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Eure Wege sind nicht meine Wege

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Habt ihr euch gezankt? frug er seinen Sohn.

O, dieser Eigensinn! seufzte Otto und schlug die Augen zur Decke auf, als rufe er den Himmel an zum Zeugen seiner mißhandelten Geduld.

Graf Hoheneck lachte über sein jämmerliches Gesicht und auch sein Vater hielt Alles für eine harmlose geschwisterliche Zänkerei.

Wie Louis, ging nun auch Leonie mit sich zu Rathe über die möglichen Eventualitäten, welchen sie durch ihre Liebe ausgesetzt war. Mit Otto hatte sie so ziemlich ihren Zweck erreicht. Der gute Junge fühlte, daß er ihr nicht gewachsen sei, aber wenn auch nicht jeder Zweifel in ihm erloschen war, konnte er an solche Verstellung glauben, in einem so jungen Geschöpf? Sein offenes unerfahrenes Herz erkannte es als eine Unmöglichkeit, und dennoch war er nicht überzeugt. Aber Otto war, wie wir wissen, in ihren Befürchtungen bei weitem nicht die Hauptperson, ihr Vater nahm darin die wichtigste Stelle ein. Was sollte sie thun, wenn sein Argwohn geweckt wurde? Und wie leicht konnte das nicht geschehen! Was würde er thun, der Alles zu thun im Stande war, der kein Erbarmen kannte, wäre sie in seiner Gewalt? Ja, freilich, wäre – aber sie war es nicht!

Der Gedanke, ihrem Vater die Stirn zu bieten und im offenen Kampfe gegen ihn aufzutreten, wenn es nicht anders sein konnte, stand zum ersten Male deutlich, klar, und entschlossen vor ihrem Geist. Hatte sie darum von allen Freuden der Jugend und der Liebe abgesehen, einen Mann geheirathet, der ihrer Jugend gegenüber fast ein Greis erschien, und diesem Manne ein Glück bereitet, wie weit und breit es in keiner anderen Ehe zu finden war, – bloß darum, daß sie noch zittern sollte vor einer außer ihm stehenden Gewalt?

Sie sann hin und her und ging dabei im Zimmer auf und ab, bald stehen bleibend, bald schneller gehend, wie der Lauf ihrer Gedanken sie trieb. Vor offenbarer Gewalt war sie wohl geschützt, was sie treffen sollte, mußte von ihrem Manne ausgehen. Was würde also ihr Vater thun? sie anklagen bei ihrem Manne?

Ja, wenn er Beweise hätte, sagte sie mit einem spöttischen Zuge um den Mund, aber wo findet er die? Und selbst wenn er Beweise hätte, würde er so weit gehen, das Glück meines Mannes zu zerstören? – schwerlich – aber wenn auch – mein Mann muß mir glauben! setzte sie laut hinzu.

Sie wurde immer heimischer auf dieser entschieden höheren Stufe, die sie so plötzlich erstiegen, und sah sich nun die Welt von dort oben mit einem freieren Blicke an. Ihr Mann hielt gar viel auf ihren Vater, hundertmal hatte er ihn Leonien gepriesen als das Muster eines Edelmannes in jeder Beziehung. Sie hatte geschwiegen dazu oder sogar geschienen auf sein Lob einzugehen. Das mußte anders werden, das war klar. Jene erste Achtung nach und nach in Mißtrauen zu verwandeln – ja in Abneigung, wie es sich gerade fügen würde, war denn das gar so schwer? Nur die Gelegenheit dazu – und würde die Gelegenheit nicht sehr leicht zu finden sein? Beruhigt spann sie den Faden der Möglichkeit weiter aus. Was würde ihr Vater thun, wenn auf diese Weise ihr nicht beizukommen war? – Ein Duell? Mit einem Greise schlüge sich Louis nicht! und Otto? der war ja ihres Vaters Schooßkind. Ein verächtliches Lächeln zog hier um den süßen, kindlichen Mund – den würde ihr Vater selbst hüten vor Gefahr.

Einige Tage vergingen, Otto war zu einer Jagdpartie gefahren. Graf Hoheneck sollte bei einer Cabinetsberathung sein, die ihn wahrscheinlich den ganzen Vormittag festhalten würde; da erschien er schon am frühen Morgen unerwartet bei dem Marquis.

Es ist eine eigene Sache, die sich immer wiederholt, daß eine schuldbeladene Seele stets glaubt, was ihr selbst so viel Unruhe mache, könne unmöglich für Andere ein Geheimniß sein. Louis erblaßte, als er seinen für ihn so unheimlichen Besuch in das Zimmer treten sah. Aber Niemand konnte ruhiger und gelassener sein, als der Graf.

Meine Frau behauptet, sagte er, Sie hätten ihr schon vor langer Zeit einige Lieder versprochen, hätten aber aus ungalanter Zerstreutheit Ihr Versprechen bis jetzt nicht erfüllt; da hat sie mir aufgetragen Ihr Gedächtniß aufzufrischen, und weil ich so des Weges gehe, habe ich es für besser gefunden, zu einer Stunde zu kommen, wo Sie noch nicht ausgeflogen sind. Sie wissen, Damen muß man den Willen thun, und so werden Sie gewiß die frühe Störung verzeihen.

Der junge Mann war in den letzten Tagen hundertmal auf dem Sprunge gewesen, Leonieʼs Verbot zu brechen und dennoch zu ihr zu gehen. Nun ihm die Gelegenheit so leicht gegeben war, versagte ihm plötzlich aller Muth. Es war ihm so unbegreiflich, daß Der, welcher doch zunächst davon betroffen wurde, von Leonieʼs Erkalten so gar nichts zu bemerken schien.

Die Gräfin soll mir verzeihen, erwiderte er, ich schicke die Lieder ganz gewiß heute noch.

Haben Sie die Güte, erwiderte verbindlich der Graf; vielleicht können Sie selbst auf einen Augenblick hinaufgehen? Die Gräfin war neulich etwas unartig gegen Sie – man muß ihr das verzeihen – sie ist noch so jung! Uebrigens bereut sie es auch gleich und fürchtet nun, Sie könnten beleidigt sein.

O das hat nichts zu sagen, stammelte Louis in wachsender Verlegenheit.

Also, sans rancune! wie Ihre Landsleute sagen, schloß der Graf, und der Marquis begleitete ihn hinaus.

Gott, ist es möglich? rief Louis, als er zurückkam. Wäre ich Leonieʼs Mann, von welcher Wichtigkeit würde jede Regung ihres Herzens für mich sein!

Sonderbar! aus dem Vertrauen des Grafen in seine Frau, zog er den kühnen Schluß, wie unwerth einer solchen Frau dieser Mann sei.

Er sammelte seine Notenhefte und stieg bald daraus mit ungeduldiger Freude die Treppe zu Leonieʼs Wohnung hinauf. Die Falschheit, die ihn zu ihr führte, schien ihm weit weniger verwerflich zu sein, als jene, die ihn von ihr entfernt hielt. Sie stand am Fenster und erwartete ihn. Ihre erste Bewegung war, ihm entgegen zu springen, doch mitten im Zimmer blieb sie durch eine plötzliche Eingebung stehen: sie hatte sich nicht umsonst so reizend gemacht! Der helle Sonnenschein spielte um sie und malte hinter ihr einen warmen, goldigen Grund, wie zu einem byzantinischen Gemälde. Da war kein Fältchen an ihrer Kleidung, keine Locke ihres herrlichen Haares, die nicht dazu diente, ihre unbeschreibliche Anmuth noch zu erhöhen. Glückselig und hold lächelte sie ihm entgegen, als er endlich über die Schwelle trat.

Sind Sie zufrieden? Habe ich es diesmal recht gemacht?

Er schloß sie an sich; es war unmöglich, ihr zu widerstehen. Sie lächelte und wollte sich losmachen, doch er hielt sie fest und zog sie zu sich nieder, indem er sich setzte.

Habe ich es recht gemacht? wiederholte sie mit der lieblichen Einfachheit eines Kindes.

Er sah sie mit leuchtenden Augen an.

Es sollte immer so sein, sagte er.

Doch ist es süß, wann immer es auch ist!

Er schwieg, sie lehnte den Kopf an seine Schulter und sah unter den langen Wimpern zärtlich und neckisch zu ihm auf.

Undankbarer! sagte sie, mit dem Finger drohend.

Du weißt nicht, was es für einen Mann heißt, das Weib, das er liebt, im Besitz eines Andern zu sehen, versetzte er fast düster und strich ihr die goldig glänzenden Haare aus der Stirn, während er tief in die dunklen, strahlenden Augen sah.

Aber ein Ehemann ist ja doch eine Person, der man einige Rücksicht schuldig ist, sagte sie mit angenommener Gravität.

Wäre das Liebe, die sich solcher Rücksicht fügte?

Ihr Lächeln war bezaubernd, und sie legte den Kopf, den sie so eben erhoben, von Neuem an seine Brust.

Aber nur dich liebʼ ich ja, und du weißt es wohl, sagte sie.

Er fing die Worte auf ihren Lippen auf.

O, sag es wieder, flehte er.

Mein Louis, mein Glück, meine einzige, erste, letzte, süße, selige Liebe! flüsterte sie.

Und dein Mann?

Sei still; ich liebe ja den Grafen nicht.

Du hast ihn doch geliebt?

Sie schüttelte in lächelnder Verneinung den Kopf.

Nur dich habe ich geliebt, vom ersten Augenblicke, wo ich dich sah.

Aber Louis stieß sie fast mit Heftigkeit zurück.

O, warum hast du ihn dann geheirathet? frug er in zornigem Schmerz. Leonie! das hätte Marie nicht gethan!

Sie schnellte in die Höhe, als habe eine Schlange sie gestochen.

Louis! rief sie laut. Sie war blaß, ihre Augen blitzten im wilden Feuer, ihre Lippen zuckten, und die kleinen Hände ballten sich krampfhaft zusammen. Louis! sie mit erstickter Stimme. Ihr ganzer Körper bebte, sie wandte sich ab und brach in Thränen aus.

Er sprang auf und eilte zu ihr. Ihre Heftigkeit hatte ihn erschreckt, ihr Schmerz verscheuchte jedes andere Bedenken. Leonie! bat er flehend, er zog die Widerstrebende an sich und lösʼte fast mit Gewalt ihre Hände von dem abgewendeten Gesicht. Meine Leonie, sieh mich an – verzeihe mir! Er küßte mit bebenden Lippen die Wimpern, an denen noch die warmen Thränen hingen. Meine Leonie! flüsterte er dazwischen, mein einziges, liebstes, theuerstes Gut!

Warum reden Sie denn so, Herr Marquis? frug sie und sah mit mattem Lächeln zu ihm auf, während sie sich müde in seine Arme sinken ließ.

Er faßte ihren Kopf mit beiden Händen, hob ihr Gesicht empor und sah ihr tief in die feuchten, für ihn so himmlisch schönen Augen.

Warum ich frage? erwiderte er, und die Adern auf seiner Stirne schwollen hoch an in dem Schmerz und Ernst seiner Empfindung, – o, Leonie, du liebes, sündiges, herrliches, schwaches Weib! Fühlst du denn nicht, daß du mein Glück, dein Glück, unser Beider Glück unrettbar zerstört hast? Fühlst du denn nicht die Qual, die mich befällt, wenn ich sehen muß, wie jedes heilige Recht an dich schon vor mir von einem Anderen hingenommen ist? Kann ich die Theilung ertragen, die dich herabwürdigt und meinen Durst nach dir doch nicht löschen kann? Diese wonnigen Lippen, diese Augen, die einen Engel berücken könnten, sind sie nicht mein, und mein allein, da du mich liebst? was hast du aus dir, was hast du aus mir gemacht? Fühlst du denn gar nicht, was du mir bist? Kannst du diese Verstellung ertragen, wenn ich dabei zu Grunde gehe? O diese Verstellung! Fühlst du denn nicht, daß sie die Schande unserer Liebe ist?

 

Sie sah nieder und erbleichte – sie fürchtete sich vor ihm!

Wir haben ja bis jetzt kein so großes Unrecht begangen, sagte sie sehr still.

Nicht? rief er in wildem Hohne. Er ließ sie los und ging mit stürmischen Schritten auf und ab. Nun ja, rief er endlich sich bezähmend und vor ihr stehen bleibend, aber wird es denn immer so bleiben?

Ich denke – ja – vielleicht – wenn Sie vernünftig sind, sagte sie leise mit noch immer niedergeschlagenen Augen.

Er lachte zornig und nahm seinen heftigen Gang wieder auf.

Was fange ich an? dachte Leonie; wenn mein Mann kommt, sind wir Beide verloren. Sie sann hin und her, was sie thun könne, ihn zu zerstreuen; aber sie hatte nicht den Muth, nur von der Stelle zu gehen. Der Löwe, denn sie gezähmt zu haben glaubte, wandte sich plötzlich gegen sie und drohte sie bei dem geringsten Zeichen von Widerstand, zu zerreißen.

Endlich legte sich der Sturm in seinem Innern von selbst. Er blieb von Neuem stehen und faßte ihre Hand. Nein, Leonie, sagte er, es kann nicht immer so bleiben. Ich bin ein Mensch und werde mich nicht immer mit dem begnügen, was höchstens für einen Heiligen vielleicht genug sein mag. – Die letzten Worte betonte er mit bitterer Ironie. Aber höre, fuhr er fort und legte den Arm innig um ihren Leib, wir sind noch nicht verloren, wenn du nur Muth und Aufopferung genug hast.

Sie blickte fragend zu ihm auf.

Liebst du mich? frug er, über sie gebeugt.

O Louis! flüsterte sie vorwurfsvoll.

Wie ich dich liebe—mehr als die ganze übrige Welt?

Wärest du sonst hier?

Nun gut, so laß uns fliehen! – Er fühlte, wie sie in seinen Armen zusammenschrak. Du sollst an nichts Mangel leiden, fuhr er leidenschaftlich fort. Was ich von meinem väterlichen Vermögen gerettet habe, ist nicht viel, aber für das Nöthigste ist es doch genug. Und ich werde arbeiten, rief er heftig, als er sah, daß sie den Mund öffnete zum Widerspruch. Arbeiten für dich, ist das nicht eine Seligkeit? Das Unmögliche kann ich thun, wenn du bei mir bist. Drüben in einem fremden Welttheile herrschen die thörichten Vorurtheile nicht, die uns hier von allen Seiten umklammern. Den Namen meines Vaters lasse ich hier zurück – nur ein glücklicher Mensch will ich sein, der dort in dir seine ganze Seligkeit in die Anne schließt. Leonie, mein Leben, meine Seele, mein süßes, liebes Weib! Sage, ist das nicht mehr werth, als all der Tand und Flitter, den man hier mit dem Namen Glück benennt?

Aber die Welt – deine Stellung – deine Ehre – stammelte sie, während der glühende Hauch seiner Leidenschaft sie unwiderstehlich gefangen nahm.

Du bist meine Welt, meine Ehre, mein Glück, sagte er, Alles bist du mir! Meiner Seele Seligkeit gäbe ich hin für dich! O sage, daß du mich liebst, daß du mir folgen willst, wohin es auch sei!

Wie du willst, was du willst, sagte sie halb bewußtlos, seinen Liebkosungen fast erliegend.

Engel! Meine Mutter mag es mir verzeihen, wenn ich eine Sünde begehe; aber ich verzichte gern auf den Himmel, der ihr Wohnsitz ist, wenn ich nur dich ganz und allein besitzen kann!

Sie schwieg. Seine Seele stieg in einem stummen Gebete des Dankes zu demselben Himmel auf, dem er so eben entsagt, denn die höchste Freude hat überall nur Eine Sprache.

O, dachte Leonie, die Liebe ist süß! Louis, mein Louis, ja, ich liebe dich! Sterben wäre besser, als dir zu entsagen – aber warum alles Andere opfern? – Können wir nicht auch ohne das glücklich sein?

Die Hausglocke ertönte. Leonie fuhr horchend aus Louisʼ Armen auf.

Es ist ein Besuch, sagte sie, gleich wird man hier sein. – Und sie setzte sich an das Klavier.

Laß dich verleugnen, erwiderte er, ungehalten über die Störung.

Das kann ich nicht, was würden meine Leute sagen? versetzte sie, im Grunde froh, das gefährliche Gespräch beendet zu sehen.

Wie wäre es, Herr Marquis, wenn Sie Ihre Stirn zu einiger Freundlichkeit zwingen wollten, die Leute laufen mir sonst davon? sagte sie scherzend zu Louis, der in mürrischer Verstimmung mitten im Zimmer stand.

Der rasche Wechsel ihrer Laune hatte ihn außerordentlich peinlich berührt. Ich werde gehen, erwiderte er. Sie wandte sich schmollend um. Als er auf der Schwelle war, blickten Beide nach einander um. Meine Leonie, verzeihe nur! rief er ihr zu.

Mein Louis! war Alles, was sie sagte, aber ihre ganze Liebe klang voll in dem Tone. Sie warf ihm einen Kuß nach, als er unter der Thüre verschwand.

O, sagte sie, Otto hat Recht, ich darf ihn nicht wieder unter vier Augen sehen. Wo käme ich hin bei solcher Leidenschaft!

Und doch war sie glücklich, wie sie es noch nie gewesen war. Wie von einem Glorienschein umflossen, strahlte ihr ganzes Wesen von Lieblichkeit, und ihr Besuch, ein alter General, fühlte sein erkaltetes Herz neu aufleben unter dem erwärmenden Hauche dieser unwiderstehlichen Anmuth.

Fast unmittelbar darauf trat ihr Vater ein und blieb betroffen vor ihr stehen.

Ich mache eben die Bemerkung, daß ich die Gräfin noch nie so reizend gesehen! sagte der General. Der alte Graf nickte zustimmend, doch sprach er nicht. Er setzte sich, sein Blick streifte noch einmal seine Tochter und irrte dann wie suchend im Zimmer umher.

Eine Blume, welche die Gräfin im Haare oder an der Brust gehabt, lag welk und zerknickt auf dem Teppich. Bei dieser Blume blieben seine Gedanken stehen. Er bückte sich danach, hob sie auf, zog die zerdrückten Blätter auseinander und blickte in den verwüsteten Kelch, als wolle er darin das Geheimniß lesen, dessen leise Spur ihm mehr in einem Traume zu schweben, als in der Wirklichkeit zu bestehen schien.

Was hatte ihn heute an seiner Tochter überrascht? Ein scheinbares Nichts, ein Etwas, unbestimmt und unfaßbar wie die Luft, dem er vergebens durch Worte eine bestimmte Gestalt zu geben rang, und das doch wie ein dunkler Schatten über dem schimmernden Haupte stand. Es war Etwas, das ihn an ihre Mutter erinnerte. Und wie er jetzt in den kleinen, verwelkten Kelch dieser Blume sah, war es das Bild dieser Mutter, welches ihm zu entsteigen schien, schön und blühend, wie er sie in früheren Jahren gesehen, als sie noch die Freude seines Herzens war, – aber mit einem spöttischen Zuge um den Mund. Kleine Eigenthümlichkeiten an ihr, wie deren jeder Mensch hat, suchte jetzt sein Gedächtniß aus der Vergangenheit hervor. Auch sie hatte Blumen geliebt, zwar nie mit der sybaritischen Weichlichkeit, welche Leonie in ihre Neigungen brachte, wie denn jede Neigung sich je nach den Menschen verschieden äußert, aber mit Blumen sich zu umgeben war doch eine Gewohnheit ihres Lebens gewesen, und der Graf erinnerte sich, wie vor und nach Leonieʼs Geburt diese Neigung auffallend zugenommen, und wie man ihm das Kind, über das er damals Thränen der Freude geweint, auf ihren Befehl und gegen das Verbot der Wärterin, zuerst in einem mit Blumen bekränzten Bettchen gezeigt.

Hier verließen seine Gedanken die Mutter, um auf etwas Anderes überzugehen.

Hast du den Marquis lange nicht gesehen? frug er und blickte zu der Gräfin auf.

Der General hatte sich entfernt, Leonie stand am Kamine, den schönen Arm auf die kostbare Marmorplatte gelegt, den Blick auf die züngelnde Flamme gesenkt. Die Hand, die den Fächer hielt, hing nachlässig an ihrer Seite herab. Die feinen Augenbrauen waren leicht zusammengezogen, die zarten Lippen fest auf einander gepreßt, und das Blut, das vor wenigen Minuten die durchsichtigen Wangen lebhafter als sonst gefärbt, war einer leichten Blässe gewichen. Er konnte die langen Wimpern sehen, die sich ein wenig senkten vor der Glut, die sie traf, die aber niemals den festen Blick ganz verschleierten. Muth, Ueberlegung, vielleicht ein gewisser Grad von Tücke war in den feinen, beweglichen Zügen ausgedrückt. Sie sah ihrer Mutter nicht mehr ähnlich, doch fühlte der Graf sich beunruhigt, er wußte nicht warum.

Was war es, worüber die junge Gräfin in solches Grübeln versank, daß sie darüber sogar vergaß, ihre Züge wie gewöhnlich zu beherrschen? Auch sie gedachte ihrer Mutter. Es mußte eine eigenthümliche, magnetische Beziehung zwischen diesen zwei Menschen bestehen, die von der Natur einander so nahegestellt, sich nun gegenüberstanden wie zwei Feinde, von denen jeder mißtrauisch eine Blöße in des Anderen Rüstung zu entdecken sucht.

Die Stunde des Kampfes muß wohl nahe sein, dachte sie, während sie so regungslos unter seiner Beobachtung stand. Aber nicht mit der Sicherheit, die sie vor einigen Tagen erfüllte, überzählte sie die Kräfte, die ihr gegen die eiserne Macht zur Verfügung standen, die sie von Kindheit an fürchten gelernt, und über welche sie jetzt siegen mußte, wollte sie dann ungefährdet zu ihrem Ziele gelangen. Die nahende Gefahr hatte ihr gewöhnliches Gefolge von Unschlüssigkeit mit sich gebracht, die erst, wenn diese Gefahr unausweichlich vor ihr stünde, vor dem festen Willen zerstieben würde, der noch schlummernd darunter verborgen lag. Scheu und befangen hatte sie ihren Vater eintreten sehen; wie ein böses Vorzeichen traf es sie, daß er so schnell nach Louisʼ Weggehen wie durch eine Ahnung zu ihr gezogen ward, und ihre Befangenheit nahm zu, je tiefer der Graf in seine Gedanken versank. Ein Theil ihres Lebens schien sich verrätherisch jener Blume mitzutheilen, die er in den Händen hielt, die sie nicht wegzunehmen wagte, aus Furcht, das Gewitter, das über ihrem Haupte schwebte, mit dieser kleinen Bewegung herabzuziehen. Auch bei ihr zog sich das Leben, das erst so glänzend nach außen gestrahlt, unwiderstehlich in das Innere zurück und beleuchtete dort einen Punkt, von dem ein dunkler, riesenhafter Schatten von Tod und Gefahr trotz aller Willenskraft sich nicht verscheuchen ließ.

O, dachte sie, verließe er nur die Stadt, dann wäre Alles gut.

Bei der Frage ihres Vaters schreckte sie auf.

Nicht doch – sagte sie, unfähig zu erwähnen, daß Louis denselben Morgen dagewesen sei.

Er scheint ein lieber Mensch zu sein.

Mein Mann hat ihn sehr gern.

Du bist eine aufmerksame Frau.

Sie schwieg.

Und bist du glücklich? frug er jetzt, sie voll und scharf ansehend.

Da sollten Sie meinen Mann fragen, lieber Papa, erwiderte sie lächelnd.

Nein, ich frage dich.

Ich hoffe, daß ich nicht aussehe, wie eine unglückliche Frau; es wäre eine große Ungerechtigkeit. Sie lächelte noch immer, doch schlug sie mit einer nervösen Bewegung den Fächer auf und zu.

Er thut Alles für dich?

Sie sehen ja selbst, Papa.

Ja, sagte er, ich sehe – möge es immer so sein!

Da ging die Thür auf, und ihr Mann trat ein. Aber für Leonie war es keine Erleichterung. Sie zwang sich, ihm zuzulächeln, und er trat zu ihr und küßte sie.

Du bist lang ausgeblieben, sagte sie zu ihm mit freundlichem Vorwurf.

Es ging nichts anders, erwiderte er sehr heiter. Uebrigens habe ich deinen Auftrag nicht vergessen, und so bist du in deinem Gewissen beruhigt.

Sie lächelt sanft und berührte mit den Lippen seine Hand, die liebkosend ihre sammtweiche Wange streichelte.

Ha, sagte er, zum Clavier tretend und die Notenhefte besehend, war er vielleicht schon da?

Sie antwortete nicht. Sie war zu ihren Blumen getreten, mit denen sie sich beschäftigte.

Wer? frug ihr Vater jetzt.

Nun, der kleine Marquis, versetzte Hoheneck. Ich war heute bei ihm, ihn an einige Lieder zu mahnen, die er meiner Frau versprochen hatte, und da liegen sie schon. Sie wissen nicht, Papa, wie gern meine Leonie jetzt singt.

Mit einem unbeschreiblichen Blick streifte der Graf seine Tochter; sie stand tief über ihre Blumen gebeugt, allein die Natur war stärker, als ihr Wille, und er sah, wie sie erröthete.

So? versetzte er gedankenvoll. – Es war eine Kleinigkeit, und doch beschäftigte – sie ihn.

Sollte der Marquis von Chanteloup herkommen, sagte er zu dem Bedienten, der ihm in der Vorhalle den Pelz anzog, so sagen Sie ihm doch, es würde mich freuen, ihn einmal bei mir zu sehen.

Der Herr Marquis waren heute schon da, erwiderte der Diener, doch wenn Euer Gnaden wünschen, gehe ich zu ihm hin.

Es ist nicht nöthig, sagte der Graf, indem er in den Wagen stieg.

Schon den folgenden Tag kehrte er zu seiner Tochter zurück. Er fand sie mit ihrem Manne, der vertraulich seine Zeitung neben ihr las.

Nun raucht er mir noch mein Zimmer voll, sagte sie lachend. Alles muß ich mir gefallen lassen, und ich habe nicht einmal den Dank davon, daß er mich unterhält. Sie zupfte ihn neckend am Ohr. Ich bin eifersüchtig auf deine Politik, sagte sie mit schalkhaftem Schmollen.

Hoheneck sah lächelnd zu ihr empor, legte den Arm um sie und zog sie näher an sich. Was für Nachrichten? frug er seinen Schwiegervater.

 

Der alte Graf hatte sich zu ihnen gesetzt. Eine sonderbare wenigstens, antwortete er, der Marquis hat auf meine Verwendung seine Beförderung erhalten, und er schlägt sie aus.

Ei was! meinte Hoheneck.

Leonieʼs Herz pochte laut.

Die Sache ist mir aus vielen Gründen unangenehm – vielleicht will er die Stadt nicht verlassen, fuhr ihr Vater fort, und sein Blick haftete fest auf Leonie. Sie spielte unbefangen mit ihren Armbändern und nahm an dem Gespräche keinen Theil.

Wegen Marie? versetzte Hoheneck. O, da ist Alles aus.

Sind Sie dessen so gewiß?

Man hat es mir versichert. Uebrigens fragen Sie meine Frau, sie hat es übernommen, seine Trösterin zu sein.

Wirklich? bedarf er denn des Trostes so sehr?

Fast scheint es so.

Der beste Trost wäre – abreisen. Uebrigens ist das Trösten ein sonderbares Amt für eine junge, lebenslustige Frau. Der Trost muß von innen kommen, da hilft alles Reden von außen nichts.

Das habe ich Leonie auch gesagt, aber sie glaubt mir nicht. Ich weiß nicht, wo sie die Geduld hernimmt. Mit ihrem guten Herzen kommt sie immer ein wenig der Vernunft in den Weg. Eigentlich fällt dabei das Beste für mich ab. Sie bilden Beide ein musikalisches Duo, das ganz rührend ist. Er versorgt sie mit französischen Liedern, von denen er einen ganzen Vorrath zu haben scheint, und mir singt sie dann die Grillen weg.

Trösten? wiederholte ihr Vater, Unsinn! Was ist Trost? Kannst du ihm für das Glück, das er verloren, ein anderes geben, oder ihm beweisen, daß es kein Verlust sei, was er als solchen empfindet?

Leonie war aufgestanden. Sie fühlte, der Kampf sei da, und sie sammelte ihre Kraft.

Das hieße Entschädigung, erwiderte sie. Trösten heißt nur, einem Menschen das Unglück, das er trägt, weniger fühlbar machen.

Ei was! Mit der Noth kommt auch die Kraft. Es giebt größeres Unglück im Leben, als auf den Besitz des Weibes, das man liebt, verzichten zu müssen – und man stirbt doch nicht daran, setzte er düster hinzu – oder stirbt etwa der Marquis?

Das nicht – aber Theilnahme —

Ein rechter Mann soll auf eigenen Füßen stehen; der ist keiner Theilnahme werth, der ihrer so viel bedarf.

Freilich, warf hier Hoheneck ein; der Marquis ist ein ganz lieber Mensch; wenn ich ihn aber so herumschleichen sehe, wie das böse Gewissen, so fühle ich, daß meine Achtung für ihn auf schwachem Grunde ruht.

Was geht das mich an? sagte Leonie. Ich gebe zu, daß seine Laune nicht die heiterste ist, soll man ihm darum aus dem Wege gehen? Deinetwegen ziehe ich ihn ins Haus – ohne deine Vorliebe für ihn —

Nun, du hast dir diese Vorliebe wohl ein wenig eingeredet – indessen, er ist dein Landsmann, und so mag er in Gottes Namen dir zur Last fallen, solange und so viel es dir gefällt. – Du, weißt, liebes Kind, in solchen Dingen ist dein Wille mir Gesetz.

Wie du dir doch selbst widersprichst! rief sie fast mit Heftigkeit. Hast du mir nicht hundertmal gesagt —

Mein Gott, mein Gott! Ja, ich habe gesagt! Du wolltest mir so gern eine Freude machen, und wie sollte ich da widerstehen? – Uebrigens ist er ja ein ganz angenehmer Mensch. Nur lohnt er mir diese Vorliebe schlecht, setzte er lachend hinzu. Sie müssen wissen, Papa, sagte er erläuternd zu diesem, gestern schickt mich die kleine Hexe zu ihrem sentimentalen Schützling hinauf, angeblich, um ihn an einige Lieder zu erinnern, die er ihr versprochen hatte, eigentlich aber, weil dem guten Ding das Gewissen schlug, daß sie ihn neulich etwas kurz abgefertigt, und ich, als Ehemann, machte den Vermittler. Nun, wenn ein Löwe oder Tiger aus dem Thiergarten zu ihm eingetreten wäre, er hätte ihm kaum ein anderes Gesicht machen können, als mir. Ueberhaupt sieht er mich manchmal so sonderbar an, daß, wenn nicht Leonie meine Frau wäre, man glauben könnte, ich hätte ihm die Braut weggefischt.

So? meinte der alte Graf.

O, dachte Leonie, das ist nicht zu ertragen! Und mein Vater, der jedem Worte wie einer Offenbarung lauscht! Das muß anders werden zwischen uns. – Es ist die höchste Zeit, daß ich auf das sehe, was mich retten kann.

Ich gebe dir den Rath, sagte ihr Vater, bevor er ging, dir einen Zeitvertreib zu suchen, der besser für dein Alter und deine Stellung paßt.

Warum? frug Leonie, deren Kräfte mit der Gefahr wuchsen.

Ich denke, daß du mich verstehst, und ist es nicht der Fall, nun, so habe ich mich eben geirrt. Wenn der Marquis aber wirklich deine Theilnahme erregt, so rathe ihm, die Stadt so bald als möglich zu verlassen; die Luft hier ist sehr gefährlich – und sie könnte es auch für ihn leicht werden, wenn sie es nicht schon ist.

Der Graf begleitete seinen Schwiegervater hinaus. Als er zurückkehrte, war seine Frau nicht mehr im Salon. Leonie dachte, nun sei es Zeit, die Krallen ein wenig zu zeigen, die sie bis jetzt so sorgfältig verborgen gehalten. Sie hatte sich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen, und dort suchte ihr Mann sie auf. Er war nicht wenig überrascht, als er sie hier in Thränen fand.

Was hast du? frug er rasch, was ist geschehen?

Ich habe dirʼs nie geklagt, antwortete sie unter Thränen, ich sah, wie du dich an meinen Vater schloßest, und ich wollte dir das Vergnügen nicht stören, das sein Umgang dir gewährt. Ich habe dir nie gesagt, wie er mir immer abgeneigt war. Ein Stiefkind wird nicht so schlimm gehalten, als ich es bei meinem eigenen Vater war. Otto war sein Söhnchen, sein Liebling – für mich hat er nie ein freundliches Wort gehabt, und doch habe ich ihm gehorcht wie eine Sclavin. Ich habe gedacht, wenn er sehen würde, wie glücklich wir mit einander sind, würde er auch gerechter gegen mich sein – aber nein – und nun du dich mit ihm gegen mich wendest, was soll ich thun, als weinen? Ihr seid die Männer – es ist euch leicht, Recht zu behalten, gegen mich, denn ich bin nur ein schwaches Weib.

Des Grafen Erstaunen stieg immer höher. Es war seine erste Ehestandsscene, und er wußte nicht recht, wie er dazu kam. Was hast du nur? wiederholte er.

Wenn ich Alles thue, was ich dir an den Augen absehen kann, rief sie lauter weinend, wenn ich ganz aufgehe in dem Bestreben, dir dein Haus angenehm zu machen, dann kommst du mir mit solchen Dingen, als dächte ich nur an mich. Für wen lade ich ein, als nur für dich? Deine Freunde sind es, die ich sehe; habe ich jemals verlangt, du sollest irgend Jemand meinetwegen sehen? Die du wähltest, waren mir lieb, weil du sie gewählt. Gieb mir heute die Liste Jener, die du sehen willst, in die Hand, und kein Anderer soll mehr über die Schwelle treten. Was geht mich der Marquis an? Weil du ihn lieb hattest, lud ich ihn ein und nahm Theil an ihm. Nun wird es mir zum Verbrechen gemacht! Schließe ihm morgen deine Thür, du wirst sehen, ob ich mich beklage. Schließe dein Haus ganz, wenn du willst; du wirst sehen, ob ich unzufrieden bin. Alles habe ich für dich ertragen, ich habe nie gemurrt über all die Last und Mühe, die mir das ewige Empfangen macht. Bin ich an ein solches Leben gewöhnt? Gehört nicht mein Haus aller Welt? Wo habe ich eine Häuslichkeit? Aber weil du es wünschtest, war mir Alles recht. Das Unmögliche hätte ich gethan, nur um dich glücklich und froh zu sehen, und was ist mein Lohn? Daß du nun mit meinem Vater gemeine Sache gegen mich machst, damit ich als Frau ebenso unterdrückt werde, wie ich es als junges Mädchen gewesen bin.

Der Graf konnte sich nicht verbergen, daß eine gewisse Animosität in dem Benehmen seines Schwiegervaters gegen die junge Frau gelegen, und er strengte sich vergebens an, ihr zu beweisen, daß dies mehr Scherz als Ernst gewesen sei.

Du hast es nur nicht verstanden, entgegnete sie und zog nun die Krallen vorsichtig wieder ein. Sie lehnte den Kopf an seine Brust und weinte still fort. Du weißt nicht, wie mein Vater ist, sagte sie. Otto ist Alles für ihn, und Otto bildet sich ein, ich hätte bei Marie nicht mein Möglichstes für ihn gethan, weil ich früher den Marquis protegirt. Nun kann er den Marquis nicht leiden von jeher, und das hat seinen Haß noch gesteigert. Darum hat der Vater auch seine Versetzung so eifrig betrieben und kannʼs dem Marquis nicht verzeihen, daß er sie ausgeschlagen hat. Aber was kann ich dafür? Neulich schon gab es mit Otto einen Streit deßwegen, – kann ich den jungen Mann zwingen, meinem Bruder aus dem Wege zu gehen? Meinetwegen ginge er nur! was habe ich denn dabei? Mein ganzes Leben wird nur in Bitterkeit verkehrt!

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