Handbuch Arzthaftungsrecht

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2. Kapitel Verjährung

A. Einleitung1 – 6

B. Kenntnis von einem schadenskausalen Behandlungsfehler7 – 68

I. Grundsatzentscheidungen zur Kenntnis von einem schadenskausalen Behandlungsfehler8 – 21

II. Feststellungen zum Zeitpunkt der Kenntnis, Fallgruppen22 – 51

1. Beweislasten25 – 28

2. Rückschluss auf Kenntnis aus Anspruchsanmeldung bzw. Anschuldigungen der Patientin/des Patienten29 – 38

3. Verhältnis von Kenntnis und herabgesetzter Substantiierungslast39

4. Rückschluss auf Kenntnis aus Behandlungsfehlervorwürfen im Klagverfahren40 – 44

5. Erkenntnisse im Rahmen der Nachbehandlung45 – 48

6. Kenntnis durch MDK-Gutachten oder Schlichtungsstellengutachten49 – 51

III. Mehrere Fehlervorwürfe, Behandlungseinheit oder selbstständige Nachteile52 – 57

IV. Kenntnis – Spannungsverhältnis von unklarer Kausalität und Beweiserleichterungen58 – 63

V. Kenntnis der vom Patienten beauftragten Anwälte und Wissensvertretung64 – 68

C. Kenntnis von unzureichender Risikoaufklärung oder Alternativaufklärung69 – 79

D. Grob fahrlässige Unkenntnis des geschädigten Patienten80 – 90

E. Besonderheiten bei der Kenntnis und grob fahrlässigen Unkenntnis von Sozialversicherungsträgern91 – 114

I. Grundsatzentscheidungen zur Kenntnis des SVT im Behandlungsfehlerbereich93 – 98

II. Kenntnis durch Hinweise des Versicherten99 – 101

III. Zumutbare Bemühungen um Klärung eines schadenskausalen Behandlungsfehlers102 – 109

IV. Keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis durch einen Behandlungsfehler verneinendes MDK-Gutachten110 – 113

V. Kenntniszurechnung bei einem Wechsel des SVT114

F. Hemmung der Verjährung115 – 163

I. Verjährungshemmung durch außergerichtliche Verhandlungen, § 203 S. 1 BGB115 – 143

1. Beginn der Verjährungshemmung116 – 118

2. Erstreckung der Verjährungshemmung auf angestelltes medizinisches und nicht medizinisches Personal119, 120

3. Ende der Verjährungshemmung:121 – 143

a) Ausdrücklicher Abbruch der Verhandlungen122 – 127

b) Einschlafen der Verhandlungen128 – 143

II. Verjährungshemmung während eines Verfahrens vor einer von den Ärztekammern eingerichteten Schlichtungs- bzw. Gutachterstelle nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB144 – 149

III. Arzthaftungsrechtliche Besonderheiten der gerichtlichen Verjährungshemmung150 – 163

1. Klagezustellung an einen Krankenhausarzt151

2. Fehlerhafte Trägerbezeichnung152 – 155

3. Verjährungshemmung durch Zuständigkeitsbestimmungsantrag156, 157

4. Keine Verjährungshemmung durch unzulässige Streitverkündung158, 159

5. Streitgegenstand und Hemmung nach § 204 BGB160 – 163

G. Das Gebot des sichersten Weges, Verjährungsdiskussionen und Einredeverzichte164 – 175

A. Einleitung

1

Das zentrale Problem der Verjährung in Arzthaftungssachen lag schon vor der Schuldrechtsmodernisierung und liegt seither mit der Umstellung auch der Verjährung der vertraglichen Ansprüche auf die 3-jährige, kenntnisabhängige Verjährung der §§ 195, 199 BGB darin, dass auf Patientenseite in aller Regel zunächst die Kenntnis fehlt, ob der negative Ausgang einer Behandlung auf die Grunderkrankung oder Behandlungsrisiken zurück geht oder auf ein fehlerhaftes Vorgehen der behandelnden Ärzte. Würde man den schlechten Ausgang der Behandlung für den Verjährungsbeginn ausreichen lassen, würden etliche Ansprüche ohne hinreichende Kenntnis der Patientenseite der Verjährung unterliegen.

 

2

Der BGH hat mit breiter Zustimmung schon nach § 852 Abs. 1 BGB a.F. zu den subjektiven Voraussetzungen des Verjährungsbeginns die Kenntnis vom schadenskausalen Abweichen vom ärztlichen Standard gerechnet und daran auch nach der Schuldrechtsmodernisierung zum Jahresbeginn 2002 festgehalten.[1]

3

Dass die mit der Schuldrechtsmodernisierung eingeführte Alternative der grob fahrlässigen Unkenntnis die Gerichte beschäftigen würde, war abzusehen. Inzwischen sind die daran anknüpfenden Fragen jedoch weitgehend geklärt. Geändert hat sich durch die Einführung der kenntnislosen Verjährung wegen grob fahrlässiger Unkenntnis nicht viel, weil Kenntnis von einem Behandlungsfehler in der Regel nicht ohne nennenswerten Aufwand zu erwerben ist.

4

Ich werde mich zunächst mit den Voraussetzungen der Kenntnis vom schadenskausalen Behandlungsfehler befassen und sodann mit der grob fahrlässigen Unkenntnis. Die Kenntnissituation bei Schadensersatzansprüchen aus unzureichender Risikoaufklärung bzw. unzureichender Aufklärung über Behandlungsalternativen ist, weil es nicht um das Abweichen vom ärztlichen Standard bei der Behandlung geht, sondern um Schäden aus einer rechtswidrigen Behandlung, gesondert zu beleuchten.

5

Kenntnis und grob fahrlässige Unkenntnis bei Sozialversicherungsträgern werden weitgehend analog zu den Verhältnissen bei den dort versicherten Patienten gesehen, weisen wegen der arbeitsteiligen Bearbeitung und wegen der Fragen der Kenntnisvertretung jedoch Besonderheiten auf, weshalb ich diesem Komplex einen eigenen Abschnitt widme.

6

Sodann wird es erforderlich werden, arzthaftungsrechtliche Besonderheiten bei Fragen der Verjährungshemmung anzusprechen.

B. Kenntnis von einem schadenskausalen Behandlungsfehler

7

Der Begriff der Kenntnis spielte vor der Schuldrechtsmodernisierung allein für deliktische Schadensersatzansprüche eine Rolle, geregelt in § 852 Abs. 1 BGB a.F. Das betraf damals vor allem die Schmerzensgeldansprüche und Ansprüche gegen vertraglich nicht selbst haftende, z.B. im Krankenhaus angestellte Ärzte oder Hebammen. Der Begriff der Kenntnis war damit auch im Arzthaftungsbereich mit der Schuldrechtsmodernisierung nicht neu, wurde aber mit der Abkürzung der Verjährungsfrist für materielle Schadensersatzansprüche auf drei Jahre ab Ende des Jahres, in welchem Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen vorlag, für sämtliche Ansprüche aus Behandlungs- und Aufklärungsfehlern relevant, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB.

I. Grundsatzentscheidungen zur Kenntnis von einem schadenskausalen Behandlungsfehler

8

In verjährungsrechtlichen Streitigkeiten wird noch heute eine ältere Entscheidung des BGH zum Verjährungsbeginn in Arzthaftpflichtsachen diskutiert, Urteil vom 20.9.1983[2], in welcher der BGH zwei Positionen aufstellt, die in einem dort nicht gelösten Spannungsverhältnis zueinander stehen. Zum einen wird konstatiert, dass es nur auf die Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen ankomme, nicht auf deren zutreffende rechtliche Würdigung „und erst Recht nicht darauf, ob der Geschädigte aus den ihm bekannten Tatsachen zutreffende Schlüsse auf den in Betracht kommenden naturwissenschaftlich zu erkennenden Kausalverlauf zieht“. Zum anderen hält der BGH aber schon dort fest, „dass es die Besonderheiten des Arzthaftpflichtprozesses gebieten, nicht vorschnell von der Tatsache, dass eine zum Schaden führende Verletzungshandlung offenbar ist, auf einen schuldhaften Behandlungs- (oder Aufklärungs-)fehler zu schließen.“ Wegen der bei ärztlichen Eingriffen häufig weder vorausschauend noch rückwirkend eindeutig feststellbaren Kausalverläufe würden Misserfolge und Komplikationen im Verlauf einer ärztlichen Behandlung nicht stets auf ein Fehlverhalten des behandelnden Arztes hinweisen. „Eine ausreichende Kenntnis des Patienten von Tatsachen, die ein derartiges Fehlverhalten nahelegen, setzt deshalb zum Beispiel die Kenntnis der wesentlichen Umstände des Behandlungsverlaufs, insbesondere auch etwaiger anatomischer Besonderheiten, eines vom Standard abweichenden ärztlichen Vorgehens, des Eintritts von Komplikationen und der zu ihrer Beherrschung ergriffenen Maßnahmen voraus.

9

Unter diesem zweiten Gesichtspunkt hätte der BGH in dieser Entscheidung eigentlich nicht zu einer den Verjährungsbeginn auslösenden Kenntnis kommen können, denn es fehlen in den Urteilsgründen jegliche Anhaltspunkte dafür, dass der Patient in verjährungsrelevanter Zeit etwas vom Abweichen vom ärztlichen Standard wusste. Die Entscheidung wurde deshalb schon damals von Taupitz[3] als widersprüchlich kritisiert und wird heute durch die weitere Rechtsprechung des BGH als überholt angesehen[4].

10

Inzwischen tritt der Einwand, dass eine zutreffende medizinische Würdigung unerheblich sei, deutlich hinter das Erfordernis zurück, dass der Patient erkennen muss, dass der aufgetretene Schaden auf einem fehlerhaften Verhalten der Behandlerseite beruht.

11

Schon in seiner Entscheidung vom 23.4.1985[5] macht der BGH deutlich, dass es nicht ausreicht, dass die Klägerseite argwöhnt, der Beklagte habe etwas falsch gemacht, „weil bloße Vermutungen ohne tatsächliche Grundlage einer Kenntnis des tatsächlichen Verlaufs nicht gleichstehen“.

12

Nach der Entscheidung des BGH vom 23.4.1991[6] genügt es nicht schon, dass der Patient Einzelheiten des ärztlichen Tuns oder Unterlassens kennt, „vielmehr muss ihm aus seiner Laiensicht der Stellenwert des ärztlichen Vorgehens für den Behandlungserfolg bewusst sein. Deshalb beginnt die Verjährungsfrist nicht zu laufen, bevor nicht der Patient als medizinischer Laie Kenntnis von Tatsachen erlangt, aus denen sich ergibt, dass der Arzt von dem üblichen ärztlichen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht getroffen hat, die nach ärztlichem Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich waren.

13

Noch etwas einfacher drückt es der BGH in seiner Entscheidung vom 29.11.1995[7] aus: „Er (der Patient) muss vielmehr auch Kenntnis von einem ärztlichen Behandlungsfehler haben.

14

In seiner Entscheidung vom 24.6.1999[8] ergänzt der BGH: „Der Hinweis sogar eines Arztes auf eine mögliche Schadensursache vermittelt noch keine Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen.

15

In seiner ersten Entscheidung zum Verjährungsbeginn in Arzthaftungssachen nach der Schuldrechtsmodernisierung, also auf der Grundlage des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB n.F., hat der BGH diese Grundsätze unterstrichen und die erforderliche Kenntnis vom Abweichen vom ärztlichen Standard erst dann angenommen, „wenn die dem Anspruchsteller bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners und auf die Ursache dieses Verhaltens für den Schaden bzw. die erforderliche Folgeoperation als naheliegend erscheinen zu lassen (. . .). Denn nur dann wäre dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich (. . .).“[9]

16

Nach anhaltender Diskussion darüber, ob nicht doch die Kenntnis von den Behandlungsdaten und dem Behandlungsverlauf ausreiche, hat der BGH in seiner Entscheidung vom 8.11.2016[10] noch einmal klargestellt, dass Kenntnis von einem Behandlungsfehler vorliegen muss. Es ging in dieser Sache um einen im Jahr 2003 geborenen Kläger, bei dessen Geburt es bei einem Geburtsgewicht von 5.100 g durch eine Schulterdystokie während der vaginalen Entbindung zu einer Schädigung des Plexus brachialis links mit der Folge einer dauerhaften Parese gekommen war. Im Jahr 2006 hatte die Mutter des Klägers ein umfangreiches Gedächtnisprotokoll gefertigt, in welchem sie die Geburt detailliert beschrieb und auch Kritik an der angewandten geburtshilflichen Technik übte. Noch im September 2006 hatten die Prozessbevollmächtigten des Klägers die wesentlichen Teile der Dokumentation aus der stationären geburtshilflichen Behandlung erhalten. Das OLG Koblenz[11] hatte in diesem Fall daher der Mutter des Klägers als dessen Wissensvertreterin die für den Verjährungsbeginn maßgebliche Kenntnis von einem Behandlungsfehler unterstellt. Der BGH hat in seiner Entscheidung die Feststellungen des OLG zur Kenntnis von ärztlichen Behandlungsfehlern jedoch nicht ausreichen lassen. Zwar hätten die Rechtsanwälte des Klägers im August 2007 ärztliche Behandlungsfehler mit hinreichender Deutlichkeit angesprochen, sodass für diese Zeit die erforderliche Kenntnis zu unterstellen sei. Das Berufungsgericht habe aber keine Feststellungen dazu getroffen, ob diese Kenntnis schon im Jahr 2006 vorgelegen habe oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangt werden müssen. Die reine Kenntnis der Abläufe und der Behandlungsunterlagen haben dem BGH mithin für den Verjährungsbeginn nicht gereicht.

17

In einer weiteren Entscheidung des BGH vom 26.5.2020[12] in demselben Fall – das OLG Koblenz hatte im Rahmen der erneuten Befassung mit der Sache nach Zurückverweisung grob fahrlässige Unkenntnis der den Kläger vertretenden Anwaltskanzlei in verjährungsrelevanter Zeit unterstellt – hat er es nicht ausreichen lassen, dass der Kanzlei aus der Bearbeitung eines anderen, aber ähnlich gelagerten Falls medizinische Fachkenntnisse unterstellt wurden, weil auch von den Bevollmächtigten nicht verlangt werden könne, Behandlungsunterlagen auf schadenskausale Behandlungsfehler zu überprüfen.

18

Der Patient muss aus seiner Laiensicht von einem Behandlungsfehler erfahren haben, der zu dem bei ihm vorliegenden Primärschaden geführt hat. Nicht erforderlich ist es, dass er den Fehler medizinisch zutreffend erkannt hat. Insoweit kommt es weiterhin nicht auf die medizinisch korrekte Bewertung an. Ihm muss aber deutlich geworden sein, dass ein schadenskausales ärztliches Fehlverhalten vorlag.[13]

19

Eine jüngere Entscheidung des OLG Hamm[14] verdeutlicht diesen Grundsatz: Die dortige, im Jahr 1993 geborene Klägerin hatte geltend gemacht, dass ihre Mutter mit einer eitrig-fötiden Kolpitis in die beklagte geburtshilfliche Klinik aufgenommen und grob standardwidrig nicht mit Antibiotika behandelt worden sei. Dadurch sei es zu einem Fortschreiten der Infektion und zu einer Frühgeburt gekommen, bevor eine Lungenreifebehandlung ihre volle Wirkung entfalten und sie, die Klägerin, vor den typischen, durch die Frühgeburtlichkeit eingetretenen Schäden bewahren konnte. Die Mutter der Klägerin hatte aus einem Fördergutachten aus dem Jahr 2000 Kenntnis davon, dass bei ihr eine nicht erkannte Streptokokken-Infektion vorgelegen habe. Das hat das OLG für den Verjährungsbeginn nicht ausreichen lassen, weil sie daraus nicht unbedingt habe schließen müssen, dass die Infektion fehlerhaft von den Beklagten nicht sofort erkannt und behandelt worden sei.

20

Maßgeblich für die den Verjährungsbeginn auslösende Kenntnis ist der Eintritt der ersten Schadensfolge.[15] Der gesamte einer unerlaubten Handlung entspringende Schaden stellt eine Einheit dar. Es kommt daher für den Beginn der Verjährung nicht darauf an, wann der Verletzte von den einzelnen Schadensfolgen Kenntnis erlangt. Es gelten dann auch solche Schadensfolgen als bekannt, die im Zeitpunkt der Erlangung Kenntnis nur als möglich voraussehbar waren. Nur solche Schadensfolgen, die nicht voraussehbar waren, sondern sich erst später nach anscheinend ganz leichten Verletzungen unerwartet einstellen, sind von der Kenntnis des Gesamtschadens nicht erfasst. Für sie kann eine besondere Verjährungsfrist laufen.[16]

21

Die zutreffende rechtliche Würdigung ist für den Verjährungsbeginn unerheblich, einmal abgesehen von ganz seltenen Ausnahmefällen, so zum Beispiel nach der Änderung der Rechtsprechung des BGH zur Haftung des Rettungsdienstträgers für fehlerhafte Notfallbehandlung anstelle des eingesetzten Notarztes.[17]

II. Feststellungen zum Zeitpunkt der Kenntnis, Fallgruppen

22

Es gehört zu den Raritäten des Arzthaftungsprozesses, dass die Patientenseite mit dem Vortrag in die Auseinandersetzung geht, schon in verjährungsrelevanter Zeit von einem schadenskausalen Behandlungsfehler erfahren zu haben. Das OLG Saarbrücken[18] hatte den Fall einer Patientin, die nach Klagerhebung im Jahr 2017 erklärte, der Operateur der beklagten Klinik habe ihr gleich nach der Schilddrüsen-OP im April 2013 erklärt, dass er nicht wisse, was am Tag der OP mit ihm los gewesen sei, er habe geglaubt, die Schilddrüse sei bereits entfernt worden und normalerweise hätte er ein Ultraschallgerät hinzunehmen müssen. Er habe sich für den Fehler entschuldigt und eine schnellstmögliche zweite OP empfohlen. Nennenswerte Hemmungstatbestände lagen nicht vor.

 

23

Derart offensichtliche Hinweise auf eine frühe verjährungsrelevante Kenntnis liegen üblicherweise nicht vor. Und daher müht sich die Rechtsprechung oft mit Indizien ab, die für oder gegen eine Kenntnis in verjährungsrelevanter Zeit sprechen. Es gibt sicher die einfachen Fälle, in denen die Patientenseite ein bestimmtes Ereignis als Auslöser für eine Prüfung oder Nachfrage benennen kann, z.B. Hinweise einer Krankenkasse nach dort durchgeführter Prüfung oder Hinweise eines Nachbehandlers. Hier lässt sich der (späte) Zeitpunkt der Kenntnis für die Gegenseite leicht nachvollziehbar darstellen.

24

Bleibt dagegen offen, was zu einer späten Prüfung geführt hat, sieht sich die Patientenseite oft Spekulationen der Passivseite ausgesetzt.

1. Beweislasten

25

Auf Spekulationen der Passivseite über frühere Kenntnis oder Erkenntnismöglichkeiten kann ein früher Verjährungsbeginn nicht gestützt werden. Da auch im Zusammenhang mit der Frage grob fahrlässiger Unkenntnis die Patientenseite eine Erkundigungs- bzw. Prüfungspflicht im Interesse des Schuldners an einem frühzeitigen Verjährungsbeginn gerade nicht trifft, kann sie auch nicht verpflichtet werden darzulegen, weshalb sie sich nicht früher Kenntnis verschafft hat.

26

Sowohl die Darlegungslast als auch die Beweislast dafür, dass die Patientin/der Patient in verjährungsrelevanter Zeit die erforderliche Kenntnis hatte (oder grob fahrlässig nicht hatte), liegt bei dem Schuldner. Für die Gläubigerseite reicht es grundsätzlich aus darzulegen, dass Kenntnis erst in verjährungsrechtlich nicht relevanter Zeit eingetreten ist. Und da zur erforderlichen Kenntnis eben nicht allein der negative Ausgang der Behandlung, sondern auch eine konkrete, wenn auch laienhafte Vorstellung davon gehört, dass vom ärztlichen Standard abgewichen wurde, reicht es für die Patientenseite aus mitzuteilen, wann Hinweise auf einen Behandlungsfehler erteilt wurden. Die Beklagtenseite muss, will sie mit der Verjährungseinrede durchdringen, mithin nach Anhaltspunkten für frühere Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis suchen.

27

Im Folgenden werden Fallkonstellationen herausgearbeitet, in denen in mehr oder weniger überzeugender Weise Kenntnis aus Äußerungen der Patientenseite in verjährungsrelevanter Zeit, aus klägerischem Vorbringen zum Behandlungsfehler oder aus Hinweisen aus der Nachbehandlung gefolgert wurde.

28

Um hier nicht Überraschungen ausgesetzt zu werden, müssen Vertreter der Patientenseite eine genaue „Anamnese“ dazu erheben, ob möglicherweise Vorwürfe des Mandanten von einigem Gewicht oder konkrete Hinweise von Nachbehandlern schon früh im Raume standen. Das gilt in besonderem Maße, wenn das Mandat erst spät oder nach einem Mandatswechsel erteilt wird.

2. Rückschluss auf Kenntnis aus Anspruchsanmeldung bzw. Anschuldigungen der Patientin/des Patienten

29

In den Fällen, in denen bei dem Patienten die Überzeugung von einem schadenskausalen Behandlungsfehler bereits gereift und durch Anschuldigungen oder Anspruchsanmeldung auch nach außen getragen wird, wird es für den Patienten schwierig, sich im Nachhinein auf verbliebene Unsicherheiten bzw. ein weiteres Absicherungsbedürfnis zu berufen. Zwar wird man aus Unmutsäußerungen eines Patienten nicht auf eine Kenntnis von einem Behandlungsfehler schließen dürfen. Wenn jedoch konkret – auch laienhaft – eine medizinische Wertung ausgesprochen wird und mit Nachdruck Forderungen nach Schadensersatz oder gar strafrechtlicher Verfolgung gestellt werden, muss die Patientin/der Patient damit rechnen, dass ihr/ihm unterstellt wird, dass ein haftungsbegründendes Fehlverhalten in ihr/sein Bewusstsein getreten ist und Kenntnis von einer schadenskausalen Standardunterschreitung als (verjährungsrechtlich ausreichende) Parallelwertung in ihrer/seiner Laiensphäre vorlag.

30

Bei dem Versuch des Patienten, Behandlungsfehlervorwürfe z.B. gegenüber der Gutachterkommission zu substantiieren, muss tatsächlich noch keine Kenntnis vorliegen. Darauf weisen Jaeger[19] und Goehl[20] zutreffend hin. Der Patient muss aber damit rechnen, an der von ihm selbst oder in seinem Auftrag von seinem Anwalt behaupteten Kenntnis festgehalten zu werden.

31

Es ist daher hoch riskant, nach konkret ausformulierter Schadensersatzforderung mehr als 3 Kalenderjahre ohne Verjährungshemmung verstreichen zu lassen. Das wird an den nachfolgend referierten Beispielen aus der Rechtsprechung deutlich.

32

So hatte es der BGH in seiner Entscheidung vom 31.10.2000[21] mit einem Fall zu tun, in welchem der Kläger schon vorprozessual konkrete Vorwürfe im Zusammenhang mit den Folgen einer ERCP der Gallengänge und des Pankreasgangsystems erhoben hatte. Der Patient hatte etwa fünf Monate nach der Feststellung einer Infektion diese auf die ERCP zurückgeführt und erklärt, es sei bekannt, dass eine derartige Untersuchung eine Infektion der Bauspeicheldrüse auslösen könne, es hätte eine vorbeugende antibiotische Therapie eingeleitet werden müssen und die Unterlassung sei fehlerhaft gewesen. Unter Hinweis auf das klinische Wörterbuch von Pschyrembel hatte er anwaltlich vertreten zudem dargelegt, dass die ERCP bei ihm angesichts einer akuten Pankreatitis wegen der Gefahr der Auslösung eines Schubs kontraindiziert gewesen und die Anwendung der ERCP als schwerer ärztlicher Kunstfehler anzusehen sei.

33

Gegen die Verjährungseinrede nach der mehr als drei Jahre später erhobenen Klage hat der Patient versucht, seine Behandlungsfehlervorwürfe als Vermutungen zu relativieren. Erst ein über die Krankenkasse eingeholtes MDK-Gutachten habe eine ausreichend sichere Kenntnis über das behandlungsfehlerhafte Vorgehen ergeben.

34

Dem hat der BGH entgegengehalten, dass eine Gewissheit, wie sie sich der Kläger durch dieses Gutachten verschaffen zu können hoffte, für die Kenntnis i.S.d. § 852 Abs. 1 BGB a.F. nicht erforderlich sei. Der Verjährungsbeginn setze keineswegs voraus, dass der Geschädigte bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand habe, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Es müsse dem Patienten lediglich zumutbar sein, aufgrund dessen, was ihm hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs bekannt sei, Klage zu erheben, wenn auch mit verbleibendem Prozessrisiko, insbesondere hinsichtlich der Nachweisbarkeit eines schadensursächlichen ärztlichen Fehlverhaltens. Dabei war für den BGH auch von Bedeutung, dass der Anwalt des Klägers mit den Behandlungsfehlervorwürfen bereits eine Klagerhebung in Aussicht gestellt hatte.

35

Mit ähnlicher Argumentation hatte das OLG München in einer Entscheidung vom 6.2.1992[22] den Vorwurf der Patientin gegen Unfallchirurgen, deren unzureichende Reaktion auf Schmerzen nach einer Radiustrümmerfraktur habe zu einem Morbus Sudeck geführt, ausreichen lassen, von Kenntnis i.S.d. § 852 Abs. 1 BGB a.F. auszugehen.

36

Die bereits für sich in Anspruch genommene Kenntnis und entsprechende Behauptung, durch Behandlungsfehler geschädigt zu sein, führt auch in anderen obergerichtlichen Entscheidungen zur Annahme einer Kenntnis der Patientenseite.[23] In dem am 2.7.2014 vom OLG Saarbrücken entschiedenen Fall[24] hatte die Klägerin im Januar 2007 gegen die ihre Schwangerschaft betreuenden Gynäkologen anwaltlich vertreten Schadensersatzansprüche geltend gemacht und diese auf den Vorwurf gestützt, sie hätten es versäumt, sie zur Durchführung einer Sectio in stationäre Behandlung einzuweisen. Hierdurch sei es zum Tod ihres Kindes gekommen. Die Nichteinweisung sei grob behandlungsfehlerhaft gewesen. Im etwa zeitgleich durch ihre Strafanzeige eingeleiteten Ermittlungsverfahren hatte sie weiter ausgesagt, auch sie selbst hätte sterben können, wenn weiter gewartet worden wäre. Die Vorwürfe wurden – differenzierter mit der Annahme unzureichender CTG-Befundung – durch den Gutachter im Ermittlungsverfahren im Jahr 2011 bestätigt. Das OLG sah hierin jedoch lediglich eine Bestätigung der schon im Jahr 2007 vorliegenden Kenntnis. Der im Jahr 2013 eingereichte Prozesskostenhilfeantrag war damit in verjährter Zeit gestellt worden.

37

Genauso hat der BGH in seiner Entscheidung vom 8.11.2016[25] Kenntnis spätestens unterstellt, nachdem mit einem Anwaltsschreiben vom August 2007 deutlich Behandlungsfehlervorwürfe angesprochenen wurden.

38

Dass Unmutsäußerungen eines Patienten nicht gleich auf Kenntnis von einem Behandlungsfehler schließen lassen, hat das OLG München in seiner Entscheidung vom 23.1.2014[26] in einem Fall unterstrichen, in welchem es um die Auslegung der Weigerung eines Patienten ging, die Eigenanteil-Rechnung eines Hautarztes zu begleichen. Der Patient hatte gegen die Rechnung eingewandt, dass „nach Aussagen mehrerer Ihrer Kollegen das Ausmaß des operativen Eingriffs an meinem Rücken weit überzogen“ gewesen sei. Das OLG München sah darin noch nicht die Behauptung eines Behandlungsfehlers und auch noch keinen Hinweis auf ausreichende Kenntnis, da dem Patienten diverse Unterlagen zur Beurteilung fehlten.