Handbuch Arzthaftungsrecht

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1. Beginn der Verjährungshemmung

116

Nach der zu § 852 Abs. 2 BGB a.F. ergangenen Rechtsprechung ist der Begriff des Verhandelns weit auszulegen. Es genügt danach jeder Meinungsaustausch über den Schadensfall zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten, sofern nicht sofort oder eindeutig jeder Ersatz abgelehnt wird. Nicht erforderlich ist, dass eine Vergleichsbereitschaft oder eine Bereitschaft zum Entgegenkommen signalisiert wird. Es reicht aus, dass der Verpflichtete Erklärungen abgibt, die den Geschädigten zu der Annahme berechtigen, der Verpflichtete lasse sich jedenfalls auf Erörterungen über die Berechtigung von Schadenersatzansprüchen ein.[112] Es muss noch nicht einmal über den Anspruch als solchen verhandelt werden. Es reicht bereits, dass der Gläubiger zur Vermeidung von Verjährungsdiskussionen an den Schuldner herantritt und mit diesem in Verhandlungen über einen Verjährungsverzicht eintritt, solange der Verpflichtete sich auf derartige Verhandlungen einlässt.[113]

117

Werden aufgrund des Aufforderungsschreibens des Gläubigers Verhandlungen aufgenommen, dann wirkt die Hemmung auf den Zeitpunkt der ersten Geltendmachung des Anspruches, also des Zugangs des ersten Aufforderungsschreibens, zurück.[114] Jedoch wirken neue Verhandlungen nach einem Abbruch oder Einschlafen der Verhandlungen nicht auf den Zeitpunkt der ersten Geltendmachung zurück, sondern auf den Zugang der die neuen Verhandlungen einleitenden Schreiben oder Erklärungen.[115]

118

Spezifika für den Arzthaftungsbereich ergeben sich daraus, dass oft mehrere Schuldner in Anspruch genommen werden sollen und gelegentlich unklar bleibt, ob sämtliche Schuldner von der Verjährungshemmung erfasst sind. Darüber hinaus bereitet die Frage des Abbruchs oder des Endes der Verjährungshemmung Schwierigkeiten, insbesondere wenn es darum geht, ob Verhandlungen „eingeschlafen“ sind.

2. Erstreckung der Verjährungshemmung auf angestelltes medizinisches und nicht medizinisches Personal

119

Verhandlungen mit dem Haftpflichtversicherer eines Krankenhausträgers führen nach Ansicht des OLG Düsseldorf zur der Verjährungshemmung auch gegenüber den dort angestellten, an der Behandlung beteiligten und über das Krankenhaus mitversicherten Ärzten, wenn nach den gesamten Umständen davon auszugehen ist, dass ein für alle Beteiligten eintrittspflichtiger Haftpflichtversicherer bei den Regulierungsverhandlungen mit dem Patienten auch für den verantwortlichen Arzt tätig wird.[116] Enger sieht dies das OLG Jena, welches meint, dass Verhandlungen mit dem Haftpflichtversicherer des Krankenhausträgers die Verjährung gegen den behandelnden Krankenhausarzt nur dann hemmen, wenn nach den gesamten Umständen zweifelsfrei und eindeutig davon auszugehen ist, dass der Haftpflichtversicherer bei den Regulierungsverhandlungen auch für den bei ihm mitversicherten Arzt tätig geworden ist.[117]

120

Soweit mit einem Krankenhausträger direkt verhandelt wird und keinerlei Klarstellung dahingehend erfolgt, dass von diesem die Verhandlungen auch für den verantwortlichen Arzt geführt werden, tritt nach Ansicht des OLG Oldenburg eine Verjährungshemmung im Verhältnis zum Arzt nicht ein.[118] Das OLG Oldenburg regt in der zitierten Entscheidung an: „Um Zweifeln hinsichtlich einer Verjährungshemmung vorzubeugen, sollten deshalb Verhandlungen mit dem Haftpflichtversicherer stets ausdrücklich im Hinblick auf einen mitversicherten Arzt geführt werden.“ Dieser Rat sollte vor dem Hintergrund der Entscheidung des OLG Jena allgemein beherzigt und es sollte auf Klarstellung gedrungen werden.

3. Ende der Verjährungshemmung:

121

Die Verjährung ist gehemmt, bis eine Partei die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert oder die Verhandlungen in anderer Weise abbrechen lässt.

a) Ausdrücklicher Abbruch der Verhandlungen

122

Für die Beendigung der Verhandlungen reicht es nicht, dass der Ersatzpflichtige seine Einstandspflicht verneint. Vielmehr muss er zugleich klar und eindeutig den Abbruch der Verhandlungen zum Ausdruck bringen. Dies schließt der BGH aus der Bedeutung des Abbruchs von Verhandlungen für die Durchsetzbarkeit der geltend gemachten Ansprüche. Hier muss durch klares und eindeutiges Verhalten zum Ausdruck gebracht werden, dass nicht mehr weiterverhandelt wird.[119]

123

Das OLG Oldenburg hatte diese Grundsätze in einer Arzthaftungssache mit Urteil vom 23.8.2006 wie folgt angewandt: „Zwar hat die Beklagte zu 1. in dem Schreiben einleitend mitgeteilt, ‚dass die geltend gemachten Schadenersatzansprüche nicht anerkannt werden können‚ und ihre Auffassung anschließend eingehend begründet. Das allein reicht zur Beendigung der Hemmung jedoch nicht aus. Beendet werden Verhandlungen (nur) durch ein doppeltes Nein des Schuldners zum Anspruch überhaupt und zu weiteren Gesprächen über diesen (. . .). Erforderlich ist insoweit eine Verweigerung der Fortsetzung von Verhandlungen, die durch ein klares und eindeutiges Verhalten einer Partei zum Ausdruck kommen muss.“[120]

124

Kontrastierend dazu sei die Entscheidung des OLG Köln vom 1.7.2013[121] erwähnt, nach welcher nach einer klaren Darlegung, dass Behandlungsfehler nicht vorlägen, die abschließende Floskel, man wünsche der Patientin alles Gute, als eindeutiger Abbruch der Verhandlungen gewertet wurde.

125

Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 8.11.2016[122] ein Ablehnungsschreiben des Haftpflichtversicherers ausreichen lassen, in welchem mit ausführlicher Begründung unter anderem mitgeteilt wurde, dass nach Auswertung und Überprüfung der Unterlagen ein die Haftung begründendes Fehlverhalten der Ärzte der Versicherungsnehmerin nicht festzustellen sei, dass sich vielmehr aus den Unterlagen ergebe, dass mit aller Sorgfalt vorgegangen worden sei und dass demnach eine Haftung bereits dem Grunde nach abzulehnen sei. Man bedauere, keine günstigere Mitteilung machen zu können, hoffe jedoch auf das Verständnis der Mandantschaft. Im Übrigen werde davon ausgegangen, dass etwaige Ansprüche bereits verjährt seien. Damit sei – so der BGH – mit der erforderlichen Deutlichkeit der Abbruch der Verhandlungen zum Ausdruck gekommen.

126

Es fällt schwer, aus der zitierten Entscheidung des OLG Köln den qualitativen Sprung von einer abschließenden Höflichkeitsfloskel zum Abbruch der Verhandlungen nachzuvollziehen. Aber auch aus der Entscheidung des BGH vom 8.11.2016 wird für den Praktiker nicht deutlich, woraus neben der zweifellos ersichtlichen Verneinung des Anspruchsgrunds auch auf den Abbruch der Verhandlungen geschlossen werden sollte.

127

Es empfiehlt sich, bei ablehnenden Schreiben eines Haftpflichtversicherers kritisch zu prüfen und im Zweifel ausdrücklich durch Nachfrage zu klären, ob damit bereits die Verhandlungen abgebrochen sein sollten.

b) Einschlafen der Verhandlungen

128

Noch unschärfer als der ausdrückliche oder deutlich zum Ausdruck gebrachte Abbruch von Verhandlungen stellt sich in der Rechtsprechung die Annahme eines Abbruchs der Verhandlungen durch Einschlafen dar.

129

Der VI. Zivilsenat des BGH hatte einen Abbruch der Verhandlungen durch Einschlafenlassen in der Vergangenheit dann angenommen, wenn der Berechtigte den Zeitpunkt versäumt hatte, zu dem eine Antwort auf die letzte Anfrage des Ersatzpflichtigen spätestens zu erwarten gewesen wäre, falls die Regulierungsverhandlungen mit verjährungshemmender Wirkung hätten fortgesetzt werden sollen.[123] Er hat ein solches Einschlafenlassen der Verhandlungen z.B. in einem Fall angenommen, in welchem der Haftpflichtversicherer am 7.12.1983 eine detaillierte Stellungnahme zur Anspruchshöhe abgegeben und um Beantwortung von Fragen zur Höhe der geltend gemachten Pflegekosten gebeten hatte. In diesem Fall hielt der BGH die Reaktion der Klägerin erst am 17.3.1984 für verspätet, sodass die Hemmungswirkung noch vor diesem Zeitpunkt entfallen sollte.

130

Im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung war diskutiert worden, für das Einschlafen von Verhandlungen i.S.d. § 203 BGB eine ähnliche Regelung wie in § 204 Abs. 2 für den Stillstand des Verfahrens einzuführen mit einer Nachhemmung von 6 Monaten nach der letzten Erklärung einer der Parteien. Auch war überlegt worden, ob die Schriftform für verhandlungsbeendende Erklärungen eingeführt werden sollte. Der Gesetzgeber hat sich jedoch gegen eine solche, sicher einfacher zu berechnende Regelung entschieden. Man entschied sich für die Fortführung der bisher durch die Rechtsprechung gefundenen flexiblen Lösung zu § 852 Abs. 2 BGB a.F. Das praktische Problem, dass Gläubiger und Schuldner im Zweifel unterschiedliche Zeitpunkte angeben werden, zu welchen der nächste Schritt hätte erwartet werden dürfen, bleibt damit bestehen.[124]

131

Da der Sinn der Verjährung dahingeht, den Schuldner davor zu bewahren, nach längerer Zeit mit von ihm nicht mehr erwarteten Ansprüchen konfrontiert zu werden, lässt sich die Annahme eines Einschlafens der Verhandlungen eher rechtfertigen, wenn der Berechtigte den Zeitpunkt versäumt, zu welchem er auf ein Schreiben des Verpflichteten hätte reagieren müssen. Bleibt dagegen bei laufenden Verhandlungen eine Reaktion des Schuldners aus, fällt es schwer, die Geduld des Berechtigten diesem als Einschlafenlassen der Verhandlungen zum Nachteil gereichen zu lassen.

 

132

Einzelne Bemerkungen in Entscheidungen des VII. Zivilsenats des BGH[125] und des X. Zivilsenats[126] aus dem Bereich des Bauvertragsrechts waren jedoch so zu verstehen, dass ein Einschlafen der Verhandlungen auch durch unterbleibende Reaktionen des Verpflichteten eintreten kann. Das hat das OLG Koblenz in seiner Entscheidung vom 23.9.2015[127] bewogen, die Revision zuzulassen, nachdem es ein Einschlafen aufgrund ausbleibender bzw. später Reaktion des Haftpflichtversicherers des Verpflichteten nicht annehmen wollte. Das OLG Koblenz sah sich auf der Linie des VI. Zivilsenats, einen Abbruch der Verhandlung durch Einschlafenlassen nur dann zu unterstellen, wenn der Berechtigte den Zeitpunkt versäumt, zu welchem der Verpflichtete spätestens mit seiner Reaktion rechnen konnte und durfte.

133

Der VI. Zivilsenat des BGH hat dem OLG Koblenz jedoch widersprochen und in seiner Revisionsentscheidung vom 8.11.2016[128] durch die in früheren Entscheidungen gewählte Formulierung, in denen es jeweils um eine nicht zeitnahe Reaktion des Gläubigers ging, sollte ein Einschlafenlassen durch den Schuldner nicht ausgeschlossen werden. Der BGH habe in keinem Fall ein Einschlafenlassen der Verhandlungen mit dem Argument abgelehnt, dass dies durch eine fehlende Reaktion des Schuldners nicht möglich sei.

134

Wenig ergiebig ist diese Entscheidung, wenn es um die Frage geht, welche Zeitläufe der BGH bis zum Einschlafen ansetzt, was aber für die Entscheidung auch nicht erforderlich war, weil schon von einem ausdrücklichen Abbruch der Verhandlungen ausgegangen wurde, also ohnehin nichts mehr „einschlafen“ konnte.

135

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall ging es um fehlende Unterlagen, die die Patientenseite nach der Anspruchsablehnung durch den Haftpflichtversicherer bei diesem im November 2007 angefordert hatte. Die Antwort kam auf nochmalige Anforderung im August 2008. Es lag schon deutlich früher nahe zu überlegen, ob man überhaupt noch in Verhandlungen stehe, nachdem auf die Anforderung fehlender Unterlagen eine Antwort ausblieb.

136

Geht es jedoch um die Prüfung des Anspruchsgrundes, werden in der Praxis nicht selten 9 Monate oder mehr Geduld abverlangt. Die Gefahr besteht jedoch, dass die vom Gesetzgeber als ausreichend angesehene, in der Rechtsprechung gefundene flexible Lösung den Realitäten der arzthaftungsrechtlichen Auseinandersetzungen nicht gerecht wird und Richter ohne Erfahrung mit vorgerichtlichen Verhandlungen schematisch von praxisfernen Zeitvorstellungen ausgehen. Man wird im Arzthaftungsbereich auch nicht Zeitvorstellungen, die die Rechtsprechung zu anderen Rechtsgebieten entwickelt hat, übernehmen können.[129] Die Hinweise von Martis/Winkhart auf derartige Entscheidungen sind als Mahnung zur Vorsicht auf Aktivseite sicher nützlich.[130] Es kann entgegen der dort vertretenen Ansicht aber nicht schematisch „regelmäßig nach einmonatiger Untätigkeit“ vom Ende der Verhandlungen ausgegangen werden. Erinnert sei an eine Entscheidung des VI. Zivilsenats vom 1.3.2005[131], in welcher es um einen Fall ging, in welchem der Kläger Schadenersatzansprüche aus fehlerhafter Behandlung geltend gemacht und der Haftpflichtversicherer des Universitätsklinikums eine Prüfung zugesagt hatte mit dem gleichzeitigen Hinweis, dass das Archiv derzeit nicht zugänglich sei, er werde aber unaufgefordert weiter Stellung nehmen. Auf ein Erinnerungsschreiben des anwaltlich vertretenen Kindes 18 Monate nach dieser Prüfungszusage wurden Schadenersatzansprüche abgelehnt. Es sei unter diesen Umständen grundsätzlich Sache des Haftpflichtversicherers, die Initiative wegen einer Wiederaufnahme der Verhandlungen zu ergreifen, wenn er die Hemmung einer Verjährung der Ersatzansprüche beenden wolle. Der Hinweis, man müsse zur weiteren Prüfung des Anspruchs Einsicht in derzeit nicht zugängliche Archivunterlagen nehmen und werde unaufgefordert weiter Stellung nehmen, habe dazu geführt, dass der Berechtigte ohne die Folge eines Abbruchs der Verhandlungen abwarten durfte.

137

Es unterliegt nach der Entscheidung des BGH vom 15.12.2016[132] grundsätzlich tatrichterlichem Ermessen, die Zeitspanne zu bestimmen, innerhalb derer auf die Erklärung eines der Verhandlungsführer eine Antwort des anderen vernünftigerweise zu erwarten war. Der BGH gibt selbst keine festen Fristen für ein Einschlafen der Verhandlungen vor. Der Zeitraum, den man dem einen Teil zur Reaktion auf die Äußerung des anderen Teils einräumen müsse, hänge von dem Gegenstand der Verhandlung und der Verhandlungssituation ab. Gerechnet werden muss auf Aktivseite damit, dass das Ermessen von Tatrichter zu Tatrichter sehr unterschiedlich ausgeübt wird.

138

Es muss aber einen Unterschied machen, ob Verhandlungen über ein vom Anspruchsgrund her relativ überschaubares Unfallgeschehen oder ein i.d.R. komplexes Behandlungsgeschehen geführt werden[133] und in welchem Verhandlungsstadium die Parteien sich befinden. Die von Martis/Winkhart zitierten Entscheidungen[134] betreffen allesamt Verhandlungssituationen, in denen der Anspruchsgrund nicht hochkomplex war und schon ausführlich korrespondiert worden war und in denen sich ein Stocken der Verhandlungen schon beim letzten Gespräch oder Schreiben abgezeichnet hatte. Hier mag eine Frist von einem Monat tatsächlich der Erwartung eines nächsten Verhandlungsschritts entsprechen.

139

Die zentrale Frage wird im Einzelfall bleiben, wann der Verpflichtete bzw. dessen Haftpflichtversicherer spätestens eine Reaktion des Berechtigten, also des Patienten oder des Rechtsnachfolgers des Patienten, oder der Berechtigte eine Reaktion des Verpflichteten bzw. seines Haftpflichtversicherers erwarten durfte. Hier kommt es auf tatsächliche Umstände und die Erwartungshaltung im Einzelfall an. Geht es in Arzthaftungssachen um den Anspruchsgrund, benötigt der Haftpflichtversicherer des Arztes i.d.R. ausführliche Stellungnahmen der beteiligten Ärzte und interne oder externe medizinische Beratung, sodass selten eine Positionierung innerhalb von 3 Monaten stattfindet. Wird dann noch ein ärztlicher Berater eingeschaltet, zieht sich die Prüfung oft noch weitere Monate hin.[135]

140

Nach einer ablehnenden Stellungnahme mit umfangreichen medizinischen Ausführungen werden weder der Patient noch ein Sachbearbeiter bei einem SVT innerhalb von wenigen Wochen zu diesen Ausführungen Stellung nehmen können, da auch dort medizinische Beratung erforderlich sein wird, die üblicherweise nicht innerhalb von zwei Wochen oder einem Monat zu organisieren ist. Das ist auf Seiten der Haftpflichtversicherer bekannt. Von daher gehört es in Arzthaftungssachen zu der die Erwartungshaltung prägenden Erfahrung, dass die Verhandlungen sich hinziehen und Antworten oft mehrere Monate auf sich warten lassen.

141

Teilt der Haftpflichtversicherer mit, er wolle die Ansprüche prüfen und dazu Informationen seines Versicherungsnehmers oder der an der Behandlung beteiligten Ärzte einholen und er komme unaufgefordert auf die Sache zurück, hat der Berechtigte auch nach mehreren Monaten keinen Grund zu der Annahme, die Verhandlungen würden nicht fortgesetzt werden. Der Berechtigte muss dann darauf vertrauen dürfen, dass der Haftpflichtversicherer wie angekündigt „unaufgefordert auf die Sache zurückkommt.“[136] Wenn sodann der Haftpflichtversicherer sich mit der Prüfung mehrere Monate Zeit nimmt und eine ausführliche, auch medizinisch begründete Stellungnahme abgibt, wäre es widersprüchlich, der Patientenseite oder auch der Regresssachbearbeitung einer Krankenkasse vorzuhalten, eine Reaktion könne innerhalb von z.B. einem Monat spätestens erwartet werden.

142

Dennoch sollte das Thema Einschlafenlassen mit Vorsicht angegangen werden. Dabei ließe sich in der Praxis die Erwartungshaltung des Gegners beeinflussen. Will der Patient zur ablehnenden Haltung des Haftpflichtversicherers medizinische Beratung in Anspruch nehmen, wäre es möglich, dem Haftpflichtversicherer dies mitzuteilen, und auch, dass dies nach vorläufiger Einschätzung X Monate dauern werde. Dann wäre es Sache des Haftpflichtversicherers, die Verhandlungen vorher abzubrechen, falls dieser die erbetene Geduld nicht aufbringen wollte. Umgekehrt empfiehlt es sich nach der Entscheidung des BGH vom 8.11.2016[137], ein Abwarten auf eine Stellungnahme des Haftpflichtversicherers mit Nachfragen zu verbinden, ob man dort noch prüfe bzw. in eine weitere Prüfung eingetreten sei.

143

Einen Sonderfall des Einschlafens bei Nichtreaktion des Verpflichteten stellt die Fristsetzung durch den Berechtigten dar, die ohne Reaktion des Verpflichteten bleibt. Wird der Berechtigte nach Fristablauf nicht aktiv, sieht der BGH[138] hier ein Ende der Verjährungshemmung spätestens einen Monat nach Ablauf der von dem Berechtigten gesetzten Frist. Das dürfte jedoch nicht anzunehmen sein, wenn der Verpflichtete auf die Fristsetzung mit dem Hinweis reagiert, dass die Prüfung noch nicht abgeschlossen sei, und nochmals um Geduld bittet.

II. Verjährungshemmung während eines Verfahrens vor einer von den Ärztekammern eingerichteten Schlichtungs- bzw. Gutachterstelle nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB

144

Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 17.1.2017[139] eine Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB angenommen, wenn der Patient gegen den behandelnden Arzt Schadensersatzansprüche bei einer von den Ärztekammern eingerichteten Schlichtungsstelle oder Gutachterstelle geltend macht, und zwar unabhängig davon, ob der Arzt oder der hinter diesem stehende Haftpflichtversicherer sich auf das Schlichtungsverfahren einlässt. Dies gelte auch, wenn ein Schlichtungsverfahren nach der Verfahrensordnung der jeweiligen Schlichtungsstelle nur dann durchgeführt wird, wenn Arzt und Haftpflichtversicherer der Durchführung des Verfahrens zustimmen.

145

In Rechtsprechung und Literatur wurde bislang die Verjährungshemmung nur bei erklärtem Einvernehmen angenommen. Deutsch/Spickhoff haben z.B. vertreten, dass der Schlichtungsantrag des Geschädigten nur zu einer Hemmung der Verjährung nach § 203 BGB führen könne, wenn der Gegner sich auf das Verfahren einlasse.[140] Das OLG Köln hat in einer Entscheidung vom 1.7.2013[141] offen gelassen, ob die Hemmung der Verjährung während eines Verfahrens vor der Gutachterkommission der Ärztekammer sich nach § 203 BGB oder nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB richte. Die Hemmung setze in beiden Fällen voraus, dass die Parteien das Verfahren im Einvernehmen betrieben. Auch die Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen haben in ihren Broschüren oder Internetauftritten darauf hingewiesen, dass eine Hemmung der Verjährung vom Einvernehmen des Arztes und seines Haftpflichtversicherers mit der Durchführung des Verfahrens abhängig sei.

146

Der BGH sieht die Schlichtungsstellen der Ärztekammern als sonstige Gütestellen bzw. nach dem jetzigen Gesetzeswortlaut Streitbeilegungsstellen i.S.d. § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB. Das für diese Gütestellen geforderte Einvernehmen unterstellt er mit einem Rückgriff auf § 15a Abs. 3 S. 2 EGZPO, nach welchem das Einvernehmen unwiderleglich vermutet wird, wenn der Verbraucher eine branchengebundene Gütestelle angerufen hat. Bei den Schlichtungsstellen der Ärztekammern handele es sich um eine derartige branchengebundene Gütestelle. Der Patient sei im Verhältnis zum beklagten Arzt Verbraucher i.S.d. § 13 BGB. Diese Entscheidung eröffnet für die Patientenseite eine einfache und kostengünstige Möglichkeit, kurz vor Ablauf der Verjährung noch zu einer Verjährungshemmung zu kommen. Lehnt der Arzt oder sein Haftpflichtversicherer nach Antragstellung die Durchführung des Schlichtungsverfahrens ab, endet die Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 2 BGB sechs Monate nach Beendigung des eingeleiteten Verfahrens.[142]

147

Zu warnen ist jedoch vor einer rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme der Schlichtungsstelle. Zwar wird die Inanspruchnahme des Güteverfahrens nicht schon dann als rechtsmissbräuchlich angesehen, wenn die Gütestelle ausschließlich zum Zwecke der Verjährungshemmung angerufen wird. Als rechtsmissbräuchlich sieht der BGH ein solches Vorgehen jedoch dann an, wenn schon vor Einreichung des Güteantrages durch den Antragsgegner klargestellt wurde, dass er nicht bereit ist, an einem Güteverfahren mitzuwirken und sich auf eine außergerichtliche Einigung einzulassen.[143] Hat mithin in einer Arzthaftungssache der zuständige Haftpflichtversicherer im Zuge der vorausgehenden Korrespondenz die Beteiligung an einem Schlichtungsstellenverfahren ausdrücklich und eindeutig abgelehnt, dürfte eine Verjährungshemmung nicht eintreten.

 

148

Vorsicht ist auch geboten bei der Begründung des Antrages auf Durchführung des Schlichtungsstellenverfahrens. Der BGH verlangt in einem Fall aus dem Bereich der Anlagenberatung eine hinreichende Konkretisierung des Anspruchs. Das angestrebte Verfahrensziel müsse zumindest soweit umschrieben werden, dass dem Gegner und der Gütestelle ein Rückschluss auf Art und Umfang der verfolgten Forderung möglich ist.[144] Eine genauere Bezifferung müsse der Güteantrag demgegenüber grundsätzlich nicht enthalten. Hier wird man vor dem Hintergrund, dass in Arzthaftungssachen auch im gerichtlichen Verfahren nur mäßige Anforderungen an die Substantiierung zu stellen sind,[145] für Schlichtungsverfahren im Arzthaftungsbereich die Anforderungen nicht sehr hoch ansetzen, zumal die Schlichtungsstellen auch nicht verlangen, dass bereits ein konkreter Fehlervorwurf erhoben wird. Dennoch sollte, um das Ziel der Verjährungshemmung nicht zu gefährden, eine Konkretisierung des Verfahrensziels und insbesondere eine hinreichend genaue Bezeichnung der Behandlung und des als behandlungsfehlerbedingt vermuteten Schadens erfolgen.

149

Zu beachten ist im Übrigen, dass die Hemmungswirkung des Verfahrens vor der Schlichtungsstelle voraussetzt, dass Verjährung noch nicht eingetreten ist. Ist die Verjährung vor der Einleitung des Schlichtungsstellenverfahrens abgelaufen, steht der Einrede aber ein befristeter Verzicht auf die Einrede der Verjährung entgegen, kann eine Verjährungshemmung nicht eintreten. Der Gläubiger, also hier die Patientenseite, muss sich daher, soll ein Schlichtungsstellenverfahren durchgeführt werden, rechtzeitig vor Ablauf des befristeten Verzichts um eine Verlängerung bemühen.[146]