Die erste Umsegelung Asiens und Europas

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Die Vega

Nordenskiölds Schriften zogen weite Kreise und inspirierten manchen berühmten Forschungsreisenden. Neben Nansen empfing Peary, der 1909 als Erster den Nordpol erreichte, wichtige Impulse, aber auch Andrée, dessen Ballonexpedition 1897 tragisch endete, beriet sich mit dem erfahrenen Polarforscher.

Nordenskiöld fand jetzt auch Zeit, sich verstärkt seiner Liebhaberei zuzuwenden, der Kartographie und der Geschichte des Reisens. Zeit seines Lebens hatte er alte Bücher und Karten gesammelt. So hatte er während des Aufenthalts in Japan Besatzungsmitglieder losgeschickt, nach alten Werken für seine Sammlung zu stöbern. Aus den Antiquariaten in ganz Europa trafen nun die Angebote ein, sodass Nordenskiöld gegen Ende seines Lebens eine der umfangreichsten Bibliotheken alter Reisebeschreibungen und historischer Karten seiner Zeit hinterließ, die heute als geschlossene Sammlung in der Universitätsbibliothek Helsinki aufbewahrt wird. In zahlreichen Veröffentlichungen über die historischen Aspekte der Entdeckungen insbesondere der Arktis und der Küste Nordamerikas machte sich Nordenskiöld auch auf diesem Gebiet einen Narnen und ließ sogar einen Faksimile-Atlas seiner Kartensammlung drucken, ergänzt durch eine grundlegende und zukunftweisende Geschichte der Kartographie. Aber auch die Mineralogie kam nicht zu kurz. Zwischen 1877 und 1888 studierte und benannte er vier neue Mineralien. Im Winter 1900 litt der Forscher, der nie krank gewesen war, an einer Grippe, die er auf seinem Gut auskurieren wollte. Am 12. August 1901 starb er dort friedlich im Schlaf an Herzversagen. Nachdem die Welt in einer großen Totenfeier in Stockholm von ihm Abschied genommen hatte, wurden die sterblichen Überreste des großen Polarforschers auf dem kleinen Friedhof Västerljung bei seinem Gut Dalbyö in Schweden beigesetzt.

DIE VEGA – SCHICKSAL EINES SCHIFFES

Nordenskiöld zeigte sich moderner Technik gegenüber immer aufgeschlossen; er hatte sich einmal sogar als Erfinder eines feuersicheren Safes betätigt, der allerdings kein Erfolg wurde. Schon 1864 hatte er sich intensiv mit der noch in den Kinderschuhen steckenden Fotografie befasst und auch versucht, sie in den Dienst seiner Reisen zu stellen, ohne zunächst jedoch zu befriedigenden Ergebnissen zu gelangen.

Bis 1868 benutzte er für seine Fahrten reine Segelschiffe verschiedener Größe. Spätestens seit der Fahrt mit der dampfgetriebenen Sofia im Jahr 1868 war er jedoch von der Maschinenkraft als allein möglichem Antrieb für größere Forschungsvorhaben im Eis überzeugt. So war auch die Vega ein dampfgetriebenes Segelfahrzeug, eins jener für das ausgehende 19. Jahrhundert typischen Schiffe, die sich der modernen Technik bedienten, ohne auf die Vorteile des Segelns zu verzichten. Nordenskiöld und sein Kapitän Palander wählten das 357 Tonnen große Fahrzeug Vega, eine 43 Meter lange, in Bremerhaven gebaute Dreimastbark mit 60 PS starker Dampfmaschine, die für die Eismeerfahrt gebaut worden war und als Walfänger diente. Auf der Marinewerft in Karlskrona wurde das Flaggschiff der Expedition für die bevorstehende Reise ausgerüstet, um der insgesamt dreißig Mann starken Besatzung und den umfangreichen Vorräten Platz zu bieten. Neben vier vorhandenen Walfangbooten führte die Vega eine kleine Dampfschaluppe mit, die noch heute erhalten ist, sowie ein Schlittenboot für Landausflüge. Die Bewaffnung, soweit man von einer solchen sprechen konnte, bestand aus achtzehn Jagdgewehren, sechs Revolvern und zwei Salutgeschützen. Merkwürdigerweise erhielt Nordenskiöld trotz seiner aus den Kreisen der Kriegsmarine angeworbenen Besatzung vom Marineminister Freiherr von Otter, seinem ehemaligen Kapitän auf der Rekordfahrt mit der Sofia, nicht die Erlaubnis, die schwedische Kriegsflagge zu führen, sodass er sich mit dem Stander der Königlichen Segelgesellschaft begnügen musste. Da nicht alle Vorräte, insbesondere die Kohle, für die gesamte Reise an Bord genommen werden konnten, dienten drei weitere Schiffe, die Dampfer Lena und Fraser und der Segler Express, als Versorgungsfahrzeuge, die das Forschungsschiff bis zur Jenissej-Mündung begleiten sollten. Nach Beendigung der großen Reise, auf der die Vega keinen ernsthaften Schaden genommen hatte, wurde das Schiff wieder an seine ursprüngliche Reederei übereignet und als Fischereifahrzeug vor Grönland eingesetzt. Das weitere Schicksal verliert sich im Dunkeln. 1901 ging das Schiff an einen norwegischen Eigentümer, drei Jahre später möglicherweise nach Schottland. Auf einer Fahrt nach Grönland wurde das Fahrzeug wahrscheinlich 1903 oder 1904 vom Eis eingeschlossen und sank.


1. Schrank, als Pulverkammer gebraucht

2. Schrank für die Instrumente

3. Sofa im Offiziersspeisesaal

4. Kajüte für Leutnant Brusewitz

5. Kajüte für die Leutnants Bove und Hovgaard

6. Speisekammer für den Winter

7. Korridor

8. Kajüte für Dr. Stuxberg und Leutnant Nordqvist

9. Offiziersspeisesaal

10. Tisch im Offiziersspeisesaal

11. Kajüte für Dr. Almqvist

12. Kajüte für Dr. Kjellman

13. Kamin

14. Kajüte für Kapitän Palander

15. Kajüte für Prof. Nordenskiöld

16. Korridor (Niedergang zum Offiziersspeisesaal)

17. Kohlenbehälter

18. Dampfkessel

19. Vorratsraum im Zwischendeck


26. Bibliothekskajüte

27. Speisekammer f. die Offiziersmesse

28. Luke zum Proviantraum

29. Luken zu den Kettenkästen

30. Luke zu einem Raum für wissenschaftliche Zwecke

31. Schiffsküche


32. Kojenplätze für die Mannschaft. Doppelte Reihen

33. Kettenbehälter und Vorratsraum

34. Luke zum Kommissvorrat

35. Luke zu der täglichen Ausgabebude

36. Luke zum Tauraum

37. Kegelkoje

38. Vorratsraum für Wasser und Kohlen

39. Maschinenraum

40. Keller


DIE GESCHICHTE DER NORD-OST-PASSAGE

Nordenskiölds Reise durch die Nord-Ost-Passage bildet den krönenden Abschluss unzähliger Versuche, den nördlichen Seeweg zu bezwingen, den Endpunkt vieler Bemühungen, die Durchfahrt von Osten wie von Westen her zu versuchen.

Wann zum ersten Mal Kunde von der Existenz eines nördlichen Seewegs um Asien und Europa herum zu den Seefahrtsnationen drang, ist kaum noch nachzuvollziehen. Bereits 1508 und 1540 zeigen zwei Karten eine nordöstliche Durchfahrt, und Reiseberichte vermitteln schon 1432, wenn auch nur bruchstückhaft, geographische Einzelheiten, die eine Existenz dieser Verbindung andeuten.

Bis dahin hat auch wenig Interesse an Reisen in den hohen Norden bestanden. Die Zeiten der Wikinger, die in kühnen Fahrten schon um das Jahr 1000 den Atlantik überquert und lange vor Kolumbus den Boden Amerikas betreten hatten, waren vergessen. Und auch der Bericht über die Fahrt um das Nordkap im Jahr 875 durch den Normannen Othere, der bis ins Weiße Meer vorstieß, ruhte noch unentdeckt in den Archiven. Ernsthaft richteten die Seefahrer erstmals ihren Blick Ende des 15. Jahrhunderts nach Norden, als durch den Vertrag von Tordesillas die großen Entdeckernationen der damaligen Zeit, die Spanier und die Portugiesen, im Jahr 1494 die außereuropäische Welt unter sich aufteilten und damit Schiffen fremder Nationen der Seeweg zu den Gewürzländern des Ostens versperrten. Sebastian Cabot, der mit seinem Vater Giovanni 1497 Neufundland und Labrador in englischem Auftrag besucht und sich einige Jahre später vergeblich bemüht hatte, einen nordwestlichen Seeweg nach Asien zu finden, veranlasste gegen Ende seines Lebens die erste große Forschungsfahrt in nordöstlicher Richtung. Im Auftrag der zu diesem Zweck gegründeten Gesellschaft der »Merchant Adventurers« verließen am 10. Mai 1553 unter der Leitung von Sir Hugh Willoughby drei Schiffe die Themse. Nur die unter dem Kommando von Richard Chancellor stehende Edward Bonaventure gelangte bis ins Weiße Meer zur Mündung der Dwina und eröffnete damit den Handelsweg zwischen Russland und England. Zwei Jahre später segelte Stephen Burroughs bis nach Nowaja Semlja, wo er bereits zahlreiche russische Fischereifahrzeuge traf. Im Jahr 1580 drangen mit Arthur Pet und Charles Jackman erstmals Westeuropäer bis in das Karische Meer vor.

Während sich die Engländer nun zunehmend der amerikanischen Küste zuwandten und dort ihre Besitzungen gründeten, traten die Holländer die Nachfolge in der Arktisfahrt an. Seit sich diese Handelsnation von spanischer Vorherrschaft befreien konnte, blickte auch dort die Kaufmannschaft mit Interesse und Neid auf die reichen asiatischen Länder und bemühte sich, einen unkontrollierten Seeweg nach China und Japan zu finden. Die Nord-Ost-Passage sollte die Lösung sein. Die Geographen waren überzeugt, dass die hohen Breitengrade um den Nordpol völlig eisfrei wären, und die aufsehenerregenden Funde holländischer Harpunen in Walen, die vor der koreanischen Küste gefangen worden waren, galten als untrügliches Zeichen eines nördlichen, eisfreien Seewegs, da man damals noch davon ausging, dass die Tiere die heißen Äquatorgebiete nicht durchqueren könnten. 1594 verließ die erste holländische Expedition mit vier Schiffen ihre Heimat und kehrte bald mit der optimistischen Nachricht zurück, dass die Karische See völlig eisfrei sei und der Fahrt nach China nichts im Weg stehe. Sogleich wurde eine neue, diesmal mit Handelsgütern beladene Flotte auf den Weg geschickt, die jedoch, vom Eis bedrängt, schon bald abdrehen musste und unverrichteter Dinge wieder nach Holland zurücksegelte. Obwohl sich der Staat nun zurückzog, rüsteten private Kaufleute erneut zwei Schiffe aus, die am 10. Mai 1596 Amsterdam verließen. Steuermann und überragende Persönlichkeit war der erfahrene Willem Barents, der schon auf der ersten Expedition von 1594 das kleine Schiff Der Bote befehligt hatte, damals aber nur bis Nowaja Semlja gekommen war. Auf dem Weg in den Norden entdeckte Barents zunächst die Bären-Insel, wenig später auch Spitzbergen, das allerdings schon früher von den Wikingern besucht worden war. Nahe der Nordspitze von Nowaja Semlja fror das Schiff ein, und die Männer waren gezwungen, als erste Westeuropäer hoch im Norden den Winter zu verbringen. Aus Treibholz errichteten sie ein festes Haus, in dem die Besatzung die arktische Nacht wohlbehalten, wenn auch unter großen Leiden überstand. Erst 1871 wurden das Lager von einem Fischer wiederentdeckt und auch die Aufzeichnungen des kühnen Seefahrers geborgen, der während des langen Rückwegs wahrscheinlich an Skorbut starb.

 

Mit dem Verlust des spanischen Monopols über den südlichen Seeweg nach Ostasien verlor Europa zunächst das Interesse an der Nord-Ost-Passage. Häufig besuchten jetzt jedoch holländische Walfänger die hohen nördlichen Breiten, drangen aber selten bis in die Karische See vor. Nachdem eine Expedition der Briten unter der Führung des unfähigen Kapitäns Wood 1676 erneut vor Nowaja Semlja scheiterte, wurde die Frage nach der Befahrbarkeit der Nord-Ost-Passage erst zweihundert Jahre später durch die österreichische Expedition von 1872 wieder ernsthaft aufgegriffen. Selbst der angesehene deutsche Geograph August Petermann war in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts noch der Ansicht, dass nordöstlich von Nowaja Semlja durch den Einfluss des Golfstroms ständig freies Wasser herrsche, eine Meinung, die auch Nordenskiöld lange Zeit vertrat. Das österreichische Forschungsschiff Tegetthoff fror 1873 jedoch ein und driftete nach Nordosten, wobei Franz-Joseph-Land entdeckt wurde. Einige Jahre später ging hier auch die Privatjacht des Briten Leigh-Smith im Eis verloren, der Nordenskiöld bei der Überwinterung auf Spitzbergen zu Hilfe gekommen war.

Die Suche nach der Durchfahrt wurde nicht nur von Westen, von Europa her, in Angriff genommen, auch vom Pazifik aus versuchten die Seefahrer, in die Bering-Straße einzudringen. Die Kolonisierung Sibiriens von Petersburg aus brachte es mit sich, dass hier vor allem die Russen eine führende Rolle spielten, nachdem sie von der Landseite her die großen Ströme Lena und Kolyma erreicht hatten. Im Jahr 1648 segelte der Kosak Simeon Deschnew mit mehreren Fahrzeugen den Kolyma abwärts in das Eismeer und wandte sich dann nach Osten, um als Erster das heute nach ihm benannte Kap zu umrunden und durch die Bering-Straße in den Pazifik zu gelangen, wo er sich am Anadyr niederließ. Die über dreitausend Kilometer lange Reise des Kosaken ist allerdings mit vielen Fragezeichen behaftet, ist es doch nicht erwiesen, ob er nicht weite Strecken auf dem Landweg zurückgelegt hatte. Als Forschungsfahrt im eigentlichen Sinn kann erst die »Große Nordische Expedition« von 1734–1742 gesehen werden. Die Leitung wurde dem in Russland ansässigen Dänen Vitus Bering übertragen, der bereits 1728, ohne es zu wissen, die Bering-Straße in dichtem Nebel durchsegelt hatte, ehe er auf 67° 18' umkehrte, um nicht vom Winter überrascht zu werden. Die Aufgabe bestand darin, die gesamte Küste zwischen Archangelsk bis nach Anadyr zu vermessen und zu erforschen. Zwar ist Berings Schicksal in die Annalen der Arktisforschung eingegangen, aber auch die Führer der anderen Schiffe, wie Owtsin, Laptew und Tscheljuskin, der als Erster am 17. Mai 1742 die nach ihm benannte nördlichste Spitze des Festlands erreichte, haben unmenschliche Strapazen bei der Erforschung der sibirischen Küste auf sich genommen. Im Dezember 1741 ist Bering nach der Strandung seines Schiffs St. Peter auf der Insel Awatscha, die nun den Namen des Forschers trägt, gestorben. Erst 1749 war das ehrgeizige Vorhaben der Erkundung des östlichen Sibiriens abgeschlossen, trotz aller Bemühungen aber noch immer nicht die Frage geklärt, ob Asien und Amerika zusammenhingen. Erst James Cook hatte mit der Resolution auf seiner letzten Reise im Jahr 1778 das Glück, bei klarer Sicht in die Bering-Straße einzulaufen und damit dieses letzte Rätsel um die Nord-Ost-Passage zu lösen.

Nordenskiöld betrat mit seiner Reise somit keineswegs unerforschtes Neuland, aber es gelang ihm als Erstem, die Passage in ihrer ganzen Länge zu befahren, eine Leistung, die auch aus heutiger Sicht zu den großen Forschungsfahrten zählt. Denn selbst im Zeitalter moderner Schiffe und starker Maschinen ist die Durchquerung der Nord-Ost-Passage noch heute ein riskantes Unternehmen und nur mit Unterstützung starker Eisbrecher zu bewerkstelligen.

DIE NORD-OST-PASSAGE HEUTE

Obwohl die Sowjetunion alle Anstrengungen unternahm, das mit Bodenschätzen reich ausgestattete Sibirien zu entwickeln, geht die Besiedlung der riesigen Region infolge des unwirtlichen Klimas nur langsam vonstatten. Als Leitlinie der Erschließung dient dabei jedoch nicht der nördliche Seeweg, sondern der Schienenstrang der transkontinentalen Eisenbahnen, denn nur er gewährleistet auch im tiefsten Winter eine sichere Verbindung mit den Industriezentren im Süden des Landes. Nicht von ungefähr liegen über die Hälfte aller Städte mit mehr als hunderttausend Einwohnern an der Transsibirischen Bahnlinie. Die bisher noch seltenen größeren Siedlungen nahe der Küste, wie Norilsk unweit der Jenissej-Mündung, verdanken ihre Existenz ausschließlich Bodenschätzen, die keine Transportprobleme aufwerfen, darunter Buntmetalle und vor allem Erdöl und Erdgas, das durch Pipelines abtransportiert wird. Durch das langsame, aber stetige Vordringen der Siedlungsgrenze in Richtung auf die Küsten des Polarmeeres gewinnt die Versorgung über See zunehmende Bedeutung. Dennoch ist die Seefahrt auch hundert Jahre nach Nordenskiölds denkwürdiger Reise noch immer ein höchst risikoreiches Unternehmen. Trotz moderner eisgehender Schiffe und riesiger atomgetriebener Eisbrecher treten durch plötzlichen Wetterwechsel immer wieder bedrohliche Situationen auf, in denen ganze Konvois vom Eis eingeschlossen werden und aus der Luft versorgt werden müssen. Den größten Teil des Jahres muss die Seefahrt eingestellt werden, sodass die Bedeutung der Nord-Ost-Passage in dem Maß abnehmen wird, in dem die Erschließung der binnenländischen Infrastruktur durch die Ausweitung des Bahn- und Straßennetzes Fortschritte macht.

DAS REISEWERK

In der großen Zeit der Forschungsreisen, besonders zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert, war es üblich, dass die Ergebnisse der Expeditionen nicht nur in wissenschaftlichen Publikationen ihren Niederschlag fanden, sondern zumeist auch in Form eines Reisetagebuchs der Allgemeinheit zugänglich gemacht wurden, die in jener Zeit großen Anteil an der Erkundung der Erde nahm.

So war es auch für Nordenskiöld nach seiner Rückkehr selbstverständlich, seine Erlebnisse mit der Vega möglichst schnell auf den Markt zu bringen. Bereits am 9. Juli 1881 lag der erste Band vor, knapp drei Monate später der zweite. Im Jahr 1882 erschien auch die deutsche Übersetzung bei Brockhaus, auf die bei der Bearbeitung zurückgegriffen wurde. Das Reisewerk, das heute zu den gesuchten Raritäten zählt, zeichnet sich durch eine überaus umfangreiche Illustration aus: Fünfhundert Stahlstiche und neunzehn Karten begleiten den Text. Da die Bände zusammen fast eintausend Seiten enthalten, war es nicht immer leicht, die richtige Auswahl zu treffen, ohne die Aussagekraft einzuschränken.

Da Nordenskiöld durch seine enge Beziehung zur Geschichte und aufgrund seiner umfangreichen Sammlung historischer Reisebeschreibungen immer wieder historische Rückblicke auf die Erforschung der von ihm bereisten Regionen einflocht, bot sich hier noch am ehesten die Möglichkeit zur Kürzung. Die Geschichte der Nord-Ost-Passage wurde stattdessen in einer kurzen Zusammenfassung in die Einleitung übernommen. Auch die zahlreichen naturwissenschaftlichen Ausführungen, insbesondere über Flora, Fauna und Geologie, erfuhren eine Kürzung. Die Schreibweise der Namen wurde, soweit möglich, aktualisiert, die uns manchmal etwas »verschnörkelt« klingende Ausdrucksweise jedoch unter Beachtung zeitgemäßer Rechtschreibregeln beibehalten, um dem Werk nicht seine Authentizität zu nehmen. Die in eckige Klammern gesetzten Anmerkungen bzw. Ortsnamen in moderner Schreibweise sind vom Herausgeber eingefügt, eventuell unklare Begriffe sind in einem Glossar am Ende des Buches erläutert.

Hans-Joachim Aubert

AUFBRUCH INS UNBEKANNTE

Am 21. Juli war die ganze Ausrüstung der Vega an Bord, ihre Mannschaft vollzählig und alles zur Abfahrt bereit, und an demselben Tage um 2 Uhr 15 Min. nachmittags lichteten wir den Anker und traten unter lebhaften Hurrarufen einer zahlreichen am Strand versammelten Volksmenge in vollem Ernst unsere Eismeerfahrt an.

Nachdem wir Tromsö verlassen hatten, steuerten wir anfangs innerhalb der Schären nach der Insel Masö, in deren Hafen die Vega einen Aufenthalt von einigen Stunden nehmen sollte, um Briefe auf dem dortigen Postbüro, wahrscheinlich der nördlichsten Poststation der Welt, abzugeben. Während dieser Zeit erhob sich aber ein so heftiger Nordwestwind, dass wir drei Tage lang dort aufgehalten wurden.

Masö ist eine kleine, unter 71° nördl. Br., nur zweiunddreißig Kilometer südwestlich vom Nordkap, in einer fischreichen Gegend etwa in der Mitte zwischen dem Bred- und dem Magerö-Sund gelegene Felseninsel. An der östlichen Küste der Insel liegt zwischen den Felsen eine kleine Bucht, welche einen wohlgeschützten Hafen bildet. Fischfang und Hafen haben dem kleinen Ort auf dieser Insel eine gewisse Bedeutung gegeben und ihn zu einem der höchsten Außenposten nach dem Norden hin gemacht. Hier, in einer Entfernung von nur wenigen Kilometern von der Nordspitze Europas, gibt es außer zahlreichen Fischerhütten auch eine Kirche, einen Handelsladen, ein Postbüro, ein Krankenhaus usw., und ich brauche wenigstens für diejenigen, welche das nördlichste Norwegen bereist haben, wohl kaum hinzuzufügen, dass man hier auch verschiedene gastfreundliche Familien findet, in deren Kreis wir manche Stunde unseres unfreiwilligen Aufenthalts in dieser Gegend recht angenehm verplaudert haben. Die Einwohner des Ortes leben natürlich nur von Fischfang, da jeder Ackerbau hier unmöglich ist. Zwar haben Kartoffeln manchmal eine reichliche Ernte auf der nahegelegenen Insel Ingö gegeben, indessen misslingt ihr Anbau meistens infolge der Kürze des dortigen Sommers. Von wilden Beeren trifft man Preiselbeeren, jedoch nur in so geringer Menge, dass man nur selten ein oder zwei Liter einsammeln kann; Heidelbeeren kommen etwas reichlicher vor, und die norwegische Multbeere (eine kriechende Himbeerart), die Traube des Nordens, findet sich sogar außerordentlich reichlich.

In der Nachbarschaft des Nordkaps erstreckt sich der Wald jetzt nicht mehr bis an die Küste des Eismeers selbst, aber an geschützten, eine kurze Strecke innerhalb des Meeresbandes gelegenen Stellen trifft man schon vier bis fünf Meter hohe Birken.

Das Klima von Masö zeichnet sich nicht durch besonders strenge Winterkälte aus, aber die Luft ist beinahe das ganze Jahr hindurch rau und feucht. Die Gegend soll jedoch ganz gesund sein, bis auf den Umstand, dass der Skorbut, besonders während feuchter Winter, die ganze Bevölkerung heimsucht, sowohl die Gebildeten wie die Ungebildeten, die Reichen wie die Armen und alte Leute wie Kinder. Nach Angaben einer im Orte wohnenden Frau wird sehr schwerer Skorbut mittels eingemachter Multbeeren mit Rum geheilt. Ich führe diese Art der Anwendung der Multbeeren, dieses alten, wohlbekannten Heilmittels gegen den Skorbut, hier deshalb an, weil ich überzeugt bin, dass diejenigen zukünftigen Polarexpeditionen, welche hieraus eine Lehre ziehen wollen, finden werden, dass dieses Mittel wesentlich zur Gesundheit und zum Wohlbefinden aller Leute an Bord beiträgt.

 

Zu dem Plan dieses Werkes gehört es ebenfalls, allmählich, je nachdem, wie die Vega vorwärtskommt, einen kurz gefassten Bericht über die Fahrten derjenigen Männer zu geben, welche den Weg, den dieselbe betritt, zuerst eröffnet und demnach in ihrer Weise zur Vorbereitung der Fahrt beigetragen haben, durch welche die Umseglung Asiens und Europas endlich vollbracht worden ist. In dieser Beziehung ist es meine Pflicht, zunächst über die Entdeckungsreise zu berichten, während welcher die Nordspitze Europas zum ersten Mal umsegelt wurde, und zwar besonders deshalb, weil der Bericht über diese Reise außerdem noch dadurch großes Interesse erweckt, dass er viele merkwürdige Aufklärungen über die frühen Bevölkerungsverhältnisse des nördlichen Skandinavien enthält.

Diese Reise wurde vor ungefähr einem Jahrtausend von einem Norweger Othere aus Halogaland oder Helgeland (die zwischen 65° und 66° liegende Küstenstrecke Norwegens) ausgeführt. Derselbe scheint weite Reisen gemacht zu haben, und auf seinen Irrfahrten kam er auch an den Hof des berühmten englischen Königs Alfred der Große. Diesem König gab er eine in einfachen, klaren Worten abgefasste Schilderung seiner Seereise, welche er von seiner Heimat aus nach Norden und Osten hin unternommen hatte.

Aus Otheres Bericht geht hervor, dass er eine wirkliche Entdeckungsreise unternommen hatte, um die nach Nordost gelegenen unbekannten Länder und Meere kennenzulernen. Diese Fahrt wurde deshalb auch besonders erfolgreich, weil während derselben der nördliche Teil Europas zum ersten Mal umsegelt wurde. Ebenso dürfte es keinem Zweifel unterworfen sein, dass Othere während dieser Fahrten bis an die Mündung der Dwina oder wenigsten des Mesenflusses vorgedrungen war. Die Erzählung lehrt uns auch, dass das nördlichste Skandinavien, wenn auch dünn, dennoch von Lappländern bewohnt war, welche ein Leben führten, das sich nicht besonders von der Lebensart unterschied, welche sie noch jetzt an der Küste führen.