Handbuch Arzthaftungsrecht

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7. Anwendbare Vorschriften

a) § 630b

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§ 630b verdeutlicht nochmals, dass der Behandlungsvertrag ein besonderer Dienstvertrag ist, auf den alle Vorschriften des Dienstvertragsrechts (für Dienste höherer Art) anzuwenden sind, soweit die §§ 630a–h BGB keine spezielleren Regeln enthalten. Bei dem Behandlungsvertrag handelt es sich um ein Dienstverhältnis, „das kein Arbeitsverhältnis im Sinne des § 622 ist“ (§ 621 BGB). Entsprechend gelten nur die Regeln für die „Dienste höherer Art“ (§ 627 Abs. 1 BGB).

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Die anzuwendenden Vorschriften sind: § 612 (Vergütung), 613 (Persönliche Leistungserbringung), 614 in Verbindung mit § 12 GOÄ (Fälligkeit der Vergütung), die §§ 626 und 627 (Kündigungsgründe) und § 628 (Teilvergütung, mit der Möglichkeit, Vorschuss zu verlangen).

b) Haftung

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Die §§ 630a ff. enthalten keine Regelungen zur Leistungsstörung. Auf Grund des Fehlens spezifischer Regelungen für die Schlechterfüllung ist auf das allgemeine Schuldrecht zurück zu greifen, insbesondere auf § 280 Abs. 1. Die Haftung wegen einer Pflichtverletzung aus dem Behandlungsvertrag setzt aus diesem Grund, neben dem Bestehen eines Behandlungsvertrags gemäß § 611 BGB als Schuldverhältnis i.S.d. § 280 Abs. 1 BGB, eine schuldhafte Pflichtverletzung des Arztes oder seiner Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) und den Eintritt eines dadurch verursachten Schadens voraus.

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Ob die dem Vertragsrecht eigene Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 im Arztrecht anwendbar ist[47], war für die Vorläufervorschrift (§ 282 BGB) strittig. Mittlerweile ist davon auszugehen, dass § 280 Abs. 1 S. 2 auch im Arzthaftungsrecht gilt[48]. Die Verschuldensvermutung stellt dabei nur auf den ersten Blick einen Vorteil des Vertragsrechts gegenüber dem Deliktsrecht dar. Der Frage, ob dieser Verschuldensvermutung im Arzthaftungsrecht uneingeschränkt zur Anwendung gelangen soll, kommt jedoch keinerlei praktische Relevanz zu, da der Beweis des ärztlichen Verschuldens nahezu nie problematisch ist.[49]

III. Deliktische Haftung

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Das Vorliegen eines Behandlungsvertrags ist im Rahmen der deliktischen Haftung unerheblich. Der Haftungsgrund liegt allein in der Verletzung eines individuellen Rechtsguts[50] aufgrund der faktischen Übernahme der Behandlung. Aus der Behandlungsübernahme folgt für den Arzt die Pflicht, die notwendigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen vorzunehmen, für deren Unterlassen[51] er ebenso wie für sein Tun einzustehen hat.[52]

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Der in der Literatur vertretenen Ansicht, Haftungstatbestand sei arztrechtlich bereits der Behandlungsfehler[53], trat der BGH mit Grund entgegen: ,,Das Deliktsrecht bezweckt den Schutz von Rechtsgütern und sieht die Sanktion des Schadensersatzes nur für den Fall vor, dass ein individuelles Rechtsgut verletzt ist“.[54] Die Voraussetzungen einer deliktischen Haftung nach dem Grundtatbestand des § 823 Abs. 1 BGB sind die Verletzung eines durch das Deliktsrecht geschützten Rechtsguts (insbesondere Leben, Körper, Gesundheit, aber gegebenenfalls auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht) aufgrund einer rechtswidrigen und schuldhaften Verletzungshandlung, sowie der Eintritt eines durch die Verletzungshandlung kausal verursachten Schadens.[55]

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Im Rahmen der deliktischen Haftung ist darüber hinaus auch die Haftung des Geschäftsherrn für vermutetes Verschulden nach § 831 BGB von Bedeutung. Bei § 831 BGB handelt sich um einen selbstständigen Anspruch gegen den Geschäftsherrn wegen eigenen Verschuldens, wobei die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung in einem Unterlassen liegt. Voraussetzung der Haftung (etwa eines Krankenhausträgers, leitenden Arztes, aber auch ein zum Notfalldienst verpflichteter Arzt, der sich vertreten lässt[56]) ist, dass der im Interessenkreis des Geschäftsherrn[57] eingesetzte, weisungsgebundene Verrichtungsgehilfe[58] den objektiven Tatbestand eines der §§ 823 f. BGB (Verschulden ist aber nicht erforderlich) erfüllt und den Schaden auch gerade in Ausführung der Verrichtung herbeigeführt hat. Nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB besteht für den Geschäftsherrn die Möglichkeit, sich von seiner Haftung durch den Nachweis zu befreien, dass ihn bei Auswahl, Anleitung und Beaufsichtigung des Verrichtungsgehilfen kein Verschulden trifft.[59] Hierbei handelt es sich um einen gesetzlich geregelten Fall des rechtmäßigen Alternativverhaltens. Dabei stellen die Gerichte an diesen Entlastungsbeweis sehr hohe Anforderungen.[60]

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Nicht als Verrichtungsgehilfe angesehen wird der Chefarzt. Für ihn haftet der Krankenhausträger als Organ nach den §§ 31, ohne Exkulpationsmöglichkeit.[61] Die Norm des § 31 BGB gewährt selbst keinen Schadensersatzanspruch, sondern setzt die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung eines verfassungsmäßigen Vertreters voraus. Die Vorschrift rechnet – anders als § 278 BGB – der juristischen Person diese Handlung als eigene zu und zwar – im Unterschied zu § 831 BGB – ohne Exkulpationsmöglichkeit. Nach § 89 BGB findet die Vorschrift des § 31 BGB für den Fiskus sowie auf die Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts entsprechende Anwendung.[62]

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Die Gerichte haben § 31 BGB schon früh weit ausgelegt. Eine juristische Person kann sich nicht dadurch der Haftung entziehen, dass sie keine Organe einsetzt. Weil es der juristischen Person nicht freistehe, selbst darüber zu entscheiden, für wen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften wolle, könne es nicht entscheidend darauf ankommen, ob die Satzung der Körperschaft die Stellung des Vertreters vorsehe. Es komme auch nicht darauf an, ob dem Betreffenden rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht eingeräumt worden sei.[63]

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Neben § 831 BGB kann sich gegen den Geschäftsherrn ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen eines Organisationsmangels[64] ergeben. Dem Geschädigten kann auch ein Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB gegen den Verrichtungsgehilfen selbst zustehen. Es kommt dann eine gesamtschuldnerische Haftung[65] nach § 840 Abs. 1 BGB in Betracht.[66]

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Im Rahmen der deliktischen Haftung sind weiterhin die Haftungstatbestände der §§ 839 und 839a BGB von Bedeutung. Nach § 839 Abs. 1 BGB, der insoweit als lex specialis den § 823 BGB verdrängt, kommt eine persönliche Haftung des beamteten[67] Arztes bei Amtspflichtverletzung in Betracht, wenn ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einen Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt. Eine Überleitung auf den Staat gemäß Art. 34 GG kommt nur in Betracht, wenn es sich um eine hoheitliche Aufgabe handelt, was im Arzthaftungsrecht nur ausnahmsweise der Fall ist[68]. Nach ständiger Spruchpraxis betätigt sich der beamtete Chefarzt einer Klinik nicht hoheitlich, sondern fiskalisch[69].

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Die Vorschrift ist für den Kläger deshalb besonders gefährlich, weil der Arzt regelmäßig nur fahrlässig handelt und sich dann darauf berufen kann, dass der Patient „auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag“ (Verweisungsprivileg), nämlich vom Träger. Ist das der Fall, scheidet diese Anspruchsgrundlage gemäß § 839 Abs. 1 S. 2 BGB aus. Sind daneben auch vertragliche Ansprüche gegeben, so wirkt das Verweisungsprivileg für diese nicht.[70]

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Das betrifft in Arzthaftungsfällen in erster Linie die Haftung eines beamteten Arztes[71]. In diesem Zusammenhang wurde durch die höchstrichterliche Rechtsprechung aber jüngst auch anerkannt, dass dem einen Antrag auf Beihilfe stellenden Beamten aus § 839 BGB ein Anspruch auf Ersatz der ihm durch das Unterliegen im Zivilrechtsstreit entstandenen Kosten zusteht, wenn bei der Festsetzung der Beihilfe die Überschreitung des Schwellenwertes in einer Zahnarztrechnung rechtswidrig und schuldhaft nicht anerkannt wird und er sich daraufhin wegen der bei ihm durch diese Entscheidung hervorgerufenen begründeten Zweifel an der Richtigkeit der Rechnungsstellung auf einen Zivilrechtsstreit mit dem behandelnden Arzt einlässt und hier letztlich unterliegt[72]. Auch bei einem – sehr seltenen Fall – der Haftung einer Ethikkommission der Landesärztekammer ist diese Vorschrift einschlägig.

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Eine Haftung des Arztes nach § 839a BGB kommt in Betracht, wenn er als gerichtlicher Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet hat und eine subsidiäre Haftung ausscheidet. Der Arzt ist dann ein gerichtlicher Sachverständiger, wenn er durch ein staatliches Gericht in einem gerichtlichen Verfahren gleich welcher Art wirksam bestellt wurde.[73] Unerheblich ist, ob er beeidigt wurde oder nicht. Weiterhin ist erforderlich, dass er ein unrichtiges Gutachten, vorsätzlich oder grob fahrlässig, schriftlich oder mündlich erstattet hat. Ein solches unrichtiges Gutachten liegt vor, wenn er von einem unzutreffenden Sachverhalt (insbesondere fehlerhafte oder unvollständige Befunderhebung) ausgeht, sofern der Sachverhalt nicht durch das Gericht vorgegeben ist, oder er aus dem Sachverhalt falsche Schlüsse zieht.[74] Der Schaden muss durch eine gerichtliche Entscheidung (wie ein Urteil, einen Beschluss oder auch sonstige Zwischenentscheidungen) verursacht worden sein. Das bedeutet, dass eine Haftung aus § 839a BGB ausscheidet, wenn das Verfahren ohne gerichtliche Entscheidung endet. In dieser Konstellation beruht der Schaden nicht auf der gerichtlichen Entscheidung. Das gilt auch dann, wenn die Parteien das Verfahren gerade unter dem Eindruck eines unrichtigen Gutachtens anderweitig, etwa durch Vergleich, beenden. Die gerichtliche Entscheidung muss ihrerseits auf dem unrichtigen Gutachten beruhen, wobei eine Mitursächlichkeit ausreichend ist. Davon ist auszugehen, wenn die Entscheidung dem Gutachten zumindest teilweise folgt und die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie ohne das Gutachten bzw. bei einem anderen Inhalt oder Ergebnis weniger ungünstig für den betreffenden Verfahrensbeteiligten ausgefallen wäre. Ob das der Fall ist, ergibt sich aus den Entscheidungsgründen; in aller Regel aus der Beweiswürdigung.[75] Eine Haftung des Arztes als gerichtlicher Sachverständiger entfällt gemäß § 839a Abs. 2 BGB i.V.m. § 839 Abs. 3 BGB, wenn es der Verfahrensbeteiligte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Rechtsmittel in diesem Sinne sind Rechtsbehelfe, die sich unmittelbar gegen das fehlerhafte Gutachten richten und bestimmt und geeignet sind, dessen Auswirkungen auf die instanzbeendigende Entscheidung zu verhindern. Dazu zählen u.a. die Beantragung eines weiteren Gutachtens oder Einwendungen gegen das Gutachten.[76] Ersatzfähig ist jeder durch das unrichtige Gutachten und die darauf beruhende Entscheidung adäquat verursachte Schaden, soweit er in den Schutzbereich der verletzten Pflicht fällt.[77] Aktivlegitimiert ist ein am Verfahren, in welchem das Gutachten eingeholt wurde, Beteiligter. Die Beweislast für die Voraussetzungen nach Abs. 1 trägt er als der Geschädigte. Die Beweislast für den Ausschlussgrund nach Abs. 2 trägt der passivlegitimierte Sachverständige.[78] Die im Interesse des Patienten anerkannte Herabsetzung der Substantiierungslast im Arzthaftungsprozess kann nicht auf den Regressprozess gegen den medizinischen Sachverständigen nach § 839a BGB übertragen werden. Demzufolge ist der Regresskläger gehalten, schlüssig darzulegen, dass der Beklagte mindestens grob fahrlässig ein unrichtiges gerichtliches Gutachten erstattet hat[79]. Alles in allem sind die Erfolgsaussichten einer auf § 839a BGB gestützten Klage gering.

 

IV. Vergleich der vertraglichen und deliktischen Haftpflicht

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Seit den BGB-Reformen[80] sind zudem die vormals bestehenden Unterschiede in der Verjährung[81] vollständig und im Haftungsumfang (vormals § 847 BGB in Bezug auf das Schmerzensgeld) weitgehend beseitigt worden. Die Neuregelung des § 253 Abs. 2 BGB hat den Weg auf Schadensersatz in Form von Schmerzensgeld auch für die vertragliche Haftung eröffnet.

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Die in der Literatur gelegentlich vertretene Ansicht, die vertragliche und die deliktische Haftung seien völlig identisch ist falsch. Zwischen beiden Haftungsformen bestehen Unterschiede. Zwar gibt es regelmäßig den behaupteten Gleichlauf, er gilt aber nicht in allen Konstellationen.

1. Sorgfaltspflichten und Fehlverhalten des Arztes

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Die einen Schadensersatzanspruch begründenden Verhaltenspflichten (im Wesentlichen: Behandlungs-, Aufklärungs- und Organisationsfehler) unterliegen im vertraglichen wie im deliktischen Haftungssystem den gleichen Voraussetzungen in Bezug auf Art und Umfang. Auch die Rechtsprechung legt die vertraglich geschuldete Pflicht und die im Rahmen der deliktischen Haftung abverlangte Pflicht identisch aus.[82] Die Pflicht des Arztes zur fachlich gebotenen Sorgfalt nach aktuellem Standard, zur Aufklärung des Patienten, zur Dokumentation, zur Gewährung von Einsicht in die Krankenunterlagen gilt vertraglich wie außervertraglich und auch dann, wenn der Arzt ausnahmsweise als Geschäftsführer ohne Auftrag in Anspruch genommen wird. Dem Patienten kommt bei Diagnose und Therapie vertraglich und deliktisch der gleiche Schutz zu. Immer nimmt er Expertenautorität in Anspruch, auf die sich der ärztliche Heilauftrag gründet, der zusammen mit der Einwilligung des Kranken den medizinischen Eingriff legitimiert.[83] „Die einem Arzt bei der Behandlung seines Patienten obliegenden vertraglichen und deliktischen Sorgfaltspflichten sind grundsätzlich identisch.”[84] Das gilt auch für das Gebot des „primum nil nocere”.[85]

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Die Haftpflicht erfordert in dem dualistischen System von vertraglicher und deliktischer Haftpflicht eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung und eine dadurch verursachte Schädigung des Patienten an Körper und Gesundheit. Die Verletzung der objektiven Sorgfalt muss dabei einen subjektiven Vorwurf begründen. Liegt eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung und eine dadurch verursachte gesundheitliche Unbill des Patienten vor, spricht das in aller Regel auch für einen zivilrechtlichen Vorwurf subjektiven Sorgfaltspflichtverstoßes – auch eine Folge des bei § 276 BGB geltenden typisierten und objektivierten Sorgfaltsmaßstabs.[86]

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Da die vertragliche Haftung des Arztes für Behandlungsfehler an die Verletzung von Verhaltenspflichten anknüpft, die in gleicher Weise und mit demselben Inhalt auf den Schutz der Gesundheit des Patienten bezogen sind wie die Pflichten, deren Verletzung zur deliktischen Arzthaftung führt, stimmen die vertraglichen und deliktischen Verhaltenspflichten völlig überein: es besteht „Strukturgleichheit” von vertraglichen und deliktischen Sorgfaltspflichten. Aus diesem Grund muss auch der Haftungsgrund in gleicher Weise abgegrenzt werden.[87] Dies wurde auch von der Rechtsprechung angenommen. Der BGH hat insoweit ausgeführt, dass die Sanktion des Schadensersatzes auch für die Ansprüche aus verletzten vertraglichen oder nachvertraglichen Pflichten nur für den Fall vorzusehen sei, dass es zur Verletzung eines individuellen Rechtsguts komme. Auch im Rahmen der Vertragsverletzung wegen eines Arztfehlers ist die Feststellung, dass dieser zu einer Gesundheitsbeschädigung des Patienten geführt habe, nach § 286 ZPO zu treffen, soweit es um den ersten Verletzungserfolg geht. Erst die Weiterentwicklung der Schädigung gehört zur haftungsausfüllenden, nach § 287 ZPO festzustellenden Kausalität.[88]

2. Einstehenmüssen für das Fehlverhalten von Hilfspersonen

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Die auf den ersten Blick beträchtlich erscheinende Differenz in Bezug auf das Einstehenmüssen für das Fehlverhalten von Hilfspersonen zwischen den Regelungen des § 278 BGB und § 831 BGB mit der Möglichkeit zur Exkulpation ist in der Praxis von geringem Gewicht. Die Gerichte haben die Exkulpationsmöglichkeit bei § 831 BGB durch hohe Anforderungen sehr erschwert und damit die verschiedenen Einstandspflichten für Hilfspersonen im Ergebnis einander angenähert. Die Rechtsfigur des Organisationsverschuldens schließt im Übrigen Lücken des Deliktsrechts.[89]

3. Haftungsbeschränkungen

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Im Rahmen der Gegenüberstellung der vertraglichen und der deliktischen Haftpflicht könnte sich ein wesentlicher Unterschied über die Zulässigkeit von Haftungsbeschränkungen ergeben. Grundsätzlich gilt zwar, dass eine Freizeichnung von der vertraglichen und deliktischen Haftung weder durch Formularvertrag noch durch Individualvereinbarung möglich ist. Fraglich ist andererseits, ob Ausnahmen zulässig sind. Bei der Frage der rechtlichen Zulässigkeit der völligen oder teilweisen Haftungsfreizeichnung bei der Heilbehandlung ist zwischen dem individuell vereinbarten Haftungsverzicht und der formularmäßigen Freizeichnung zu unterscheiden.[90]

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Die individuelle Haftungsfreizeichnung ist wegen Ausnutzung einer Monopolstellung gemäß § 138 BGB sittenwidrig und daher nichtig, wenn der Patient in einem Notfall auf die Hilfe des nächsterreichbaren Arztes angewiesen ist. Aber auch im Übrigen dürfte jedenfalls ein vollständiger Haftungsausschluss angesichts der Monopolstellung des Arztes auch außerhalb der Notfallbehandlung, wegen der besonderen Vertrauensgewährung und der daraus resultierenden Haftungserwartung bei gleichzeitiger zumutbarer Versicherbarkeit des Risikos auch leicht fahrlässiger Sorgfaltspflichtverletzungen durch die Berufshaftpflichtversicherung wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB unwirksam sein.[91] Auf diesem Gedanken beruht auch § 49 Abs. 1 der „Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts” in der von der Bundesrechtsanwaltskammer am 25.9.1981 beschlossenen Fassung[92], wonach die Vereinbarung von Haftungsausschlüssen unzulässig sei, wenn das aus fahrlässigem Berufsversehen folgende Risiko durch die nach den Standesrichtlinien abzuschließende Haftpflichtversicherung im Rahmen der üblichen Bedingungen gedeckt werden kann. Nach diesen Grundsätzen ist auch die Haftungsbegrenzung im Behandlungsvertrag unzulässig. Auch eine teilweise Freizeichnung von der Haftung für Berufsversehen ist mit dem ärztlichen Auftrag zum Schutz von Leben und Gesundheit grundsätzlich nicht vereinbar.[93] Eine andere Beurteilung dürfte nur bei der unentgeltlichen Behandlung, soweit sie die ärztliche Berufsordnung zulässt (vgl. § 12 Abs. 2 MBO), angebracht sein. Zwar erwartet der Patient auch hier vom Arzt die normale Sorgfalt. Seine Haftungserwartung wird jedoch regelmäßig geringer sein.[94] Immerhin wird er darauf vertrauen, dass der Arzt eine Berufshaftpflichtversicherung in angemessenem Umfang unterhält, die für etwaige Behandlungsfehler eintritt.[95] Angemessen erscheint heute eine Deckungssumme für Personenschäden von 2,5 bis 5 Mio. €, für Sachschäden von mind. 150.000 € und für Vermögensschäden von mind. 50.000 €.[96] Bei Facharztgruppen mit besonders hohen Haftungsrisiken (Gynäkologie) können sich noch höhere Haftpflichtsummen empfehlen. Bei der Gratisbehandlung dürfte deshalb eine Haftungsbegrenzung für Schäden jenseits dieser Grenzen unter dem Gesichtspunkt des § 242 BGB zulässig sein. Ferner wird man eine Haftungsbeschränkung dort für zulässig erachten dürfen, wo die Therapie von besonderen subjektiven Fähigkeiten des Arztes abhängt.[97]

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Zustimmung verdient die Ansicht, dass die vorstehenden Grundsätze nicht für Eingriffe ohne medizinische Indikation gelten, soweit es sich um nicht grob fahrlässig verursachte Schäden außerhalb der Beeinträchtigung von Leben und Gesundheit, insbesondere um bloße Vermögensinteressen handelt[98]. Hier erscheint ein vertraglicher Ausschluss oder eine vertragliche Begrenzung des Haftungsrisikos generell möglich.[99] Unter diesem Gesichtspunkt soll auch ein Haftungsverzicht zulässig sein, der von einem Patienten ausgeht, der über Expertenwissen verfügt und auf einen nichtindizierten, diagnostisch nicht abgesicherten Eingriff besteht.[100]

48

Die Zulässigkeit des Haftungsausschlusses oder der Haftungsbeschränkung durch Formularklauseln/Allgemeine Geschäftsbedingungen richtet sich nach den §§ 305 ff. BGB. Nach § 309 Nr. 7a BGB ist ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Vertragshaftung sowohl bei grober als auch bei leichter Fahrlässigkeit unwirksam, soweit es um die Verletzung von Leben, Körper und Gesundheit geht.[101] Das gilt entsprechend auch für die deliktische Haftung.[102] Ein Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit bei nicht personenbezogenen Pflichten ist dagegen gemäß § 309 Nr. 7b zulässig und verstößt auch nicht gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB.[103]

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Eine Haftungsbeschränkung eigener Art enthält § 134a Abs. 5 S. 1 SGB V mit dem Haftungsprivileg für Hebammen. Demzufolge kann ein Ersatzanspruch nach § 116 Abs. 1 SGB X wegen Schäden aufgrund von Behandlungsfehlern in der Geburtshilfe von Kranken- und Pflegekassen gegenüber freiberuflich tätigen Hebammen nur geltend gemacht werden, wenn der Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht wurde. Das Problem des gestörten Gesamtschuldverhältnisses hat der Gesetzgeber im folgenden S. auch gelöst: „Im Fall einer gesamtschuldnerischen Haftung können Kranken- und Pflegekassen einen nach § 116 Absatz 1 des Zehnten Buches übergegangenen Ersatzanspruch im Umfang des Verursachungs- und Verschuldensanteils der nach Satz 1 begünstigten Hebamme gegenüber den übrigen Gesamtschuldnern nicht geltend machen.“ Ob die Vorschrift von praktischer Relevanz sein wird, ist fraglich.