KNIGGE: Über Eigennutz und Undank

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ihn allen Andern vorziehn, ausschließlich ihm anhängen

und ihm diesen Vorzug öffentlich vor der Welt bezeugen

solltest? Wohl Dir, wenn Du einen solchen Freund

gefunden hast! Du kannst ihn nie genug in Ehren halten.

Aber rechne auch nicht zu fest darauf, mache es nicht zu

einem unentbehrlichen Bedürfnisse Deines Herzens, den

Mann zu finden und keinen andern für Deinen Freund

zu halten, als den, der alle diese Proben besteht! Du

möchtest sonst aus der Welt gehn, ohne das Glück der

Freundschaft geschmeckt zu haben. Vergiß nicht, daß wir

Alle schwache Menschen, mehr oder weniger abhängig

von unsern Leidenschaften, Bedürfnissen, Vorurtheilen

und von der Meinung des großen Haufens sind! Es ist

schon oft gesagt worden, daß diejenigen Freundschaften

die wärmsten, uneigennützigsten und nicht selten die

dauerhaftesten zu seyn pflegen, die in den sorgenfreyen

Jahren der Jugend geschlossen werden. Das ist ganz

wahr; in diesem glücklichen Alter fällt eine Menge von

Rücksichten weg, welche unsre nachherige Verknüpfung

mit der bürgerlichen Gesellschaft uns ohne Unterlaß vor

Augen stellt. Die Leidenschaften des Jünglings und der

Hang zu sinnlichen Freuden aller Art, kommen durch ihr

Interesse seltener mit der Freundschaft in

Zusammenstoß, (Collision) als die des männlichen Alters,

Ehrgeiz und Erwerbsucht – die Eitelkeit liegt wohl in

beyden Wagschalen gleich schwer – Aber der Jüngling ist

auch ofner, unbefangner, zuversichtlicher zu sich selber

und zu Andern, wärmer, mittheilender und nachsichtiger;

der Mann verschlossener, mistrauischer, ungläubiger,

strenger in seinen Forderungen, sich selbst mehr genug.

So knüpft dann mehrentheils nur das, was man

Sympathie nennt, unter jungen Leuten das Band der

Freundschaft. Was ist aber, genau betrachtet, diese

Sympathie anders, als ein egoistisches, mithin

eigennütziges Gefühl? Wir werden wohlwollend

hingezogen zu einem Geschöpfe, das uns an

Eigenschaften ähnlich ist, nicht selten nur einerley Fehler

mit uns gemein hat und lieben also eigentlich uns selbst

in Andern – Doch so genau darf man das feine Gewebe

der menschlichen Neigungen und Triebe nicht aus

einander wickeln, wenn man nicht allen Werth, auch der

edelsten Gefühle des Herzens, wegraisonniren will.

17.

So viel ist indessen gewiß, daß die Menschen selten

diejenigen unter ihren Brüdern eigentlich lieben, von

denen ihnen ihr Herz sagt, daß sie in sittlichem und

geistigem Werthe, oder in äußern vortheilhaften

Verhältnissen ihnen sehr überlegen sind, weit über ihnen

stehen. Können sie dem größern Manne die

Bewunderung nicht versagen; so verträgt sich doch nicht

so leicht reines Wohlwollen, wahre Zuneigung mit der

Anerkennung einer, mehrentheils drückenden, die

Eitelkeit kränkenden Erhabenheit. Was ist es also anders,

als versteckter Eigennutz, was den Haufen der

Alltagsmenschen bewegt, sich zu Männern von

hervorstechenden Talenten, von ausgebreitetem Rufe,

oder von großem Gewichte in der bürgerlichen Welt

herzudrängen? Sie glauben sich selber ein Gewicht zu

geben, wenn sie sich der Bekanntschaft, des Umgangs,

oder gar der Freundschaft solcher Personen rühmen

dürfen, oder wenn sie es bemerklich machen können, daß

sie freyen Zutritt zu ihnen haben. Dieselben Menschen

aber werden einem andern wahrhaftig großen Manne,

von dessen hohem Werthe sie eben so überzeugt sind,

dennoch nicht so viel Anhänglichkeit beweisen,

wenigstens nicht öffentlich vor der Welt, sobald dieser

Mann den allgemeinen Ruf noch nicht gewonnen hat,

oder etwa gar von seinen Mitbürgern, vielleicht von

seinem ganzen Zeitalter, verkannt wird. Vielmehr werden

sie sich dann bemühn, ihn nicht aufkommen zu lassen,

damit er sich nicht einst über sie erhebe, sie verdunkle.

Es ist den mehrsten Leuten unerträglich, Andre wegen

Eigenschaften rühmen zu hören, die sie selbst nicht zu

besitzen, sich bewußt sind. Es giebt ganze Länder, wo

jeder Schriftsteller ausgezeichnet zurückgedrängt wird,

weil der Neid der am Ruder sitzenden Geschäftsmänner

es nicht vertragen kann, daß ein Solcher ohne ihre Hülfe

emporkömmt und sich etwa gar auswärts größere

Achtung, als sie, erwirbt. Sie suchen dann das Vorurtheil

zu unterhalten, daß ein eigentlicher Gelehrter fast immer

ungeschickt zu praktischen Arbeiten sey, damit sie mit

ihrem auswendig gelernten Krame und ein bischen

Geschäfts-Routine, sich für die einzigen nützlichen und

brauchbaren Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft

mögen geltend machen. Wenn doch die Menschen

endlich einmal diese egoistische Verblendung ablegen

und einsehn lernen wollten, daß Jeder, der in seinem

Fache etwas Vorzügliches leistet, achtungswerth ist,

gleichviel auf welche Weise er der Welt nützlich wird,

wenn er ihr nur nützlich wird! Das Verdienst des

redlichen Geschäftsmannes ist gewiß sehr groß, obgleich

nicht immer eben so glänzend, wie das des Schriftstellers,

und zu einem geschickten praktischen Staatsdiener

werden unstreitig manche wichtige, nur mit der größten

Anstrengung, Uebung und mit vielfacher Aufopferung zu

erlangende Kenntnisse erfordert. Unwahr ist aber es von

der andern Seite, (obgleich dies zuweilen, und selbst oft

der Fall seyn mag) daß ein jeder so genanter Literator

unfähig seyn sollte, sich diese, einem Geschäftsmanne

nöthigen Fertigkeiten zu erwerben. Es hat vielmehr von

je her in allen Ländern Männer gegeben, die zugleich auf

beyden Wegen sich ein großes Verdienst erworben

haben. Und was den Nutzen betrifft, den Beyde stiften;

so läßt sich derselbe, so wenig wie die Folgen irgend einer

Art von Anwendung seiner Kräfte, berechnen. Lasset uns

daher doch Eigennutz und Eitelkeit bey Seite setzen, kein

Talent, keinen sonst edlen Gebrauch der Zeit

geringschätzen! Lasset uns das oft sehr zweydeutige

Glück eines großen Namens niemanden beneiden! Das

innere Bewußtseyn, in der Stille, vom Volke ungelobt und

unbemerkt, Gutes zu würken, ist wohl eben so viel werth.

Lasset uns endlich das wahre Verdienst, wo und wie wir

es auch antreffen, würdigen und hervorziehn, um, wo

möglich, dadurch die Schwächern zur Nacheiferung zu

erwecken, nicht aber für uns Vortheil, noch Erhebung

darinn suchen, daß wir Andre unterdrücken!

18.

Die mehrsten Menschen, welche verkannte, unterdrückte

Talente an das Licht zu bringen, junge Genien mit

Geld-Summen und Empfehlungen zu unterstützen und

den Gelehrten vorzügliche Achtung zu beweisen, sich

angelegen seyn lassen, möchten uns gern glauben

machen, dies alles geschähe aus uneigennützigem Eifer

für Wissenschaften und Künste; allein nicht immer ist das

der Fall. Man will selbst für einen Mann von

Kenntnissen, Talenten und feiner Beurtheilung gelten;

man möchte gern als ein Solcher und als ein

großmüthiger Beförderer der Gelehrsamkeit und

Aufklärung ausposaunt werden; man erwartet vielleicht

von demjenigen, den man, wie es gewöhnlich heißt, aus

dem Staube hervorgezogen hat, gewisse unentgeltliche

und verschwiegene Dienste; er soll etwas durchsehn,

verbessern, oder selbst ausarbeiten, das man nachher für

eignes Machwerk ausgeben will. Nun! laß immerhin

kleine Nebenabsichten bey solchen Mäcenatenschaften

mit unterlaufen – Wenn nur das Gute geschieht, Fleiß

und Talente ermuntert werden!

19.

Auf die häufigen Besuche, welche reisende Liebhaber der

Wissenschaften bey bekannten, durch ihre Schriften

berühmt gewordenen Männern ablegen, haben Diese

auch eben nicht Ursache, stolz zu werden. Die Mehrsten

solcher Leute kommen bloß als neugierige Gaffer und

um hernach sagen zu dürfen, sie kennten diesen und

jenen großen Gelehrten recht gut. Oft erkundigen sie sich

erst in der Stunde vor dem Besuche, was der Mann

eigentlich geschrieben habe, um doch nöthigen Falls von

seinen Werken mit ihm reden zu können. Andre

kommen mit einer Sammlung von Schmeicheleyen und

Lobpreisungen, die sie für ähnliche Waare bey ihm mit

Wucher umzusetzen hoffen, welche Bewandtniß es auch

mehrentheils mit den zahllosen Briefen hat, womit man

Leute von einigem Rufe in der gelehrten Welt bestürmt

und die selten etwas anders, als einen Tausch-Handel von

Complimenten zum Gegenstande haben. Endlich aber

giebt es auch Menschen, welche bey solchen Besuchen

nur die Bereicherung ihrer Tagebücher,

Reisebeschreibungen und Anecdoten-Sammlungen zum

Augenmerke nehmen, das Zutrauen argloser Männer

misbrauchen, um Gespräche und Eröfnungen unter vier

Augen nachher auf unbescheidene Weise drucken zu

lassen; sich auch wohl über die kleinen würklichen oder

anscheinenden Schwachheiten des Mannes, der sie

gastfrey und höflich aufgenommen hat, öffentlich lustig

zu machen.

20.

Nicht weniger Eigennutz, als mehrentheils bey der

äussern Achtung im Spiele ist, welche die Menschen

gelehrten und berühmten Leuten zu beweisen pflegen, ist

auch in dem Eifer würksam, mit dem sie sich zu solchen

Personen hindrängen, die durch Reichthum, Geburt oder

Rang sich über Andre erhoben haben. Wenn auch nicht

immer von Planen auf Schutz und Beförderung, auf den

 

Geldbeutel und auf die Mahlzeiten die Rede ist; so sucht

doch die liebe Eitelkeit ihren Vortheil bey solchen

Verbindungen. Es giebt solche Menschen, die sich gern

in die Cirkel Reicherer und Vornehmerer einschieben, die

Sitten der so genannten höhern Stände auf eine, zuweilen

in das Komische fallende Weise copieren, ausländische

Sprachen reden wollen, deren sie nicht mächtig sind und

sich auf phantastische Weise kleiden, um ihrer Meinung

nach, auch für reich und vornehm angesehn zu werden;

ja! die deswegen und um sich bey den Großen

einzuschmeicheln, sich eine Ehre daraus machen, ihren

Thorheiten und Lastern nachzuahmen. Es giebt Leute,

die keinen Aufwand, keine Aufopferung scheuen, sobald

es darauf ankömmt, ihre thörichte Eitelkeit zu

befriedigen; die sparsam und kärglich leben und zu leben

Ursache haben, wenn sie mit den Ihrigen oder einem

vertrauten Freunde allein sind, aber dagegen gern Geld

zu zehn vom Hundert aufnähmen, um sich die Ehre

verschaffen zu können, einen durchreisenden Prinzen

bey sich zu bewirthen. Diese Leute kennen in der That

ihren Vortheil schlecht; von ihren verständigen

Mitbürgern verhöhnt, haben sie nicht einmal die Freude,

für ihren lächerlichen, oft sehr geschmacklosen Aufwand,

wahre Dankbarkeit einzuerndten. Kaum hat der Magnate

ihr Haus wieder verlassen; so vergißt er vielleicht schon

den Namen des Mannes, bey dem er so viel Gutes

genossen hat; oder wenn er in der Folge einmal wieder

Seiner Erwähnung thut; so geschieht es, um über die

bürgerliche Bewirthung zu spötteln, über die Langeweile

zu klagen, die er aus Höflichkeit hat aushalten müssen

und die Albernheiten und Fehler gegen ächten Weltton

herzuzählen, die ihm dort aufgestoßen sind.

21.

Besser berechnet auf der andern Seite der sich

herablassende Große seinen Vortheil bey solchen

Verbindungen mit Leuten, die er weit unter sich glaubt

und wirft sich gewiß nicht umsonst weg. Wenn er nicht

etwa gar in solchen Vermögens-Umständen ist, daß das

Gesuch einer Geld-Anleihe, oder ein andrer

öconomischer Plan ihn bewegt, den Umgang mit dem

reichern Bürger zu suchen; so verlangt er doch gewiß auf

andre Art für die Langeweile, welche er in dergleichen

Gesellschaften empfindet, entschädigt zu werden. Zum

wenigsten will er reichlich mit Schmeicheley und

Huldigung für die Opfer bezahlt seyn, die er, seiner

Meinung nach, bringt. Oder deswegen behagt ihm ein

Cirkel von Personen geringern Standes weit mehr als der

Verkehr mit seines Gleichen, weil Jene vielleicht

niederträchtig genug sind, einen vornehmen Herrn zu

vergöttern. Er will dann, wie Cäsar, lieber in einem Dorfe

der Erste, als in einem Königreiche der Zweyte seyn. Am

häufigsten aber legt es diese Art Menschen darauf an,

sich in den Ruf einer gewissen Popularität zu setzen und

dadurch eine mächtige Parthey im Volke für sich zu

gewinnen.

22.

Ueberhaupt haben wir Ursache, ohne eigentlich

argwöhnisch zu seyn, doch nicht zu fest auf die

Zuneigung der Menschen zu rechnen, die wir nie in

solchen Fällen beobachtet haben, wo unsre Verhältnisse

gegen sie mit ihren Vortheilen in Collision kommen, oder

wo es kleine oder große Aufopferungen und

Verleugnungen gilt. Man beurtheile also die Menschen

nicht nach dem, wie sie handeln, wenn sie Unsrer auf

irgend eine Weise bedürfen, oder uns fürchten! Wenn wir

uns der allgemeinen Achtung erfreuen; wenn unser Wort

von Gewicht, unser guter Ruf ausgebreitet und nicht

zweydeutig ist; wenn man es für eine Art von Ehre halten

darf, mit uns vertraulich umzugehn; ja! dann werden wir

freylich nie Ursache finden, über Vernachläßigung zu

klagen. Aber lasset uns in Lagen kommen, wo das Glück

uns den Rücken kehrt, wo unverschuldet widrige Vorfälle

uns treffen, wo böse, verleumderische Gerüchte zu

unserm Nachtheile herumlaufen; wo wir von

rachsüchtigen Obern gedrückt, von Feinden und Neidern

verfolgt werden, bey Fürsten in Ungnade gefallen sind –

und lasset uns dann sehn, wie viel von denen noch über

unsre Schwelle kommen, die vorher sich zu uns drängten

und uns die wärmsten Versicherungen ihrer

Hochachtung gaben! Wer diese Probe aushält und nicht

etwa selbst im Gedränge ist, den darf man für

uneigennütziger halten, als mehrentheils der Haufen

gewöhnlicher Menschen ist. Ich habe bey verschiedenen

Abwechselungen meines unruhigen Lebens, angenehme

und unangenehme Erfahrungen von der Art gemacht.

Unter Fremden, Bekannten, sogenannten Freunden und

Blutsverwandten, haben dieselben Personen mir

mehrmals den Rücken gewendet und sich mir wieder

aufgedrungen, mir Wärme und Kälte, Uebermuth und

kriechende Huldigung bewiesen, mich verleumdet und

sich ihrer Verbindung mit mir gerühmt, mich mit ihren

unbedeutenden Briefen bestürmt und mir auf die

meinigen nicht geantwortet, je nachdem meine äußern

Verhältnisse von der Art waren, daß sie dabey zu

gewinnen oder zu verlieren glaubten. Indeß ich unter

Leuten, die ich nicht einmal dem Namen nach kannte,

edle, eifrige Vertheidiger fand, ließen Menschen, die mir

sehr wesentliche Verbindlichkeiten schuldig waren, alles

Böse über mich ergehn, oder schlugen sich gar zu der

Parthey derer, die mich verfolgten. Wer, so wie ich, über

die Verkehrtheit der Menschen lieber lacht, als seufzt und

eifert, eigentlich niemandes Gnade und Schutzes bedarf,

von keinem Menschen in der Welt etwas anders als

Gerechtigkeit fordert und, die Wahrheit zu gestehn, von

den mehrsten Erdensöhnen herzlich wenig ausdauernde

Festigkeit und Consequenz in Handlungen erwartet; den

können dergleichen Erfahrungen eben nicht überraschen

und niederschlagen. Er nimmt das, was ihm die

Menschen für Treue und Anhänglichkeit verkaufen,

vorerst an, als sey es gute, ächte Münze, hütet sich

übrigens nur, wie ein kluger Kaufmann, in diese

unsichern Papiere keine so große Summen von seinem

Herzensvermögen anzulegen, daß er durch fremde

Fallimente zu Grunde gehn könnte, schreibt jedoch die

Namen der guten und bösen Kundmänner, die er bey

diesem Seelenverkehr kennen gelernt hat, in sein

Gedächtniß-Büchelchen auf, um den Erstern die, jedem

gutgearteten Herzen so heilige Pflicht der Dankbarkeit

thätig zu beweisen, den Andern aber gelegentlich zu

zeigen, daß er sie für das hält, was sie sind.

23.

Es ist sehr unterhaltend für den feinen Beobachter, zu

sehn, welchen Tauschhandel von Schmeicheley die

Menschen unaufhörlich unter einander treiben und wie

fast alle ihre Verbindungen auf diese Waaren-Speculation

berechnet sind. Solche Verbindungen erweitern und

verengen sich, werden gestiftet und getrennt, je nachdem

die Theilnehmer ihr Conto dabey finden, das heißt: je

nachdem sie sich dabey eine beträchtliche oder zu geringe

Einnahme von äußerer Ehre, Schmeicheley und Blindheit

gegen ihre Fehler und Untugenden, versprechen dürfen.

Fast die ganze Kunst der feinen Lebensart beruht

weniger auf zweckmäßigen, wahren, gegenseitigen

Gefälligkeiten, als auf einem stillschweigenden Vertrage,

sich einander Gesinnungen und Empfindungen zu

heucheln, wovon nicht eine Spur im Herzen und Kopfe

ist. Die mehrsten Menschen schätzen und achten uns

nach Verhältniß der Huldigung und feinen Schmeicheley,

die wir ihnen darbringen. Der verächtlichste Kerl

erscheint ihnen in vortheilhaftem Lichte, wenn er ihre

Thorheiten billigt, ihr Steckenpferd mit besteigt, oder

wenn sie erfahren, daß er sie gegen Andre gelobt hat.

Eine einzige gutgemeinte, vielleicht bittre Wahrheit

hingegen, die wir aus guter Meinung sagen, kann uns auf

immer um die Gunst, besonders der eiteln Schooßkinder

des Glücks bringen. Auf diese Erfahrungen stüzt dann

auch der eigennützige, schlaue Schmeichler die Plane,

wodurch er sich emporschwingt, und wir sehen unzählige

sehr unwürdige Menschen mit Reichthum, äußerer Ehre

und andern Vorzügen dieser Art überhäuft, die ihre

Erhebung nur allein der Schmeicheley verdanken. Es

giebt Leute, die diese Kunst so überaus fein studiert

haben, daß selbst kluge Männer (die denn doch auch

nicht immer ganz von Eitelkeit und Eigenliebe frey sind)

in ihre Schlingen fallen. Vorzüglich geschickt aber pflegt

das weibliche Geschlecht zu seyn, auf diesem Wege seine

Zwecke zu erlangen und unmöglich scheinende Dinge

durchzusetzen.

24.

So bereitwillig aber auch die Menschen seyn mögen, da,

wo es ihnen Vortheil bringen kann, auch wider ihre

Ueberzeugung, für die Unvollkommenheiten ihrer

Mitbürger blind zu seyn und sich gegenseitig mit Beyfall

und Lob zu hintergehn; so wenig Gerechtigkeit lassen sie,

wie dies schon an einem andern Orte ist bemerkt

worden, dem wahren Verdienste wiederfahren, wenn

dadurch das ihrige verdunkelt werden kann. Sie werden

sehr geneigt seyn, alle gute Eigenschaften an einem

Manne zu loben; nur über die werden sie leise

hinausgehn, auf welche sie selbst große Ansprüche

machen. Noch hat man Ursache, ihnen zu danken, wenn

sie es dann dabey bewenden lassen, zu schweigen; allein

wie oft verleitet sie nicht der Brodneid, den Mann zu

verkleinern, zu verleumden, von dem sie sich übertroffen

glauben.

25.

Ein Theil von dem, was ich über den Eigennutz in der

Freundschaft gesagt habe, ist auch auf die Liebe unter

Personen von verschiedenem Geschlechte anwendbar.

Wir wollen nicht untersuchen, ob überhaupt Geselligkeit

und Liebe ursprünglich aus einem Gefühle von

Schwäche, aus dem Verlangen nach Hülfe, Beystand und

Mittheilung entstehen! – Ein Satz, den man als wahr

anzunehmen versucht werden möchte, wenn man

bemerkt, daß je selbstständiger, stärker, kraftvoller,

klüger, reifer an Jahren und Vernunft, ein Mann ist, er

um desto weniger leicht einzunehmen, um desto

schwerer durch Liebe zu fesseln und um so viel geneigter

scheint, jene innige Herzens-Vereinigung, welche die

höchste Wonne des weichen Jünglings ausmacht, für

Schwachheit, Thorheit und Schwärmerey zu erklären.

Auch wollen wir uns nicht bey der Bemerkung aufhalten,

wie oft physischer Trieb, körperliches Bedürfniß,

Verlangen nach sinnlichem Genusse, sich heimlich hinter

jener geistigen Verbindung versteckt. Lasset uns vielmehr

zur Ehre der menschlichen Natur und ihres Schöpfers

annehmen, daß in sie der Keim eines höhern

Wohlwollens einer reinen, uneigennützigen Liebe,

eingepflanzt sey, einer Liebe, die gleich organisirte,

harmonisch gestimmte Wesen unwiderstehlich zu

einander hinzieht und fest aneinander kettet, einer Liebe,

die nicht nur empfangen, sondern auch gern und willig,

und mehr als sie empfängt, alles was sie hat und vermag,

ihr ganzes Selbst hingeben möchte und zu den größten

Aufopferungen fähig ist. Freylich liebt man, um geliebt

zu werden, und auch die feurigste Leidenschaft wird

erkalten, oder in Haß übergehn, wenn alle Hofnung der

Erwiederung schwindet, wenn sogar Verachtung der

treuesten Zärtlichkeit zum Lohne wird. Allein das

Verlangen, Herz gegen Herz zu vertauschen, das größte

Geschenk, das man bringen kann, nicht verworfen, die

Kränkung nicht zu erleben, seinen Werth also verkannt,

für nichts geachtet zu sehn; dies Verlangen, sage ich, darf

man nicht auf die Rechnung eines verwerflichen

Eigennutzes schreiben. Selbst die Eifersucht, welche die

uneigennützige Freundschaft nie entweihn sollte, scheint

der Liebe wesentlich und in der Natur dieser

Leidenschaft gegründet zu seyn. Aber davon lasset uns

reden, daß so oft in der Welt Habsucht, Ehrsucht und

Eitelkeit hinter der Larve der Liebe Befriedigung suchen!

Es werden wenig Heiraths-Anträge gemacht, ohne daß

dabey der Name der Liebe gemisbraucht würde, indeß

eigennützige Absichten auf Reichthum, wenigstens auf

Versorgung, auf Beförderung im bürgerlichen Leben,

 

oder auf vortheilhafte Familien-Verhältnisse, einen von

beiden Theilen, oder den einen und den andern zugleich

zu den mehrsten Ehebündnissen hinleiten. Und nun

vollends bey den losen Banden einer ungesetzmäßigen

Liebe; wie selten bleibt da der Eigennutz aus dem Spiele!

Mit welcher Schlauigkeit weiß nicht die ungetreue

Buhlerin ihren Sclaven glauben zu machen, daß ihr Herz

nur für ihn schlage, daß sie ohne ihn nicht leben könne,

lieber an seiner Seite betteln, als auf dem glänzendsten

Thron sitzen wolle, indeß sie seine Goldsäcke ausleert,

ihm mit List den letzten Heller entlockt, und, wenn er

nichts mehr zu geben hat, einem andern freygebigen

Thoren in die Arme eilt! An unzähligen andern so

genannten Herzens-Verbindungen haben dann auch

Eitelkeit, Langeweile und Avanturengeist Theil, wobey

nicht selten beide Partheyen, sowohl einander, als auch

sich selbst hintergehen.

26.

Unter Blutsfreunden stiftet der Eigennutz oft

unversöhnliche Feindschaft, so wie er auch verstellte,

falsche Freundschaft, Aufmerksamkeit und Pflege

heuchelt, wenn er seine Rechnung dabey findet. Wenn

eine Erbschaft zu erschleichen, einer alten Muhme oder

einem kränkelnden Oheime ein Legat abzulocken, wenn

eine Verlassenschaft unter lachende Erben zu theilen,

wenn ein gutmüthiger Vetter zu einem für ihn

nachtheiligen Vergleiche zu bereden ist; dann zeigt sich

der Eigennutz, mit den glatten Waffen der Schmeicheley,

Gutmüthigkeit und zärtlichen Sorgfalt, oder, nach den

Umständen, mit der Wuth der Habsucht, der Arglist und

der Chikane ausgerüstet, in seiner ganzen Stärke.

27.

So traurig den Menschenfreund die Bemerkung macht,

daß in die natürlichsten, einfachsten Verhältnisse, in die

Bündnisse, welche Freundschaft, Liebe und

Blutsverwandtschaft stiften, sich so vielfältig ein niedriger

Eigennutz einmischt; so kränkend ist für ihn auch die

Erfahrung, daß diese unedle Leidenschaft sich zuweilen

in das Gewand eines wohlthätigen Eifers für die Bildung,

den Unterricht und die Erziehung der Jugend hüllt. Ich

rede hier nicht von den edeln Männern, die, indem sie

ihre Kräfte und die schönsten Jahre ihres Lebens, dem

mühseligen, oft so undankbaren Geschäfte der Erziehung

widmen, doch auf eine verhältnißmäßige Entschädigung

für die Opfer, welche sie dem gemeinen Wesen bringen,

Anspruch zu machen und etwas zurückzulegen suchen,

damit nicht einst nach ihrem Tode Weib und Kinder von

Almosen leben müssen. Auch rede ich nicht von den

armen, in der That bedauernswerthen Schullehrern,

besonders auf dem Lande, welche, wenn sie für die

nützlichsten Dienste, die irgend ein Bürger dem Staate

leisten kann, kümmerlich besoldet werden, um nicht

gänzlich zu verarmen, zu allerley Neben-Erwerbmitteln

ihre Zuflucht nehmen, sich von Abschreiben nähren,

oder ein Handwerk treiben und darüber ihren

eigentlichen Beruf versäumen, die endlich, um dem Geize

der Eltern, denen es oft mehr um wohlfeilen, als treuen

Unterricht für ihre Söhne und Töchter zu thun ist,

zuweilen ein Geschenk zu entlocken und wenigstens ihre

einträglichsten Kunden nicht zu verliehren, den Kindern

der Reichern und Vornehmern durch die Finger sehen

und schmeicheln – Von diesen, welche die Noth treibt,

den Geldgewinn zu ihrem Hauptaugenmerke zu machen,

rede ich nicht; sondern von solchen Menschen, die, ohne

innern und äußern Beruf zu dem wichtigen

Erziehungsgeschäfte, wenn sie sich zu allen übrigen

Verrichtungen des bürgerlichen Lebens ungeschickt

fühlen, oder den damit unvermeidlich verbundenen

Zwang der Abhängigkeit von Vorgesezten und Obern

nicht ertragen können, sich eine Republik von fremden

Kindern stiften, zu deren Vorsteher sie sich aufwerfen,

und dafür reichliche Abgaben entrichten lassen, die sie

leichtgläubigen Leuten, unter Vorspielung der

menschenfreundlichsten Absichten, durch pomphafte

Ankündigungen aus dem Beutel schwatzen, dies

Geschäfte als Finanzsache betreiben, und, wenn sie einige

Jahre hindurch reicher Leute Kinder in ihren

Menschenfabriken bearbeitet haben, diese, eben so

unwissend und nicht selten an Leib und Seele schlechter

und zu allen ernsthaften Geschäften unfähig, wieder nach

Hause schicken. Am gewissenlosesten und nur auf

Geldgewinn bedacht, pflegen aber leider! die mehrsten

Lehrmeister in schönen Künsten, Musik, Tanz,

Zeichenkunst und die Sprachmeister zu verfahren. Da

wird nur daran gedacht, wie die bestimmte Stunde, für

welche die Herrn eine Karte erhalten, in jedem Hause

ausgefüllt werden könne. Ob der Schüler etwas lernt,

oder nicht, das ist dann des Meisters geringste Sorge; im

Gegentheil, je langsamer die Fortschritte sind, welche er

macht, um desto sichrer ist er, die Kundschaft lange zu

behalten, wenn nur von Zeit zu Zeit den leichtgläubigen,

von Affenliebe für ihre Kinder eingenommenen Eltern

Ueberzeugung von den großen, herrlichen Anlagen der

Püppchen, durch vorgelegte Proben und angestellte

Prüfungen, wobey der Lehrmeister gewöhnlich das Beste

thut, verschafft werden kann. Ist nun gar von dem

Unterrichte erwachsener junger Frauenzimmer die Rede;

so spielt nicht selten der Herr Lehrer nebenher die Rolle

des Liebhabers, oder wenigstens des Brief- und

Zeitungsträgers.

28.

Das Band, welches die Hausherrschaft und das Gesinde

an einander knüpft, ist nicht weniger oft aus bloßem

Eigennutz zusammengewebt. Man hört aller Orten über

die Faulheit und Untreue der Dienstboten klagen. Es ist

wahr, die Wenigsten von ihnen verrichten ihre Geschäfte

eigentlich mit Lust und Eifer. Wenn nur die Zeit hingeht

und sie keiner offenbaren Nachlässigkeit beschuldigt

werden können; so glauben sie genug gethan zu haben.

Der Nutzen ihrer Herrschaften liegt ihnen nicht am

Herzen; sie richten muthwillig den Hausrath zu Grunde,

schweigen zu den Betrügereyen der Handwerker und

Verkäufer, mit welchen jene Geschäfte treiben, wenn sie

nicht gar mit ihnen einverstanden sind. Halten sie auch

den eigentlichen Diebstahl für verdammliche Sünde; so

rechnen sie doch die Entwendung und Verschleuderung

von Kleinigkeiten, besonders von Eßwaaren und

Getränken, zu ihrem und ihres Anhangs Genusse, für

kein Verbrechen. Wenn Hausvater und Hausmutter den

Blick wegwenden, wird die Arbeit für sie zurückgelegt

und ihre eigne vorgenommen. Endlich in Häusern, wo

etwas dabey zu gewinnen ist, werden Uneinigkeiten

zwischen Mann und Weib, Eltern und Kinder, oder

Klatschereyen, oder heimliche Liebes-Verständnisse

durch sie unterhalten und den Eltern die

Ausschweifungen und Unarten ihrer Kinder

verschwiegen, und dies alles so lange fortgetrieben, bis

sich Gelegenheit zeigt, in einem andern Hause für höhern

Lohn anzukommen, da dann das Gesinde auch der

besten, nachsichtigsten Herrschaft den Stuhl vor die

Thür sezt und seine untreuen Dienste dort verkauft. Das

alles trifft man leider! nur zu häufig an; allein von der

andern Seite sind auch die Hausväter oder sogenannten

Brodherrn nur zu oft selbst durch ihr hartes und

eigennütziges Verfahren Schuld daran, daß ihre

Dienstboten ihnen keine wahre Anhänglichkeit zeigen.

Wenn sie das Gesinde sclavisch behandeln und schlecht

bezahlen; wenn sie verlangen, daß die armen, von ihnen

abhängig gewordenen Geschöpfe ihnen ihre ganze

Existenz, alle Stunden des Tages und der Nacht, verkauft

haben sollen; wenn sie ihnen nicht die geringste

Erholung, keine unschuldige Freude, keinen Augenblick

Muße, um für ihre eignen Bedürfnisse zu arbeiten,

gönnen; wenn sie ihnen schlechte Kost und so wenig

reichen lassen, daß sie kaum, vielleicht auch gar nicht, satt

davon werden können; wenn der Bediente, sobald er

anfängt alt oder schwächlich zu werden, den Ueberdruß

gewahr wird, den seine Gegenwart im Hause verursacht;

wenn er dann in solchen Umständen jeden Augenblick

erwarten muß, verstoßen, der Armuth preisgegeben zu

werden; wenn er bey Krankheiten ohne Pflege und

Wartung da liegen, die theure Arzeney selbst von seinem

geringen Lohne bezahlen muß, oder in ein schmutziges

Hospital geschleppt wird; wenn er jedesmal aus seinem

Beutel den Schaden vergüten muß, den die Herrschaft an

zerbrechlichem Hausrathe, durch ein Ungefähr oder

durch eine kleine Unvorsichtigkeit leidet; endlich wenn er

den Laufpaß erhält, sobald sein Gesicht nicht mehr

gefällt, oder ein andrer jüngerer, hübscherer, für

geringern Lohn zu habender Bedienter sich meldet; dann

ist es wohl kein Wunder, daß das Gesinde von einer so

schimpflichen, so unsichern und so lästigen Existenz so

viel Gewinn zu ziehn sucht, als sich thun läßt und sich

um den Vortheil seiner Herrschaften wenig bekümmert.

29.

Ich habe, nicht um dem Laster das Wort zu reden,

sondern zu Milderung der widrigen Eindrücke, welche

die Schilderungen, die ich hier von der ungeselligen

Handlungsart so vieler Menschen aufstellen muß, auf

jeden Tugendfreund machen werden, im Anfange dieses

Abschnittes (5 und 6) zu beweisen gesucht, daß der

Grund dieses verwerflichen Eigennutzes nicht in einer

ursprünglichen Verderbtheit der menschlichen Natur,

nicht in einem angebohrnen Mangel an Wohlwollen und

Theilnahme, sondern in den, durch unsre bürgerlichen

Einrichtungen, vervielfältigten Verhältnissen und in dem,

mit der feineren Cultur zugleich allgemeiner sich

ausbreitenden Luxus zu suchen sey, der eine Menge

neuer Bedürfnisse erzeuge, deren Befriedigung man dann

auf Kosten Andrer suche. Hier muß ich nur noch

bemerklich machen, daß unsre pädagogischen und

religiosen Systeme nicht weniger dazu beytragen, in uns

den Keim des Eigennutzes emporsprossen zu lassen.

Statt den Kindern früh die heilige Wahrheit anschaulich

zu machen, daß die Erfüllung jeder Pflicht, die

Erwerbung der Fertigkeit in jeder Art Tugend, ihren

eignen Lohn mit sich führen, und daß es niedrig, eines

verständigen und edlen Menschen unwürdig sey, einen

andern Preis von Aussen her zu erwarten, werden sie

vielmehr gewöhnt, für solche Handlungen, die ihr eignes

wahres Wohl befördern, von ihren Erziehern gleichsam

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