiden Familien verbanden sich damit ein weiteres Mal, aber Ladislas stand der Eheschliessung keineswegs wohlwollend gegenüber. In seinen 1819 verfassten Notizen stellte er fest, Charles d’Affry «setzte gemeinsam mit seinem Herrn Vater und seiner Frau Tante einen Ehevertrag auf, der das Gegenteil dessen enthielt, was ich und meine Tochter verlangt hatten.» Er fügte hinzu: «Beiläufig sei bemerkt, dass die Familie d’Affry es durch ihr Können fertigbrachte, die Güter der Steinbrueck, die sich auf vierzigtausend Pfund Rente beliefen, mit denen meiner Tochter zu vereinen, die nach mir 23 000 betragen, die Erwerbungen, die sie von Belfaux de Sonneville machte, nicht eingerechnet, ebensowenig schon über 63 000 f Rente, die in zwei Eheschliessungen von der Familie Diesbach auf die Familie d’Affry übergegangen sind, abgesehen von all dem, was meine Tochter jährlich von ihren Einkünften erspart.»210 Sie hatten vier Kinder.

Im Grunde führte Louis d’Affry in der damaligen Zeit ein scheinbar recht ruhiges Leben am Rande der Umwälzungen. Nach und nach wird er wieder an der Rampe zur Bühne auftauchen.

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